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MS RAVENSTEIN

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Motorschiff RAVENSTEIN

11. Kapitel


Motorschiff RAVENSTEIN


Auszug aus dem Seefahrtbuch Nr. 0266, Seite 32/33

Inhaber ist angemustert als Matrose auf MS „Ravenstein“

Reeder: Norddeutscher Lloyd

Unterscheid.-Signal: DLAA

Br.- Raumgehalt: cbm

Heimathafen: Bremen

Geführt von Kapt.

Reise: Große Fahrt

Zeit: unbestimmt

Der Dienstantritt erfolgte 15.10.1963

Das Seemannsamt Bremen, den 25.10.1963

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Der Inhaber hat in der Zeit vom 15.10.1963 bis zum 20.09.1964

11 Monate und 5 Tage als Matrose gedient

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Bremerhaven, den 20. Sept. 1964

Seemannsamt Bremen, den 4. März 1965

Zusätzliche Daten

Entnommen: Seefahrt – Norddeutscher Lloyd – Naxos

MS Ravenstein, Baujahr 1946, BRT: 7822, Ankauf,

Während des Krieges für den NDL in Belgien im Bau.

Nach dem Krieg fertig als „BASTOGNE“ für Belgien.

1955 Ankauf NDL, ab 09.1970 Hapag-Lloyd.

August 1971 verkauft nach Zypern. Neuer Name „RAVENS“.

Juni 1978 Ankunft zum Abwracken in der Bucht von Gadani, Pakistan.


MS RAVENSTEIN – aus www.photoship.co.uk

Die RAVENSTEIN, ein so genannter „Viermaster“, war das älteste unter all „meinen“ Schiffen. Alles, was ich von ihr weiß, ist, dass sie nach Kriegsende als abgesoffenes Schiff aus dem Antwerpener Hafen geborgen und wieder instand gesetzt wurde. Da sich in meinem Seefahrtbuch keine Angaben über den Bruttorauminhalt des Schiffes befinden, kann ich ihre Größe nur relativ beschreiben. Sie war sicher noch etwas größer als die MOSELSTEIN, hatte über 10.000 Ladetonnen und sechs, vielleicht sogar sieben Luken. Jedenfalls waren diese Schiffe – es gab deren drei: RAVENSTEIN, REIFENSTEIN und ROTENSTEIN – für uns Decksleute die arbeitsintensivsten unter allen Lloydschiffen. Trotz dieser Tatsache brauchte sich Herr Pauli, Chef der lloydeigenen Heuerstelle, deswegen keine Sorgen zu machen. Diese alten Stückgutfrachter waren vorwiegend in der Ostasien-Fahrt eingesetzt. Und wer von uns jungen Seelords wollte nicht auch einmal in Singapur, Hongkong und Yokohama gewesen sein? Zwei weitere, weitaus jüngere Lloydschiffe, die „BAYERNSTEIN“ (Band 42 in der maritimen gelb en Buchreihe) – verewigt auf einer Briefmarke, (Michel-Katalog NR. 257) – und die „SCHWABENSTEIN“, die ebenfalls die Ostasienroute fuhren, kamen für mich nicht in Betracht, denn diese waren noble Fahrgastschiffe.

Die RAVENSTEIN war nicht nur das älteste, es war auch das unfallträchtigste Schiff, auf das ich je meinen Fuß gesetzt habe. Dass mir auf ihr während meines dreizehnmonatigen Bordaufenthaltes nichts Schlimmeres passierte, als dass ich mir einen langen Nagel durch die obligate Plastiksandale in den Fuß trat; dass mir auf diesem „vorsintflutlichem“ Schiff körperlich nichts Gröberes passierte, war reine Glückssache. Dabei waren mir aber die Erfahrungen, die ich auf meinem vorhergehenden Einsatz machte, sicherlich von Nutzen. Nicht nur von Nutzen – ich begann zu begreifen, dass man nicht zu allem „Ja und Amen“ sagen könne – und dass man sich wehren müsse! Denn gerade diese Unfallträchtigkeit schärfte so nach und nach meinen Blick für die uns zugemuteten Arbeitsbedingungen, die oft jedem Sicherheitsgedanken blanken Hohn sprachen.

Das äußere Kennzeichen der RAVENSTEIN waren die vier Großmasten, je zwei vor und zwei hinter den Mittschiffsaufbauten. Wenn ich nicht irre, bestand das Umschlagsgeschirr aus mindestens 22 Ladebäumen und ein oder zwei Schwergutbäumen. Das Schiff hatte keines der sonst üblichen zwischen den Ladeluken stehenden Deckshäuser, auf denen normalerweise die Ladewinden montiert waren. Die Winden standen stattdessen lediglich auf einem etwas erhöhten Podest. Das dazu gehörende „laufende Gut“, die ölig verschmierten und oft genug auch noch verkinkten und mit Fleischhaken gespickten „Renner“ und „Faulenzer“ – das sind ganz ordinäre Drahtseile – lag dann während des Hafenbetriebs einfach dazwischen herum. Die Lukenabdeckungen der Laderäume bestanden aus schweren Eisenpontons, die nur mit dem bordeigenen Umschlagsgeschirr oder mit Landkränen anzuheben waren. Bei Bedarf wurden diese einfach in Reichweite zur Luke an Deck abgesetzt. Zur seefesten Lukenabdichtung gehörten dann auch noch ein paar schwere, übereinander aufgezogene Persenninge, die an den Lukensüllen verschalkt, d. h. an den Rändern eingeschlagen und verkeilt werden mussten. Zum Verschalken bedurfte es der Schalkleisten, stabiler Flacheisen in passenden Längen, und natürlich einer Unmenge von Holzkeilen. Dazu kam dann noch pro Luke ein grobschlächtiges, unhandliches Regensegel, das dann auch ständig nur im Wege lag, wenn man es nicht gerade brauchte. Das lose Taugut der Geien, mit denen die Bäume per Hand seitlich bewegt wurden, war auch nicht immer da, wo es sein sollte, nämlich in Buchten aufgeschossen an der Verschanzung hängend. Und selbstverständlich lagen da auch noch längst ausgemusterte Drahtseile an Deck herum, die immer noch als Preventer Verwendung fanden.

Jede Menge Müll, den man im Hafen nicht sogleich los wurde, besonders das in Massen anfallende Stauholz, machten das Hauptdeck während des Umschlagbetriebes zu einer einzigen großen Falle. Alles in allem ein Szenario, das jedem Seeberufsgenossenschaftler Albträume verursacht hätte. Aber von diesen Herren ließ sich damals sowieso keiner blicken, nicht einmal in Bremen. Und die UVV (Unfallverhütungsvorschriften), zusammengefasst als Loseblattsammlung in einem blauen Ringband, verstaubten auf einem Bücherbord im Kartenhaus. Wir Janmaaten dachten wohl, das müsse so sein und machten uns weiter keinen Kopf darüber, jedenfalls so lange nicht, so lange es einen nicht selbst erwischte. Der pummelige, schon etwas ältere griechische Kollege, der von einem Lukenponton beinahe zu Tode gequetscht wurde, war eben schlicht selbst daran schuld, dass er nicht schnell genug aus dem Gefahrenbereich kam. In unseren Augen war er einfach ein Tollpatsch. Quintus Wunderlich, der Junge hieß wirklich so, bekam während der Reinigungsarbeiten im Unterraum einer Luke aus nicht geringer Höhe eine Holzpalette auf seinen ungeschützten Kopf. Quintus war das fünfte Kind eines honorigen Professors und wohl auch das schwarze Schaf in seiner Familie, hatte wohl den Schädel eines Steinbocks. Außer, dass ihm bei dem plötzlichen wuchtigen Schlag aufs Haupt sein funkelnagelneuer Stiftzahn stiften ging, war an und in seinem Kopf nichts Ernsthaftes kaputt gegangen. Das Horn, das für eine Weile seine Stirn zierte, trug er mit Gelassenheit. Die Tatsache aber, dass sein teurer Stiftzahn trotz intensiver Suche nicht mehr auffindbar war, ergrimmte ihn sehr. Derlei Unfälle waren sozusagen während der Aufräumarbeiten an Deck und in den Luken und auch während der Umschlagsarbeiten im Hafen vorprogrammiert. Aber ganz offensichtlich hat das in jenen Tagen keinen Verantwortlichen groß gestört. Und wir, wir jungen Doofis, fielen immer wieder auf die markigen Sprüche der alten Haudegen rein: „Das, was dich nicht umbringt, macht dich nur noch härter“…

Nach dem Mittschiffsaufbau zu urteilen, musste das Schiff schon einmal bessere Zeiten gesehen haben. Die einzelnen Decks waren alle von ganz oben bis ganz unten mit Holz ausgelegt. Ja, sogar auf dem Hauptdeck, auf dem sich die Kabinen der niederen Dienstgrade befanden, war das Eisendeck der äußeren Betriebsgänge mit Holzplanken bedeckt. Auf dem Palaverdeck führte ein ebenfalls mit Dielen ausgelegter Gang rund um das ganze „Haus“. Da hatten vermutlich in Vorkriegszeiten die Passagiere gewohnt. Na, und erst das Boots- und Kapitänsdeck! Alles aus blitzblank geschruppten Holzdielen. Dazu noch die vielen mit Bootslack sorgfältig imprägnierten Türen, die ebenso behandelten Handläufe der Treppen und Relings: alles aus feinstem Mahagoniholz. Na, vielleicht war es auch nur Teakholz, aber immerhin, um das alles in Schuss zu halten, bedurfte es schon einiger Anstrengung. Zuständig dafür waren der Zimmermann und sein Juzi (Jungzimmermann). Hin und wieder wurde auch unsereins mit solch feiner Holzarbeit betraut. Allerdings beschränkte sich das meist nur auf das Abbeizen alter Lackschichten. Das allmorgendliche Schruppen der Holzdecks auf See blieb natürlich uns „Decksbauern“ überlassen.

Trotz der unwahrscheinlich hohen Besatzungsstärke – die Deckscrew allein bestand aus etwa 16 Mann – war da auch immer noch Platz für einige Passagiere, mit denen wir aber so gut wie gar nicht in Berührung kamen. Eine weitere Besonderheit der RAVENSTEIN war, dass sie, sage und schreibe, drei Schrauben hatte. Logischerweise hatte sie demnach auch drei Hauptmaschinen. Aus diesem Grund gab es zum Chief und seinen drei Ingenieuren auch noch gleich drei Ingenieursassistenten. Einer davon war Erwin R., ein Linzer. Erwin, ein quirliger Typ, war ganz begeistert von „seiner“ Maschine. Hin und wieder entführte er mich in seine phantastische „Unterwelt“ und erläuterte mir mit dem Stolz des angehenden Ingenieurs die Funktionen der verschiedensten Aggregate. Vermutlich nahm ich seine Ausführungen gehörig staunend zur Kenntnis. Sobald ich dem Mief des „Kellers“ entronnen war, war ich dann aber immer heilfroh, wieder frische Seeluft um die Nase zu haben. Nein, in der Maschine wollte ich um keinen Preis der Welt Karriere machen. Mein Wunsch war es vielmehr, von ganz oben, von der Schiffsbrücke aus, ein Schiff zu dirigieren.

Wie so oft vor der Ausreise war Antwerpen der letzte Ladehafen. Während noch das Schiff an der Scheldekaje bis über die Halskrause voll gestopft wurde, verabschiedete sich der eine oder andere Janmaat von seiner ‚Braut’ in der Schipperstraat oder von Luzie, der seuten Deern aus der „Röden Latern“. Luzie, sie mag so oder so ähnlich geheißen haben, war in Lloyd-Kreisen so bekannt wie anderswo ein bunter Hund. Sie, eine mittelgroße, mittelhübsche Barfrau mittleren Alters, war die ungekrönte Fellatio-Königin von der ganzen, langen Scheldekaje. Natürlich musste auch ich wenigstens einmal in ihrem Etablissement gewesen sein und – wurde auch prompt Zeuge einer Demonstration ihrer oralen Kunstfertigkeit. Leider erfolgte diese Demonstration nicht an mir, nein, überhaupt an keinem lebendigen Objekt, sondern nur an einer geöffneten, profanen Bierflasche. Beim Beobachten ihres perfekten Zungenschlages fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Aber, es war noch helllichter Tag, und ich war nur so auf die Schnelle, so zwischendurch, in Arbeitsklamotten – na, aus welchen Gründen auch immer – ich wurde, den Göttern sei’s geklagt, nicht zum Objekt ihrer Begierde…

Ab geht die Post. Die Schelde hinunter, an Dover / Calais vorbei, hinein in den Ärmelkanal. Mit WSW-lichem Kurs, vorbei an Cape de la Hague und den britischen Kanalinseln, halten wir vorerst auf den „Preußischen Grenadier“ zu. Gemeint ist der markante, schwarzweiß geringelte Leuchtturm „Phare du Creac’h“. Das ist der größte und lichtstärkste von den fünf Leuchttürmen auf der Ile d’ Quessant. Allein die Anzahl der Leuchttürme auf dieser gerade einmal 7 x 4 km großen Insel zeigt an, dass man ihr als „Dickschiff“ nicht zu nahe kommen soll. Riffe, Klippen, Untiefen; schweres Wetter, schnell wechselnde Strömungen: Alles, was ein Seemannsherz nicht unbedingt begehrt, macht ihm dieses felsige Eiland deshalb auch nicht unbedingt liebenswert. Trotzdem nehmen manche Kapitäne, um „Meilen“ einzusparen, auf dem Wege zum Kap Finisterre die Kurve etwas zu eng. Dann passiert nicht selten das, was schon 1896 der „DRUMMOND CASTLE“ widerfuhr: Sie krachte auf einen Felsen, und von den vierhundert Schiffbrüchigen konnten nur drei von den Insulanerinnen gerettet werden. Ja doch, stimmt schon: Insulanerinnen! Waren doch deren Männer, Seemänner eben, natürlich nie zu Hause, wenn man sie schon einmal brauchte. Die einzigen Männer, die damals sowohl anwesend als auch zugleich abwesend waren, waren die Leuchtturmwärter. Und die immerhin sorgten nicht nur für das Feuer der Leuchttürme, sondern auch für das Fegefeuer der Leidenschaften in den Herzen der Inselbewohnerinnen.

