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3. Kapitel Sieben Jahr sind um und um
ОглавлениеTrotzdem der Mond gestern Abend einen Hof gehabt, trotzdem sich nicht nur Floras Augen, sondern auch ihre Hühneraugen unangenehm bemerkbar gemacht hatten, was immer schlechtes Wetter bedeutete, trotzdem der Hahn gekräht hatte – Annemaries Befürchtungen, daß es regnen könnte, erfüllten sich nicht. In sonniger Herbstbläue lachte der letzte Septembertag hernieder, so golden, als hätte er allen Sommerglanz, alles Sommerleuchten noch einmal in sich vereinigt.
»Piebe Honne ßeint, heut' tann mein Tind ada dehn«, war das erste, was in Annemaries Traumland hineindrang. Dann fühlte sie etwas Weiches, Feuchtes an ihrer Nase, und als sie verstohlen blinzelte, wogte es rosenrot. Die letzten Spätrosen, die Rudi ihr bereits im Garten zur Wiederkehr ihres Hochzeitstages geschnitten.
Vor ihrem Bett aber standen drei kleine Hemdenmätze, hielten sich an den Händen und sangen, Ringelreihen hopsend:
»Sieben Jahr sind um und um,
Mutti dreht im Bett sich rum.«
Mit der einen Hand umfaßte Annemarie die Rechte ihres Mannes, welche ihr die Blumen entgegenstreckte, mit der anderen griff sie nach ihrem Trio. Und so hielt sie wortlos für einen Augenblick ihr ganzes, reiches Glück. Sekundenlang nur – und doch eine Ewigkeit.
»Piebe Honne ßeint – tann mein Tind heut' ada dehn?« erkundigte sich ihr Nesthäkchen, das nichts von dem stillinnigen Empfinden der Mutter ahnte, aufs neue.
»Famos – da können wir den Kaffeetisch heut nachmittag im Garten decken.« Jetzt kam Leben in Annemarie. »Also ich gratuliere schön zu unserm Hochzeitstag, Kinder. Rudi, trag' dein Hauskreuz weiter in Geduld!« Das war wieder ganz der Kobold Annemarie, der Doktor Hartenstein dereinst sein Herz gestohlen hatte.
»Weißt' noch, Weible, die Nebelhöhle, der Ulmer Dom und dann zuletzt der Charlottenburger Schlossgarten? Hast es nimmer bereut, gelt, daß uns das Wetter damals dort überraschte?«
»Höchstens, wenn mir's die Räuberbande da drin gar zu arg treibt.« In der Kinderstube tobten Vronli und Hansi bereits wieder, während Klein-Ursel unentwegt sang: »Sieden Sahr sind um und um.« »Oder aber – –,« Annemarie machte ein verschmitztes Gesicht, – »wenn ein gewisser Herr mal seinen Koller kriegt, weil angeblich irgend etwas auf seinem Schreibtisch fehlt, was nachher todsicher doch da liegt. Aber sonst – nie schlechter als bisher, Rudi!«
»Aber wenn's besser ist, schadet's nix, gelt, Herzle?« lachte Rudolf.
Klein-Ursel kam eiligst herbeigelaufen, denn das mochte Nesthäkchen ganz und gar nicht leiden, wenn die Eltern sich küssten.
»Usche pieb haben – Lein-Usche pieb – – –.« Eifersüchtig drängte es sein Blondköpfchen dazwischen.
Der alte Junggeselle drüben mußte sich heute lange gedulden, bis seine drei kleinen Freunde am Gartentor erschienen, um dem Vater »Auf Wiedersehn!« nachzurufen. Nicht etwa, daß die Sprechstundenpraxis ihn so lange zurückhielt. Er konnte sich heute gar nicht entschließen, sein gemütliches Heim zu verlassen. Niemals, nicht einmal in der Zeit seines ersten Eheglückes, war es ihm schöner erschienen. Hatte die Linde jemals sich mit so goldenen Blättern besteckt wie heuer? »Schau, Vronli, das ist sicher das Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt. – Du weißt doch, ich hab's dir halt neulich erzählt.« und die Astern blühten und leuchteten heute ganz besonders bunt und farbenfroh. Der Purpurwein, der das weiße Häuslein bis zum Dach hinauf umkletterte, hatte noch in keinem Herbst so in der Sonne geglüht. »Das Haus in der Sonne!« sagte Rudolf Hartenstein leise vor sich hin und wandte den Blick zu der, die für ihn die Sonne seines Lebens geworden, von der alle Helle und Wärme ausging.
