Читать книгу Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen - Elke Bulenda - Страница 14

Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.

Оглавление

(Thomas Alva Edison)

»Und?«, fragte Agnir. »Hattest du Erfolg mit deiner Flucht?«

»Nein, am nächsten Nachmittag war ich wieder im Heiligtum. Ein Bauer aus dem Umfeld fand mich schlafend im Stroh und schickte seinen Knecht zum Oberpriester. Dieser holte mich umgehend wieder zurück. Und zur Strafe, weil ich abgehauen war, bekam ich zwanzig Stockschläge auf den Hintern!«, grummelte ich, weil mir die Schläge lebhaft in Erinnerung geblieben sind. Nicht etwa, weil sie sonderlich wehtaten. »Beim Training hatte ich schon ganz andere Hiebe abbekommen, sie taten mir nicht allzu sehr weh. Das Schlimme daran war, dass alle anderen zusahen, wie der Oberpriester meine Hose herunterzog, um mir den nackten Hintern zu malträtieren.«

»Ja, das ist für einen Achtjährigen unerträglich, wie?«

»Das kannst du aber laut sagen«, bestätigte ich.

»Du hast aber nicht aufgegeben, oder?«, fragte Agnir neugierig. »Wann startetest du deinen nächsten Fluchtversuch?«

»Nee, aufgeben war nicht drin. Ich war schon immer hartnäckig. Und ich lerne schnell aus meinen Fehlern. Bei meiner nächsten nächtlichen Flucht, genau zwei Tage später, mied ich die Gehöfte der Bauern. Zudem hatte ich mich besser ausgerüstet. Diesmal war nicht nur Proviant in meinem Beutel, sondern ich hatte eine Decke eingepackt, Lederschnüre, Nähnadeln und Faden, Schlageisen, einen Feuerstein und einen flach geschliffenen Sonnenstein aus Doppelspat. Der war für die Orientierung enorm wichtig. Wenn man ihn in den Himmel hielt, konnte man trotz Bewölkung, zwei gleich helle Strahlen sehen, die dir zeigten, wo die Sonne stand. Mein Vater benutzte auf seinen Seereisen ebenso einen geschliffenen Kalzit. Menschliche Nähe suchte ich lediglich, wenn ich etwas Dringendes benötigte. Unterwegs stahl ich Speisen von den Fensterbänken, die dort zum Abkühlen standen. Vom Vieh nahm ich mir Milch, klaute Eier, oder gleich das ganze Huhn. Und von einer Wäscheleine borgte ich ein grobes, braunes Leinenhemd, das vormals einem Erwachsenen gehörte. Für mich war es ziemlich großzügig geschnitten. Immerhin bestand die Chance, dass ich dort noch irgendwann hineinwuchs. Allemal besser als vorher. Es grenzt schon an Idiotie in der Kleidung eines Novizen herumzustreunen. Daran hätte jedermann erkennen können, dass ich aus dem Heiligtum Uppsala getürmt war. Zudem sorgte ich dafür, immer sauber auszusehen, weshalb ich mich und meine Kleidung regelmäßig wusch und ausbesserte. Erwachsene hassen dreckige Rotznasen, und damals waren sie nicht so verständnisvoll wie heute. Vor allem, was heimatlose Kinder betraf. Ohne einen Erwachsenen, der ein Auge auf dich warf, warst du der Willkür ihrer Launen schutzlos ausgeliefert.

»Stimmt, Cornelius erzählte mir bereits, damals seien die Straßenkinder nicht viel besser behandelt worden, als streunende Köter. Erzähl weiter!«