So jedenfalls stellt sich der französische Regisseur Philippe Lioret in dem Film: „Die Frau des Leuchtturmwärters“ extreme Liebe an einem extremen Ort vor. Nun, die Zeit der Leuchtturmwärter ist passé. Viele, viele Türme, sofern sie nicht elektronisch ausgerüstet wurden, sind zu bloßen touristischen Objekten degradiert worden. Die Türme von und vor Quessant, „Ar-Men“ und „Kereon“, die weit draußen im Meer den Stürmen trotzen, werden aber trotz GPS und dem Radar noch eine Weile ihre Lichtbündel über die dunklen Wasser in die finstere Nacht schicken. Ach ja, richtig: Was wohl bewog vordem die kaisertreuen deutschen Seefahrer, aus dem Phare du Creac’h, mal abgesehen von der schwarzweißen „Kriegsbemalung“, einen preußischen Grenadier zu machen? Na, vermutlich war es die außergewöhnliche Höhe dieses Leuchtturmes, der sie an die „langen Kerls“ des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. von Preußen, gemahnte…

Will man in das Mittelmeer gelangen, steht auf der Höhe von Quessant die nächste Kursänderung an. Mit SSW-lichem Kurs queren wir den Golf von Biskaya, um unserem nächsten „Waypoint“, dem Kap Finisterre; zuzustreben. Wer nun der Meinung ist, dass „die Biskaya“ aus seemännischer Sicht eine sehr unfreundliche, ungehobelte Frauensperson ist, sozusagen geradezu eine ausgesprochene „Bissgurn“, dem gebe ich ohne Einschränkung Recht. Nicht wenige dürften es sein, die sich beim unfreiwilligen Tanz mit dieser unberechenbaren Furie die Seele aus dem Leib gekotzt haben. Seeleute sind oft schizophren: Sind sie zu Haus, wollen sie hinaus; sind sie auf See, plagt sie das Heimweh. So haben sie in ihrer Hassliebe dieser Windsbraut auch noch ein Lied gewidmet. Und was für ein Lied! Es trieft vor lauter Schmalz. Es war neben „Wir lagen vor Madagaskar“ und „Ick hew mol en Hamburger Veermaster sehn“ und – last not least – „La Paloma“ eines unserer beliebtesten Sauflieder. Deshalb will ich dem geneigten Leser den zu Tränen rührenden Text auch nicht vorenthalten:

1. Am Golf von Biskaya / Ein Mägdelein stand / Ein junger Matrose / hielt sie bei der Hand. / Sie klagt ihm ihr Schicksal, / Ihr Herz war so schwer. / Sie hat keine Heimat, / Kein Mütterlein mehr.

Refrain: Fahr mich in die Ferne, / Mein blonder Matrose, / Bei dir möchte ich sein / Auch im Wellengetose. / Wir gehören zusammen / Wie der Wind und das Meer. / Von dir mich zu trennen, / Ach, das fällt mir so schwer. / Wir gehören zusammen, / Wie der Wind und das Meer. / Von dir mich zu trennen, / Ach, das fällt mir so schwer.

2. Der Vater, die Brüder / Auf kämpfendem Schiff / Zerschellte im Sturme / Am felsigen Riff. / Vor Gram starb darüber / Mein lieb’ Mütterlein, / Nun steh auf der Welt / Ich verlassen, allein. Refrain:…

3. Es rauschen die Wellen / Ihr uraltes Lied, / Zwei Herzen sind selig / In Liebe erglüht. / Die Stunden vergehen,/ ihr war’s wie ein Traum, / Da flüstert er leise, / Man hörte es kaum. Refrain:…

4. Hörst du die Sirene, / Die Pflicht ruft mich fort, / Komm mit, teures Mädchen, / Wir müssen an Bord. Es blühen die Reben / Am herrlichen Rhein, / Dort wird für uns beide / Die Heimat auch sein. Refrain….

Jo mei, man soll’s nicht glauben, so tiefschürfend und traurig können Seemannslieder sein. Der Refrain allerdings, der ist mir doch teilweise etwas verändert in Erinnerung. Und zwar so: „Fahr mir, fahr mir mein blonder Matrose, / Fahr mir mit der Hand über’n Bauch in die Hose / Wir gehören zusammen“…

Banausen! Banausen, kann man da nur sagen…

Die Strecke von Quessant bis zur nächsten Kursänderung vor dem „Ende der Welt“, dem Kap Finisterre (y = 42° 55’ Nord, l = 9° 18’ West), beträgt für ein Schiff mit 15 bis 17 Knoten Marschfahrt ungefähr ein Tagesetmal. Das auf einer Hunderte Meter hohen Felsenküste thronende Leuchthaus schickt sein Licht weit in den Atlantik hinaus. Und, so sehnlichst auch von so manchem navigatorisch verunsicherten Steuermann das Leuchtfeuer herbeigewünscht wurde, so sehr sollte man sich auch hüten, dem Kap zu nahe zu kommen. Die ungebändigt anstürmenden Wogen, die unermüdlich anrennende Dünung des nördlichen Atlantik setzen jedes manövrierunfähig gewordene Schiff mitleidslos auf die tückisch lauernden Steine. Die alte RAVENSTEIN mit ihren drei starken Hauptmaschinen war da aber viel weniger gefährdet als zum Beispiel heutzutage die modernen Supertanker. Diese riesigen Blechbüchsen sind vergleichsweise maschinell so ausgerüstet wie ein schwerer Fernlaster mit einem Mopedmotor. Sie haben da der Urgewalt des Meeres wenig entgegenzusetzen. Die Bewohner der von der Ölpest verseuchten bretonischen und galizischen Küste können ja inzwischen ein jammervolles Lied davon singen. Aber, vornehm gesagt, gegen ökonomische Zwänge und ökologische Unvernunft kann auch das stärkste Leuchtfeuer nichts ausrichten.

Wenngleich das lateinische „finis terrae“ auf gut deutsch „Ende der Welt“ heißt, so heißt das aber noch lange nicht, dass das auch so stimmt. Allenfalls stimmt es für die hartnäckigsten unter den „Jakobspilgern“, die das Kap für das eigentliche Ende ihrer Pilgerfahrt halten. Der westlichste Punkt des europäischen Festlandes liegt aber auf portugiesischem Boden und heißt Cabo da Roca. Dieses Kap, auf das wir nun mit annähernd 180° zusteuern, liegt 30 Kilometer westlich von Lissabon und hat die Koordinaten Y = 38° 47’ Nord, l = 9° 30’ West. Es liegt somit 16, 5 km weiter westlich als das spanische Cabo de Finisterre. Jedenfalls behauptet das und anderes die freie Enzyklopädie Wikipedia:

Es gibt dort ein Fremdenverkehrsbüro, in dem man sich gegen eine Gebühr den Besuch auf einer kunstvoll gestalteten Urkunde bestätigen lassen kann. Ansonsten gibt es noch einen Leuchtturm und einen Seefunksender.

„Donnerwetter, einen Leuchtturm gibt es also auch!“ Er steht sogar 140 Meter über dem Meeresspiegel und ist somit kaum zu übersehen. Für die Seefahrt ist er neben dem Cabo Raso allerdings nur als Ansteuerungspunkt für die großen Häfen an der Tejo-Mündung – Barreiro, Belem und Lissabon – von Interesse. Und das, was der portugiesische Nationaldichter Luis de Camoa über diesen Ort aussagt, nämlich dass da die Erde endet und das Meer beginnt, das ist doch, bei allem Respekt vor der Poesie – Onde a terra acaba e o mar comeca – so umwerfend auch wieder nicht…

Mit annähernd SzE, (Süden zum Osten = 168° 30’), das deutsche Wort Ost musste mittlerweile dem englischen East weichen, visieren wir die nächste Kursänderung, pardon, den nächstfolgenden Waypoint an, Cabo de Sao Vicente: y = 37° 1’ 30’’ Nord, l = 8° 59’ 40’’ West. Die Leuchtfeueranlage mit dem 22 m hohen, rotweißen Turm sitzt auf der Kante einer 70 m hohen Steilküste. Mit 32 Seemeilen (knapp 60 km) Tragweite ist es das lichtstärkste Leuchtfeuer Europas. Vielleicht sollte ich hier einige technische Begriffe, entnommen dem „Handbuch für Brücke und Kartenhaus, ergänzend mit einfügen.

Da steht unter:

Leuchtfeuer und Nebelschallsender

Leuchtfeuer gehören zu den wichtigsten und besten Navigationshilfen für die nächtliche Fahrt an den Küsten und auf den Revieren. Sie dienen nicht nur als Warnung vor Untiefen und Gefahren, sondern ermöglichen zuverlässige Ortsbestimmungen und werden in besonderen Anordnungen zur Bezeichnung der Fahrwasser verwendet. Die Reichweite der einzelnen Leuchtfeuer hängt von der Höhe und Stärke ihrer Lichtquelle ab und wird außerdem durch den Sichtigkeitsgrad der Luft bestimmt.

Unter dem Titel: „Benennung der Leuchtfeuer nach besonderen Zwecken“ sind die verschiedenartigen Feuer angegeben: das Leit-, das Tor-, das Richt-, das Unter-, das Quermarken-, das Gefahren-, das Luftfahrt- und das Warnfeuer. Diese Feuer, auf die ich hier nicht extra eingehe, erfüllen ihren Zweck entsprechend ihrer Benennung.

Kennzeichnung der Leuchtfeuer

Lichterscheinungen der Leuchtfeuer. Die vorübergehenden Lichterscheinungen, die durch Verdunkelungen oder Änderungen der Stärke des weißen oder farbigen Lichtes entstehen, heißen Scheine, Blinke, Blitze; und zwar heißt in der Regel

Schein: die Lichterscheinung zwischen zwei Verdunkelungen oder Abschwächungen oder zwischen zwei Lichterscheinungen anderer Farbe. Diese dürfen höchstens die Dauer der Lichterscheinungen haben.

Blink: das Aufleuchten von mindestens 2 s Dauer aus einer im Verhältnis zur Lichterscheinung langen Dunkelheit oder aus schwachem Licht heraus.

Blitz: das Aufleuchten von weniger als 2 s Dauer aus einer im Verhältnis zur Lichterscheinung langen Dunkelheit oder aus schwachem Licht heraus. (Bei deutschen Feuern beträgt die Zeitdauer für den Blitz im Allgemeinen höchstens 1 s).

Der Unterschied zwischen Blink und Blitz liegt nur im Zeitmaß.

Wiederkehr: die Zeit vom Eintritt einer bestimmten Taktkennung bis zum Wiedereintritt der nächsten gleichen Taktkennung.

Arten der Kennung der Leuchtfeuer: Der ein Leuchtfeuer kennzeichnende Verlauf seiner Lichterscheinungen wird Kennung genannt. Zu unterscheiden sind folgende Arten der Kennung:

Festfeuer (F.), weißes oder farbiges Licht von gleich bleibender Stärke und Farbe.

Unterbrochenes Feuer (Ubr.), weiße oder farbige Scheine zwischen Verdunkelungen (Unterbrechungen), und zwar: Unterbrochenes Feuer mit Einzelunterbrechungen und unterbrochenes Feuer mit Gruppen von 2, 3, 4 Unterbrechungen.

Und so weiter. Gibt es doch, wie oben bereits angeführt, der unterschiedlichen Feuer gar viele. Im nächsten Absatz des Handbuches wird in der gleichen umständlich trockenen Schreibweise das Ausmachen der Kennung erklärt. Aber das will ich Ihnen lieber ersparen und stattdessen meine persönliche Art der „Takterkennung“ vorstellen, ganz so, wie ich es als „Moses“ erlernte. Beim ersten Blink oder Blitz zählte ich die Dauer der Unterbrechung(en) an den Fingern meiner beiden Hände ab. Mit dem linken Daumen begann ich zu zählen: Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, wenn nötig, bis neunundzwanzig. Das funktionierte immer, auch wenn eine der Unterbrechungen mal über 10 Sekunden lang war, dann fing ich eben mit dem linken Daumen noch einmal von vorne an. Sobald sich die Anzahl der Blitze und der dazwischen liegenden Unterbrechungen wiederholte, stand für mich die Kennung fest. Die servierte ich dann, innerlich voller Stolz auf meine nautischen Kenntnisse, dem angenehm überraschten Wachoffizier.

In jenen grauen nautischen Vorzeiten, damals, als sich die Steuermänner noch mit optischen Mitteln an den Küsten entlang peilen mussten und ihre „Orte“ nicht per GPS prompt und frei Haus laufend geliefert bekamen, war auch das Wissen von der Tragweite des Lichts, der geographischen Sichtweite, von großer Wichtigkeit. Ich zitiere:

Tragweite und Geographische Sichtweite. Unter Tragweite versteht man denjenigen Abstand, in dem ein Feuer einen noch eben deutlichen Lichteindruck am Auge des Beobachters hervorruft; die Tragweite ist unter anderem abhängig von der Lichtstärke des Feuers und dem Sichtwert = Lichtdurchlässigkeit der Atmosphäre.

International ist festgelegt worden, die Tragweite der Feuer für einen Sichtwert 0,74, der einer meteorologischen Sichtweite am Tage von 10 sm entspricht, anzugeben und als Nenntragweite zu bezeichnen. Die Tragweite eines Feuers bei anderen meteorologischen Sichtweiten und seine Lichtstärke lässt sich aus der Tafel „Tragweite der Leuchtfeuer“ ablesen. …

Unter geographischer Sichtweite versteht man denjenigen Abstand, aus dem man ein in bestimmter Höhe über dem Meeresspiegel befindliches Ziel eben noch über die Kimm weg erblicken kann; die geographische Sichtweite eines Feuers ist also abhängig von der Feuerhöhe und der Augenhöhe des Beobachters. Aus der Tafel „Abstand eines Feuers in der Kimm“ kann bei bestimmter Feuerhöhe die Sichtweite in sm (1 sm = 1.852 m) für verschiedene Augenhöhen entnommen werden.

Anleitung für die Benutzung der Tafel „Tragweite der Leuchtfeuer“. Ist die Nenntragweite eines Feuers z. B. mit 20 sm angegeben, so wird man dieses Feuer bei einer meteorologischen Sichtweite von 5,4 sm in einem Abstand von 12,5 sm sehen. Die Lichtstärke dieses Feuers beträgt 110 00 cd.

Das hört sich ja schon richtig akademisch an. Na ja, damals war das AG, Kapitänspatent für Große Fahrt, nicht unter 6 Semester Seefahrtschule zu haben, vorausgesetzt, man hatte einen qualifizierten Schulabschluss. Da sollte man dann schon mit Zahlentafeln umgehen können, wenngleich die Tafel für meteorologische Sichtweite in der Praxis wohl kaum Verwendung fand und ganz schlicht durch „Pi mal Daumen“ ersetzt wurde.

Leuchttürme sind aber nicht nur mit optischen Signalen ausgerüstet, sie senden auch Funksignale aus, die allerdings selten über größere Reichweiten verfügen. Deshalb habe ich mich auch, als ich mich Mitte der achtziger Jahre als Steuermann auf der Brücke eines Semicontainerschiffes wiederfand, im Bedarfsfall nach den viel stärkeren Flugfunkfeuern orientiert. Aber, könnten Sie jetzt fragen, gab es denn in den Achtzigern noch kein GPS? Nicht auf „meinem“ Schiff. Die „SIRIUS“ wurde bei ihrer Indienststellung im Jahre 1983 mit einem MAGNAVOX-Satelliten-Navigationsgerät ausgerüstet. Dieses System hatte zwar die herkömmliche astronomische Navigation bereits verdrängt, aber für die Küstennavigation war es keine große Hilfe. Anders als das GPS, das laufend den jeweiligen „wahren Ort“ anzeigt, vermochte es nur punktuell wahre Orte zu liefern. Das System arbeitete sozusagen noch nicht flächendeckend. Manchmal dauerte es Stunden, bis ein Satellit unseren Empfangsbereich überquerte. Dann wiederum wurde das Navigationsgerät mit Funksignalen geradezu überfüttert. Dem „LOG“, das dieses Gerät dann errechnete, und das folglich das althergebrachte, seemännische „Loggen“ überflüssig machen sollte, war daher nicht zu trauen.

