Читать книгу Haus im Grünen II - Ernst Friedrichsen - Страница 4

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Kapitel 1

Es war Sonntag. Sie lagen gemütlich in den Federn und die Sonne suchte ihren Weg durch die dicken Vorhänge, die das Licht in ein diffuses, in einer tanzenden Staubwolke glitzerndes Hell dimmte. Er lag seitlich zu ihr gewandt. Sein Kopf lag in etwas unbequemer Haltung auf seiner Schulter; er schmunzelte. Den Ellenbogen in die Matratze gedrückt, sah er ihr beim Schlafen zu. Es war neun Uhr durch, für ihn Zeit zum Frühstücken. Er sah sie gerne so schlummernd, es war ein friedvolles Bild.

Ihre Augen rollten unter den Augenlidern, mal ruhig, mal eilig hin und her. Ihre zarten schmalen rosa Lippen formten sich, als wollten sie Worte bilden; abgelöst von einem Schmunzeln. Ein ständiges Mienenspiel, dann ein besorgtes Gesicht und wieder ein Lächeln. Er fand dieses Schauspiel unterhaltsam. Ihm war durchaus bewusst, dass er sie auf eine Art liebte, die ihm unbekannt war. Er hatte Marie auch geliebt, hatte er jedenfalls immer gedacht, aber die Liebe zu Sibylle ging ihm in einer Art unter die Haut, dass es ihn ängstigte. Er kam ihrem Gesicht ganz nah, ihr Atem strich sacht über seine Wange. Das weiche Licht der frühen Sonne zeichnete ihr Gesicht mit zarten Schatten: zerbrechlich und weich, schutzbedürftig, begehrenswert.

Er bewegte sich nicht. Eine Feder, die sich aus dem Bettzeug wagte und ihn in die Wade pickte, störte seine Ruhe. Mit einem vorsichtigen Ziehen entfernte er das störende Objekt. Eine schöne weiche Feder war es. Ganz sachte fuhr er mit ihr unter der Nase der Schlummernden entlang. Ein leichtes Rümpfen der Nase und das Anziehen der Beine folgte. Erneut kitzelte er sie mit der Feder. Schon fuhr ihre Hand ziellos durch die Luft, begleitet von einem leisen Knurren. Nach dem dritten Anlauf öffnete sie die verschlafenen Augen.

»Aufwachen, der Tag ist da«, gurrte er, begleitet von einem Kuss auf die Stirn.

Sie legte sich mit dem Kopf auf seine Brust. Er durchkämmte mit den Fingern ihr Haar.

»Ich hatte einen komischen Traum. Ich wurde von einer Bestie gejagt, mit großen Zähnen, die mich fressen wollte. Es war nicht zu erkennen, was es für ein Untier war, nur dass es mich jagte. Es war, als würde ich auf der Stelle treten, es war kein Entkommen möglich. Ich spürte schon seinen Atem, der nach Verwesung roch, im Nacken. Das Vieh drohte mich zu Boden zu reißen. Im letzten Moment breitete ich die Arme aus und konnte fliegen, ich spürte noch die Krallen am Fuß. Aus der Höhe sah ich einen grauen Haufen, der fauchend in die Luft griff. Ich war ganz allein und hatte panische Angst, so intensiv, als sei es Wirklichkeit.« Ihre Stimme klang ängstlich, der Traum wirkte noch nach.

Sie sah ihn an, eine Hand hatte sie hinter seinem Nacken, als wollte sie Halt suchen.

»Träume haben bestimmt ihre Bedeutung«, sagte Peter. Mit aller Zärtlichkeit küsste er sie. »Du bist in Sicherheit. Der Traum ist vorbei. Ich bin bei dir.« Seine Fingerspitzen strichen, kaum die Haut berührend, über ihre Lippen.

Seine Augen betrachteten ihren Körper und er hatte eine Idee, während in der Küche die Kaffeemaschine röchelte. Sein Kopf fiel aufs Kissen, mit einem nicht ausgesprochenen Mist. Der Duft von warmem Toastbrot durchzog die Räume.

»Hat die Maschine einen Timer?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Nein, das dürfte Alfons sein.«

»Alfons, auch der noch«, erboste er sich. Die Eifersucht auf Alfons wollte nicht so einfach weichen. »Wie kommt der ins Haus? Oder war der die Nacht über hier?«

»Nein, er hat sein Eigenheim am See. Und einen Schlüssel braucht er nicht. Er geht durch die Wand. Er möchte sicher den Rasen mähen, bei dem Wetter ist er immer früh auf den Beinen. Zuvor gönnt er sich eben noch einen Kaffee.«

Es klopfte an der Tür. »Darf man eintreten?«

»Ja!«, antwortete Sibylle.

Beide richteten sich auf, zogen die Bettdecke hoch – eine Reflexhandlung, es gab nichts zu verbergen. Ein Tablett mit duftendem nachtschwarzen Kaffee, warmen Toast mit Marmelade und belegten Brötchen wurde den beiden von Alfons gereicht.

»Alfons, du bist der beste Hausgeist, den es gibt«, sagte Sibylle lachend.

Dass Alfons ein echter Geist war, wusste außer ihr nur Peter, der sich aber mit dieser vermeintlichen Dreiecksbeziehung nicht besonders gut arrangieren konnte.

Peter machte eher ein knurriges Gesicht. Er fühlte sich gestört, ein anderer Start in den Tag hätte ihm besser gefallen. »Danke für die Mühe.«

»Ist mir ein Vergnügen.«

Peter sah Alfons an, sagte aber nichts.

Alfons schmunzelte, hatte er doch erreicht, was er wollte. Seine Sibylle war etwas Besonderes für ihn. »Ich mäh gleich den Rasen – oder kann ich den Herrschaften noch einen Wunsch erfüllen?«

»Nein, danke, du bist doch nicht mein Diener.«

»Sehr wohl, Madame.« Alfons schloss die Tür.

»An deinen Geist muss ich mich erst noch gewöhnen. Und diese Strickweste – ein Graus.«

»Sein Markenzeichen. Ich habe ihm eine Menge zu verdanken.«

Nachdenklich blickte sie zur Tür und biss vom warmen Toast ab. Marmelade klebte ihr an der Oberlippe.

