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III.

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Um sechs Uhr am andern Morgen hieß es: Aufgestanden! Da galt kein langes Besinnen, und wenn die jungen Glieder noch so sehr vom Schlafe befangen waren, es wurde keine Gnade geübt. Ilse pflegte daheim bald früh, bald spät aufzustehen, wie sie gerade Lust hatte. Einer bestimmten Ordnung, wie sie die Mama so sehr gewünscht, hatte sie sich nicht fügen wollen. Es wurde ihr denn auch nicht wenig schwer, so auf Kommandowort sich erheben zu müssen, gerade heute hatte sie den Wunsch, noch einigemal sich im Bette herumzudrehen, sie war so spät erst eingeschlafen. Aber daran war nicht zu denken, Nellie stand schon da und wusch sich. Mit einem Sprunge war sie Schlag sechs Uhr aus dem Bette gewesen.

"Wach auf, Ilse," sagte sie, "um halb sieben trinken wir Kaffee."

"Schon aufstehen," antwortete die Verschlafene, "aber ich bin noch so müde."

"Thut nix, du darfst nicht mehr schlafrig sein."

Aber Ilse zögerte noch. Nellie stand schon fertig da, ja hatte schon alles, was sie zur Nacht- und Morgentoilette nötig hatte, beiseite geräumt, als sie sich langsam erhob.

"O Ilse, eile dir, du hast nur zehn Minuten Zeit! Schnell, schnell, ich will dich helfen! Wo sind dein Kamm?"

Ilse zeigte auf ein Papier, das im Fenster lag. "Dort liegen sie eingewickelt," gab sie zur Antwort.

"Das ist nicht nett, das gefällt mir nicht," meinte Nellie und rümpfte das Näschen. "Du mußt dich ein Taschen nähen, von grauer Stoff und rote Band, sieh, wie dies da," und sie zeigte ihre Kammtasche, "siehst du, so ist’s fein."

Ilse machte nicht viel Umstände mit ihrem Haar. Sie kämmte und bürstete es, damit war alles abgemacht, die natürlichen Locken ringelten sich von selbst ohne weitere Bemühung. Ein hellblaues Band schlang ihr Nellie durch dieselben und band es mit einer Schleife seitwärts zu.

"Nun noch die Schürze," sagte sie, als Ilse soweit fertig war, "sie darf nicht fehlen." Sie lachte, als Ilse sich dagegen sträubte.

"Du bist ein klein, albern Ding," schalt sie und band ihr die Schürze vor, trotz Ilses heftigem Widerstande. "Gleich hältst du still! Ohn’ ein Schürzen giebt es kein Kaffee."

Die lustige Nellie setzte es wirklich durch, daß Ilse sich ihrem Willen fügte.

"So," sagte sie, "nun bist du schön! Die blau gestickter Schürze ist sehr nett und du bekommst einer süßer Kuß."

An langen Tafeln saßen die Mädchen bereits, Nellie und Ilse waren die letzten. Fräulein Raimar war des Morgens niemals zugegen, nur Fräulein Güssow führte die Aufsicht. Ilse mußte sich zu ihr setzen. Als ihr der Kaffee gereicht wurde, nahm sie die Tasse ganz manierlich beim Henkel in die Hand, aß auch wie es sich gehört nicht mit großen Bissen, wie am Abend zuvor; aber sie hatte eine andre Unart, die ebenfalls zu tadeln war, sie schlürfte den Kaffee so laut, daß sie allgemeine Heiterkeit erregte.

Ilse hatte keine Ahnung, daß ihr das Gelächter galt, Orla machte sie damit bekannt.

"Du führst ja ein wahres Konzert auf," sagte sie. "Machst du das immer so? Schön hört sich diese Tafelmusik nicht an, das kann ich dich versichern."

Ilse fühlte sich schwer beleidigt über diese Zurechtweisung. Hastig setzte sie die Tasse nieder, erhob sich und eilte hinaus.

"Du durftest sie nicht vor all’ den übrigen so beschämen, Orla," tadelte Fräulein Güssow, indem sie ebenfalls aufstand, um Ilse zu folgen, "das kränkt sehr."

Ilse war gerade im Begriff in den Garten zu gehen, als die junge Lehrerin sie zurückrief.

"Wo willst du hin, Ilse?" fragte sie. "Was fällt dir ein, mein Kind, daß du nach deinem Gefallen davonläufst? Es ist nicht Sitte bei uns, daß jemand eine Mahlzeit verläßt, bevor dieselbe beendet ist. Komm gleich zurück und verzehre dein Frühstück."