Sicher, da ist ja noch das Radar, mit dem es sich im Küstenbereich in der Regel ganz vorzüglich navigieren lässt. Aber auch das Radar hat oder hatte – die Technik verändert sich ja so schnell – seine Grenzen. Der noch brauchbare Grenzwert (Range) der beiden Radargeräte, mit denen ich zu arbeiten hatte, lag bei 24 Seemeilen. Das ist viel, wenn sich das Schiff über tiefem Wasser befindet, aber wenig, wenn man es mit weit vorgelagerten Untiefen und / oder mit einer flachen, konturlosen Küste zu tun hat, wie z. B. dem NE-liche Rundeck der Halbinsel Yucatan. Ach, was war ich immer froh, wenn ich das RACON (Radarantwortbake) vom Cabo Catouche im 42-sm-Bereich als ein kleines elektronisches Schemen gerade noch so erhaschte. Ein flaues Gefühl verursachten mir auch gewisse flache Abschnitte der westafrikanischen Küste, an denen das Radar wegen fehlender markanter „Points“ als Navigationshilfe völlig unwirksam blieb. Auch leuchtete uns dort nur selten ein Licht; genau genommen erinnere ich mich nur an den Leuchtturm vor Dakar als funktionierendes Seezeichen. Die Küsten von Mauretanien und der Westsahara aber waren tagsüber im Dunst des sandgeschwängerten Harmattan und nachts wegen fehlender oder blinder Leuchttürme optisch nicht erfassbar. Und auch das Radar war in dieser Gegend keine große Hilfe. Lediglich das geschichtsträchtige Cabo Bojador, für lange Zeit südlichster Eckpfeiler portugiesischer Seefahrer, ist für eine brauchbare Radarpeilung markant genug. Was machte also ein Steuermann in solch vertrackten Situationen? Er griff sich das „Feuerbuch“ und suchte nach brauchbaren Flugfunkfeuern, die für eine Kreuzpeilung in Frage kamen. Aber natürlich mussten dann die den Seefunkfeuern haushoch überlegenen Flugfunkfeuer auch in den dementsprechenden Seekarten verzeichnet sein. Wenn nicht, hatte man sich umsonst die Kopfhörer über die Ohren gestülpt…

Das Arbeiten mit dem Funkpeiler ist eh schon schwierig genug, jedenfalls für Ungeübte. Das Einfangen und Abstimmen der Signale verlangt ein gutes Gehör und Geduld. Ganz nebenbei: Während der Beschäftigung mit dem Funkpeiler war das Schiff quasi führerlos. Wieso das? Deswegen: Seit es Eisenschiffe gibt, werden die anscheinend immer noch nach „Schema F“ gebaut. Das heißt in der Praxis, dass an Deck so manche Poller bloß im Wege stehen und auf der Brücke der Funkpeiler nicht selten in der hintersten Ecke des Kartenhauses versteckt war. (Ich schreibe „war“, weil ich annehme, dass herkömmliche Funkpeiler inzwischen ausgedient haben.) In den Neunzehnhundertsechzigern war das mit dem Funkpeiler kein Beinbruch. Dem Wachoffizier stand jederzeit mindestens ein qualifizierter Ausgucksmann zur Verfügung. Das war zu meiner Steuermannszeit in den Achtzigern schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Und die Mängel und Schlampereien im Sicherheitsbereich dürften sich eher noch verschlimmert haben. Der Reeder, sofern man von ihm überhaupt noch als Person sprechen kann, ist weder Seemann noch Vorsteher eines Social-Club. Er ist – ja, was ist er eigentlich noch? Doch wohl kaum noch ein Wirtschaftsstratege á la Albert Ballin, der Kaiserfreund und Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie von 1899 bis zu seiner Selbsttötung im November 1918. Eher noch erinnern die Methoden der sich hinter der „Globalisierungsmasche“ versteckenden GmbH und Multis an die Skrupellosigkeit eines gewissen – Gott Mammon hab’ ihn selig! – Herrn Hugo Stinnes. Und das heißt heute wie damals: Der einzige Punkt, der in der „Wirtschaft“ wirklich zählt, ist die Gewinnmaximierung. Und das bedingt wiederum Einsparungen im System der Geldvermehrung. Und somit braucht ein moderner Steuermann, der dank GPS nicht mehr nach den Sternen gucken muss, eben keinen Funkpeiler und keinen Ausguck mehr. Die fatale Logik, die sich dahinter verbirgt, besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass ein Instrument, das eine wesentliche Arbeitseinsparung bewirkt, auch das Potential zur Arbeitnehmereinsparung haben muss.

„Arbeitnehmer“, wenn ich dieses Wort schon höre, wird mir übel! Entweder arbeitet der Mensch, weil es seine Passion ist, weil er es will, oder er will es eben nicht und arbeitet deshalb auch nicht. Was nicht heißen soll, dass er deswegen unbedingt untätig sein muss. Das „Tätigsein“ muss aber seinem „freien Willen“ unterliegen und darf ihm nicht aufgezwungen werden. Solange sich aber die meisten Menschen im kapitalistischen Käfig als Lohnsklaven vergewaltigen lassen müssen, solange bleiben auch die Worte Menschenrecht, Menschenwürde und Freiheit nichts als verlogene, leere Worthülsen. Aber das sei nur so nebenbei angemerkt.

So, nun bin ich wieder einmal vom Hundertsten ins Tausendste geraten. Kehren wir also wieder zurück auf die gute alte RAVENSTEIN, die mittlerweile das Verkehrstrennungsgebiet vor dem Kap Sankt Vinzenz erreicht haben sollte. Damit eile ich aber der Geschichte schon wieder einige Jährchen voraus. „Traffic-Lines“, wie sie international bezeichnet werden, waren in den Seekarten von damals noch nicht die Regel. Heutzutage aber, bei der Dichte des modernen Seeverkehrs, sind diese Verkehrstrennungsgebiete unumgänglich. Sie regeln an stark frequentierten Orten den Schiffsverkehr wie auf einer Autobahn. Vorläufer dieser Entwicklung waren sicher die „Zwangswege“, die nach den Weltkriegen wegen der Minengefahr in der Nord- und Ostsee und natürlich auch im Ärmelkanal eingerichtet wurden und als minenfrei galten. Inzwischen aber ist ein ungeregelter Schiffsverkehr besonders an den Brennpunkten, z. B. in der Straße von Gibraltar, schlicht gar nicht mehr vorstellbar. Praktisch gesehen kann ein Kapitän eigentlich nur noch über die offene See seinen Kurs frei wählen; aber überall dort, wo es eng wird, sollte er sich tunlichst an die Vorschriften der internationalen Seestraßenordnung halten. So auch vor dem Cabo Sao de Vicente. Dort wäre eigentlich zur Seeseite hin massig viel Platz, um das Kap im „gehörigen“ Abstand zu passieren. Trotzdem kratzten und kratzen immer wieder manche der stets unter Zeitdruck stehenden Kapitäne so dicht wie nur möglich an dieser scharfkantigen Ecke vorbei.

Darüber wird in meinen Erinnerungen als Steuermann auf einem Containerschiff sicherlich noch die Rede sein. Aber noch bin ich ein in nautischen Belangen unbedarfter Matrose auf der RAVENSTEIN. Und die nahm, so nehme ich an, die besagte Kurve in gewohnter Weise. Alles mehr darüber Gesagte wäre – auf gut österreichisch – „g’schwanert“. Ein bisschen über das Kap selbst und seine Geschichte zu schwanern, deut(sch)licher gesagt, zu schwafeln, das lass ich mir aber nicht verwehren.

Also zitiere ich wieder einmal mehr Wikipedia: Cabo de Sao Vicente (Kap Sankt Vinzenz) ist seit dem Neolithikum ein heiliger Ort, wie Menhire (Steinsetzungen) in der Umgebung zeigen. Zu Zeiten der Phönizier soll er der Gottheit Melkart geweiht gewesen sein. Die Griechen nannten den Ort Ophiussa (Land der Schlangen) und seine Bewohner Oestrimini (Bewohner des äußersten Westens), von den Römern wurde er Promontorium sacrum (Heiliges Vorgebirge) genannt, als magischer Ort am Ende der Welt, an dem die Götter wohnen und die Sonne im Meer versinkt.

Die Christen nannten die Küstenspitze nach dem Heiligen Vinzenz von Saragossa, einem Schutzpatron der Seefahrer. Der Legende nach soll hier im Jahr 304 der Leichnam des Märtyrers in einem Boot angetrieben und geborgen worden sein.

Und das soll ein Mensch glauben? Weiß doch jedermann, jedenfalls jeder Seemann, dass der Atlantik in das Mittelmeer hinein und nicht umgekehrt das Mittelmeer in den Atlantik hinaus fließt. Ferner: Saragossa liegt weit hinten im Binnenland, an einem Fluss namens Ebro; der ergießt sich wiederum beim Cap de Tortosa ins Mittelmeer. Ergo stellt sich die Frage: Wie soll der schwimmende Sarg nach dem eh schon von vielerlei Hindernissen gesäumten Weg entlang der spanischen Mittelmeerküste auch noch die natürliche Wasserbarriere von Gibraltar überwunden haben? Um die konstante west-östliche Oberflächenströmung auszutricksen, hätte das Boot samt Inhalt schon tauchen müssen, um sich mit dem gegenläufigen Tiefenstrom in den Atlantik zu mogeln. Allerdings – die gewitzten Seefahrer der Antike sollen angeblich von dieser „unterirdischen“ Gegenströmung bereits gewusst und sich ihrer auch bedient haben. Und zwar so, dass sie vom Steven ihres Schiffes einen Treibanker in ausreichende Wassertiefe verbrachten und auf diese clevere Art und Weise die Säulen des Herkules in Ost-West-Richtung passierten.

Na, ganz so einfach wird das nicht gewesen sein. Wer weiß, ob es überhaupt wahr ist? Vielleicht hat da bloß wieder einmal einer „g`schwanert“. Aber was ist nun mit unserem Märtyrer, dem Heiligen Vinzenz? Wollte der etwa auch mit Hilfe eines Treibankers an andere, neue Ufer? Gesetzt der Fall, er war bei der Abreise in Saragossa noch gar keine Leiche, sondern gesund und munter und voll des missionarischen Tatendrangs. Und nehmen wir weiter an, dass sich der gute Mann auf einem seetüchtigen Handelsschiff eingeschifft hatte, dessen Ziel vielleicht die heidnischen Zinninseln im fernen Nordwesten Europas waren. Ja, solchermaßen hätte er möglicherweise sein damals noch nicht nach ihm benanntes Kap auf seinen Namen taufen können. Weil er aber der Legende nach daselbst nur als Leiche in einem Beiboot antrieb, ist diese Option leider auszuschließen. Eher liegt die Vermutung nahe, dass es ihm wie dem Propheten wider Willen, dem störrischen Jonas, erging. Da soll nämlich der Kapitän des Schiffes es verabsäumt haben, dem jähzornigen Poseidon die ihm zustehende Gebühr zu entrichten. Und Götter zu ignorieren oder gar zu betrügen, das ist noch niemals nie gut ausgegangen. Die Folge in diesem Fall: ein fürchterlicher Sturm! Na, und was pflegten da die abergläubischen Seeleute in solch unerquicklicher Situation zu tun, um Neptun respektive Poseidon zu besänftigen? Sie brachten ihm ein Opfer dar. Wenn aber die Opfergaben rar, kein Gold, kein Weihrauch und auch kein Zwieback mehr an Bord waren, dann… Dann war es halt immer noch besser, lieber eine nutzlose Landratte anstelle eines wertvollen Seemanns zu opfern. Tja, so oder so ähnlich könnte das Kap zu seinem Namen gekommen sein. Mich verbürgen dafür, das möchte ich freilich nicht.

Da wir nun schon einmal an der Algarve sind, dem wohl bekanntesten Küstenabschnitt Portugals, darf auch das Städtchen Sagres nicht unerwähnt bleiben. Im Internet steht zu lesen: Sagres: Im Ortsnamen spiegelt sich Portugals Selbstbewusstsein. Denn in und um Sagres wirkte Infante Dom Henrique (Prinz Heinrich der Seefahrer), der Ahnherr der Entdeckungen zur See. Der Prinz hatte die Vision, sein Land, eingezwängt von Spanien und dem Atlantik, zu einer Seefahrernation werden zu lassen – was ihm mit Hilfe der Navigation auch gelang: Binnen zweier Generationen wurde das unbedeutende Portugal zum reichsten Land Europas. …

Davon spürt man hier im Ort allerdings nur noch wenig, sieht man von der Fortaleza ab. Diese einen Kilometer außerhalb gelegene Festungsanlage aus dem 17. Jahrhundert riegelt die Ponta de Sagres ab, ein kahles, vom Wind gebürstetes Felsplateau, das ins wellenbewegte Meer hinausragt. Ringsum stürzen schroffe Klippenwände über 60 m tief senkrecht ab. Die Ponta stellt das Schwesterkap zu Sao Vicente dar sowie den Anfangspunkt der Barlavento Küste. Vom westlichen Klippenrand haben Sie eine unvergessliche Aussicht auf die Bucht von Beliche bis Sao Vicente, vom östlichen auf die Bucht von Sagres mit den vorgelagerten Inseln von Martinhal und den Fischerhafen.

Beim Staunen können Sie sich ausmalen, wie hier vor 500 Jahren der Prinz und seine Mannen standen und davon träumten, draußen im Meer auf neue Ufer zu stoßen. …

Na, na, na, Prinz Heinrich (1394 - 1460) war ganz gewiss kein Träumer. Fakten belegen, dass er bereits im zarten Alter von 21 Jahren, also kaum großjährig, eine portugiesische Invasionsflotte befehligte. Die sollte den „Ungläubigen“, den verhassten Mauren, das afrikanische Ceuta entreißen – was auch gelang. Am 21. August 1415 obsiegten die christlichen Heerscharen über die Muselmanen, und als Dank für seine Leistung wurde Dom Henrique die Stadt anvertraut. Anvertraut? Das Wort erscheint mir ein bisschen zu zahm dafür, dass er sich eine ganze Stadt samt Umland gewaltsam unter den Nagel gerissen hat. Und überhaupt, wer hat das ganze räuberische Unternehmen eigentlich finanziert? Darüber schweigen die Geschichtsbücher. Aber immerhin sagen sie aus, dass der junge Aufsteiger königlichen Geblüts im Jahre 1418 zum Gouverneur und obersten Verwalter des Ordens der Christusritter avancierte. Aha, daher also wehte der Wind bzw. flatterte das Geld in des Prinzen Hosentaschen…

Nun muss man dem Prinzen aber zugute halten, dass er mit den Einahmen aus seinen Pfründen nicht so leichtfertig umging wie, zum Beispiel, heutzutage gewisse großkotzige Manager und willfährige Politiker. Weitsichtig, wenn auch nicht ganz uneigennützig, investierte er sein stetig wachsendes Vermögen in die Zukunft seines Landes. Und die Zukunft lag, das sah der Prinz ganz klar, auf dem Meer. Also mussten als erstes Schiffe her. Dazu verpflichtete er erfahrene holländische Schiffbauer, die aus einer Mischung von hanseatischer Kogge und arabischer Dhau die Karavelle erfanden.

