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In der Totenstadt

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Er hatte den Fuß der Turmtreppe noch nicht erreicht, als er schon auf eine Leiche stieß. Es war diejenige des Türmers, eines alten Mannes, der allein hier oben gehaust hatte.

Als Richard aus der Thür auf die Strafe trat, kam ihm vollens die Ueberzeugung, daß alles Lebende vernichtet worden war. Menschen, Pferde, Hunde, Tauben, Sperlinge – alles lag tot da; sie konnten nicht gelitten haben, die Gesichter der Menschen zeigten wohl Angst, aber keine Leiden.

Doch nein, nicht alles war tot. Von einem Dache flatterte eine Schar Tauben herab und ließ sich zwischen den Leichen nieder. Wie waren diese dem Tode entronnen?

Daß eine Erdrevolution stattgefunden hatte, wie er es sich früher manchmal in Gedanken gewünscht, daß er sich nun plötzlich auf dem Aequator befand, dessen war Richard sich sofort bewußt gewesen, ohne sich darüber näher Rechenschaft geben zu können. Jetzt überlegte er nur, wie er selbst und diese Tauben noch zu leben vermochten, während alle anderen Menschen und Tiere doch verendet waren. Endlich fand er eine Erklärung. Die veränderte Erdumdrehung mochte doch nicht so ganz ohne alle Folgen geblieben sein. Vielleicht waren irgendwo anders vulkanische Ausbrüche erfolgt und der Erde giftige Gase entströmt, die, schwerer als die Luft, dicht über den Boden hinstrichen und in einem Augenblick alles darauf Lebende vergifteten, so daß nur noch die hoch über ihrem Bereiche befindlichen Wesen, wie zum Beispiel einzelne Vögel und er selbst, von dem Untergange verschont geblieben waren.

Die Aequatorregion machte sich immer mehr bemerkbar. Die mächtigen Schneehaufen schmolzen zusehends zusammen, die Schleusen konnten das Wasser nicht mehr schlucken, Bäche ergossen sich durch die Straßen, den Flüssen und tief gelegenen Teichen zu, deren Eis schon handhoch mit Wasser bedeckt war.

Richard warf Mantel und Jacke weg und hielt weitere Umschau in seiner Vaterstadt. Alles war tot, alles gehörte ihm! In den Geschäften lagen die Verkäufer tot hinter den Ladentischen, in den Restaurationen Wirt und Kellner tot neben den Gästen.

Er gelangte auf den Bahnhof. Auch dort war alles gestorben. Die Uhr ging noch, der Fahrplan sagte ihm, daß gleich ein Zug einlaufen müßte; aber es kam kein Zug, und niemals mehr konnte man auf die Ankunft eines solchen rechnen.

Dann fiel ihm ein, sich einmal in einem Hause umzusehen. Er betrat also das höchste in dieser Stadt gelegene fünfstöckige Gebäude, auf dessen Dache sich außerdem noch eine Mansarde befand. In der zweiten Etage lag ein Dienstmädchen; es hatte die Treppe gekehrt und die Vorsaalthür offen gelassen. Richard sah, daß die ganze Familie und auch die Katze den giftigen Gasen erlegen waren.

Er stieg noch höher, bis in die Mansarde hinauf. Auch hier war die Vorsaalthür geöffnet. In dem Wohnzimmer saßen ein Mann und eine Frau, die den Kopf auf den Tisch gelegt hatten.

Es mußte ein Schuhmacher sein, der hier zu Hause arbeitete; das Ehepaar hatte sich eben zum Frühstück hingesetzt; Brot, Butter, Käse und eine Schnapsflasche standen noch auf dem Tisch, als sie der Tod überraschte.

Schon wollte Richard wieder gehen, als er ein Röcheln vernahm. Die Frau bewegte sich! Er holte Wasser und rieb ihre Schläfe; sie kam zu sich, und dann auch der Mann. Das giftige Gas hatte hier oben nur noch eine schwache Wirkung gehabt.

Verstört vernahmen sie Richards Bericht. Sie vermochten ihm nicht eher zu glauben, als bis sie aus dem Fenster geblickt hatten. Dann gingen sie mit ihm auf die Straße hinab.

Die Totenstadt

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