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Der Versager

Ich hab’s versucht, wirklich. Immer wieder bin ich gegen Mitternacht in seine Klinkervilla im Dichterviertel eingestiegen, bin im Schatten der Kübelpalmen bis in sein Wohnzimmer vorgedrungen und wollte ihn töten. Weiß Gott, ich wollte! Doch jedes Mal kam mir was dazwischen.

Das erste Mal war es Laura. Im selben Moment, als ich unter den Polstern der Maralunga-Couch vorkroch, beide Hände nach Thorstens Stiernacken ausstreckte, da torkelte sie aus dem Flur herein, hielt keine fünf Schritte vor ihm an und schleuderte ihm ihr Cognacglas vor die Füße. In der Armbeuge hielt sie die Flasche an sich gepresst, als befinde sich darin der letzte Rest ihrer Würde. Sie zitterte am ganzen Körper, sagte aber mit bemerkenswert fester Stimme: „Ich bring dich um. Wenn du mich verlässt, bring ich dich um.“

Das klang überzeugend. Warum sollte ich ihr zuvorkommen? Es gab keinen Grund mehr für mich, ihr die unangenehmen Dinge abzunehmen. Sie hatte sich für Thorsten entschieden, schon vor Jahren. „Er ist ein Erfolgstyp“, hatte sie mir erklärt, „er wird mich glücklich machen, du nicht.“ Ha, und jetzt? Glücklich sah anders aus.

Ja, ich war davon überzeugt, dass er sie verlassen würde. Seit Wochen hatte er für sich und eine dralle kleine Blondine eine Suite im Maritim gemietet. Dort lagen zwei Tickets nach den Malediven im Safe. Und der Kaufvertrag für eine Penthousewohnung im Zentrum. Dass die blonde Hexe mitsamt den Tickets und zirka fünfzigtausend Euro auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde, konnte ich genauso wenig ahnen wie er.

Kurz drauf versöhnte er sich mit Laura und ich legte mich erneut auf die Lauer. An einem Freitag im letzten Mai schien die Gelegenheit günstig. Laura übernachtete bei einer Freundin und Thorsten verfolgte die Börsenkurse auf seinem Laptop. Konzentriert wie ein Japaner bei der Teezeremonie starrte er auf die Zahlenkolonnen am Bildschirm. Ich musste bloß abwarten, Ben war noch wach. Er umkreiste Thorstens Arbeitsplatz mit ausgestreckten Ärmchen und quiekte eine traurige Melodie. Ben ist ein hübsches Kind, hat Lauras üppigen Mund und weit auseinander stehende dunkle Augen.

„Okay, mein Kleiner“, sagte Thorsten mit einem Seufzer und ohne von seinem Laptop aufzugucken, „Zeit fürs Bett.“ Ben tat, als höre er nicht, zog weiter seine Bahn, hielt unvermittelt inne und richtete seinen ausgestreckten Zeigefinger auf Thorsten: „Peng-peng-peng, du bist tot.“

Was soll ich sagen – das nahm mir jede Chance zu agieren. Was, wenn der kleine Kerl am nächsten Morgen erfahren hätte, dass Thorsten tatsächlich tot war? Ein Trauma! Schuldgefühle sein Leben lang! Das konnte ich ihm nicht antun. Zumal er nicht Thorstens Sohn ist. Sondern vielleicht meiner.

Bei meinem dritten Vorstoß war es Spätsommer. Laura besuchte einen Ikebanakursus und Ben war bei den Großeltern. Ich schien freie Bahn zu haben. Da kam das Telefon dazwischen. Mitten in der Nacht rief ein Broker an. Thorsten muss drauf gewartet haben, saß auf der Terrasse, das schnurlose Gerät vor sich auf dem Tisch, daneben stank ein überquellender Aschenbecher vor sich hin. Thorsten paffte am Rest einer Gauloise, schielte auf das Telefon, als handele es sich um eine Tarantel. Dreimal ließ er es klingeln, ehe er zugriff.

„Und?“ Er lauschte auf das Gequassel aus dem Hörer, warf ab und an ein trotziges ”Quatsch!” samt ein paar Brocken Börsenlatein dazwischen und spuckte den Zigarettenrest auf die Fliesen. Ein paar Sekunden später flogen Aschenbecher und Telefon hinterher. Thorsten sank in sich zusammen und jaulte wie eine Elefantenkuh, der man ihr Junges genommen hat.

