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I. Italia – Grundsätzliche Fragestellungen

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Italien ist lediglich ein geographischer Begriff!“ 1815 prägte der habsburgische Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich auf dem Wiener Kongress dieses prägnant formulierte, für die Geschichte eines Landes aber geradezu vernichtende Diktum. So ganz aus der Luft gegriffen war seine Ansicht jedoch nicht, denn tatsächlich lässt sich der tatkräftig vorangetriebene Wunsch der Italiener nach einem eigenen Nationalstaat kaum länger als bis in das Jahr 1800 zurückverfolgen. Als im Februar 1861 in Turin Viktor Emanuel aus dem Haus Savoyen durch ein fast aus allen Landesteilen zusammengesetztes Parlament zum König proklamiert wurde, war es endlich so weit: Italien war ein Nationalstaat geworden, wenn auch mit erheblichen Etablierungsschwierigkeiten.

Während des gesamten Mittelalters gibt es keine klar definierte, einheitlich geprägte Region „Italien“, weder im politischen noch im gesellschaftlichen Sinne. Zwar bestimmte das Erbe des antiken Kaiserreiches die Geschicke der Apenninenhalbinsel nachhaltig, doch darf die italienische Geschichte deshalb nicht nur als bloße Fortsetzung des in der Rückschau glorifizierten Imperium Romanum betrachtet werden, auch wenn Renaissance, nationale Einigungsbewegung und schließlich der Faschismus dies wiederholt versucht haben und in vielfältigen Symbolen zum Ausdruck zu bringen trachteten – zu erinnern sei hier nur an die Liktorenbündel der Faschisten.

War also Italien wirklich nur eine geographische Raumbezeichnung, ein äußerst löchriges Dach für unzusammenhängende, zersplitterte Kleinherrschaften ohne einigendes Band? Zwei Klammern spannten die Apenninenhalbinsel auch in Zeiten zusammen, in denen von politischer Gemeinschaft nicht die Rede sein konnte: der Kulturraum Italien und die Sprachgemeinschaft Italien. Herausragenden, international ausstrahlenden Denkern wie Dante, Petrarca oder Lorenzo Valla galt die Sprache als Basis, Beginn und vornehmste Ausprägung einer Kultur, die auf dem Boden des Imperium Romanum vom Glanz der Antike geprägt war. So fragte Lorenzo Valla: „Wer waren die größten Philosophen, die besten Redner, Richter und Dichter? Doch wohl jene, die sich um die Sprache am meisten bemühten.“ Francesco Petrarca konnte Italien als gloria mundi bezeichnen, obwohl die politische Lage seiner Heimat im 14. Jahrhundert wenig Glorreiches aufzuweisen hatte. In der Überzeugung, einer herausragenden Kulturgemeinschaft zu entstammen, formulierte er 1473 in den Invectiva contra eum qui maledixit Italiae: Quid est enim aliud omnis historia quam romana laus? (Was gibt es eigentlich in der Geschichte, was nicht zum Ruhme Roms ist?) Auch die Fremden konnten sich diesem besonderen Reiz nicht entziehen und Goethe notiert während seines Romaufenthalts in die Aufzeichnungen seiner Italienischen Reise, „daß hier das Große war, ist und sein wird“.


Dante Alighieri vor der Silhouette von Florenz. Gemälde, 1465, von Domenico di Michelino in Santa Maria del Fiore in Florenz.