Peter nahm ihr Kinn in die Hand, zog sie zu sich und küsste ihr die Lippen sauber. »Du bist süß. Eine Sünde.« Er sah ihr dabei tief in die Augen.

»Ein Genuss«, lachte sie ihn an. »Das Frühstück meine ich natürlich«, ergänzte sie.

»Klar. Was auch sonst.« Er machte auf enttäuscht.

»Besser kann ein Tag nicht beginnen.« Sie rekelte sich.

»Wer kümmert sich um die Krümel?«

»Wer denkt denn an solch einem Tag an Krümel!«, lachte sie. »Hast recht«, sagte er und reichte ihr sein Brötchen zum Abbeißen. »So sollte das Leben weitergehen.«

»Jeden Tag Sonne macht Wüste«, ermahnte sie ihn.

»Wo hast du denn diese Weisheit her?«

»Von Alfons. Das sagt er immer, wenn etwas zu gut, zu reibungslos läuft.«

»Was machen wir heute, hast du eine Idee?«, fragte er mit vollem Mund.

Sie sah ihn über den Rand der Tasse an, die sie mit beiden Händen umfasste, da sie dazu neigte, kalte Finger zu haben. »Ich weiß nicht. Erst werde ich duschen, dann auf die Liege, in die Sonne, sehen, was der Tag so bringt.«

»Ist gut, ich mache die Krumen weg und den Abwasch. Ich denke mir etwas aus, was wir unternehmen können«, sagte er.

Sibylle ging ins Bad. Er räumte den Rest des Frühstücks weg und schüttelte die Betten auf.

Aus dem kleinen Fenster der hinteren Tür sah er ihr zu, wie sie im Bikini zur Liege ging. Was habe ich nur für ein Glück, dachte er. Dann ging auch er unter die Dusche.

Der Rasenmäher drehte seine Kreise, verstummte unvermittelt. Sibylle sah zur Maschine. Kein Alfons. Sie wunderte sich.

Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Sie legte ihr Buch beiseite und eilte ins Haus. Da stand ihr Traummann stocksteif im Flur, nur ein Handtuch über dem Arm.

So habe ich ihn noch nie betrachtet. Sie ging einmal um ihn herum. Knackiger Po, dachte sie. Er starrte in die Luft, abwesend, nicht ansprechbar.

»Alfons, bist du in seine Gedanken gegangen?« Sie wusste, dass Alfons sich Sorgen um sie machte, aber das ging dann doch zu weit. Dass sie nun nichts ausrichten konnte und sie sich ohnehin keine Sorgen um ihren Peter machen musste, wusste sie.

»Komm du mir nach Hause«, sagte sie und legte sich wieder in die Sonne, ihr Buch vor der Nase.

Plötzlich brummte der Mäher wieder. Sie legte ihr Buch beiseite.

»Alfons, kommst du mal?«, rief sie recht laut und energisch.

Einem Dackel gleich, den man gescholten hatte, trottete er zu ihr. Auch Geister können ein schlechtes Gewissen haben. Dass er in Thomsens Gedanken herumfischte, sollte sie eigentlich nicht mitbekommen.

»Was wolltest du in seinem Kopf? Tu das nie wieder! Ist das klar!« Sie war laut und deutlich.

Alfons mochte es nicht, wenn sie zornig auf ihn war. »Ich wollte nur sicher sein, dass er kein Spielchen mit dir treibt … und dir das Herz bricht.« Er senkte den Kopf.

Sie stellte sich vor ihn hin und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Du weißt, dass ich dir vertraue und dankbar bin. Aber tu es nicht wieder.« Sie legte auch die andere Hand auf seine Schulter. »Hast du das auch mit mir gemacht?«

»Nein, nein! Das würde ich mir nie erlauben. Ich liebe dich … auf meine Art.«

Sie zog ihn zu sich hin, drückte ihre Stirn an seine. »Ich dich doch auch, du alter Zausel.«

»Er mag Weißbrot mit Leberwurst und Marmelade.«

Peter wollte gerade die Tür öffnen, als sein Blick durch das kleine Fenster in den Garten fiel. Wie die beiden da so standen … Seine Eifersucht durchzog ihn aufs Neue. Er war kurz davor rauszustürzen, doch die Vernunft sagte ihm, dass er es dulden musste.

Da bemerkte er ein Frösteln und sah an sich herab, nur ein Handtuch in der Hand. Bin ich denn senil? Ich wollte doch duschen. Was würde Sibylle von mir halten, wenn ich nackt in ihrem Garten herumlaufe? Obwohl ihn keiner gesehen hatte, wurde er puterrot.

Er eilte unter die Dusche. Es wäre ihm peinlich, wenn Sibylle unvermittelt vor ihm stehen würde.

Nach dem Duschen, auf Sibylle zugehend, warf er Alfons einen Blick zu, der eine Eiche umgehauen hätte. »Was hältst du davon, wenn wir ein Eis essen gehen?«, sagte er zu Sibylle.

»Ja, eine gute Idee. In Flensburg?«

»Nein, ich dachte da an Bredstedt, mein Zuhause. Da gibt es leckeres Eis.«

»Ist gut, dann mach ich mich mal frisch und fein. Etwas Sommerliches.«

»Behalte doch das an, was du gerade trägst.«

»Ich denke nicht, dass es ankommt.«

»Es gefällt mir, was du anhast. Obwohl es schon wieder zu viel Stoff ist, der deinen Körper bedeckt.«

Sie knuffte ihn in die Seite. »Du bist ein Lüstling.« Sie küsste ihn und knabberte an seiner Unterlippe.

»Ich räume noch deine Sachen weg, oder macht das dein Gärtner?«

»Frag ihn!«

Peter sah sie an und musterte sie von oben nach unten. Sie mochte es, wenn seine Blicke an ihr auf und ab fuhren.

»Ich denke doch, du hast einfach zu viel an«, rief er ihr nach. Er nahm sein Handy und machte noch ein kurzes Telefonat.

