Читать книгу Große Ideen der Wissenschaft - Ernst Peter Fischer - Страница 6
ОглавлениеDAS ATOM
Das Atom gehört zu den ältesten Ideen, mit denen Menschen versuchen, die Welt um sich herum zu beschreiben. Das Atom, der Gedanke, das Wort, ist vor etwa zweieinhalbtausend Jahren im antiken Griechenland in die Welt gekommen. Der Philosoph Demokrit oder Demokritos hat damals versucht zu verstehen, was passiert, wenn er ein Ding nimmt und das immer teilt und teilt und teilt. Sie können sich gerne eine Zeitungsseite nehmen, die Sie teilen, wieder teilen, dann ein Achtel, ein Sechzehntel, ein Zweiunddreißigstel schnippeln. Und immer weiter teilen Sie, bis Sie zum Schluss etwas bekommen, was offenbar nicht mehr geteilt werden kann.
Gemeint ist nicht, dass Sie das mechanisch nicht mehr teilen können, sondern es muss ja doch irgendwann einmal etwas sein, was übrig bleibt, was der Urbestand dessen ist, aus dem die Zeitung und aus dem die anderen Dinge bestehen. Das nannte man das »Unteilbare«, auf Griechisch »átomos« oder eben das Atom.
Das Atom ist das älteste Wort, das wir kennen, um die Welt zu beschreiben, und es ist auch eines der am besten verbreiteten Wörter. Die meisten von uns kennen und benutzen das Wort. Sie verstehen auch, wenn die Soziologen von der »Atomisierung der Gesellschaft« sprechen. Sie alle sorgen sich wegen der Atomkraft. Das Wort »Atom« ist Ihnen eingängig. Sie haben keine Probleme, wenn Sie es benutzen sollen. Sie wissen auch, dass die Welt aus Atomen aufgebaut ist. Das hat man Ihnen so gesagt. Sie denken, Sie wüssten auch, was das ist, ein Atom. Ein Atom ist das Ding, aus dem die Dinge aufgebaut sind.
Das Problem ist nur, ob das so sein kann. Es ist ein logisches Problem.
Zunächst einmal: Wenn das Atom das Ding ist, das die Dinge aufbaut, dann kann das Atom ja kein Ding sein, denn Sie wollen die Dinge ja erst aufbauen. Es macht keinen Sinn, die Welt dadurch zu erklären, dass Sie das, was Sie erklären wollen, voraussetzen. Wenn Sie zum Beispiel die Entstehung von Rationalität im Denken erklären wollen, können Sie die auch nicht voraussetzen. Sie müssen dann zuerst eine Irrationalität haben und daraus irgendwie durch Kombinationen oder durch Wachsen von Irrationalitäten das rationale Denken erklären.
Es macht keinen Sinn, Rationalität dadurch zu erklären, dass ich sie voraussetze, und es macht keinen Sinn, die Dinghaftigkeit der Welt, die Objekte, die wir in der Welt finden, dadurch zu erklären, dass ich sie voraussetze.
Die Logik des bohrschen Atommodells
Das Atom kann also kein Ding sein. Aber was ist es dann? Das ist das schwierige Problem, das die Physiker vor etwa hundert Jahren zum ersten Mal voll in Angriff genommen haben. Sie wissen bis heute eigentlich nicht, was ein Atom ist, obwohl sie eine Menge schöner Modelle dafür gemacht haben.
Ich nehme an, dass Sie alle ein Atommodell kennen – das ist das Atommodell, das ein Ding oder ein Gebilde zeigt, das auf keinen Fall mehr unteilbar ist. Im Gegenteil: Das Atom besteht aus zwei Teilen, nämlich aus einer Hülle, in der negativ geladene Teilchen namens Elektronen unterwegs sind, und aus einem Kern, in dem positiv geladene Teilchen wie Protonen und neutrale Teilchen wie Neutronen zusammengehalten werden.