Geographische Voraussetzungen

Die italienische Halbinsel, eine geologische Formation aus dem Tertiär, ist die mittlere der drei großen Mittelmeer-Halbinseln und erstreckt sich von der heutigen Nordgrenze am Brennerpass bis zur Südspitze bei Reggio Calabria auf einer Länge von ca. 1400 Kilometern. Sosehr der Inselcharakter Einheit suggeriert, so wenig eignet sich die topographische Beschaffenheit Italiens hierfür. Die Alpen bieten nur scheinbar Sicherheit gegen Invasoren, denn der Übergang ist zwar von Süden nach Norden schwierig und mühselig, aber in umgekehrter Richtung bieten sich gleich mehrere gut begehbare Pässe, an deren Endpunkten sich wichtige Städte entwickelten, die aber nicht nur bevorzugte Handelswege, sondern eben auch gefährliche Einfallspforten darstellten: Verona am Ende des Etschtals und des Brennerpasses, der auch in der schlechten Jahreszeit wegen seiner geringen Scheitelhöhe begehbar blieb; Mailand am Ende der durch Graubünden verlaufenden Pässe sowie des St.-Gotthard-Passes (erschlossen seit etwa 1170), Padua am Südende der Valle Sugana, Udine, Cividale und Aquileja am Ausgang des Kanaltales und der slawischen Völkerpforte sowie Turin, der Zielpunkt der durch Savoyen verlaufenden Passwege.

Hatte man die Alpen glücklich überwunden, öffnete sich die weite Fläche der Po-Ebene, die aber keinen einheitlichen, homogenen Raum darstellte. Geformt und dominiert von dem gewaltigen Strom und strukturiert durch dessen Nebenflüsse Reno, Etsch, Brenta und Piave, war die eigentliche Po-Ebene ein sehr dünn besiedeltes, sumpfig-morastiges Gebiet, teilweise bedeckt von Auenwäldern und regelmäßig von alles überspülenden Überschwemmungen heimgesucht. Das Leben in der zwar enorm fruchtbaren, aber permanent von schweren, alles mit sich fortreißenden Hochwassern bedrohten Ebene war beschwerlich und in den Sümpfen geradezu lebensfeindlich. Daher konzentrierte sich die Bevölkerung an den Abhängen der Alpen im Norden und des Apennin im Süden, dort wo man vor den Unbilden der Überschwemmungen und den fieberbrütenden Sümpfen einigermaßen sicher war. Verkehrstechnisch erschlossen wurde diese wie eine weite, flache Platte anmutende Landschaft durch die Via Aemilia, deren Trassierung von Rimini (Ariminum) bis Piacenza (Placentia) der römische Konsul Marcus Aemilius Lepidus im Jahr 187 vor Christus anordnete. Bis heute ist die Via Aemilia (Staatsstraße 9) die wichtigste Verkehrsader der Region. Ihre Bedeutung spiegelt sich in der Namengebung: In der Neuordnung des Imperiums unter Kaiser Augustus wurde die alte Bezeichnung „Gallia Cispadana“ durch den neuen Namen „Aemilia“ ersetzt. Die Emilia war damit die einzige Region des Kaiserreiches, welche den Namen einer Konsularstraße führte. Bei Piacenza, das sich auf einem erhöhten Kiesbett erhebt, überschreitet die Aemilia den Po. Piacenza ist die einzige Stadt, die direkt am Fluss errichtet worden war, weiter nach Osten zu war dies wegen der Wildheit des Po und der Verlagerung des Strombettes viel zu gefährlich; ängstlich scheinen die Städte vom Flussverlauf zurückzuweichen. Die Unberechenbarkeit des Stromes führte auch dazu, dass der Po – obwohl während des gesamten Mittelalters ein wichtiger, teilweise durch Kanalnetze ergänzter Wasserweg für Handel und Verkehr – außerordentlich trennend wirkte. Die Regionen südlich und nördlich des Po gingen in der Kunst, in der Wirtschaft und der Politik durchaus eigene Wege.

Aber auch die Ausrichtung nach Ost und West zerriss die Po-Ebene-Regionen. Orientierte sich der Osten zur Adria, richtete sich der Westen ganz nach der Ligurischen Küste aus und profitierte von den gut erschlossenen Alpenpässen. Das Piemont wandte seinen Blick nach Frankreich und übernahm von dort vor allem im hohen und späten Mittelalter Herrschaftsformen und Repräsentationsgewohnheiten, die sich deutlich von den Gepflogenheiten der kommunal geprägten Welt des restlichen Oberitalien unterschieden. Mailand und die Lombardei konzentrierten sich auf den Westen und das Tyrrhenische Meer. Ihr wichtigster Wirtschaftshafen wurde Genua; Venedig spielte in ihrem Handelsdenken eine untergeordnete Rolle; mehr noch: Mailand stieg immer mehr zur Konkurrentin der Serenissima auf. Ähnlich wie die Piemontesen sahen Mailänder und Lombarden in Frankreich einen unentbehrlichen Handelspartner. Sie beschickten die wichtigen Messen der Champagne und pflegten den Kontakt sowohl nach Flandern als auch in die Niederlande.