Von Uppsala bis Niðaróss waren es in etwa tausend Kilometer. Ich rechnete mir großzügig aus, sollte ich täglich acht Stunden laufen, würde ich spätestens in zwanzig Tagen meinen Bestimmungsort erreicht haben. Leider bemerkte ich recht früh, dass ich mich in dieser Beziehung ein wenig überschätzt hatte. Niemand kann acht Stunden am Stück laufen. Okay, kann man schon, nur kommst du nicht immer zügig voran und drohst außerdem, durch diesen Kräfte raubenden Akt, zu verhungern. Schweden bestand zu dieser Zeit beinahe ausschließlich aus undurchdringlichen Wäldern, Sümpfen und Seen. Zudem sollte jeder wirklich aufpassen, wohin er seinen Fuß setzt. Wenn du allein in einen dich verschlingenden Morast gerätst, kann dich niemand vor dem Untergang bewahren. Überhaupt barg die Wildnis enorme Gefahren. Vor allem lauerten überall wilde Tiere. Nicht nur Wölfe und Bären können einem Menschen gefährlich werden. Selbst Elche sind sehr aggressiv und können dich mit Stößen ihrer Schaufeln, oder Tritten ihrer spitzen Hufe, lebensgefährlich verletzen.

Um ungefähr sicher zu sein, die korrekte Richtung beizubehalten, wanderte ich flussaufwärts am Dalälven entlang. Dieser Fluss teilt sich in nördlicher Richtung und für mich war der östliche Flussarm, der Österdalälven, genau passend, weil er beinahe meine vorbestimmte Richtung nach Idre einschlug. Von dort aus, war es nicht mehr weit bis nach Niðaróss. Zudem versorgte mich der Fluss ausreichend mit Fischen, die ich mit meinem selbstgebauten Speer erlegte. Wie ein Reiher verharrte ich bewegungslos am Flussufer, bis der Fisch meine Anwesenheit als völlig normal ansah und mich ignorierte. Dann stieß ich blitzschnell zu. Mein bescheidener Speer bestand aus meinem Schnitzmesser, welches ich mit Lederschnüren an einem langen Stock befestigt hatte. Zum Glück besaß ich, dank des sommerlichen Camping, welches ich mit meiner Mutter und den Geschwistern zelebrieren musste, Erfahrung in solchen Dingen. Nur wünschte ich mir in meiner derzeitigen Situation, ich hätte ebenfalls eine komfortable Jurte dabei. Die Nächte konnten bitterkalt werden. Dann nützte selbst eine Decke nicht viel, vor allem, wenn es zusätzlich regnete und das Lagerfeuer erlosch. Manchmal hatte ich Glück und fand eine trockene Höhle, die unbewohnt war. Manchmal hatte ich aber auch Pech und musste um mein Leben rennen, weil ein Bär mich fressen, oder aus seinem Revier vertreiben wollte. Alles in allem, war es eine ziemlich aufregende Zeit. Dennoch vermisste ich meine Familie und unser Beisammensein. Insgeheim befürchtete ich, schon bald könnte ich mich möglicherweise nicht mehr an die menschliche Sprache erinnern. Ich fühlte mich einsam. Wieso hatte ich nicht den Köter mitgenommen? Wir wären sicherlich ein gutes Team geworden. Ein Hund ist ein treuer Gefährte.

Bei meiner Wanderung kam ich nicht so schnell voran, wie ich es mir gewünscht hätte. Deshalb keimte in mir die Idee auf, sobald sich die passende Gelegenheit bieten sollte, ein Pferd zu stehlen. Vor allem meine wundgelaufenen Füße stimmten dem zu. Aus irgendeinem Grund waren meine Stiefel auf der Wanderung viel zu klein geworden. Und selbst nachdem ich Wickel aus Spitzwegerich machte, waren meine Füße in einem zutiefst bedauerlichen Zustand. Statt meine zu kleinen Stiefel zu tragen, umwickelte ich meine Füße mit Stoff, welchen ich aus meinem zu großen Hemd nahm. Deshalb, warum nicht ein Pferd stehlen, das mich problemlos trug? In meiner schieren Verzweiflung hätte ich sogar einen Elch geritten. Nur war dieser, wie gesagt, mit Vorsicht zu genießen.

In einem Ort am Siljan-See namens Mora, wurde ich fündig. Zumindest glaubte ich, es wäre ein kinderleichtes Unterfangen, diesen gutmütig wirkenden Kutschen-Gaul zu entführen.

