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Vorwort

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Das lebhafte Interesse, das der von Rudolf Friedemann besorgten Sammlung von Briefen der Herzogin Elisabeth Charlotte aus den Jahren 1672—17001 entgegengebracht wurde, sowie der vielfach geäußerte Wunsch nach einer Fortsetzung über 1700 hinaus und für die Zeit der vielberufenen Regentschaft ihres Sohnes, des Herzogs Philipp II. von Orleans, veranlaßten die Verlagshandlung, vorliegenden Band als weiteres Glied in der Kette ihrer die Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts betreffenden Publikationen den Liebhabern der französischen Sittengeschichte darzubieten. Und sie glaubt, für diesen Band eine gleiche Teilnahme wie für den ersten erwarten zu dürfen. Bilden doch die beiden Jahrzehnte nach 1700, um die es sich hier handelt, kulturgeschichtlich wie überhaupthistorisch den ersten Brückenbogen, der über Sumpf und Moder zu einer terra nova führt. Der Grundton der beiden Jahrzehnte ist der der Zersetzung und Fäulnis. Selbst die zierliche Form, die den Erscheinungen der ersten und mittleren Epoche Ludwigs XIV. eigen war, verliert sich mehr und mehr und geht in dem Taumel der Regentschaft in Verzerrung über. Wie starr und halb bewußtlos sieht die große Masse, die der Großkönig der gloire zu liebe sich an Menschenkraft und materiellen Mitteln fast verbluten läßt, dem wüsten Treiben zu, aber schon ballt sie die Faust und reckt sie plump drohend in die Höhe, und schon wird hin und wieder der frenetische Jubel der unter Leitung des Regenten den Cancantanzenden hohen Gesellschaft übertönt von dem unterirdischen Grollen des Vulkans, auf dem sie tanzt. Fast der einzige Lichtpunkt auf diesem dunklen Hintergrunde ist Elisabeth Charlotte selbst.

Für die Auswahl und Wiedergabe der Briefe sind dieselben Grundsätze wie für den ersten Band maßgebend gewesen, nur sind, um ihre originelle Persönlichkeit noch besser hervortreten zu lassen, weniger, aber dafür längere Stellen ausgewählt.

Die ursprüngliche Orthographie ist so weit beibehalten, als sie nicht ein schnelles Verständnis des Lesers erschwert. Zur Erläuterung und zur leichteren Orientierung sind in eckigen Klammern [] hin und wieder Übersetzungen, Erklärungen oder Deutungen ungewöhnlicher Ausdrücke hinzugefügt. Andere zur Gedankenverbindung oder Charakterisierung der jeweiligen Zeitlage vom Herausgeber eingeschalteten Bemerkungen sind durch kleineren Druck kenntlich gemacht oder als Noten unter den Textverwiesen. Wie im ersten Bande liegen auch in diesem den Briefauszügen in der Hauptsache die verdienstvollen Ausgaben von Bodemann und Holland zu Grunde.

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In betreff der Lage, in der sich die Briefschreiberin im Sommer 1701 befand, sei mit Hinweis auf die Einleitung zum ersten Bande dieser Briefauszüge nur kurz das folgende bemerkt:

Elisabeth Charlotte, Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, war — ein Opferlamm auf dem Altar der Politik ihres Vaters, der durch eine verwandtschaftliche Verbindung mit dem gefährlichen und begehrlichen französischen Nachbar die bedrohte Pfalz zu sichern wähnte —im Jahre 1671 als Braut von Ludwigs XIV. Bruder nach Paris gekommen. Das von sprudelnder Lebenslust erfüllte, echte Pfälzer Kind, dem aller Zwang und alle Verstellung in der Seele zuwider war, fühlte sich inmitten des Intrigenspiels der zuchtlosen Versailler Hofgesellschaft und in den lähmenden Fesseln eines bis ins kleinste ausgebildeten Zeremoniells bald über die Maßen elend und vereinsamt. Sie hätte wohl trotz ihres kräftigen, widerstandsfähigen Geistes in dem schweren Kampfe fast gegenihre gesamte Umgebung und unter der Todfeindschaft der allmächtigen Mätresse Ludwigs XIV., der Frau v. Maintenon, erliegen müssen, hätte sie nicht aus dem Muttergefühl neue Kraft gesogen und sich durch eine ausführliche, mit ihrem Herzblut geschriebene Korrespondenz einigen Ersatz verschafft.

Ihre unbeugsame Rechtlichkeit, ihr gesunder Verstand, ihr gutes Herz, ihre beispiellose Enthaltung von selbstischen Machenschaften errangen ihr schließlich die Achtung des Königs und der besseren Elemente des Hofes, aber damit war am Ende für ihre Person an der Seite des erbärmlichen Philipp von Orleans, der selbst gegen sie intrigierte, wenig gewonnen. Trotz allem hatte sie ihre Pflichten als Gattin treu und gewissenhaft erfüllt und weinte nun dem Herzog, als ihn ins Jahre 1701 der Tod ereilte, aufrichtige Witwentränen nach. Die Briefe L.’s stellen somit den ungehemmten Erguß eines sonst allenthalben eingedämmten und gedrückten und darum um so ungestümer pulsierenden Menschenherzens dar. Hier wenigstens streift sie den lästigen Zwang ab, und ohne Schminke porträtiert sie Menschen und Dinge ihrer Umgebung. Daß dabei manches Unsaubere in Erscheinung tritt, erklärt sich aus der Beschaffenheit der Zeit, der Sitten und des Ortes, zum geringsten Teile aus der derben, aller Verschleierung abholden Natur der Briefschreiberin. Der Freund der Sittengeschichte wird auch dies ohne Anstoß und mit Interesse als jener Kulturepoche eigenentgegennehmen, und für andere Leser ist diese Sammlung nicht verfaßt.

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1 von Rudolf Elisabeth Charlotte von Orleans (geb. Pfalzgräfin), Briefe über die Zustände am französischen Hofe unter Ludwig XIV, herausg. Friedemann. 80 (160 S. mit Porträt). Stuttgart. Franck’sche Verlagshandlung.

Hof und Gesellschaft in Frankreich am Anfang des 18. Jahrhunderts

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