Sie hatte etwas Leichtes, Sommerliches angezogen. Sie musste gegen die Sonne sehen, aber sie bemerkte, dass Peter ein ernstes Gesicht machte. Er warf einen Seitenblick auf den vorbeihuschenden Geist.

Sie stupste ihn an. »Bist du schon wieder eifersüchtig?«

»Ich kann nicht aus meiner Haut.« Seine Augen folgten dem Geist.

»Du brauchst doch nun wirklich keine Angst haben.«

»Ich weiß, er ist nur ein Geist, aber ich habe immer das Gefühl, dass du ihm mehr vertraust als mir. Und dass du mit deinen Gedanken mehr bei ihm bist als bei mir.«

»Ich liebe euch beide, dich mit Leib und Seele, ihn mit dem Herzen.« Ihre Arme umschlangen seinen Hals.

»Ich weiß, ich mache mich lächerlich.«

Sie lächelte ihn an, wie es nur Verliebte vermögen. »Nein, du bist nur in deinen Gefühlen verloren. Ist schon in Ordnung. Aber wollen wir uns wegen eines Geistes streiten? Fahren wir, ich möchte den Tag nicht mit Diskussionen beginnen.«

Peter ging zum Wagen, murmelte vor sich hin.

»Wir sind dann mal weg«, rief sie Alfons zu.

»Habt Spaß und macht keinen Unfug. Nicht dass Beschwerden kommen.«

»Du bist wie mein Vater.«

Im Auto saß ein ungeduldiger Peter, der mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte. Es war weniger die Ungeduld, als dass sie sich von dem Geist verabschiedete, als sei er leibhaftig.

Sie setzte sich neben ihn und spürte seine Anspannung. Mit einem innigen Kuss löste sie sie. »Ich liebe euch beide, ihn wie einen Vater.«

Er sah sie an. »Dass Frauen immer noch ein Wort einfällt, wo wir Männer schon gegangen sind.«

Mit einem Lächeln zum Dahinschmelzen sagte sie: »Wir Frauen sind nun mal fürs Reden, ihr fürs Handeln.«

Er fuhr nicht Richtung Süderlügum und dann über die B5, nein, er fuhr durch die Felder. Er wollte ihr seine Heimat zeigen. Er wusste, wo die Rehe waren; an einem Feld stoppte er den Wagen.

»Komm, ich zeig dir einen Ort, an dem ich mich vom Stress erholen kann.«

Auf einer Weide lag ein alter Baum, zum Teil entwurzelt. Seine dicken Äste ragten in den Himmel.

»Hier lasse ich die Sorgen gen Himmel fahren.« Er legte sich auf den Stamm, mit dem Rücken an einen Ast gelehnt, den Blick in die Wolken. »Komm, leg dich zu mir. Schließe die Augen, höre der Natur zu.« Er sagte kein Wort mehr. Nur der Wind rauschte in den Blättern und die Vögel sangen ihre Lieder.

Sie spürte, wie sich ihr Körper entspannte, als würde der Baum ihre Sorgen aufsaugen.

Durch ein Rütteln an ihrer Schulter wurde sie wach. »Oh, war ich eingeschlafen?«

»Nein, du warst in die Natur vertieft.«

»Das war ein seltsames Gefühl. Ich fühlte mich, als sei ich ein Teil der Natur. Ich habe keine Worte dafür. Bist du oft hier?«

»Einmal die Woche, dann aber abends in der Dämmerung. Das ist dann eine ganz andere Stimmung auf den Feldern. Dann ist die Natur richtig zu hören, alle Sinne sind dann wach. Man sieht kaum etwas, deshalb sind die Ohren besonders empfindlich. Das Gras wachsen hören ist kein Scherz. Dann verbringe ich hier Stunden. Ist das albern?« Er sah sie etwas unsicher an.

»Nein! Ich ziehe mich mit einem Buch zurück, um die Welt zu vergessen. Ist genauso albern.«

Er reichte ihr die Hand und half ihr vom Stamm.

In Bredstedt angekommen, zeigte er ihr die kleinen Gassen, in denen er als Schuljunge seinen Ulk mit den Anwohnern trieb.

»Klingelstreiche haben wir gerne gemacht.«

An einem Haus hielt er den Wagen an und stieg aus, lehnte sich gegen die Tür des Wagens, sah an der Fassade eines alten Gebäudes empor. Sie gesellte sich neben ihn.

»Mit diesem Haus hat es eine besondere Bewandtnis. Auch hier machten wir unsere Streiche. Es wohnte ein älteres Paar darin, die beiden leben schon lange nicht mehr. Der Alte erwischte uns. Er hatte sich auf die Lauer gelegt, weil er wusste, wann die Schule zu Ende war. Aber er war nicht zornig, wie die meisten. Er holte uns ins Haus und zeigte uns eine Art Bühne, auf der war mit kleinen Figuren die Geschichte der Bibel nachgestellt. Wir verpassten sogar unseren Bus, so spannend hatte er die Geschichten gemacht. Wir machten von da an weniger Streiche, weil wir oft bei den beiden waren. Ein Drittel der Stube machte die Bühne aus. Wir haben den Auszug der Israelis aus Ägypten immer wieder nachgespielt. Mich würde interessieren, ob es die Bühne noch gibt. Der Mann hatte auch aus der Bibel vorgelesen, ich denke, das hat meinen weiteren Weg beeinflusst und wohl dazu beigetragen, dass ich zur Polizei gegangen bin, wer weiß? Ist schon komisch, wie sich Dinge durch Ereignisse beeinflussen lassen. Oh, ich werde melancholisch.«

Sie sah ihn an und schmunzelte. »Es hat etwas Romantisches. Ich sehe einen kleinen Buben in kurzer Hose durch die Straßen rennen. Du warst bestimmt ein frecher Fratz. Deswegen liebe ich dich.« Sie küsste ihn auf die Wange.

»Die beiden sind mir in lebendiger Erinnerung geblieben. Ist schon seltsam … Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme, sehe ich sie vor mir, mit ihren grauen Haaren und abgetragenen Sachen. Ich war hier zu Hause wie sonst nirgends. Im übertragenen Sinne natürlich.«

Sie sah ein wenig Feuchtigkeit in seinen Augen.