Der Ponte Pietra, um 100 v. Chr. gebaut, führt in Verona über die Etsch.

Am Südrand der Po-Ebene erhebt sich ein vielfach unterschätztes Gebirge. Was zumeist nicht vermutet wird: Weit beschwerlicher als der Übergang über die Alpen war derjenige über den Apennin – ein unruhiges, instabiles Gebirge mit hochkomplizierten Trassenführungen. Bis heute werden die mühevoll angelegten, der Landschaft gleichsam abgerungenen Wege bei schlechtem Wetter und harten Wintern oftmals durch Erdrutsche beschädigt. Daher trennte der Apennin trotz seiner eher geringen Höhe die einzelnen Regionen mindestens ebenso stark voneinander wie die Alpen und begünstigte die Entstehung relativ isolierter Siedlungsinseln. Die langgestreckte Struktur Italiens behinderte zudem flächendeckende Kommunikationsnetze und förderte die durch die Gebirgslinien vorgezeichnete Konzentration des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in lokalen, vor allem urban geprägten Räumen.

Am leichtesten ließ sich der Apennin bei Genua mit Hilfe des Giovi-Passes überwinden, was für die Entwicklung des dortigen Hafens und der Stadt von immenser Bedeutung war. Weit weniger angenehm, aber immerhin durch alte Straßenzüge gut erschlossen war der Weg über den Porretta- und den Futa-Pass in die Toskana. Anfangs- und Endpunkte der Wegführung waren Bologna und Florenz, die durch die Straßenverbindung wirtschaftlich und verkehrstechnisch aufeinander angewiesen und voneinander abhängig waren, weshalb sie auch zumeist ein freundschaftliches, partnerschaftliches Verhältnis miteinander pflegten. Weiter im Osten gab es keine befestigten Straßen mehr über den Apennin, sondern nur noch Saumwege, deren Passierung bei ungünstiger Witterung lebensgefährlich werden konnte.

Entlang der Adria verläuft der Apennin in südöstlicher Richtung und drängt sich nahe an das Meer heran, schränkt so den Lebensraum stark ein und erschwert die Querverbindungen bis zur Unüberwindlichkeit. Nur die antike Via Flaminia verband Rom mit der Adria, aber sie stellt keine Direktverbindung dar, sondern nimmt notgedrungen den Umweg nach Norden über Spoleto und Fano, um sich dann an der Gola del Furlo mittels eines antiken Tunnels durch die Felsen zu schlängeln. Ohne diese antike Straße, übrigens die einzige der großen Romstraßen, die während des gesamten Mittelalters intakt blieb, hätte Ravenna niemals zur spätantiken Kaiserresidenz aufsteigen können. Dank der Flaminia sprachen jedoch gleich zwei gewichtige Gründe für Ravenna: der heute verlandete Hafen, der das ganze Jahr hindurch die Verbindung mit Konstantinopel sicherte, und eben die Straßentrasse, an deren Verlauf sich die Reste der byzantinischen Besitzinseln in vorkarolingischer Zeit wie Perlen aufreihten: der Exarchat von Ravenna, die Pentapolis (Rimini, Pesaro, Fano, Senigallia und Ancona), Teile Umbriens und der Dukat von Rom.

