Читать книгу Der Schundfilm meines Lebens - Emmi Ruprecht - Страница 3

Kapitel 1

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Ich klicke erwartungsvoll auf die Mail in meinem Postfach, die sich soeben durch ein leises Piepen angekündigt hat. Die Nachricht ist von der Filmproduktionsfirma, der ich mein neuestes Drehbuch zugeschickt habe, und ich bin sicher, dass es eine gute Nachricht ist. Das Skript muss ihnen einfach gefallen!

Vor fast zwei Wochen habe ich Herrn Hansen, der als Creative Producer unter anderem dafür zuständig ist, neue Stoffe und Konzepte für erfolgversprechende Fernsehfilme ausfindig zu machen, angerufen und mein neuestes Werk angekündigt. In kurzen Worten habe ich ihm die tiefgründige Thematik meines Drehbuchs erläutert und die psychologisch ausgefeilte Handlung anhand einiger Schlüsselszenen skizziert, um ihm einen kleinen Vorgeschmack auf das Skript zu geben.

Nun, ich muss zugeben, dass Herr Hansen zunächst nicht allzu begeistert zu sein schien. Er äußerte Zweifel an der Vermittelbarkeit des Stoffes an einen TV-Sender. Doch ich denke, da fehlte Herrn Hansen einfach die Fantasie. Ich vermute, dass er aufgrund des anspruchsvollen Themas ein langatmiges, sich in umständlichen Dialogen und düsteren Szenen verlierendes Werk erwartete. So eines, das bestenfalls Hochintellektuelle davon überzeugen könnte, nicht gleich weiterzuzappen, wenn sie versehentlich auf dem Fernsehkanal landeten, der den Film zeigte, weil ihre Lieblingssendung auf einem anderen Kanal von einer Werbepause unterbrochen wurde. Dass mein Drehbuch den zugegebenermaßen nicht ganz alltäglichen Stoff gleich einem Krimi bis zur letzten Szene spannend aufbereiten würde, konnte er bei unserem Telefonat noch nicht wissen. Aber ich wusste es und war entsprechend zuversichtlich, ihn überraschen und seine Begeisterung für das Drehbuch entfachen zu können.

„Sicher ist Herr Hansen ziemlich beeindruckt“, denke ich, auch wenn ich mich gleichzeitig zu mehr Bescheidenheit ermahne. „Dass ein derart tiefenpsychologisch fundiertes Thema so spannend erzählt werden kann, hat er bestimmt nicht erwartet.“

Mein Rechner braucht eine gefühlte Ewigkeit, um die Mail zu öffnen. Fast befürchte ich, dass das Gerät unterwegs abgestürzt ist, doch dann ist es endlich geschafft.

Liebe Frau Wupper“, steht in der elektronisch übermittelten Nachricht, „danke für Ihr Drehbuch, das wir uns gerne angeschaut haben. Es ist tatsächlich – wie Sie bereits in unserem Telefonat ankündigten – in vielerlei Hinsicht neuartig und eine intellektuelle Herausforderung, speziell für ein Publikum mit eher traditionellen Sehgewohnheiten.

Genau! Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das Fernsehpublikum mental gar nicht so bequem ist, wie von vielen Programmschaffenden beklagt wird, sondern Experimente durchaus verkraftet! Auch schwierige Themen kann man Zuschauern zumuten, wenn man versteht, sie unterhaltsam zu gestalten. Das allerdings muss schon sein, denn Tiefsinniges staubtrocken zu verpacken, nur damit es noch tiefsinniger wirkt, kann jeder! Den Spagat zwischen intellektuellem Anspruch und mitreißender Unterhaltung zu schaffen ist die Kunst, die ein gutes Drehbuch ausmacht. Und genau diesen Spagat habe ich mit meinem neuesten Skript hinbekommen und ich bin sicher, dass Herr Hansen das genauso sieht!

Eilig lese ich weiter: „Die Dialoge bestechen durch eine treffsichere Wortwahl, die Charaktere der handelnden Personen sind präzise konzipiert, ausdrucksstark in Szene gesetzt und wirken dennoch nicht abgedroschen.

Ich freue mich über das Kompliment – und ich muss ihm recht geben. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können! Das zentrale Anliegen meiner Drehbücher ist, Persönlichkeiten in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Komplexität darzustellen. An dieser Stelle versagt das Fernsehen viel zu oft! Das Publikum wird mit zweidimensionalen Welten gelangweilt, in denen es nur gut und böse gibt sowie stereotype Charaktere, die man auf den ersten Blick vollständig erfasst. Mehr als eine Eigenschaft haben selbst Hauptpersonen selten, die entweder stets gutmütig, grundlos selbstherrlich oder bodenlos schlecht sind. Außerdem scheint es dem Publikum nicht zuzumuten zu sein, wenn die Heldin ausnahmsweise mal unattraktiv ist und es auch im Laufe des Films bleibt, die Karrierefrau kein Monster ist, das ihre wohlmeinende Mutter in ein Heim abschieben will, und der Arzt weder kinder- noch tierlieb daherkommt. Nicht auszudenken wäre, wenn man es den Zuschauern sogar überließe, sich eine eigene Meinung zum Geschehen zu bilden, anstatt ihnen die immer gleichen moralischen Werte und Weltanschauungen zu predigen. Die meisten Menschen – davon bin ich überzeugt! – würden auch beim Fernsehgucken selbstständiges Denken nicht grundsätzlich ablehnen. Das ist jedoch ausschließlich in Quiz-Shows gestattet, und selbst da sind die richtigen Antworten bereits vorgegeben.

Auch der konsequent am Plot orientierte Aufbau sorgt dafür, dass die einzelnen Szenen beim Lesen des Skriptes in der Vorstellung bereits wie in einem Film ablaufen. Insgesamt überzeugt das Drehbuch durch seine professionelle Ausgestaltung, wie wir es von Ihnen nicht anders gewohnt sind ...

Jetzt strahle ich über das ganze Gesicht. Das hört sich doch schon sehr nach einer etablierten Drehbuchautorin an! Dabei muss ich zugeben, dass ich auf diesem Gebiet noch ein Neuling bin. Zwar schreibe ich seit meiner Schulzeit Theaterstücke – erst für die Laienspielgruppe am Gymnasium und dann auch für diverse andere Amateur-Bühnen. Später kamen die ersten Drehbücher für Kurzfilme von Kunststudenten oder sonstige Low-Budget-Produktionen von Hobby-Filmschaffenden hinzu. Doch erst vor fast einem Jahr habe ich eine richtige Filmproduktionsgesellschaft für mein erstes, vollwertiges Drehbuch zu einem abendfüllenden Spielfilm interessieren können!

Dieses erste Skript handelte von einer Gruppe von Menschen, die in der Abgeschiedenheit einer italienischen Berglandschaft mit bislang verdrängten Anteilen ihrer Persönlichkeit konfrontiert wurden. Es ist eine unter die Haut gehende Darstellung persönlicher Dramen, die sich tief im Inneren ganz normaler Menschen abspielen können. Mutig wurden Themen angesprochen, die gesellschaftlich immer noch tot geschwiegen werden, weil sich niemand traut darüber zu sprechen. Ein großartiger Stoff! Ein eher leiser Film – zugegeben – aber nichtsdestotrotz von großer erzählerischer Kraft!

Die Creative Producerin Brigitte, die mein Skript damals las, war begeistert und konnte auch ihren Chef, den Produzenten und Inhaber von „Friedberts Filmfabrik“, von dem Stoff überzeugen. Gemeinsam haben Brigitte und ich das Exposé dann noch einmal nach seinen Vorgaben überarbeitet und ein Treatment, sozusagen die „Verkaufsunterlage“ für das Drehbuch, erstellt, die der Produzent nach diversen Abstimmungen akzeptiert hat. Er bot den Stoff mehreren TV-Sendern an und tatsächlich zeigte einer von ihnen Interesse! Nachdem auch dort mit der Redaktion intensiv am Skript gefeilt wurde, war der Auftrag für die Filmproduktion schon fast erteilt. Doch auf dem allerletzten Meter bekam der zuständige Redakteur im Sender kalte Füße, nachdem gerade ein ähnlich „spezieller“ – wie die Redaktion es ausdrückte – Fernsehfilm quotenmäßig gescheitert war.

Damit war mein Debütfilm Geschichte und der Sender hatte seine große Chance vertan, endlich einmal etwas Wegweisendes auf den Schirm zu bringen!

Natürlich war das sehr bedauerlich, aber wenigstens hatte ich mir mit dem Skript schon mal einen Namen gemacht. Zuversichtlich setzte ich mich deshalb an mein zweites Werk und verfasste ein Drehbuch über eine depressive Frau, die sich nach einem Suizidversuch mühsam ihren Weg zurück ins Leben erkämpft. Was für ein Stoff! Mit schonungsloser Akribie setzte ich die verstörenden Gedankenmuster der Protagonistin in irritierende Szenen um und schuf Dialoge, die in sich widersprüchlich die ganze innere Zerrissenheit der Figur eindringlich schilderten. Die Depression der Protagonistin sollte für den Zu-schauer geradezu fühlbar werden, um ihn mitzunehmen auf eine Reise in die schockierende Erlebniswelt dieser Frau. Er sollte die Welt aus der fatalistischen Perspektive einer Depressiven sehen, im Alltäglichen das Niederschmetternde erkennen und sich mitreißen lassen in die tiefen Abgründe ihres lebensverneinenden Gemüts. Ein ganz großer Ansatz, wie ich fand! Noch nie hatte sich jemand dem Thema Depression so konsequent gestellt!

Leider war meine Ansprechpartnerin Brigitte zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Drehbuchs schon im Mutterschutz und ihr Nachfolger Herr Hansen konnte dieser modernen Herangehensweise an ein sich langsam aus der Tabuzone herauswagendes Thema nicht viel abgewinnen. Seiner Meinung nach zeichnete sich das Drehbuch neben der schwer verdaulichen Thematik durch zu viel Gerede, zu viele Längen und zu wenig Handlung aus und sei mit diesen Zutaten leider nicht vermittelbar. Das waren seine Worte zu meinem zweiten Skript, die mich tief erschütterten! Ich glaube, ihm fehlt einfach der Zugang zu Inhalten, die eine Spur problematischer sind als „Die Waltons“ oder „Lassie“. Anspruchsvolle Fernsehunterhaltung ist einfach nicht sein Ding!