Das flache, wendige Schiffchen, ausgerüstet mit Lateiner- und Rahsegeln, konnte das, was bislang nicht möglich war, nämlich: gegen den Wind segeln. Mit diesem neuen Schiffstyp, der die damalige maritime Welt geradezu revolutionierte, hatte Dom Henrique o Navegador, so wie er fürderhin genannt wurde, das geeignete Instrument für seine Afrika-Pläne zur Hand. Denn dort, irgendwo hinter der Sahara, lag der Sage nach das Reich des Priesterkönigs Johannes. Und weil der direkte Weg wegen der renitenten Mauren und erst recht wegen des vielen Sandes nicht in Frage kam, blieb eben nur der lange Seeweg längs der afrikanischen Westküste.

Der aber war auch nicht so ganz ohne, weil da die Küstenwinde nur sehr einseitig, dafür aber stetig aus NE blasen. Deswegen, so vermute ich, war diese Route bei den Kapitänen auch nicht sehr beliebt, war es doch für viele eine Reise ohne Wiederkehr. Dabei kann man da nicht einmal von einem Himmelfahrtskommando sprechen, denn hinter dem Kap Bojador, da lauerte das „Böse“ im „Meer der Finsternis“. Die Seeleute erfanden Schreckensbildnisse: Menschen verschlingende Seeungeheuer in einem kochend heißen, bleiernen Meer. Also, es war schlichtweg die Hölle, die einen da erwartete. Doch dann kam Heinrich mit seinen Karavellen und schlug alle noch so gängigen Ausreden einfach in den Wind. 1434 umsegelte Kapitän Gil Eanes als erster Portugiese das bislang so gefürchtete Kap Bojador und bewies mit seiner Rückkehr die „Segeltüchtigkeit“ der Karavelle. Daraufhin gab es für die Portugiesen kein Halten mehr. Sie erkundeten und eroberten die Westküste Afrikas sozusagen im Sturm. Allerdings, das sagenhafte Christenreich des Johannes, das fanden sie dabei nicht. Stattdessen stießen sie auf „menschenähnliche Zweibeiner“ mit schwarzer Haut, die sie kurzerhand als Ware mit in die Heimat transportierten, um sie da an reiche Latifundienbesitzer als Sklaven zu verkaufen. Auch der Prinz hatte keine Skrupel, sich an diesem Geschäft zu beteiligen. Seine Moral war eben die eines christlich erzogenen Potentaten. Das berechtigte ihn ja geradezu, sowohl die Mauren zu jagen, wo immer er ihrer habhaft werden konnte als auch sich fremdes Eigentum rücksichtslos anzueignen. Es wirft auch nicht gerade ein gutes Licht auf ihn, dass er seinen leiblichen Bruder Fernando, der 1437 bei dem missglückten Versuch, Tanger zu erobern, von den Mauren gefangen genommen wurde, in elfjähriger Gefangenschaft verrecken ließ. Der Prinz war schlicht nicht bereit, das hohe Lösegeld, die Rückgabe von Ceuta, zu bezahlen. Seine Pfründe galten ihm halt mehr als das Leben seines Bruders. Nun, man könnte einwenden, der gute Mann hatte Wichtigeres zu tun, und außerdem – als eine wichtige Staatsinstitution durfte er einfach nicht erpressbar sein. Aber ansonsten lief alles wie geschmiert. 1444 gründete er in Lagos die Companhia de Lagos, die das Handelsmonopol mit Afrika erhielt. 1458 eroberte er Alcacer Seguer. Das war sein letzter Triumph über die Mauren, denen er als Boss der Christusritter-Bande sein ganzes Leben lang stets eifrig nachgestellt hatte.

Die bedeutendsten Folgen seines Wirkens aber, die großen Entdeckungen, konnte der Prinz, der persönlich an keiner Entdeckungsreise teilgenommen hatte, nicht mehr erleben. 1487 gelang Bartolomeu Diaz die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung und 1498 erreichte Vasco da Gama Indien. 1500 sichtete Pedro Alvares Cabral, unterwegs nach Indien, die nordöstliche Ecke Südamerikas und nahm diesen Küstenstreifen, so quasi en passant, für die Krone in Besitz. 1510/1511 wurden Goa und die Molukken besetzt, 1518 Java, Banda, Amboina und Madura entdeckt, 1518 Ceylon und 1520 Kanton besetzt.

Wikipedia behauptet: All das wäre ohne Heinrich nicht denkbar gewesen. Sein Wirken war für Portugal Fluch und Segen zugleich: Nicht das Erdbeben 1755 und die Pest – vornehmlich der Aufstieg zur Weltmacht überforderte das kleine Land – noch heute scheint es unter der damaligen Auszehrung zu leiden und träumt man von der einstigen Pracht und Größe – ist gleichzeitig wie damals weltoffen und allem Neuen positiv zugewandt.

Trauer um das verlorene Weltreich, Leid, Hoffnung auf bessere Zeiten und Sehnsucht nach fernen Ländern – all dieses findet auch heute noch seinen Ausdruck im „Fado“ – dem portugiesischen Volksgesang.

Trauer um ein verlorenes Weltreich, Leid, Hoffnung auf bessere Zeiten… Also, wenn ich das so lese, dann regt sich ganz, ganz weit hinten, irgendwo in einem verstaubten Winkel meiner österreichischen Seele, auch so etwas wie ein „Fado“. Zwar weine ich den Habsburgern, diesem habsüchtigen Adelsgeschlecht, keine Krokodilsträne nach – schon gar nicht dem Nachfahren des letzten Repräsentanten auf dem österreichischen Kaiserthron; dem „selig“ gesprochenen Karl I., der zugleich auch noch als Karl III. von Böhmen und als Karl IV. „Letztkönig“ von Ungarn und Kroatien in die Geschichte einging. Nein, das ganz gewiss nicht. Traurig macht mich der Gedanke daran, was bei einer vernünftigen Führung und mit brüderlich (oder schwesterlich?) gesinnten Bürgern aus jenem Vielvölkerstaat für ein Staat zu machen gewesen wäre: Sozusagen eine vorweggenommene EU, allerdings mit Sitz in Wien und Budapest anstelle von Brüssel und Strassburg. Ein Staatenbund, in dem sich die unterschiedlichen Völker und Religionen in gegenseitiger Achtung und mit freundlichem Respekt behandelten. So hätte es doch auch kommen können, wenn… Ja, wenn mit der „Brüderlichkeit“ nicht stets die Unterwerfung der vermeintlich Geringeren unter die Knute der selbsternannten Herren gemeint wäre. Brüderlichkeit allein macht die Illusion noch nicht perfekt. Jedoch, auch angereichert mit Gleichheit und Freiheit ist sie, wie uns die Geschichte lehrt, noch lange kein Garant menschlicher Glückseligkeit.

Dem „gemeinen Österreicher“ versuchte man ja lange vorzumachen, dass die Größe der Monarchie nur der habsburgischen Heiratsdiplomatie zu verdanken war: „Andere Länder mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate!“ –. Abgesehen davon, dass auch diese Art der Machtvermehrung durch Kuppelei nicht ohne Zank ablief, torkelten die Habsburger doch immer wieder bereitwillig und ohne zu zögern in jede kriegerische Auseinandersetzung, um auf diese brachiale Art die ungefragt beglückten Völker von ihrem „legitimen“ Anrecht zu überzeugen. Ausgetragen wurde dieses „Anrecht“ auf das Hab und Gut anderer auf dem Buckel eines nationalbrünstigen, obrigkeitshörigen Staatsvolkes und der mehr oder weniger „freiwilligen“ Mithilfe der Zwangsbeglückten. Zusammengehalten aber wurde der ganze kaiserlich und königliche Verein – wie könnt’s auch anders sein – vom Klerus! Ja, aber dann, 1918, da war es vorbei mit der Habsburgerei. 1919 verwies die nun zur schmächtigen Republik mutierte Monarchie ihre jahrhundertlangen Beherrscher, die blaublütigen, langnasigen Langfinger des Landes. Allerdings jetzo, in Zeiten des globalen Raubtierkapitalismus, da wittern die feudalen Adelsgeschlechter wieder Morgenluft, und es grummelt nicht nur in der Wiener Kapuzinergruft… Allerdings: Der Sarg neben dem Sarg der Frau Zita von Bourbon-Parma, der Gemahlin Karls I., ist leer. Sein Grab befindet sich in der Kirche Nossa Senhora in Monte bei Funchal auf der portugiesischen Insel Madeira. Er starb dort 1922 im Exil, erst fünfunddreißig Jahre alt und nicht an gebrochenem Herzen, wie man vielleicht anzunehmen geneigt ist, sondern ganz schlicht an einer verschleppten Lungenentzündung.

Aber selbst, wenn er aus Gram über den Verlust der Macht an Herzeleid gestorben wäre, so ist das doch noch lange kein Grund zur Seligsprechung! Was hat sich da der polnische Reisepapst gedacht? Papst Johannes Paul II., alias Karel Woytila, gedachte wohl eines im Geiste verwandten Kollegen, der gleich ihm der unkontrollierten Ausbreitung des Kommunismus Paroli geboten hat. Aber um in den erlauchten Kreis der Seliggesprochenen aufgenommen zu werden, bedarf es immer noch eines beglaubigten Wunders; zumindest einer spektakulären Wunderheilung… Diesen unumgänglichen Beweis lieferte Maria Zita Gradowska, eine in Brasilien wirkende Nonne – aus Polen. Die litt an einem unheilbaren Venenleiden, hatte offene Geschwüre und war bettlägerig. Was also lag näher, als Kaiser Karl – weiß der Deibel, woher sie diesen kannte – um Fürbitte anzurufen. Das geschah 1960, da war der gute Mann bereits achtunddreißig Jahre lang tot. Dessen gute Seele aber ließ sich nicht lumpen und leitete die Fürbitte prompt an die für Wunder zuständige Instanz weiter. Offenbar mit sichtlichem Erfolg. Denn schon bald nach Karls Intervention erhielt die Nonne die allseits bekannte Order: „Steh auf, nimm dein Bett, und geh!“ Ja, und weil bei katholischen Ordensleuten der totale Gehorsam oberste Pflicht ist, gehorchte sie…

Ob man es nun glaubt oder auch nicht: Das reicht für eine Seligsprechung! Na, jedenfalls, wenn das selig zu sprechende Subjekt zu Lebzeiten ein katholischer Kaiser war. Des Kaisers Herz übrigens, das wird in der Lorettokapelle des Klosters Muri in der Schweiz aufbewahrt. Das finde ich gar nicht einmal so verwunderlich. In einem Land, in dem all die unrechtmäßig zusammengerafften Vermögen gewaschen und in anonyme Konten verwandelt werden, in so einem Land ist das „erkaltete Herz“ eines Ex-Potentaten noch am besten aufgehoben.

Aber, um über den Letztkaiser nicht nur den Stab zu brechen, sei zuletzt noch der Schriftsteller Anatole France zitiert: „Kaiser Karl war der einzig anständige Mensch, der in diesem Krieg auf einem führenden Posten aufgetaucht ist. Er wünschte ehrlich den Frieden, und deshalb wurde er von der ganzen Welt verachtet. So wurde eine einmalige Gelegenheit verscherzt.“

Nun, bei näherer Betrachtung der „Geschichte“ könnte unsereins sehr leicht zu dem Schluss gelangen, sie sei sowieso nichts anderes als eine fatale Abfolge verscherzter Gelegenheiten. Doch will ich das hier und jetzt nicht durch Beweise erhärten, sondern frei nach Wilhelm Busch feststellen: „Die Zeit vergeht im Sauseschritt; eins, zwei, drei – wir sausen mit!“

Jawohl, wir sausen mit 16 Knoten Marschgeschwindigkeit auf den nächsten markanten Leuchtturm, Cabo Trafalgar, zu. Das Kap Trafalgar (lat.: Promontorium Junonis; arabisch: Altaraf alagar), liegt im Süden der andalusischen Provinz Cadiz (Spanien) und ist der nordwestlichste Punkt (Koordinaten: Y = 36° 10’ 57’’ N, L = 6° 1’ 58’’ W) der Straße von Gibraltar.

Das Kap selbst erlangte Berühmtheit durch die Seeschlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805. Anno dazumal wurde die vereinigte spanisch-französische Flotte von der englischen Flotte, geführt von Admiral Horatio Nelson (geb. 29 September 1758 in Burnham Thorpe, gest. 21. Oktober, Kap Trafalgar), vernichtend geschlagen. Dass der große Admiral und Seeheld dabei den Heldentod fand, war für seine Person bedauerlich, ansonsten aber schmälerte sein Tod seinen Ruhm nicht. Höchstens schmälerte es die Rumrationen der überlebenden Marinesoldaten. Diese nämlich steckten den arg mitgenommenen Leichnam des Admirals in ein volles Rumfass, um dann zu Hause, im fernen London, doch noch etwas von ihm vorweisen zu können! Also, wenn Sie mich fragen: eine hochprozentige Schnapsidee. Wer, um Albions Willen, konnte noch Gefallen finden an dem bereits schon zu Lebzeiten durch Krankheiten und Kriegsverletzungen schwer mitgenommen Corpus Nelsons? Abgesehen davon, dass er, so munkelt man, schon beim Anblick eines Schiffes seekrank wurde, handelte er sich im Verlauf seiner Marinekarriere alle damals nur möglichen Seefahrerkrankheiten und diverse Kriegsverletzungen ein. 1776 erwischte den achtzehnjährigen Offiziersanwärter an der Küste Indiens die Malaria. Mehr tot als lebendig wurde er repatriiert. 1780 – da war er bereits Kommandant der Fregatte „HINCHINBROKE“ – infizierte er sich bei einem Landeunternehmen in Nicaragua mit dem tropischen Gelbfieber. Wiederum musste er vorzeitig nach England zurückkehren, ohne sich bei der Eroberung der Festung El Castillo am Rio San Juan hervortun zu können.

