Читать книгу Kunstgeschichtliche Darstellung des Domes zu Worms - Erik Schreiber, Friedrich Rolle, Leo Woerl - Страница 9

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II. Der Dom in seinem gegenwärtigen Zustande.

Wenige Kirchen möchte Deutschland aufzuweisen haben, welche schon von weiter Ferne einen so erhebenden, überraschenden, ja selbst bewältigenden Eindruck hervorbringen, als dieses bei dem Wormser Dom der Fall ist. In räumlicher wie stylistischer Beziehung eines der großartigsten Gotteshäuser unseres Vaterlandes (der Dom ist 470‘ lang und 110‘ breit.), steigen kühn und prächtig am östlichen und westlichen Ende des Schiffes zwei 175 Fuß hohe Kuppeln empor, flankirt und überragt von vier gewaltigen Thürmen.

Treten wir nun näher vor den Dom, um seine einzelnen Bautheile, wie sie sich von Außen darstellen, genauer ins Auge zu fassen, so wird es nicht ungeeignet sein, mit dem nördlichen Portale zu beginnen. Abgesehen von den schönen, in der reichsten und mannigfaltigsten und doch so einheitlichen Ornamentik des romanischen Styles ausgeführten Capitälen dieses Portales und den interessanten Spuren von Temperagemälden im Bogenfelde desselben, nehmen zwei über diesem Portale angebrachten, in der Mitte in einem vorstehenden Winkel gekrümmten Säulen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Diese Säulen trugen ehemals das berühmte Privileg Friedrichs I., das sogenannte Ehrendiplom, welches dieser Kaiser Worms verliehen hatte und durch welches die letzten Reste hofrechtlicher Lasten aufgehoben und ein unbelastetes Erbrecht garantirt worden war. Die Bürger der Stadt hatten dieß Privileg im Jahre 1180 in Kupfer mit goldenen Buchstaben gießen lassen. Leider ist diese Tafel, welche von enormen Umfange gewesen sein muß und welche ein Zeugniß davon ablegt, daß die Erzgießekunst schon damals in Worms eine bedeutende Stufe der Vollendung erreicht hatte, spurlos verschwunden.

Fassen wir nunmehr die Außenseite des Oestlichen Chores (1110 erbaut) in’s Auge, so bildet diese Facade in ihrem gradlinigen, massigen Abschlusse einen der imposantesten Theile des Domes. Die schönen Arkaden, welche auf Säulen ruhend als offene Galerie, geschmückt mit den abenteuerlichsten Thier- und Menschengestalten, über den Fenstern dieses Chorabschlusses hinlaufen, bewirken eine wohltuende Vertheilung diesen massenhaften Bauwerkes. – Eine auffalende Erscheinung ist es, daß während dieses Chor nach Außen den gradlinigen Abschluss zeigt, dasselbe im Innern sich halbkreisförmig darstellt. Kugler spricht darüber die Vermuthung aus (Dtsch. Kunstblatt von Eggers. Jahrgang 1854), daß man bei Errichtung der Kuppel (1110) eine stärkere Widerstandsmauer gehabt habe, als die ursprüngliche, auch nach Außen halbkreisförmige Apsis darbieten konnte, und daß man diesem Bedürfnisse durch den Aufbau dieser colossalen Quaderwand zu Hilfe gekommen sei.

Begeben wir uns nunmehr an das Südliche Hauptportal unseres Domes (1488 erbaut), so steht dies zwar in seiner spitzbogigen Struktur mit der sonstigen Bauweise des Domes in Widerspruche, aber dennoch möchten wir es um keinen Preis vermissen. Wie überhaupt in den Portalen des gothischen Styles sich die ganze Ideenfülle der mittelalterlichen Baumeister mit allen Mysterien ihrer Symbolik concentrirte, so finden wir auch an diesem Eingange neben vielem Anderen, wie in einer Encyklopädie, eine vollständige Geschichte der Erlösung dargestellt.

Zwei einander überragende, hoch hinansteigende Bogenhöhlungen, eingefaßt den schönsten Laubgränzen, umschließen eine Reihe biblischer Darstellungen der Art, daß der innere Bogen uns den alten, der äußere den neuen Bund vergegenwärtigt, und zwar immer so, daß die correspondirenden Darstellungen in bedeutsamen Beziehungen zu einander stehen. Uns zur Linken sehen wir die Statuen der vier Evangelisten unter schön gegliederten Baldachinen, zur Rechten die vier Hauptpropheten. Verfolgen wir nun zunächst die Darstellungen des alten Bundes, so sehen wir vorerst Gott mit der Weltkugel als Schöpfer, dann die Erschaffung des Weibes, die Vertreibung aus dem Paradise, Kain den Abel erschlagend, und in der Stirne des Portals: Noah, die Taube aussendend. Den Bogen abwärts: Abraham im Begriffe den Isaak zu opfern, die Errichtung der Schlange des Moses, Jonas von dem Walfische ausgespieen und Elias gen Himmel fahrend.

