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Ketzereien im Bade

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Heraklit gedachte, sich den Staub der Straßen von Ephesos abzuspülen, und lenkte seine Schritte zu den Thermen. Im großen Baderaum tummelten sich etliche reiche Epheser mit erbötigen Damen und dito Epheben. Beides fand Heraklit nicht mehr unbedingt zum Leben nötig, deshalb wandte er sich dem kleineren Raum: "Nur für Männer" zu, aber da war er vom Regen in die Traufe gekommen, denn dort empfing ihn sein bester Feind, Dactos Rufilius: "Ah, sieh da, unser Skoteinos gibt uns das Vergnügen. Komm, setz dich zu deinem geheimen Verehrer, auf dass wir beide ein Schwätzchen haben."

Ein Schwätzchen mit diesem ehrgeizigen Heuchler hat selten jemand Gutes gebracht, ging es dem Weisen durch den Kopf, doch er tat, als mache es ihm nichts aus, neben einem der hohen Staatsbeamten ins lauwarme Wasser zu steigen. Heraklit tauchte mehrmals unter und prustete vor Vergnügen. Dann setzte er sich auf eine der vom Wasser umspülten Stufen neben Rufilius.

"Weshalb bist du nicht zum Fluss baden gegangen?" fragte Rufilius, "dort wäre deine Wahrheit, man badet nicht zweimal im gleichen Fluss, Wahrheit geblieben."

"Am Fluss hätte ich Rufilius nicht getroffen, und also kein ergötzliches Schwätzchen gehabt", sagte Heraklit.

"Auch dein Panta rhei, alles fließt, wird hier widerlegt", beharrte Rufilius, "denn in diesem Becken steht das Wasser."

Heraklit schöpfte eine Handvoll Wasser auf den Beckenrand, welches sogleich ins Becken zurück rieselte. "Siehst du’s?“

"Mir wird immer wieder klar, weshalb man dich Skoteinos nennt, der Dunkle." Rufilius zeigte ein freundliches Gesicht, obwohl er Spott auf der Zunge hatte. "Deine Wahrheiten sind so überraschend, dass man bei dir meist im Dunkeln tappt."

"Man nennt mich auch den Weinenden." Wie Heraklit es sagte, war es entwaffnend.

"Weil du immer mit mürrischer Miene daherkommst." Rufilius vergaß einen Augenblick, freundlich zu tun. "In Wirklichkeit lachst du über alle. Du setzt dich auch selbst gern ins Dunkle. Vom Dunklen ins Helle schießt es sich besser, nicht wahr?"

"Da wären die Leute also mit Demokrit besser bedient, man nennt ihn den Lachenden." Bei dem Namen Demokrit war das Gesicht Heraklits gar nicht mürrisch.

"Demokrit aus Abdera? Der ähnlich wie du die Götter entthront? Der mit seiner Besessenheit von den Dingen und ihren Atomen?" Rufilius fragte es naiv, obwohl der Vorwurf in seiner Stimme nicht zu überhören war.

Heraklit bemühte sich um Gelassenheit. Er wusste nur zu gut, im Zorn macht man Fehler; der Zorn vergeht, und die Fehler bleiben. "Neue Wahrheiten entthronen alte Irrtümer. Und du meinst, den Göttern könnte die Wahrheit etwas anhaben?"

"Wahrheit, Wahrheit", äffte Rufilius, "was nützt es, die Wahrheit in Besitz zu haben, ohne sonst etwas zu besitzen. Der jetzige Herr von Ephesos pfeift auf deine Wahrheiten, denn er besitzt die Macht. Oder willst du auch das widerlegen?"

Jetzt heißt es den Grips anstrengen, dachte Heraklit. Um Zeit zu gewinnen, stand er auf und trocknete seinen erquickten Körper mit einem Linnen, das ihm ein Sklave gebracht hatte. Rufilius tat desgleichen, sie setzten sich auf eine bequeme Bank der Halle und der hohe Beamte provozierte: "Ich höre."

"Die Wahrheit ist, dass sich die Macht mit der Wahrheit nicht immer gut verträgt", begann Heraklit. Auf das Stirnrunzeln des Rufilius hin fuhr er rasch fort: "Schuld daran ist natürlich die Wahrheit. Sie ist fast immer langsamer als die Lüge. Trotzdem bleibt sie Siegerin der Gesamtstrecke, denn sie hat herrlich lange, schöne Beine. Verständlich, dass dies die kurzatmige, korpulente Dame Macht nervös macht."

Rufilius hüstelte missbilligend.

Heraklit sagte rasch: "Verzeihung, nicht immer ist die Macht eine kurzatmige, korpulente Dame. Sie kann auch langatmig und korpulent sein."

"Aha, hm, hm."

Heraklit beeilte sich zu sagen: "Natürlich kann die Macht ebenso gut gebaut sein wie die Wahrheit. Sie kann gewissermaßen ihre Zwillingsschwester sein. Selbstverständlich kann die Macht auch durch die Wahrheit zur Macht kommen. Und sie muss auf dem Thron durchaus nicht so fett werden, dass die Zwillingsschwester neben ihr keinen Platz findet. Allerdings ist das der Idealfall. Und das ... , das ist nun leider auch wieder die Wahrheit."

