Читать книгу Gerücht und Revolution - Eric Selbin - Страница 7
ОглавлениеZwei
Ein Plädoyer für die Geschichten:
Geschichten und sozialer Wandel
Es lebten einmal in einem weit entfernten Land, aber doch näher, als man meint, Menschen so wie du und ich – oder vielleicht ein klein wenig anders. Diese Menschen kannten das Elend schlechter Ernten, ungünstigen Wetters, sterbender Kinder, hungernder Greise, schwerer Ungerechtigkeiten durch indifferente oder grausame Geistliche, Herrscher und weit entfernte Könige und Königinnen und davon, auf ihrem eigenen Land wenig besser als Sklaven behandelt zu werden. Und dann wurden die Tage dunkler und die Zeiten schlechter. Stellen wir uns nun vor, dass in diesem Szenario eines Tages ein Jugendlicher erscheint (es ist in den meisten Fällen ein Junge), der von dort stammt, jedoch als Baby oder Kleinkind an einen weit entfernten Ort geschickt und dort beispielsweise von einer Tante oder einem Onkel aufgezogen wurde. Der Jugendliche stellt Fragen darüber, warum das Leben so ist. Er beginnt, mit den Menschen über das Warum und Wofür zu sprechen, woraufhin die Alten oder die Schamanen oder die örtlichen Repräsentanten der Herrscher ihn warnen und ihm raten, damit aufzuhören und sich nicht den Machthabern entgegenzustellen. Manchmal hört der Jugendliche sich die Warnungen an, doch nur selten folgt er ihnen und wenn, dann nur für kurze Zeit. In den meisten Fällen tut er es nicht und er (oder jemand ihm nahestehendes) muss dafür bezahlen. Er wird wieder aufgepäppelt und gepflegt, vielleicht von einer älteren, allein lebenden Frau (mit außergewöhnlichem oder spirituellem Wissen, das sie zu einer Ausgestoßenen oder zumindest zu einer Außenseiterin macht), oder von einer Gruppe von Frauen, von denen eine oder mehrere über geheimnisvolle Kräfte verfügen, oder von einem jungen Mädchen, das mit seiner Großmutter zusammen wohnt (die sich noch an früher erinnern kann …), oder von einem Onkel (der etwas schrullig aber freundlich und hilfsbereit ist). Dann erlangt er seine Kraft zurück und beginnt, darüber nachzudenken, was er gegen das Unrecht unternehmen kann, das an der Tagesordnung ist und all diese guten Menschen unterdrückt … Und sie alle leben zumindest für die nächsten paar hundert Jahre in Frieden und Glück – so stellen wir uns das jedenfalls gern vor.
Der „Wahrheitsgehalt“ dieser grob zusammengestückelten Geschichte und ihrer vielen Variationen ist von geringer Relevanz; ihre Fiktionalisierung trägt nur zu ihrer Attraktivität bei und macht sie somit in gewisser Weise auch realer und einflussreicher. Man sollte im Hinterkopf behalten, was Ninon de l’Enclos, eine französische Salonière aus dem 17. Jahrhundert, antwortete, als man sie fragte, ob sie glaube, dass der Schutzheilige von Paris, der Märtyrer St. Denis, tatsächlich noch zwei Meilen weit gelaufen sei, während er seinen Kopf unter dem Arm hielt: „La distance ne vaut rien. Ce n’est que le premier pas qui coute“ („Die Entfernung ist nicht von Bedeutung. Es ist der erste Schritt, der zählt.“; GRAY, 1872: 34, Fußnote 1). Von Bedeutung ist, dass die Menschen die Signifikanz der Geschichte erkennen und sich darauf einlassen, aus ihr zu lernen, oder sich Inspiration und Zuspruch zu holen. Einige Jahrhunderte später berichtete eine weitere Pariserin, der Filmstar Miou-Miou, anlässlich der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution von den Ereignissen in Paris 1968. Als Jugendliche arbeitete sie in einer Polsterfabrik und wurde Zeugin der mächtigen, wenn auch nur kurzen, Kollaboration von Studenten und Arbeitern. Sie erinnert sich: „Ich verstand nichts davon, aber es bewegte mich zutiefst. Gewöhnliche Menschen wie ich begannen zu glauben, dass unsere Leben sich irgendwie ändern könnten“ (MARCUS, 1995: 16). Die Macht und gleichzeitig die Prämisse der Geschichte ist, dass sie das Reich des Möglichen eröffnet.1
In diesem Kapitel geht es darum, unser Verständnis von Geschichten und ihrer Rolle in der Gesellschaft zu erweitern. Geschichten erfüllen eine wichtige, ja unverzichtbare, soziale Aufgabe. Die meisten Geschichten dienen unzweifelhaft dazu, den Status Quo zu bekräftigen (POLETTA, 2006: x). Manche sagen, dies sei ihr Hauptzweck: Nach TILLY (2006: 93) dienen sie dazu, „puzzling, unexpected, dramatic, problematic or exemplary events“ wiederzugeben. Doch er bemerkt auch: „[They] help confirm, redefine, or challenge social relations“ (2006: 93), was der Punkt ist, an dem Themen wie Widerstand, Rebellion und Revolution ins Spiel kommen. Wir werden uns also eingehender mit der Geschichte an sich beschäftigen sowie mit einigen der signifikantesten Probleme, die sie aufwirft. Dies erfordert einen kleinen Exkurs über die Entstehung von Geschichten und die Rolle der Geschichtenerzähler, was wiederum unsere Untersuchung des Unterschiedes von Geschichte und Erzählung einleitet.
Jedes Zeitalter hat seine Geschichten, wie auch jeder Einzelne. Diese Geschichten strukturieren und formen die Welt um uns herum. Global und historisch betrachtet sind überraschend viele Geschichten analog zu der oben dargestellten Kurzfassung gestrickt. Man findet hier die vertraute „Anfang-Mitte-Ende-Struktur, die eine Art von Wandel oder Entwicklung beschreibt, sowie eine Besetzung mit dramatis personae“ (STEINMETZ, 1992: 490). Vertraut sind uns auch die Handlungen und Plots und sogar der Raum, in dem sie sich abspielen, in dem das Leben der Protagonisten stattfindet. Bei der Untersuchung der Erzählung, der wir uns ebenfalls gleich widmen werden, kommt SEWELL zu dem Schluss, dass die Menschen „sich selbst“ als Protagonisten in Geschichten „von Liebe und Ehe, von Erfolg, von stoischer Selbstaufopferung, von familiären Verpflichtungen, von kollektivem Kampf, von religiöser Erneuerung … erkennen und entdecken“ (1992: 483). Vor allem, so SOMERS, enthüllen diese „Beziehungskonstellationen (verbundene Elemente)“, die in Zeit und Raum eingebunden sind und durch einen kausalen Erzählstrang „Einzelteile (wie instabil sie auch sein mögen) zu einer konstruierten Struktur oder einem sozialen Netzwerk (wie inkohärent oder unrealisierbar auch immer)“ verbinden (1992: 601).2 Wie wir sehen werden, ist dies nicht unproblematisch und es ist wichtig, in diese Verbindungen nicht zu viel hinein zu interpretieren. Andererseits besteht hier auch die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten zu finden und Elemente zu identifizieren, die häufig genug wieder auftauchen, um eine Geschichte auszumachen.
Das soll nicht bedeuten, dass Geschichten an sich zeitlos sind oder zwangsläufig „universelle“ kulturelle Werte beschreiben. Geschichten reflektieren die kulturellen Werte ihrer Zeit, ihres jeweiligen Ortes und ihrer Erzähler.3 Dies ist auch gar nicht anders möglich und natürlich sind die Einzelheiten der Geschichten so unterschiedlich wie ihre Erzähler. Diese Brüche können Ausdruck verschiedener Traditionen des Geschichtenerzählens sein oder aus einer weniger starken Anlehnung an die nördlich-westlichen Erzählkonventionen resultieren und es gibt metaphysische Elemente, die bestimmten Völkern, Orten und Zeiten zu eigen sind, sowie uns nicht vertraute Charaktere aus einem uns unbekannten Kanon. Geschichten sind Speicherstätten für Ansichten und Werte, eine Methode der Selbstbestätigung und der Verbindung mit anderen Menschen (oder der Abgrenzung von ihnen) und sie spiegeln die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wider, die in ihrer Kultur als „wahr“ erachtet werden.4
Gerade das Letzte ist von besonderer Bedeutung: Die „Klassiker“ unter den Geschichten sind solche, die mit unseren Ursprüngen zusammenhängen („realen“ oder notgedrungen imaginierten/erfundenen) und sie zeigen uns die Zukunft, wie wir sie uns wünschen. Wenn sie sehr mächtig sind, lassen sie Vergangenheit und Zukunft verschmelzen.5 Das Versprechen besonders fesselnder Geschichten ist die Erschaffung einer Gegenwart, in der Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig existieren und somit alles möglich erscheint. Im Gegensatz zur Geschichtsschreibung, deren Konstruktionen „commandeer the true life and confine it to the barracks“, bietet BENJAMIN „the street insurgence of the anecdote“ (1999b: 846). Mit anderen Worten: Egal, was die Geschichtsschreibung uns lehrt, die Möglichkeit zu Widerstand, Rebellion und Revolution ist grundlegender Bestandteil des Konzeptes „Geschichte“, ungeachtet der Intentionen des Geschichtenerzählers oder des gesellschaftlichen Kontexts.
Geschichten dienen laut APPIAH (2003: 46) dazu, „[to] enmesh people in a single society by transmitting shared pictures of how the world is or ought to be.“ Sie vereinen Menschen eines gemeinsamen Kulturkreises, in dem bestimmte Symbole, Themen und Charaktere Wiedererkennen, Wissen und Verstehen ermöglichen. Daraus folgt, „[that] the common problems of humanity take common narrative forms in different parts of the world“ (APPIAH, 2003: 46). Über alle Zeiten und Orte hinweg stößt man auf anscheinend zeitlose Erzählungen, die vom Zustand der Menschheit berichten. Es ist also durchaus plausibel, anzunehmen, dass diese Geschichten nicht „nur“ existieren, um von diesem Zustand zu berichten, sondern auch um dessen Änderung anzuregen.
Die fesselndsten Geschichten sind zumeist die, in deren Mittelpunkt vertraute Motive und Charaktere stehen. Wir können sie in den berühmten Kompendien des Geschichtenerzählens finden. Hierbei handelt es sich um Zusammenstellungen verschiedenster Art und Herkunft: Die Geschichten aus 1001 Nacht,6 das chinesische Shan hai jing (Buch der Berge und Meere), Ovids Metamorphosen, die Fabeln des Aesop, die Panchatantra7 des Sanskrit, die heiligen Bücher der monotheistischen Weltreligionen (die Thora, die christliche Bibel, der Koran8), Boccaccios Decamerone,9 Chaucers Canterbury Tales10 und die Märchen der Brüder Grimm.11 Dies sind nur die bekannten, konventionellen und niedergeschriebenen Quellen. Wie so oft fehlt die Fülle von mündlich tradierten Geschichten, die man heute vor allem in Sagen, artverwandten Erzählungen (wie zum Beispiel in den amerikanischen Schelmengeschichten vom listigen Br’er Rabbit oder denen von der afrikanischen Spinne Anansi in all ihren Verkleidungen) und Liederzyklen in allen lebendigen Kulturen findet.12 Die Entwicklung oder Herkunft jeder einzelnen Erzählung ermitteln zu wollen, scheint eine nahezu unlösbare Aufgabe zu sein und geht weit über den Rahmen dieses Projektes hinaus. Nichtsdestoweniger gibt es zwischen den Geschichten, über die wir in unseren vielfältigen Kulturen verfügen, eine erstaunliche Menge an Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen.