Die wichtigsten Siedlungsräume befanden sich westlich des Apennin, wo sich das Land zum Tyrrhenischen Meer hin öffnet und genügend Platz bietet. Allerdings wurde der scheinbar leichte Zugang zum Meer faktisch durch weite Sumpflandschaften erschwert – vor allem der toskanischen und römischen Maremma sowie dem sich südlich anschließenden Agro Pontino –, einer einstmals blühenden Ebene, die sich von Pomezia bis Terracina erstreckte und im Nordosten von den Monti Lepini und den Monti Ausoni begrenzt wurde. Das gut 775 km2 große Gebiet wurde seit der Antike durch die Via Appia erschlossen, doch Raubbau und Kahlschlag der Wälder hatten schon in der Römerzeit zu extremer Versumpfung geführt. Die kunstvollen, aber pflegeintensiven antiken Bauten zur Trockenlegung und Bonifizierung dieser Gebiete wurden bereits während der Spätantike nicht mehr ausreichend gewartet und verfielen. Die Sümpfe breiteten sich aus und mit ihnen das Fieber, das in den modrigen Senken vor allem in den heißen Jahreszeiten während des gesamten Mittelalters lauerte. Aus wohlbegründeter Angst mied man diese Gegenden, wann immer man konnte. Auf den circa 300 Kilometern zwischen der Arno- und der Tibermündung gab es im Hochmittelalter nur 5 Pfarrkirchen, die tapfer in den morastigen Niederungen ausharrten. Obwohl der Handel über das Meer enorme Bedeutung besaß, drängte sich Mittelitalien nicht zum Meer, sondern schien sich geradezu davon abzuwenden. Das lag aber nur zum Teil an den gesundheitsgefährdenden Sümpfen. Vor allem ist diese Haltung dem Umstand geschuldet, dass Italien zwar eine immens lange Küstenlinie, aber kaum natürliche Häfen besitzt. Lediglich Genua und Neapel bilden eine Ausnahme und boten große Lande- und Liegeplätze, die zudem noch sturmsicher waren. Der bis heute als Kriegsmarine-Stützpunkt bekannte Hafen La Spezia gewann erst im 19. Jahrhundert überregionale Bedeutung. Im Mittelalter wurde seine für einen Hafen prädestinierte Lage durch die außerordentlich schlechte Verkehrsanbindung mit dem Hinterland geradezu marginalisiert. Gute, aber nicht herausragende Naturhäfen boten Brindisi und Triest im Osten Italiens, Salerno und Gaeta im Mittelteil sowie Tarent im Süden; Bari und Ancona konnten nicht an die Bedeutung der anderen Hafenstädte heranreichen. Für den Handel und die internationalen politischen sowie kulturellen Kontakte waren die Flussmündungen bei Pisa, Luni und Ostia unverzichtbar, aber stets von Verlandung bedroht. Die Pflege der Flussmündungen bereitete erhebliche, fortwährende Mühen und verschlang Unsummen. Die herausragende Seemacht Venedig, aber auch Amalfi und Ravenna verdankten ihren Aufstieg besonderen historischen Bedingungen und mussten durch aufwendigste architektonische Maßnahmen permanent gesichert werden.

Weiter im Süden, in Apulien, Kampanien, Lukanien und Kalabrien, öffnet sich Italien nicht mehr dem westlichen, sondern dem östlichen Meer. Die antike Bezeichnung „Magna Graecia“ deutete diese Grundausrichtung an. Bis in das 11. Jahrhundert hinein ist die Großregion byzantinisch geprägt und damit ein wichtiger Kontakt- und Begegnungsraum mit der griechischen Kultur. Noch heute existieren in abgelegenen, gleichsam isolierten Bergorten der Basilicata und Kalabriens Dialekte mit griechischen Anklängen. Von Brindisi aus war die Reise nach Mailand genauso weit wie diejenige nach Konstantinopel! Die geographische Offenheit des Landes nach Osten lockte naturgemäß auch Kräfte an, die dort Beute zu machen gedachten. Als die Normannen sich in Unteritalien festsetzten, planten sie Raubzüge auf dem Balkan. Italien bot an seiner Ostflanke auch Angriffsflächen für Invasoren, die aus dem Osten kamen. 1480 landeten die Türken in Otranto; ein schockartiges Ereignis, das sich so tief in das kollektive Gedächtnis dieses Raumes eingegraben hat, dass es bis heute in den Volksliedern Nachhall findet.