Die ersten Ruhmeslorbeeren erntete er erst 1794 als Kommandant der mit 64 Kanonen bestückten „AGAMENNON“. Ein Jahr zuvor hatte ein kleiner Mann, den die Wellen der Geschichte auf eine hohe Woge gesetzt hatten, England den Krieg erklärt. Im Juni 1794 also griff Nelson mit seinem Kanonenschiff in den Kampf um die Hafenstadt Calvi / Korsika ein und büßte dabei so nebenbei die Sehkraft seines rechten Auges ein. Vorher allerdings, 1793, während eines Aufenthaltes im Königreich Neapel, besah er sich sehr genau, noch war er ja beidäugig, die Frau des dort akkreditierten englischen Botschafters: Lady Emma Hamilton!

In den folgenden Jahren gelangte der wagemutige Taktiker – in der Person Nelsons offensichtlich kein Widerspruch – von Schlacht zu Schlacht zu immer mehr Ruhm. 1797, nach der siegreich beendeten Seeschlacht vor dem bereits erwähnten Kap St. Vincent, ernannte ihn die königliche Marine zum Rear Admiral of the Blue! Das meint, frei übersetzt, nicht etwa einen blauen Hinteradmiral, sondern soll einen Konteradmiral darstellen. Dabei stellt sich mir die Frage: Was ist das, ein „Konteradmiral“? Soll das etwa heißen, dass ein Kommandeur in diesem Rang ein Widerspruchsrecht gegenüber seinen Vorgesetzten hat? Schwer vorstellbar – jedoch nicht für Nelson. Denn die oben angesprochene Schlacht konnten die Engländer nur deshalb für sich entscheiden, weil Nelson den Befehl seines Oberbefehlshabers, Admiral John Jervis, missachtete und den Gefechtsverlauf nach seinen Gutdünken beeinflusste. Dafür wurde, dank Nelson, dem siegreichen Admiral die Earl-Würde verliehen. Und Nelson? Nelson wurde zum Knight of the Bath ernannt. Zum „Badewannen-Ritter“? Ha, ha, sind sie nicht witzig, die alten Engländer…

Das Jahr 1797 aber brachte Nelson nicht nur den Badewanneorden ein. Bei der Kaperung eines lausigen spanischen Transportschiffes zerschmetterte ihm eine Musketenkugel den rechten Arm, der bis zur Schulter amputiert werden musste. Das hinderte ihn aber nicht daran, in der Schlacht bei Abukir (1. August 1798) die Franzosen erneut das Fürchten zu lehren. Die französische Flotte ergriff, soweit es sie noch gab, das Hasenpanier. Der kleine Mann am großen Nil stampfte wütend in den Sand und verließ – notgedrungen per pedes – das Land. Nelson hingegen, inzwischen zum Baron of the Nile and of Burnham Thorpe erhoben, segelte nach getaner Arbeit schnell nach Neapel, wo er bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Denn auch da standen die schlimmen Franzosen, die dort drauf und dran waren, die neapolitanisch-sizilianische Königsfamilie einzukassieren.

Der flexible Nelson aber machte den Franzmännern aufs Neue einen Strich durch die Rechnung und evakuierte das „Königshaus“ inklusive des englischen Botschafters samt seiner Lady gerade noch rechtzeitig nach Sizilien. Bei dieser Rettungsaktion begegnete nun Nelson erneut der schönen Emma Hamilton, mit der er in der Zwischenzeit eifrig korrespondiert hatte. Und da passierte es! Nelson, obwohl verheiratet, fell in love – so wie der Engländer sagt. Ob allerdings Lady Emma zu jenem Zeitpunkt an Nelson viel Freude hatte, darf bezweifelt werde. Der Rear Admiral of the Red (siebthöchster Rang), zu dem er es bis dahin gebracht hatte, hatte sich im Gefecht vor Abukir erneut einige Blessuren eingehandelt. Sein körperlicher Zustand war erbarmungswürdig. Außer den schon benannten Verstümmelungen fehlten ihm jetzt auch noch einige Zähne! Im web, bei fortune city steht zu lesen: „Emma war zutiefst bestürzt, denn vor ihr stand das Wrack eines Menschen“. Aber Emma war nicht zimperlich, sie war schließlich nicht in eine mit Seide ausgestattete Wiege hinein geboren worden. Nein, sie war die Tochter eines Schmieds namens Henry Lyon; und ihre Mutter Mary ließ das Kind am 12. Mai 1765 auf den Namen Amy taufen. (Wikipedia)

Ihre Kindheit hatte sie bei ihrer Großmutter in Wales verbracht. In ihrem 12. Lebensjahr verschlug es das außergewöhnlich schöne Mädchen nach London. Dort wurde das holde Kind sehr rasch zum bevorzugten Objekt männlicher Begierden. Sie wanderte alsbald sozusagen von Männerhand zu Männerhand und – zerbrach daran nicht! Schließlich wurde sie zu guter Letzt, 1784, an den schon betagten Sir William Hamilton, seines Zeichens englischer Botschafter im Königreich Neapel, verschachert. Emma, wie sich Amy schon seit geraumer Zeit nannte, fügte sich in ihr Schicksal und machte das Beste daraus. Sie unterhielt fortan die illustren Gäste des kunstsinnigen Sir William mit sogenannten Ausdruckstänzen, bei der ihr ihre früheren Erfahrungen als „Model“ zugute kamen. Auch Goethe durfte sich an einer solchen Darbietung erfreuen und zeigte sich beeindruckt. Am allermeisten beeindruckt von der Anmut und der Schönheit der Lady, aber wohl auch von ihren geistigen und sonstigen Qualitäten, war der schon arg ramponierte Seemann Nelson. Und da Sir William, der alte Diplomat, anscheinend gegen die sich anbahnende Liaison nichts einzuwenden hatte, konnte die Affäre ihren Lauf nehmen. Die gipfelte in der Geburt der gemeinsamen Tochter Horatia am 3. Januar 1801 auf einem kleinen Anwesen, genannt Merton Haus, in Norfolk. Der Seeheld der englischen Nation konnte es sich leisten, die „feine Gesellschaft“ zu düpieren. Er trennte sich von seiner rechtmäßig angetrauten Gattin, der er ein ansehnliches jährliches Einkommen bis zu ihrem Lebensende zusicherte. Ungerührt vom Klatsch verbrachte Nelson seine „Urlaubstage“ bei Emma und Sir William im Merton-Haus. So sehr sich die englische High Society über diese „menage a droit“ auch das Maul zerriss, Nelson reagierte darauf anscheinend nicht. Dafür hätte ich dem bereits hoch dekorierten Admiral zusätzlich den Hosenbandorden – „Honi soit qui mal y pense“ – verliehen.

Nach dem Tode Nelsons wurde Emma Hamilton von einem Tag auf den anderen zur Unperson. Nicht einmal an der Beerdigung ihres Geliebten durfte sie teilnehmen. Die „Freunde“ meldeten sich ab, sie selbst wurde ausgegrenzt. Eine Weile noch lebte sie von der Rente des 1803 verstorbenen Sir Williams, allerdings weit über ihre Verhältnisse; sie verfiel dem Suff und landete 1813, als sie all ihr Vermögen durchgebracht hatte, für ein ganzes Jahr im Schuldturm. 1814 flüchtete sie vor den Gläubigern mit ihrer und Nelsons Tochter nach Frankreich. Ausgerechnet Frankreich, das Nelson so energisch bekämpft hatte! Am 15. Januar 1815 starb die vor wenigen Jahren noch so bewunderte Frau bettelarm und von der Trunksucht gezeichnet in Calais…

Ja, wenn Nelson das geahnt hätte, wie die feine englische Gesellschaft nach seinem Exitus mit seiner Geliebten umgehen wird, ob er dann wohl immer noch für diese hochnäsige Clique seine Haut so bereitwillig zu Markte getragen hätte?

Mit dieser Frage verabschieden wir uns nun aber endgültig von Trafalgar, Horatio und – Emma…

Die Fahrt geht weiter, und inzwischen passierten wir die – „Säulen des Herkules“. Keine Bange, ich habe nicht die Absicht, auch noch über den alten Herkules zu reflektieren. Überhaupt sollte ich mir das Thema Gibraltar für später aufheben, nämlich für das Kapitel SIRIUS. Auf der fuhr ich zehn lange Jahre als Steuermann, und als Steuermann auf der Brücke eines Containerschiffes erlebt man die Straße von Gibraltar doch etwas anders als ein in nautischen Dingen unbedarfter Matrose.

Ich will mich also nur mit einigen wenigen trockenen Daten – Wikipedia entnommen – begnügen. Die Straße von Gibraltar ist 14 bis 44 km breit und etwa 60 km lang, und sie erreicht eine Tiefe von 300 m bis 900 m unter dem Meeresspiegel. Die Straße von Gibraltar ist eine der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt, die täglich von ca. 300 Handelsschiffen durchfahren wird. Durch den ständig ostsetzenden Strom an der Oberfläche, hervorgerufen durch das etwa 1,4 m niedrigere Niveau des Mittelmeeres gegenüber dem Atlantik, in Verbindung mit oft vorherrschenden Westwinden, die sich in der Straße durch Düsenwirkung verstärken, war sie lange für die Schiffe ein schwer zu überwindendes Hindernis. In der Tiefe gibt es eine Gegenströmung, mit der das salzhaltigere Mittelmeerwasser in den Atlantik fließt. In der Antike konnten nur durch diese Gegenströmung, die mit einem Treibanker als Antrieb nutzbar gemacht wurde, Schiffe vom Mittelmeer in den Atlantik segeln.

Also, das mit dem Treibanker als Antrieb, das wage ich zu bezweifeln. Als Theorie, auf einem Blatt Papier schön aufgezeichnet, mag das ja wohl ganz plausibel aussehen. In der Praxis aber dürfte es schwierig sein, auf diese Art die Strömung zu überlisten. Bekanntermaßen erzeugt jegliche Strömung auch einen Gegenstrom, den sogenannten Neerstrom. Kanuten wissen das – und wissen deshalb auch das kleinste „Kehrwasser“ zu nützen. Vermutlich wussten das auch schon die alten Phönizier und passierten die Säulen des Herkules so, indem sie dicht unter Land den jeweiligen Neerstrom ausnützten. Aber, wie schon gesagt, ich vermute es nur. Die Treibankergeschichte ist mir, einem modernen Seemann, einfach zu suspekt.

(Der Herausgeber: Der Gegenstrom erfolgt in der Tiefe, was für die deutschen U-Boote im Krieg von großer Bedeutung war.)

Sehr suspekt, um nicht zu sagen größenwahnsinnig, war wohl auch der Plan des deutschen Architekten Herman Sörgel. Der hatte die phantastische Idee, an dieser Meerenge Europa und Afrika mit einem Staudamm zu verbinden. Herr Sörgel nahm die Sache durchaus ernst und warb von 1928 an bis zu seinem Unfalltod im Jahre 1952 ganz ernsthaft für das gigantische Projekt, das er auf den Namen Atlantropa taufte. Nicht wenige kompetente Mitstreiter griffen den Gedanken auf und ließen sich von der Möglichkeit ungeheurer Energie- und Landgewinnung begeistern. Die drastischen Folgen eines derartig gravierenden Eingriffs in die Natur schloss man damals noch „vorsorglich“ aus. Heutzutage, dank Computersimulation, weiß man, dass Dürre, Versalzung und Versteppung des mediterranen Lebensraumes der Preis dafür gewesen wären. 1960 wurde dieser Plan – oder sollte man es besser Wahn nennen? – der ja die ganze Mittelmeer-Geographie völlig durcheinander gebracht hätte, endgültig ad acta gelegt. Aber nicht etwa deswegen, weil man vielleicht zur Vernunft gekommen wäre und dem Machbarkeitswahn abgeschworen hätte. Mitnichten, die Menschheit hatte sich lediglich einer anderen Hybris, der Nutzung der Atomenergie, ergeben.

Da nun schon einmal von Energie die Rede ist, soll auch die Sonnenergie nicht unerwähnt bleiben. Sie ist es nämlich, die den „Tiefstand“ des Mittelmeeres gegenüber dem Atlantik bewirkt. Alle Gewässer, selbst der große Nil, der Vater aller Flüsse, können das durch Sonnenkraft verdunstete Wasser nicht zur Gänze ersetzen. Und somit ist und bleibt der Atlantik die Amme des Mittelmeeres!

Ach ja, das Mittelmeer. Viel lieber wäre ich ja damals, als ich mich notgedrungen zur grauen Nordseeküste aufmachte, gen Süden gezogen – von der „blauen“ Donau an die „blaue“ Adria… Aber Triest gehörte da schon eine ganze Weile zu Italien, und unter italienischer Flagge zu dienen, das wäre mir als überzeugtem Österreicher erst gar nicht in den Sinn gekommen; ganz abgesehen davon, dass es damals nicht einmal theoretisch möglich gewesen wäre. Allerdings war meine Vorstellung vom Mittelmeer, ein unter azurblauem Himmel verträumt vor sich hinplätscherndes, friedlich daliegendes Gewässer, halt ebenso daneben wie meine Vorstellung von der Ostsee. Kaum, dass wir Gibraltar hinter uns gelassen hatten, so auf der Höhe von Algier, wurde die RAVENSTEIN, dieses verhältnismäßig große Frachtschiff, plötzlich von einer rüden Windsbraut angefallen und dermaßen heftig durchgeschüttelt, dass anschließend die Hälfte unserer Deckslast im Eimer war. Diese eine Hälfte waren dickbauchige Korbflaschen von beachtlichem Volumen aus starkwandigem Glas. Den Inhalt habe ich unter den Namen “Miresür“ in Erinnerung. Auf Deutsch: Ameisensäure! Genauer gesagt: Ameisensäureethylester. Als leichtentzündliches, ätzendes Gefahrengut durften deshalb diese Glasbehälter auch nicht in den Laderäumen, sondern nur an Deck befördert werden. Aber ob nun im Raum oder an Deck oder wo auch immer: Sie sollten, so oder so, seesicher gestaut sein. Und das waren sie ganz offensichtlich nicht, obwohl die mit Weidengeflecht ummantelten Glasballons, wie Schafe zur Schur dicht aneinander gedrängt, mit Laschings festgezurrt waren. Jedenfalls hatte der böse Schirokko, der da gleich hinterm Atlasgebirge haust, ganze Arbeit geleistet. Ungemein harte, kurz aufeinander folgende Böen, die die See aufwühlten und kochen ließen, fegten wie der „Leibhaftige“ über das Schiff hinweg. Dabei schien es teilweise regelrecht angehoben zu werden, um dann wieder, in allen Fugen und Spanten knirschend, aufs Wasser zurückgeworfen zu werden. So eine grobe Behandlung kann selbst einem ausgewachsenen Eisenschiff zum Verhängnis werden; erst recht einer relativ ungeschützten Decksladung. Von dieser blieben nur gefährlich scharfkantige Scherbenstücke übrig, die wir zu den Fischen schickten, sobald der Himmel dem Sturm Einhalt geboten hatte. Später dann staunten wir nicht schlecht über die Wirkung der ausgelaufenen Säure auf Farbe und Stahl. Obwohl der meiste Flascheninhalt noch während des Sturms gleich über Bord gespült wurde, so zerfraß selbst noch der verdünnte, hin und her schwappende Rest den notdürftig mit Farbe überkleisterten Rost des Eisendecks. Es gibt halt nichts Schlechtes, was nicht doch auch was Gutes hätte! Allerdings, dass dann bei den Aufräumungsarbeiten auch unsere „Arbeitsschuhe“, die Plastesandalen und die darin steckenden nackten Füße Schaden nahmen, das interessierte bei der Schadensaufnahme die Schiffsleitung nicht im geringsten…

Die Weiterfahrt bis zum Suez-Kanal verlief dann ohne nennenswerte Zwischenfälle. In Port Said, wo wir kurz an der Pier lagen, kam nicht nur der englische Kanal-Lotse an Bord, sondern auch ein Trupp Ägypter. Die brachten ein kleines buntes Boot mit und hatten die Aufgabe, falls nötig, als Festmacher zu fungieren. Es gab da wohl in gewissen Abständen eine Reihe Dalben am Kanal, an denen man im Notfall ein Schiff anbinden konnte. Selbst erlebt habe ich eine solche Aktion nicht. Nach wie vor bin ich auch der Meinung, dass es sich bei den „Festmachern“ lediglich um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelte. Aber wie dem auch sei, die als Arbeitstrupp getarnte Händlerschar, die sich irgendwo am Achterdeck niederließ, hatte von echt ägyptischen Sandalen bis zur „spanischen Fliege“ so ziemlich alles im Angebot, was sich unauffällig am Körper transportieren lässt. Altgediente, erfahrene Ostasienfahrer, wie unser Bootsmann, warnten Neulinge eindringlich davor, mit diesen „Kanakern“ Handel zu treiben. Diese „jüdischen Schmutzfüße“ hätten doch nichts anders als nur Schweinkram und Betrug im Kopf.