Er parkte den Wagen auf dem Marktplatz. »Von hier gehen wir das Stück zu Fuß.«

»Ihr stapelt Schweine? Ist das eine andere Form von Hochstapelei?«, lachte sie ihn an und zeigte auf den Brunnen, der dem Platz einen Blickpunkt lieferte.

»Nein, Bredstedt ist durch die Schweine zu dem geworden, was es ist. Das erzähle ich dir später mal. Jetzt wollen wir Eis essen.«

»Hätte ein Schwein nicht genügt? Musste man die denn stapeln?«

Er gab ihr die Hand und sie schlenderten durch die Stadt, bis sie vor dem Eiscafé standen.

»Bleiben wir draußen oder gehen wir rein?«

»Draußen ist gut«, sagte sie.

Sie machte einen entspannten, lockeren Eindruck. Als seien die Ereignisse der vergangenen Wochen verflogen. Er hatte es sich zum Ziel gemacht, dass sie glücklich sein sollte. Er hatte sich vorgestellt, dass sie in den Innendienst wechseln und somit aus der Gefahrenzone kommen würde. Nur … wie sollte er ihr das plausibel machen? Sie hatte einen eigenen Kopf. Und ihren eigenen Ehrgeiz. Klar, dass er an der vordersten Linie bleiben würde, um dem Bösen die Stirn zu bieten. Würde er ihr das vorschlagen, nähme sie ihn bei den Ohren, legte ihn übers Knie und versohlte ihm den blanken Hintern – und das auch noch mit Genuss. Bei dem Gedanken wurde ihm ganz flauschig im Bauch und er lächelte unbeabsichtigt.

»Ist etwas lustig?« Sie sah ihn an.

»Nein, ich stellte mir nur gerade vor, dass du mich übers Knie legst.«

»Warst du denn unartig?«

»Willst du mich heiraten?«, fragte er zum zweiten Mal.

Ihre Augen ruhten aus seiner Sicht auf einem Berg Himbeereis, aufgegangen wie zwei Sonnen, die ihn anstrahlten. Ihr Mund war wegen Eiszugang geschlossen.

Wegen ihm hatte sie Knut stehen lassen, den Ring fast am Finger. Ob sie die Liebe ihres Lebens hatte laufen lassen, oder sie nun gefunden hatte? Das war die Frage. Vor ihr saß die Sehnsucht. Zwischen ihr und ihm schmolz das Eis.

»Wenn wir uns nicht beeilen, können wir das Eis trinken.«

»Ja«, sagte sie.

»Was, ja?«, fragte er erwartungsvoll.

»Ja, wir müssen uns beeilen.« Sie ließ ihn zappeln. Das Beste am Angeln, ist das Zappeln der Fische.

Er schaute auf die Uhr.

»Haben wir es eilig?«

»Nicht direkt, wir sind zum Essen eingeladen.«

»Soll ich mich beeilen?«

»Nein, wir haben noch Zeit.« Er wollte nicht, dass sie aufhörte ihr Eis zu essen.

Sie machte eine spitze Schnute beim Zergehenlassen der kalten Köstlichkeit auf ihrer Zunge. Sie könnte sich allerdings auch die Fußnägel schneiden und er wäre begeistert von ihr.

»Wir können, wenn du willst«, sagte sie schließlich mit einem zufriedenen Lächeln.

Er fuhr durch die Köge zum Deich, einen Blick auf die Nordsee werfen. Es war nur gerade Ebbe, das hatte er nicht bedacht.

Sie standen auf der Deichkrone, der Wind war stark und kalt und blies ihnen ins Gesicht; sie kniff die Augen zu einem Spalt zusammen, breitete die Arme aus. »Ein gutes Gefühl, wenn der Wind so durch die Klamotten bläst. Hier ist aber auch ein raues Wetter.«

»Ja. Raues Wetter, raue Menschen, weiche Herzen. Lass uns nicht zu lange im Wind stehen, du bekommst noch einen Schnupfen. Du bist für den Wind zu dünn angezogen. Wir nehmen uns beim nächsten Mal mehr Zeit, wenn Flut ist. Dann könnten wir auch baden.«

Im Auto, das von der Sonne aufgeheizt war, merkte sie erst, wie kalt ihr geworden war. Ein Frösteln überzog ihren Körper. Sie schüttelte sich: »Brrr … ist mir kalt geworden.«

»Ja, meine Schuld. Ich hätte dich nicht in den Klamotten auf den Deich lassen sollen. Tut mir leid. Man schätzt den Wind immer falsch ein. Nur weil man ihn erfrischend findet, merkt man nicht, dass man auskühlt.« Er rieb ihr den Rücken. Erst kräftig, dann immer zärtlicher.

Nach einer Weile brummte sie: »Wenn ich eine Katze wäre, würde ich nun mit dem Schnurren beginnen.« Sie tauschten zärtliche Blicke. »Bei wem sind wir denn zum Essen eingeladen?«

»Bei meinen Eltern, die möchten dich gerne kennenlernen.«

»Dann bin ich nicht richtig angezogen. Das Kleid ist zu dünn.

Hätte ich das gewusst, dann hätte ich eine Hose angezogen. In diesem Kleid fühle ich mich nicht wohl.«

»Du siehst doch gut aus … Ich finde, es steht dir.«

»Du verstehst mich nicht.«

»Es ist doch nichts Festliches, nur lockeres Beisammensein. Nur normales Mittagessen. Nun schau mich nicht so böse an. Aber ich weiß echt nicht, was daran verkehrt ist, was du trägst.«

»Durch dieses Kleid scheinen im Gegenlicht die Beine durch, in Gesellschaft passt das nun einmal nicht.«

»Du hast ja recht, ich hätte es dir sagen sollen. Entschuldige. Aber meine Schwester hat bestimmt eine Hose, die dir passen könnte.«

Sie sah ihn nachdenklich an.

»Es ist nichts Feierliches oder so«, versuchte er sie zu beruhigen.

»Es sind deine Eltern«, fauchte sie ihn an.