Diese Geschichten spiegeln eine Reihe von Aspekten wider: Sie sind diskursiv, rational und irrational, abhängig von Aufführung und Interpretation; sie werden auf eine oder mehrere Arten von den Erzählern weitergegeben und dennoch auf zahllose Weisen von den Hörern verstanden.13 Gleichzeitig wurzeln die Identitäten der Menschen in einer gemeinsamen Kultur, einer gemeinsamen Sprache, Ethnie, Wirtschaft, Symbolik, dem Kollektivgedächtnis, gemeinsamen Feinden sowie gemeinsamen Erfahrungen und Auffassungen. Diese mannigfaltigen Dynamiken konstituieren das bewusste und unbewusste „,tool kit‘ of symbols, stories, rituals and world-views“ (SWIDLER, 1986: 273), das in den Köpfen der Menschen existiert und welches für „repertoires of collective action“ (TILLY, 1978: 143) zuständig ist. Absichtlich oder nicht, die Menschen nutzen dieses „Handwerkszeug“ zur Interpretation und Konstruktion ihrer Welt, besonders der Vergangenheit, der Situationen, mit denen sie sich augenblicklich konfrontiert sehen, und der von ihnen ersehnten Zukunft sowie der Wege, wie sie dort hingelangen können. Geschichten sind unser Mittel, diese Areale zugänglich zu machen.
Geschichten zählen zu den vielleicht größten Errungenschaften der Menschheit, sowohl was den sozialen Aspekt angeht als auch anderweitig. TILLY vergleicht sie mit der Erfindung des Pfluges beim Ackerbau (TILLY, 2006: 95). Geschichten verflechten sich in und um geschriebene, gesprochene und visuelle Diskurse und werden unvermeidlich von der Populärkultur in all ihren Manifestationen beeinflusst. Diese Beziehung ist eine komplizierte und verwickelte, sind Geschichten doch eindeutig in eben die Kulturen eingebettet, zu deren (Re-)Produktion sie beitragen. Und so scheinen sie alles in allem nur noch ein Randaspekt der Alltagskultur geworden zu sein (selbst wenn sie die Alltagskultur selbst zum Thema haben), Material, das in modernen und postmodernen Zeiten nach Belieben umgestaltet werden kann, je nach Zeit, Ort und Laune. Dies alles ist höchstwahrscheinlich „wahr“ – aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Wenn TILLY auch kein Freund der Geschichte als Methode war, musste er doch zugeben: „[W]hen most people take reasons seriously, those reasons arrive in the form of stories“ (2006: 95). Wie bereits bemerkt, dienen Geschichten dazu, Menschen in einer Gemeinschaft zu vereinen, in der bestimmte Symbole, Themen und Charaktere Wiedererkennen, Wissen, Zusammengehörigkeit und manchmal auch Handlungspläne bieten.
Die Vortheorie: ein methodologisches Manöver
Es ist nicht möglich, hier eine einzelne, eindeutige Definition der Geschichte zu geben. Ebenso existiert auch keine systematische oder leicht nachvollziehbare Vorgehensweise bezüglich des Sammelns, der Interpretation und der Präsentation von Geschichten. Nachdem ich die Unzulänglichkeit der bestehenden Methoden beklagt habe, bin ich mir allerdings auch darüber im Klaren, dass es einfacher ist, „zu definieren, welche Methoden vermieden werden sollten, als eine Reihe von Methoden für den systematischen Gebrauch vorzuschlagen“ (CLARK, 1973: 10). Was ich hier biete, kann man wohl am sinnvollsten als eine Vortheorie sehen: eine Übung, die eine grobe Orientierung darüber erlaubt, wie die Dinge funktionieren, und die Rohmaterialien zum Theoretisieren hervorbringt. In diesem Prozess werden wir es mit einer Reihe von Hypothesen zu tun bekommen: von Arbeitshypothesen auf der Mikroebene, die während der Feldforschung aufkamen, bis zu Bemühungen auf der Makroebene zur Erklärung der erkennbaren Muster und Prozesse. Vortheorien können dazu dienen, weitere Formen von Untersuchung und Forschung zu begleiten, sowie auch Theorien auf anderen Ebenen zu fundieren. Eine Vortheorie ist also der Versuch, das Terrain kartographisch zu erfassen, in dem sich manche von uns allen Warnungen zum Trotz zurechtfinden wollen, während andere in diesem nur ein wenig herumwandern möchten und wieder andere sich die Mühe von vornherein schenken. Hoffentlich können wir das Dickicht ein wenig lichten und den einen oder anderen Pfad freilegen.14
Diesen Teil der Arbeit als Vortheorie zu definieren, erlaubt Veränderungen und Modifizierungen im Laufe des Buches und bezieht idealerweise den Leser in den Prozess mit ein. Es wäre naiv, ja unaufrichtig, die Tatsache zu ignorieren, dass jeder Versuch der Theoriebildung eine Metaerzählung voraussetzt. Die Aufmerksamkeit soll sich hier jedoch nicht bekannten Metaerzählungen wie Produktionsweisen, dem Übergang von Feudalismus zu Kapitalismus, dem Aufkommen des modernen Staatssystems oder der Dichotomie zwischen Modernisierung und Abhängigkeit widmen. Unsere Metaerzählung könnte man am besten als modernistischen/materialistischen Konstruktivismus bezeichnen. Dies beinhaltet eine Verpflichtung gegenüber dem Empirischen, dem „Realen“ und ist gleichzeitig Ausdruck der Überzeugung, dass das Meiste nichtsdestoweniger, ob beabsichtigt oder nicht, von uns als modernen Menschen konstruiert wird.
Zu den Konsequenzen gehört, wie bereits erkennbar ist, das Verlassen der strikten, „traditionellen“ sozialwissenschaftlichen Form, oder zumindest dessen, was seit der „behavioristischen Revolution“ in den 1960ern davon übrig geblieben ist. Die Grundannahme lautet, dass man vorsichtig gegenüber dem Mythos (oder der „Chimäre“, siehe CHARTIER, 1991: 4) des Ursprungs sein sollte, dass es vielmehr keinen eindeutigen „Anfang“ gibt, dass wir uns deutlicherweise beinahe immer „in der Mitte“ befinden, wie DELEUZE und GUATTARI (1987: 25) annehmen, ein äußerst interessanter Ort, „[where] things pick up speed“ und „das Ende“ ein sich immer weiter fortbewegendes Konzept ist, das konstant umgeschrieben wird. Welche Probleme diese Auffassung auch aufwerfen mag, sie bildet die Welt nichtsdestoweniger akkurater ab, als die sonst übliche. Da Geschichten aus teils tief verwurzelten gesellschaftlichen Erinnerungen, Bedeutungen und Botschaften bestehen, ist es Zeit und Mühe wert, sie zu erforschen und auf ihre komplexen und verwirrenden Einzelheiten einzugehen. Trotz der offensichtlichen Probleme, die entstehen, wenn man sie als „Fakten“ behandelt, ermöglichen uns Geschichten doch einen Zugang in die Herzen und Köpfe der Menschen, wie er uns ansonsten nicht möglich wäre.
Ich möchte auf keinen Fall die Geschichte als möglichen Ersatz für eine exakte intellektuelle Analyse darstellen. Es gibt jedoch keinen Grund, Geschichten nicht mit in die Analyse einzubeziehen und sie nicht sogar als Heuristiken, Wegweiser zu wichtigen Themen zu nutzen. Die Anerkennung der Macht und Wichtigkeit der Geschichten und der Informationen, die sie liefern, sollte nicht unsere Fähigkeit einschränken, unsere Forschungsergebnisse (das, was wir „wissen“) in der quasi-objektiven analytischen Terminologie darzustellen, die die Sozialwissenschaften heutzutage ausmacht. Doch das ist unsere Geschichte; unvermeidlich ist unsere Sprache als Mittel der Verständigung essentiell für das sozialwissenschaftliche Projekt und unser Wissen und unsere Sprache werden durch das geprägt, was wir den Geschichten entnehmen können, die wir sammeln und dann (wieder)erzählen. Der entscheidende Punkt ist, dass Geschichten uns einen Zugang bieten, sie sind ein weiterer Teil unseres Handwerkszeugs, den wir nutzen können, um uns ein besseres Verständnis davon zu ermöglichen, was wir sind und wohin wir gehen.
Viele Geschichten sind Millionen von Menschen auf der ganzen Welt vertraut; ihre Kernelemente bleiben über Zeit, Raum und Kulturen hinweg die gleichen (siehe die Betrachtungen zur Erzählung weiter unten) und sie sind Ausdruck vieler einflussreicher und vertrauter Prinzipien. Wofür genau diese Geschichten stehen, liegt oft im Auge des Betrachters, dem es dann zufällt, andere von der Richtigkeit oder zumindest der Plausibilität seiner Interpretation zu überzeugen. Außerdem besteht für uns als „Eindringlinge“ aus der heutigen Zeit, für die jegliches Messen und Benennen eine Form der Kontrolle darstellt, ein Problem, wenn wir Bezüge zur heutigen Zeit herstellen möchten. Wir sind spät gekommen und zu diesem Zeitpunkt gibt es schlicht und einfach keine Möglichkeit mehr, festzustellen, ob beispielsweise die vielen Geschichten über gewaltige, vernichtende Überschwemmungen, heilige, gottesgleiche Männer und Frauen oder Heldengestalten und edle Individuen und Völker viele Generationen, ja möglicherweise Jahrtausende alt sind, nur verzerrte Versionen bestehender traditioneller Erzählungen, oder beides. Auf den kommenden Seiten werden wir untersuchen, ob dies überhaupt von Bedeutung ist. Unabhängig davon können wir diese Geschichten internationalisieren indem wir sie „denationalisieren“ und allen gemeinsame Motive finden, die darauf hinweisen, dass, obgleich Revolutionsangelegenheiten zutiefst regional sind, sie gleichzeitig umfassendere Regeln widerspiegeln, die wir über Zeit, Raum und Kulturen hinweg darüber aufstellen, wer wir sind, wie wir uns verhalten und was in unserer Welt möglich ist. Und das ist von großer Bedeutung.
Es geht weder darum, Geschichten zu privilegieren und andere Quellen auszuschließen, noch zu behaupten, dass ausschließlich Geschichten Menschen zu Handlungen bewegen. Es ist nicht meine Absicht, Geschichten und Kultur mit so abstrakten Dingen wie wirtschaftlichen Prozessen oder politischen Kräften gleichzusetzen. Allein die Anzahl der Faktoren, die man sinnvollerweise berücksichtigen muss, wenn man das Wo, Wann und Warum von Revolutionen erforscht, ist überwältigend und es hat zu diesem Thema viele unterschiedlich erfolgreiche Ansätze gegeben. Die Betroffenen durchlaufen offensichtlich eine ganze Reihe von Erfahrungen, die von Unterdrückung zu Hunger bis hin zur resultierenden emotionalen Reaktion reichen. Was eindeutig zu wenige dieser Analysen beachtet haben, die oft von elitären oder intellektuellen Diskursen geleitet wurden – ein Punkt, der auch dieses Projekt betreffen könnte – ist die Frage, zu welchem Grad das Erzählen fesselnder Geschichten eine Schlüsselfunktion besitzen könnte. Jede einzelne Geschichte kann eine Vielzahl von Bedeutungen für Erzähler und Zuhörer haben, die wiederum alle mit vielen Stimmen sprechen und von vielen Positionen aus zuhören.
Zurück zu unserer Geschichte
Im Prinzip möchten Menschen Geschichten hören, die sie bereits kennen, mit vertrauten Charakteren und einer Handlung, die sie vorausahnen können – ängstlich oder erwartungsfroh (BATES, 1996: 72). Offensichtlich scheint eine Sehnsucht nach Helden zu bestehen, die auf mehr oder weniger mythische Weise über besonderes, geheimnisvolles Wissen verfügen und dabei gleichzeitig voll und ganz menschlich sind. Oftmals können sie über ihre aktuellen, zumeist trostlosen Umstände hinausblicken und sich eine bessere Zukunft ausmalen, eine Vision, von der sie träumen können und die gleichzeitig in Reichweite zu sein scheint, selbst wenn sie zeitweilig Selbstaufgabe und große Opferbereitschaft verlangt.