Also, das verwirrte mich dann doch. Kanaker? Mit diesem diskriminierenden Wort betitelt(e) nicht nur der ungebildete deutsche Seemann alle jene Menschen, die von der Hautfarbe her dunkler waren als er selbst. Aber auch jene Zeitgenossen, egal welcher Hautfarbe, die nicht seiner Meinung waren, wurden von diesen schlichten Typen gerne als Scheißkanaker abgetan. Soweit war ja noch alles klar. Auch das Schimpfwort „Schmutzfüße“ machte mir kein Kopfweh, stimmte es doch mit der rauen Wirklichkeit – und mit unseren eigenen Füßen – oft genug überein. Aber das mit dem Jüdischen, das ging in meinem Kopf einfach nicht zusammen. Das Jüdische und das Arabische, war denn das nicht wie Feuer und Wasser? Zumindest ideologisch! Also hätte es konsequenter Weise heißen müssen: Arabische Schmutzfüße…

So sinnierte ich. Damals – wir sind in der ersten Hälfte der sechziger Jahre – wusste ich nur Vages über den Holocaust. Ja, dieses Wort wurde mir erst viel später ein Begriff. Und somit war mein Gewissen mit den Untaten unserer Elterngeneration noch nicht belastet. Den Juden, die für mich ja keine alten, orthodoxen Männer, sondern moderne Israelis waren, zollte ich größte Hochachtung. Ihr Kampfesmut, mit dem sie sich gegen die geballte Übermacht der Araber zur Wehr setzten, imponierte mir ungeheuer. Die Araber hingegen rangierten weit unten in meiner Werteskala. Wieso das? Wo ich doch bislang noch gar keinen persönlich kennen gelernt hatte, geschweige, dass mir einer etwas angetan hätte. Könnte es denn sein, dass ich das Gift des Rassenhasses bereits mit der Muttermilch eingesogen hatte und meine „ererbte“ Abneigung auf die Juden nun in opportunistischer Weise auf die Araber übertrug? Na, das mit der „Muttermilch“ ist wohl etwas weit hergeholt. Aber Redewendungen wie:„bis zum Vergasen“ oder „Rübe ab“ und ähnlich rüde Bemerkungen gehörten noch zu unserer Alltagssprache. Und immer noch galten die Italiener als verlogen, wurden die Griechen und Türken als Ziegen- und die Araber insgesamt als Arschficker abgestempelt. Was mich aber dann doch nicht daran hinderte, mir bei einem der bereits erwähnten Araber ein ganz kleines Insekt einzuhandeln. Haha, hihi, falsch geraten, von wegen „spanische Fliege“, die hatte ich wirklich nicht nötig; was ich mir eingehandelt hatte, war ein „vergoldeter“ Mistkäfer, ein Skarabäus mit grün funkelnden Augen aus purem – Glas…

Damals wie heute werden die Schiffe in langen Konvois durch den Kanal geschleust. „Geschleust“ ist bildlich zu verstehen; zwischen dem Mittel- und dem Roten Meer gibt es keinen nennenswerten Höhenunterschied, so dass der Kanal ohne Schleusen auskommt. Die künstliche Rinne wird von drei Seen unterbrochen. Im größten davon, dem Bittersee, wurden die gegenläufigen Konvois aneinander vorbei geführt. Das klappte nicht immer reibungslos. In so einem Fall hatten die Schiffe des einen Konvois so lange zu ankern, bis die Kamelkarawane, pardon, der Schiffskonvois in endlos langer Prozession endlich vorbeigezogen war. So war das damals jedenfalls üblich.

So eine Liegezeit konnte sich über viele Stunden hinziehen. Nachts fiel das ja nicht so sehr auf, aber tagsüber, da heizte sich das reglos und schutzlos in der gnadenlos heißen Sonne liegende Schiff mit seinem schwarz gestrichenen Rumpf und Hauptdeck wie eine Kochplatte auf.


Warte-Rast auf dem großen Bittersee

Um die edlen Häupter der Offiziere und gegebenenfalls auch die der Passagiere vor Überhitzung zu schützen, durften wir in den oberen Mittschiffsetagen Sonnensegel setzen. Die spendeten immerhin Schatten, wenngleich sie keine Lüftung ersetzen konnten. Das mit der Lüftung war in jenen Tagen noch eine sehr magere Angelegenheit. Die riesigen Windhutzen, diese langhalsigen Stielaugen, waren nur bei Fahrtwind von Nutzen. Außerdem waren sie fast ausschließlich zur Belüftung der Laderäume und des Maschinenraumes gedacht. Zwar gab es auf moderneren Schiffen als dem Schiffsaurier RAVENSTEIN auch schon eine Kabinenbelüftung, aber eben nicht auf unserem alten „Viermaster“. Da mussten wir uns noch mit einem sogenannten „Miefquirl“ begnügen; falls er nicht gerade kaputt war. Um überhaupt Frischluft in eine Kabine der unteren Decks zu bekommen, bediente man sich eines halbrund gebogenen, länglichen Blechs. Dessen eines Ende wurde am offenen Bulley befestigt, während das andere Ende wie ein weit abstehendes Ohr in den geneigten Wind ragte. Ja doch, der Wind musste schon „geneigt“ sein, denn lag man mit seiner Kammer in Lee, dann konnte man nur achselzuckend sagen: „Oje!“

Aber das war noch lange nicht das einzige negative Kriterium. Auch bei Starkwind, Unwetter, Seegang, bei voll beladenem Schiff funktionierte diese Belüftungsvorrichtung meist nicht. Tja, nicht selten auch verursachte sie böses Blut zwischen den beiden Nutzern ein und derselben Kammer, besonders dann, wenn durch Unachtsamkeit wieder einmal die halbe Bude abgesoffen war. Bei andauerndem Schlechtwetter und ganz besonders in den Tropen war es in diesen Unterkünften kaum auszuhalten. Also bastelte ich mir nach der Erfahrung auf dem „Bratsee“ eine stabile Hängematte aus einem „organisierten“ Segeltuchrest und schlief darin, wann immer es mir möglich war, völlig im Freien, im Sonnensegelgestänge des Poophauses auf dem Achterdeck.

Vielleicht sollte ich jetzt auch einmal etwas über den Kanal selbst schreiben. Also gut, schauen wir ins Internet: Der 163 km lange Sueskanal ist ein künstlicher Wasserweg vom Mittelmeer zum Roten Meer über die nur 113 km breite Landenge von Sues. Er verbindet die zwei Hafenstädte Port Said und Sues miteinander. Seit seiner Errichtung ist es nicht mehr notwendig, den ganzen Kontinent Afrika zu umrunden, um auf den Seeweg von Europa nach Asien zu fahren.

Der Kanal wurde von der französischen Sueskanal-Gesellschaft unter der Leitung von Ferdinand de Lesseps erbaut. Die Pläne dafür entwarf bereits ab 1838 der österreichische Eisenbahnpionier Alois Negrelli. Für die Schifffahrt wurde der Kanal am 16. November 1869 freigegeben.

Dass die ersten brauchbaren Pläne für einen Kanal, der auch den Ansprüchen der sich entwickelnden Dampfschifffahrt genügen sollte, von einem Österreicher stammten, das wusste ich natürlich. Hatte ich doch mit Ingenieur Negrelli und mit Oberförster Ressl, dem Erfinder der Schiffsschraube, bei den häufigen Streitereien mit meinen unwissenden Kollegen über Österreichs ehemalige Kompetenz auf den Weltmeeren zwei starke Trümpfe im Ärmel. Dass aber auch der gefürchtete Zuchtmeister der deutschen Kleinstaaten, der österreichische Kanzler Metternich, bereits 1843 Interesse an dem Bau eines Kanals bekundet hatte, das erfahre ich erst jetzt dank Wikipedia.

Ja, genau besehen, machte österreichisches Kapital – oder vielleicht doch eher ungarisches – den Bau dieses Mammutprojektes erst möglich. Bitte sehr, ich zitiere aus Wikipedia: Am 25. April 1859 begannen in Port Said, am Nordende des Kanals, die Bauarbeiten nach Negrellis Plänen. Die zu bewältigenden Schwierigkeiten waren ungeheuer groß. Alles Material, alle Werkzeuge, Maschinen, Kohle, Eisen, jedes Stück Holz musste aus Europa geholt werden. Der Hauptlieferant für Bauholz war der Holzlieferant Leopold Popper (1820 bis 1886) aus Bitscha (heute Bytca) im Norden des Königreichs Ungarn, heute Slowakei. Das Holz wurde in den umliegenden Wäldern des Komitats Trentschen geschlagen und per Floß die Waag und dann die Donau abwärts transportiert. In Galatz wurde das Holz auf Seeschiffe verladen und durch die Dardanellen nach Port Said verschifft. Der Lieferant wurde zum ungarischen Baron geadelt. 1872 wurde er zum österreichischen Freiherren mit dem Prädikat Freiherr von Podhragy geadelt. Darauf verlegte er den Hauptsitz seiner Firma nach Wien.

Na bitte, was sagt man dazu?! Aber, wofür wurde der gute Mann aus Bitscha eigentlich geadelt? Etwa dafür, dass er die slowakischen Wälder abholzen ließ? Oder etwa dafür, dass er auf diese Weise Arbeitsplätze geschaffen hat? Na, ich denke: weder – noch. Titel sind auch käuflich, und mit Hilfe dieses „Jahrhundert-Geschäfts“ dürfte der Verleihung der Adelswürde nichts mehr im Wege gestanden haben. Ja, so spielt es sich halt ab im wirklichen Leben: Auf der Gewinnerseite Millionäre und Adelstitel, auf der Verliererseite unzählige verunglückte Bauarbeiter. Diesbezüglich hat sich da seit Ramses Zeiten ganz offensichtlich nicht viel geändert!

Die Idee, den Isthmus zu durchstechen, war ja so neu nicht. Schon im vierzehnten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung machten sich die Herren Sethos I. und auch Ramses II. daran, eine Verbindung der beiden Meere für ihre Kriegsflotten herzustellen. Das gelang wohl auch; allerdings hielt das Bauwerk dem Wüstenwind nicht stand und versandete bald wieder. Im siebten Jahrhundert v. Chr. unternahm Pharao Necho (616 - 600 v. Chr.) erneut den Versuch, vom Nil per Schiff ins Rote Meer zu gelangen. Ein sibyllinischer Orakelspruch aber hinderte den abergläubischen Potentaten daran, den Kanal zu vollenden, der bis zur Einstellung der Arbeiten bereits an die 120.000 Menschenleben verschlungen hatte. Den Kanal zu vollenden, das oblag dann einem der nächstfolgenden Potentaten, einem gewissen Herrn Dareios I. (521 - 486 v. Chr.).

Aber bereits zu Kleopatras Zeiten war der „Durchstich“ wieder teilweise versandet, und die römischen Liebhaber der Dame, Cäsar und Marcus Antonius, interessierten sich nur für sich und – die Dame… Erst die Araber dachten wieder an eine Meeresverbindung, nachdem sie Ägypten erobert hatten. Herr Amr, der Feldherr des Kalifen Omar, ließ im siebten Jahrhundert den Kanal wiederherstellen. Doch schon im achten Jahrhundert war er wieder unbrauchbar. Heute zeugen nur noch schwache Spuren von den Bemühungen der früheren Baumeister…

In der frühen Neuzeit, 1504, richteten dann die Venezianer das Ansinnen an die nun in Ägypten sitzenden Osmanen, sich doch aufs Neue für einen künstlichen Wasserweg zwischen Okzident und Orient zu erwärmen. Begründung: Dom Infante Enriquo lässt grüßen – die Herausforderung durch die lästig gewordene portugiesische Konkurrenz, denn die machte dem venezianischen Dogen seit neuestem den Fernosthandel streitig. Auch Napoleon I., dieser rührige Mann, machte sich 1798 anlässlich seiner „Ägyptischen Expedition“ Gedanken über besagte Meeresverbindung. Jedoch, wie wir ja schon wissen, hat ihm ein gewisser Herr Nelson all seine „Ägyptischen Träume“ verhagelt. Da spielte es schließlich auch keine Rolle mehr, dass ein Landsmann Napoleons, der Ingenieur Lepère, zwischen den beiden Meeren einen Niveauunterschied von 9,908 m errechnet hatte. Fast zehn Meter Höhenunterschied! Wo er die wohl hergenommen hatte, hatten sich seine Vermesser etwa im Sinai verirrt? Na, so abwegig ist das nicht; der alte Moses hatte sich ja in nämlicher Gegend auch schon verstiegen. 1841 schließlich stellten die Engländer mittels barometrischer Messungen fest, dass der Niveauunterschied zwischen den beiden Meeren bedeutungslos ist. Diese Mühe hätten sie sich eigentlich sparen können, wenn, ja wenn nicht schon lange vorher das achte Weltwunder, die Bibliothek von Alexandrien mitsamt ihren 700.000 Bücherrollen, von kriegerischen Analphabeten abgefackelt worden wäre. So musste man also mit den theoretischen Vorarbeiten für das Jahrhundert-Projekt wieder ganz von vorn anfangen.