Dann hat man diese schöne klassische Vorstellung, die etwa aus dem Jahre 1912 stammt, dass es einen Atomkern gibt, um den sich die Elektronen auf sogenannten »Umlaufbahnen« herumbewegen. Das ist das »bohrsche Atommodell«, von Niels Bohr, dem dänischen Physiker, vorgeschlagen. Es konnte eine wunderbare Erklärung von bestimmten Fähigkeiten und Eigenschaften der Materie geben, sodass man damit sehr zufrieden war. Nur: Von Anfang an war auch da wieder ein kleines logisches Problem, denn letzten Endes wollen wir ja die ganze Welt verstehen, in der wir leben. Dazu gehört auch das Planetensystem. Wenn wir im Atom schon ein Planetensystem haben – denn wenn wir einen Kern haben, um den Elektronen kreisen, haben wir ein Planetensystem im Kleinen –, dann ist das auch wieder so, dass wir voraussetzen, was wir eigentlich erklären wollen. Wir wollen ein Planetensystem – das Sonnensystem – erklären und setzen es im Atom voraus.
Das ist also auch nicht richtig. Die Atome müssen anders sein als die Dinge, die wir kennen. Sie dürfen keine Ausdehnung haben in dem Sinne, wie ein Tisch eine Ausdehnung hat. Sie dürfen auch keine Farben haben, ebenso wenig wie Umlaufbahnen wie Planeten um die Sonne. Die Atome müssen irgendetwas ganz anderes sein, etwas ganz Merkwürdiges. Die große Frage ist: Was sind sie eigentlich?
Die andere Frage, die sich bei Atomen von Anfang an gestellt hat, ist: Angenommen, ich habe hier ein Atom, was habe ich dann daneben? Was ist denn neben dem Atom? Die Griechen hatten dafür eine einfache Lösung. Sie haben gesagt: Neben den Atomen gibt es den leeren Raum. Die ganze Welt besteht aus Atomen und dem leeren Raum.
Allerdings waren nicht alle Griechen der Meinung, dass das richtig sei. Der große Philosoph Aristoteles war der Meinung, dass das überhaupt nicht sein kann. Er wusste auch nicht, was ein leerer Raum sein soll. Wir können uns heute vorstellen, dass ein Zimmer leer ist, wenn die Menschen hinausgegangen sind. Aber dann ist natürlich immer noch die Luft drin, Stühle stehen herum. Was wirklich Leere sein soll, was »nichts« sein soll, konnte er sich nicht vorstellen. Weil er sich das »Nichts« nicht vorstellen konnte, wollte Aristoteles auch nicht, dass es Atome gibt.
Also sagte Aristoteles: Es gibt weder Atome noch den leeren Raum … Ja, was gibt es dann? Heute sind wir uns sicher, dass es in irgendeiner Form Atome gibt. Der Nachweis dafür stammt aus dem 20. Jahrhundert. Er geht auf Albert Einstein zurück. Der Nachweis konnte dadurch geführt werden, dass man Atome zählen kann. Nun will ich das Verfahren nicht vorführen, aber klar ist, dass man Atome zählte. Und wenn man Atome zählt, kommt heraus, dass sie ungeheuer klein sind, oder man kann auch sagen, dass es ungeheuer viele von ihnen gibt.
Die Atome Cäsars
Es ist natürlich schwer, sich solche Zahlen, die Mathematiker und Physiker ausrechnen können, die große Exponenten haben, also 1020, 1023, 1030 Atome, die in irgendeinem Glas vorhanden sind, vorzustellen. Aber man kann sich ein paar einfache Dinge zur Veranschaulichung vorstellen. Wenn Sie zum Beispiel ein Glas mit Wasser nehmen und dieses Glas irgendwo in München oder in Hamburg oder in Los Angeles ausschütten und warten, bis sich dieses gesamte Wasser in der ganzen Welt – in allen Wolken, in allen Meeren, in allen Flüssen, in allen Badezimmern, in allen Wassergläsern – verteilt hat, und dann an irgendeinen Wasserhahn gehen, meinetwegen in Moskau, und ein Wasserglas füllen. Jetzt können Sie fragen: Wie viele von den Atomen oder Molekülen, die ursprünglich in dem Wasserglas waren, sind jetzt in diesem Wasserglas? Sie werden wahrscheinlich denken: Gar keins. Die Antwort ist: Tausend. Tausend Moleküle sind da drin. Das ist doch eine ungeheure Überraschung!
Es gibt noch die andere, einfache Fragestellung: Als Cäsar ermordet wurde, da soll er ja bekanntlich »Auch du, mein Sohn Brutus« ausgehaucht haben. Wenn man »Brutus« sagt, strömt etwas Luft aus. Wenn Sie jetzt die Atome, die in diesem letzten Hauch von Cäsar waren, nummerieren und markieren könnten und dann fragen: Wie viele von den Atomen, die Cäsar ausgehaucht hat, sind in dem Raum, in dem ich jetzt bin? Dann würden Sie sagen: Überhaupt keins. Die Antwort ist: Doch, etwa hundert.