Nach dieser ebenso bedauerlichen wie unverständlichen Fehleinschätzung zu meinem zweiten Drehbuch hatte es ein wenig gedauert, bis ich mich so weit gefasst hatte, dass ich mein drittes Werk in Angriff nehmen konnte. Doch in diesem Skript, welches jetzt der Filmproduktionsfirma vorliegt, wird nicht nur viel geredet, sondern auch viel gehandelt! Die Heldin des Drehbuchs stößt in ihrer eigenen Familie auf ein perfekt verleugnetes, perfides Beziehungsgeflecht, welches sie nach und nach enttarnt. Es geht um Abhängigkeiten und Verstrickungen, die die einzelnen Personen auf unglückselige Weise aneinander ketten und die sich schließlich in Psychosen und Wahnvorstellungen der Heldin manifestieren. Es ist so faszinierend!

Ich weiß, dass man sich nicht selbst loben soll, doch ich finde, dass ich hier ein beeindruckendes Werk geschaffen habe. Diesem hochspannenden und gleichzeitig tiefenpsychologisch anspruchsvollen Drama wird sich kaum jemand entziehen können! Es wird beweisen, dass auch intellektuell fordernde, existenzielle Themen ihr Publikum finden können, solange sie kurzweilig aufgearbeitet sind. Selbst wenn Herr Hansen bestimmt nicht die optimale Zielgruppe für derart fundierte Drehbücher ist, so bin ich dennoch überzeugt, ihn mit diesem Stoff packen zu können. Von der ersten Szene an knistert die Spannung, die bis zum Schluss nicht nachlässt. Nervenzerfetzend! Von wegen schwer verdaulich! Hier ist die sukzessive Enthüllung unterschwellig wirkender Motive hinter ganz alltäglichem Handeln dramatisch wie ein Thriller. Da sage nochmal einer, dass anspruchsvolle Filme langweilig sein müssen!

Mit Vorfreude auf die anerkennenden Äußerungen des Producers sowie seine Botschaft, das Drehbuch dem Produzenten und Inhaber der Filmproduktionsgesellschaft bereits erfolgreich vorgestellt zu haben, der wiederum davon ausgeht, dass ihm die Fernsehsender diesen Stoff buchstäblich aus den Händen reißen werden, lese ich seine Mail weiter.

„… und bietet damit sicher eine überzeugende Grundlage für einen ambitionierten Film.

Jaja, schon gut, das wissen wir bereits! Nun sag‘ endlich, dass ihr das Drehbuch großartig findet und sicher seid, es einem TV-Sender verkaufen zu können!

Wie Sie wissen, ist der Markt der Fernsehunterhaltung hart umkämpft und für uns kommen deshalb nur Stoffe infrage, die sich bei einem größeren Publikum durchsetzen können. Wir haben Ihr Skript diesbezüglich ausführlich diskutiert. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir nicht davon überzeugt sind, …

Wie bitte? Was schreibt er da?

„… dass wir Ihr Werk bei einer der Anstalten, mit denen wir zusammenarbeiten, platzieren können, da es nicht ins übliche Anforderungsprofil passt. Bitte lassen Sie sich nicht entmutigen…

Das kann nicht sein Ernst sein!

Entgeistert prüfe ich die Betreffzeile der Mail: Doch da steht tatsächlich der Titel meines Drehbuchs. Und ich bin der Empfänger – ohne Zweifel! Diese Absage ist an mich gerichtet!

Ich brauche ein paar Sekunden, um den Inhalt der Nachricht zu erfassen.

Wie ist das möglich? Dieses Drehbuch, von dem ich hundertprozentig überzeugt bin und das alle Zutaten zu einem Straßenfeger in sich vereint, wird sang- und klanglos abgelehnt? Warum? Selbst wenn sich einem unbedarften Zuschauer die tiefenpsychologischen Momente nicht vollständig erschließen, so ist das Skript doch fast ein Thriller! Spannung pur!

Wie betäubt lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Ach, du Scheiße! Und jetzt?

Langsam dringt die Bedeutung der Mail in mein Bewusstsein, und was sie bedeutet, ist niederschmetternd! Die Absage konfrontiert mich unbarmherzig mit der Tatsache, dass ich trotz meiner Leidenschaft für Drehbücher und Theaterstücke und meine bisherigen kleinen Erfolge auf diesem Gebiet noch weit davon entfernt bin, aus meinem Hobby einen Beruf machen zu können. Hinzu kommt, dass das Geld, was ich mir zur Finanzierung meines Starts in die professionelle Drehbuchschreiberei zurückgelegt habe, nur noch ein paar Monate lang meine Ausgaben decken wird. Schon bald werde ich mir also eine andere Einkommensquelle suchen müssen, wenn es im Filmgeschäft nicht klappt. Und im Moment sieht es leider ganz danach aus!

Wie Blei legt sich diese Erkenntnis auf meine Schultern. Was, wenn mein Lebenstraum platzt, noch bevor er richtig angefangen hat? Was, wenn ich das Schicksal so vieler ambitionierter Drehbuchautoren teilen muss, die sich ihre Leidenschaft für Filme mit Aushilfsjobs in der Spülküche, Taxifahren oder schlimmstenfalls mit schlecht bezahlten Nachhilfestunden für frustrierte Schüler finanzieren müssen? Was, wenn ich nun wie sie die Aussicht auf ein auskömmliches Leben mit meiner Kunst begraben muss?

Entsetzlich!

Ich muss zugeben, dass ich durch mein langjähriges Angestelltendasein mit geregeltem Einkommen hoffnungslos verwöhnt bin. Bei aller Leidenschaft für Bühne und Leinwand bezweifle ich, dass meine Liebe groß genug ist, um meinen nicht üppigen, aber durchaus komfortablen Lebensstandard zu opfern, um zukünftig in einer engen, feuchten Kellerwohnung zu hausen und bei trocken Brot und ab und zu einem welken Salatblatt Drehbücher zu verfassen, die kein Mensch lesen, geschweige denn verfilmen will. Ja, ich muss zugeben, dass ich nicht einmal schlecht bezahlte Aushilfsjobs als Zukunftsperspektive akzeptabel finde, nur um mich weiter der Illusion hinzugeben, irgendwann ein Drehbuch, welches die Grundlage für einen bedeutenden Filmklassiker schafft, an einen Sender verkaufen zu können. Also was soll ich jetzt tun? Ist es an der Zeit, mich von der Drehbuchschreiberei zu verabschieden und mich wieder einem regulären Broterwerb zuzuwenden, so wie in meinem früheren Leben?

Meine Gedanken werden davon unterbrochen, dass mein Rücken schmerzt. Kein Wunder, so wie ich auf meinem Schreibtischstuhl zusammengesunken bin! Seufzend strecke ich meine Glieder und stehe auf. Ich muss nachdenken, und das kann ich am besten bei einem Becher Kaffee und einer Zigarette auf dem Balkon.

Ich gehe in die Küche, wo der braune, bratensaftähnliche Sud schon seit mindestens zwei Stunden auf der Warmhalteplatte vor sich hin brüht, als ich ihn endlich erlöse und in meinen fröhlich gelben Becher gieße. Fröhlich ist mir selbst leider gar nicht zumute! Ich öffne die Balkontür, die von der Küche auf einen kleinen, mit schmiedeeisernem Gitter begrenzten Platz im Freien führt. Kaum mehr als ein winziger Bistro-Tisch und zwei zierliche Stühle passen hierher. Ich setze mich auf den einen von beiden, stecke mir eine Zigarette an und lege meine Beine auf dem Geländer ab, was mein Rücken wieder nicht so toll findet, aber da muss er jetzt durch: Nur eine Zigarettenlänge lang!

Der Blick in die Ferne, knapp über die Dächer der umgebenden Häuser hinweg, beruhigt mich, sodass ich mich nach einigen Zügen von meiner Zigarette erneut auf meine Situation konzentrieren kann, um eine Lösung zu finden. Was soll ich tun? Soll ich wieder eine Anstellung in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens suchen, ähnlich dem Job, den ich vor meinem Ausstieg innehatte? Der Gedanke liegt nahe, doch mit Freude erfüllt mich diese Perspektive nicht.

Vor anderthalb Jahren habe ich noch so eine Stelle bekleidet. Die anfängliche Begeisterung für den Job war nach wenigen Jahren endgültig der Frustration gewichen – oder meiner Ankunft in der Realität, je nachdem, wie man es sehen will. Meine Ideen wurden nur allzu oft ausgebremst und stattdessen standen Intrigen unter Kollegen mehr und mehr auf der Tagesordnung. Spätestens nach der Fusion vor zwei Jahren, die mir einen neuen Chef, mit dem ich nicht warm wurde, neue Kollegen, die mich misstrauisch beäugten, und einen harten Überlebenskampf um die verbliebenen Aufgaben einbrachte, wurde es unerträglich. Eine kleine Erbschaft verschaffte mir gerade rechtzeitig den nötigen Freiraum, um mich von dieser ungemütlichen Situation zu verabschieden. Und was noch viel besser war: Sie verschaffte mir auch die Gelegenheit, einen lang gehegten Lebenstraum zu verwirklichen: endlich ein Drehbuch für einen richtigen Film zu schreiben!

Damals, also vor anderthalb Jahren, hatte ich gerade meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert und fand: Jetzt oder nie war der Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung gekommen! Ich war noch jung genug, um etwas aufzubauen, ich war flexibel genug, um Neues zu lernen, und idealistisch genug, um mich auf ein Abenteuer einzulassen, von dem meine Eltern und Freunde kopfschüttelnd abrieten. Doch der Erfolg, gleich für das erste Drehbuch schon den Produzenten eines Filmstudios begeistern zu können, gab mir ja sogar recht!

Zunächst jedenfalls.

Dann jedoch war der erfolgte Absprung des Senders und damit die Beerdigung meines Films nicht nur für meinen Ehrgeiz eine Riesenenttäuschung, sondern auch für mein Bankkonto. Das Honorar, das ich für die Vorarbeiten, insbesondere die wegen der Änderungswünsche des Produzenten und der Fernsehredaktion notwendigen Überarbeitungen, erhalten hatte, reichte gerade so eben aus, mein finanzielles Polster zur Lebensunterhaltung für zwei zusätzliche Monate zu sichern.

Doch nun neigen sich meine gesamten Ersparnisse dem Ende zu, und auf das Einkommen meines Lebensgefährten kann und will ich mich bestimmt nicht verlassen. Mich von einem Mann durchfüttern zu lassen, kommt nicht infrage! Schließlich sind wir nicht verheiratet und aus wirtschaftlichen Gründen würde ich ihn auch nicht an mich ketten wollen. Ich möchte meinen Liebsten als Partner und nicht als Versorger!