Aber o weh – da gab's Wolken. Wolken des Unmuts lagerten auf Annemaries Stirn, während sie einen Kuchen vor ihren Mann auf den Frühstückstisch setzte.
»Sieh nur, Rudi, das elende Geschöpf von einer Sandtorte! Platt wie eine Schildkröte. Wütend bin ich! So schön hellbraun habe ich sie gebacken. Aber das Biest ist absolut nicht gegangen. Weiß der Deibel, woran es liegt. Die Krabben sind mir immerzu dazwischen gekommen. Und das verflixte Flochen muß auch nicht ordentlich gerührt haben.«
»Lixtes Flossen«, echote es irgendwoher vom Erdboden, wo Klein-Ursel umherkroch.
Rudi drohte seiner temperamentvollen Gattin, die mal wieder ihre Zunge laufen ließ, ohne Rücksicht auf ihre kleine Zuhörerschaft, lachend.
»Obacht – Frauli! Die Torte wird halt auch als Schildkröte munden. Deshalb laß dir kein graues Haar nit wachsen, Annemie. Ich wett', Urtantchen und Frau Marianne werden sie nit verschmähen.«
»Tante Albertinchen kann ich das Klietschzeug gar nicht vorsetzen. Das liegt ihr ja wie ein Mühlstein im Magen. Marianne,« – Annemarie lachte schon wieder – »ja, freilich, die ist noch immer kein Kostverächter, besonders wenn es sich um Kuchen handelt. Und die andern Mädel tun mir auch den Gefallen und helfen dem mißratenen Ding den Garaus zu machen. Aber ich schäme mich vor ihnen. Sie müssen doch geradezu denken, ich hätte in den sieben Jahren absolut nichts zugelernt und sei noch derselbe Windhund wie damals. Und am meisten schäm' ich mich vor unserer alten Hanne. Gut, daß die wenigstens noch Kuchen mitbringt. Soll ich die Schildkröte mal sezieren, Rudi?«
»Laß, Weible – 's ist halt Zeit genug, wenn du dich heut' nachmittag ärgerst. Was willst du dir den ganzen Tag damit verderben?« meinte Rudi diplomatisch. »Schau, wie golden die Sonne uns zu Ehren heut' scheint – – –«
»Sicher hat sie einen Wasserstreifen!« Annemarie konnte sich noch nicht von ihrem Schmerzenskind lösen.
»Die Sonne – hahahaha – – –.« Zu Rudolfs Lachen mischte sich Hansis Stimme:
»Den Wassersteifen hat Hansi demacht.« Stolz warf sich der filius in die Brust. Annemarie legte seinen Worten keine besondere Bedeutung bei.
Am Vormittag gab es tüchtig zu tun. Da mußte ein Heringssalat bereitet werden, bei dem Hansi und Ursel wieder werktätige Hilfe leisteten, indem sie durchaus die »niedichen Fissen« angeln wollten. Vronli wurde dabei ertappt, daß sie der kunstvollen Garnierung aus eingelegten Kirschen, Gurken und Ei zu einem etwas anderen Muster verhalf, was ihr eine mütterliche Ohrfeige sogar am Hochzeitslage eintrug. Flora schlorrte noch langsamer als gewöhnlich und schielte noch mehr als je in den Spiegel. Das Telefon bimmelte unausgesetzt, und zum Überfluss kam Rudi eine ganze Stunde später zum Essen, da er einen schweren Fall hatte. Da gehörte wirklich eine größere Lammesgeduld dazu als die, über welche Frau Annemarie verfügte, um dabei gleichmäßig freundlich zu bleiben. Hansi fällte denn auch, nachdem er verschiedentlich »geflogen« war, eine vernichtende Kritik über den 30. September: »Hoßeitstag is dar niß ßön!«
