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VORWORT

Nun ziehe ich umher, ohne Ziel und Sinn,

wie mit dem Stempel des Urfluches versehen,

von allen verlassen, vom Schicksal bestraft mit Qualen.

Nur manch Kind hält inne und sieht mich wunderlich an,

wenn Tränen mir im Gesicht erstrahlen.

Roman, eine tragische Person im palästinischen Umfeld und die Hauptfigur dieses Romans, ließ die Ereignisse, die sein Leben völlig aus der Bahn geworfen hatten, immer wieder Revue passieren. Er konnte nichts mehr ausrichten, denn es war alles bereits unwiederbringlich verloren. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er durch das fortwährende Nachdenken über die Ereignisse ein Wunder herbeisehnen und alles wieder wie vorher sein könnte.

„Die meisten Menschen, die ich hier in Palästina gekannt habe“, dachte er bei sich, „und die mir besonders viel bedeutet haben – sind tot. Meine Mutter Bea ist tot, ebenso meine Verlobte Olivia, die unser gemeinsames Kind trug. Mein Adoptivbruder Assim und seine Eltern sind auch tot. Aaron, ein Mann, für den ich eine tiefe Hochachtung empfunden hatte, hat Bea und Assim getötet und wartet nun auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Die Erkenntnis, dass ich, mittelbar und ohne es zu wollen, am Tod meiner Mutter und meines Adoptivbruders schuld bin, ist unerträglich.

Was würde Freud wohl daraus schließen? Er würde sicher sagen, dass ich unbewusst den Wunsch gehegt haben muss, dass meine Mutter und Assim aus meinem Leben verschwinden. Außerdem würde er ergänzen, dass ich meiner Mutter die Schuld an dem Tod meiner Verlobten Olivia gegeben und sie dafür innerlich gehasst habe. Und meinen Adoptivbruder Assim habe ich nur deswegen akzeptiert, weil meine Mutter ihn so sehr geschätzt hat. Im Umkehrschluss würde das aber bedeuten, dass ich Aarons Verbrechen in meinem Unterbewusstsein billige.

Diese Gedanken sind einem Menschen nicht zumutbar, sie zermürben meine Seele. Wie kann ich mir den Tod meiner eigenen Mutter gewünscht haben? Wie kann ich bloß zu ihrem Mörder halten? Sind mir ideologische Kämpfe etwa wichtiger als die Liebe zu meiner Mutter? Meine Mutter und mein Adoptivbruder haben sich für den Frieden in Palästina eingesetzt. Auf einer humanistisch-abstrakten Ebene hatten sie Verständnis für die palästinensischen Terroristen, die meine Verlobte getötet haben. Es kann nicht richtig sein, Terroristen zu rechtfertigen, doch meine Mutter und Assim wollten mit ihrer Haltung sicherlich niemandem schaden. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet meine Mutter und Assim, eine Jüdin und ein Palästinenser, deren einziges, aufrichtiges Ziel der Frieden in Palästina war, ums Leben gekommen sind.

Ich habe den beiden ihre Haltung sehr übel genommen. Das war aber wegen des unerträglichen Schmerzes, der mich seit dem Tod von Olivia und unserem ungeborenen Kind plagte. Bin ich deswegen vielleicht auch ein Verbrecher?

Auf die Frage, wie das alles eigentlich begann, finde ich keine klare Antwort. Den Hintergrund aller Ereignisse, so scheint es mir heute, bildet diese schicksalhafte Vorbestimmung der Juden und der Araber zu einer fortwährenden gegenseitigen Feindschaft. Wer aus irgendeinem Grund in dieses Jahrhunderte dauernde Todesspiel auf der einen oder anderen Seite hineingezogen wird, dem blüht sicherlich nichts Gutes.

Als ob das nicht genug wäre, endet dieses Todesspiel keinesfalls an den Grenzen von Israel und Palästina. Außerhalb lauern nach wie vor die Antisemiten, die Islamophoben und sonstige kleinkarierte Schwachköpfe, die ihren Lebenssinn darin finden, andere Menschen, allen voran die Juden, zu schikanieren, zu unterdrücken und zu hassen, weil sie sie für moralisch und auch sonst in jeder Hinsicht für unterlegen halten.

Unglücklicherweise gehöre ich durch Gottes Willen zu diesen ‚Nichtariern‘, was mich zu einem unfreiwilligen Mitspieler in dieser furchtbaren Tragödie macht.“

Tod in Jerusalem

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