Betrachten wir nun die äußere Bogenreihe, den neuen Bund darstellend, so zeigt sich uns zuerst der englische Gruß, dann die Geburt Jesu, die Beschneidung, die Flucht nach Aegypten, der Kindermord und die Taufe Jesu durch Johannes. Den Bogen abwärts: die Geisselung, die Kreuzigung, die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi. Das Ganze wird abgeschlossen durch Johannes, den Vorläufer Christi und durch Christus selbst als Lehrer.

Halten wir die einzelnen correspondirenden Gruppen des alten und neuen Testamentes zusammen, so stellen sich uns überall die schönsten Beziehungen dar. So die Erschaffung des Weibes neben der Geburt Christ, was offenbar sagen will, daß die Sünde, welche durch das Weib in die Welt gekommen, ebenso durch die Vermittlung des Weibes wieder getilgt worden ist; - die Schlange Moses neben Christus am Kreuze nach den Worten bei Johannes: So wie Moses eine Schlange in der Wüste erhöhte, so muß auch des Menschen Sohn erhöht werden. Jonas neben der Auferstehung Christi nach der Stelle bei Matth. 12,40. Und so durchweg. – Im Giebelfelde des Portals sehen wir Maria gekrönt und reitend auf einem der vier Evangelisten symbolisierenden Thiere, das Ganze den Triumph der Kirche darstellen.

Das Bogenfeld dieses Eingangs zeichnet sich durch eine wahrhaft vollendet gearbeitet Gruppe aus und stellt uns die Krönung Maria’s durch Christus dar; zur Rechten kniet Petrus, zur linken ein Bischof, wahrscheinlich Johannes von Dalberg, der Erbauer des Portals. Verschiedene Statuen sind noch an den Eckpfeilern angebracht. So links unter Anderen der große Bischof Burchard, eine Kirche auf der Hand tragend.

Besonders interessant sind vier allegorische Figuren zur rechten Seite des Einganges. Die erste, eine schöne liebliche Gestalt mit der Salbbüchse in der Hand, zu ihren Füßen zwei Knieende, versinnbildet uns den wahren Glauben; die zweite Figur mit dem zerbrochenen Scepter, das Judenthum; die dritte Figur, mit verhülltem Gesichte, vom Kopfe fallender Krone, in der Hand ein Böcklein und ein Messer, das Heidenthum; die vierte Gestalt, im Rücken den Körper bereits von Schlangen und Kröten zerfressen, im Gesichte aber immer noch etwas Verlockendes, den Unglauben. Das Piedestal der letzten Figur stellt einen Bock dar, die Trauben an den Reben abfressend. – Diese biblischen und dogmatischen Darstellungen waren seiner Zeit die eigentlichen Bücher des Volkes, welche es mit Leichtigkeit zu lesen verstand und nicht erst, wie heute, einer Erklärung derselben bedurfte.

Wer der Baumeister dieses herrlichen Portales war, wissen wir nicht. Auf dem Piedestal der Statue Bischof Burchards finden wir jedoch den Namen H. Ansel eingegraben. Ob dieser Mann, dessen Name in der Kunstgeschichte sonst unbekannt zu sein scheint, das ganze Portal entworfen hat oder nur bei Ausarbeitung der einzelnen Figuren thätig war, ist deshalb vor der Hand nicht zu entscheiden.

Treten wir nunmehr in den Garten des ehemaligen Kreuzganges, welcher seiner Zeit der Kirchhof der Stiftsherren war, so finden wir in dem Bogenfelde einer kleinen, jetzt vermauerten Pforte eine schöne allegorische Darstellung. In der Mitte des Tympanums steht die würdige Gestalt eines Bischofs mit dem Stabe in der Hand. Ihm zur Linken wird ein Schiff von hochgehenden Wellen fortgerissen und die darin befindlichen Personen sind in angstvollem Gebete begriffen. Um den Mast schwebt ein Teufel, der Schiff und Leute in das Verderben zur reißen droht. Zur rechten Seite des Bischofs befinden sich drei zu ihm um Hilfe flehende Menschen, nach denen eine rohe Gestalt ein Messer zuckt und einen der flehenden bereits bei den Haaren ergriffen hat. Der Bischof fängt jedoch das Messer mit der Hand auf. – Eine spezielle Deutung dieser Allegorie vermögen wir nicht zu geben, da sie sich vermuthlich auf einen besonderen Fall der Wormser Bischofsgeschichte bezieht, wozu wir den Schlüssel bis jetzt nicht finden konnten. Die allgemeine Deutung überlassen wir dem Leser.