Aber schließlich war man doch mit allem fertig. Die Kleinen waren aus dem Wege geräumt und nach Tisch schlafen gelegt, trotz ihres energischen Protestes: »Dar niß miedi!« Rudi geruhte endlich zu erscheinen, und seine heitere Ruhe gab, wie so oft, seinem ziemlich aufgeregten »Weible« ihr Gleichmaß zurück. Vronli machte alle Schandtaten des Vormittags wieder gut und half ganz geschickt an der langen Tafel, die der Vater aus sämtlichen Tischen des Hauses zusammengesetzt hatte, Löffel und Servietten herumlegen. Der Dreißigste war so einsichtsvoll gewesen, diesmal auf den einen sprechstundenfreien Nachmittag, den Rudolf eingerichtet hatte, zu fallen. So konnte man die Kaffeetafel, ungestört von Patienten, auf dem Rasen unter der goldenen Linde herrichten. Ihr schönstes Gedeck hatte Frau Annemarie aus dem Wäscheschrank ausgewählt. Goldgelber Damast, mit Lindenblättern und Sonnenstrahlen an Glanz wetteifernd. Darauf die breiten, bauchigen Vasen mit lila abschattierten Astern. Wirklich, Doktor Hartenstein hatte recht, wenn er die an ihm vorüberjagende Annemarie plötzlich zu fassen bekam: »Herzle, so wie du versteht das kein anderer.«
»Alles bloß fürs Auge, Rudi. Mit den Genüssen des Gaumens sieht es mieserig aus. Die Schildkröte läßt sich kaum schneiden. Die Sandtorte scheint sich in Sandstein verwandelt zu haben. Meine ganze Hoffnung ist Hanne.«
»Schau, was hinter der Rotdornhecke drüben liegt, Herzle.« Rudi machte ein ganz verschmitztes Gesicht.
Schneller als Annemarie, war noch Vronli dort.
»Ein Paket, ein mächtig großes Paket – soll ich's aufmachen, Mutterli?« Ihr Zeigefinger bohrte bereits neugierig ein Loch in das Papier.
»Kuchen – Mutterli – lauter Kuchen!« jubelte sie los.
»Tuchen – Hansi auch Tuchen haben – – –.« Woher er plötzlich gekommen, wußte man nicht. Aber er war da, der kleine Kerl, barfuß, in Nachthosen, ging er mit der Energie des Mannes dem Kuchenpaket zu Leibe.
»Willst du wohl davon bleiben, Hansi – Schlingel, du sollst doch schlafen.«
»Slingel, dar niß ßafen«, erklärte Hansi und angelte vergeblich von der Schulter des Vaters, wo er seinen Stammplatz hatte, zu dem verlockenden Paket herunter.
»Rudi – du bist ein Verschwender! Das kostet doch heutzutage ein Vermögen. Dafür hätten die Kinder schon Strümpfe gehabt. Aber – es ist mir doch riesig angenehm, daß wir uns nicht bloß mit der alten Schildkröte madig machen.« Rudi bekam einen dankbaren Kuss, den Hansi, der Strick, vergeblich mit seinen Füßchen zu trennen versuchte.
»Ich will heut' mit hellen Augen von meiner Braut angeschaut werden, nimmer so wie heut' in der Früh«, neckte Rudolf.
»Mutti, der Pfannkuchen ist für mich, gelt, Mutterli?« bettelte Vronli mit begehrlichen Augen.
»Nein, Vronli. Kinder müssen abwarten, was übrig bleibt. Erst kommen unsere Gäste dran.«
»Och die!« machte Vronli gastfreundlich.
»Beibt dar niß übriß!« stellte ihr kleiner Bruder betrübt die Prognose.
Hellauf lachten die Eltern über den kleinen Skeptiker. Und Annemarie mußte daran denken, wie sie vor Jahren als kleines Nesthäkchen in Vronlis Alter Tante Albertinchen den Mohrenkopf nicht gegönnt hatte. Es wiederholte sich alles im Leben.
»Weil heute unser Hochzeitstag ist, gelt, Mutterli, du erlaubst?« Der gute Vater teilte bewußten Pfannkuchen zwischen seinen erwartungsvollen Sprösslingen. Dies trug ihm einen Marmeladekuss von Hansi, der es für ratsam hielt, erst hineinzubeißen und sich dann zu bedanken, und einen zuckerklebrigen Ärmel ein, an dem Vronli ihre Dankbarkeit ausließ.
»Kinder, nun ist es aber die höchste Zeit, daß wir uns in Gala werfen. Ich denke, mit der Halbfünfbahn werden sie kommen«, drängte Annemarie.