Konstantin … ich lächele bei dem Gedanken an ihn. Seit sieben Jahren sind wir nun schon ein Paar und seit fünf wohnen wir sogar zusammen in dieser großen, wenn auch durch die Schrägen sehr ungünstig zu möbilierenden Dachwohnung. Konstantin ist die Liebe meines Lebens! Ein wahr gewordener Traum! Groß, blond, gesegnet mit dem Aussehen eines Unterwäschemodels und immer bestens gelaunt!

Meistens jedenfalls.

Na ja, in letzter Zeit eher selten.

Das liegt jedoch nur an seinem Job, der momentan sehr belastend ist. Wenn sich ein wichtiges Projekt dem Ende neigt, dann steigt seine Anspannung ins Unermessliche, dann werden seine Arbeitstage immer länger und Konstantin immer wortkarger – bis der Auftrag endlich seinen guten Abschluss gefunden hat, der Druck von ihm abfällt und er wieder zum heiteren Sonnenschein wird!

Doch dieses Mal ist es leider besonders schlimm. Das Projekt und die damit verbundene, nur mit viel Liebe zu ertragende schlechte Laune meines Gefährten scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Seit Monaten schon befindet Konstantin sich im Ausnahmezustand, ist oft abwesend, gereizt und wortkarg.

Seufzend nehme ich einen Zug von meiner Zigarette. So richtig gut läuft es gerade bei uns beiden nicht. Ob es jemals wieder bessere Zeiten geben wird?

„Hanna, du bist undankbar!“

Kopfschüttelnd rufe ich mich zur Besinnung. Schließlich habe ich den Mann meines Lebens an meiner Seite. Wir wohnen zusammen, sind gesund und Geld ist auch genügend da. Okay, bei mir wird’s langsam eng, aber dann muss ich mir eben wieder einen normalen Job suchen. Stücke schreiben kann ich schließlich auch weiterhin, wenigstens ein bisschen, soweit es mein zukünftiger Broterwerb zulassen wird.

Ich seufze noch einmal und nehme einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette. Tränen steigen mir in die Augen. Ärgerlich darüber, so nah am Wasser gebaut zu haben, zwinkere ich sie weg. Doch dann gesellt sich zur Trauer ein flaues Gefühl im Magen. Die ungewisse Zukunft macht mir zu schaffen. Viel Zeit habe ich nicht mehr bis zum erzwungenen Abbruch meines Experiments. Und kann ich überhaupt davon ausgehen, eine Stelle in meinem angestammten Beruf zu finden? Heutzutage? Mit über vierzig?

Mir wird noch ein bisschen flauer im Magen. Was, wenn tatsächlich nur das Taxi bleibt? Oder die Nachhilfe?

Ich schüttele mich. Dann lieber Tellerwäscher in der Spülküche. Da habe ich wenigstens die Chance, den Beruf eines Millionärs von der Pieke auf zu lernen!

Meine Zigarette ist zu Ende. Ich stecke mir eine neue an und zwinge mich dazu, jetzt sofort eine Lösung für das Problem zu finden, wie ich meine Zukunft sichern kann! Leider führt dieses Ansinnen nur dazu, dass sich erneut angstvolle Visionen vor meinem geistigen Auge auftun, die immer wieder damit enden, dass ich ein kärgliches Lager unter einer zugigen Brücke beziehe ...

Schluss jetzt!

Ich ziehe die Notbremse und mein Gedankenkarussell kommt zum Stehen. Unwillkürlich schüttele ich mich, um die deprimierenden Bilder meiner Zukunft loszuwerden. Dabei erwacht mein Widerspruchsgeist. Wer sagt denn bitteschön, dass ich mich von nun an mit Aushilfsjobs herumschlagen und meinen Traum, als Drehbuchschreiberin zu arbeiten, begraben muss? Wer? Und vor allem warum? Schließlich kann ich Drehbücher entwickeln, und das gar nicht mal so schlecht! Hat nicht das sogar der Producer in seiner Absage bestätigt? Sprach er nicht von ausdrucksstarken Charakterbeschreibungen, treffsicheren Dialogen und einem konsequenten Aufbau „… wie wir es von Ihnen nicht anders gewohnt sind…“? Klingt so die Reaktion auf ein Drehbuch, die es nahelegt, nie wieder eines zu schreiben? Und außerdem: Wenn der Stoff von mir professionell umgesetzt wurde – was genau ist dann falsch an dem Skript? Wieso wurde es überhaupt abgelehnt?

Ich versuche mich daran zu erinnern, ob diesbezüglich etwas in der Mail stand, aber an eine Begründung kann ich mich nicht entsinnen.

Plötzlich kommt Leben in meinen zusammengesunkenen Körper. Mein Rücken strafft sich, ich nehme meine Beine vom Geländer, stelle meine Füße fest auf den Boden des Balkons und merke, wie meine Verzagtheit weicht. Warum soll ich mich entmutigen lassen von dieser Absage, wenn ich erklärtermaßen gute Drehbücher verfasse, von denen eines sogar fast schon mal zu einem Fernsehfilm wurde? Und was genau passt an einem Drehbuch nicht, wenn es doch angeblich so gut ist, dass der Film bereits beim Lesen vor dem geistigen Auge entsteht?

Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde es herausfinden! Und dazu werde ich wohl mal mit diesem Herrn Hansen von Friedberts Filmfabrik sprechen müssen. Der kann mich doch nicht einfach mit einer Standard-Absage abspeisen. Unmöglich! Die Mühe wird er sich schon machen müssen mir mitzuteilen, warum das Drehbuch nicht „ins Anforderungsprofil“ passt!

Meine Zigarette ist erst zur Hälfte geraucht, doch diese Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Energisch drücke ich die Fluppe im Aschenbecher aus, nehme meinen Becher mit in die Küche, schütte den ungenießbaren Rest von dem, was einmal Kaffee war, in die Spüle und schreite zur Tat, beziehungsweise in mein Arbeitszimmer, wo das Telefon auf meinem Schreibtisch darauf wartet, für Klarheit zu sorgen.

Ich unterbreche den Ruhemodus meines Rechners, indem ich den Bildschirmschoner mit der Maus zur Seite schubse. Dahinter zeigt sich sogleich die niederschmetternde Mail von Herrn Hansen. Noch einmal überfliege ich das vermaledeite Dokument, doch keine andere Nachricht als die bereits vernommene offenbart sich mir: Es ist immer noch eine Ablehnung meines Skripts. Und noch immer finde ich keine Begründung dafür!

Nach dem dritten Klingeln wird am anderen Ende der Leitung abgehoben.

„Hansen“, ertönt die Stimme des Producers.

Besonders zugänglich hört er sich nicht an, finde ich. Ich denke mit Sehnsucht an seine Vorgängerin. Vermutlich wäre das alles nicht passiert, wenn ich weiterhin mit Brigitte zu tun gehabt hätte. Vermutlich? Ganz sicher sogar! Brigitte hatte schließlich ein Händchen für Qualität! Und dieser Herr Hansen – wer ist das überhaupt? Wahrscheinlich nur der Praktikant vom Praktikanten, der auch einmal ein Drehbuch anfassen darf!

Ich fange an, Herrn Hansen nicht zu mögen, doch das muss warten. Schließlich, denke ich, sollte ich jetzt etwas sagen – vermutlich wartet er darauf.

„Hanna Wupper“, flöte ich ins Telefon. „Ich habe gerade Post von Ihnen bekommen.“

Ich meine ein Seufzen durchs Telefon zu hören, aber vielleicht täusche ich mich.

„Guten Tag, Frau Wupper“, höre ich ihn nach einer kurzen Pause sagen. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen keine günstigere Antwort geben konnten.“

Sie konnten mir keine günstigere Antwort geben“, verbessere ich ihn und betone damit, dass ich ihn und nicht das gesamte Filmproduktionsunternehmen für die Absage verantwortlich mache. Dann fällt mir ein, dass das vermutlich nicht ganz fair ist. Hat seiner Mail nach nicht das ganze Team über das Drehbuch diskutiert?

„Doch deswegen rufe ich nicht an. Oder eigentlich doch“, ich verhaspele mich, „also nicht wegen der Absage an sich, sondern wegen der Begründung. Die fehlt mir nämlich!“

Erneut meine ich ein nur unzureichend unterdrücktes Seufzen zu hören, und ich kann ihn verstehen. Mag sein, dass sogar Herr Hansen manchmal ein ganz netter Mensch ist und lieber Zu- als Absagen verteilt. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen, denn schließlich höre auch ich lieber Zu- als Absagen! Und da ich vorhabe, auch zukünftig Drehbücher zu schreiben, ist mir nun einmal daran gelegen zu verstehen, warum mein neuestes abgelehnt wurde. Wieder einmal!

„Liebe Frau Wupper, es tut mir wirklich leid, aber wie ich Ihnen bereits mailte, können wir … und ich natürlich auch“, betont er, „uns nicht vorstellen, dass wir einen Sender von den Vorzügen Ihres Stoffes überzeugen können. Außerdem wissen Sie ja, wie der Markt aussieht. Eine Anstalt für ein Drehbuch zu interessieren – noch dazu für eines von einem Neuling – ist nur mit viel Überzeugungs-arbeit möglich und …“

„Ist mir bekannt“, schneide ich ihm das Wort ab.

Hält er mich für so bekloppt, dass ich nicht weiß, wie umkämpft dieses Gewerbe ist, wie viele Drehbuchautoren es gibt und auf wie wenig Filme die sich verteilen müssen? Hier zu überleben gelingt nur den Besten der Besten der Besten – und oft nicht einmal denen.

„Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass mir das als Begründung unmöglich ausreichen kann, um meine zukünftigen Skripte – und ich hoffe, Sie verstehen das nicht als Drohung“, setze ich scherzhaft hinzu, „so zu gestalten, dass Sie diese bei einem Sender platzieren können. Also, woran genau liegt es, dass Sie mein Drehbuch ablehnen?“

Stille am anderen Ende. Ich warte ungeduldig. Wenn er mein Skript gelesen hat, dann muss er doch jetzt auch etwas dazu sagen können!