"Ich mag nicht mehr frühstücken," entgegnete Ilse, "und ich gehe nicht wieder hinein! Sie haben mich alle ausgelacht und Orla war ungezogen gegen mich. Es geht niemand etwas an, wie ich esse und trinke, ich mache es, wie ich will! Vorschriften lasse ich mir nicht machen, nein!"

"Ehe ich weiter mit dir spreche, bitte ich dich erst ruhig und vernünftig zu sein, liebe Ilse. Ich kann nicht dulden, daß du in einem so unartigen Tone zu mir sprichst."

Sehr ernst und nachdrücklich hatte Fräulein Güssow gesprochen, aber es klang doch ein Ton der Liebe hindurch. Ihr schönes, weiches Organ verfehlte selten den Weg zum Herzen, das lernte auch Ilse in diesem Augenblicke kennen. Sie blickte zu Boden, und etwas wie Beschämung stieg in ihr auf.

Die Lehrerin las in Ilses beweglichen Zügen und wußte, was in ihr vorging.

"Gieb mir deine Hand, du kleiner Brausekopf!" sagte sie freundlich, "und versprich mir, nicht wieder so stürmisch zu sein und deiner augenblicklichen Laune zu folgen, selbst wenn du glaubst, im Rechte zu sein. Heute warst du es nicht einmal, du trankest wirklich etwas unappetitlich. Orla hat es gut gemeint, daß sie dich darauf aufmerksam machte, du darfst ihr darum nicht böse sein. So eine kleine wohlverdiente Lehre muß sich jede von euch gelegentlich gefallen lassen. Es ist doch besser, jetzt als Kind zurechtgewiesen zu werden, als wenn deine Fehler und Angewohnheiten späterhin zum Spott der Gesellschaft würden."

Daheim hatte Ilse niemals hören wollen, daß sie eine junge Dame sei, und jetzt berührte es sie gar nicht angenehm, daß man sie gewissermaßen noch zu den Kindern rechnete.

"Nun siehst du das ein, Ilse?" fragte die Lehrerin.

Vielleicht that sie es, aber sie würde ein Ja nicht über die Lippen gebracht haben. Fräulein Güssow begnügte sich mit ihrem Stillschweigen und nahm dasselbe für eine Zustimmung. Sie meinte, daß eine Natur wie Ilses nicht mit Gewalt zum Nachgeben gezwungen werden dürfe.

"Nun wollen wir zurück in den Speisesaal gehen," sagte sie, und Ilse wagte keine Widerrede. Sie folgte dem Fräulein mit niedergeschlagenen Augen, sie hatte Furcht vor den vielen peinlichen Blicken, die sich alle auf sie richten würden.

Als sie eintraten, war das Zimmer leer und die Frühstückszeit vorüber. Niemand war froher als Ilse, die sich wie erlöst vorkam.

"Ich habe noch einen Auftrag für dich, Ilse," sagte die Lehrerin. "Fräulein Raimar wünscht deine Arbeitshefte zu sehen, auch sollst du zugleich mündlich geprüft werden. In einer Stunde finde dich in dem Konferenzzimmer ein, du wirst dort zugleich deine zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen zum Teil kennen lernen."

"Wollen sie mich alle prüfen?" fragte Ilse etwas besorgt.

"Nein," entgegnete das Fräulein, "aber sie werden zuhören, wenn Fräulein Raimar dich examiniert. Später wirst du dann erfahren, in welche Klasse du gesetzt bist, und morgen nimmst du zum erstenmal an dem Unterricht teil."

Ilse ging in ihr Zimmer und suchte ihre Hefte zusammen. Sie waren nicht in der besten Verfassung. Das deutsche Aufsatzheft machte besonders keinen Staat. Verschiedene Tintenflecke zierten es, und sogar einige naseweise Fettflecke machten sich darauf breit. Das französische Heft wurde ganz beiseite gelegt. Sie hatte versucht, einige Seiten, die gar zu verschmiert aussahen, herauszureißen und durch diesen Gewaltstreich waren alle andern Blätter gelockert – unmöglich konnte sie das Buch in dieser Verfassung vorzeigen.

Nellie, die gerade eine freie Stunde hatte, sah erstaunt Ilses Treiben zu. "Was thust du?" fragte sie. "Willst du dein Bücher so an Fräulein Raimar vorzeigen? das darfst du nicht. Hat deiner Herr Pastor dir dies erlaubt? Gieb schnell, ich will dich blaues Umschläge drum wickeln, das ist nett und man sieht die alte Flecken nicht."