»Die Straßenbahn-Gesellschaft stellt einen Extrawagen für unsere Gäste.«
Annemarie hörte nicht mehr. Die hatte bereits Pfannkuchen, Blätterteig und Napoleonsschnitte, die ganze Herrlichkeit, auf Kuchenplatten geordnet und vorsorglich Seidenpapier darüber gebreitet, daß nicht etwa ein naschhafter Spatz sich daran wagte. Die jagte bereits zur Küche, um »Flochen« ein bißchen auf die Sprünge zu helfen und ihr nochmals einzuschärfen, ja keine Zichorien an den Bohnenkaffee zu nehmen, die beförderte mit einer Hand Hansi in seine weißen Leinenhöschen, mit der anderen knöpfte sie Vronli den rosa Hänger zu und versuchte dabei, ihr festschlafendes Nesthäkchen, das »dar niß miedi« gewesen war, wieder zum Leben zu erwecken.
Klein-Ursel wachte recht ungnädig auf. Nicht einmal die Aussicht auf Kuchen und Omama vermochte ihre Laune zu bessern. Sie stieß die »Wawa« fort, nuckelte schläfrig am Bettzipfel und knurrte ab und zu auf die zärtlichsten Koseworte der Mutter ein verärgertes »Till deseid!« Erst als Hansi im weißen Galakittel einherstolzierte und Vronli mit rosenroter Seidenschleife im Haar, erwachte die Evaseitelkeit in dem kleinen Dinz.
»Lein-Usche auch sein dematt färden, Lein-Usche danz ausdeslaft – – –.« Plötzlich war es wieder das liebenswürdigste Kind von der Welt.
So – alles fertig. Frau Annemarie atmete auf. Vronli war zur Ecke, wo die Elektrische ihre Endstation hatte, gezogen, die Gäste feierlich einzuholen. An den beiden Gartentürpfosten waren Hansi und Klein-Ursel als Schildwachen postiert. Flora schielte stolz auf eine alte weiße Batistbluse, mit der Annemarie sie herausgeputzt hatte. Und diese selbst sah mit ihren heißen, roten Backen, den erwartungsvoll glänzenden Augen, welche dieselbe Farbe zeigten wie das blaue Sommerkleid, das sie trug, so anmutig aus, daß Rudolf bewundernd meinte: »Weißt, Herzle, gefällst mir halt heut' noch besser als vor sieben Jahren!«
Annemarie, die gerade damit beschäftigt war, ein an Größenwahn leidendes Huhn, das sich als Erster an die Kaffeetafel setzen wollte, zurückzuscheuchen, lachte: »Auf das Kompliment kann ich nicht stolz sein, du ungalanter Mann.« Sie kam nicht weiter. Von der Gartentür trompetete es: »Sie tommen – sie tommen –«
Gleich darauf sah der alte Junggeselle drüben, der sich gerade über einen Zeitungsartikel ärgerte, zwei weiße kleine Punkte unter den Rufen: »Omama – Omama!« die stille, baumbestandene Straße entlangschießen.
Bautz – da lag eins. Hansi war über seine dicken Beinchen gestolpert, während Klein-Ursel mitleidslos weiter jagte, von zwei großmütterlichen Armen liebevoll emporgehoben wurde, ihr süßes Kindergesichtchen an die immer noch jugendliche Wange der weißhaarigen Dame preßte und in den zärtlichsten Tönen ausrief: »Piebe, lixte Omama!«
»Au weih, Urmütterchen, die Ursel hat eben verflixte Omama gesagt«, rief Vronli, der erklärte Liebling von Urmütterchen, an deren Arm sie sich sofort eingehängt, empört.
Allgemeines Gelächter antwortete auf Vronlis Anklage. Nur um so zärtlicher küsste die Omama das Kleinchen, das keine Ahnung von der Bedeutung des Wortes hatte.
»Sag' Urmütterchen schön ›Guten Tag‹, Liebling.« Frau Doktor Braun hielt das zierliche, blondlockige Ding ihrer Mutter hin.
»Tatt, Tittatt« – wieder erfolgte zu Klein-Ursels größter Verwunderung eine allgemeine Lachsalve. Sie fand durchaus nichts Komisches daran, daß die Begriffe Urmütterchen und Ticktack ihr durcheinander gingen.
»Die Ticktack schlägt aber nicht, Urselchen, die küsst nur und – – –«
»Und bringt Schokolade mit, gelt?« vollendete Vronli pfiffig, auf Urmütterchens Damastbeutel schielend, was sie wohl Flora abgeguckt haben mochte.