Die Menschen greifen auf Geschichten zurück, um in der Welt, ihrem Platz in ihr und ihren (nicht vorhandenen) Möglichkeiten, einen Sinn zu erkennen. Durch Geschichten ist es den Menschen möglich, ihr Leben auf eine bestimmte Weise darzustellen (und damit zumindest die Illusion von Kontrolle und Zielgerichtetheit zu erzeugen), wobei sie nicht nur ihr eigenes Wissen und die eigenen Erfahrungen mit einbeziehen, sondern auch die ihrer Gemeinschaften. Deshalb reflektieren Geschichten das Leben der Menschen wie es beinahe keinem anderen Text möglich ist; sie machen das Abstrakte konkret, das Komplexe überschaubarer und die Dinge generell „realer“. Geschichten verringern die immense Komplexität der Welt, inklusive der unseres täglichen Lebens, und verkleinern sie auf eine für Menschen erfassbare Größe. Sie fügen bereits angelegten Informationsspeichern weitere Informationen hinzu und folgen im Großen und Ganzen bekannten Pfaden. Oftmals sind Geschichten Dramatisierungen und Erzählungen von nicht in der Gegenwart stattfindenden Ereignissen. Dabei sollen sie jedoch in den meisten Fällen als mehr oder weniger organisierter Ausdruck der sozialen „Realität“, der die Welt vereinfacht, die Gegenwart erklären. Geschichten ermöglichen den Menschen das „Ausprobieren“ einer anderen Welt als der Ihrigen. Nur wenige Mittel der Informationsweitergabe sind so verbreitet, so umfassend, so mitreißend, so erfüllend – und so ungeeignet, mit sozialwissenschaftlichen Methoden erfasst zu werden.
„Die Problematik der Geschichten“
Die Sozialwissenschaften betrachten die oft problematischen Erzählungen im Allgemeinen nicht besonders wohlwollend. Sie werden meist mit dem Zusatz „bloß“ versehen und als „Beschreibung“, „Journalismus“ oder, am vernichtendsten, als „Historie“ bezeichnet.15 Dieser letzte Punkt ist ein besonders seltsamer Vorwurf, wo wir doch für unsere Daten zu einem großen Maße auf Historiker und deren Forschung angewiesen sind. Wie POLLETTA (2006: x–xi) jedoch beobachtet, haben Geschichten eine widersprüchliche Stellung inne, „gemeinhin werden sie für authentisch und irreführend gehalten … als allgemeingültig in ihren Schlussfolgerungen und als gefährlich partikularistisch – sogar idiosynkratisch – angesehen. Das Geschichtenerzählen wird geschätzt, genossen und misstrauisch beäugt.“ Zunehmend (wenn auch noch zögerlich) wird jedoch auch die Tatsache anerkannt, dass Sozialwissenschaftler ebenfalls Geschichten erzählen und dass wir uns zumindest über die damit einhergehenden Implikationen klar werden sollten: Was bedeutet es, dass wir, selbst wenn wir „Geschichten“ nicht für voll nehmen, von ihnen abhängig sind und sie benutzen, um unsere Arbeit weiterzuentwickeln und zu verbreiten?16 Was nun folgt, ist größtenteils von den neueren Arbeiten TILLYS (2002, 2006, 2007, 2008) inspiriert, die den Ge- und Missbrauch von Geschichten zum Thema haben, wobei er ihnen Einfluss und eine Rolle als Hoffnungsträger zugesteht. Es handelt sich um eine knappe Übersicht über einige der Probleme beim Umgang mit Geschichten, grob den Kategorien Wahrheit, Methodologie, Übermittlung und Übersetzung zugeordnet.
Durch Fiktion die Wahrheit erzählen
Häufig ist eine der ersten Fragen, die zu einer Geschichte gestellt wird, ob sie „wahr“ ist oder nicht. Um dies mit einer Gegenfrage zu beantworten: „Ist das von Bedeutung?“ Viele Geschichten sind sicherlich wahr, wobei es natürlich darauf ankommt, was man mit diesem schwierigen Ausdruck meint, denn es ist schwer zu sagen, wessen Wahrheit für wen, wann und wo zutrifft. Doch ebenso sicher sind die meisten – was Details oder Erzählweisen angeht – auf die eine oder andere Weise nicht wahr. Wie sollten sie auch? Ist es denn irgendeiner Art von Bericht oder Wiedergabe möglich, absolut exakt und zutreffend zu sein? Wird denn nicht jeder Bericht unvermeidlich erst vom Erzähler interpretiert und dann vom Zuhörer aufs Neue interpretiert? Das soll nicht heißen, dass er – was natürlich auch passieren kann – absichtlich fiktionalisiert wird, sondern eher dem menschlichen Hang zu guten Geschichten Rechnung tragen, womit vertraute Geschichten gemeint sind, die erkannt und verstanden werden und die deshalb bestimmten Mustern und Vorgaben folgen müssen.
Dass erstaunlich viele ähnliche Geschichten über so viele verschiedene Zeiten und Orte hinweg auftauchen, spricht entweder für ihre grundlegende, elementare Natur oder dafür, dass zwischen unseren Vorfahren ein wesentlich deutlicher ausgeprägter Kontakt herrschte, als allgemein angenommen. Dies wird am offensichtlichsten in den religiösen Traditionen und ihren ausgiebigen Überschneidungen, nicht zuletzt im Bereich der Schöpfungsgeschichten; doch auch in Geschichten über Tiere, inter- und intrafamiliäre Beziehungen, Anführer und Geführte, die Bemühungen der Alten, die Jungen zu belehren und umgekehrt. Oft sind dies nur kleine Geschichtchen, die Wahrheit und spontane Einfälle vermischen, um solche Fragen wie die, woher der Tiger seine Streifen oder der Leopard seine Flecken hat, zu klären. Ist also irgendeine Geschichte wahr? Ist das von Bedeutung? Vielleicht nicht. Ob eine Geschichte „wahr“ ist oder nicht, könnte weniger wichtig sein, als die Frage, ob sie es sein könnte oder sollte.
Wir wissen schon lange, dass viel von dem, was als „Fakt“ bezeichnet wird, nicht zuletzt gesellschaftlich abgesegnete Geschichtsdarstellungen, die von Regierungs- oder sonstigen „offiziellen“ Dokumenten belegt werden, oft nicht mehr als spärlich verhüllte Fiktion ist und die dargestellten „Fakten“ die sind, die den Absichten des Autors und/oder denen seiner Geldgeber dienen.17 Zusätzlich wurde vieles von dem, was wir „wissen“, was als Wahrheit angesehen wird, uns über das zugänglich gemacht, was wir „Fiktion“ nennen. In beiden Fällen muss man die Existenz von etwas anerkennen, das wohl am sinnvollsten als „soziale Wahrheit“ bezeichnet werden kann, das Ergebnis eines breiten Konsenses, der verschiedene Interessen zu verschiedenen Ausmaßen berücksichtigt. Doch Repräsentationen der Realität und die Realität selbst sind nicht leicht voneinander zu trennen und höchstwahrscheinlich sagen Geschichten etwas über den Blickwinkel und vielleicht sogar die Motivationen der Menschen aus. Ich möchte hierbei nicht außer Acht lassen, dass Menschen zu allen möglichen Arten von Unwahrheiten fähig sind – „in everyday conversation as well as considered composition“ (FOLEY, 1993: 231).18 Doch diese „durchdachten Kompositionen“ sind eine Quelle von unschätzbarem Wert.
Da das Thema „Wahrheit“ in der Diskussion zur „Erinnerung“ im nächsten Kapitel wieder auftauchen wird, werde ich vorerst nur drei weitere Feststellungen machen. Erstens: Es gibt einige Kulturen, in denen das Konzept der Aufrichtigkeit zutiefst auf den Worten der anderen basiert und auf der Art, wie diese Worte verstanden werden. Bei den Bemba ist beispielsweise das Ohr „the organ of truth“ und die Kriterien der Wahrheit die Worte der anderen (MAXWELL, 1983: 11). Dies wirft offensichtlich eine Reihe von Fragen auf, erinnert uns aber vor allem erst einmal daran, dass nicht nur die Worte selbst von Bedeutung erfüllt sind, sondern auch die Art, wie sie gehört werden und wer sie wem auf welche Weise sagt. Die gleichen Worte können selbst unter den gleichen Umständen mit verschiedener Wirkung geäußert werden, denn manche Menschen verfügen über Autorität und andere nicht. In jeder Gesellschaft und Kultur gibt es die, deren Worte eine privilegierte Stellung einnehmen.
Zweitens: Ein Großteil der Diskussion zur „Wahrheit“ spielt sich im Rahmen von Fragen der „Authentizität“ ab. Hierbei geht es um Autorität und Legitimität: Wer darf sprechen? Dies kann besonders entscheidend sein, wenn die „Wahrheit“ heiß umkämpft wird. GRISWOLD drückt es so aus: „[A]uthentizität ist immer ein Produkt menschlichen Handelns, und der Unterschied zwischen dem Authentischen und dem Erfundenen hängt vom Kontext ab: Ein echter Warhol ist eine unechte Suppenkonserve“ (1998: 274). Sie versichert uns aber nichtsdestoweniger, dass eine „authentische Authentizität“ existiert, „der die künstliche vergleichend gegenübergestellt und für unzulänglich befunden werden könnte.“ Anders ausgedrückt, besitzen die Menschen anscheinend die Fähigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, was behauptet, authentisch zu sein, und dem, welches es wirklich ist.
Drittens: Diesen Punkten zufolge müssen Geschichten sowohl wörtlich genommen werden, als auch nicht. Hier treffen sich BURCKHARDTS Begriff der Geschichten, die „true and not true“ sind, das Interesse der Bemba am gesprochenen und gehörten Wort, GRISWOLDS Augenmerk auf die Authentizität und STEFFENS’ Anekdote über Gerüchte, die „truer than the records“ waren und von jemandem stammten, der verstand „what it was all about“. Geschichten müssen sorgfältig und bewusst betrachtet werden und wenn möglich unter Zugriff auf verschiedene Quellen. Selbst dann haben wir das Recht, sie für suspekt zu halten und das sollten wir wohl auch besser – ist es so wirklich passiert? Waren es die Spanier, die 1898 die USS Maine im Hafen von Havanna in die Luft sprengten? Haben die Polen Deutschland 1939 provoziert? Wurden die US-Schiffe im Golf von Tonkin 1964 von der Republik Vietnam angegriffen? Haben die Menschen sich überall in den Vereinigten Staaten für die Bürgerrechte ausgesprochen? War es der Iran (oder Afghanistan), der die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 attackierte? Die Liste ist endlos und es ist ebenso unmöglich, die „Wahrheit“ festzustellen, wie irrelevant. Von Bedeutung ist allein das, was von einem bestimmten Zeitpunkt an zur Wahrheit erklärt wird, wie zweifelhaft diese auch sein mag.