"Gieb her!" rief Ilse gereizt. "Sie sind gut so! Es ist mir ganz egal, ob Fräulein Raimar die Flecken sieht oder nicht!"

"Nicht so zornig, Fräulein Ilse! Sie sind eine kleine, unordentliche junge Dame! Würde es dir vielleicht spaßig sein, wenn Fräulein Raimar deine Buch mit spitze Finger hoch hielt und sie alle Lehrer zeigte? O nein, das wär dich nicht egal und nicht spaßig. Besonders wenn Herr Doktor Althoff, unser deutscher Lehrer, mit seine bekannte, höhnische Lachen dir so von die Seiten ansieht und fragt: Wie alt sind Sie, mein Fräulein?"

Trotzdem Ilse ungeduldig wurde, trotzdem sie entschieden erklärte, es wäre höchst unnütz, daß so viele Umstände wegen der dummen Bücher gemacht würden, setzte Nellie ihren Willen durch.

"So, nun kannst du gehen," sagte sie, als sie auch dem letzten Hefte ein blaues Kleid gegeben hatte, "nun bedanke dir für mein Mühe."

"Du bist doch sehr gut, Nellie," meinte Ilse. "Wie ist es dir nur möglich, stets so sanft und geduldig zu sein? Ich kann das nicht!"

"O, du lernst schon, Kind. Wirst noch eine ganz zahme, kleine Vogel sein!" entgegnete Nellie.

Um elf Uhr ging Ilse hinunter in das Konferenzzimmer. Als sie eintrat, fand sie mehrere Lehrer und einige Lehrerinnen anwesend. Sie saßen um einen Tisch, Fräulein Raimar nahm den Platz obenan ein.

"Tritt näher, Ilse," sagte sie und machte mit einigen freundlichen Worten die neue Schülerin mit ihren zukünftigen Lehrern bekannt. Darauf ließ sie sich die Schreibhefte reichen. Das Aufsatzbuch fiel ihr zuerst in die Hand. Sie blätterte und las darin, und einigemal schüttelte sie den Kopf.

"Oft recht gute und klare Gedanken," bemerkte sie zu dem neben ihr sitzenden Lehrer der deutschen Sprache, Doktor Althoff, "und dabei diese oberflächliche, flüchtige Schrift. Sehen Sie einmal, ›uns‹ mit einem ›z‹ geschrieben – ›Land‹ mit einem ›t‹. Da werden wir viel Versäumtes nachzuholen haben. Wie schreibst du ›Land‹, Ilse, buchstabiere einmal."

Ilse konnte unmöglich diese Frage für ernst halten. War sie denn ein kleines Mädchen aus der A-B-C-Klasse? Sie zögerte mit der Antwort.

Die Vorsteherin indes war nicht gewöhnt zu scherzen, sie sah erstaunt die schweigende Ilse an.

"Wie du Land schreibst, möchte ich von dir wissen," wiederholte sie noch einmal in bestimmtem Tone, der jeden Zweifel, ob er ernst gemeint sei oder nicht, benahm.

Ilse kräuselte etwas unwillig die Stirn, zog die Lippe in die Höhe und buchstabierte so schnell, daß man ihr kaum folgen konnte: L–a–n–d. Den Blick hatte sie zum Fenster hinausgewandt, um Fräulein Raimar nicht anzusehen.

"Also nur flüchtig, ich dachte es mir," sagte diese. "Wenn du in Zukunft deine Aufsätze machst, wirst du sehr aufmerksam sein. Fehler, wie ich sie in deinen Aufgaben finde, kommen bei uns nicht mehr in der dritten Klasse vor."

Es wurden nun Ilse Fragen in den verschiedensten Fächern vorgelegt. Manchmal fielen die Antworten überraschend aus, zuweilen dagegen geradezu einfältig. Doktor Althoff lächelte einigemal, was Ilse das Blut bis hinauf in die braunen Locken trieb. Sie ärgerte sich darüber und drehte ihr Taschentuch wie eine Wurst fest zusammen.

Im Französischen bestand sie gut. Monsieur Michael, der französische Lehrer, ein älterer Herr mit weißem Haar, redete sie gleich in dieser Sprache an, sie antwortete ihm korrekt und fließend.

Miß Lead, die englische Lehrerin, die ebenfalls im Institute wohnte, hatte weniger Glück bei ihrer Anrede. Ilse holperte sehr, als sie die Antwort gab.

"Nun kannst du uns verlassen, Kind," sagte Fräulein Raimar. "Dein Examen ist zu Ende. Später werde ich dir mitteilen, welche Klasse du besuchen wirst."