»Aber, Vronli«, drohte Omama lächelnd, »wenn Mutti das gehört hätte!«
Vronli wurde rot, nahm aber trotzdem strahlend die Tafel Schokolade aus Urmütterchens Beutel in Empfang.
»Usche auch Lade, Tittatt Lade – – –«. Jetzt galt Ursels ganze Liebe dem Urmütterchen.
Aber schon hatte ein großer, blonder Herr, der mit mehreren jungen Damen folgte, das winzige Dingelchen gepackt.
»Ursel bekommt von Onkel Klaus Schokolade – aber erst sag', wer ich bin. Wie heiß' ich?«
»Laus.«
»Hahahaha« – die dritte Lachsalve entlud sich, von Klein-Ursel nichtsahnend hervorgerufen.
»Ja, ein Lausbub' war er sein Lebtag!« sagte eine hellblonde junge Dame zu einer Schwarzhaarigen nicht gerade leise.
»Wie meintest du, Ilse? Du machst wohl zoologische Studien, Fräulein Oberlehrer. Also zu welcher Klasse des Linnéschen Systems gehört die Laus?«
»Himmlischer Vater – der Klaus wirft Zoologie und Botanik alles in einen Topf. Und das will ein Landwirt sein. Keine Ahnung hat er von Naturwissenschaft, Marlene«, rief die Hellblonde.
»Sei friedlich, Ilschen – wollen doch mal sehen, ob wir's fertig bringen, uns nach zweijähriger schmerzlicher Trennung mal heute ausnahmsweise nicht zu zanken.«
»Schmerzlich höchstens von deiner Seite – – –«, begehrte Ilse Hermann auf.
»Kinder, seid ihr denn total hops? Nun seid ihr noch nicht eine Stunde zusammen und kabbelt euch gleich wieder wie die Gören«, lachte Marlene sie aus.
Inzwischen war auch eine junge Frau, die sich in rührender Weise des schon recht klapprigen Urtantchens angenommen hatte, es sorgsam führend, näher gekommen.
Sie war rund und hatte vergnügte Augen.
»Marianne Davies oder vielmehr Frau Apotheker Kluge, du scheinst bei deinem Eheherrn in gutem Futter zu stehen«, neckte Klaus. Denn das war von jeher Mariannes Schmerz, daß sie nicht so schlank war wie Annemarie.
»Ich bin kein Ackergaul, Klaus«, meinte die lachend.
»Klaus hat eben nur Pferdeverstand.« Die Ilse war aber heute wirklich scharf.
»Nein, sind die Kinder süß – Vronli der ganze Papa und Ursel genau wie Annemarie.« Frau Marianne ließ die beiden sich allein weiter kabbeln.
»Ja, ja – so hat mein Nesthäkchen damals ausgesehen – ganz genau so – – – «, meinte Frau Doktor Braun.
»Und ebenso frech ist die Krabbe auch. Nachdem sie mir die Schokolade, meine Uhr und sonstige Habseligkeiten aus der Tasche stibitzt hat, bin ich für sie erledigt«, lachte Klaus. »Den Weibern ist schon nicht zu trauen, wenn sie selbst noch Miniaturausgaben sind.«
»Na, jehen wa denn heit noch weita, oder soll ick villeicht hier uff die Straße Kaffee servieren?« Hanne, die bald dreißig Jahre im Braunschen Hause war, kam in ihrer ganzen Vierschrötigkeit, einen großen Deckelkorb am Arm, hinterdrein. »Jotte doch, das Hanseken is ja hinjefallen. – Urselchen, Mauseken, du kommst ja jar nich mehr bei deine olle Hanne. – Laß sind, Vronchen, laß de Fingerkens von, den Kuchen packen wa nachher erst bei Muttin aus.« Die alte treue Seele ward von den Hartensteinschen Kindern beinahe ebenso jubelnd begrüßt wie die Omama. Und so fühlte sich auch Hanne durchaus. Hatte sie doch das Braunsche Nesthäkchen Annemarie einst mit großziehen helfen.
»Nu wird aber weiterjejondelt. – Was unse junge Frau Doktorn Annemiechen is, die steht sich schon an'n Gartentor de Beene in'n Leib, und mit ihre Arme tut se wie 'ne Windmühle winken. Nu man dalli!« Lachend setzte man sich wieder in Bewegung. Der Hanne nahm kein Mensch ein offenes Wort übel. Das alte Familieninventar war von jeher ein Unikum gewesen.