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4. Kapitel Hemdenmätze

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Dann spielen Bubi und Mädi Ball. Dabei wird man warm, auch wenn die Sonne nicht scheinen will.

»Doll hoch mußte smeißen, Mädi, noch viel döller, bis ans Fernrohr, nee, bis an'n Himmel!« kommandiert Bubi.

Mädi wirft den Ball hoch und immer höher. Aber der Ball hat seinen eigenen Willen. Er tut nicht das, was er soll. Genau wie Bubi und Mädi manchmal.

Hops – plötzlich ist er auf die Galerie der alten Frau Lehmann gesprungen.

Bubi und Mädi sehen sich entsetzt an. Was nun?

»Och – is nich slimm.« Bubi weiß wieder Rat. »Wir bitten man bloß die Manthilde, die gibt'n uns bestimmt wieder.«

»Wenn die alte Lehmfrau den Ball nu aber selber behalten will, weil wir immer so'n Radau machen. Darf sie das?« fragt Mädi zaghaft.

»Nee, darf sie behaupt nich. Is ja unser Ball. Komm, Mädi.« Bubi zieht das Schwesterchen mit sich die Hintertreppe hinauf zum Hochparterregeschoss, wo Frau Lehmann wohnt. Sie denken alle beide nicht daran, daß sie ganz und gar nicht im Besuchsanzug sind.

Bubi klingelt. Und weil die Mathilde nicht gleich hört, läutet er Sturm, wie er's oben bei der Minna zu tun pflegt.

Man hört schlürfende Schritte. Dann wird die Tür geöffnet. Die Kinder machen erschreckte Augen. Denn nicht die Mathilde, sondern die alte Frau Lehmann steht vor den beiden. Sie macht nicht weniger erschreckte Augen als die zwei kleinen Hemdenmätze, die da plötzlich vor ihr auftauchen.

»Ja, was soll denn das heißen, wo habt ihr denn eure Kleider?« ruft Frau Lehmann entrüstet.

Hemdenmatz Bubi macht seinen feinsten Diener. Hemdenmatz Mädi ihren Knicks.

»Naß, gansch naß«, berichtet das kleine Mädchen.

»Ach, liebe Lehmfrau, bitte gib uns doch unsern Ball wieder«, bittet Bubi als älterer.

»Ja, ich habe doch euren Ball nicht.« Frau Lehmann weiß nicht, was sie sich bei diesem merkwürdigen Besuch denken soll.

»Haschte doch, Lehmfrau. Unser Ball is auf dein seine Galerie gehopscht. Gibscht'n uns wieder, ja? Wir wollen auch gansch artig sein und nie mehr lauten Radau machen«, verspricht Mädi treuherzig.

»Bloß leisen Radau«, versichert auch Bubi.

Frau Lehmann weiß nicht, ob sie ärgerlich sein oder lachen soll. Die kleinen Hemdenmätze sind zu putzig.

»Ja, schämt ihr euch denn gar nicht, ohne Kleider zu mir zu kommen«, sagt die alte Dame ernst.

»Nee, mein sein Mädi und ich ßämt sich gar nich«, beteuert Bubi.

»Auf den Tod könnt ihr euch erkälten, Kinder. Macht, daß ihr nach oben kommt. Den Ball schicke ich euch nachher mit Mathilde hinauf.« Die alte nervöse Dame hat vor Schreck Kopfschmerzen bekommen.

»Nee, Frau Annchen wird böse, wenn wir unsern Ball nich haben – – –« meint Mädi ängstlich.

»Ich hol' ihn ßon ganz allein, ich hab' gesehn, wo er hingeflogen is.« Ehe die alte Frau Lehmann weiß, wie ihr geschieht, hat sich Bubi an ihr vorbei durch die Tür gequetscht und läuft in die fremde Wohnung hinein. Mädi natürlich hinterdrein. Wo ihr Bubi ist, muß sie auch sein.

»Aber Kinder – – –« es hilft nichts, die alte Frau Lehmann muß mit ihrem Humpelbein hinter den beiden Hemdenmätzen her.

Wo die Galerie ist, weiß Bubi ganz genau. Ihre Wohnung oben liegt ja genau so. Jetzt steht er draußen, vergißt aber vor lauter Staunen seinen Ball aufzuheben, der ganz gemütlich in einer Ecke liegt.

»Wo ist denn dein sein großes Fernrohr, Lehmfrau?« erkundigt er sich erstaunt. Er denkt, jede Galerie muß ein Fernrohr haben, weil das bei ihnen oben so ist.

»Ein Fernrohr – was soll ich wohl mit einem Fernrohr, Kind?« Frau Lehmann muß über den kleinen, drolligen Kerl lachen, ob sie will oder nicht.

»Da kannschte mit in'n Himmel reisen«, erklärt Mädi ihr.

»In den Himmel – nun, da komm' ich noch früh genug hin. Wenn ich erst mal tot bin.«

»Bischte bald tot?« Mädi schaut die alte Dame teilnehmend an.