Tatsächlich meldet er sich nach einer Weile wieder zu Wort: „Es ist eine subjektive Entscheidung, die wir gefällt haben. Dabei spielt natürlich unser Portfolio eine Rolle und auch die Bedarfe der Anstalten, mit denen wir hauptsächlich zusammenarbeiten. Das möchte ich betonen! Bei einer anderen Filmproduktionsgesellschaft hätten Sie vielleicht mehr Erfolg. Sie könnten es einfach mal probieren …“

Für wen hält sich dieser Mensch eigentlich? Oder für was? Für unwiderstehlich? Glaubt er wirklich, dass ich das nicht versucht habe? Doch, wie Herr Hansen ganz richtig bemerkt, sind die Chancen, als Neuling irgendwo ein Drehbuch verkaufen zu können, ziemlich bescheiden. Bei der Firma, bei der unglückseligerweise Herr Hansen meine liebe Brigitte auf ihrem Posten abgelöst hat, habe ich wenigstens schon einmal mit einer Arbeit überzeugen können – mit einer ziemlich gelungenen, wie ich finde! Dass dieses Werk nicht verfilmt wurde, lag schließlich weder an mir noch an der Qualität meines Drehbuchs, sondern vielmehr an der Hasenfüßigkeit des Chefredakteurs des Senders! Möge er dafür in der Hölle schmoren!

Außerdem finde ich, dass Herr Hansen vom eigentlichen Thema ablenkt. Wütend falle ich ihm ins Wort.

„Selbstverständlich könnte ich das“, antworte ich spitz. „Verzeihen Sie bitte meine Begriffsstutzigkeit, aber warum wollen Sie mich unbedingt zu Ihrer Konkurrenz abschieben, wenn ich doch angeblich so gelungene Drehbücher verfasse? Wenn ich Ihre Mail richtig gelesen habe, dann sprechen Sie von einem professionell geschriebenen Skript, bei dessen Lektüre der Film bereits im Kopf abläuft. Soweit ich weiß spricht das für eine überzeugende Arbeit! Warum, um Himmels willen, wollen Sie sie dann nicht haben? Ist Professionalität für einen TV-Sender ein unzumutbares Qualitätsmerkmal oder haben Sie mich einfach angelogen?“

Ich gebe zu – der letzte Halbsatz klingt auch in meinen Ohren etwas unhöflich, aber so langsam reißt mir der Geduldsfaden.

„Nein, natürlich nicht“, gibt der Producer zurück und klingt jetzt selbst ein wenig ungeduldig. „Also gut, ich sage Ihnen, wie es ist.“

Er macht eine Pause. Ich warte gespannt – und auch ein bisschen ängstlich. Will er mir mitteilen, dass er meine Drehbücher so grottenschlecht findet, dass er lieber nie wieder etwas von mir hören, geschweige denn lesen möchte, und mir deshalb in seiner Verzweiflung andere Filmproduktionsfirmen schmackhaft macht? Habe ich meine Qualitäten so falsch eingeschätzt? Aber warum wurde mein erstes Drehbuch dann angenommen? Etwa aus Mitleid???

Herr Hansen unterbricht meine Gedanken.

„Sehen Sie – ich weiß nicht, was Brigitte geritten hat, sich so für Ihr erstes Skript einzusetzen. Ich meine das über diese Reisegruppe in Italien, deren Mitglieder plötzlich alle den Sinn ihres Lebens erkennen und sich in endlosen Selbstreinigungsprozessen ergehen, und das ganz ohne eine nennenswerte Handlung …“

Ich ziehe deutlich hörbar die Luft durch die Nase ein.

„Sie haben mich gefragt!“, verteidigt sich Herr Hansen energisch. Dann überlegt er es sich anders und seine Stimme nimmt eine weichere Färbung an.

„Vielleicht ist das zu hart formuliert“, gibt er zu. „Aber wie dem auch sei: Solche, die Psyche erforschenden Filme … wie soll ich sagen … die gibt es natürlich auch. Doch in den seltensten Fällen lassen sich damit Quotenerfolge erzielen, und das wissen die Sender. Deshalb ist es extrem schwierig, einen Interessenten für einen – na, ich sag’s mal vorsichtig – ‚anstrengenden‘ Stoff zu finden.“

Ich stoße die Luft geräuschvoll wieder aus.

„Besonders, so lange Sie noch nicht etabliert sind. Da gehen solche Themen gar nicht! Das nimmt Ihnen keine Redaktion ab.“ Nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Jedenfalls nicht noch einmal. Keine Ahnung, wie Brigitte das hinbekommen hat, dass Ihr Reisegruppen-Psycho-Drama überhaupt beim Sender diskutiert wurde!“

Ich fühle mich wie vom Lastwagen überfahren. Herr Hansen hält meine Drehbücher scheinbar ganz generell für unverkäuflich? Ich bin sprachlos. Ist der irre? Was glaubt er denn, was Brigitte und ich gemacht haben, damit die Redaktion bei meinem ersten Versuch Interesse zeigte? Nackig Handstand? Eine Hochschwangere und … und ich? Ich schüttele mich kurz. Wie krank muss jemand sein, um so etwas für möglich zu halten? Das muss ich erst einmal verdauen!

Nach einer Weile höre ich von Ferne eine Stimme zu mir sprechen.

„Sind Sie noch dran?“

Ich schlucke.

„Ja“, gebe ich zurück und merke, wie mir ein Frosch im Hals sitzt.

„Weinen Sie jetzt etwa?“, kommt es entsetzt aus dem Hörer.

„Nein“, fauche ich zurück, obwohl mir tatsächlich zum Heulen zumute ist. Ich fühle mich entsetzlich! Bis eben habe ich geglaubt, ich sei eine angehende Drehbuchautorin. Jedenfalls ein bisschen! Und nun bin ich nur eine Zeitverschwendung, die man lieber heute als morgen bei der Konkurrenz sehen würde!

„Solche Stoffe gehen nun einmal ganz schlecht“, erläutert mir der Mann, der eben mein mühevoll aufgebautes Selbstbild als Verfasserin intellektuell anspruchsvoller Drehbücher innerhalb von Minuten zerstört hat. „Das liegt nicht an Ihnen.“

„Woran liegt es dann?“, frage ich, redlich bemüht, jedes Zittern aus meiner Stimme zu verbannen.

„Am Stoff!“, gibt mein Gesprächspartner trocken zurück. „Ich sagte es bereits.“

Der hat Humor! Sein Leben ist ja auch noch heil – im Gegensatz zu meinem. Obwohl … vielleicht heißt das ja …

„Sie meinen also, wenn ich andere Themen verarbeitete, dann wären meine Skripte unter Umständen leichter vermittelbar?“

Ich traue mich kaum, diese Frage zu stellen, aus Angst, er könnte verneinen und meinen, dass es so oder so keinen Zweck hat und ich sollte das mit dem Filmgeschäft lieber lassen, weil Krankenschwester ja auch ein schöner Beruf sei, oder Gärtnerin oder weiß der Teufel was! Doch nun ist die Frage heraus und ich werde mir seine Antwort anhören müssen.

„Richtig.“

Ich stutze. Moment – hat Herr Hansen das gerade wirklich gesagt? Meint er das tatsächlich? Ich bräuchte nur einen anderen Stoff zu bearbeiten und hätte damit vielleicht eine Chance? Das soll das ganze Problem sein? Warum sagt er das nicht gleich!

„Und … und was sind das für Stoffe, die dafür sorgen könnten, meine Arbeit leichter zu vermitteln?“, frage ich vorsichtig. Noch kann ich nicht glauben, dass die Lösung meiner Probleme so einfach sein soll!

„Ich kann Ihnen natürlich nicht versprechen, dass Sie damit eine Garantie für die Verfilmung sozusagen schon in der Tasche haben“, wiegelt Herr Hansen eilig ab. Fast scheint es ihm leid zu tun, mir Hoffnungen gemacht zu haben. „Ich will nur sagen: Ja, Sie können Drehbücher schreiben, und sogar fernsehtaugliche! Könnten Sie das nicht, hätten Sie Brigitte niemals überzeugt. Wenn Sie es jetzt noch hinbekämen, sich einem Thema zu widmen, das sich auch einem größeren Publikum erschließt … vielleicht mit ein bisschen mehr Handlung, ein bisschen weniger Psychoanalyse, halt ein Drehbuch für einen unterhaltsamen Film, statt depressionsfördernder Kost …“

Ich sauge erneut hörbar Luft durch meine Nasenlöcher ein.

„…wenn es Ihnen also gelänge, sich einem publikumstauglichen Sujet zuzuwenden und das in ein amüsantes Drehbuch zu verpacken, das die Grundlage für einen Film bietet, den man gerne auch noch abends kurz vor dem Einschlafen sieht …“

Gleich werde ich ihn durchs Telefon ziehen, wenn er nicht aufpasst!

Ungerührt ob meiner gekränkten Künstlerseele fährt der Producer fort: „… ja dann – warum nicht? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Sie den Chef damit überzeugen könnten, und der wiederum einen Sender dazu bringt, das Wagnis einzugehen, mit einem noch unbekannten Autoren zusammenzuarbeiten und einen Film zu produzieren. Aber natürlich müssten Sie das Metier überzeugend bedienen! Ein gutes Drehbuch für eine leichte Liebeskomödie schreiben kann auch nicht jeder.“

„Eine Liebeskomödie?“, hake ich nach und schlucke meinen Unmut herunter über diesen unverschämten Schnösel, der mir gerade ziemlich deutlich an den Kopf geworfen hat, ich sei nicht amüsant und darüber hinaus nicht einmal unterhaltsam!

„Was genau verstehen Sie darunter?“

„Na ja, einen leichten Liebesfilm eben. Sowas geht immer!“, platzt Herr Hansen heraus.

Ich bin irritiert.

„Einen Liebesfilm?“, frage ich hilflos. „So etwas wie ‚Lovestory‘? Oder ‚Frühstück bei Tiffany‘?“

„Um Himmels willen – nun werden Sie doch nicht gleich schon wieder so intellektuell. Drei Nummern einfacher! Ich spreche von einer ganz normalen Liebesgeschichte, wie sie jeden Tag irgendwo um uns herum passieren kann. Sowas wie ‚Jenseits des Verlangens‘ oder ‚Liebeskummer lohnt sich nicht‘ oder eben irgendeine Verfilmung von Rosamunde Pilcher.“

Ich muss davon ausgehen, mich verhört zu haben. Das kann der Mann am anderen Ende der Leitung unmöglich gesagt haben! Herr Hansen trägt mir an, ein Drehbuch für einen waschechten Schundfilm zu schreiben? Mir? Der Frau, die souverän komplexe Charaktere und treffsichere Dialoge entwirft? Der Frau, die die Grundlage für einen psychologisch wegweisenden Film über die tiefen Abgründe in den Seelen ganz alltäglicher Menschen verfasst hat, die sich in der Abgeschiedenheit der italienischen Bergwelt auf ihren innersten Kern besinnen? Einer tiefsinnigen und feingeistigen Intellektuellen, die sich aufgemacht hat, die Qualität zurück ins Fernsehen zu bringen und Menschen und ihre berührenden Geschichten in ihrer ganzen Vielfalt, weit ab von den sattsam bekannten Stereotypen zu erzählen? Ich soll romantische Komödien schreiben? Liebesfilme? TV-Schmachtfetzen? Das ist schlimmer, als nicht unterhaltsam zu sein. Das ist vernichtend!