Eine Sonderrolle spielte während des gesamten Mittelalters Sizilien. Die Insel war ein Schmelztiegel der Kulturen. In der Antike hinterließen Karthago, Griechenland und das römische Imperium vielfältige, die Zeiten überdauernde Spuren. Im Mittelalter kamen die Byzantiner, die Araber und die Normannen hinzu. Die Staufer trachteten danach, die Insel dauerhaft mit ihrem Imperium zu vereinen. Mit ihrem Ende trat eine neue Macht in Sizilien auf: Karl von Anjou und damit der Einfluss Südfrankreichs. Die Herrschaft der Provenzalen war freilich nicht von langer Dauer. In der Sizilianischen Vesper wurden sie 1282 verjagt und an ihre Stelle traten die Aragonesen, die Sizilien vor allem als geradezu unerschöpfliche Kornkammer nutzten. Dadurch geriet Sizilien bis in die Neuzeit hinein unter einen dominierenden spanischen Einfluss.

Ganz anders dagegen die beiden anderen Inseln: Korsika und Sardinien blieben von Invasoren weitestgehend verschont und bewahrten daher ihre archaischen Herrschaftsstrukturen und sozialen Verbände über lange Zeit. Lediglich ihre Küstenregionen wurden von den Genuesen und Pisanern aufgesucht und gerieten so in einen intensiveren europäischen Kulturkontakt. Erst als sich im 14. Jahrhundert die Herren von Aragón Sardiniens bemächtigten, war die Isolation der Insel beendet; erzwungenermaßen öffnete sie sich der spanischen Kultur, was wiederum eine spürbare Distanz zum nicht spanisch dominierten Italien zur Folge hatte.

Die knapp umrissene geographische Vielfalt und die dadurch bedingten sehr unterschiedlichen räumlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessensschwerpunkte prädestinierten die Apenninenhalbinsel nicht dazu, mühelos einen Nationalstaat zu bilden. Während des Mittelalters kann von einer Einheit Italiens zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise die Rede sein und der Einfall fremder Mächte während der Hochrenaissance machte eine Einigung Italiens für lange Zeit vollkommen unmöglich, ja undenkbar. Es ist auch zu fragen, ob eine solche Einheit überhaupt erwünscht oder ersehnt wurde. Der Vorwurf des „Campanilismo“, also des Denkens im Schatten des eigenen Kirchturms, wird noch heute gegenüber vielen Regionen und Städten Italiens erhoben. Die schier unendliche Zerstrittenheit der lombardischen Städte im Hochmittelalter nährte für einen langen Zeitraum weit stärker den Wunsch nach Krieg denn nach Einheit. Zwar wurde schon zu Zeiten Barbarossas und Papst Innozenz’ III. mit der „Freiheit Italiens“ argumentiert, aber immer nur dann, wenn es galt, die Stimmung gegen fremde Aggressoren anzuheizen. Hatte sich die Gefahr wieder verzogen, verflüchtigte sich auch der Wunsch nach Einheit rasch. Nur in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts könnte es einem ernst gewesen sein mit der Freiheit Italiens: Cola di Rienzo. Als er die Souveränität des römischen Volkes von Kaiser und Papst sowie die Einheit Italiens forderte, rief er gleich zwei mächtige Gegner auf den Plan: Karl IV. und Papst Clemens VI. Als er sich am 1. August 1347 in San Giovanni in Laterano zum Ritter schlagen ließ, nahm er den Titel „Tribun der Freiheit und erlauchter Befreier der römischen Republik dank der Autorität unseres gnädigen Herrn Jesus Christus“ an. Doch damit nicht genug. Er fügte seinem Titel unter anderem noch hinzu: „Kandidat des Heiligen Geistes“, „Eiferer für Italien“, „Freund des Erdkreises und erhabener Tribun“. Aber seine Erfolge währten nicht lange und er musste ins Exil ausweichen, um sein Leben zu retten. Mutig kehrte er am 1. August 1354 im Triumph in die Ewige Stadt zurück, wurde dort jedoch schon am 8. Oktober des gleichen Jahres gefangen genommen und hinterrücks erstochen. Seine Leiche schleifte man durch die Straßen Roms und hing sie zum Gaudium der aufgepeitschten Massen an einer Hauswand auf. Mit ihm starb auch der Wunsch, die Einheit Italiens nicht nur literarisch zu besingen und herbeizusehnen, sondern tatsächlich umzusetzen.