»Ist gut, ich verstehe. Soll ich absagen?«

»Nein, deine Mutter rechnet doch mit uns und hat bestimmt danach gekocht. So kurz sagt man nicht mehr ab. Du hast es ja auch nur gut gemeint und, wie Männer nun mal sind, nicht nachgedacht. Ich fühle mich nur überfahren und das mag ich nicht.«

»Ich gelobe Besserung.« Er hob die Hand zum Schwur.

Sie fuhren durch ein paar Köge.

»Sind die Dächer mit Absicht in Grün gehalten?« Sie zeigte mit dem Finger auf die Höfe.

»Das ist auch eine Geschichte für sich. Es heißt, dass einer nach Südafrika gegangen ist und dort reich wurde. Mit seiner Hilfe wurde dieser Koog errichtet und im Gedenken an ihn, sind die Dächer grün. Da, wo er in Afrika war, sind die wohl auch grün, deshalb ist das hier so.«

»Hier bist du zu Hause?«

»Einen Koog weiter bin ich geboren.«

Sie staunte nicht schlecht. »Ein ansehnliches Anwesen«, sagte sie bewundernd.

»Steckt eine Menge Arbeit von fleißigen Menschen drin. Die lange Dürre, die da Pferde an der Leine führt, ist meine Schwester. Margot. Ich werde sie fragen.«

»Das kann ich selber.«

»Hallo Schwester«

»Hallo Peter, du lebst noch?«

»Darf ich vorstellen? Meine Schwester, Margot. Sibylle, meine Freundin.«

Die beiden Frauen gaben sich artig die Hand.

Sibylle druckste ein wenig herum. »Ich habe da auch gleich eine peinliche Frage. Kannst du mir eine Hose borgen?«

»Aber selbstverständlich. Peter, magst du die Pferde in die Box bringen? Komm mal mit.«

Sibylle folgte gehorsam.

»In welche Box sollen die Gäule?«

»Stell dich nicht an. Es sind Mädchen in den Ställen, die können dir helfen.« Margot schüttelte den Kopf. »Der hat sich auch nicht verändert. Pferde sind nicht sein Ding. Komm, Sibylle, wir machen Modenschau.«

Sibylle stand vorm Spiegel und betrachtete das Beinkleid mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

»Was bedrückt dich? Stress mit Peter?«

»Wie kommst du denn nun auf den Gedanken?«

»Ich bin Kindergärtnerin. In den Gesichtern der Kleinen sehe ich, wenn es denen nicht gut geht. Wie sie sich fühlen ist an ihrer Mimik abzulesen. Dein Lächeln ist nicht rund. Es müsste bis in die Wangen gehen, es hört aber schon in den Mundwinkeln auf. Das sagt mir, dass du Sorgen hast, die du nicht zugeben möchtest. Der Spiegel lügt nicht.«

Die beiden hatten Blickkontakt über den Spiegel.

»Nein, alles in Ordnung.«

»Na komm, mach mir bitte nichts vor. Ich bin da, wenn du reden möchtest.«

Sibylles Unterlippe zitterte ein wenig. »Ich habe bereits einen, der mir zuhört, aber danke für dein Angebot.« Sie drehte sich zu Margot um.

»Bist du mal geritten?«, fragte Margot.

»Wie kommst denn darauf?«

»Wie du stehst … eigentlich haben nur Reiter eine so aufrechte Körperhaltung, der Durchschnitt steht wie ein krummes Würstchen. Und deine Schenkel sind kräftiger als bei Nicht-Reitern« Margot reichte ihr noch eine Hose. »Wollt ihr heiraten?«

»Wenn es nach Peter ginge gestern. Zweimal hat er mich schon gefragt. Ich brauche Zeit. Ich habe in den letzten Wochen Dinge erlebt, die verdaut werden wollen. Im Moment habe ich Unordnung im Kopf. Wenn das sortiert ist, habe ich Raum für die Zukunft. Dann ist da noch unsere Arbeit … als Ehepaar können wir nicht zusammen in den Einsatz, das würde die Sicherheit des Partners gefährden. Einer müsste in eine andere Schicht. Aber wenn wir uns nicht sehen, fehlt uns was.«

»Wie gesagt, wenn du reden möchtest: ich bin da! Wie ist es? Wie fühlt man sich, wenn man so vom Altar geraubt wird? Das stelle ich mir als Operette vor. Es stand in allen Zeitungen.

Große Schlagzeile: Braut aus der Kirche entführt, dem Bräutigam entrissen. Ehe vor dem Altar verhindert. Dass ihr das wart ist irgendwie aufregend, das hätte ich meinem Bruder gar nicht zugetraut.« Margot machte es sich auf dem Bett bequem.

Sibylle setzte sich neben sie. »Es war ein Gefühl, das kann man nicht beschreiben. Der Puls war schon hoch wegen der Feier selbst. Dann dieses Nein, das durch die Kirche hallte. In dem Moment schoss der Puls in die Höhe. Die Zeit schien still zu stehen. Es war der Punkt, an dem sich meine Welt auf den Kopf gestellt hat. Ja, wir werden heiraten, aber von Vernunft gelenkt, nicht überstürzt.«

»Ist Peter auch so geduldig?«

»Nein, der drängt. Aber er ist Realist genug, um zu verstehen – Eile ist keine Brücke, sondern eine Krücke, würde mein Opa gesagt haben. Ich finde deinen Bruder putzig, so zielorientiert er im Beruf ist, so ungeschickt ist er in kleinen Dingen. Wenn er die Mine eines Kulis wechselt, ist das eine Beobachtung wert.«

»Ja, das kenne ich. Schon als Kind war er in kniffeligen Dingen nicht zu schlagen. Einen Nagel in die Wand zu hauen, das hat Daumen gekostet – der Nagel hat es immer überlebt.«

Die beiden kamen von einem zum anderen. Mit beiden Händen an der Fessel gehalten, sah Sibylle Margot an, voller Vertrauen zu einem Menschen, den sie nicht kannte. Dass die Körpermerkmale von Margot sowie die Gesichtszüge mit denen von Peter korrespondierten, war ihr nicht bewusst, aber der Einfluss auf ihr Vertrauen war deutlich.