»Ja, wenn ihr immer solchen Lärm oben macht, dann werde ich krank und muß sterben«, antwortet diese.

»Der große Maikäfer, den Bubi gefangen hat, is auch gesterbt, weil wir so'n Radau gemacht haben. Und denn is er in den Himmel geflogen.«

Frau Lehmann muß trotz ihrer Kopfschmerzen laut lachen. Die alten Möbel ringsum knarren alle vor Verwunderung. Es ist schon viele Jahre her, daß ihre alte Besitzerin gelacht hat.

»Jakob – wo bist du?« klingt es plötzlich mit schnarrender Stimme aus dem Zimmer.

Mädi steckt neugierig den braunen Kopf zur Tür hinein. Kein Mensch drin zu sehen.

»Da ruft einer, aber is gar keiner schu sehen«, sagt sie ängstlich.

»Jakob – Jakob – wo bist du?« Wieder die schnarrende Stimme.

»Lehmfrau, einer, der gar nich da is, ruft dir immer los Jakob.« Auch Bubi erscheint die Sache höchst verwunderlich.

»Das ist bloß mein Papagei, der Jakob. Jakob, wo bist du?« Frau Lehmann ruft es jetzt selber.

»Hier – hier – hier –« schnarrt es aus dem Zimmer. Vom Schrank kommt es heruntergeflattert. Ein großer bunter Vogel. Er setzt sich auf die Schulter der alten Dame und guckt die Kinder aus runden Äugelchen mißbilligend an. Sicher, weil sie als Hemdenmätze Besuche machen.

Bubi ist begeistert. Mädi weniger. Der Vogel hat einen krummen Schnabel. Am Ende beißt er.

»Jakob, schenk' Küsschen«, sagt Frau Lehmann.

Wirklich, mit seinem krummen Schnabel berührt der Vogel die Lippen der alten Frau.

»Beischt er nich?« erkundigt sich Mädi herzklopfend.

»Mich nicht, weil er mich kennt. Aber wenn ihr ihm mit eurem Finger zu nahe kommen würdet, dann hackt er danach.«

Bubi muß das natürlich sofort probieren. »Au, du – ich mach' doch nur Spaß, Jakob«. Bubi verbeißt das Weinen. Denn der Papagei hat nicht Spaß gemacht, sondern Ernst. Das Fingerchen, nach dem er mit seinem Schnabel gehackt hat, blutet sogar ein bißchen.

»Gansch blutig – nu muß mein sein armer Bubi tot sterben!« Mädi weint bitterlich.

»Aber Kleine, das ist doch nicht so schlimm, das bißchen Blut. Kindergeheul kann ich nicht vertragen. Dann geht nur wieder rauf. Ihr erkältet euch überhaupt.« Frau Lehmann hat nun genug von ihrem Besuch.

Bubi aber noch nicht. Der findet es wunderschön bei der Lehmfrau und ihrem Papagei. Wenn auch der Finger weh tut.

»Haste auch noch'n Mamagei?« fragt er; denn zu einem Papagei gehört doch auch ein Mamagei, findet Bubi.

»Hahaha«, wieder lacht Frau Lehmann. Und der Papagei lacht mit. Nein, ist das ulkig. Der Papagei kann richtig lachen. Er lacht den dummen Bubi aus.

Frau Lehmann humpelt an ein kleines Schränkchen und holt eine Blechbüchse mit Keks heraus.

»Nun muß ich doch meinem kleinen Besuch etwas aufwarten, wenn er auch im Hemdchen zu mir kommt«, sagt sie freundlich.

Mädi nimmt sich mit einem artigen Knicks einen Keks heraus. Bubi gleich zwei. Wahrscheinlich, weil er zwei Stunden älter ist. Aber als Mädi eben hineinbeißen will in den Kuchen, da fliegt auch schon der Jakob herbei.

Weg ist Mädis Keks! Jakob sitzt auf seiner Stange und läßt ihn sich schmecken.

»Der olle Jakob hat mein sein Kuchen gestohlen und aufgefrescht«, weint Mädi.

»Na, deshalb braucht man doch nicht gleich wieder zu heulen. Mein Jakob ißt auch gern Keks. So, Kleine, da hast du einen anderen.« Frau Lehmann öffnet noch einmal ihre Büchse.

»Du bist eine doll gute Lehmfrau«, sagt Mädi dankbar und steckt den ganzen Keks auf einmal in den Mund. Damit ihn Jakob nur nicht wieder fortholt.

»Warum sagt ihr denn bloß immer Lehmfrau zu mir, Kinderchen?« verwundert sich Frau Lehmann.

»Weil du doch gar keinen Mann hast, bloß 'ne Manthilde«, erklärt ihr Bubi.

Nein, so hat Frau Lehmann sich lange nicht amüsiert, wie heute über die drolligen kleinen Zwillinge, die sich so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern.

