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2. Idyllische Kindheit und Jugend mit schmerzlichem Verlust
ОглавлениеEin großer Mensch ist,
wer sein Kinderherz nicht verliert.
(Mencius)
Die Großmutter von Else, Margarethe, stammte aus Berlin und der Großvater Hermann war aus Meseritz. Das Haus in der Gartenstraße 6 in Birnbaum, in dem die Familie wohnte, gehörte ihrem Großvater.
Dieser bewohnte die untere Etage und Else, ihre Halbschwester Ursula (*24.09.1924) und ihre Mutter nannten fünf Zimmer in der oberen Etage ihr Zuhause.
Elses Wohnhaus in der Gartenstraße 6
Ihr Vater lebte nicht bei ihr und ihrer Mutter, sodass sie keinen Kontakt zu ihm hatte.
(Die Großmutter Margarethe starb bereits am 8. Mai 1901 im Alter von nur 46 Jahren.)
Else verbrachte zusammen mit ihrer Halbschwester Ursula ihre Kindheit und Jugend in Birnbaum, einem Ort, der, dank der wunderbaren Umgebung vieler Seen und Wälder sowie des eigenartigen Mikroklimas, nach Modernisierung der Badeanstalt, offiziell zu einem Erholungsort wurde. Eine schöne, evangelische Kirche (heute katholisch) galt, zusammen mit der deutschen Schule, als Mittelpunkt des kulturellen Lebens in dem Städtchen Birnbaum, dass für Else und ihre Halbschwester Ursula die Heimat war. Außerdem war das Pfarramt die einzige deutsche Verbindung, denn Else lebte ja, wie einige andere Deutsche auch, in Birnbaum, das 1920 unter polnische Herrschaft gestellt wurde.
Der Kindergarten, den beide Mädchen besuchten, war gleich um die Ecke, auch in der Gartenstraße. Und Else erinnerte sich noch heute daran, dass sie von der Kindergärtnerin immer ausgesucht wurde, um bei Feierlichkeiten Gedichte vorzutragen. Das Lernen fiel Else nicht schwer, auch wenn sie dazu nicht immer Lust hatte, sondern lieber mit den anderen Kindern gespielt hätte, wie sie heute erzählte. Außerdem erinnerte sie sich noch an schöne Aufführungen im Kindergarten, wo sie unter anderem Rollen, wie „die Sonne“ oder „einen Engel“ spielen durfte, hatte sie doch damals schöne blonde Haare. 7½ Jahre erlebten Else und Ursula eine unbeschwerte Zeit mit ihrer Mutter und dem Großvater.
Ihre Mutter war eine fleißige und anspruchslose Frau, die ihre Familie sehr liebevoll und dennoch christlich streng erzogen hat. Darüber hinaus war sie künstlerisch sehr begabt und stets gut gekleidet, nähte und strickte sie ihre Sachen doch selbst. Auch ihr Großvater war handwerklich geschickt. So bauten beide zusammen für die beiden Mädchen eine Puppenstube mit 3 Räumen. Dabei stellten sie die kleinen Möbel, wie zum Beispiel Bänke, einen Schreibtisch mit ausziehbarer Schublade oder sogar ein Fenster, bei dem sich die beiden Flügel öffnen ließen, in filigraner Handarbeit selbst her.
Der Großvater war Lehrer. Er unterrichtete bis Anfang der 30er Jahre an der Deutschen Privatschule (Mädchenschule) im Ort. (Die Kosten betrugen 15 Zloty im Monat.) Er brachte den Kindern das Lesen und Rechnen bei und zeigte ihnen, dass in jedem Menschen ein kleiner Künstler steckt.
Auch Else besuchte die Deutsche Privatschule, an der ihr Großvater lehrte. Und, da der Großvater Lehrer war, besaß er eine umfangreiche Sammlung schöner Märchenbücher mit hübschen Illustrationen, die es Else besonders angetan hatten. So schlich sie immer wieder heimlich in das Zimmer, wo der Großvater diese aufbewahrte, um ein paar Märchen zu lesen und sich an den Bildern zu erfreuen. Ja, neugierig und wissbegierig war Else schon von Kindesbeinen an.
Auch die Familie von Elses Onkel lebte und wirkte in Birnbaum. Die Sattlerei und das Polstergeschäft der Familie Lause, was bereits in der fünften Generation geführt wurde, waren im Ort bekannt.
Im Dezember 1929 mussten Else und Ursula miterleben, wie es ihrer Mutter, die an Tuberkulose erkrankt war, zusehends immer schlechter ging.