Ich japse nach Luft: „Das meinen Sie nicht im Ernst!“, keuche ich entsetzt in den Hörer.

Herr Hansen lässt sich davon nicht beeindrucken.

„Warum nicht? Bei so etwas wird gerne eingeschaltet. Und wenn das Skript gut geschrieben ist …“

„… gut geschrieben …“, wiederhole ich und ringe nach Luft. Wie soll denn so etwas auch noch gut geschrieben sein? „Gut geschrieben“ und „Liebesschnulze“ schließen sich aus!

„… dann sind möglicherweise sogar mehrere Sender dafür zu interessieren.“

Es ist mir unmöglich, darauf etwas zu erwidern. Ich fühle mich, als hätte mein Gesprächspartner mir angetragen, zukünftig Dialoge für Verkaufsshows von Miederwaren oder Diätprodukten zu verfassen, weil es zu mehr nicht reicht.

„Hallo?“, tönt es in mein Ohr. „Sind Sie noch da?“

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, huste ich empört in den Hörer. „Sie sind doch ein seriöses Filmstudio. Sie machen sich über mich lustig!“

Nun fängt mein Gesprächspartner an, Nerven zu zeigen. Er scheint nicht sehr belastbar zu sein.

„Meine gute Frau Wupper, dann schalten Sie doch mal Ihren Fernseher an! Am besten jetzt gleich. Was sehen Sie da auf allen Kanälen, wenn‘s nicht gerade als Telenovela getarnte Daily Soaps sind? Oder Doku-Soaps, Pseudo-Doku-Soaps, Reality Shows, Sitcoms oder eben einfach die niemals aus der Mode kommenden Arztserien?“

Er macht eine Pause, wartet jedoch meine Antwort nicht ab.

„Richtig! Genau solche Filme! Nennen Sie es Schundfilme oder meinetwegen Liebesschnulzen. Sowas verkauft sich! Davon können Filmproduktionsfirmen leben und Drehbuchautoren auch! Warum schreiben Sie eigentlich? Um sich selbst zu verwirklichen oder wollen Sie damit auch Geld verdienen? Diese Entscheidung müssen Sie wohl treffen – so wie es aussieht!“

Das sitzt.

Herr Hansen hat mein Problem in einfache Worte zusammengefasst, unmissverständlich und wahr. Wenn ich meinen Traum weiter leben will, dann werde ich wohl oder übel etwas ändern müssen. Dabei sind womöglich solche Drehbücher für leichtes Heile-Welt-Fernsehen mit möglichst viel Gefühl und möglichst wenig Verstand meine einzige Chance. Diese Erkenntnis trifft mich mit voller Wucht und raubt mir fast den Atem. Ich bin erschüttert!

Ungerührt fährt mein Gesprächspartner fort: „Es ist doch gar nicht so schwer. Im Gegenteil! Sie müssen keine durchgeistigten, anstrengenden Themen, die sowieso nur für schlechte Laune sorgen, in komplizierte Handlungen überführen. Verlassen Sie sich einfach auf das Erfolgsrezept von Hunderten von Autoren. Diese Art von Filmen funktioniert immer nach dem gleichen Muster, an das Sie sich nur halten müssen. Sie schaffen das!“

„Wie … immer nach dem gleichen Muster? Wie meinen Sie das?“, frage ich hilflos.

Dabei will ich das überhaupt nicht wissen. Es scheint mir undenkbar, mich mit dieser Art von Filmen auseinanderzusetzen. Aber wenn es tatsächlich meine einzige Chance sein soll, als Autorin Fuß zu fassen, habe ich dann eine Wahl? Trotzdem fühle ich mich momentan überfordert von dem Vorschlag, Skripte für Filme zu verfassen, von denen niemand, den ich kenne, zugeben würde, sie anzusehen. Wie macht man so etwas? Habe ich selbst überhaupt schon einmal eine richtige Schnulze von Anfang bis Ende gesehen? Aus rein professioneller Neugier natürlich?

„Meine Güte, Frau Wupper – sind Sie überhaupt noch von dieser Welt, oder leben Sie tatsächlich in so einem tiefenpsychologischen Paralleluniversum, wie Ihre Filmideen vermuten lassen?“

Eine Pause entsteht, in der der Producer deutlich hörbar schnauft.

„Es tut mir leid“, sagt er dann, „war nicht böse gemeint.“

Der Filmschaffende braucht etwas Zeit, um sich zu sammeln. Dann spricht er betont langsam und deutlich, als müsse er einer begriffsstutzigen Vierjährigen die Welt erklären.

„Also mal ganz von vorne: Was sind die Zutaten für einen richtig schönen Spielfilm, wo sie sich am Ende kriegen und alle glücklich sind?“

Er macht eine kurze Kunstpause, dann rattert er sein Wissen gelangweilt herunter wie früher mein alter Geschichtslehrer, wenn er sämtliche Gebietsgewinne und -verluste der preußischen Einigungskriege von 1864 bis 1871 herunterspulte.

„Es ist doch ganz einfach: Eine Frau, möglichst eine ganz normale Frau mit einem ganz normalen Leben, stolpert für sie völlig überraschend in eine große persönliche Katastrophe. Ehemann weg, Job weg, Freunde weg, Geld weg – was Sie wollen und soviel Sie wollen. Die Frau weiß nicht, wie ihr geschieht, und ehe sie sich versieht, ist von ihrem Leben nichts mehr übrig. Nach ein paar rabenschwarzen Szenen, wo sie wirklich von allen Seiten gegrillt wird, sich von jedermann verlassen sowie hoffnungslos dem Untergang geweiht fühlt, findet sie durch irgendein Ereignis neuen Mut und beschließt, sich ihrem Schicksal zu stellen. Sie ändert ihr Leben, erkennt, zu was für großartigen Leistungen sie fähig ist und dass alles gelingt, was sie anfasst, weil sie nun die richtige Einstellung hat. Dazu muss – und das ist ganz wichtig, Frau Wupper! – eine gehörige Portion Romantik in die Geschichte einfließen. Gerne ist es ein unnahbarer, geheimnisvoller Fremder, der zufällig just im finstersten Moment im Leben der Heldin den Schauplatz betritt. Er ist gemeinhin attraktiv, wirkt ansonsten jedoch schwer vermittelbar. Zumindest die Heldin findet ihn zunächst furchtbar – auch deshalb natürlich, weil sie von Männern nach ihrer grenzenlosen Enttäuschung mit ihrem Ex nichts mehr wissen will. Doch irgendwann zeigt der unnahbare Geselle seine groß-artigen Qualitäten, als er ihr bei passender Gelegenheit aus der Patsche hilft – ganz der bescheidene, wortkarge Held, für den das eine Selbstverständlichkeit ist. Nie hätte sie so etwas von dem Mann, mit dem sie zunächst nichts anzufangen wusste, erwartet! Sie sieht ihn in einem völlig neuen Licht und erkennt, dass Vieles, was sie zunächst über ihn dachte, nur ein Missverständnis war oder einfach eine Verzweiflungstat seiner gequälten Seele, die aus einem gebrochenen Herzen resultiert, denn auch er hat Schlimmes durchgemacht und …“

„Schon gut, schon gut, ich habe verstanden!“, brumme ich missmutig in den Hörer.

Oh je, was ist das denn für einer? Frönt Herr Hansen einer geheimen Leidenschaft für derartigen Schund? Als Mann? Wer mag ihn so zugerichtet haben? Vermutlich hat er eine schlimme Kindheit bei einer Mutter hinter sich, die sich schon vormittags mit US-Serien-Wiederholungen betäubte und dabei das Mittagessen anbrennen ließ!

Doch der Experte für die anspruchsbefreite Fernsehunterhaltung ist nicht so leicht zu bremsen.

„Sorgen Sie vor allem dafür, dass die Zuschauerinnen – ja, diese Art von Filmen wird nun mal bevorzugt von Frauen gesehen – sich mit der Hauptperson identifizieren können. Die Heldin muss so sein, wie sie auch sind, und ein Leben leben, wie sie es auch führen könnten. Dabei muss sie natürlich eine wunderbare Persönlichkeit haben: grundgut, sympathisch und dazu noch sehr hübsch, nur eben viel zu bescheiden, um ihre Reize in den Vordergrund zu stellen. Eben genau so, wie sich die Zuschauerinnen selbst auch sehen: eigentlich großartig, aber in ihren heimlichen Qualitäten verkannt. Obwohl die Heldin neben all ihren wunderbaren Eigenschaften natürlich auch ein paar liebenswerte Schwächen hat, sonst wirkt es zu unrealistisch. Aber vor allem“, der Producer holt tief Luft und macht eine bedeutungsvolle Pause, „selbst wenn ihr, also der Heldin, das eigene Leben um die Ohren fliegt und das Schicksal es überhaupt nicht gut mit ihr zu meinen scheint: Sie ist keinesfalls depressiv. Niemals! Sie verdrückt vielleicht ein paar Tränen und schimpft auf die ganze Welt. Sie ist von der Liebe enttäuscht und meinetwegen auch von der besten Freundin. Aber sie hängt maximal zwei Sequenzen lang durch! Sie ist frech und lebensklug und überhaupt niemals tiefgründig! Das will keiner sehen! Niemand will zuhören, wenn sie über die Welt philosophiert oder gar den Sinn des Lebens infrage stellt. Das interessiert niemanden! Also geben Sie ihr um Himmels willen eine komplett andere Persönlichkeit als Ihren sonstigen Heldinnen. Lassen Sie sie einfach ganz normal sein!“

Ich verdrehe die Augen und presse meine Lippen zusammen. Dieser Produzenten-Knecht zerrt gerade gewaltig an meinen Nerven! Darüber hinaus scheint er in seinem Redeschwall gar nicht mehr zu stoppen zu sein.