Nachdem Ilse das Zimmer verlassen, wurde nach einigem Hin- und Herberaten der Beschluß gefaßt, sie in die zweite Klasse zu geben, im Französischen solle sie indes die erste besuchen.

"Ich glaube, Ilse wird uns viel Not machen," äußerte die Vorsteherin besorgt. "Sie ist widerspenstig und trotzig, auch kann sie nicht den geringsten Tadel vertragen."

"Aber sie hat ein gutes Herz," fiel Fräulein Güssow lebhaft ein. "Ich habe noch keine Beweise dafür, aber ich lese es in ihrem schönen, offnen Auge. Ich bin überzeugt, daß ich mich nicht täusche. Eins ist mir indes klar, mit Strenge werden wir wenig ausrichten, dagegen hoffe ich, mit Liebe und Energie wird es uns gelingen, ihren Trotz zu zähmen."

"Das ist ganz meine Ansicht!" stimmte Monsieur Michael bei, "Sie werden sehen, meine Damen und Herren, Mademoiselle Ilse wird eine Zierde der Pension sein! Mit welcher Eleganz spricht sie französisch, wie gewählt setzt sie die Worte! Ah, sie ist ein Genie!" – Der kleine Herr hatte sich ordentlich in Begeisterung gesprochen und seine Worte mit lebhaften Gestikulationen begleitet.

"Ich wünsche von Herzen, daß Sie recht haben mögen," entgegnete Fräulein Raimar und erhob sich von ihrem Platze. "An Liebe und Nachsicht wollen wir es nicht fehlen lassen, vielleicht gelingt es uns, Ilse verständig und gefügig zu machen." –

Fürs erste schien noch wenig Aussicht dazu. Beim Mittagessen legte Ilse wieder den Beweis ab, wie recht Fräulein Raimar hatte, wenn sie behauptete, daß Ilse keinen Tadel vertragen könne.

Sie hielt die Gabel schlecht. Die Fingerspitzen berührten fast die Speisen. Das Gemüse verzehrte sie mit dem Messer und so heiß, daß sie manchmal, um sich nicht zu verbrennen, den Bissen wieder aus dem Munde fallen ließ. Auch hielt sie den Kopf sehr tief über den Teller gebeugt, was ihr das Aussehen eines hungrigen Kindes gab.

"Sitze gerade, liebe Ilse," ermahnte die Vorsteherin, "es ist dir nicht gesund, so krumm zu sitzen."

"Ich esse immer so," erwiderte sie ziemlich kurz.

"Ich aß immer so, meinst du wohl, mein Kind, denn hier wirst du dich daran gewöhnen, zu thun, was Sitte ist ... Hast du zu Hause auch stets die Gabel so kurz gefaßt und mit dem Messer gegessen?"

"Ja," sagte Ilse und warf den Kopf leicht in den Nacken. "Papa hatte nie etwas an mir auszusetzen, er war zufrieden, wenn es mir nur schmeckte."

"Aber die Mama, hat auch sie deine Art zu essen gutgeheißen?"

Ilse schwieg. Eine Unwahrheit konnte und mochte sie nicht sagen, denn wie oft hatte die Mutter sie ermahnt, und wie oft hatte sie derselben zur Antwort gegeben: "Dann will ich gar nichts essen, wenn du mich immer tadelst."

Das Fräulein hatte leise, nur für Ilse verständlich gesprochen. Niemand ahnte, was sie sagte, denn ihre Züge sahen mild und freundlich aus. Eine Antwort auf ihre Frage wartete sie nicht ab, aber es gefiel ihr, daß Ilse lieber schwieg, als gegen ihre Ueberzeugung sprach.

"Nun iß nur, Kind," fuhr sie fort, "mit der Zeit wirst du dich schon gewöhnen. In wenigen Wochen hast du alle deine kleinen Unebenheiten abgestreift und wir werden niemals nötig haben, etwas an dir zu rügen. Nicht wahr?"

"Ich weiß es nicht," erwiderte Ilse und sah mit einem ziemlich verdrießlichen Gesicht auf ihren Teller nieder.

"Du mußt dir Mühe geben, dann wird es schon gehen."

Dazu schwieg Ilse. Natürlich war sie fest davon überzeugt, daß ihr das größte Unrecht geschah. Warum sollte sie nicht natürlich essen? Der Papa hatte stets gesagt, sie solle keine Zierpuppe werden, nun hatte man bei allem, was sie that und wie sie es that, etwas auszusetzen. Sie wagte kaum noch etwas zu genießen und wenn das so weiter ging, wollte sie lieber verhungern. –

Der Trotzkopf

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