Am 23. Dezember schließlich, rief der Großvater, im Auftrag der Mutter, beide Mädchen zu sich und sie standen dann am Bett der Mutter. Die Krankheit war bei ihr soweit fortgeschritten, dass sie nicht einmal mehr sprechen konnte. Aber sie wollte noch ein letztes Mal ihre Töchter bei sich haben und Geschenke verteilen. Sie deutete dem Großvater mit einem Krächzen an, er möge ihr die Keksdose bringen. Er kam ihrer Bitte nach und so gab sie ihren Töchtern Kekse daraus. Damit erfüllte sich der letzte Wunsch ihrer Mutter, sich, im Beisein von ihrem Vater, von beiden Mädchen bewusst zu verabschieden. Das war ihr als gläubige Christin wichtig, denn sie war weise im Herzen zu wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.11
Tags darauf, am Heiligabend 1929, starb die Mutter von Else und Ursula, im Alter von nur 28 Jahren. Dies war ein sehr schmerzlicher Verlust für die Mädchen.
Nun, im Kindesalter die eigene Mutter zu Grabe zu tragen, das vermag sich heute, im 21. Jahrhundert, wohl niemand mehr, und schon gar kein Kind, vorstellen. Aber damals gab es für derartige schwere Erkrankungen, zu denen die Tuberkulose12 zählte, noch keine geeigneten Medikamente.
Die Erforschung der Wirksamkeit von Medikamenten war noch nicht soweit, wie dies heute der Fall ist. Das Erkranken an einer solchen heimtückischen und schweren Krankheit bedeutete Anfang der 1920 Jahre noch den sicheren Tod.
Nach dem Tode der Mutter, den beide Kinder nur sehr schwer verkrafteten, nahm sie der Großvater zu sich. So ganz langsam gewöhnten sich die Mädchen an ein Leben ohne ihre Mutter. Dem Großvater sowie auch den beiden Mädchen gab ihr Glauben stets Kraft gab, denn durch ihr Gebet waren sie sich sicher, dass Gott ihnen einen Ausweg aus dem Tal der Trauer zeigt und sie rettet. 13
So konnte, trotz des schmerzlichen Ereignisses, die Kindheit von Else und Ursula als glücklich bezeichnet werden.
Besonders Else vermisste ihre Mutter, die, wie schon erwähnt, künstlerisch sehr begabt und stets gut angezogen war, schon sehr. Wie gerne hätte sie noch viele Dinge, wie zum Beispiel das Nähen und Stricken von ihrer Mutter gelernt. So aber brachte es sich Else im Laufe der Jahre selbst bei.
Beide Mädchen erfuhren, nach dem Tod der Mutter, zunächst bei ihrem Großvater, der sehr kaisertreu eingestellt war, eine gute, aber strenge Erziehung.
Else und Ursula zogen nun in die untere Etage, mit zum Großvater. Die Wohnung der Mutter wurde vermietet. Noch knapp 2½ Jahre verbrachten die Mädchen eine schöne Zeit mit ihrem Großvater.
Else war damals sogar Klassenbeste in der Deutschen Mädchenschule. Sie erlernte während dieser Zeit auch das Klavierspielen und erhielt darin sogar Unterrichtsstunden.
Als Else noch nicht einmal 10 Jahre alt war, traf die Familie erneut ein Schicksalsschlag, in deren Folge die beiden Mädchen getrennt wurden.
Ihr geliebter Großvater starb am 8. Mai 1932. Er litt schon etwa 1 Jahr vor seinem Tode an einer Krankheit, die er den Kindern verschwieg. Er selbst wusste aber, dass auch er nicht mehr lange zu leben hatte. Dies veranlasste ihn bereits 1931 dazu, sein Testament zu verfassen, in dem er, nach seinem Ableben, den Onkel zum Vormund beider Kinder bestellte. Sein Wille war es, dass beide Kinder weiterhin gemeinsam aufwachsen können.
Des Weiteren legte der Großvater vor seinem Ableben testamentarisch fest, dass Else finanziell abgesichert war und der Vater von Ursula an den Onkel Unterhalt zu zahlen hat. Dieses Testament war eine Tat der Nächstenliebe, damit es den beiden Mädchen in Zukunft an nichts fehlen sollte.14
Der Vater von Ursula aber verweigerte die Unterhaltszahlung, so musste Ursula bis zum Alter von 14 Jahren, zunächst bei ihm, und dann bei ihren Großeltern auf einem Gut im Kreis Ostrova (in Polen) aufwachsen.