„Egal, wie schlimm es kommt und welches Unglück auch passiert: In einem Spielfilm, der wenigstens annähernd akzeptable Einschaltquoten erreichen will, ist immer alles lösbar. Es gibt ein Happy End, und das kann gar nicht glücklich genug sein. Und um das zu erreichen, braucht die Hauptperson nicht mehr als ein bisschen Mut und Tatkraft, denn die Fernsehwelt ist bunt und sie dreht sich und alles ist möglich!“

Herr Hansen bemüht sich wirklich sehr – das weiß ich zu schätzen. Seine Begeisterung für dieses Genre ist beinahe rührend! Doch es ist mir nun einmal unmöglich zu glauben, dass eine so lieblose Aneinanderreihung von belanglosen Klischees, die darüber hinaus schon seit Jahrzehnten die Film- und Fernsehwelt beherrschen, zu einem Quoten-Hit führen soll. Es gibt doch schließlich auch noch andere Spielfilme, die von billigem Herzschmerz weit entfernt sind!

Deshalb werfe ich mich mutig in die Bresche, um wenigstens einen Funken Qualität in die Geschichte einfließen zu lassen, die der in seiner Kindheit traumatisierte Heile-Welt-Fanatiker skizziert hat. Zumindest eine Winzigkeit Intellekt muss sein dürfen! Schließlich soll ich doch nicht für den Kinderkanal schreiben. Obwohl: Bernd das Brot sehe ich eigentlich immer ganz gerne …

„Aber es gibt doch schon Tausende von diesen Streifen. Muss sich nicht auch ein Liebesfilm zumindest an irgendeiner Stelle von all den anderen unterscheiden? Vielleicht könnte die Heldin wenigstens ein bisschen reflektiert sein. Wenn sie so eine schlimme Zeit durchleidet, dann kann es doch gar nicht anders sein, als dass ihr Elend sie nach einem psychischen Zusammenbruch zu einem tiefgreifenden inneren Wandel führt, innerhalb dessen sich ihr Weltbild komplett neu zusammensetzt …“

„Um Himmels willen!“, fährt mein Gesprächspartner mir über den Mund. „Nein! Auf gar keinen Fall! Kein Weltbild, nicht tiefgreifend und mit Sicherheit nicht psychisch! Das hat alles absolut gar nichts in einer TV-Romanze verloren! Dann können Sie es gleich lassen.“

Er hört sich ein bisschen hysterisch an, so als hätte ich etwas Unsittliches vorgeschlagen. Meine Güte, von ein wenig Realitätsnähe werden die Zuschauerinnen nicht gleich Blähungen bekommen oder gar daran sterben!

Doch ich gebe mich geschlagen. Ich weiß, wann ich verloren habe, und jetzt ist es soweit. Deshalb beschließe ich, ihn einfach reden zu lassen.

„Glauben Sie mir: Dieser Stoff kommt niemals aus der Mode, auch wenn er in über zehn Millionen unterschiedlichen Variationen, in allen Studios der Welt, mit allen nur erdenklichen Namen, Figuren und Frisuren der Heldin bereits verwurstet wurde. So und nicht anders funktioniert ein Spielfilm, bei dem die Zuschauer nicht entsetzt wegzappen oder Schlafstörungen bekommen. Und ich vermute, so ein Drehbuch zu schreiben ist zurzeit Ihre einzige Chance, ins Geschäft zu kommen!“

Ich weiß, dass er recht hat. Die Wahrheit ist furchtbar und dafür hasse ich ihn. Ich bezweifle, jemals wieder eine Drehbuchzeile schreiben zu können, aber etwas in mir sagt, dass sein Vorschlag wirklich der einzige Weg ist, dem feuchten Kellerloch und dem welken Salatblatt zu entgehen. Deshalb nehme ich mir vor, zumindest ernsthaft darüber nachzudenken, das Undenkbare zu tun. Etwas, wofür mich keiner meiner Bekannten jemals wieder auf der Straße grüßen wird und was außerdem der Grund dafür sein wird, dass meine Eltern mich verleugnen werden. Aber ich habe vermutlich keine Wahl: Ich werde versuchen müssen, einen Schundfilm zu schreiben!


*


Die Dämmerung hat schon lange eingesetzt. Dicke Wolken verdunkeln den Himmel zusätzlich, weil aus dem sonnigen Spätsommertag ein nasskalter Herbstanfang geworden ist. Auf einmal peitscht der Wind auch noch Regen auf das Dachflächenfenster über meinem Schreibtisch. Erstaunt blicke ich auf, als ein Blitz über den Himmel zuckt. Ich habe gar nicht bemerkt, was für ein Unheil sich da draußen zusammenbraut. Vermutlich liegt es daran, dass das nichts ist im Vergleich zu meiner Laune!

Schon seit Stunden brüte ich vor mich hin und starre auf den leeren Bildschirm, einen halben Meter vor meinem Gesicht. Ein kleiner, schmaler, schwarzer Balken blinkt auffordernd in der oberen linken Ecke und versucht mich anzutreiben, doch bitte endlich etwas zu schreiben. Aber ich kann nicht, denn mein Kopf ist wie leer gefegt. Nur ganz weit hinten, in einem kleinen Winkel meines Hirns, jagen sich die Gedanken und fabrizieren wirres Zeug, weil ich mir nicht einmal mehr die Mühe mache, sie einzufangen und in sinnvolle Bahnen zu lenken. Ich nehme an, ich stehe unter Schock!

Der Balken blinkt immer noch. Ich schiebe mir den letzten Schokoriegel in den Mund, dann ist die Packung leer, die heute Vormittag noch nicht einmal angebrochen war. Ich werfe einen prüfenden Blick zum Aschenbecher: Ich glaube, einen Stummel könnte ich noch unterbringen, bevor sein Fassungsvermögen endgültig erreicht ist. Die Schachtel beherbergt nur noch zwei Zigaretten. Heute habe ich es definitiv übertrieben mit meiner Qualmerei! Ich zünde mir trotzdem eine von beiden an.

So kann es nicht weitergehen. Ich muss mich entscheiden: Will ich ernsthaft versuchen, ein Drehbuch zu verfassen, das zwar unterhalb jedes für mich denkbaren Niveaus liegt, das aber wenigstens die Chance auf eine Verfilmung in sich birgt? Oder will ich gleich jetzt die Jobbörsen im Internet nach passenden Angeboten durchforsten? Vielleicht habe ich Glück und gerade heute steht ein Stellenangebot im Netz, das zu meinem beruflichen Profil passt?

Ich kann mich nicht dazu durchringen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Stattdessen starre ich weiter regungslos auf den blinkenden Cursor in dem hellgrauen Viereck. Er wartet. Leider habe ich nicht die geringste Ahnung worauf, beziehungsweise welche Buchstabenkombination ich ihm über die Tastatur anbieten soll, damit er den Anfang eines Films daraus macht. Einer schlechten Liebeskomödie. Ich seufze. Wie, um Himmels willen, fange ich so eine Klamotte an?

Entschlossen, nun endlich etwas zu schreiben, und sei es auch nur abwegiger Blödsinn, wage ich einen gedanklichen Vorstoß.

Zunächst einmal brauche ich die Hauptfigur, die Filmheldin. Die Worte des Producers kommen mir in den Sinn, dass solche Filme meistens von Frauen gesehen werden und dass diese sich mit der weiblichen Hauptrolle unbedingt identifizieren können sollen. Also muss die Protagonistin eine ganz normale Frau sein. Hm. Aber wie sieht eine normale Frau überhaupt aus?

Eigentlich müsste ich mir über ihr Aussehen überhaupt keine Gedanken machen, denn das spielt keine Rolle – jedenfalls nicht beim Verfassen eines Drehbuchs. Ich könnte ihr in der knappen Personenbeschreibung des Exposés ein Windhundgesicht, abstehende Ohren und die Figur eines südvietnamesischen Hängebauchschweins verpassen – und für einen Moment gerate ich in Versuchung, genau das zu tun! – doch das ist irrelevant. Das Aussehen wird bei der Besetzung der Rolle entschieden, und da wollen sich die Produzenten, TV-Redakteure, Regisseure und wer sonst noch alles am Set wichtig ist, bestimmt nicht von mir hineinreden lassen. Aber ich brauche ein Bild, eine Vorstellung von dieser Frau, denn in meiner Fantasie muss sie zum Leben erweckt werden. Ich muss vor mir sehen, wie sie sich bewegt, wie sie sich gibt, wie sie spricht, wie sie lacht und überhaupt wie sie ist.

Doch schon an dieser an sich vollkommen unspektakulären Herausforderung droht meine Vorstellungskraft zu scheitern. „Eine ganz normale Frau“ hat Herr Hansen gesagt. Was genau könnte er darunter verstehen?

Unwillkürlich werfe ich einen Blick nach oben ins Dachflächenfenster über meinem Kopf, das ein etwas unscharfes Bild von mir zurückwirft. Könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

Mein eigenes schmales, blasses Gesicht mit tiefdunkelbraunen Augen starrt mich an. Meine glatten, dunkelbraunen Haare sind zu einem Zopf zurückgebunden und ein dichter Pony fällt mir in die Stirn und gibt meinem Gesicht etwas Mondänes – jedenfalls hat das meine Friseurin gesagt, als sie mich zu diesem Schnitt überredete. Ich selbst finde mich nicht so mondän, aber der Pony gefällt mir! Meine Figur, na ja, ein bisschen fülliger sind meine 1,72 Meter schon geworden, seit ich meinem Job Adieu gesagt habe. Die Taille war schon schlanker und die Oberschenkel sind etwas stämmig geworden. Aber haben nicht alle Frauen Gewichtsprobleme, manche vielleicht auch nur eingebildete? Dann könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

Zumindest das mit dem Gewichtsproblem finde ich überzeugend. Ich notiere im Geiste: Die Hauptfigur ist mollig. Natürlich nur ein ganz klein wenig, denn sie muss ja andererseits auch umwerfend schön sein, was sie selbst in ihrer grenzenlosen Bescheidenheit nur nicht erkennt. Sie macht nicht viel aus sich, sie ist „natürlich“, mit Jeans und Pullover, Hauptsache praktisch, ohne viel Schnickschnack. Erst später wird sie zu einem zauberhaften Schwan werden, einer Schönheit, der sich kaum ein Mann entziehen kann, und schon gar nicht der Held, der schon lange ihre körperlichen Vorzüge erahnte, von denen sie selbst nie Notiz nahm.

Huch!

Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass ich plötzlich genau so denke, wie man denken sollte, wenn man vorhat, eine durchschnittliche Wald-und-Wiesen-Liebesgeschichte fürs Fernsehen zusammenzubasteln. Beängstigend! Ich bin also auf einem guten Weg.