Steht hinter dem Wahnsinn Methode? 19
Was Geschichten angeht, wimmelt es nur so von methodologischen Bedenken. Obwohl sie häufig schon sehr alt und teils auch „standardisiert“ sind, scheinen Geschichten oftmals schwer fassbar und überaus regional begrenzt. Selbst in aneinandergrenzenden Vierteln innerhalb einer Stadt erzählt man sich zum Teil leicht unterschiedliche Versionen der gleichen Geschichten, besonders in Gesellschaften, wo sich die Menschen eher mit ihrer Nachbarschaft identifizieren als mit ihrer Stadt oder ihrem Land. Viele Geschichten sind, ungeachtet ihrer Herkunft, nur flüchtige Einblicke, die von Menschen verbreitet werden, die sich in den unterschiedlichsten Situationen befinden. Doch wie TILLY (2002: 26) es ausdrückt (mehr dazu weiter unten), gibt es solche, die man sinnvollerweise als Standardgeschichten bezeichnen kann. Diese sind „sequenzielle, erläuternde Berichte von miteinander verbundenen, selbstangetriebenen Menschen und Ereignissen, die wir manchmal Märchen, Fabeln oder Erzählungen nennen … erläuternde Darstellungen von eigenmotiviertem menschlichen Handeln.“ Diese Darstellung von Geschichten scheint sehr eng gefasst und reduziert. Die bloße Existenz der Standardgeschichten zeugt von ihrer Beständigkeit. Volkskundler haben sogar Typologien für die Klassifizierung von Mythen und Märchen entwickelt. Die gebräuchlichste ist das Zahlen- und Buchstabensystem des Aarne-Thompson-Indexes, dessen Zuordnungen sowohl auf der Geschichte als auch auf den in ihr enthaltenen Motiven beruhen.20 Geschichten scheinen gleichzeitig flüchtig und überraschend langlebig zu sein; so abhängig, wie sie nun einmal von den Menschen sind, sollte dies nicht überraschen und eine hervorragende Basis für die weitere Untersuchung bieten.
Zu der „regionalen Begrenztheit“ kann man feststellen, dass Geschichten stark „versioniert“ sind, also in verschiedenen Versionen vorliegen. Es gibt zum Beispiel in León in Nicaragua zahllose Geschichten über den Widerstand und die Rebellion 1978–79 gegen das diktatorische Regime Anastasio Somozas. Die Handlungen variieren nicht nur von Viertel zu Viertel, sondern manchmal sogar von Wohnblock zu Wohnblock, wobei verschiedene für sich in Anspruch nehmen, die Hauptrolle gespielt zu haben, was manchmal auf ein einzelnes Individuum oder Ereignis bezogen ist. Manchmal beinhalten die Geschichten konkurrierende Aussagen, die alle der Wahrheit entsprochen haben mögen, selbst wenn das eigentlich nicht möglich erscheint. So versteckte sich beispielweise Comandante Omar Cabezas bei diesen Menschen in diesem Barrio, führte eine Razzia in jenem durch, wurde von diesen Leuten hier versteckt, aß mit anderen zusammen in wieder einem anderen Barrio, versteckte sich tatsächlich eigentlich in diesem Viertel und lobte die Menschen in einem anderen Stadtbezirk für ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Tapferkeit – manchmal sogar alles zur gleichen Zeit! Als er bezüglich all dieser Geschichten befragt wurde, lachte er und bestätigte breit grinsend, dass sie selbstverständlich alle wahr seien (CABEZAS, 1989). In jedem Barrio entstanden Lokalhelden und León und die heldenhafte Rolle Leóns in der Nicaraguanischen Revolution veränderte sich jeweils ein wenig, wenn auch die Besetzung und die Rahmenhandlung – und natürlich die grundlegenden Wahrheiten – größtenteils dieselben blieben.
Ein weiteres Dilemma besteht darin, dass die Szenarien der Geschichten oftmals in einer summierenden, generalisierenden rhetorischen Form dargestellt werden, die Unsicherheiten vermeiden und eine Unausweichlichkeit der Handlung suggerieren soll. Solche Geschichten scheinen besonders geeignet für Menschen, die andere anführen möchten und eine mitreißende Erzählung zur Legitimation suchen. Geschichten werden häufig benutzt, um inkohärente oder widersprüchliche Vorgänge glattzubügeln und eine klare und eindeutige Vorstellung zu präsentieren. Ein Beispiel dafür könnte Maurice Bishops Rede 1982 in Grenada sein, in der er die Marschroute vorgab und sich dabei auf Marx und Engels stützte.21 Das Ziel ist hier einerseits, die Menschen davon abzuhalten, in verschiedene Richtungen zu streben, andererseits geht es darum, zu vermeiden, dass sie von unklaren Handlungen, die sie eventuell für widersprüchlich oder abschreckend halten könnten, verwirrt werden. Solche Geschichten in einen entsprechenden Kontext zu stellen und die Erzählung sensibel und nuanciert herauszulösen, ist überaus schwierig.
Offensichtlich werden Geschichten größtenteils dadurch bestimmt, wie die Menschen ihr Umfeld, wie sie ihre Welt sehen. Trotzdem handelt es sich nicht nur um eine reine Einschätzungssache. Es handelt sich auch um die Frage, wie sie mit der Exaktheit und Reproduzierbarkeit erfasst werden können, die in den Sozialwissenschaften so wichtig sind. Momentan fehlen die Theorien, weniger die Instrumente, um den Einfluss zu messen, den eine Geschichte, ein Lied, ein Tanz oder ein Symbol auf Gesellschaften und Kulturen haben kann; sehr selten gibt es enger gefasste und gezielte Studien dazu, wie sich beispielsweise ein Song oder eine Fernsehsendung auf die Politik des Landes auswirken können.22 Wir haben es hier definitiv mit einer großen Herausforderung zu tun, jedoch mit einer, die den Aufwand wert ist, wenn man sich die möglichen Einsichten in unsere individuelle und kollektive Psyche vergegenwärtigt.
Übermittlung
Übermittlungsprobleme verschiedenster Art treten täglich auf, von einfachen Anweisungen zu komplizierteren Kommunikationsvorgängen. Irgendetwas geht in beinahe jeder Übermittlung verloren oder wird hinzugewonnen: es gibt Unterbrechungen, Verfälschungen und Diskontinuitäten, die meisten davon unabsichtlich, viele auch nicht wahrnehmbar. Denken wir nur einmal an das in vielen Kulturen verbreitete Kinderspiel „Stille Post“, bei dem ein Satz flüsternd von Ohr zu Ohr weitergegeben wird, bis er wieder beim Urheber ankommt, der dann, meist unter großem Gelächter, das wiedergibt, was bei ihm angekommen ist, und den Originalsatz nennt. Solche Verfälschungen sind nur selten beabsichtigt, im Gegensatz zur „echten Welt“, wo sie manchmal bewusst in Kauf genommen werden, wenn ein Erzähler versucht, eine Geschichte zu vermitteln oder ein Zuhörer versucht, sich den Sinn der Geschichte in seinen eigenen Begriffen zu erschließen, oder die Geschichte gar auf sich zu übertragen. Noch wahrscheinlicher wird eine Verfälschung, wenn die Übermittlung über mehrere Kulturen und längere Zeitabstände hinweg erfolgt und wenn Übersetzung involviert ist.
Wie beispielsweise Mexikos berühmteste revolutionäre Figur Emiliano Zapata sowohl zum Helden der mexikanischen Regierung werden konnte als auch zu dem ihrer unerbittlichen revolutionären Gegner, der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (Ejército Zapatista de Liberación Nacional, EZLN), ist interessant, jedoch nicht besonders schwierig zu verstehen (siehe unter anderem BRUNK, 2008). Zapata spielt seit Langem eine Doppelrolle in Mexiko (MARTIN, 1992); die Menschen adaptieren die Geschichten über ihn entsprechend ihren jeweiligen Absichten. Präzise darzulegen, wie Zapata zu einer wichtigen Revolutionsfigur im restlichen Lateinamerika und der Karibik werden konnte, könnte eine größere Herausforderung darstellen, doch seine Präsenz – und sogar die seines geliebten und sagenumwobenen weißen Pferdes, immer noch ein Symbol für Widerstand und Kampf – bei den Revolutionären außerhalb Mexikos ist faszinierend. In vielen Fällen ist es allerdings möglich, direkt oder indirekt die Spur der Übermittlung zu verfolgen.
Malen wir uns einmal das folgende plausible, wenn auch spekulative, Szenario aus. Man kann sich relativ leicht vorstellen, dass die jungen kubanischen Revolutionäre (und der ein oder andere Argentinier), die Mitte der 1950er in Mexiko ausgebildet wurden (von einem Exilanten aus der Spanischen Republik, dem Luftwaffenoberst Alberto Bayo23), eine Menge über Zapata hörten und dass sie mit einigen der alternden Zapatisten Kontakt hatten. Zwanzig Jahre später schulten einige eben dieser Kubaner die Revolutionäre in Afrika und kämpften gemeinsam mit ihnen. Unter anderem brachten sie die Geschichten über Zapata mit. Zehn Jahre später erwähnte der damalige Außenminister und spätere Präsident Mosambiks, Joaquin Chissano, nachdem er auf eine Studie der Revolutionen in Lateinamerika angesprochen worden war, unter anderem (mit sichtbarer Begeisterung) „Zapatas weißes Pferd“ (1985).
Doch was hat das zu bedeuten? Was wussten die Mosambikaner oder die Kubaner von Zapata? Wie fügten sie ihn in ihre revolutionäre Kosmologie ein? Wer war er und welche Bedeutung hatte er für sie? Es ist denkbar, dass in beiden Kulturen – in Mosambik und auf Kuba – Zapatas Pferd, besonders wenn man es als außergewöhnlich großen und weißen Hengst sieht, wichtiger wurde als der Mann. Ein tapferer Mann, der auf einem weißen Pferd für sein Volk und eine gerechte Sache kämpft, taucht in einer Reihe von Geschichten auf, in den verschiedensten Kulturen und vielen Zeiten und Orten. Wie wird eine Geschichte verbreitet, wie wird sie gehört und was geht bei der Übersetzung verloren?
Selbst innerhalb eines Landes kann es eine Herausforderung darstellen, einzuschätzen, was solche Verbindungen wann und für wen bedeuten. In Nicaragua gibt es Geschichten über alternde Sandinisten aus den 1920ern und 1930ern, die sich bei der jüngeren Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront („Frente Sandinista de Liberación Nacional“) zum Dienst meldeten.24 Doch einige der „Original-Sandinisten“ waren von dem verwirrt, was sie antrafen, sahen und hörten. Für beide Seiten war es schwierig, ihre Vorstellung und ihr Verständnis von der Situation zu kommunizieren. Es kam nur selten zu Annäherungen, obwohl die verbliebenen Original-Sandinisten die jüngeren Sandinisten größtenteils zu unterstützen schienen, besonders, als die Kämpfe ihren Höhepunkt erreichten. Fragen bezüglich der Übermittlung von Geschichten können also sehr erhellend sein, besonders wenn es um mehrere konkurrierende Geschichten geht, die deutliche, wenn auch nur oberflächliche Ähnlichkeiten aufweisen.
Übersetzung
Die Übermittlung von Geschichten wirft bestimmte Probleme auf, ihre Übersetzung hingegen wieder andere. Jedem sind die offensichtlichen Schwierigkeiten der Übersetzung bekannt; man nehme nur einmal ein vertrautes Buch und lese es in seiner Originalsprache oder versuche, eine Online-Übersetzungsmaschine zu verwenden. Doch Worte sind nicht das Einzige, was der Übersetzung bedarf. Alles, was in irgendeiner Weise als „Text“ gelesen werden kann – Kunst, Musik, Filme, Fernsehsendungen, Nachrichten, Architektur und so weiter – kann eine Übersetzung erfordern. Und das Übersetzen ist eine schwierige Aufgabe; selbst ein schlechter Übersetzer ist sich laut BENJAMIN darüber im Klaren, dass es etwas „Unfassbares, Geheimnisvolles, ,Dichterisches‘“ (1999a: 253) erfordert. Ein Teil des Problems ist, dass es selbst, wenn wir alles außer den Worten außer Acht lassen, „eine Nachreife auch der festgelegten Worte [gibt]. Was zur Zeit eines Autors Tendenz seiner dichterischen Sprache gewesen sein mag, kann später erledigt sein, immanente Tendenzen vermögen neu aus dem Geformten sich zu erheben. Was damals jung, kann später abgebraucht, was damals gebräuchlich, später archaisch klingen“ (BENJAMIN, 1999a: 256). Also ist „alle Übersetzung nur eine vorläufige Art … sich mit der Fremdheit der Sprachen auseinanderzusetzen … die Aufgabe des Übersetzers … besteht darin, diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, zu finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird“ (1999a: 257, 268). Dies ist offensichtlich keine geringe Aufgabe und sie übersteigt das, was man fairerweise von einem Übersetzer verlangen kann.