Da wurde ich stutzig. Normalerweise steckte er Turbulenzen an der Börse locker weg. Dass die Firma seit über einem Jahr in den Miesen war, nahm er gelassen. Ein solcher Ausbruch musste bedeuten, dass er unsere AG ruiniert hatte. Waren wir pleite? Gewundert hätte mich das kein bisschen. Thorsten kriegt den Hals nie voll genug. Erst hat er unsere solide kleine Getreidemühlen-Manufaktur in blindem Aktionismus zur GmbH ausgebaut, um alle möglichen Küchengeräte im Naturlook zu produzieren. Und dann – nur weil ein aufdringlicher Belgier mit einem Minizinsdarlehen winkte – gab Thorsten keine Ruhe, ehe wir mit einer Echtholz-Einbauküchen-AG an die Börse gingen. Dabei hatten Lauras Tarotkarten davon abgeraten. Und ich auch. Ich wollte sowieso lieber nach Australien und eine Straußenfarm gründen.

Mein Widerstand missfiel ihm. Beim gemeinsamen Essen im Roten Bären bot er mir - zwischen Hirschrücken und Tiramisu - ein faules Ei an: „Kauf dir deine Farm und verschwinde. Ich zahl dir eine lebenslange Rente, wenn du die Hände von der Firma lässt.“ Im Prinzip war das kein schlechter Vorschlag. Aber wie hätte ich das schaffen sollen - ganz allein in Australien?

Tja, und als er in dieser Spätsommernacht neulich so dasaß und jaulte, auf seiner von Zigarettenkippen und Handytrümmern übersäten Terrasse, da habe ich wieder nicht zugegriffen. Stattdessen ließ ich mich angesichts der im Vollmondlicht glühenden Rosenhecke zu Tränen rühren. Es tat so gut, ihn als Versager zu erleben. Früher schien die Rolle mir vorbehalten. Doch als schales Nebenprodukt des Triumphs meldete sich prompt der Zweifel in mir: Hundertzwanzig Leute würden auf der Straße stehen. Wenn einer die Pleite abwenden konnte, dann Thorsten, der große Zampano, das Finanzgenie. So viel Zeit musste ich ihm lassen.

Er hat sie weidlich genutzt, kooperiert jetzt mit einer niederländischen Ladenkette für Feng-Shui-Bedarf. Dort präsentieren sich – umgeben von Salzkristalllampen und Zimmerspringbrunnen – unsere Musterküchenelemente, die auf Kundenwunsch hin mit fernöstlich anmutenden Schriftzeichen auf Tür- und Schubladengriffen, Glasfronten und Dunstabzugshauben verziert werden. Und das Zeug ist der Renner.

Seither lauere ich auf eine neue Chance, mich an Thorsten zu rächen. Aber mal sind seine Eltern zu Besuch, mal sitzt die Katze auf seinem Schoß, mal spielt er so verdammt schön auf dem Saxophon, dass ich es nicht über mich bringe, ihn zu unterbrechen. Ich sei zu weichherzig, fand schon meine Mutter, das hinge mit meiner zartgliedrigen Statur zusammen. Ich sei aggressionsgehemmt und das liege an meiner Mutter, hat Laura behauptet. Sie hat zwei Semester Psychologie studiert. Ich glaube eher, es liegt an Thorsten, dass ich von jeher ein Versager bin. Seit dem Kindergartenalter spielt er sich als mein Beschützer auf. Spielt mich glatt an die Wand. Nur, wie wehrt man sich gegen so ein Alphatier? Mein erster und einziger Versuch endete mit einer Katastrophe. Einer Katastrophe für mich, versteht sich.

Das war vor zwei Jahren. Thorsten schickte mich nach Shanghai, vordergründig, um eine Kooperation mit einer popeligen Fabrik zu unterschreiben, wo sie all die Schrauben herstellten, die die verdammten Küchenteile aus Rumänien zusammenhalten sollten. Ich hatte den Check-in am Flughafen hinter mir, wartete missmutig darauf, dass sich die Tür zur Gangway öffnete, da meldete mir mein Handy eine Mail. Sie kam von Kalbach, dem Prokuristen: „Wohnung vor drei Stunden verlassen, freie Bahn“, stand auf dem Display. Es dauerte keine Sekunde, bis ich begriff: Kalbach, die Ratte, hatte den Spion gespielt und sich bei der Mailadresse vertan. Die Nachricht sollte Thorsten erreichen, nicht mich. Die Rede war aber sehr wohl von mir, genauer gesagt von meiner Maisonettewohnung im Westend. – Was wollten die da? Meine Wertpapiere klauen? Meine privaten Akten durchwühlen?

