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„Feigheit vor dem Freund würde ich so etwas nennen“, mit diesen Worten begrüßte ihn seine Mutter am Abend vor dem Fernseher.

„Das siehst du völlig falsch, Mama“, verteidigte Martin sich und ließ sich in den Sessel fallen. „Es geht nicht um Feigheit, sondern um - um - Taktgefühl oder was weiß ich.“ Er sah, wie seine Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen die Fernbedienung von der gläsernen Tischplatte nahm und die Lautstärke bis zum Nullpunkt verringerte. „Nigel ist nicht mein Freund.“

„Er ist aber der Meinung, du seiest sein bester Freund.“

„O Gott“, stöhnte Martin auf und legte beide Hände hinter dem Kopf zusammen. Er war nicht in der Stimmung, Vorwürfe seiner Mutter mit Rechtfertigungen zu begegnen. Trotzdem versuchte er, seinen Standpunkt zu erklären. „Er drängt sich mir auf. Ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe.“

„Woher kennst du ihn überhaupt?“ Eine Spur von möglichem Verständnis klang in ihrer Frage mit.

„Vor zwei Jahren war er auch im Büsumer Ferienlager. Ich durfte ihn betreuen. Er hing die ganze Zeit wie eine Klette an mir. Ich habe ihn erst vor ein paar Wochen zufällig wiedergetroffen, als ich mir in Höxter neue Saiten im Musikladen kaufte. Ich glaube fast, er sieht einen großen Bruder in mir oder so. Er träumt noch immer von nächtlichen Wanderungen im Schlangenwald, von Gespenstern und feinen Kameraden, die in Wahrheit gar nicht so fein waren. Von den Ferien-Abenteuern schwärmt er wie ein Zehnjähriger. Dabei ist er mindestens vierzehn. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er mich damals nervte mit seinem Geschwätz.“

„Was für Geschwätz?“

„Er redete Tag und Nach von den Quiz-Sendungen, die er im Fernsehen angeschaut hatte. Oder er berichtete haarklein, was für ein Buch er gerade gelesen hatte. Es ist nicht auszuhalten.“

Seine Mutter verschränkte ihre Arme vor der Brust und betrachtete ihn mit kritischen Augen. Sie überlegte kurz und bemerkte: „Für viele einsame Menschen ist die einzige Lebenserfahrung die sogenannte Leseerfahrung. Ich dachte, das wäre dir bekannt.“

„Ich bin müde“, meinte er mit einem Anflug von Trotz.

„Dann geh ins Bett“, schlug sie vor. „Aber morgen früh um neun solltest du auf den Beinen sein.“

„Warum um neun?“

„Weil du Besuch von einem jungen Mann aus der Nachbarschaft erhältst.“

„Heißt er zufällig Nigel Klein?“

„Du hast es erraten.“

Er schüttelte den Kopf. „Mein Gott, warum lässt du diesen Kelch nicht an mir vorübergehen?“

„Den lieben Gott solltest du aus diesem Fall besser herauslassen.“

„Gute Nacht“, sagte er matt, erhob sich aus dem Sessel und ging zur Tür. Bevor er die Treppe erreichte, fragte er noch „Hat jemand für mich angerufen?“

„Ja“, gab sie zur Antwort. „Nigel.“

„Wundert mich nicht im geringsten.“

„Dann hattest du noch einen Anruf von Isabell.“

Er war sofort hellwach. „Isabell? Wann hat sie angerufen?“

„Um zwei.“

„Was wollte sie?“

„Mit dir sprechen, nehme ich an.“

„Was hast du ihr gesagt?“

„Dass du wahrscheinlich im Kolpinghaus bist. War das eine falsche Mutmaßung?“

„Nein. Es war richtig. - Hat Isabell noch etwas gesagt?“

„Ja. Sie möchte dich morgen anrufen.“

„Wann genau?“

„Irgendwann am Vormittag.“

Das Klingeln des Telefons am Abend

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