Es handelt sich hier nicht um geringfügige oder besonders spezielle Probleme, und sie sind bei Weitem nicht die einzigen. Generell bestehen beim Übersetzen zwei Dilemmata, die man vielleicht als „Tat- und Unterlassungssünden“ („sins of commission and sins of omission“) bezeichnen könnte. Die drei verbreitetesten „Tatsünden“ sind die Simplifizierung, das Verschleppen von Konzepten oder sogar Kontexten aus dem fremden Gebiet in das eigene und die Veränderung oder das Auslassen komplexer Charaktere, Szenarien oder Verhaltensweisen, die nicht zu einer bestimmten Zeit, Kultur oder in einen bestimmten Ort passen. Die drei „Auslassungssünden“ bestehen im Nichtvorhandensein von Zwischentönen, Sachkenntnis und, nach BENJAMIN, der „flüchtigen Berührung“ („a deft touch“). Bei diesen vielfältigen Problematiken geht es speziell um ein Phänomen, das wir als „kulturelle Anpassung“ („cultural re-editing“) bezeichnen könnten.
Diese „kulturelle Anpassung“ bezieht sich auf die Integration der Symbole oder Geschichten einer anderen Kultur in die eigene.25 Während dieser Vorgang für Forscher natürlich den Vorteil der besseren Vergleichbarkeit hat und die Möglichkeit bietet, bekannte Geschichten wiederzuerkennen, stellt er uns auch vor eine ganze Reihe von Problemen. Um ein offensichtliches Beispiel zu nehmen: Kulturübergreifende/multikulturelle Darstellungen Ché Guevaras sind seit ca. 40 Jahren weit verbreitet, angetrieben von seinem stetigen Aufstieg zur popstarähnlichen Ikone, einem Status, an dem sich bis heute nicht viel geändert hat.26 Doch es ist nicht ganz klar, wie hilfreich es ist, unter anderem Amilcar Cabral (Kapverden/Guinea-Bissau) als den „Ché Guevara Schwarzafrikas“ zu bezeichnen,27 während Subcomandante Marcos der mexikanischen EZLN zum „Ché Guevara seiner Generation“ erhoben wird und gleichzeitig der palästinensische Aktivist Mohammad Al-Aswad „Guevara von Gaza“ getauft wird oder der europäische und nordamerikanische Revolutionär Tom Paine im Nachhinein als „Ché Guevara seiner Zeit“ gewürdigt wird. Solche Bezeichnungen erlauben inhaltliche Verkürzungen und darüber wiederum Legitimierungen und Autoritätsansprüche, teils funktionieren sie sogar als Authentizitätsmerkmal. Selbst wenn sie auf den ersten Blick hilfreich wirken, erweisen sie sich doch nur zu oft als das exakte Gegenteil, indem sie dazu beitragen, Menschen, Orte, Ereignisse und Prozesse als austauschbar, ja sogar nach Belieben veränderbar erscheinen zu lassen. Es besteht also das Risiko, unpassende und ablenkende Schlüsse zu ziehen, die mehr in die Irre führen können, als sie erklären, und mehr verhüllen, als sie offenlegen. Die Hauptgefahr liegt darin, dass die Illusion von Kategorisierbarkeit und somit Kontrolle geschaffen wird.
Tillys „Problematik der Geschichten“
Charles TILLY, einer der einflussreichsten und brilliantesten Sozialwissenschaftler der letzten 50 Jahre behandelt in seinen letzten Arbeiten das, was er als die „Problematik der Geschichten“ bezeichnet.28 Zusätzlich zu seinen klugen Analysen erzählt TILLY auch noch eine gute Geschichte. Abgesehen von seiner etwas nicht ganz ernst gemeinten Frage, „[whether] any credible versions of realism remain“ (2002: 4), ist TILLYS restliche Analyse sehr empfehlenswert. Er stellt fest, dass die Menschen gemeinhin ihr Leben als Geschichten begreifen, welche „crucial work in patching social life together“ (2002: 26) verrichten. Er macht die wichtige Wiederentdeckung der „zentralen Bedeutung sozialer Vorgänge, Bindungen und Beziehungen zu sozialen Prozessen und der Untersuchung der Verbindung zwischen sozialen Beziehungen auf der einen Seite und sozialen Konstruktionen auf der anderen Seite“ (2002: 5). Zusätzlich stellt er die These auf, Geschichten seien „fesselnde Darstellungen von dem, was passiert ist, was passieren wird oder was passieren soll“ und verrichteten daher „innerhalb des sozialen Lebens grundlegende Arbeit, indem sie das Engagement der Menschen in gemeinsamen Projekten bestärken, indem sie den Menschen helfen, dem, was passiert, einen Sinn zu geben, indem sie kollektive Entscheidungen und Beurteilungen kanalisieren und Menschen zu Handlungen anregen, denen sie sonst nur widerstrebend nachgehen würden“ (2002: 27). Diese Überlegungen gehen mit der elementaren Prämisse dieses Buches konform.
Doch trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des bestehenden Überflusses an Geschichten stellt TILLY fest, dass Geschichtenerzählen zwar zentraler Bestandteil des menschlichen Lebens, jedoch die Kausalstruktur zwischen „most standard stories and most social processes“ einfach nicht kompatibel sei (TILLY, 2002: 32). Obwohl sie althergebracht und zu einem gewissen Grad standardisiert sind, warnt TILLY vor den von ihm sogenannten „standard stories“. Es handele sich um „[einen] sequenziellen, erläuternden Bericht von miteinander verbundenen, selbstangetriebenen Menschen und Ereignissen, die wir manchmal Märchen, Fabeln oder Erzählungen nennen“, die „eigenmotiviertes menschliches Handeln“ (2002: 26) beinhalten würden und zumeist vergänglich und regional begrenzt seien. Obwohl es auch „superior stories“ (TILLY, 2002: xiii; 39–40; 2006: 171) gibt, die sich teils dadurch auszeichnen, dass sie „wahr“ sind, sind auch diese mit Mängeln behaftet, da sie nicht in der Lage sind, „eine Reihe von schrittweise zunehmenden, indirekten, unvorhergesehenen und ansonsten komplexen Ursachen“ (2002: xiv) darzustellen. TILLY bemängelt: „[I]n den meisten Fällen bietet das Standard-Geschichtenerzählen eine minderwertige Orientierungshilfe zur Erklärung sozialer Phänomene … Die meisten sozialen Prozesse beinhalten Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die indirekt, schrittweise zunehmend, interaktiv, unbeabsichtigt, kollektiv und/oder durch die nicht-menschliche Umgebung vermittelt werden“ (2002: 35). TILLYS gesamte Äußerung ist komplex, inhaltsschwer und beinhaltet geschickt platzierte Anekdoten, die seine überzeugenden Thesen beleben und realer werden lassen. Das Ergebnis seiner Analyse lautet, dass Geschichten von geringem Nutzen sind.
Es ist allgemein bekannt, dass Geschichten problematische Leitfäden für soziale Analysen darstellen, „even when they convey truths, stories enormously simplify the processes involved“ (TILLY, 2002: 65). Diese Simplifizierung ist allerdings oft nur eine Illusion und so oder so trägt ihre Rolle und Position als Übertragungsmedium zu ihrem Wert für die Forschung bei. Wenn man davon ausgeht, dass soziale Prozesse in sich bereits wie eine Erzählung strukturiert sind, so korrespondiert unser Verständnis von ihnen und unsere Wiedergabeweise in den meisten Fällen mit der vertrauten „Anfang-Mitte-Ende“-Struktur und Verlaufskurve. Doch ob wir sie nun vorziehen oder nicht, unsere Welt ist voll von Geschichten, die nicht konform zum Romanmodell des 19. Jahrhunderts funktionieren, das von einer logischen Progression des Plots und einem sauberen Abschluss definiert wird. Stattdessen besitzen sie häufig ein offenes Ende, und bieten nicht nur viel Raum für Interpretationen, sondern verlangen geradezu nach ihnen, sind in gewisser Weise abhängig von ihnen. Die Menschen bringen ihre Geschichten in Konversationen ein und vertiefen und erweitern damit die Diskussion. Ein Ergebnis ist, dass sie exakt die Ursache-Wirkungs-Beziehungen widerspiegeln, die TILLY beschreibt; die besagten Geschichten sind eben solche, die die Auffassungen der Menschen bezüglich der indirekten, unmerklichen und häufig unbeabsichtigten Elemente und Aspekte in ihren Geschichten und ihrem Leben zeigen. Außerdem sind sie Ausdruck ihres Bewusstseins (und Nicht-Bewusstseins) darüber, wie überaus interaktiv und kollektiv ihre Geschichten und ihr Leben sind. Des Weiteren spiegeln diese Geschichten auch den oft außergewöhnlich hohen Anteil zufälliger Ereignisse im menschlichen Leben wider. Dies ist es, was wir hier untersuchen wollen.
Das Erfinden und Erzählen von Geschichten: die Kunst der bricolage
Es gibt unendlich viele Geschichten auf der Welt und auch Revolutionsgeschichten gibt es zuhauf, sogar mehr als historische Aufzeichnungen zur Revolution (eine beachtliche Leistung) und weiter verbreitet, als wir gemeinhin annehmen. „People rework and simplify social processes so that the processes become available for the telling“ (TILLY, 2008: 39). Doch wer „erfindet“ diese Geschichten wie und warum? Wenn die Antworten auch auf der Hand liegen – wir erfinden sie, aus all den bisher erörterten Gründen – bleibt doch der Prozess an sich rätselhaft. Meine These lautet, dass die Menschen sich an ihre Vergangenheit erinnern („remember“ beinhaltet im Englischen auch eine Assoziation vom Zusammensetzen einzelner Teile, A. d. Ü.), oftmals in mythischen Begriffen, und dass sie einander nachahmen; wir sind mimetisch. Dies führt dazu, dass sie die Welt oft wie ein bricoleur betrachten, ein Ausdruck, der in diesem Kontext besagen soll, dass sie in der Lage sind, viele verschiedene Aufgaben mit den Hilfsmitteln oder Materialien zu bewältigen, die sie gerade vorfinden. Oft sind dies Dinge, die sich im Laufe des Lebens angesammelt haben, bis zu dem Moment, wo sie zum Einsatz kommen.29 Der bricoleur ist weder ein rein praxisorientierter Wissenschaftler (oder Ingenieur), noch ein rein abstrakter Theoretiker, er ist also auf alles vorbereitet und kann mit jeder Situation umgehen, was sie auch für Mittel erfordern mag.30 Der Ausdruck bricoleur kann sich also auf jemanden beziehen, der seine eigenen Strategien entwickelt, um die gegebene Realität zu verstehen und mit ihr zu arbeiten.
Dies geschieht nicht in einem Vakuum. Es gibt nicht nur äußere Umstände, sondern, wie POLLETTA vermerkt, auch aktive Zuhörer, „die die Lücken zwischen den sich entwickelnden Ereignissen und auch zwischen Ereignissen und dem größeren Ziel, auf das sie hinauslaufen, füllen … wobei sie nie ganz geschlossen werden können. Die Möglichkeit, dass dieselben Ereignisse einen anderen normativen Aspekt erbracht hätten, wenn sie mit anderen Worten beschrieben worden wäre, bleibt bestehen … wir erwarten es, Geschichten interpretieren zu müssen“ (POLLETTA, 2006: viii, Hervorhebung im Original). Genau wie Anführer nicht weiter oder schneller gehen können als ihre Gefolgschaft es ihnen erlaubt, und sie verhandeln und Kompromisse eingehen müssen, um diese zu überzeugen, so müssen auch Geschichtenerzähler ihre Zuhörer, ihre Umgebung und ihre Situation berücksichtigen. Es ist keine geringe Aufgabe, klare, fesselnde und authentische Geschichten zu erschaffen.
