Читать книгу 9 Tage wach - Eric Stehfest - Страница 4

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Meine süße blonde Mutter ist auf meinen Vater total abgeflogen. Die Bilder von damals, wie die beiden sich anhimmelten, die Fotos sagen alles.

Später jedoch hat meine Mutter sich auch anders verhalten. Männern hinterhergewohnt, einmal sogar mich, ihr Kind, zurückgelassen. Doch was sollte sie tun? Mama auf der Suche nach dem Glück. Ich hätte sie auch geheiratet, später. Besser ich als ein schlechter Vater, simples Einmaleins. Darum: kein Vorwurf, kein Wort je aus meinem Munde. Sie hat mit ihrer Liebe wirklich alles gut gemacht.

Hans und Horst sind längst tot. Hans kam aus Hamburg, sah aus wie ein Ufa-Star mit seinem energischen Kinn, kleidete sich verwegen und elegant zugleich. Der hätte jede haben können, sagte Urgroßmutter Hilde. Hans wurde Diplomingenieur und hatte zwei Söhne mit Hilde, der ältere ist mein Opa, Hans-Peter. Der wiederum wurde Marinesoldat der neuen Armee im neuen Deutschland und verliebte sich in Walburga, Sekretärin des FDGB-Chefs von Dresden. Sie heirateten, ihr Kind ist Liane, meine Mutter. Liane war bereits die zweite Generation, die versuchte zu vergessen. Danach kam ich.

Die Erinnerungen an die Urgroßväter Hans und Horst stammen aus Opas Fotoalben und geheimen Kisten. Abenteuer, Flugzeuge, Piloten. Der Zweite Weltkrieg beherrschte ihre Jugend, im Namen des Wahnsinns und des deutschen Volkes in Russland, Frankreich, Sizilien. Ein Mal abgeschossen, ein zweites Mal, Horst sogar drei Mal. Horst, der geborene Pilot, und Hans, der Kradmelder, weil einen Zentimeter zu klein zum Fliegen, doch später durfte er zur Luftwaffe. Die Risikobereitschaft und der Überlebenswille der beiden schienen besonders ausgeprägt. Tatsächlich jedoch gab es Drogen für das Heer, allerfeinste Amphetamine. Bomber-Piloten-Pervitin, damit Töten und Getötetwerden nicht so auf die Seele gingen, während sie hellwach von Frankreich über den Kanal flogen, »um England in Schutt und Asche zu legen«. Es folgte Geschichte. Deutschland, Blitzkrieg, der Untergang, ein Fußballwunder, Biker-Gangs. Und alle waren scharf auf diese Droge.

Die Soldaten haben fast das gleiche Zeug bekommen, das heute in den »Küchen« Tschechiens gebraut wird, nur viel sauberer. Die müssen unglaubliche Krämpfe gehabt haben, als im Kessel vor Stalingrad die Lieferungen ausgeblieben sind. Mit der Waffe im Anschlag versagt der Arm den Dienst. Aus.

Niemand achtete auf die schmalen Gesichter, Methylamphetamin lässt die Muskeln kontrahieren, du wirkst straff und gesund, siehst gut aus. Nur sind da keine Reserven, und wenn du runterkommst oder dich fallen lässt, wirst du sterben.

Das macht Methylamphetamin, es zieht an den Reserven, die Paranoia beginnt, wenn kein fettiger Schutz mehr unter der Haut bleibt. Genau der Zustand, vor dem wir irgendwann Schiss haben sollten, warum wir keine Diäten machen oder als Fünfzigjährige beginnen sollten, Marathon zu laufen. Es hat Soldaten ihr Leben gekostet, im Osten, nicht für Blut, Boden und Vaterland, sondern weil ihr Fett längst verbrannt war.

Methylamphetamin ist die ideale Substanz für Verschwörungssucher und alles andere als eine Party- oder Modedroge. Der Strichcode in einer geklauten Jacke, ein sehr bedeutungsvoller Strichcode, wird zum Rätsel, einem Beweisstück. Du wirst hochgradig unkommunikativ, jede Frage ist eine Unterstellung oder ein Angriff, bist im Zustand permanenter Verteidigung. Du suchst nach Geheimnissen und Fehlern, überall, bei den Freunden, deiner Familie, den Nachbarn. Selbst ein schiefgewachsener Baum vor dem Fenster wird zu einem Zeichen oder Symbol, muss ja einen Grund haben, dass er sich so verneigt. Dein verzerrtes Spiegelbild grinst dich an und macht dich glücklich.

Glück besteht nur aus Erinnerung, ausschließlich die »Drops« bleiben haften. Ortswechsel und Freundschaften sind unlogisch und wahllos, denn eine Droge hechtet von Kick zu Kick. Das macht Meth-User zu tragischen Menschen, weil sie keine Rücksicht nehmen auf ihre Zustände, sie sind nur noch »drüber«. Einer Meth-Biografie fehlen kostbare ruhige Momente, im Sonnenuntergang ein Buch zu lesen, guter Espresso. Die leisen Bilder fehlen oder sind schnell vergessen.

Ich will das nie wieder haben, ein Leben, das nur aus Kicks besteht.



9 Tage wach

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