Das heißt: Wir sind von hundert »CäsarAtomen«, die er ausgehaucht hat, umgeben. Von den anderen will ich gar nicht erst reden.
Also, Atome sind ungeheuer klein, ungeheuer vielfältig. Aber was sind sie jetzt in Wirklichkeit? Wie kann ich sie erfassen? Kann ich ein Atom betrachten?
Klar ist – das weiß man auch seit etwa hundert Jahren –, dass Atome tatsächlich geteilt werden können. Sie bestehen aus dem Kern, von dem ich gesprochen habe, dem Atomkern, in dem die meiste Masse vorhanden ist, und einer Hülle. Ich kann die Teilchen, die in der Hülle sind, die Elektronen, aus dem Atom entfernen und ich kann nachweisen, dass es diese Dinge im Einzelnen gibt. Aber was genau machen die Elektronen eigentlich, wenn sie den Kern umkreisen?
Tatsächlich hat man immer gedacht, dass die Physik es erlaube, die Bahnen dieser Elektronen auszurechnen. Bis man eines Tages auf die Idee kam, dass man dabei einen gravierenden Fehler machte.
Die entscheidende Einsicht, welche die Physiker dazu gebracht hat, das Atom zu verstehen, ist einem jungen Physiker namens Werner Heisenberg gelungen. Sie ist ihm dadurch gelungen, dass er den eigentlichen Gedanken bei diesem Atommodell umgedreht hat. Er war erst 24 Jahre alt. Die Bahn des Elektrons gibt es eigentlich gar nicht, denn ein Elektron hat wahrscheinlich gar nicht die Eigenschaft, eine Bahn zu haben.
Ich hatte ja schon gesagt: Wir dürfen nicht voraussetzen, dass die Sachen, die wir erklären wollen, schon am Anfang in den Dingen sind, mit denen wir die Sachen erklären wollen. Also ist Heisenberg auf die Idee gekommen – da wir natürlich nur das Atom in seiner Dynamik verstehen müssen –, dass die Bahn des Elektrons dadurch entsteht, dass wir sie erfinden, dass wir sie beobachten.
Naturgesetze sind das, was wir der Natur vorschreiben
Mit anderen Worten: Ein Atom wird plötzlich im Rahmen der modernen Atomphysik die Form, mit deren Hilfe wir die Natur verstehen können. Das Atom ist tatsächlich eine Erfindung von Menschen, die Bahn des Elektrons ist auf diese Weise etwas, was keine konkrete Bahn mehr hat, die ich stoppen kann, sondern eine Verteilung von Zuständen, die ein Atom einnehmen kann. Das Fantastische ist dabei, dass diese moderne Atomphysik genau gezeigt hat, was die große Philosophie von Immanuel Kant im 18. Jahrhundert vermutet hat: Die Naturgesetze sind nicht etwas, was in der Natur ist, sondern die Naturgesetze sind, was wir der Natur vorschreiben.
Die Atome sind also eine merkwürdige Größe. Sie müssen auch ganz anders verstanden werden, als wir uns das normalerweise denken.
Sie können sich das noch an einem anderen, einfachen Beispiel überlegen: Sie wissen alle, dass die Elektronen negativ geladen sind, der Kern ist positiv geladen. Schon denken Sie, dass da natürlich ein elektrisches Feld in dem Atom sein muss. Aber für einen Physiker ist es ganz schwierig, über ein elektrisches Feld zu sprechen. Ein Feld kann nur dadurch definiert werden, dass man einen Probekörper in das Feld hält, um die Kraft, die auf ihn ausgeübt wird, zu messen. Aber genau das können wir mit einem Atom nicht tun.
Ein Atom ist etwas ganz anderes, als wir uns denken. Das Fantastische ist aber, dass wir über das Atom trotzdem etwas wissen. Das wirklich Spannende ist, dass wir an dem Begriff des Atoms festhalten, also an dem Begriff des Unteilbaren, obwohl wir wissen, dass es teilbar ist.