Selbst wenn diese Scheckenstute auffiel wie ein bunter Hund, war sie allemal besser, als die Blasen an meinen Füßen. Der Zufall spielte mir in die Karten, denn offensichtlich gehörte das Tier ein paar fremdländischen Vaganten, die in der Ortschaft für Aufsehen sorgten.

Ein recht kleiner Kerl jonglierte mit verschiedenen Gegenständen und machte, nachdem er sein Können derart demonstriert hatte, zudem aufsehenerregende Flickflacks. Überhaupt war er kaum ins Auge zu fassen, so schnell bewegte er sich von einem Punkt zum nächsten. Musikalische Untermalung erhielt diese Vorstellung von einer wunderschönen Frau, die eine Lyra spielte und dabei engelsgleich sang. Sofort verliebte ich mich unsterblich in dieses überirdisch schöne Wesen. Obwohl ich der Schönen mit dem beabsichtigten Diebstahl möglicherweise das Herz brach, wollte ich das Pferd trotzdem.

Soweit hatte ich jedenfalls alles bis ins Detail durchgeplant. Bei Odin! Unerwartet sollte sich der Pferderaub als komplizierter erweisen, als von mir erwartet. Obwohl ich schon als Säugling auf einem Pferd saß und der Meinung war, ich wüsste, wie diese Viecher ticken, erlebte ich mit der gescheckten Stute mein blaues Wunder. Heimlich und leise spannte ich sie aus. Jedoch ging sie nicht wie erwartet lammfromm mit, sondern setzte sich urplötzlich auf ihre vier Buchstaben. Weder ziehen, noch schieben half. Ich versuchte sie am Zügel ziehend davon zu schleppen. Der Gaul hinter meinem Rücken bewegte sich nicht einen Fuß breit vom Fleck, was genauso für mich galt. Unter meinen Füßen staubte es schon mächtig, sodass ich beinahe glaubte, bereits in einer von mir selbst ausgehobenen Kuhle zu stehen, als eine tiefe Stimme neben mir ertönte: »Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Söhnchen?«

Ich zuckte zusammen, ließ schlagartig den Zügel los und fiel unweigerlich auf die Nase, da ich plötzlich zu viel Schub nach vorn bekam. So auf dem Boden liegend, blickte ich den Inhaber der tiefen Stimme von den Beinen aufwärts empor an. Mein Vater war schon ein riesiger, muskulöser Kerl, aber der Mann, der vor mir wie ein Berg aufragte, wirkte beinahe monströs. Es bereitete ihm zweifelsohne keinerlei Mühe, mich am Hemdkragen zu packen und recht unsanft auf die Beine zu stellen, was er unverzüglich tat.

»Sei nicht enttäuscht, kleiner Mann!«, brummte er. »Du bist nicht der Erste, der unsere Lulu stehlen will. Nur gelingt es keinem, da wir dem alten Mädchen beibrachten, nicht mit fremden Leuten zu gehen!«, lachte er tief wie ein Troll. Das Dumme an dieser Angelegenheit war, dass er mich nicht losließ und noch immer am Schlawickel gepackt hielt.

Indes nahm gerade in diesem Moment die Vorstellung ihr Ende, was die schöne Frau dazu veranlasste, durch die Menschenmenge zu wandeln und mit einer Mütze in der Hand, den schwer verdienten Lohn einzufordern.

Der Kerl, der zuvor so gekonnt seine wilde Akrobatik vorführte, gesellte sich zu uns. Erst jetzt hatte ich die Muße, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Auf dem Kopf trug er eine seltsam anmutende Kappe mit Glöckchen dran, die bei jeder seiner Bewegungen klingelten. Seine komischen Schnabelschuhe waren ebenfalls an den Spitzen damit verziert. In der Hand hielt er einen Stab, worauf ein kleiner Totenkopf steckte, der genau die gleiche Kappe, samt Kragen und Glöckchen, wie sein Besitzer trug. Dass man so einen Stab Marotte nennt, erfuhr ich erst später. Er hingegen nannte das Ding »Alter Ego«.