Plötzlich kommt Leben in meine Gehirnwindungen und im Geiste wird meine Filmheldin geboren: Eine Frau, ein bisschen jünger als ich – vielleicht Mitte dreißig? Das hört sich besser an als Anfang vierzig. Außerdem würde ich mich mit Hauptpersonen ab vierzig im Seniorensegment für Liebeskomödien befinden, und die funktionieren meinen spärlichen Erfahrungen als Zuschauer nach völlig anders als das, was Herr Hansen sich vorstellt, und zwar so, dass man sich stets eine betuliche Inge Meysel in der Hauptrolle vorstellen kann!

Ich versuche die Bilder aus meinem Kopf zu kriegen, die gerade entstanden sind. Reiß‘ dich zusammen, Hanna!

Also, die Filmheldin ist Mitte dreißig. Viel jünger sollte sie auch nicht sein, denn es soll ja kein Teenie-Film werden. Schließlich hat Herr Hansen von Fernsehsendern und nicht von einem YouTube-Kanal gesprochen.

Hm, und wie weiter?

Ich denke, die Heldin sollte einsfünfundsechzig Meter groß sein. Ich habe gelesen, dass das die Durchschnittsgröße deutscher Frauen ist. Ich finde das zwar erschreckend winzig, denn ich finde mich schon zu klein mit meinen einszweiundsiebzig, aber darum geht es hier nicht. Es geht um die Norm, und die ist am besten mit dem Durchschnitt abzubilden.

Dann fällt mir ein, dass für die weibliche Hauptrolle sicher eine Blondine ausgesucht wird. Blond passt einfach gut zur Heldin einer harmlosen Liebeskomödie. Schließlich ist die Heldin die Gute, und seit jeher sind die Blonden die Guten und die Brünetten die Bösen – jedenfalls in der Art von seichter Unterhaltung, die ich hier zusammenschreiben muss. Ich hingegen mit meinen dunklen Haaren, dem blassen Teint, dem schmalen Gesicht und den ernst dreinblickenden Augen würde bestenfalls in der Verfilmung eines literarischen Klassikers aus dem neunzehnten Jahrhundert die Heldin sein können. Bei einem in der heutigen Zeit angesiedelten LonA – Liebesfilm ohne nennenswerte Aussage – würde der Produzent niemals jemanden wie mich zur engelsgleichen Heldin ohne Fehl und Tadel machen!

Also fasse ich zusammen: Die Heldin hat blonde Locken, eine sehr frauliche Figur mit etwas Bauch und vielen weiblichen Rundungen, denn Weiblichkeit ist bei dieser Art von Filmen ein Muss! Und sie heißt … ach je! Wie heißt denn so jemand?

Nachdenklich kaue ich auf meinen Nägeln herum. Ein passender Name für die Protagonistin einer TV-Romanze muss her! Nicht zu modern, nicht zu altbacken. Wohlklingend, aber nicht zu verspielt, weil sie ja schon blonde Locken hat und in meiner Fantasie aussieht wie eine Putte aus dem Weihnachtssortiment eines Deko-Geschäfts. Oder wie meine ehemalige Kollegin vom Empfang meiner alten Arbeitsstelle, die sich nur für ihr Aussehen und den schönen Herrn Schubert aus dem Controlling interessierte und sich gerne hinter dem Tresen die Nägel lackierte. Wie hieß die noch gleich?

Sibille! Sibille ist gut. Vermutlich guckt so eine auch Liebesfilme?

Der Name passt also. Sie heißt Sibille. Sibille König. Genau! Das hört sich doch schon vielversprechend nach einem schlechten Film an! Außerdem wird sie von allen liebevoll „Billie“ gerufen.

Ich muss mich in Gedanken übergeben. Schrecklich! So eine gequirlte Hundeka… ähm … häufchen! Was mache ich hier eigentlich?

„Deinen Lebensunterhalt sichern“, antwortet mir eine Stimme in meinem Kopf. Sie hört sich ein bisschen wie die meiner Mutter an, was mich erstaunt. Denn unter „Lebensunterhalt sichern“ versteht meine Mama ganz sicher etwas anderes, als sich der Illusion hinzugeben, eine erfolgreiche Drehbuchautorin zu werden!

Ich schlucke, aber recht hat sie, die Stimme. Weiter geht‘s! Was ist der Plot, also das Handlungsgerüst des Films? Worum dreht es sich? Und wie fange ich die Geschichte an?

Die Worte von Herrn Hansen drängen sich mir auf: Die Heldin steckt in der Klemme und ihr ganzes Leben gerät aus den Fugen. Mann weg, Haus weg, Job weg, selbst Freunde hat sie keine.

Hm. Das ist ja echt blöd! Wie soll denn das alles passieren, und auch noch gleichzeitig? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Was, um Himmels willen, muss geschehen, um so ein fatales Ergebnis hervorzurufen?

Ich lehne mich zurück und überlasse es meinem Unterbewussten, Bilder zu dem Thema zu entwickeln. Hmmm … vielleicht hat ihr Mann einen schweren Unfall? Die Nachricht von seinem Unglück bekommt sie telefonisch, als sie gerade bügelt – sein blütenweißes Hemd, das er am nächsten Tag ins Büro anziehen will! Oh ja! Ich sehe es direkt vor mir: Bester Dinge und von nichts als dem alltäglichen Einerlei beschwert, steht Sibille mit einem fröhlichen Lächeln am Bügelbrett in ihrem schicken Wohnzimmer mit den riesigen Fenstern, die den Blick auf einen hübschen Garten freigeben. Eine kleine Idylle! Nichts rasend Schickes, aber hell und gemütlich, eben ein ganz normales Zuhause für ein sympathisches Pärchen. Sie summt vor sich hin, bearbeitet gut gelaunt das weiße Hemd auf dem Bügelbrett und will gerade zum Wäschesprenger greifen, als das Telefon klingelt.

Auf meinem Bildschirm entsteht die erste Szene:


1 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Wohnzimmer, hell, gemütlich, mit großen Fenstern, dahinter Garten. SIBILLE, Mitte 30, hübsch, drall, blond, bügelt ein weißes Herrenoberhemd. Das Telefon klingelt. Beiläufig greift sie nach dem Hörer und flötet gut gelaunt:

SIBILLE: Sibille König, Hallo!

Sibille klemmt den Hörer zwischen Kopf und Schulter, während sie resolut weiterbügelt. Dann verändert sich ihre Miene: Erst guckt sie erstaunt, dann zeigt sich das nackte Entsetzen auf ihrem Gesicht.

Sibille vergisst das Bügeleisen und lässt es auf dem Hemd stehen. Erst dampft es nur, dann beginnt es zu qualmen.


Genau so! Und jetzt zoomt die Kamera ganz nah an das Bügelgerät heran, damit auch niemandem entgeht, was da gerade Schicksalhaftes geschieht. Ich schreibe:


NAH

Das Bügeleisen steht auf dem Hemd, vorne, in Brusthöhe, dort, wo sonst das Herz ihres Liebsten unter dem Stoff pocht!


Was für eine schaurig-kitschige Symbolik! Mann, ist das schlecht! Begeistert schreibe ich weiter.


2 AUSS. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Sibille stürzt Hals über Kopf aus der Haustür und rennt zu ihrem Fahrrad, das vor dem Haus steht.


3 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

Um den Fuß des Bügeleisens herum brutzelt und schmurgelt es. Schwarzbraune Ränder zeigen, dass das Hemd definitiv nicht mehr zu retten ist ...


… und das Bügelbrett gleich auch nicht mehr, weil das als nächstes dem vergessenen heißen Eisen zum Opfer fällt. Später, wenn Sibille nach einem langen, tränenreichen Abend bei ihrer Freundin, zu der sie sich in ihrer Verzweiflung geflüchtet hat, zurückkehrt, werden von dem kleinen Häuschen am Stadtrand nur noch die Grundmauern stehen.

Na, es geht doch!

Obwohl – mir fällt ein, dass die Filmheldin eigentlich auch keine Freundin mehr haben darf. Schließlich ist sie richtig am Ar… ähm … sie steckt sozusagen kopfüber in der Sch…üssel und hat nichts und niemanden mehr, bei dem sie sich ausheulen kann. Nicht einmal ihren Hamster, denn den hat sie beim Bügeleisen zurückgelassen!

Ich streiche das mit dem Hamster. Das gibt nur wieder Ärger mit Tierschützern. Aber das Problem bleibt: Wie kriege ich es hin, dass Sibille nicht einmal mehr eine Freundin hat? Hm. Streiten die beiden? Aber wer streitet schon mit einer Frau, deren Mann gerade bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen ist?

Dazu fällt mir nichts ein. Frustriert lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Es ist wohl doch nicht so einfach, wie ich anfangs dachte. Einerseits brauche ich eine komplett überzogene Story, in der wirklich das ganze Leben der Heldin restlos in Bergen aus Schutt und Asche versinkt, andererseits sagte der Producer, dass die Geschichte wie aus dem Leben gegriffen sein soll – so, als könne das Ganze jedem jederzeit passieren. Wie soll das gehen?

Eine beängstigende Leere scheint sich erneut in meinem Kopf ausbreiten zu wollen und ich frage mich, wie es mir gelingen soll, mich in eine völlig unrealistisch katastrophale Situation hineinzudenken, wenn ich so etwas nicht kenne, weil in meinem Leben alles gut ist: Ich habe einen Partner, eine Wohnung, bin gesund und habe Freundinnen. Bei mir ist alles in bester Ordnung!

Jaja, gut, okay, es könnte besser laufen. Ein Drehbucherfolg, der mein Dasein durch Einkünfte bereichert, wäre schön, um nicht zu sagen notwendig. Doch ansonsten ist alles bestens! Fast würde ich sagen unspektakulär. Beinahe langweilig. In meinem Leben gibt’s keine Dramen, und eigentlich finde ich das auch ganz gut so! Als Vorlage für einen kitschigen Liebesfilm, wo die Heldin alles, außer den Hamster, weil sie keinen hat, verliert, ist es jedoch nicht zu gebrauchen. Doch wie kann dann eine ganz alltägliche Katastrophe aussehen, wenn zumindest bei mir Katastrophen nun einmal nicht alltäglich sind?

Stöhnend lasse ich meinen Kopf in die Hände fallen. So wird das nix! Ich muss anders an die Sache herangehen, und zwar muss ich mich fragen …

Genau! Ich muss mich fragen, was in meinem Leben passieren müsste, damit es zu einem katastrophalen Chaos wird. Jetzt. Hier. Von diesem Stuhl, dieser Wohnung, diesem Moment aus. Wie würde mein Leben in einem Film aussehen, wenn es hier und jetzt explodierte?