Das bedeutete, dass, nach dem Tode des Großvaters im Alter von 57 Jahren, ihr Onkel die Vormundschaft zunächst erst einmal nur für Else übernahm.
Die Trennung von ihrer Halbschwester Ursula und der Umzug zum Onkel, dies war der dritte Schicksalsschlag, den Else in ihrer Kindheit zu verkraften hatte.
Für Else war es eine sehr schwere Zeit, so ganz allein bei ihrem Onkel und der Tante; Mutter und Großvater gestorben und die Halbschwester so weit weg, auf einem Gut in Polen.
Wenngleich es ihr an nichts mangelte und Onkel und Tante sich wirklich um sie kümmerten, war es für Else anfangs schwer, insbesondere nachts, wenn sie so allein in einem fremden Bett schlief. Auch war sie dann nicht mehr die Klassenbeste, zu sehr nahmen sie die negativen Ereignisse mit. Oft am Abend weinte sie und dennoch glaubte sie daran, dass auch in ihrem Leben wieder glückliche Tage kommen werden, denn wer auf den Herrn vertraut, der ist in Sicherheit.15 Und Else war ja bei ihrem Onkel und der Tante in Sicherheit, auch wenn der Onkel (sozialistisch16 eingestellt) und die Tante es mit der Erziehung nicht so streng nahmen, wie der Großvater. So konnte Else oft das tun, was sie wollte. Dennoch so erzählte sie heute, es fehlte ihr die klare Linie in der Erziehung durch den Großvater.
Die Jahre vergingen und nur einem glücklichen Umstand war es zu verdanken, dass Else und ihr Großvater erfuhren, dass es Ursula bei deren Großeltern auf dem Gut in Polen gar nicht gut erging. Sie musste dort jeden Tag schwer arbeiten, nur die „Dreckarbeit“ machen und Putzen.
Sie erfuhren es von einer Lehrerin, die neu an die Deutsche Mädchenschule gekommen war. Ihre Anfangsjahre verbrachte sie an einer Dorfschule in Polen, die Ursula besuchte oder vielmehr, hätte öfter besuchen sollen. Denn oftmals erschien sie gar nicht zum Unterricht. Ihre Großeltern kümmerten sich nicht genügend darum.
Als Else und ihr Onkel das erfuhren, holten sie Ursula zu sich nach Birnbaum zurück. Da war Ursula etwa 14 Jahre alt. Es erfolgte seitens der Großeltern keine Gegenwehr. Beim Abholen von Ursula stellte Else fest, dass sich auf dem Gut unter anderem das gute Geschirr und auch Möbel ihrer Mutter befanden.
Nach der Rückkehr von Ursel (Kurzform und Kosename) nach Birnbaum, kümmerten sich Onkel und Tante um sie und kleideten sie neu ein. Dort auf dem Gut trug sie nur alte, abgetragene Kleider.
Von Tag zu Tag nun wurde auch die Beziehung der beiden Halbschwestern wieder inniger, als sie wieder zusammen waren.
Der Onkel achtete stets darauf, dass die Kinder gut gekleidet waren. Oftmals trugen beide Mädchen sogar die gleiche Garderobe, wie Zwillinge, so gut verstanden sie sich. Auch durch ihn erfuhren beide eine gute „Kinderstube“.
Else mit 14 Jahren bei ihrer Konfirmation
Else und Ihre Halbschwester verbrachten nun eine glückliche Jugend in Birnbaum.
Das Verständigen mit den polnischen Kindern war gar kein Problem, wurde doch Polnisch in der Schule gelernt. Und Kinder lernen Sprachen recht schnell, wenn sie täglich mit den anderen polnischen Kindern spielten. Das ergab sich so, weil, in einem Haus, gegenüber der Familie Schulz, viele Lehrerfamilien wohnten.
Auch die polnische Schule war gleich gegenüber. Manchmal wurden die Kinder sogar vom Hauseigentümer wegen ihres Lärmes ausgeschimpft.
Else erinnerte sich auch noch gerne an viele Feste, Konzerte und Theaterspiele in Berlin zurück, an denen sie mit großer Freude teilnahm. Dies verdankten die Kinder dem Onkel, der sie stets mitnahm. Darüber hinaus war Else noch Mitglied im Sport- und Jungmädchen-Verein von der evangelischen Kirche. Dies verstärkte den Zusammenhalt der Deutschen.