Der Kerl selbst hielt es für unter seiner Würde, mit mir zu sprechen. Das erledigte das komische Ding in seiner Hand. Und obwohl ich wusste, dass ihm die Stimme gehörte, sah ich nicht, wie sich seine Lippen bewegten. Ungläubig starrte ich ihn an.

Das Ding in seiner Hand zappelte wie ein Kobold: »Hey! Was sieht mein nicht vorhandenes Auge? Wen haben wir denn hier?«

Das fragte er allerdings nicht mich, sondern den Muskelberg der hinter mir noch immer bedrohlich aufragte.

»Einen dreisten, dennoch erfolglosen Pferdedieb!«, brummelte der Muskelmann, der mich mühelos, trotz meines wehrhaften Gebarens, am Kragen festhielt. Und genau dieser Umstand hinderte mich daran, nolens volens die Flucht zu ergreifen. Zudem fragte ich mich, woher diese komischen Figuren stammten, denn sie sprachen in einem mir völlig fremd anmutenden Akzent.

»Und was machen wir jetzt mit dem?«, fragte der Totenkopf und klingelte, weil sein Besitzer mir damit eine recht schmerzhafte Kopfnuss verabreichte. »Sollen wir ihm ein Ohr, oder die Nase abschneiden? Oder einfach nur verprügeln und diesen frechen Kerl anschließend höflich mit einem Fußtritt verabschieden? Hahahahaha!«, gackerte das gehässige Ding.

»Wem wollen wir was abschneiden?«, fragte die wunderschöne Dame, vor der ich gerne auf die Knie gefallen wäre, um ihre Schönheit anzubeten. Nur hätte ich dabei unweigerlich vom Muskelmann getragen, eine gänzlich lächerliche Figur gemacht.

»He, da! Nichts abschneiden!«, wehrte ich mich noch immer. »Wenn ihr das tut, kommt mein Vater und wird euch alle töten! Und lasst euch eins gesagt sein: Es wird ein fürchterliches Blutbad werden!«, drohte ich, denn mir blieb nichts anderes übrig. Meine Mittel waren erschöpft, und ich, gelinde gesagt, war es ebenfalls.

Die drei sahen sich an und brabbelten schnell in einer mir unbekannten Sprache. Sie klang außergewöhnlich melodisch.

»Cosa ne pensi, ragazzi? Bluffare il piccolo?«, fragte der Totenkopfbesitzer. (»Was meint ihr, Leute? Blufft der Kleine?«)

»Se gli chiediamo una volta«, beschied die schöne Frau. (Fragen wir ihn mal«)

»Bene, lo facciamo. Chiedetegli!«, brummte der Muskelmann und nickte mit dem Kinn der Dame zu. (Gut, machen wir es so. Frag ihn!) »Lass ihn runter, Luigi!«, deutete die Schöne auf mich. Während des Disputs hing ich noch immer wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Der Hemdstoff, der unter meinen Armen spannte, sorgte langsam dafür, dass ich flügellahm wurde.

Sanft setzte Luigi mich ab. »Nicht weglaufen, Piccolo. Bento kriegt dich sowieso. Er ist blitzschnell!«, warnte er mich vor.

Die Dame streichelte meine Wange. Ihre Hand war so kühl, ich wäre beinahe zusammengezuckt. Ich nahm mich zusammen, denn ich wollte keinesfalls wie eine Memme dastehen. Nicht, nachdem ich ihnen so kraftvoll gedroht hatte.

»Sag, kleiner Mann. Wer ist dein Vater?«, fragte sie sanft.

»Skryrmir Einauge, Stammesfürst der Haraldinger!«, gab ich stolz zurück.

Der kleine Jongleur ergriff das Wort: »Oh, dann bist du also ein kleiner, feiner Prinz, wie? Der Prinz der Bettler, was?«, ätzte der Narr. »Und wieso lässt er zu, dass du dich als gemeiner Pferdedieb verdingst?«, forderte er mich heraus.