Aber dann, 1857, da war es so weit, da wurden endlich Nägel mit Köpfen gemacht. Alois Negrelli, Ritter von Moldelbe und Erbauer der Semmering-Bahn – zu seiner Zeit ein technisches Prunkstück – wurde nach Vorlage seiner Detailplanung Generalinspektor des Mammutprojektes. Doch hat ihm leider bereits ein Jahr später, noch vor Beginn der eigentlichen Arbeiten, der unberechenbare Tod alle seine technischen Pläne frühzeitig aus der Hand genommen. Diese Pläne flatterten dann prompt auf Ferdinand de Lesseps Schreibtisch.

Mitsamt den Plänen hatte sich Herr Lesseps aber auch jede Menge Probleme und Ärger eingehandelt. Nicht nur, dass es vor Ort an jeglichem Material fehlte. So musste z. B. vor dem eigentlichen Kanalbau erst einmal ein Süßwasserkanal zur Baustelle verlegt werden. Zwischendurch wütete die Cholera unter den Arbeitern, die verständlicher Weise erstmal alles stehen und liegen ließen und lieber das Weite suchten. Zur bautechnischen Misere gesellten sich, nachdem es nicht so richtig voran ging, auch noch finanzielle Schwierigkeiten. Nein, Ferdinand war da sicher nicht zu beneiden, und ich denke, dass er nach der Fertigstellung des Kanals im November 1869 bereits so weißhaarig war, wie er uns Nachgeborenen aus dem Lexikon bekannt ist.

Baukosten: (laut Wikipedia) Die Baukosten des Kanals beliefen sich auf etwa 19.000.000 Pfund Sterling, von denen 12.800.000 durch Aktienzeichnungen aufgebracht wurden, während den Rest der Khedive deckte. Letzterem kaufte England 1875 die übernommenen, noch unplacierten Aktien (176.602 Stück im Wert von 3.500.000 Pfund Sterling) ab. Bis Ende 1884 wurden mit Einschluss der Verbesserungen für den Kanal 488.000.000 Franken verausgabt, wogegen die Aktiva 76.700.000 Franken betrugen.

Einnahme und Ausgaben. Die Einnahmen der Gesellschaft erbrachten 1872 zum ersten Mal einen Überschuss von 2.000.000 Franken, der 1887 auf 29.000.000 Franken stieg. Die Einnahmen bezifferten sich auf 60.500.000 Franken, die Ausgaben auf 30.800.00 Franken.

Wirtschaftliche Bedeutung. Wirtschaftlich profitierten vom Sueskanal vor allem die Seehandelsmächte der Mittelmeerländer, die nun wesentlich schnellere Verbindungen als die Nord- und Westeuropäischen Seehandelsnationen, wie Großbritannien oder Deutschland, in den nahen und fernen Osten hatten. Größter Profiteur im Mittelmeerraum war Österreich-Ungarn, das sich nicht zufällig an Planung und Bau des Kanals beteiligte. Die größte österreichische Seehandelsgesellschaft, der Österreichische Lloyd, erlebte nach der Fertigstellung des Kanals eine rasante Expansion. Die Gesellschaft war Gesellschafter an der Compagnie Universelle du Canal du Sues, deren Vizepräsident der Lloyd-Mitbegründer Pasquale Revoltella war.

So, das war es, was ich vor allem noch abgeschrieben haben wollte: dass nun auch dem allerletzten unwissenden Leser endlich klar wird, was die Seehandelsnation Österreich-Ungarn einstmals für eine bedeutende Rolle auf den Weltmeeren spielte. Und dass man mir niemals wieder mit der saublöden Bemerkung komme: „Sie, Sie als Österreicher, wie kommen denn Sie zur Seefahrt?“

Zum Thema „Der Suez-Kanal in der politischen Auseinandersetzung“ gäbe es noch allerhand Interessantes abzuschreiben. Aber der mündige Leser kann ja selbst jederzeit „googeln“, und ich erspare mir weiteres „Gscheitwaschln“. Nur noch soviel: 1967, bei Beginn des „Sechstagekrieges“, hätte der Krieg auch mich beinahe erwischt. Die „RIEDERSTEIN“, auf der ich damals gemustert war, war das allerletzte Schiff, das die Kurve vor der Schließung des Kanals gerade noch so eben hinbekam. Wir standen schon kurz vor dem südlichen Kanalende, als der Kapitän endlich über Funk die Order bekam, das Schiff augenblicklich auf Gegenkurs zu drehen. Nun war es nicht so, dass wir überhaupt nichts über die aktuelle Kriegsgefahr in Nahost gewusst hätten. Bereits bei unserer Abfahrt im australischen Freemantle wurden Überlegungen laut, ob man deswegen den Kurs doch nicht lieber über die Kapstadt-Route absetzen sollte. Angesichts der Geographie und der politischen Weltlage war diese Überlegung gar nicht so abwegig. Da aber unser erster Bestimmungshafen Genua war, entschied man sich in Bremen für die Sueskanal-Route. Dass wir letztlich dann nicht im großen Bittersee festsaßen, so wie eine ganze Menge Schiffe vor uns, verdankten wir wohl der Bunkerverzögerung in Djibuti (da standen die Schiffe, bildlich gesehen, an der Zapfstelle Schlange). Dieser Zeitverlust war schließlich das ausschlaggebende Kriterium für unser „Zuspätkommen“. Aber in diesem Fall wurden wir für unser „Zuspätkommen“ nicht bestraft, wenngleich die dadurch erzwungene Umrundung Afrikas auch nicht gerade in unserem Sinne war. Als wir dann letztendlich, vermutlich mit dem letzten Tropfen Treibstoff, Genua erreichten, waren ganze 44 Seetage vergangen. Aber immerhin, wir waren angekommen. Ein HAPAG-Schiff, das einige Stunden vor uns die Stadt Suez und damit den Kanal noch erreicht hatte, lag stattdessen – im trauten Verein mit anderen Schiffen – für die nächstfolgenden Jahre im Bittersee fest. Das war sicherlich bitter, sehr bitter für Reederei und Besatzung, die dann irgendwann ausgeflogen wurde…

Die Sperrung des Kanals, die von 1967 bis 1975 andauerte, war dann auch besonders für die westeuropäischen Industriestaaten sehr bitter. Diese öldurstigen Staaten hatten nicht mehr genug Nachschub von dem schwarzen Saft, der die Wirtschaft in ihrem Innersten zusammenhält und Reichtum und Wohlstand bedeutet. In Österreich z. B. durften die Autos – die heiligen Kühe der Wohlstandsbürger – entsprechend ihrem Kennzeichen nur noch jeweils an geraden oder ungeraden Tagen auf die Straße. Das muss man sich mal vorstellen und – auf der Zunge zergehen lassen… Was für einen Aufschrei würde so eine Maßnahme heutzutage wohl auslösen in einem Land wie zum Beispiel Deutschland? In einem Staat, in dem die Autoindustrie das Sagen hat! Wo wider jede Vernunft in dummdreister Weise freie Fahrt für freie Bürger propagiert wird!

Nun, die Wirtschaft wusste sich zu helfen. Onassis machte es vor, und die Öltanker, nun in ihrem Wachstum durch keine Sues-Norm mehr behindert, wuchsen sich zu ihrer heutigen Größe aus. Allerdings nur äußerlich. Innerlich blieben sie das, was sie immer schon waren: Dünnblechige Konservenbüchsen mit einem Hilfsmotor. Die negativen Auswüchse dieser Technik einschließlich der verheerenden „Einsparungs-Philosophie“ sind ja inzwischen wohlbekannt; deshalb will ich mir und Ihnen weitere Kommentare dazu ersparen. Soviel noch: Inzwischen wird ja viel über so genannte „doppelwandige“ Tanker geredet, wohl, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Wie ernst dieses Vorhaben auch immer sein mag, bis es zur allgemeinen praktischen Aus- und Durchführung gelangt, werden sicherlich wieder viele Jahre vergehen. Vielleicht gar so viele, dass es schlussendlich gar nicht mehr nötig sein wird, weil das „schwarze Gold“ inzwischen versiegt ist…

Was mir sonst noch zur Kanalfahrt „an sich“ einfällt? Na, dass sie z. B. für einen Stunde um Stunde am Steuer stehenden Rudergänger stinklangweilig ist. Aber nicht nur für den Rudergänger, der sich ja immerhin auf den aktuellen Kompassausschnitt konzentrieren muss. Der Lotse hingegen, der ja sozusagen „Das Ganze“ hat – der Kapitän kann sich daher ganz beruhigt in seine Kabine verkrümeln – muss also auch das Ganze im Auge behalten. Das heißt auch, dass der Abstand zum Vorderschiff penibel eingehalten werden soll. Was nicht immer gelingt, weil ja jedes Schiff, so wie die störrischen Esel, seine eigene, eigenwillige Gangart hat. Im Sueskanal ist es genauso wenig erlaubt – genauso wenig wie in jener Hölle, in der die armen Sünder bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße stehen – Wellen zu machen. Das bekommt der sandigen Uferböschung nicht. Deshalb sind alle Schiffe im Konvoi zur einheitlichen Schleichfahrt verurteilt. Aber gerade so ein kontinuierliches Dahinschleichen mochte unser „Schnelldampfer“ mit seinen drei Propellern gar nicht. Mit allen dreien im Einsatz war auch noch das „Ganz langsam“ am Maschinentelegrafen um ein Weniges zuviel. Wurde nur die Mittelschraube benutzt, war die Fahrt wieder um ein Weniges zu langsam. Den gehörigen Abstand von – sagen wir mal – 200 m bis 300 m (diese Angabe ist ohne Gewähr) konkret durchzuhalten, war daher so gut wie unmöglich. Das machte es eben notwendig, die Marschfahrt in gewissen Abständen immer wieder zu korrigieren.

Und nun stelle man sich vor: Ein breites blaues Band, das sich meist schnurgerade durch eine sandbraune Einöde zieht, darüber blauer Himmel, aus dem eine hinterhältige Sonne Tag für Tag, seit biblischen Zeiten, das Land versengt: „Brennend heißer Wüstensand, fern so fern dem Heimatland!“ Dieser Schmachtfetzen von Freddie, wird den Matrosen von dem erwähnten HAPAG-Schiff wohl für immer unvergesslich geblieben sein.

Freddie beiseite – auf der Brücke der RAVENSTEIN wird nicht gesungen. Da wird gerungen – um jedes bisschen Zugluft im nicht vorhandenen Fahrtwind. Ich kämpfe, mich am Steuerrad festhaltend, gegen den tückischen Sekundenschlaf, der mir immer wieder die Beine einknicken lässt. Der zweite Offizier, ein bulliger, eher wortfauler Bremer, steht in gebückter Haltung in einer der zur Gänze geöffneten Brückentüren; so als wollte er gleich mit einem mächtigen Satz direkt aus dem Stand in den Kanal springen. Der arme Kerl, eingehüllt in dunkelblaues Uniformtuch und dazu noch eine weißbezogene Schirmmütze auf dem verschwitzten Kopf, der ist ganz eindeutig noch schlechter dran als ich im liederlichen, luftigen Räuberzivil. Der vermutlich englische Lotse – jedenfalls ist er ein Weißer westlichen Zuschnitts – trägt, dem Klima entsprechend, eine leichte Tropenuniform. Trotzdem scheint er genauso geschlaucht zu sein wie der Steuermann und ich. Eine ganze Weile schon hängt er bewegungslos im hochbeinigen Lotsenstuhl und schweigt sich aus. Na ja, eigentlich gibt’s ja auch nicht viel zu sagen. Man hält als Rudergänger einfach stur auf das Hinterteil des Vorderschiffes zu. Plötzlich aber richtet sich der bislang noch immer in Hockestellung verharrende Wachoffizier auf und – springt doch nicht, sondern kommt zur Tür herein und beäugt interessiert den vor sich hindösenden Lotsen. Inzwischen aber kommen wir dem Hinterteil des Vorder… – na, Sie wissen schon – immer näher. Da tippt der Bremer, ganz die Ruhe in Person, dem Lotsen sachte auf die Schulter und sagt mit Unschuldsmiene: „Excuse me, Mr. Pilot, on which side shall we overtake?“ Cool, was?

Um auch nachts den Kanal passieren zu können, bedurfte es eines speziellen, lichtstarken Scheinwerfers. Falls er nicht schon am Schiff selbst installiert war, und zwar ganz vorne, am Steven, direkt unter der Back, wurde das klobige Teil gegen Entgelt von der Kanalbehörde gestellt. Damit wurden dann die Kanalufer aus- und das Vorderschiff angeleuchtet, um den nötigen Abstand auch einhalten zu können. Aber möglicher Weise ist das aufgrund der modernen elektronischen Geräte heutzutage nicht mehr nötig. Heutzutage denkt man daran, den Kanal auch für die Riesen unter den Tank- und Containerschiffen passierbar zu machen. Na, denn man zu…

Wir aber haben genug vom Kanal und „betreten“ das Rote Meer. Dazu eine kurze Anekdote. Ja, ja, ganz richtig, natürlich bezieht sie sich auf die sagenhafte Durchquerung des besagten Meeres durch die alten Hebräer. Kurzum: Eines Tages, Ende der siebziger Jahre, überquerte ich während eines Landgangs im Hafen von Alexandrien mit Hadi, meinem syrischen Begleiter, ein geschlossenes Schleusentor. Rein zufällig warf ich einen Blick in die fahrzeugfreie Schleusenkammer, in der vor lauter Dreck und Unrat das Wasser kaum zu sehen war. Da überkam es mich: Mir war auf einmal völlig klar, wie Moses mit seiner leichtfüßigen Gefolgschaft trockenen Fußes übers „Rote Meer“ gelangt war. Der Gedanke erheiterte mich ungemein; natürlich musste ich ihn sofort an Hadi weiterleiten. Doch dem wollte die Idee gar nicht gefallen, jedenfalls konnte er darüber nicht lachen. Entweder fehlte ihm einfach der Sinn für spekulative Analogien, oder er gedachte des schmachvollen Untergangs der pharaonischen Heerscharen. Mit Mann, Ross und Streitwagen, einfach so, von eines Gottes starker Hand gepackt und wie junge Hunde ersäuft zu werden, das kommt ja nun auch nicht alle Tage vor.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Lektüre eines Buches mit dem einprägsamen Namen: „Und die Bibel hat doch recht“. Darin bemüht sich der Autor, den Beweis zu erbringen, dass der historische Kern der Bibel weitgehend auf Wahrheit beruht. Und tatsächlich konnte die moderne Wissenschaft inzwischen so manche biblische Aussage bestätigen. Im genannten Fall aber hilft nur die Spekulation weiter. Meine Spekulation: Beim „Roten Meer“ handelte es sich damals lediglich um ein Wadi, ein ausgetrocknetes Flussbett, das im entscheidenden Moment plötzlich voll gelaufen war.