Gehen wir einige Schritte weiter, so gelangen wir zu den bereits genannten Resten der Mauritiuskapelle (1033). Es sind dieß drei Reihen über einander gestellter, auf gedrungenen Halbsäulen ruhender Blendarkaden im kräftigsten Rundbogenstyle, nebst einer vierten aus kleineren Blenden bestehenden Bogenreihe. Die Ornamentik der Capitäle ist fein, selbstständig und höchst charakteristisch und jedes derselben von neuer Erfindung. Einige der Capitäle sind in schlichter Ausbauchung zugehauen. Leider sind diese Reste zum Theil gewaltsam zerschlagen, theils noch unter dem Mauerwerk des ehemaligen Kreuzganges Versteckt.

Verlassen wir den Garten, so befinden wir uns an dem 1181 erbauten westlichen oder Lorenzichore.

Dieser, wie bereits erwähnt, am meisten baufällige Theil, bildet mit seiner schönen, achteckigen Kuppel, flankirt von zwei gewaltigen Thürmen, wohl den interessantesten Theil des Domes. Die Trommel des Kuppelbaues, die beiden Thürme, die Chornische sind sämmtlich von den zierlichen Gallereien durchbrochen, die sich uns als Säulenarkaden von den schönsten Verhältnissen darstellen. Die Säulenfüße wachsen zu hervorstehenden, bald possierlichen, bald fratzenhaften Menschen- und Thiergestalten aus, die uns aus der Höhe von allen Seiten entgegen grinzen. Die Steinmasse der im Achteck configurirten Apsis ist durch reiche, fast maurisch decorirte Blenden zierlich vertheilt und zeigt uns nebst drei kleineren, eine große reichgegliederte Rosette, - das Ganze in der schönsten Uebereinstimmung.

Schließlich verdient noch ein von der Südseite in den Domgarten führendes, früher zu dem Kreuzgange gehöriges Portal ganz besonderer Erwähnung, welches im schönsten romanischen Style und in den edelsten Profilirungen und Ornamenten entworfen ist.

Nachdem wir so den Dom in seinen äußeren Theilen kennen gelernt haben, treten wir in das Innere desselben.

Der Eindruck des Gewaltigen und Majestätischen, welchen uns der Dom in seiner ganzen äußeren Totaliät gemacht hat, steigert sich bei der Betretung des Inneren bis zur bewältigsten Erhabenheit. Zwei und zwanzig mächtige, viereckige Pfeiler, abwechselnd mit Vorsprung und Halbsäule versehen, tragen die Ueberspannung des hohen Schiffes, zwischen welcher die Kreuzgewölbe kühn eingesprengt sind. Die Pfeiler und Wände, frei von aller Tünche und von keinen Zierrathen und keinen Denkmälern verstellt, zeigen uns den nackten, rothen Quaderstein, was zur Erhöhung des Totaleindrucks wesentlich beiträgt. Und in der That, wenn wir die Treppen des hohen Chores hinaufsteigen, und sehen in erschütternder Erhabenheit die Ostkuppel sich uns zu Häupten wölben und die Kreuzflügel zu beiden Seiten sich mächtig ausspannen, und wenn dann die Abendsonne durch die gemalten Fenster des Westchores hereinbricht und die ernste kraftvolle, imponirende Einfachheit der Pfeilerarkaden beleuchtet und den ruhigen, gemessenen Schwung der Verbindungsbogen, das würdevolle Aufsteigen der Halbsäulen, um als sichere Träger der Gurt- und Kreuzbogen zu dienen: so möchten wohl wenige andere Tempel genannt werden können, die in so geheimnisvoller und ergreifender Weise unser ganzes Gemüth zu dem ewigen Gotte hinanführen.

