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Tante Friederike

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Viel war es ja nicht, was ich von Tante Friederike erben sollte. Immerhin aber war es das ganze Witwengeld von dem sie ihren zwar bescheidenen, aber doch auskömmlichen Unterhalt bestritt. So konnte für mich daraus jedenfalls eine angenehme Schweizreise oder einige Monate üppigen Lebens ersprießen.

Was aber die Hauptsache war: die Erbschaft war mir sicher — absolut sicher. Ich war ihr einziger näherer Verwandter, dazu der einzige, der sich in ihrer Witwen-Einsamkeit um sie bekümmerte, und der einzige, der jeden Sonnabendnachmittag bei gutem und bösem Wetter in ihrem traulichen Wohnzimmerchen neben ihr saß, um ihre neuesten Musenkinder aus der Taufe zu heben. Tante Friederike dichtete nämlich. Welche Tante, zumal wenn sie eine Erbtante ist, hätte keine Schwächen? Im Hinblick auf ihr Ende, das bei ihrer kränklichen Konstitution unmöglich lange mehr auf sich warten lassen konnte, ließ ich denn ihre Lyrik allwöchentlich unverdrossen über mich ergehen.

Die ersten Ergüsse, die ich von ihr vernahm — kurz nach dem Tode ihres Gatten, der sie übrigens zu Lebzeiten häufig geprügelt haben soll und der dann an den Folgen eines Bierabends zugrunde ging —, behandelten fast alle ihr junges Witwenleid, dessen Schmerz ihr ganz besonders nachts fühlbar zu sein schien.

Ich möchte nicht versäumen, um aus ihrer Kunst auf Tante Friederike selbst einen Rückschluß möglich zu machen, hier eine Probe aus jener Zeit folgen zu lassen:

Streich‘ ich des Tags durch meine Klause,

Dann suchen meine Blicke dich.


Die Psychologie der Erbtante

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