Aus einem Sammelsurium von Materialien und Konzepten ein mehr oder weniger schlüssiges Ganzes zu erzeugen, kann man durchaus als Handwerk der bricoleure bezeichnen; jener, die zur „magischen Kunst“ der bricolage fähig sind, also „neue Geschichten … aus wiederverwendeten Teilen älterer Geschichten“ herstellen (DONIGER, 2000: 26; APTER, 2006: 791 stellt ebenfalls den Bezug zwischen Magie und bricolage her). Dies tun Menschen in vielen Situationen, von denen nur wenige an sich außergewöhnlich sind. Viele gewinnen erst im Kontext an Bedeutung, vielleicht niemals so oft, wie unter den ungewöhnlichen Umständen, die entstehen, wenn revolutionäre Vorstellungen zu revolutionären Gefühlen werden und diese zu revolutionären Situationen heranwachsen. Aus dem Alten etwas Neues zu erschaffen ist eine Umgestaltung je nach den Erfordernissen der jeweiligen Situation, die vor allem dann geschieht, wenn die Menschen mit etwas Außergewöhnlichem, nie Dagewesenen konfrontiert werden.
In solch einem Fall kann es passieren, dass sie eine Revolutions-bricolage erstellen, ein Vokabular von Worten und Konzepten aus verschiedenen Quellen, das von den Beteiligten in eine praxisorientierte Ideologie eingefasst wird. Mittels dieser stellen sie sich den Ungerechtigkeiten und Notlagen ihrer Zeit und erschaffen neue Geschichten und Zukunftsvisionen, während sie durch den Rückgriff auf vorhandene Geschichten gleichzeitig wichtige kontextuelle Bezüge zur Vergangenheit aufrechterhalten. Bricoleure durchstöbern ihr Gedächtnis und ihre Kultur nach Konzepten und Vorgehensweisen, die ihnen beim Umgang mit den gegebenen Umständen helfen können. Alles in Kultur und Gesellschaft kann dabei verwendet werden. Sie machen sich beispielsweise Erinnerungen an Unterdrückung, Sagen von Belagerung und Kampf, Erzählungen von der Auflehnung, Mythen vergangenen und zukünftigen Ruhmes sowie geheimnisvolle und symbolträchtige Worte aus dem kulturellen Pantheon der Widerstands- und Rebellionsgeschichte zu eigen. Diese verwandeln sie in eine brauchbare Vergangenheit, die der Gegenwart gegenübersteht und die bis in die Zukunft hinein wirkt. Mythos, Erinnerung und Mimesis helfen uns bei der Erstellung eines Bildes der Welt, wie sie war, wie sie ist und wie sie sein könnte und sollte.
Während die genaue Aufarbeitung der Herkunft und Entstehung einer bestimmten Geschichte eine sehr aufwändige und die Grenzen dieses Projektes sprengende Aufgabe ist, so können wir doch nichtsdestoweniger eine Menge Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Geschichten aller Kulturen und Gesellschaften finden. Schriftliche und auch mündliche Geschichtensammlungen ermöglichen uns zumindest zu Teilen einen Zugang zur Historie ihrer jeweiligen Kulturen. Meine These lautet, dass während des Revolutionsprozesses alte Geschichten erzählt und gehört werden, sie dabei aktualisiert werden und somit real und verwendbar gemacht werden. Genau wie es sich bei Revolutionen nicht um zufällige, unaufhaltsame Naturgewalten handelt, werden Geschichten auch nicht entdeckt, weil sie „zufällig herumliegen“.
Die Rolle der Erzählung: Die Geschichte der Geschichte
Erzählungen sind, wie Geschichten, allgegenwärtig; ohne sie funktionieren wir nicht. Ein scharf beobachtender Leser hat darauf hingewiesen, dass die Geschichten, die später in diesem Buch erzählt werden, selbst stark an eben die Art Erzählungen erinnern, von denen ich sie hier abgrenzen möchte.31 Während die Geschichte erst in jüngster Zeit wieder ihren Weg in die Sozialwissenschaften gefunden hat, so hat sich die Wichtigkeit und Nützlichkeit der Erzählung bereits seit der Arbeit von BERTAUX (1981) und vielleicht schon mit der Pionierarbeit von WHITE (1973) etabliert. Durch ihre vielen fähigen Erzähler ist sie nicht nur ein reines Mittel der Beschreibung geblieben, sondern zeigt, wie sehr die Menschen über Raum und Zeit hinweg in komplexe soziale Netzwerke eingebunden sind. Dies ermöglicht es, einzuschätzen, inwieweit die verschiedenen Erzählungen über revolutionäre Aktivitäten und Kämpfe das erweitert haben, was unterdrückte Bürger als ihre Auswahl an Möglichkeiten empfinden. Die Erzählung ist das Herzstück der Geschichte, zumindest in der nördlich-westlichen Tradition, doch sie ist keinesfalls mit ihr identisch. Eine Geschichte kan mehr sein als die in ihr enthaltene Erzählung.
Die Erzählung von der Geschichte zu separieren ist weder haarspalterisch noch provokant gemeint und soll nicht etwa besagen, dass die Begriffe im täglichen Gebrauch nicht austauschbar wären. Teilziel dieser Übung ist es, eine exaktere Wiedergabe dessen zu ermöglichen, was in der „echten“ Welt passiert. Deshalb stelle ich die Behauptung auf, dass die Erzählung, wie unten beschrieben, der Geschichte untergeordnet ist, Geschichten also Erzählungen sein können, eine Erzählung allein jedoch keine Geschichte (siehe GLASSIE, 1982: 39; eine gegensätzliche Sicht findet sich bei TILLY, 2006: 64). Für die Zwecke dieses Projekts wird das Hauptaugenmerk auf den Geschichten liegen, womit hier das weitläufige, tiefreichende, ausufernde „Wirrwarr“ der Dinge gemeint ist, die Menschen erzählen; der Dinge, die ihnen am wichtigsten sind. Doch es wäre unmöglich, Geschichten zu untersuchen oder zu erklären, ohne sich ernsthaft mit dem Erzählen auseinanderzusetzen.
Laut BARTHES gibt es unermesslich viele Erzählungen auf der Welt, unter anderem:
[in] ausformulierter Sprache, gesprochen oder geschrieben, in stehenden oder bewegten Bildern, in Gesten, und in der homogenen Mischung aus all diesen Formen … präsent in Mythos, Legende, Fabel, Märchen, Novelle, Epos, Historie, Tragödie, Drama, Komödie, Pantomimik, Malerei … Bleiglasfenster, Kino, Comics, Nachrichten, Gespräch … in dieser fast unendlichen Vielzahl von Formen ist die Erzählung quasi omnipräsent in jedem Zeitalter, an jedem Ort, in jeder Gesellschaft; es beginnt mit der eigentlichen Menschheitsgeschichte und nirgends gibt oder gab es ein Volk ohne Erzählungen. (BARTHES, 1977: 79)
Um dies etwas klarer zu machen, fügt er hinzu: „[A]lle Gruppen von Menschen haben ihre Erzählungen … die Erzählung ist international, transhistorisch, transkulturell: sie ist einfach da, wie das Leben selbst“ (BARTHES, 1977: 79). Angelehnt an BARTHES heißt es bei Byatt, Erzählen sei „genauso Teil der menschlichen Natur wie die Atmung oder der Blutkreislauf“ (2001: 166). Also was genau macht das Erzählen aus und wie unterscheidet es sich von der Geschichte?
„Erzählung“ kann offensichtlich verschiedene Bedeutungen haben. Obwohl er sich der Gefahr der „Bedeutungsverwässerung“ („dilut[ing] the meaning“) bewusst ist, betrachtet SEWELL die Erzählung nichtsdestoweniger als „eine universale Kategorie der menschlichen Kulturen, der Konventionen des Geschichtenerzählens, der erkenntnistheoretischen und ontologischen Annahmen, der Berichte von Lebenserfahrungen und ideologischen Strukturen, die darauf abzielen, die breite Masse sozialer Bewegungen zu motivieren“ (1992: 486). Etwas weniger umfassend definiert TILLY (2002: 17) die Erzählung folgendermaßen: „[Sie umfasst] Ansprüche auf vernünftiges, verlässliches Wissen über Akteure, Motive, Ideen, Impulse, Handlungen und Konsequenzen … [und] auch 1) die Forderung nach mehr oder weniger in sich geschlossenen Handlungen und Akteuren, 2) die Voraussetzung von Ursache und Wirkung innerhalb der Erzählsequenz.“ Ein wenig prosaischer sehen HINCHMAN und HINCHMAN die Rolle der Erzählungen in den Sozialwissenschaften: „[Sie] sollten provisorisch definiert werden als Diskurse mit einer klaren, sequenzartigen Struktur, die Ereignisse auf bedeutungsschwere Weise für ein bestimmtes Publikum verbindet und dadurch Einblicke in die Welt und/oder die Erfahrungen der Menschen in ihr ermöglicht“ (1997: xvi). Auch wenn diese Konzepte nicht völlig unproblematisch sind, helfen sie doch dabei, die Erzählung von der Geschichte abzugrenzen.
Es geht hier nicht darum, Geschichten völlig überzubewerten, sondern vielmehr darum, ihre Universalität anzuerkennen und die Vermutung aufzustellen, dass wir wahrscheinlich diese Geschichten als beziehungsweise mittels einer Erzählung wiedergeben; die Erzählung dient also, wenn man so will, als Methode. Während ich mich WHITES Behauptung, Erzählung und Erzählen seien „reine Daten“ („simply data“)32 nicht anschließen kann, ist sein Gedanke, nach dem die Erzählung ein Mittel ist, um „knowing into telling“ zu übersetzen, beziehungsweise „the problem of fashioning human experience into a form assimilable to strictures of human meaning that are generally human rather than cultural specific“ (1981: 1; Hervorhebung im Original), überaus überzeugend. Damit möchte ich nicht sagen, dass wir in jedem Fall oder mit Leichtigkeit die besonderen Feinheiten und Problematiken anderer Kulturen ergründen könnten, sondern nur beobachten, dass „wir relativ wenig Schwierigkeiten damit haben, eine Geschichte aus einer anderen Kultur – wie exotisch uns diese Kultur auch immer erscheinen mag – zu verstehen“. Indem er sich wieder auf BARTHES bezieht, vermerkt WHITE: „[W]ie Barthes sagt, ist die Erzählung übersetzbar ohne dabei großen Schaden anzurichten, was bei Lyrik oder einem philosophischen Diskurs nicht möglich ist“ (1981: 1–2; Hervorhebung im Original).33 Obwohl Erzählungen aufgrund unserer Neigung, Geschichten so zu erzählen, wie wir sie auch gerne hören würden, größtenteils an andere, vertraute Erzählungen erinnern, muss dies nicht zwangsläufig immer der Fall sein.
In dem wohl ambitioniertesten ausdrücklichen Definitionsversuch einer revolutionären Erzählung beschreibt PARKER (1999: 113) diese als „eine geordnete Abfolge von Ereignisen und Handlungen innerhalb ihrer eigenen Zeitspanne.“ Weiterhin stellt die Erzählung intertemporäre Verbindungen her und besitzt deshalb „eine innere Kohärenz, die der Ereignissequenz eine gewisse Notwendigkeit verleiht“ (1999: 113); sie versichert mit anderen Worten, dass alles eben nur auf genau diese Weise hätte geschehen können. Erzählungen benötigen weder „evidence of causality“, noch „the possibility of repetition“ und sie beinhalten „human roles, hopes, and experiences“ (1999: 113). Die Erzählung kreiert Zusammenhänge und erstellt einen Plan für die Zukunft, „indem sie Endstadien beschreibt, Machthaber und Wandel hervorrufende Akteure bestimmt, Begründungen anbietet und einen Zeitrahmen für den Wandel liefert“ (1999: 115). Erzählende Menschen erschaffen und prägen ihre eigene Welt und die Unsere. Durch die Erzählungen, die wir konstruieren und auf die wir bauen, entstehen Zusammenhänge, Kohärenz, Verdichtung und Konkretisierung.