Eine Krypta scheint der Wormser Dom nicht besessen zu haben. Wiewohl wir urkundlich wissen (Schannat I. c. T. II. p. 49 und 51.), daß die Eltern und Voreltern Kaiser Konrads des Saliers ein gemeinschaftliches Begräbnis im Dome bei dem Altare zum h. Kreuze hatten; daß ferner ein Sohn Konrads, Wolfram, daselbst beisetzt wurde (Wiegand I. c.); daß Bischof Azzecho im Jahre 1034 bei dieser Gruft einen Altar errichten ließ, an welchem alljährlich Gebete und Meßopfer zum Heile des Kaisers und seiner Gemahlin Gisela dargebracht werden sollten: So deutet doch alles darauf hin, daß unter diesem Begräbnisse ein schlichtes Gewölbe zu verstehen sei, welches jedoch bis heute nicht wieder aufgefunden wurde. – Ebenso hatten die Gebeine der hh. Märtyrer Justinus und Stachäus ihre Ruhestätte unter dem Hochaltare und wurden bei Gelegenheit der Einweihung des Domes im Jahre 1181, noch wohl erhalten, in das Mittelschiff der Kirche versetzt, wo sie, wie ein Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts vermuthet, noch ruhen sollen. – Die Bischöfe hatten ihre Ruhestätte an verschiedene Stellen, bald im östlichen, bald im westlichen Chore, unter der Kuppel und in den Kapellen des Domes; auch bestimmten sie nicht selten Klöster zu ihrem Begräbnisplatze.

Doch glauben wir darauf aufmerksam machen zu sollen, daß im vierten Quadrate an der Wand des südlichen Seitenschiffes sich eine, jetzt vermauerte, in ihrer Fortsetzung unter den Boden gehende, frühromanische Pforte und daneben ein Fenster befinden, welche unzweifelhaft nach einer unterirdischen Kirche oder nach den Begräbnisräumen des älteren Kreuzganges führten. Ueber der Leibung des Bogens ist das Brustbild eines Bischofs angebracht mit einem aufgeschlagenen Buche in der Hand, dessen Inschrift wir jedoch nicht zu entziffern mögen. Wenn wir das folgende Quadrat des Seitenschiffes genauer untersuchen, so finden wir damit correspondirend und mit vollständig symetrischen Verhältnissen, unter dem Verputze ebenfalls Pforte und Fenster.

Auffallend muß es jedoch immerhin bleiben, daß im ganzen Dome auch keine Spur von Gräbern zu entdecken ist und daß sich weder von der kaiserlichen Ahnengruft, noch von den Heiligen- oder Bischofsgräbern irgendwelche Tradition erhalten hat. – Es ist überhaupt zu verwundern, wie die bedeutendsten geschichtlichen Ereignisse welche sich an dieser Stelle zugetragen haben und deren Andenken man für unverlöschbar halten sollte, in der Tradition der Stadt keinerlei Fortpflanzung gefunden haben. Wer bezeichnet uns heute noch die Stelle, wo Cardinal Lambertus von Ostia, nachheriger Papst Honorius IV., im Jahr 1122 unter freiem Himmel und unter dem Zudrange und endlosen Jubel des ganzen Volkes das eben geschlossene, so tief in den Gang der Geschichte eingreifende Concordat über die Belehnung der Bischöfe verkündete? Wer bezeichnet uns noch den Kampfplatz, wo zwei Jahre nachher die Bürger der Stadt gegen den Kaiser und sein Belagerungsheer ausfielen, um den von ihnen gewählten Bischof Burchard II. durchzusetzen? Wo finden wir noch eine Erinnerung an die prächtige Hochzeitsfeier Kaiser Friedrichs II. mit Isabella von England im Dome zu Worms, die wochenlang die ganze Bevölkerung in endlosen Freuden und Festlichkeiten hielt? Wer weiß die Räume zu nennen, wo Luther von Kaiser und Reich geladen war? Wer weiß noch von den Privilegien, die Kaiser Heinrich V. und Friedrich I. der Stadt ertheilt haben und die das Fundament bildeten, auf dem Worms sich zu dieser großen und wichtigen Freistadt erheben, seine Verfassung ausbilden und seinen Handel ausbreiten konnte?

Was nun den Dom betrifft, so hat dieser seit der glänzenden Hochzeit Kaiser Friedrichs in demselben wohl keinerlei wesentliche Umgestaltungen erlitten, und der Bearbeiter des Nibelungenliedes hat den Dom unzweifelhaft ebenso vor Augen gehabt, wie wir ihn heute sehen, - nur daß an die Stelle der von den Franzosen zerstörten Opferstätten, Kunstwerke und Grabmäler andere Altäre, Chorstühle und Quasten einen grellen Mißklang zu dem ernsten, erhabenen und würdevollen Tempel Gottes bilden.

Kunstgeschichtliche Darstellung des Domes zu Worms

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