Mein Verdacht ist deswegen, dass das Atom eigentlich nicht etwas ist, was man empirisch, logisch und quantitativ bestimmen kann, sondern es ist ein Urgedanke des menschlichen Konzepts von Natur überhaupt. Die Psychologen sprechen ja manchmal von einem archetypischen Verständnis der Welt. Ich glaube, dass die Atome archetypisch in uns enthalten sind, um so die Welt zu verstehen. Deshalb sind sie auch schon ganz früh bei den Griechen gefunden worden und deshalb glauben wir ganz fest, dass der Satz, dass die Welt aus Atomen aufgebaut ist, stimmt, obwohl er in dieser Form nicht haltbar ist.
Das Quantum der Wirkung
Eines der spannendsten Konzepte, das die Wissenschaft im 20. Jahrhundert erfunden hat, ist die Idee des »Quantums« oder des »Quantensprungs«. Korrekt spricht man von einem »Quantum der Wirkung«. Wirkung ist aber eine merkwürdige Größe, die sich aus Energie und Zeit zusammensetzt. Entdeckt hat das der Physiker Max Planck etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er hat es zum ersten Mal im Jahre 1900 vorgeschlagen.
Planck wollte damals etwas scheinbar sehr Einfaches erklären, nämlich das, was passiert, wenn man einem Metall oder einem festen Körper Wärme zuführt. Immer mehr Wärme, bis er anfängt zu glühen, erst rötlich, dann gelblich, dann weißlich, bevor er sich auflöst. Die Frage ist: Kann ich das Entstehen dieses Lichtes, dieser Farben durch die Physik erklären?
Es gab Theorien, die erklären konnten, was am Anfang passiert. Es gab Theorien, die konnten erklären, was am Ende passiert, aber es gab keine physikalische Theorie, die diese Strahlung, die durch Wärmezufuhr an einem Körper erzeugt wird, durchgängig erklären konnte.
Bis Planck sich im späten 19. Jahrhundert dieser Frage annahm und dann im Jahr 1900 durch genaue Prüfung von Messungen fand, wie man diese beiden Erklärungen von links und rechts oder von kleinen zu großen Wellenlängen verbinden konnte. Das ging mithilfe einer diskontinuierlichen Größe, die er »Quantum der Wirkung« nannte.
Er musste annehmen, dass die Energie des Lichtes, die von den erwärmten Körpern ausgeht, in kleinen Päckchen abgegeben wird, nicht kontinuierlich, sondern in Päckchen. Diese Energie ist durch die Frequenz des Lichtes und durch eine zweite Größe gegeben, ebendiese von Planck eingeführte Konstante, das Quantum der Wirkung.
Quantensprünge
Da hatte man so etwas wie Quantensprünge. Und diejenigen Elemente oder Gebilde in der physikalischen Welt, die diese Quantensprünge ausführen, sind die Atome. Man muss oder darf sich jetzt unter diesem Aspekt die Atome immer noch in einer einfachen Weise vorstellen: ein Atomkern und um diesen Atomkern herum irgendwie jene Gebilde, die wir »Elektronen« nennen. So können wir uns der Anschaulichkeit halber ruhig vorstellen, dass diese Elektronen in einer Quantenbahn unterwegs sind. Man stelle sich vor, dass die Elektronen eine Art Wolke um den Atomkern herum bilden, dass sie Aufenthaltsbereiche haben. Diese Aufenthaltsbereiche gehen nicht kontinuierlich ineinander über, sondern nur sprunghaft. Man kann gewissermaßen, wie das jemand einmal freundlich formuliert hat, »schwuppdiwupp und mit Elan auf die nächste Quantenbahn« springen. Aber man kann nicht zwischen zwei Quantenbahnen, zwei solchen Zuständen sein. Dabei kommt es eben zu einem Quantensprung, bei dem Licht ausgesendet wird.
Wenn ein Atom einen Quantensprung macht, dann wird dabei Licht generiert, was im Übrigen ein rätselhaftes Phänomen ist. Tatsächlich, wenn es jetzt diese Quantensprünge der Atome gibt, tritt das Licht in Form von Quanten auf. Das Licht hat selbst die Form von Quanten. Das hat jetzt wieder eine merkwürdige Konsequenz. Es ist immer wieder so in der Physik, wenn Sie ein Problem lösen, taucht ein anderes, manchmal noch gravierenderes auf.
Welle oder Teilchen ?