Aber auch diese Version wollte Hadi, der nach europäischen Maßstäben in Bremen zum Nautiker ausgebildet worden war, nicht so recht gefallen. Im Gegenteil, so ganz unverhofft von einer schmutzigen, lehmbraunen, alles mit sich reißenden Flut überrascht zu werden, das ist auch nicht unbedingt ein ruhmreiches Ende für eine kaiserliche Eliteeinheit: „Stimmt“, sagte ich, „aber zum einen bist du kein Ägypter und zum anderen – was geht uns das heute noch an?“ Darauf Hadi: „Das geht uns sehr wohl etwas an, meinst du denn nicht, dass es für uns besser gewesen wäre, wenn damals anstatt der Ägypter die Juden ersäuft worden wären?“

Ich war perplex, so etwas aus dem Munde dieses sonst so freundlichen Menschen zu hören, verunsicherte mich nicht wenig. „Aber“, meinte ich fast schüchtern, „falls es stimmt, was in der Bibel steht, dann waren es die Juden, die vom Pharao verfolgt wurden, und was bleibt einem gerechten Gott schon anderes übrig, als sich für die Schwachen einzusetzen?“ – „So“, sagte Hadi, „auf welcher Seite war dann denn in Auschwitz der gerechte Gott, war er da nicht ganz und gar auf unserer Seite?“ Auf unserer Seite? Was meinte er damit? Hadi hatte mich voll auf dem falschen Fuß erwischt. Zwar hatte ich meine Unschuld, meine Ahnungslosigkeit über die Verbrechen des deutsch-österreichischen Nationalsozialismus bereits verloren, vom Wesen des internationalen Faschismus verstand ich aber noch immer nichts. Und nun warf mich dieser Hadi einfach in den Hades. Er unterstellte mir Komplizenschaft, mir, der ich doch voller Empörung und Abscheu auf die Untaten der Nazis und ihrer Schergen herab blicke! Das ging nun doch eindeutig zu weit. Mir dämmerte zum ersten Mal, dass der Gottesbegriff für den Muslim Hadi mit meinem vagen Gottesverständnis wohl kaum in Einklang zu bringen ist…

Na ja! Inzwischen haben wir Suez passiert und die RAVENSTEIN zerteilt mit ihrem altbackenen Keilsteven das vor ihr in der Sonne gleißende Rote Meer: Arabisch Bahr el Ahmar, im Altertum auch Sinus Arabicus oder Mare Erythreum geheißen. Der Name Rotes Meer kommt laut Meyers Lexikon online von einem Cyanobakterium mit roten Pigmenten. Warum das Wasser trotzdem tiefblau ist, wird da leider nicht verraten. Verraten wird, „dass die Oberflächentemperaturen im Sommer meist über 30° C liegen. Im Winter – außer im Golf von Suez – zwischen 20° C und 25° C. Die Wasserschicht unterhalb 200 m bis zum Boden hat nahezu konstante Werte von Temperatur (21,7) und Salzgehalt (40,6 %). Die Oberflächenströmungen verlaufen im Wesentlichen südwärts an der afrikanischen und nordwärts an der arabischen Küste. Der Tidenhub der Gezeiten beträgt bis zu 2 m. Die wichtigsten Häfen sind Massaua, Port Sudan, Suez, Djidda, Janbo, Hodeida.

Die ca. 1.200 sm lange Strecke zwischen Suez und Bab al-Mandab schaffte ein Schnelldampfer wie der alte Viermaster noch locker in zweieinhalb Tagen. Für moderne Schiffe mit ihren hoch gezüchteten Motoren dürfte das kaum zu schaffen sein. Bab al-Mandab, das ist die 27 km breite Meerenge zwischen Afrika und Arabien. Die Bezeichnung Bab al-Mandab – „Tor der Tränen“ – stammt noch aus jener Zeit, als arabische Sklavenhändler ihre menschliche Fracht aus dem in greifbarer Nähe liegenden Afrika in den Orient verschifften. Aber das ist ja, Allah sei Dank, längst Geschichte oder? Hört man doch immer wieder, dass sich die superreichen Emirate jetzt ihre Sklaven, immerhin Lohnsklaven, aus Ostasien, z. B. von den Philippinen, holen.

Nun, 1963/64 brauchte man sich auf der Brücke eines christlichen Handelsschiffes wegen quer laufender Sklaventransporter oder überraschend andockender Piraten keine Gedanken zu machen. Überhaupt war in jenen Jahren von Piraterie kaum die Rede, obwohl es sie sicherlich auch gab. Heutzutage aber ist sie wieder in aller Munde. Man lese und staune: Das Auswärtige Amt Deutschlands hat für die Länder Jemen, Eritrea und Dschibuti eine Reisewarnung herausgegeben. Der Bab al-Mandab gehört zusammen mit dem Golf von Aden zu den weltweit am meisten durch Piraterie gefährdeten Gebieten. Die Deutsche Marine engagiert sich zusammen mit ihren Verbündeten in der Aktion Enduring Freedom, die mit Fregatten vor Ort gegen Terrorismus, Waffenschmuggel und Piraterie kämpfen soll. Das Lagezentrum ist in Dschibuti. (Wikipedia)

„Die Deutsche Marine engagiert sich!“ Ja, was sagt man dazu? Soll man jubeln: „Hurra, wir sind wieder da!“ Wenigstens in Ostafrika, aber inzwischen auch im Mittelmeer. Die Germania, der Kaiser, Lettow-Vorbeck lassen grüssen! Endlich dürfen deutsche Kriegsschiffe nach langer, unfreiwilliger Pause auf der maritimen Weltbühne wieder präsent sein. Allerdings, den Gegner, den kampfstarken, ebenbürtigen, wenn nicht gar überlegenen, jedenfalls an Schlachtschiffen überlegenen Gegner von anno dazumal, den gibt es nicht mehr. Das ist traurig, wenn nicht gar beschämend. Denn die modernen Hightec-Fregatten dürfen ihre Kanonen bestenfalls auf Spatzen richten. Zum Beispiel auf unscheinbare Fahrzeuge, die modernste Waffentechnik aus den modernsten Waffenschmieden Europas und den USA von „felix arabia“ nach „miserecordia somalia“ schmuggeln. Tja, verehrter Leser, Sie haben völlig recht, diesem teuflischen Geschäft könnte die hohe Politik auch anders, nämlich präventiv begegnen. Am besten wäre doch wohl, dass man die expandierenden und exportierenden Waffenschmieden klein hält und deren Lobbyisten dorthin jagt, wo sie hingehören: zum Teufel. War denn da vor noch nicht allzu langer Zeit nicht von einer Friedensdividende die Rede? Von Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden sollten? Aber wie wir wissen, weil es uns von unseren Regierungen immer wieder gebetsmühlenartig vorgebetet wird, ist das wegen der „Arbeitsplätze“ und des „Bruttosozialproduktes“ schlechterdings unmöglich.

Das Lagezentrum Dschibuti war bereits in den sechziger Jahren für die internationale Schifffahrt von Bedeutung. Das kleine Land – seit 1896 französische Kolonie und seit 1977 „unabhängig“ – diente und dient noch heute der Ostasienschifffahrt als Bunkerstation. Interessant ist, dass es da, vor Ort, gar keine Ölvorkommen gibt. Der Saft, der die Weltwirtschaft antreibt, muss da erst hingekarrt werden. Das Interesse der Franzosen an dieser strategisch wichtigen Ecke Afrikas erwachte – was für ein Zufall! – während des Baues am Sueskanal. Um ihren Einfluss in einer von den Briten beherrschten Region zu stärken, eröffneten sie 1917 die Bahnlinie Dschibuti – Addis Abeba. Für die dafür nötigen stabilen Verhältnisse sorgten – die Fremdenlegionäre. Man brauchte sich daher gar nicht groß zu wundern, wenn einem in der nächsten Hafenbar deutsche Schimpfwörter um die Ohren flogen. Mehr weiß ich über diesen ungemütlichen, trockenen, heißen Ort eigentlich nicht zu sagen, höchstens noch, dass das der richtige Ort wäre, um Waffenhändler und ihre Lobby schmoren zu lassen.... Übrigens, die „französischen“ Fremdenlegionäre, und nicht nur die, sind da immer noch präsent.

P. S.: Durch die Operation Enduring Freedom konnten die Piraterie und der Drogenschmuggel gesenkt werden. Die Versicherungssummen für Handelsschiffe wurden daher auf der wichtigsten Seeverbindung der asiatischen mit den europäischen Märkten erheblich gesenkt. (Wikipedia) „Erheblich gesenkt“: Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen…

Aber was erzähl ich denn da alles? Das hat doch mit meiner Geschichte schon gar nichts mehr zu tun. Wohl deshalb, weil es da nicht viel zu erzählen gibt. Unsereins kam vor Arbeit und dem feierabendlichen „Knobeln“ kaum zur Besinnung. Als „Tagelöhner“ eingeteilt, malochte ich von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Tag für Tag hing ich sozusagen in den Sielen. Das heißt, das gesamte Umschlagsgeschirr wurde mit bordeigenen Mitteln während der Ausreise überholt. Demnach war ich meistens in luftiger Höhe mit dem Auswechseln von Bolzen und Blöcken oder mit dem Einfetten des stehenden und laufenden Gutes beschäftigt. Die Arbeit hoch in den Masten, mit freiem Oberkörper dem Fahrtwind und der Sonne ausgesetzt, machte mir im Grunde Spaß. Außerdem konnte ich da zeigen, was ein „Seppl“ unter extremen Umständen zu leisten imstande war. Vor dem Sonnenbrand musste ich mich nur am Anfang einer Tropenreise hüten. Nach ein paar Tagen waren meine Hautpigmente so nachgedunkelt, dass ich mich dann sorg- und schutzlos der UV-Bestrahlung preisgab, von deren Wirkung wir noch keine Ahnung hatten.

Underberg-Karli – in luftiger Höhe bei Labsalarbeiten

Nach getanem Tagewerk war unsereins natürlich durstig. Wir Tagelöhner versammelten uns nach Feierabend um Underberg-Karli, den amtierenden Knobelkönig. Underberg-Karli war von Gestalt so lang und dürr wie eine Bohnenstange. Das heißt, eher sah er aus wie der berühmte Ritter von der traurigen Gestalt, Don Quixote. Nur trug Karli an Stelle einer Lanze stets ein paar Fläschchen Underberg an sich oder hatte sie irgendwo in seiner Nähe. Unser Versammlungsort war gleich hinter den Mittschiffsaufbauten auf Luke IV. Wir, ungefähr acht bis zehn Mann an der Zahl, knobelten mit Streichhölzern so lange, bis der Verlierer feststand. Der durfte dann den Kasten Bier, um den es schließlich ging, bezahlen. Selbstverständlich hatte der Verlierer ein Recht auf Revanche. Somit blieb es natürlich niemals nur bei einem Kasten. Dieses Zeremoniell artete derartig aus, dass ich anschließend nur noch mehr oder weniger angetrunken in die Koje fiel. Trotz der allmorgendlichen Selbstverfluchung waren spätesten um drei Uhr nachmittags, also zur „coffee-time“, alle guten Vorsätze vergessen. Das Knobeln ging zur Freude des Kantinenverwalters wieder munter weiter. Dann aber, irgendwann, „Rotsee“ lag bereits hinter uns, brachte mich eine horrend hohe Kantinenabrechnung doch noch zur Besinnung. Ich überlegte, zählte und rechnete mir vor, wie ich denn die Landgänge in den Häfen meiner Träume – Singapore, Hongkong, Jokohama – finanzieren sollte, wenn ich meine Heuer bereits an Bord verjuxte. Das wirkte. Fortan mied ich Underberg-Karli samt seiner versoffenen Knobelbande.

Ich wechselte das Terrain und suchte die Nähe des alten griesgrämigen Schiffszimmermanns, von dem ich wusste, dass er dem Schachspiel zugetan war. Abend für Abend saß ich nun beim Zimmermann, der mir vorerst nicht die kleinste Chance auf einen Sieg ließ. Doch ich gab nicht auf und kämpfte verbissen weiter. Mein Ehrgeiz war geweckt, vor allem deshalb, weil ich mich von Spiel zu Spiel steigern konnte. Und eines Tages war es dann wirklich so weit: Ich gewann meine erste Partie gegen den im Grunde weit überlegenen Gegner. Aber es blieb mein erster – und letzter Sieg. Ich habe es nie begriffen: Der alte Mann, der allerdings auch sonst mit niemanden privat verkehrte, mied mich daraufhin; es kam zu keinem weiteren Spiel mehr. Vielleicht hatte ich, aus heutiger Sicht betrachtet, zu sehr mit meinem Erfolg herumgeprahlt und ihn damit verärgert, verletzt? Wer weiß, im Dienst ergraute Seebären sind oft kauzig…

Aber – dem Zimmermann sei Dank – diese Therapie hatte mich vor dem vorzeitigen Bankrott gerettet und meine Landgänge in den nächst folgenden Häfen gesichert.

Noch aber sind wir nicht soweit. Wir halten auf das Horn von Afrika zu und passieren Kap Guardafui (portugiesisch für „hüte dich“; Koordinaten y = 11° 50’ 03’ N; l= 51° 16’ 52’’ E) im gehörigem Abstand an Steuerbord. Das Kap, arabisch Ras Asir genannt, ist ein hoher Felsen, hinter dem sich das sagenhafte Gold- und Weihrauchland Punt verbarg. Von dort holte sich keine Geringere als Hatschepsut, die einzige Dame auf dem Pharaonenthrone, während ihrer Regentschaft (1490 bis 1470 v. Chr.) Ebenholz und Weihrauch für ihre Tempel. Bei der Gelegenheit „besorgten“ sich ihre Handelsemissäre – so, wie es etwas später ein gerissener Engländer in Brasilien mit dem Gummi tat – auch ganze Weihrauchpflanzen und Weihrauchsamen. Aber diese Rechnung ging offensichtlich nicht auf; die Pflanzen gingen ein. Die Samenkapseln des Weihrauchbaumes fanden sich ein paar tausend Jahre später im fürs Jenseits bestimmten Reisegepäck der hohen Dame wieder.

Der Reiseberichterstatter der denkwürdigen See-Expedition nach dem Puntland hielt auf seinen Papyri anscheinend nicht nur historische Fakten, sondern auch Kurioses fest, z. B. den Umfang des werten Gesäßes der Königin von Punt. Dieser war wohl so imposant, dass er im Mausoleum der Hatschepsut hieroglyphisch für die Nachwelt festgehalten wurde. Die Sorge der Fettleibigkeit haben die heutigen Bewohner von Puntland, die Somalier, sicher nicht mehr. Dafür aber jede Menge andere…


Seemann, deine Heimat ist das Meer – Teil 2

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