Ich ließ meinen Koffer nach Shanghai fliegen und fuhr zurück. Unterwegs malte ich mir aus, was ich Kalbach alles an den Kopf werfen würde, wenn ich ihn ertappte. Und wie ich Thorsten und ihn vor dem versammelten Aufsichtsrat bloßstellen könnte.

Dazu kam es nicht. Es kam ganz anders. Meine Wohnung war menschenleer und unangetastet, als ich eintraf. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht im Garderobenschrank – mit einer Ladung Ecstasy im Bauch und einer Pistole in der Hosentasche. Erst als Tageslicht durch die Ritzen meines Verstecks drang, bemerkte ich ein anhaltendes Kratzen am Türschloss. Mit einem leisen Plopp flog die Tür auf. Zwei Turnschuhe quietschten über das Parkett. Es war der Chef himself.

Thorsten sah sich nicht lange um, er kannte meine Wohnung. Ohne Umschweife begab er sich – nein, nicht in mein Arbeitszimmer, wo er was-auch-immer vermuten konnte, sondern ins Bad. Hat Schiss, dachte ich, muss aufs Klo. Doch anstelle typischer Entleerungsgeräusche und nachfolgendem Wasserrauschen knisterte es leise.

Ich schlich mit gezogener Pistole zur Badezimmertür, spähte durch den Rahmenspalt – da traf mich fast der Schlag: Thorstens Gorillarücken wölbte sich über dem Abfluss meiner Dusche. Seine Pranke fasste eine Pinzette, mit der er ein Haarbüschel hervorzog und in ein Plastiktütchen fallen ließ.

„Bist du pervers geworden?“, platzte es aus mir raus. Thorsten zog den Kopf ein, als habe sich der Duschkopf unvermittelt über ihm entleert und drehte sich mit zeitlupenartiger Allmählichkeit zu mir um.

„Ich … ich wollte ein paar Haare von dir.“

„Wieso? Hast du selber nicht mehr genug?“ Ich ließ die Waffe sinken.

Er atmete auf, erhob sich und lächelte verbindlich. „Sorry, war dumm, dich nicht einfach zu fragen.“

„Was – fragen?“

„Los, wir trinken einen und ich erzähl dir alles“, sagte er, schritt in mein Wohnzimmer. Ich folgte ihm wie ein Trottel und ließ mir von meinem eigenen Whisky einschenken.

Thorsten machte sich auf meiner Couch breit. „Es geht um einen Gentest. Ich suche Bens Vater“, sagte er und grinste mich über den Rand seines Glases hinweg an. „Ich bin’s nämlich nicht. Prost.“

Schlagartig war ich dankbar für den eingeschenkten Whisky, kippte ihn runter. „Wie kommst du auf mich?“

„Na, sieh dir mal Bens fliehendes Kinn an. Und den spillerigen Körperbau.“

Ich schenkte mir nach. Thorsten hat von jeher die Sensibilität eines Presslufthammers.

„Und”, fuhr er fort, „du warst noch manchmal mit Laura zusammen, obwohl es zwischen euch so gut wie aus war, stimmt’s?“

„Du meinst, bevor du sie mir endgültig ausgespannt hast, du Arsch.“ Die Pistole in meiner Jeans drückte mir in die Leiste.

Thorsten zeigte sein Pferdegebiss. „Kannst sie gern wiederhaben.“

„Ach, nach knapp drei Jahren bist du sie leid?“

„Und sie mich. Seit Ben auf der Welt ist, läuft bei uns nix mehr. Ewig die vollen Windeln, das Geplärr, die zerfransten Nächte. Und ich bin nicht mal sein Vater.“

Thorsten lamentierte weiter. Ich hörte nicht zu, stand auf, ging zum Fenster, sah zu, wie sich die Skyline des Bankenviertels aus dem Morgendunst schälte und trank mein drittes Glas in einem Zug aus. Zwischen meinen Rippen wurde es warm, was nicht allein am Alkohol lag. Ben – mein Sohn! Und Laura – bald meine Frau? Vielleicht liebte sie mich nicht so, wie ich sie. Aber sie brauchte einen Vater für Ben. Einen, der klaglos mit anpackt, füttert, wickelt, tröstet. Einen Vater wie mich.