Sibylle schaute auf ihre Hände, dann zu Margot. »Ich war öfter verliebt, zumindest dachte ich es. War dann aber doch nur falscher Alarm. Bei Peter ist es ein Nervenbrand. Als wir uns das erste Mal begegneten, berührte nur sein kleiner Finger meine Hand. Es war wie eine Infektion.« Sibylle sah auf ihre Hand und rieb mit der anderen darüber. »Bei der zweiten Begegnung ist die Krankheit ausgebrochen, bei uns beiden zugleich. Die Liebe ist dabei die Vernunft zu verbrennen. Ja, wir werden sicher heiraten, aber alles zu seiner Zeit. Es ist nicht einfach nur Liebe, mir fehlen die Worte, um es zu beschreiben. Er ist ein Teil von mir und das ist erdrückend. Ein Überborden der Gefühle dieser Art ist mir fremd. Verstehst du mich?«

Margot legte ihre Hände auf Sibylles, sah sie eine Weile an. »Ich habe auch meine Lieben gehabt. War von dem einen oder anderen begeistert, waren dann aber nichts für den Alltag. Ihr beide seid füreinander bestimmt. Auch wenn ihr nicht mehr in derselben Schicht arbeiten werdet, es ist bei anderen das Gleiche. Das ist Ehe nun einmal. Nicht nur Honig, auch Pfeffer.«

Sibylle stimmte nickend zu, senkte den Kopf zugleich – Margot sollte nicht sehen, dass sich eine Träne ihren Weg suchte.

»Möchtest du reiten?«

»Ich habe als Schulmädchen in der Reithalle mein Taschengeld aufgebessert, bin wohl deshalb in die Reiterstaffel gegangen, von da weiter zur Kripo. Es ist bestimmt zwei Jahre her, dass ich auf einem Pferd saß. Ja, mal sehen, ob ich mich noch halten kann.«

Sie gingen über den Hof zur Halle.

»Möchtest du ein Sanftes oder eines, das Leben hat?«

Etwas zögerlich sagte sie: »Kann ruhig etwas lebhaft sein.«

Margot rief einem Mädchen zu, sie solle Lausbub satteln und in die Halle bringen.

Als das Pferd in die Halle geführt wurde, bäumte es sich auf und zog am Zügel, sodass es kaum zu halten war.

Sibylle trat von vorne an das Pferd heran, sah ihm in die Augen und sprach ganz behutsam auf das Tier ein – es richtete die Ohren nach vorne. Dann kontrollierte sie noch einmal Zaumzeug und Sattel. Zu dem jungen Mädchen sagte sie: »Hat nichts mit dir zu tun, nur Gewohnheit und der Sicherheit wegen.«

Das Mädchen lächelte und übergab die Zügel.

Mit einem Schwung saß Sibylle auf dem Rücken des Tieres, das sofort beweisen musste, wer der Stärkere war. Aber Sibylle behielt die Ruhe und die Oberhand. Ohne wildes Peitschen, nur mit Einfühlung gelang es ihr in wenigen Minuten, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen.

Margot sah das junge Mädchen an. »Die kann ja richtig reiten, da können wir noch was lernen, alle Achtung.«

Peter hatte sich auf die Tribüne gesetzt. Er hatte die Frauen in die Halle gehen sehen.

Seine Mutter gesellte sich zu ihm. »Na, ist sie das?«

»Ja, das ist sie. Ist sie nicht eine schöne Frau?«

»Geschmack hattest du schon immer. Und die hast du aus der Kirche geraubt?«

»Ja, verrückt, oder?«

»In gewisser Weise beeindruckend. Und es muss die große Liebe sein, denn du hast schon öfters Mädchen mit nach Hause gebracht, aber beim Reiten zugesehen hast du nie. Das ist doch nicht etwa Lausbub den sie reitet? Dass sie den bändigen kann … alle Achtung. Sie hat eine stabile Haltung, den Rücken gerade … sie kann richtig reiten. Hat sie das beruflich gemacht?« Sie sah Peter an. »Das Essen ist fertig, kommt ihr dann zu Tisch?«

»Dass sie reiten kann, wusste ich nicht. Ich weiß vieles nicht von ihr, scheinbar kenne ich diese Frau nicht.«

»So, wie du sie betrachtest, hat es dich voll erwischt.«

»Die Frau ist mein Leben. Der Schlag ihres Herzens ist der Puls, der mein Leben bestimmt. Ihr Lächeln ist die Kraft, die mich hält. Ihre zarte Haut ist mein Verderben.«

Seine Mutter drückte ihn an ihre Schulter. »Wenn du glücklich bist, ist für uns die Welt in Ordnung. Man sieht es euch an, ihr seid ein Herz und eine Seele. Kommt ihr jetzt essen?« Sie gab Margot Handzeichen.

Margot nickte.

Peter wartete vor der Halle, bis Sibylle durch die Tür kam. Als sich die Flügel der Tür öffneten, pochte sein Herz bis in die Halsvenen. Die großen feuchten Augen, die ihn ansahen, gehörten leider dem Pferd. Sibylle und Margot waren in ein Gespräch über Pferde vertieft.

Margot sah ihrem Bruder an, dass er es nicht abwarten konnte, dass seine Traumfrau zu ihm kam und sagte zu Sibylle. »Ich glaube, ihr zwei wollt ein wenig alleine sein. Ich lasse euch mal turteln.«

Sibylle fiel ihm um den Hals. »Ich bin so lange nicht mehr geritten. Ich merke jeden Muskel, besonders die, auf denen man sitzt. Deine Schwester ist eine Wucht.«

»Ja, das ist sie. Es war deutlich zu sehen, dass ihr euch gut verstanden habt. Den Rest der Familie wirst du auch mögen.«

Sie umfassten ihre Hüften und sie legte ihren Kopf gegen seine Schulter. Langsam mit der Welt im Reinen, dem Duft des Bratens folgend, gingen sie zum Haus.

An der Tür zum Esszimmer stand ein junger Mann. Sibylle schätzte ihn auf um die 20, wenn nicht jünger.