»So, Kinderchen, nun müßt ihr aber wirklich gehen. Sonst erkältet ihr euch in euren Hemdchen und bekommt einen Schnupfen. Und wenn du künftig wieder so laut Kegeln schiebst oben im Kinderzimmer, Bubi, dann denkst du daran, daß die alte Frau Lehmann Kopfweh hat, nicht wahr?« Sie klopft Mädi die Wangen.

»Nee,« sagt Mädi. Denn sie ist ja gar nicht der Bubi.

»Nein? Das ist aber nicht artig, Bubi. Nun, die Mädi denkt sicher dran, wenn sie mal wieder mit ihrem Puppenwagen so wild durch alle Zimmer rollt. Ja, Mädi?«

»Nee«, sagt auch Nummer zwei. Denn Bubi ist ja gar nicht die Mädi.

»Hahaha –«. Die Kinder lachen beide los. »Das ist doch behaupt mein sein Mädi« – und »das is doch mein sein Bubi.« Jakob lacht auch mit, trotzdem das gar nicht hübsch von ihm ist, seine alte Dame auszulachen.

»Die Lehmfrau iß ßon so alt, und weiß noch nicht mal, wer Bubi und Mädi is.« Bubi muß sich schon wieder sehr wundern.

Frau Lehmann nimmt ihren kleinen Besuch an die Hand. »Nun brauche ich aber wirklich Ruhe, Kinderchen. Nun geht wieder nach oben.«

»Denn biste ja ganz alleine, arme Lehmfrau, weil dein seine Manthilde nich da is«, wendet Bubi ein.

»Das schadet nichts.« Frau Lehmann greift sich an ihren Kopf. Ach, wie der schmerzt von dem lauten kleinen Besuch.

»Na, Jakob is ja bei dir«, überlegt Bubi.

»Eure alte Kinderfrau wartet gewiß schon auf euch«, beginnt Frau Lehmann aufs neue.

»Bestimmt nich. Frau Annßen hat heut große Wässe«, beruhigt sie Bubi.

Aber was ist das? Aus dem Hintergärtchen eine angstvolle Stimme: »Bubi – Mädi – wo bist du? Bubi – – Mädi – – –.« Das ist Frau Annchen.

»Wo bist du?« ruft auch Jakob dazwischen. Und gleich darauf schnarrend: »Hier – hier – hier – – –«

»Hier is mich«, – schreit es von der Galerie der Frau Lehmann zurück.

Nanu? Die Kinderfrau, die voller Sorge ihre Kleinen sucht, traut ihren Augen nicht. Da steht ja der Bubi im Hemd bei der Frau Lehmann oben auf der Galerie. Und jetzt erscheint daneben noch ein zweiter Hemdenmatz. »Frau Annchen – kuckuck!« ruft es.

Da hört sich ja aber alles auf! So schnell ist Frau Annchen noch nie die Treppen hinaufgelaufen.

»Ja, Kinder, was soll denn das heißen? Ich guck' mir die Augen von dem Küchenfenster nach euch aus. Ich stürze von meiner Wäsche weg, um euch zu suchen. Und nun find' ich euch hier, und noch dazu im Hemd. Ja, schämt ihr euch denn gar nicht vor Frau Lehmann?« Frau Annchen ist mit Recht aufgebracht. »Wo habt ihr denn bloß eure Sachen?«

»Naß« – sagt Mädi kleinlaut.

»Szön gewassen wie Frau Annßen. Die Hößen hängen an 'ne Leine vom Zaun. Damit Frau Annßen sich freut«, erzählt Bubi treuherzig.

Frau Annchen sieht aber gar nicht danach aus, als ob sie sich freut. Im Gegenteil, ein bitterböses Gesicht macht sie, wie die Kleinen das selten bei ihrer guten Kinderfrau kennen.

»Entschuldigen Sie bloß, Frau Lehmann. Sie glauben gar nicht, wie unangenehm mir das ist, daß unsere Kinder in diesem Aufzug zu Ihnen gekommen sind. Was habt ihr denn überhaupt hier zu suchen?«

»Unser Ball is doch reingeflogen zu der Lehmfrau, dann muß ich und mein sein Mädi ihn doch wieder holen.« Fest hält Bubi den Ausreißer, der an allem schuld ist, im Arm.

Aber auch Frau Annchen hält ihre kleinen Ausreißer fest an jeder Hand. »Na, kommt ihr mir nur nach oben!« sagt sie vielverheißend.

»Ihr besucht mich mal, wenn ihr angezogen seid, Kinderchen, nicht wahr?« sagt die alte Frau Lehmann noch freundlich. Sie fühlt sich ganz schwach von dem lebhaften Besuch.

»Jakob – wo bist du?« klingt es hinter den beiden Kindern schnarrend her.

An jeder Hand einen Hemdenmatz, so steigt Frau Annchen mit ihnen die Treppe hinauf. Und wollt ihr wissen, was weiter geschah, so fragt nur die Rute hinter dem Spiegel.

Professors Zwillinge Bubi und Mädi

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