"Leider oder glücklicherweise", sagte Rufilius hintergründig. Er hatte sich erhoben, ein Sklave salbte den Körper des hohen Beamten mit den kurzen Beinen, den weibischen Hüften, der fetten Brust und dem Schmerbauch. Dagegen nahm sich der Weise mit seinem hageren Körper nicht unvorteilhaft aus. Er ist ungehaltener, als er zeigt, dachte Heraklit, wieder ein Beweis, dass sich die Macht nicht gern die Wahrheit sagen lässt. Rufilius strebt nach der Herrschaft über Ephesos. Ich muss sehen, wie ich aus dieser Rangelei heil herauskomme, oder meines Bleibens in Ephesos ist nicht länger, wenn Rufilius die nächste Wahl gewinnt. Er grübelte über einen versöhnlichen Abgang, doch er wurde dieser Mühe enthoben. Im Raum stand plötzlich eine jener nackten Schönen, die sich vorhin in der Halle in dem größeren Becken vergnügt hatten und deren Berufsbezeichnung Hetäre nichts Abwertendes bedeutete, denn wann hatte je das Wort Gefährtin keinen guten Klang. Sie schaute provozierend zu Rufilius herüber. "He, Dickerchen, hast dich hierher verlaufen?" Mit Schwung warf sie sich ins Becken und war mit wenigen Schwimmstößen an der Treppe. Als sie langbeinig und vollbusig langsam die Stufen hochgestiegen kam, ruhten selbst die Blicke Heraklits wohlgefällig auf dem reizvollen Bild. Er musste an Aphrodite denken, die Schaumgeborene.

Sie blieb auf der vorletzten Stufe stehen. "Heut kommst du mir nicht aus, Dactos Rufilius, hast dich schon gestern gedrückt."

Was er ziemlich genau wusste, kleidete Rufilius in die Frage: "Wenn ich nur wüsste, Thaleia, ob du scharf auf mich bist, oder auf meine Drachmen?"

"Soso, deine Drachmen." Sie richtete sich hoch auf, sodass ihre Brustwarzen in die Luft stachen wie kleine Pfeilspitzen. "Gestern soll jemand getan haben, als bedeute ihm Geld nicht mehr als Staub unter den Sohlen. Hast du nicht fünf Drachmen geboten, falls es einem Kerl gelänge, sich im Wasser mit der Schönsten zu vergnügen?"

Rufilius wurde hämisch. "Allerdings - mit der Schönsten!" Sie sah in ihrer Empörung noch reizvoller aus. "Das ganze Bad hat mich zur Schönsten erwählt. Sie haben drüben zehn zu eins gewettet, dass es keiner schaffen wird, mich beim Schwimmen zu besteigen."

Rufilius zeigte noch immer wenig Lust, es war ihm unangenehm, dass Thaleia vor dem Weisen von seinen frivolen Belustigungen gesprochen hatte.

Sie stemmte eine Hand auf die schmale Hüfte und wies auf Heraklit. "Soll er's vielleicht versuchen?"

"Der?" Rufilius ließ geringschätzig die Mundwinkel hängen. "Der besitzt einen Sack voll Wahrheiten, aber keine Drachme."

"Seine Wahrheiten vergisst er, wenn er mit mir ist. Es war immer mein Traum, einen Weisen unweise zu erleben."

"Er ist alt."

"Er hat starke Lenden."

"Er weiß gar nicht mehr, wie es gemacht wird."

"Ein Gelehrter ist gelehrig, man kann es ihn wieder lehren."

"Seit hundert Jahren hat er keine Frau mehr gehabt."

"Er hat nirgends faules Fett, ist kein Kapaun wie andere."

Rufilius, der den salbenden Sklaven fortgeschickt und sich wieder auf die Bank gesetzt hatte, sprang auf. "Du schmähst mich, damit willst du meine Hand lockern, meinen Beutel öffnen?"

Thaleia brachte ihren Mund an Rufilius' Ohr. Er könne sich den Beutel füllen, wenn er jemanden für sich die Gegenwette machen ließe. Denn es liege bei ihr, wer gewinne. Heraklit hatte alles verstanden, aber getan, als höre er nichts. Wer nach der Macht giert, giert auch nach Geld, dachte er, und die Verwandlung des Rufilius zum freundlichen Menschen wunderte ihn nicht. Der straffte sich, zog den Bauch ein, nahm die Schultern zurück und ging mit Thaleia an der Hand aus dem Raum.

"Gutes Gelingen wünsch ich", sagte Heraklit, als die beiden verschwunden waren, "Thaleias wegen. Andernfalls hat sie nach einem Wahlsieg des Rufilius nichts zu lachen." Plötzlich fröstelte Heraklit, jetzt hätte er sich gern die Haut warmsalben lassen. Aber er hatte keine Obole im Beutel, hatte nicht einmal einen Beutel. Er zog sich an und zeigte ein grämliches Gesicht. Dabei lachte er inwendig; er dachte, nicht einmal einen Beutel - aber einen Sack voll Wahrheiten. Thaleia glaubt, den könnte ich vergessen. Wahrlich ein Traum.

Miniaturen über Heraklit und andere Griechen

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