»Mein kleiner Bruder Jochen, der hat die Finanzkrise ausgelöst. Er arbeitet bei einer Bank.«

Er gab Sibylle die Hand und sah ihr in die Augen. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

Peter faste seinem Bruder mit der flachen Hand unters Kinn. »Mach den Mund zu«, lästerte er.

Jochen flüsterte ihm ins Ohr. »Mann, ist die scharf.«

»Ich weiß, ich weiß«, flüsterte Peter seinem Bruder mit einem Lächeln zu.

Reihum ging es dann. Guten Tag und Hallo.

Zum Schluss reichte Peters Vater Sibylle fast schon Knochenbruch gefährlich die Hand: »Sie müssen die Frau aus dem Märchen sein, von der die Zeitungen voll sind. Sie wurden vor dem Ehegelöbnis aus der Kirche geraubt, heißt es da.«

»Das mit dem geraubt ist reichlich übertrieben. Es war eher einvernehmlich und romantisch zugleich.«

»Ich bedaure, dass mein Sohn mir da zuvorgekommen ist.«

»Sie sind ein Charmeur. Ich muss drauf achten, Ihnen nicht zu verfallen.« Er umarmte sie. »Willkommen Kleines. Schön dass Sie meinen Ungeratenen bändigen konnten.«

»Wer Pferde bändigen kann, wird auch mit meinem Bruder fertig«, warf Margot ein. »Außerdem könnt ihr auch Du zueinander sagen. Ist doch einfacher«, ergänzte sie.

»Sibylle.«

»Robert.«

Sie gaben sich erneut die Hand.

»Ich denke, als junger Knabe warst du Hahn im Korb.«

»Sein Vater hat ihn nie aus den Augen gelassen, sonst hätten wir eine Menge Geschwister«, lästerte Margot.

Der Vater grinste, umarmte beide Frauen und führte sie zum Tisch.

Er drückte Sibylle noch einmal an sich: »Ich gebe dich an meinen Sohn ab, schön dass du unser Gast bist.«

»Ich freue mich auch. Danke für die Einladung.«

Die Mutter reichte Sibylle den Braten. »Unser Gast darf anschneiden.«

Sibylle wollte geraden das Messer ansetzen, da meinte Jochen, dass man doch ein Tischgebet sprechen sollte.

»Oh, Entschuldigung.« Sie zog den Kopf ein und faltete die Hände.

Die Mutter strafte Jochen mit einem strengen Blick. »Dann mach hin, unser Gast hat Hunger.« Sie klopfte dabei auf Sibylles Handrücken, die ein wenig verunsichert wirkte.

Jochen legte los: »Lieber Gott, pass auf bei Tisch, dass ich das größte Stück erwisch. Amen.«

»Bitte, lang zu«, sagte die Mutter.

Jochen grinste.

Seine Mutter gab ihm einen Klaps mit der flachen Hand an den Hinterkopf. »Was soll unser Gast von uns denken?«

»Ist schon gut, er hat mich kalt erwischt.«

»Sie hat Lausbub geritten«, sagte Margot.

Jochen guckte irritiert. »Lausbub? Der wirft doch jeden ab. Den kannst du reiten?«

»Ja, wir verstehen uns. Zwei Dickköpfe sind sich eben einig.«

»Mich wirft der immer ab«, brummte Jochen resigniert.

»Du kannst ja auch nicht reiten«, musste Peter seinen Bruder zwacken.

Jochen verzog das Gesicht und machte lautlose Lästereien.

»Wie kommt eine so zerbrechliche Frau wie du zur Polizei? Peter ist einem inneren Ruf gefolgt. Ist es für eine Frau nicht hart?«, meinte der Vater.

»Die Ausbildung ist in der Tat eine Schinderei. Aber ich war schon immer sportlich aktiv. Das hat mir geholfen. Da ich auch reiten konnte, war der Weg frei für die Reiterstaffel. Bin dann irgendwie zur Kripo gekommen. Und aus der Kirche geraubt … nun werde ich gefangen gehalten.«

»Ich wäre gerne dabei gewesen, als du sie geraubt hast«, sagte Jochen.

Sibylle sah Peter an. Jeder konnte sehen, dass da zwei Herzen füreinander schlugen. Ihre Augen konnten sich nicht trennen.

Eine Weile war absolute Stille.

»Wenn ich dich befreien soll, sag Bescheid.« Jochen hob die Gabel. »Ich nehme es mit jedem Drachen auf.«

»Danke. Ich bezweifle nicht deinen Heldenmut, aber ich habe bereits einen Drachentöter. Ein wenig unbeholfen manches Mal, aber mein Held.«

Peter gab ihr ein Küsschen.

Sibylle lächelte Jochen an.

»Du wirst noch genug Drachen finden, mit denen du kämpfen kannst«, sagte Margot.

»Ja«, sagte der Vater. »Wenn die Mutter deiner Freundin dir den Zugang zur Liebsten verweigert. Dann hast du deinen Drachen.«

»Weiß nicht von was du redest.« Jochen senkte den Blick, als sei ihm etwas peinlich.

»Na komm, die Rothaarige … die wird doch von ihrer Mutter bewacht. Die aus dem Bäckerladen, die eurer Geldvernichtungsanstalt gegenüber ist, da holst du doch immer deine belegten Brötchen.«

Mit rotem Kopf zischte Jochen: »Ist doch Quatsch, was du da redest.«

»Du hast ein eigenes Haus?«, lenkte die Mutter das Gespräch um.

»Ja, ein kleines nur.«

»Ein eigener Herd ist Goldes wert«, sagte der Vater.

»Sie hat auch einen Hausgeist«, mischte Peter sich ein.

Mit einem Tritt ans Schienenbein gab sie ihm zu verstehen, dass sie nicht über Alfons sprechen wollte. »Ein Rentner, der mir im Garten zur Hand geht. Ich habe keinen grünen Daumen und auch nur wenig Zeit.«

»Ist was?«, fragte die Mutter besorgt.

»Nein, ich dachte nur, mich tritt ein Pferd.« Peter rieb sich das Bein.

»Möchtest du noch ein Stück Braten?« Die Mutter reichte es über den Tisch.

