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Berührender Kontakt
Оглавление„Eine gute Kurzgeschichte macht aus, dass sie mich berührt. Easy.“ Der Musiker und Juror Ariel Oehl gab seine klare Vorstellung im April bekannt. Das Interview fand – wie so vieles heuer – auf Distanz statt. Berührt haben die eingereichten Geschichten dennoch. 2020 – ein merkwürdiges Jahr – nicht nur für Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
2020 hat unseren Zugang zu „Kontakt“ völlig verändert. Das alles wussten wir aber Anfang April noch nicht, als wir um Kurzgeschichten zum Thema „Kontakt“ baten.
Wir schrieben damals von der merkwürdigen Aura, die den Begriff „Kontakt“ seit „wenigen Wochen umgibt“. Darüber, dass „die aktive oder passive Berührung des eigenen oder fremden Körpers“ neuerdings „unter völlig anderen Vorzeichen“ stehe. Nie hätten wir gedacht, dass diese Vorzeichen so hartnäckig bleiben. Von wegen Licht am Ende des Tunnels.
Wir hatten bewusst „Kontakt“ als Thema für Wortlaut gewählt. Wenn schon Lockdown, dann sollte umso mehr die Phantasie wandern, dann sollten unsere Hörerinnen und Hörer wenigstens über „Kontakt“ nachdenken und schreiben können. Möglicherweise war das für viele eine willkommene Ablenkung. Ob es am Thema lag oder daran, dass im Lockdown mehr Zeit zum Schreiben war, wissen wir nicht. Jedenfalls erhielten wir fast eintausendzweihundert Kurzgeschichten. Ein absoluter Rekord. Dafür herzlichen Dank!
Aufgrund der besonderen Umstände hatte dann auch die redaktionelle Vorjury mehr Zeit zum Lesen – die FM4 RedakteurInnen Zita Bereuter, Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Ali Cem Deniz, Conny Lee, Sophie Liebhart, Maria Motter, David Pfister, Martin Pieper, Lisa Schneider, Simon Welebil und Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag. Das war bei den vielen Einsendungen auch nötig, wurden doch alle Texte mindestens zweimal gelesen. Bevor die Kurzgeschichten weitergereicht wurden, gaben wir telefonisch die Wertungen durch und markierten mit einem ausgefinkelten Farbsystem jede Einsendung. Nach wie vor lässt sich so leicht erkennen, dass Hunderte Texte drei-, vier-, fünfmal gelesen wurden. Die besten 80 dann von fast der gesamten Vorjury.
Aus diesem beeindruckend hohen Stapel die zwanzig besten Kurzgeschichten auszuwählen, fiel bei der Vorjurysitzung alles andere als leicht. Mit dem notwendigen Abstand bei viel frischer Luft wurde diskutiert und argumentiert. Und nach einigen Stunden war der Stoß dann auf zwanzig Texte reduziert.
Dieses Paket bekam dann die Jury – der Vorjahresgewinner Lukas Gmeiner, die Autorin und Aktivistin Nunu Kaller, der Songwriter und Musiker Ariel Oehl, der Autor und Kabarettist bei Maschek Robert Stachel und die Autorin Anna Weidenholzer.
An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an die großartige Jury. Allesamt waren sie auch beruflich vom Lockdown schwer beeinträchtigt. Dennoch haben sie sich Zeit für Fragebögen und Interviews genommen, die zwanzig Texte gelesen und bewertet – und das alles ohne Honorar – mit viel Engagement für die Sache.
Noch nie hatten wir so wenig direkten Kontakt zur Jury. Selbst bei der Jurysitzung konnten sich nicht alle treffen. Reisewarnungen führten dazu, dass ein Teil in Wien saß, und der Kontakt zu Anna Weidenholzer in der Schweiz und Lukas Gmeiner in Berlin nur digital war. Technisch die bisher komplizierteste Wortlautjurysitzung, war das Dank einer äußerst unkomplizierten Jury dennoch machbar. Umso mehr musste konzentriert und geordnet zugehört und diskutiert werden.
Ganz klar einig war sich die Jury beim Gewinnertext Hinter dem Mond. Überzeugt hatte sie „die gute Mischung aus Schwere und Leichtigkeit“, die Art, „wie große existentielle Themen aufgerollt werden“, die Schreibweise, „ohne dass ein Wort zu viel verloren wird“, „die kluge Traumsequenz“, „das sprachliche Können“, das „Motiv des Astronauten“, und die Metapher von Hinter dem Mond, denn „das ist die dunkle Seite des Mondes, die immer da ist und die wir nicht sehen.“
Inhaltlich könnten die hier vorliegenden zehn Kurzgeschichten nicht unterschiedlicher sein: von einer Katzenallergie zu einem Rehkitz auf einem Trampolin, vom demenzkranken Vater zu der neuen Freundin mit Kind, zu einer Kassette mit Opas Stimme zu einem Mann, der sich mehr und mehr zurückzieht, von einer Therapiestunde zu einem blutigen Wochenende, von einer Schwangerschaft zu einem schwulen Frisör.
Was alle diese Texte eint: sie berühren.
Und das macht ja eine gute Kurzgeschichte aus.
Easy.
Claudia Czesch und Zita Bereuter