Ich verbeuge mich vor PARKERS beeindruckender Darstellung der Erzählung und werde mich an diesem Punkt nicht weiter versuchen. Es ist jedoch an der Zeit für einige Anmerkungen. Erstens: Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass verschiedene Weltsichten auf einander widersprechenden Vorannahmen beruhen können, ist es nicht allzu wichtig, dass wir zu einer eindeutigen Definition der Erzählung gelangen. Wichtiger ist, dass wir das Ausmaß erkennen, zu dem wir auf Erzählungen vertrauen, wenn wir Ordnung in das uns umgebende Chaos bringen möchten. Es gibt massenweise Geschichten und wir neigen dazu, ihnen eine Form, eine Gestalt zu verleihen, die wir wiedererkennen können, und sie mit Bedeutung zu füllen. Wie sich in den nächsten beiden Kapiteln zeigen wird, ist diese Arbeit mit den Geschichten das Feld, in das Widerständler, Rebellen und Revolutionäre sowohl diejenigen, mit denen sie arbeiten oder die sie anführen wollen, als auch diejenigen, welche sie herausfordern wollen, mit einbinden. Sie alle – diejenigen, die den Wandel suchen, diejenigen, die ihn verhindern möchten, und diejenigen, deren Entscheidung für das Ergebnis verantwortlich ist – haben eine Geschichte zu erzählen.
Zweitens: Die Erzählung umfasst als Herzstück der Geschichte wenig überraschend die gleichen Elemente, die zu Anfang dieses Kapitels als konstitutiv für eine Geschichte vorgestellt wurden: Es gibt eine klassische „Anfang-Mitte-Ende“-Struktur mit standardisierten Plots und vertrauten Charakteren. Die Menschen sind von dem Gefühl erfüllt, dass sie die Akteure in ihren Geschichten und somit ihrer Welt sind. Außerdem bieten Erzählungen sowohl eine Karte der Welt, in der sie leben, als auch eine regelrechte Sternenkarte der großen weiten Welt, womit sie einerseits ein tiefes und umfassendes Gefühl der Verbundenheit mit einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort erzeugen, und andererseits auch mit dem, was darüber hinaus geht. Die Erzählung versieht die Geschichte mit einer Sequenz von Ereignissen (siehe dazu BERGER und QUINNEY, 2005b: 4), spiegelt den bestehenden sozialen Kontext wider und erfüllt die Geschichte zu einem erheblichen Teil mit Sinn und Bedeutung.
Drittens: Wie man dem Vorhergegangenen entnehmen kann, existiert zu jeder Zeit eine unüberschaubar große Zahl alternativer Erzählungen. Dies sind miteinander konkurrierende Versionen, die häufig in unkonventionelleren Formen wie Volksmärchen, Liedern, Stücken und weiteren Ausdrucksmitteln der Populärkultur vorliegen.34 Solche Formen können einerseits dazu verwendet werden, historische Aufzeichnungen zu belegen und greifbar zu machen, andererseits zeigen sie uns auch alternative Geschichtskonstruktionen. Diese reflektieren wiederum das, was BIERSACK als „Lokalgeschichte“ („local history“) bezeichnet, womit er sich an GEERTZ’ Begriff des „local knowledge“ anlehnt, mit dem „ the significant worlds and the indigenous outlooks that give them life“ (1989: 74) gemeint sind. Die Menschen erschaffen ihre eigene Geschichte und erzählen diese Geschichte, wie sie selbst sie wahrnehmen. Während sie versuchen, ihrer Welt einen Sinn zu geben, werden ihre Wahrnehmungen durch ihre materiellen und sozialen Umstände und vergangenen Erlebnisse geprägt – „they are continuously reshaped in interactions with new experiences and with the claims of others“ (FOLEY, 1993: 485).
Viertens: Es ist nicht nur so, dass die Menschen sich in den meisten Fällen für die Erzählung als Mittel entscheiden, um ihren Geschichten einen Sinn zu geben und diese dabei zwangsläufig in einer bestimmten Sprache an einem bestimmten Ort spielen lassen; wir Forscher versuchen genau das Gleiche, indem wir nach „unserer“ Erzählung suchen, die „ihre“ Erzählung für uns sinnvoll werden lässt, während „wir“ eigentlich auf der Suche nach der Bedeutung sind, die sie für „sie“ hat. Wie SEWELL es ausdrückt: „[T]he narrative in which historical actors emplot themselves is crucial for understanding the course and dynamics of historical change“ (1992: 483). Und um es mit DAVIS (1987: 4) zu sagen: „I am after evidence of how … people told stories … what they thought a good story was, how they accounted for motive, and how through narrative they made sense of the unexpected and built coherence into immediate experience.“ Wie wir einen Weg in diese Welt finden könnten, soll Thema des nächsten Kapitels sein.
Unsere Geschichte bisher
Solange wir uns erinnern können, haben wir Menschen Infrastrukturen geschaffen, das Land verändert, Straßen gebaut sowie Gebäude und Dämme errichtet. Außerdem haben wir Institutionen wie Gesundheits-, Justiz- und Informationssysteme ins Leben gerufen. Diese und unzählige weitere Strukturen begleiten und ermöglichen unser tägliches Leben. Und lange bevor es den Menschen gab, hatten Pflanzen, Tiere und Mineralien bereits etwas entwickelt, was man in grober Analogie zur Infrastruktur „Öko-Struktur“ nennen könnte und was ebenso grundlegend für das tägliche Leben war und ist.35 Meine These lautet, dass die Menschen auf eine sehr ähnliche Weise eine Struktur aus Geschichten entwickelt haben, einen Geschichtenspeicher, der unserem täglichen Leben zugrunde liegt und dieses prägt. Die (Re-)Produktion von Geschichten und ihre (Um-)Gestaltung sind Teil unserer Bemühungen, uns (wieder) zu verbinden und eine Gemeinschaft aufzubauen. Solche Geschichten beinhalten größtenteils bereits bestehende Plots und Charaktere und neigen dazu, sowohl redundant (es sei denn, ihre Bedeutung war in Vergessenheit geraten) als auch repetitiv zu sein, sodass sie belehrend auf die Menschen wirken. Sie können kurz und bündig sein oder lang und verwickelt, sodass es Stunden oder Tage dauert, sie zu erzählen. Geschichtenerzähler jonglieren mit einer großen Zahl von Elementen und Aspekten, wobei sie Charaktere und Ereignisse zu einem mehr oder weniger kohärenten Ganzen verweben, das mit dem Umfeld der Zuhörer interagiert. Die Wahrheit – sei sie direkt oder indirekt – ist dabei weniger wichtig als das Ausmaß, in dem die Geschichten die Wahrnehmungen und Gefühle der Menschen wiedergeben. Sie fassen zusammen, wer wir waren und wo wir herkamen, wer und wo wir nun sind und zeigen uns, wohin wir gehen und wer wir sein möchten.
In jeder Kultur, in jeder Gesellschaft gibt es lange und kurze Geschichten, mythische doch nicht zwangsläufig epische, alltägliche und solche für besondere Gelegenheiten. Der Romanautor Harry CREWS (2005) erinnert sich folgendermaßen an seine Jugend: „[S]tories were everything and everything was stories. Everybody told stories. It was a way of saying who they were in the world. It was their understanding of themselves. It was letting themselves know how they believed the world worked: a right way and a way that was not so right.“ Solche Geschichten bauen zwangsläufig auf relativ zeitlosen Konzepten auf und sind in einem tiefergehenden Sinn Werkzeuge, sie werden erzählt und wiedererzählt und auf die beschriebenen Arten verwendet, es scheint also gerechtfertigt, sie als eine Form, vielleicht sogar die ursprüngliche Form, des soziopolitischen Kampfes zu verstehen.36
Geschichten und Lieder tragen dazu bei, die allgemeine wie persönliche Historie und Erinnerung zu entwickeln, aufrechtzuerhalten, umzuschreiben, (neu) zu bewerten, (neu) zu prägen, (aufs Neue) zu belegen, aufzuarbeiten und umzuformen. Dies soll nicht heißen, dass es eine Art fest definierten Kern gibt, von dem dies alles ausgeht; vielmehr handelt es sich um ein weitverzweigtes Netz mit unzählbar vielen Zugängen und Auswegen, Verknüpfungen und Knotenpunkten und unermesslich vielen soziopolitischen und kulturellen Aspekten, das mit Beispielen sozialer Organisation angefüllt und von Kultur durchdrungen ist. Der vernünftigste Weg, dieses Labyrinth zu erkunden, ist der Rückgriff auf die Geschichten. Dies beinhaltet, diese Geschichten sowohl inner- als auch außerhalb ihres Kontextes zu untersuchen und dabei zu beachten, dass Kontext mehr bedeutet als nur Situation. Indem wir diese Geschichten „denationalisieren“ können wir sie gleichzeitig internationalisieren (wenn auch nicht globalisieren) und gemeinsame (wenn auch nicht universelle) Themen finden. Diese lassen vermuten, dass obgleich Revolutionsangelegenheiten zutiefst regional sind, sie gleichzeitig umfassendere Regeln widerspiegeln, die wir über Zeit, Raum und Kulturen hinweg darüber aufstellen, wer wir sind, wie wir uns verhalten und was in unserer Welt möglich ist.
Es gibt Geschichten über die Vergangenheit, die wir in irgendeiner Form alle teilen. Diese erinnern oft an dicht verwobene Wandteppiche aus Mythos und „Fakten“ (oder öffentlich anerkannten Mythen), sie sind offensichtlich überaus mimetisch und entstehen aus einer Ansammlung von Erinnerungen, die selbst entweder real oder erfunden sind, doch in jedem Fall von Menschen erschaffen wurden. Es sind nicht Historie oder Vergangenheit selbst, die uns vereinen (oder uns auseinander halten), sondern die Geschichten über die historischen Ereignisse, über die Vergangenheit, die wir uns und den anderen in der Gegenwart erzählen; Geschichten über die Vergangenheit, die unvermeidlich der Gegenwart und der Zukunft dienen. Diese gemeinsamen Geschichten bauen auf kollektiven Erinnerungen auf und spiegeln diese wider. Es sind Schöpfungen, an denen man die bewussten und beabsichtigten Entscheidungen über das, was mit einbezogen wird, und das, was ausgelassen wird, ablesen kann. Die Erstellung dieser Geschichten und somit nutzbarer, manipulierbarer Vergangenheiten – wie etwa einer bestimmten Historie – ist ebenso essentiell wie unvermeidlich. Mythos, Erinnerung und Mimesis bilden den Rahmen für diesen Vorgang und liefern gleichzeitig den Ansatzpunkt.
Anmerkungen
1 Die wohl treffendste Darstellung des „Possibilismus“ lässt sich bei DARNTON, 1990, finden; siehe auch SELBIN, 2009.
2 SOMERS’ „reframed narrativity“ hat vier Bestandteile: „(1) relationality of parts; (2) causal emplotment; (3) selective appropriation; and (4) temporality, sequence, and place“ (1992: 601).
3 ROSEBERRY (1989: 27) argumentiert, dass wir uns die Frage stellen sollten: „who is telling the tales and in what context … [for] while the tales are traditional, they are not timeless; that is, the form and the content of the tales may change in the telling“ (Hervorhebungen im Original; er zitiert TAYLOR und REBEL, 1981). APPIAH stellt folgende These auf: „stories are meant to be improvised and embellished, reflecting the point in history when they are told and the consciousness of the storyteller“ (LEE, 2003: 6).