Auf diese Frage wusste ich zuerst keine Antwort. Sollte ich diesen fragwürdigen Gestalten die Wahrheit sagen? Nein! Ich beschloss spontan, sie zu belügen. Denn wie zuvor Wulfric Knutson mir riet, sollte ich niemandem trauen. Darum dachte ich mir schleunigst etwas Cleveres aus. Und meine Lüge erschien sogar weitestgehend plausibel. Damit konnte ich verhindern, ins Heiligtum zurückgebracht zu werden, und obendrein eventuell meinen Bestimmungsort erreichen, ohne selbst hinlaufen zu müssen. »Na ja. Ich bin von zuhause weggelaufen«, druckste ich herum und tat so, als sei ich in flagranti ertappt worden.

Wieder brabbelte das Trio in seiner melodischen Sprache. Offenbar hatte meine Aussage ihr Interesse geweckt. In ihren Augen leuchtete die Hoffnung, eine fette Belohnung winke, die ihnen für die Rückgabe des verlorenen Sohnes zustand.

Die Schöne drehte sich wieder zu mir herum. »Sag, Bambino. Wo kommst du her?«, wollte sie wissen.

»Detvakrestestedetverdenvetingen am Reisafjord«, antwortete ich. Dabei beobachtete ich, wie das Trio fragende Blicke untereinander austauschte.

»Detvakre… Was?«, fragte Bento entgeistert.

»Wo soll das sein?«, fragte Luigi verwirrt.

»Davon habe ich noch nie gehört«, beschied die Schöne, deren Namen ich noch immer nicht wusste.

»Meine Onkel, Cousins und Cousinen sagen ständig, es läge am Arsch der Welt. Nein, es liegt lediglich ziemlich weit im Norden, da wo die Welt zu Ende geht.«

Bento schüttelte den Kopf, dass es nur so klingelte. »Da werden wir unmöglich hinreisen! In den Norden zu kommen, war ohnehin ein grober Fehler. Hier gibt es nicht mal größere Siedlungen!«

Ich wusste es besser. »Da habt ihr eindeutig die falsche Route gewählt, wärt ihr die Westküste hochgefahren, sähe die Sache anders aus. Da gibt es Stavanger, Bergen und Niðaróss«

»Schlaumeier!«, teilte Bento wieder eine Kopfnuss mit seinem Alter Ego aus.

»Nun lass ihn heil! Wenn du ihn zu arg verbeulst, ist er nichts mehr wert!«, brummte Luigi, der sich mir wieder zuwandte. »Du erzähltest von deinen Onkeln. Was hältst du davon, wenn wir dich dort hinbringen? Glaubst du, einer von ihnen würde sich in pekuniärer Weise dankbar zeigen?«

»Äh, was ist pekuniär?«, wollte ich zuerst wissen. Nicht, dass ich etwas versprach, was meine Onkel nicht halten könnten.

»Geld, er meint Geld, mein Kleiner«, sagte die Schönheit.

»Meine Onkel sind alle reich, allerdings nicht so reich wie mein Vater. Und natürlich bessern sie ihren Haushalt noch mit kleinen Nebentätigkeiten auf. Sie fahren zu den Briten und klauen ihnen alles, was nicht niet-und nagelfest ist.«

»Aha, sie sind also raubende Wikinger?«, fragte Bento, dem bei bei diesem Gedanken sichtlich unwohl war. Niemand konnte vorhersagen, wie ein Wikinger reagierte, wenn man etwas von seinem Gewinn abschöpfen wollte. Aber eins wusste er über die Nordmänner. Sie liebten ihre Nachkommen abgöttisch. Darum fragte er, welcher meiner Onkel, der Lieblingsonkel sei.

»Onkel Ásgrímur in Niðaróss«, entgegnete ich daraufhin.

Wieder besprach das Trio in ihrer ausländischen Sprache die Lage. Ich witterte Morgenluft, als ich den Namen Niðaróss vernahm. Sollte es mir gelungen sein, sie zu manipulieren?