„Natürlich kommt auch der Bärtige aus der Entwicklungsabteilung in Betracht“, sagte Thorsten unvermittelt lauter und schwenkte die Eiswürfel in seinem Whisky. „Oder der Fernsehtyp, dieser Beau vom SWR.“

Ich muss ziemlich dämlich geguckt haben, Thorsten bekam einen Heiterkeitsanfall. „Na, mit denen hatte Laura auch was laufen. War ein ganz schönes Flittchen vor ihrer Metamorphose zum Muttertier. Vielleicht ging’s ihr ja nur um ein Kind, wer weiß. – Das mit dem Fernsehmenschen lief wochenlang, hat Kalbach für mich rausgefunden.“

Kalbach? Da fiel mir ein, weshalb ich zuhause saß statt in Shanghai. Ich nestelte die Pistole aus meiner Hosentasche. „Sag das nicht noch mal! Laura hat mit dem Fernsehtypen geflirtet, mehr nicht, damit der eine schöne Reportage über uns bringt. Sie ist kein Flittchen, nie gewesen. Aber du, du bist ein Einbrecher. Ein Krimineller. Ich rufe jetzt die Polizei.“

Thorsten fixierte mich ungläubig. „Komm Michi, nimm das Ding da runter.“

„Ha, ich denk nicht dran.“

„Kann sein, du drückst ab, ohne es zu wollen.“

„Hältst mich mal wieder für unfähig, wie? Zu blöd, um mit so einer Waffe umzugehen.“

Thorsten betrachtete mich eher nachdenklich als verängstigt, sprang auf, machte einen Satz auf mich zu und schlug mir die Pistole aus der Hand. Er konnte sich denken, dass ich nicht abdrücken würde. Und wenn. Es war nur eine Spielzeugpistole.

Ich muss total high gewesen sein. Im Normalzustand hätte ich keine Prügelei mit Thorsten angefangen. Spätestens als ich am Boden lag, hätte ich klein beigeben müssen. Stattdessen rappelte ich mich hoch, griff nach einem herumliegenden Obstmesser. Er schlug wieder zu, das Messer flog bis in den Flur. Ich gab und gab nicht auf, die Mischung aus Ecstasy, Alkohol und Wut in meinen Adern machte das reinste Stehaufmännchen aus mir.

Den letzten Sturz spürte ich kaum. Unvermittelt erschien die cremeweiße Marmorplatte des Couchtischs dicht über mir, von der Kante tropfte es tiefrot. Schön sah das aus. Und wie eine Nebelschwade umhüllte mich Thorstens ungläubiges Geplapper: „Komm Michi, steh auf. Ist gut, hmm? Du heiratest Laura, kaufst deine Farm … Michiii!“ Langsam, langsam sickerte mir das Blut und mit ihm das Leben aus dem Kopf.

Thorsten hat mein Grab nie besucht. Auch nicht, nachdem er freigesprochen wurde. Er hätte in Notwehr zugeschlagen, hieß es. Meine Fingerabdrücke auf dem Messer und der Pistole galten als klare Indizien.

Also werde ich ihn holen. – Weichherzig? Aggressionsgehemmt? Ha, das galt vielleicht zu meinen Lebzeiten. Seit er mich am liebsten vergessen würde, bin ich als Rachegeist in eigener Mission unterwegs. Werde erst Ruhe geben, wenn seine Leiche hier, dicht bei meiner, auf dem Hauptfriedhof liegt.

Das Problem ist bloß, dass unsere Feng-Shui-Holzküchen-AG boomt und Thorsten, unterstützt durch ein paar Fördergelder, eine Menge Arbeitslose einstellen will. Außerdem zahlt er Laura eine Therapie in der Entzugsklinik. Kümmert sich unterdessen um Ben, übt mit dem kleinen Kerl Karate, damit der sich gegen die großen Jungs wehren kann. Ich sollte mein Vorhaben vielleicht aufschieben. Bis Laura clean ist. Oder bis Ben erwachsen ist. Zumindest bis ein anderer die Firma leiten kann.

Am besten bis ihn keiner mehr braucht. Außer mir.

+++


„Der Versager“ erhielt den 2. Freiburger Krimipreis 2013.

Die Geschichte erschien erstmals in „Breisgauner – Neue Krimis aus Südwest“, Hrsg.: Anne Grießer, Wellhöfer Verlag, 2013.

Alles kurz und klein

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