Das Problem, das jetzt auftaucht: Wenn das Licht durch einen Quantensprung des Atoms ausgesendet wird, dann besteht das Licht ja selbst auch aus Quanten. Aber hundert Jahre vorher hatte man bewiesen, dass das Licht nicht aus Teilchen, aus Paketen besteht, sondern eine Wellenbewegung ist. Und das gilt auch nach wie vor.
Jetzt hatte man plötzlich mit den Quanten die Entdeckung gemacht, dass Licht sowohl eine Wellenbewegung sein kann – das wusste man vorher – als auch eine quantenhafte Teilchenform annehmen kann. Das wusste man jetzt.
Derjenige, der das im Anschluss an Max Planck entdeckt hat, war Albert Einstein. Einstein hatte sofort erkannt, was er da eigentlich entdeckt hat, nämlich: Wenn das Licht Quantennatur hat, wenn das Licht durch Quantensprünge der Atome entsteht, wenn das Licht also selbst aus Lichtquanten besteht, nicht nur eine Welle ist – dann kann ich zwar sagen, dass das Licht einmal Welle und einmal Teilchen ist, aber ich kann nicht mehr sagen, was es wirklich ist. Denn wenn etwas sowohl Welle als auch Teilchen sein kann, dann weiß ich eine ganze Menge über dieses Etwas, ich weiß nur nicht mehr, was es ist.
Das Quantum hat aber noch eine andere Konsequenz. Das Quantum ist nämlich das Minimum, was ich mit einem Teilchen an Wechselwirkung eingehen muss, um es überhaupt festzustellen. Wenn ich ein Atom betrachte oder einen Lichtstrahl oder irgendein Objekt, dann kann ich das nicht ohne Kosten tun. Ich muss mindestens eine Wechselwirkung mit ihm eingehen, und diese Wechselwirkung ist jetzt nicht mehr beliebig klein. Sie muss in Form dieser Quantensprünge, in Form dieser »Quantenhop-sereien« zustande kommen. Wenn jetzt die Eigenschaft eines Atoms durch seinen Quantenzustand gegeben ist, dann würde das bedeuten, dass ich in dem Moment, wo ich es betrachte, genau den Quantensprung, den ich betrachten will, auslöse.
Mit anderen Worten: Bevor ich die Messung mache, hat das Atom eigentlich nicht den Zustand, den ich messe, denn ich ändere ihn ja gerade in diesem Moment. Das hat insgesamt zu der Einsicht geführt – und das ist die merkwürdigste, subtilste, raffinierteste, philosophisch spannendste Konsequenz der Existenz dieser Quanten, der Existenz dieser Quantensprünge –, dass die Atome wahrscheinlich überhaupt keinen Zustand haben, solange ich nicht als Beobachter mit meiner Messapparatur oder mit meinen Augen oder mit meinen Fühlern komme und ein Quantum auf das Atom loslasse, durch das es dann seinen Zustand einnimmt. Das heißt, es war vorher in einer merkwürdig unbestimmten Form und wird erst durch meine Messung bestimmt.
Dabei gibt es die Möglichkeit, einen uralten Begriff wieder in seine Wertigkeit zurückzuführen. Das Wort »Atom« war ja ursprünglich geschaffen worden, um etwas Unteilbares zu schildern. Gemeint waren die letzten Einheiten der Materie, die Atome, von denen wir jetzt wissen, dass sie nicht unteilbare Bestandteile der Materie sind, sondern Elemente enthalten, die Quantensprünge machen können.
Aber es ist etwas anderes entstanden. Ich weiß nämlich über das Atom nur dann etwas, wenn ich es durch eine Beobachtung zu einem Quantensprung verführt habe. Mit anderen Worten: Das Atom ist neu geschaffen worden, aber es ist nicht mehr das Atom selbst, sondern es ist das Atom mit mir. Der Beobachter und das Atom sind nun das Atom. Es ist das Unteilbare, das in der Welt existiert. Das heißt, die Atome existieren nur durch mich und ich existiere nur durch die Atome. Denn – das ist auf jeden Fall auch richtig – die Welt besteht aus Atomen und deshalb bestehe ich aus Atomen, aber die Atome sind nur das, was ich gewissermaßen in ihrer Form bestimme, was ich initiiere. Das ist durch die merkwürdige Einführung dieses Wirkungsquantums von Planck im frühen 20. Jahrhundert jetzt verstanden.