Und erst die polnischen Pfadfinderlager im Sommer auf der Wiese an der anderen Seite der Warthe, waren jedes Mal ein tolles Erlebnis. Da gingen beide Mädchen immer sehr gern hin. Organisiert wurden sie von 13- bis 14-jährigen polnischen Gymnasiasten.
Die Stadt Birnbaum galt damals, sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Gästen, als lebensfrohe Stadt voller Anmut und Schönheit.17 Gerade im Sommer war sie als Erholungsstadt bei Feriengästen sehr beliebt; wegen des guten Klimas, der vielen Seen (48 große Seen gab es im Kreis Birnbaum), der sonnigen Täler und bewaldeten Höhen (mit Akazien-, Laub- und Kiefernwäldern).
Die Einwohner zeigten ihre Verbundenheit zu ihrer Stadt durch Konzerte und Feste. Dabei spielte die Nationalität und Religion des Einzelnen keine Rolle.
Da Elses´ Verwandte in Berlin wohnten, hatte die Familie, die als Reichsdeutsche18 bezeichnet wurden, die Möglichkeit, jederzeit nach Berlin zu reisen. Ihr Onkel, der Geschäftsmann war, ermöglichte Else nahezu jede Ferien bei ihrer Tante und ihrem Onkel in Berlin verbringen zu können. So lernte sie die Großstadt zu der Zeit kennen, als das Kaiser-Wilhelm-Schloss und die pompöse Friedrichstraße noch in voller Pracht zu bewundern waren.
An ein Ereignis aber erinnerte sie sich noch gern zurück.
16 Jahre war Else alt, als sie von ihren Verwandten in Berlin neu eingekleidet wurde. Auch Hut und Mantel zählten dazu. Das war damals schon etwas Besonderes; ein Bummel auf der Friedrichstraße mit all´ seinen exklusiven, kleinen Läden, die sich in den Häusern im Baustil des Rokoko19 befanden.
Und als sie anschließend noch zum Kaffeetrinken in ein Cafe in der Friedrichstraße eingeladen wurde, kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es gab dort selbstgebackene Kuchen und Torten, die probiert werden wollten. (Heute ist dieses Café nicht mehr da. Es wurde zu Kriegszeiten zerstört.)
Wieder zurück von diesem Ausflug in die Großstadt Berlin, erkannten die anderen Else erst gar nicht wieder, so schick war sie angezogen.
Nach ihrem Schulabschluss wollte Else in Posen Kunst studieren. Dies wurde ihr aber aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Familie verwehrt. Posen war dem Onkel, der ja das Sorgerecht für sie hatte, zu weit weg von Birnbaum. Schließlich stand es ja im Testament, dass er für Else zu sorgen hat. Damit war einmal wieder bewiesen, dass Else zwar Pläne machen konnte, das letzte Wort aber hatte Gott.20
So entschied sie sich mit 15 Jahren für eine Ausbildung in einem Diakonissenheim21 im 15 km entfernten Zirke, einem Ort, der auch für seine Landgestüte bekannt war und 1919 wieder zum neuentstandenen Polen gehörte. 22
Else sprach, auf Empfehlung ihres Onkels, beim dortigen Pfarrer vor und wurde auch sofort für die Ausbildung angenommen.
Das war zur damaligen Zeit etwas Besonderes, wenn man diese Ausbildung absolvieren durfte. Da wurden nur Mädchen aus gutem Hause angenommen. Und Else wollte ja unbedingt etwas machen, nachdem sie die Schule beendet hatte, wie sie sagte. Eigentlich hatte sie dies gar nicht nötig, so die Meinung ihres Onkels. Aber sie wollte nicht einfach nur zu Hause herumsitzen und nichts tun. Schon von Kindesbeinen an, war Else wissbegierig und war stets gewillt etwas im Leben dazu zu lernen. Else gefiel die Ausbildung in Zirke so gut, dass sie sogar in Erwägung zog, Diakonissenschwester zu werden und dort zu bleiben, wie sie rückblickend erzählte.
In diesem Heim erlernte sie lebenspraktische Dinge, wie Stricken, Nähen, Tischdecken usw. Else verlebte dort eine interessante, aber dennoch sehr behütete Jugend mit den anderen Mitschwestern. Sie hatte auch das Glück, dass noch ein anderes Mädchen aus Birnbaum dort mit ihr lernte und sie unter anderem beim Betten machen unterstützte, was Else nicht so lag. Auch Kochen war nicht so Elses Ding.