Erst ganz am Ende des Mittelalters lebte der Plan, Italien zu einen und fremde Invasoren zu vertreiben, noch einmal machtvoll auf. Papst Julius II. dämmte zunächst an der Seite Kaiser Maximilians I. und des französischen Königs, Ludwigs XII., in der Liga von Cambrai die Vormachtstellung Venedigs in Oberitalien ein. Als die Serenissima 1509 bei Agnadello in der Lombardei eine verheerende Niederlage erlitt, musste sie dem Papst die Romagna abtreten. Danach machte sich der energische Nachfolger Petri daran, die Franzosen aus Italien zu verjagen. Hierzu schloss er am 4. Oktober 1511 das Bündnis der Heiligen Liga mit Kaiser Maximilian I., der Eidgenossenschaft, der zuvor gedemütigten Republik Venedig sowie König Ferdinand II. von Aragón. Obwohl Frankreich 1512 in der Schlacht bei Ravenna siegreich blieb, konnte es das schrittweise Hinausgedrängtwerden aus Italien letztlich nicht verhindern. Das Papsttum gewann neuerliche Gebiete auf italienischem Boden hinzu, aber als Julius II. am 20/21. Februar 1513 starb, zerplatzte sein Traum von der Einheit Italiens unter päpstlicher Führung.

Bedeutete die Vielfalt und die Zerrissenheit der Apenninenhalbinsel ein das gesamte Mittelalter andauerndes politisches, wirtschaftliches, kulturelles und soziales Problem, so entstehen hieraus nicht geringe Schwierigkeiten auch für die Konzeption einer Geschichte Italiens im Mittelalter. Es ist nicht möglich, die Geschichte der Apenninen-Halbinsel aus dem Blickwinkel oder vor dem Hintergrund einer einzigen Macht zu erzählen; weder das Papsttum noch das Kaisertum oder eine andere politische Größe kämen hierfür in Frage. Ebenso wenig kann man an einer Region die Entwicklung des Ganzen exemplifizieren. Obwohl es verlocken würde, Florenz wegen seiner Überfülle an herausragenden Geschichtsschreibern – zu erinnern wäre nur an Giovanni Villani, Leonardo Bruni, Niccolò Machivalli oder Francesco und Lodovico Guicciardini – als Paradigma für die Entwicklung der bedeutenden italienischen Städte heranzuziehen, ist es doch undenkbar. Zu unterschiedlich haben sich die Kapitale am Arno, Rom, Mailand, Genua oder Venedig entwickelt. Daher muss sich eine Geschichte Italiens im Mittelalter der Vielfalt und Verschiedenheit, dem Miteinander und Gegeneinander, den Gemeinsamkeiten und gravierenden Unterschieden der Apenninenhalbinsel öffnen und die Geschichte Italiens in Einzelgeschichten mit häufigem Perspektivenwechsel erzählen, wissend, dass Vollständigkeit oder wenigstens Gleichgewichtung einzelner Aspekte unmöglich zu erreichen ist. Die überbordende Fülle des Berichtenswerten, dem Pluralismus der italienischen Geschichte geschuldet, der hier kein Zeichen von Schwäche, sondern von unerschöpflichem Reichtum ist, zwingt zur Auswahl und zur Verknappung; beides geschieht nicht willkürlich, ist deswegen aber nicht minder schmerzlich.


Italien u m 1000 n. Chr.

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