»Nein danke, noch ein Stück und ich platze.«

Der Nachmittag wurde unter freiem Himmel verbracht, bei Kuchen und Plaudereien über Zukunft und Vergangenheit und die dummen Streiche von Peter und Jochen. Es wurde viel gelacht auf Kosten anderer.

Beim Abschied sagte der Vater. »Du bist uns jederzeit willkommen!«

Margot umarmte Sibylle. »Wir werden mal einen gemeinsamen Ausritt machen.«

»Das ist eine gute Idee, das machen wir.«

»Was sollte der Tritt? Das gibt einen blauen Fleck«, beschwerte sich Peter auf der Rückfahrt.

»Ich möchte nicht, dass von Alfons gesprochen wird.«

»Aber den gibt’s doch, der ist doch real, wenn man so will.«

Peter wackelte mit dem Kopf. »Aber gut, wenn du nicht möchtest … kein Wort mehr von dem Geist.«

»Entschuldige, ich wollte nicht so kräftig treten.«

»Ich bin ein Drachentöter, schon vergessen?«

»Wohin fährst du?«

»Zum Deich. Es dürfte noch Wasser da sein, die Ebbe setzt erst ein.«

»Ist es nicht zu kalt? Ich friere schon beim Gedanken an den Wind.«

»Ich habe ein paar warme Jacken eingepackt, von meinem Vater geborgt. Du musst unbedingt bei Sonnenuntergang auf die See gesehen haben, wenn sich die Sonne in den Wellen spiegelt.«

Sie fuhren nach Lütmoor Siel und setzten sich auf eine Bank, die auf dem Deich stand. Die untergehende Sonne spiegelte sich in den Wellen, der Wind trug den Duft des Watts und des Salzes in die Nasen. Kleine Vogelschwärme suchten im Trockengefallenen nach Würmern, huschten eilig hin und her. Der Wind war leicht und von der Sonne des Tages angewärmt. Die langen Schatten der Badegäste spielten ihr eigenes Spiel.

Sibylle kuschelte sich an Peter. »Es ist herrlich hier.« Sie atmete ein paarmal tief durch. »Danke für den schönen Tag. Deine Familie ist nett. Besonders dein Vater, ein Schmeichler vor dem Herrn. Dein kleiner Bruder ist süß, der hat mich unentwegt angehimmelt.«

»Ja, der kann aufdringlich sein, aber der hat noch Welpenschutz.«

»Du bist doch nicht auf den Kleinen eifersüchtig?« Sie boxte ihm in die Seite, um sich sofort wieder anzukuscheln.

»Wollen wir nach Hause?« Er machte Anstalten aufzustehen.

Sie hielt ihn zurück. »Hörst du es?«, fragte sie.

»Was?«

»Die Ruhe … Nein, nicht Ruhe – die Stille. Kein Geräusch, nur der Wind.« Sie legte die Hände hinter den Kopf, schloss die Augen; der Wind spielte mit ihrem Haar.

Beide schwiegen eine Weile.

»Können wir?«, drängte er.

»Ja, wir haben ja auch noch ein gutes Stück Weg vor uns.«

Vor ihrem Haus verabschiedete sie sich von ihm: »Bis Morgen. Noch mal Danke für den schönen Tag.«

Sie sah den Rücklichtern nach, bis sie in der Kurve verschwanden. Sie hob noch die Hand zum Gruss, kam aber nur bis zum Bauchnabel.

Nach kurzem Duschen fiel sie wie ein Baum ins Bett. Die Gedanken waren noch bei den Eindrücken des Tages, da mischte sich das Gesicht ihrer Mutter hinein. Noch bevor sie denken konnte Ich rufe morgen mal zu Hause an, war der Tag durch den Schlaf abgelöst.

***

Wie es mit dem Schlaf oft so ist, wurde er durch eindringlichen Lärm beendet. Sibylle hatte vorsorglich den Wecker außerhalb ihrer Reichweite postiert. Der Ach-noch-fünf-Minuten-Effekt hatte schon oft zu Hast und Eile geführt.

Der Vortag mit seinen schönen Momenten zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Die Beine weigerten sich den Weg zur Dusche zu beschreiten. Wenn nicht die Hände an Stuhl und Türrahmen Halt gefunden hätten, wäre wohl der Magnetismus des Bettes als Sieger aus diesem Morgenscharmützel hervorgegangen.

Sie war so in das Gestern vertieft, dass sie nicht bemerkte, dass sie unter der kalten Wasserflut zu zittern begonnen hatte.

Den warmen Kaffee mit beiden Händen umfassend, das Fenster weit auf, den Duft der Felder mit geschlossenen Augen ganz tief einatmend, genoss Sibylle den Tagesbeginn. Langsam wurden ihre Finger wieder warm. Ihre Augen sahen den Stuhl an ihrer Seite an. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn Peter da jeden Morgen krümelte. Sie fasste einen Entschluss. Ihr Herz pochte vor Aufregung.

Im Büro war Peter dabei die Aufzeichnungen der letzten Fälle durchzusehen. Ein Auge bei der Tür, ein Ohr auf dem Flur. Er hatte sich eine Überredungsstrategie zurechtgelegt. Er war überzeugt, sie würde Ja sagen. Nervosität zerbrach seinen Kuli. Die Teile lagen auf Tisch und Boden.

Während er noch die Teile aufklaubte, saß sie schon auf ihrem Stuhl. Er sah auf, erschrak und der Kuli verteilte sich erneut in der Gegend.

Er atmete tief durch, wollte seine ganze Redekunst in seinen Auftritt legen, der Puls hämmerte in seinem Kopf …

»Ja! Jaja!«

»Wie … was?«, fragte Peter total von der Rolle.

Sie sah ihn an. »Ja, ich möchte, dass wir heiraten.«

Sie standen auf und keiner wusste, welcher Arm zu wem gehörte.

»Wann?«, fragte er.

»Ich denke im Februar. Auf dem Hof deiner Eltern.«

»Klar, das machen wir, Platz ist da genug. Die werden sich freuen.« Er rief zur Tür hinaus in den Flur. »Wir heiraten.«

Haus im Grünen II

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