Ich schlucke. Was für eine Vorstellung! Doch es hilft nichts, da muss ich durch. Außerdem passiert es ja nicht wirklich. Ich muss es mir nur vorstellen!

Hm. Zunächst einmal würde ich vermutlich meinen Mann – beziehungsweise meinen Lebensgefährten, denn wir sind nicht verheiratet – verlieren.

Schmerzhaft verziehe ich das Gesicht. So etwas mag ich mir nicht einmal vorstellen! Sterben dürfte er auf gar keinen Fall. Aber was dann? Bliebe nur, dass er mich betrügt. Ich grinse in mich hinein, denn mein Konstantin hat nicht das geringste von einem Fremdgeher! Auch wenn er sehr attraktiv ist, groß und schlank, mit einem furchtbar sympathischen Lächeln, strahlend blauen Augen ... ich lächele glücklich vor mich hin ... so zeigt er trotzdem nicht die geringsten Ambitionen, das auszunutzen. An ihm ist so gar nichts Verwegenes, in seinem Blick ist nichts Verschlagenes und sein Verhalten ist kein bisschen geheimnisvoll. Kann so ein Mann eine Frau hintergehen? Niemals! Und außerdem glaube ich nicht, dass ein Mann, der es verdient, dass man ihn liebt, überhaupt in der Lage ist, eine so großartige Frau wie meine Filmheldin zu betrügen!

Doch leider zählen solche Spitzfindigkeiten nicht. Wenn der Mann der Hauptperson nicht sterben soll, dann muss er sie betrügen und verlassen. Punkt.

Erst zögernd, dann immer zuversichtlicher, entwickele ich die Handlung auf meinem Bildschirm: Sibilles Mann Karsten – Karsten König hört sich super an für eine TV-Romanze! – fängt ein Verhältnis an, wovon sie, Sibille, die alle nur liebevoll „Billie“ rufen, nichts ahnt. Dabei stellt er sich noch nicht einmal sehr geschickt an, um seine aushäusige Liebschaft zu verheimlichen. Die Zuschauerinnen werden ihm sofort auf die Schliche kommen! Sein abwesender Blick, wenn Sibille sich an ihn schmiegt, das verräterische Zusammenzucken, wenn sein Smartphone klingelt, und dann vergisst er auch noch, dass sie zu ihrem Jahrestag ins Theater gehen wollten. Viel zu spät kommt er heim, während sie vor dem Spiegel schon die Ohrringe anlegt, als letzten Handgriff, bevor sie startklar ist. Nölend fragt er, ob dieses Event, auf das sie sich so sehr gefreut hat, denn wirklich sein muss. Und während vor dem Bildschirm bei Prosecco und Schokolade die Stirn gerunzelt wird und jeder halbwegs versierten Zuschauerin klar ist, was die Uhr geschlagen hat, ist Sibille, die dusselige Kuh, beziehungsweise die naive Ehefrau, voll des Verständnisses für ihren hart arbeitenden Gatten und ahnt nichts. Dafür ist sie viel zu gutmütig, glaubt zu fest an die Liebe ihres Lebens und kann sich einen solchen Verrat von dem Mann, der ihr die ewige Treue geschworen hat, nicht vorstellen!

Während ich den treulosen Ehemann und seine treudoofe Gattin an meinem Rechner skizziere, schmunzele ich vor mich hin. So ein Blödsinn! Wie soll eine Frau so naiv sein, dass sie nicht merkt, wenn der eigene Mann sich umorientiert? Meinetwegen – in einem sinnentleerten Schundfilm ist das wohl möglich. Aber im wahren Leben würde jede Frau, die nicht ganz doof ist, ihrem Gatten schnell auf die Schliche kommen. Alleine schon deshalb, weil Frauen viel sensibler sind für Veränderungen im Verhalten oder im Tonfall ihres Liebsten, und erst recht für einen verräterischen Duft am oder einen Fleck auf dem Hemd! Außerdem sind sie misstrauischer, weil sie selbst auch viel gerissener sind, als Männer es mit ihrer fantasielosen Art sein können. Und da sich so eine Affäre nur selten in fünf Minuten zwischen Tür und Angel oder in der Besenkammer abspielt, braucht man Zeit und hinterlässt Spuren. Beides ist verräterisch und bringt die Sache unweigerlich ans Licht!

Missbilligend schüttele ich den Kopf. Doch trotz meiner Zweifel an der Logik der Geschichte muss ich Sibille so anlegen, dass sie selbst bei den gröbsten Schnitzern ihres Gatten zunächst nichts von seinen Umtrieben bemerkt. Nur die Zuschauerinnen werden ahnen, was da außerhalb des ehelichen Schlafgemachs vor sich geht!

Nach und nach baut sich die Handlung um die Heldin und ihren ehebrecherischen Gatten in meiner Vorstellung auf. Ich sehe die beiden vor mir, in ihrem schicken kleinen Häuschen in einer beschaulichen, von Bäumen flankierten und mit Kopfstein gepflasterten Straße. Das perfekte Paar in einer perfekten Umgebung. Sympathisch und bei Nachbarn und Kollegen gleichermaßen gut gelitten – jedenfalls sie.

Dann stelle ich mir Sibille vor, die nette, hübsche, beliebte kleine Blondine, wie sie wie jeden Tag das Haus verlässt, tief Luft holt um die morgendliche Frische zu genießen, bevor sie mit einem fröhlichen Gruß an den Rentner von nebenan, der gerade seine Rosen schneidet, aufs Fahrrad steigt und zur Arbeit fährt.

Fahrradfahren ist gut! Es zeigt Sibille umweltbewusst, naturverbunden und außerdem herrlich bescheiden.

Ihr Karsten ist da natürlich ganz anders! Gestresst und mit Blick auf seine teure Armbanduhr eilt er aus dem Haus, verschwendet keinen Blick an seine Umgebung und schon gar nicht an den alten Nachbarn von nebenan, der die Hand zum Gruß hebt und sogleich enttäuscht wieder sinken lässt, weil er realisiert, dass Karsten nur Augen für die Fernbedienung seiner Garage hat, in der sein Sportwagen auf ihn wartet. Nachlässig wirft der Ignorant seinen Mantel und die Aktentasche auf den Beifahrersitz und setzt mit so viel Schwung rückwärts aus der Garage, dass er fast eine junge Mutter mit Kinderwagen rammt, die gerade an seiner Einfahrt vorbeigeht. Die junge Frau und der Rentner schütteln nur den Kopf über so viel Rücksichtslosigkeit, während Karsten – ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, wie er nun einmal ist – nichts von all dem bemerkt. Mit aufheulendem Motor düst er die eben noch beschaulich friedliche Straße hinunter, die auch gleich darauf wieder in ihren Dornröschenschlaf versinkt.

Es leben die Stereotype! Hier reicht bereits eine kurze Szene, um alles über ein Paar zu wissen, weil es glücklicherweise schon tausende von Filmen mit arroganten Anzugträgern wie ihm und unschuldigen jungen Frauen wie ihr gibt. Eigentlich ist nun alles gesagt und den Rest kann man sich denken. Aber es gilt ja noch die verbleibenden achtundachtzig Minuten zu füllen, und das am besten so, dass die Geschichte, die jetzt sowieso schon jeder im Kopf hat, ohne nennenswerte Irritationen bis zum glücklichen Ende ablaufen kann.

Ich grinse in mich hinein. Man stelle sich einmal vor, dass tatsächlich die nächsten sechsundachtzig Minuten wie allseits erwartet ablaufen und erst ganz zum Schluss Sibille plötzlich die Kettensäge anwirft, um ihrem Gatten ihre Argumente zu verdeutlichen, oder Godzilla einen Gastauftritt hat. Für mich wäre das ein Grund, wieder mehr fernzusehen! Doch leider ist das undenkbar und deshalb wende ich mich seufzend dem klassischen Handlungsschema zu.

Die nächste Einstellung zeigt Sibille, als sie ihr Rad vor einem großen, gläsernen Bau in der Innenstadt abschließt. Hier arbeitet sie, und der Einfachheit halber wird sie sich auch hier verlieben, nämlich in ihren Chef. Und der ist ... Au ja, der ist der Chef der PR-Abteilung! Das ist gut! Da kann ich aus dem Vollen schöpfen – schließlich habe ich selbst jahrelang in so einer Krabbelgruppe für Verhaltensgestörte gearbeitet. Eine sich langsam am Arbeitsplatz entwickelnde Romanze dürfte für mich nicht schwer zu konstruieren sein!

Ich erinnere mich an die Ausführungen von Herrn Hansen und lasse Sibilles Vorgesetzten erst einmal recht unsympathisch und kaltschnäuzig daherkommen, weil sich das schickt für den männlichen Helden. Am Ende wird sich das natürlich als Missverständnis herausstellen, wenn er zum wahren Gentleman und liebestollen Romantiker wird, der alles für die Frau seines Herzens tun und sie auf Händen tragen wird. Wahre Helden machen das sogar dann, wenn die unwiderstehliche Heldin ein paar Kilo zu viel auf den Hüften hat!

Ich bin begeistert von meinen Ideen. So passt es!

Mit großem Engagement haue ich in die Tasten und der Bildschirm füllt sich mit Buchstaben. Ich schaue erst wieder auf, als ich einen Schlüssel im Schloss der Wohnungstür höre. Schockiert stelle ich fest, wie leicht es mir plötzlich gefallen ist, mich in das Geschehen hineinzudenken. Widerwillig muss ich zugeben, dass es mir sogar Spaß gemacht hat, diese völlig abgehobene Geschichte, die jedoch realitätsnah wie aus dem wahren Leben gestohlen daher kommen muss, aufzuschreiben.

Ich schaue auf die Uhr rechts unten am Bildschirmrand. Was, schon so spät? Es ist bereits nach zehn. Mist! Eigentlich wollte ich etwas zu Essen vorbereitet haben, wenn Konstantin nach Hause kommt. In letzter Zeit verwöhne ich ihn gerne mit Aufmerksamkeiten, weil er so viel arbeiten muss und am Ende eines langen Tages kaum noch in der Lage ist, auch nur ein einziges Wort von sich zu geben.

Schnell speichere ich meine Ideen ab und fahre den Rechner herunter. Dann laufe ich in den Flur, um den Helden meines eigenen Lebens zu begrüßen. Dankbar dafür, dass er weder Sibilles Mann noch ihrem Chef ähnelt, falle ich ihm um den Hals.

Der Schundfilm meines Lebens

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