Die Unstetigkeit der Natur
»Quantum« ist eigentlich ein kompliziertes Konzept. Es ist nur – wie es oft passiert – zu einem Wort geworden, das plötzlich in der Umgangssprache populär geworden ist. Seit einigen Jahren oder vielleicht schon Jahrzehnten ist es schick und modisch geworden, von »Quantensprüngen« zu sprechen. Die Regierung macht Quantensprünge im Steuerrecht, jede Firma macht Quantensprünge in ihren Umsätzen. Man hat das Gefühl, dass dabei etwas ganz Tolles stattfindet. Tatsächlich ist es so, wenn man das Wort ernst nimmt – und wir können es hier einmal ganz ernst nehmen –, dass der Quantensprung das Schlechteste ist, was ein Unternehmen machen kann. Denn ein Quantensprung ist das Kleinste, was die Natur kennt. Der Quantensprung weist meistens auf einen Zustand nach unten, die Energie wird abgegeben und verpufft in irgendeiner Form, sie wird von anderen aufgenommen. Das heißt mit anderen Worten: Ein Unternehmen, das Quantensprünge macht, landet in einem statischen Grundzustand, in dem sich nichts mehr verändert. Wenn Sie also ein Unternehmen kennen, dessen Leiter Physik studiert hat und Ihnen einen Quantensprung verspricht – verkaufen Sie sofort die Aktien …
Oder: Wenn Ihnen ein Politiker einen Quantensprung verspricht, dann meint er es zum ersten Mal ehrlich, denn im Grunde genommen passiert dann nicht sehr viel. Das ganze System geht auf diese Weise nur nach unten.
Interessant ist aber trotzdem, dass mit diesen Quantensprüngen eine Unstetigkeit in die Natur hineingekommen und ein uraltes Prinzip durchbrochen worden ist. Das hat Planck auch am meisten gewundert. Man hat bis dahin immer gedacht, dass die Natur keine Sprünge macht, dass es in der Natur immer ordentlich und kontinuierlich zugeht. Ordentlich und kontinuierlich heißt, dass für alles eine kausale Erklärung gefunden werden kann.
Das Merkwürdige daran ist, dass es für die Quanten selbst keine Erklärung gibt. Der Quantensprung kann irgendwann stattfinden, der Quantensprung kann zu irgendeiner Zeit durchgeführt werden. Wir haben manchmal gar keinen Hinweis darauf, nach welchen Kausalitätskriterien das stattfindet. Es findet einfach statt. An dieser Stelle kann man ganz eindeutig zeigen, dass es in der Natur Prozesse gibt, die keine konkrete Kausalität hinter sich haben, die einfach nur stattfinden.
Das heißt, die Natur ist nicht nur kausal zu erklären, sie ist auch kontingent zu erklären, oder andersherum, man muss sie auch durch ihre
Form erklären. Es gibt Bereiche in der Physik, die ohne Kausalität verstanden werden können.
Spannend ist auch am Quantum, dass es trotzdem fantastische Dinge erklärt, nämlich wieso überhaupt Atome stabil sein können. Wenn Sie sich jetzt noch einmal ein Atom in irgendeiner einfachen Form vorstellen, mit dem positiv geladenen Kern in der Mitte und irgendwelchen negativ geladenen Elektronenhüllen um ihn herumwabernd oder dynamisch vibrierend, dann ist es so, dass immerhin die Elektronen in ihrer Bewegung eine bestimmte Beschleunigung erfahren. Die Physik sagt: Wenn eine Ladung im Umfeld einer anderen Ladung eine Beschleunigung erfährt, dann gibt sie Energie ab.
Vom Standpunkt der alten Physik, die ohne Sprünge auskam, ist die Stabilität eines Atoms nicht zu erklären. Erst vom Standpunkt der neuen Physik mit dem Atom und seinem Quantensprung ist diese Stabilität zu erklären. Denn in dem Moment, wo ich das Quantum einführe, kann sich das Atom, die Elektronenhülle nicht beliebig verändern. Sie braucht einen Eingriff von außen, sie braucht eine Energielieferung von außen, um überhaupt einen Sprung machen zu können. Solange das nicht passiert, ist die Welt stabil. Mit anderen Worten: Das Quantum erklärt, dass es uns überhaupt gibt. Und das ist doch etwas, wofür wir Planck danken sollten.