4 Das Konzept der Geschichten als „reservoir of values“ stammt von OKRI (1996: 21), er versteht sie allerdings als „secret reservoir“.
5 Laut OKRI (1996: 17) sind die mächtigsten Geschichten „those that resonate our beginnings and intuit our endings (our mysterious origins and our numerous destinies) and dissolve them into one.“
6 Dieser Klassiker der Weltliteratur ist um Scheherazades Versuch aufgebaut, ihren königlichen Gemahl davon abzuhalten, sie zu töten, indem sie ihn Nacht für Nacht mit Geschichten unterhält. Die heute bekanntesten Geschichten sind die von Ali Baba, Sindbad und Aladin. Viele der Geschichten spielen in Indien, doch ihre Ursprünge sind unbekannt und die Versionen, die heute am bekanntesten sind, werden – hauptsächlich unter dem Einfluss von Walt-Disney-Filmen – meist in einem muslimischen arabischen oder persischen Rahmen angesiedelt.
7 Geschichten, die laut APPIAH (2003: 46) „sometime before 500 AD“ zur Erbauung der Thronfolger zusammengestellt wurden. Sie sollen ihren Weg sowohl in walisische als auch in chinesische Volksmärchen gefunden haben (im ersten Fall über das Arabische).
8 Der Koran ist etwas anders strukturiert als die beiden anderen „großen Bücher“ der monotheistischen Traditionen, er bietet keine „sustained narrative of the kind found in the Book of Exodus“ (COOK, 2000: 6). Ich möchte Malin Wimelius für den Hinweis danken.
9 Eine Zusammenstellung von einhundert geistreichen und (für die damalige Zeit) recht lasterhaften Erzählungen, die vor dem ziemlich ernüchternden Hintergrund der Pestepidemie spielen.
10 Von Boccaccio inspiriert geht es in diesem mächtigen, unvollendeten, epischen Gedicht um eine Gruppe von Pilgern, die zum Schrein von St. Thomas à Becket reist und sich die Zeit damit vertreibt, Geschichten zu erzählen, die eine Reihe mittelalterlicher Genres abdecken.
11 Entgegen der traditionellen Sichtweise, nach der die Grimms bäuerliche mündliche Überlieferungen sammelten, wird in jüngeren Forschungsarbeiten vermutet, dass sie Geschichten aus bestehenden literarischen Quellen entnahmen und umschrieben. Siehe hierzu beispielsweise ZIPES, 2000 und BOTTIGHEIMER, 1989.
12 In Afrika wurden schon vor Urzeiten Geschichten von weisen Löwen, verschlagenen Schlangen und darüber, wie die Welt entstand, erzählt. Geschichtenerzähler gaben diese mündlich weiter und verliehen damit ethischen Idealen, Vorstellungen von der menschlichen Natur und den jeweiligen Kulturen eine beständige Form. Anders als europäische Sammlungen von Märchen, Mythen und Legenden, die weltweit zu finden sind, haben afrikanische Zusammenstellungen erst vor kurzem außerhalb Afrikas größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen (vgl. LEE, 2003: 1).
13 Diese Konzeption deckt sich mit DELEUZES und GUATTARIS Begriff von „Wespe und Orchidee“, einer Metapher für den „Buchleser“ (1987: 10–11); siehe dazu auch CORDES SELBIN, 2009: 32.
14 Dieser Abschnitt bezieht sich auf Darstellungen der Vortheorie und Theorien auf einer mittleren Ebene in ROSENAU, 1980: 126 und MERTON, 1967: 39.
15 Ein bekannter Politiktheoretiker legte Masterstudenten der Politikwissenschaften Kurzbeschreibungen verwandter Disziplinen vor. Nachdem er im doppelten Sinn mit den Sozialwissenschaften fertig war, legte er Folgendes vor: „[Die] tiefschürfendste Frage, die Historiker jemals stellen, lautet: ,Und was ist dann passiert?‘“ Wir hatten mit Geschichte abgeschlossen.
16 Unsere Nutzung der Geschichtsschreibung als Datenquelle und unsere Abhängigkeit von den Erzählungen, die sie zur Verfügung stellt, werden bei BÜTHE, 2002 behandelt, wenn auch nicht weitreichend genug.
17 Stephen Jay GOULD (1981: 21–2) warnte, dass „sozial engebettete Aktivitäten“ wie die Forschung unvermeidlich Folgendes reflektieren: „[F]acts are not pure and unsullied bits of information; culture also influences what we see and how we see it.“
18 FOLEY ergänzt: „[T]here is considerable evidence that we do not have particularly accurate access to our own motives“ und zitiert NISBETT und WILSON, 1977.
19 Dieser Abschnitt ist von Diskussionen mit Studenten der internationalen Friedens- und Konfliktforschung an der Southwestern University zur Arbeit CRAWFORDS (2000) beeinflusst.
20 Im AT-System ist beispielsweise „Aschenputtel“ Typ 510a und beinhaltet die Motive S31 (böse Stiefmutter), L55 (Stieftochter als Heldin) und D1050.1 (Kleidung, die auf magische Weise entsteht). Siehe AARNE, 1995. Zu diesem Thema siehe auch die sieben Bände von THOMPSON 1955–58; Neugierigen kann auch ASHLIMAN, 1987 empfohlen werden.
21 BISHOP bezieht sich auf die Stelle im Kommunistischen Manifest, wo MARX und ENGELS die Ansicht vertreten, dass es egal ist, ob eine Einzelne oder ein Einzelner die Führung übernimmt, wenn die gemeinsame Vision der Kommunisten der Grund ist (MARX und ENGELS, 1978: 494).
22 Es gibt Untersuchungen zu Reggae in der jamaikanischen Politik (WATERS, 1985; KING, 1998), Calypso in der östlichen Karibik (REGIS, 1999), corridos in den USA (DORSEY, 2006) und Mexiko (MULHOLLAND, 2007) sowie zu „Louie, Louie“ in den USA (MARSH, 1992).
23 Bayo war, wie HODGES (1986: 167–72) aufzeigt, so etwas wie eine Ein-Mann-Zer-störungstruppe, und zweifelsohne für einige der regionalen Verbindungen verantwortlich. Nach der Zerschlagung der Spanischen Republik durch die Faschisten 1939 bildete er in den 1940ern in Costa Rica die überlebenden Sandinisten sowie Mitglieder der von noblen Absichten angetriebenen, wenn auch zum Scheitern verurteilten Karibischen Legion aus, ein Zusammenschluss progressiver Kämpfer, der 1948 gegen Somoza nach Nicaragua segelte und 1949 gegen Trujillo in die Dominikanische Republik (siehe AMERINGER, 1974). Bayo trainierte anschließend Castros kubanische Exilanten in Mexiko, sein „Meisterschüler“ war Ché Guevara. In Kuba unterstützen Bayo und Guevara die Ausbildung von Tausenden anderer von überall auf der Welt, unter ihnen eine neue Generation nicaraguanischer Exilanten, und vermittelten ihnen Wissen über Spanien, Sandino, Guevaras Erfahrungen mit der US-Zerstörung der Demokratie in Guatemala 1954 und den Erlebnissen auf Kuba. Die Verbindungen bestehen sowohl während einer bestimmten Zeit als auch über Jahrzehnte hinweg sowie innerhalb kultureller Grenzen und über sie hinaus.
24 Ein FSLN militante erzählte mir eine Geschichte aus den frühen Jahren des Kampfes. Sie handelt von einem alten Mann, der einige erschöpfte und hoffnungsschwache Revolutionäre dahin führte, wo er in den 1930ern Gewehre vergraben hatte, und sich dann aufrichtete und sich „a la orden“, zu Dienst meldete. Der militante war zu jung, um sich an diese Begebenheit zu erinnern und brachte sie beinahe wie einen Katechismus hervor. Es handelt sich durchaus um eine plausible Geschichte und sie funktioniert gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen.
25 Ich habe diesen Begriff, leicht abgewandelt, von GEERTZ, 2000: 23 übernommen.
26 Während ich dieses Buch schreibe, wird gerade ein weiterer Film über Ché herausgebracht. T-Shirts, die sein Gesicht zeigen, sind immer noch omnipräsent bei Berühmtheiten aus Mode, Musik und Medien sowie bei Schülern und Studenten, es gibt Bikinis, Socken und sogar eine Actionfigur. Und außerhalb von Popkultur und Styling bleibt seine beinahe rituelle Anbetung auch immer noch die Norm bei Radikalen und Revolutionären überall auf der Welt. Siehe auch CASEY, 2009.
27 Ein Name, der auch vielfach auf Pierre Mulele angewendet wurde, ein Revolutionär, der den Kampf der Lumumbisten in der ersten demokratischen Republik Kongo fortführte, sowie auf Samora Machel in Mosambik und Thomas Sankara in Burkina Faso; es mag noch andere gegeben habe, die so bezeichnet wurden und es werden sicherlich weitere folgen.
28 Damit ist er selbstverständlich nicht der einzige. Die folgende Darstellung ist den Teilnehmern der AmSoc im Sommer 1997 geschuldet, die eine Diskussion zu TILLYS Entwurf von „The Trouble with Stories“ (TILLY, 2002) führten. Mein Dank geht besonders an Francesca POLLETTA, die mir ihre Dateien mit dem Protokoll der gesamten Diskussion sowie einige persönlichen Korrespondenzen mit Charles TILLY zur Verfügung gestellt hat.
29 Bei dieser Beschreibung beziehe ich mich stark auf LÉVI-STRAUSS, 1966: 17. Siehe auch APTERS Verwendung des Terminus (2006: 791).
30 Obwohl sie zumeist mit dem afroamerikanischen Aktivisten Malcolm X verbunden wird, ist die Phrase: „mit welchen Mitteln auch immer“ („by any means necessary“) eigentlich eine Anlehnung an Shakespeares Hamlet (PROTZ, 1964: 2) sowie auch eine Strategie, die seit Jahrtausenden von Millionen Menschen angewandt wird, wenn sie mit Unterdrückung und sozialen Ungerechtigkeiten konfrontiert werden.
31 Harald Wydra, persönliche Korrespondenz, Mai 2009.
32 Hier bezieht er sich auf die omnipräsente Aussage BARTHES’, dass Erzählung „einfach da“ sei, „like life itself … international, transhistorical, transcultural“ (1977: 79), allerdings dreht er das Zitat herum; es heißt bei ihm: „narrative is international, transhistorical, transcultural: it is simply there like life itself.“ Dies findet sich auch in BARTHES, 1982: 251–95 und in BARTHES, 1996: 45–60. Eine beinahe identische Version von WHITES Essay lässt sich in WHITE, 1987: 1–25 finden.
33 WHITE gibt keine Quelle bei BARTHES an; dies findet sich in 1977: 121.
34 Dies bezieht sich auf SMITHS Darstellung, wo es heißt: „[Fo]r any particular narrative, there is no single basically basic story subsisting beneath it but, rather, an unlimited number of other narratives that can be constructed in response to it or perceived as related to it“; es gibt nicht nur „versions of it (,for example, transla-tions, adaptations, abridgements, and paraphrases‘) but also those retellings that we call ,plot summaries‘, ,interpretations‘ and, sometimes, ,basic stories‘“, keine davon elementarer als andere. „[F]or any given narrative, there are always multiple basic stories that can be constructed“ und die, die wir konstruieren, reflektieren unsere „assumptions and purposes“, die wiederum „hierarchies of relevance and centrality“ erstellen und letztendlich die grundlegende Geschichte bestimmen; „the form and features of any ,version‘ will be a function of, among other things, the particular motives that elicited it and the particular interests and functions it was designed to serve“. „[A]mong any array of narratives … there is an unlimited number of potentially perceptible relations“ (SMITH, 1981: 217–18; Hervorhebungen im Original).
35 Dies ist an WARSHALL, 1998 angelehnt.
36 Eine zum Nachdenken anregende und herausfordernde Variante dieser Auffassung findet sich bei HARAWAY, 1991.