Wieder ergriff der Narr das Wort: »In Ordnung, wir werden dich zu deinem Onkel Ásgrímur bringen. Aber eins ist klar: Wer essen will, der muss auch arbeiten! Du wirst uns unterstützen und nicht nur auf der faulen Haut herumliegen. Übrigens, wie heißt du Bengel überhaupt?«

»Ragnor Skryrmirson. Und ihr?«, fragte ich.

»Ich bin Bento, der Große ist Luigi, und die Schöne, das ist unsere Galatea«, stellte er die Truppe vor.

»Galatea… Was für ein wunderschöner Name...«, schwärmte ich. »Woher kommt er? Und woher kommt ihr? Solche, wie euch, habe ich bisher noch nie gesehen.«

Offensichtlich war Bento der Wortführer dieser illustren Truppe. »Luigi kommt von der Insel Sardinien, er ist ein Eisenbieger. Ich bin von der Insel Sizilien, und Galatea ist von einer winzigen Insel namens Lampedusa. Wir sind vom Süden bis hier in den Norden hinaufgefahren.«

»Aha, und warum?«, wollte ich wissen.

»Weil wir eben Lust dazu hatten. So wie du Lust hattest, selbst ein Abenteuer zu erleben. Wir sind frei wie die Vögel und gehen eben dort hin, wohin uns die Laune so treibt.«

»Aha, und was ist das für ein seltsamer Name? Galatea?«

Endlich richtete die Schöne ihr Wort an mich. Ich war so dankbar, sie dabei unverhohlen beobachten zu dürfen. Ihre Haut war weiß wie Elfenbein, ihre Augen schwarz wie Ebenholz, das Gleiche galt für ihr Haar. Aber ihre Lippen! Sie waren rot wie Blut. »Der Name Galatea kommt aus dem Griechischen. Ovid erzählte von einem Bildhauer namens Pygmalion, der von den Frauen enttäuscht war, die er kannte. Sie waren Propoetiden«, erzählte sie geduldig.

»Propoetiden?«, echote ich. »Was soll das sein?«

»Unredliche Damen. Davon verstehst du noch nichts, mio Piccolo. Pygmalion erschuf eine Frauenfigur aus Elfenbein und betete diese förmlich an, weil sie so reinen Wesens war. Venus hatte Mitleid mit diesem fehlgeleiteten Künstler und belebte diese von ihm angebetete Figur. Sie stieg vom Sockel. Und diese Dame trug den Namen Galatea«, endete ihre Erzählung. »Ragnor, mein Kleiner?«, fragte Galatea. »Was kannst du? Wie könntest du uns nützlich sein und dich einbringen?«

»Bitte, nenn mich nicht Kleiner! Für einen Achtjährigen bin ich ziemlich groß!« Mir war es peinlich, dass sie in mir ein kleines Kind sah. Ich wollte ihr gefallen. Für sie hätte ich einfach alles getan. »Ich kann Fische fangen. Nur gut laufen, das kann ich momentan nicht. Ich habe mir schreckliche Blasen gelaufen!«, zeigte ich gequält auf meine wunden Füße.

Bentos Alter Ego gackerte. »Stell dich nicht so an, dann laufe eben auf den Händen!«, sagte er und demonstrierte sogleich, wie so etwas funktionierte.

»Kann ich nicht!«, nörgelte ich zurück.

»Dann wird es Zeit, so etwas Wertvolles zu lernen!«, gab er mir daraufhin Kontra.

Zum Glück zeigte sich die schöne Galatea gnädig und bereitete eine Arznei für meine gequälten Füße zu. Im Heiligtum machte ich bereits Erfahrungen mit der Heilkunde, jedoch dieses Zaubermittel, welches die Schöne für mich fertigte, stellte alles andere in den Schatten. Gleich nachdem sie die Salbe auftrug, begannen meine Füße augenblicklich zu heilen. Es grenzte beinahe an ein Wunder. Und als ich ihnen dankbar Fische fing, konnten wir beim Abendessen meinen Einstand in die Truppe feiern.

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

Подняться наверх