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HEILIGE BÄUME UND BAUMVÖLKER – DAS BEISPIEL DER EIBE

Eines der unsichtbaren Bande des Menschen zum Baum wurde in der Vergangenheit in den Bereichen der Magie, der Religion und des geistigen Lebens gewoben und liegt damit jenseits »moderner« Vorstellungen. Objektiv betrachtet und unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Fakten stoßen wir dabei jedoch nicht nur auf primitiven Aberglauben, sondern auch auf tatsächliche Erkenntnisse mit zum Teil rätselhaftem Charakter. Dies lässt sich am Beispiel einer europäischen Baumart aufzeigen, die auch heute noch geheimnisumwoben ist: die Eibe (Taxus baccata L.).

Die größten und ältesten Eiben finden sich derzeit im britischen Raum. Diese beachtenswerten Exemplare sind eng mit der keltischen und vorkeltischen Kultur verbunden, von der uns heute noch die megalithischen Stätten, Ortsnamen und Elemente der Mythologie geblieben sind. Die historischen und ethnologischen Dokumente zeugen von einem weit verbreiteten Kult um die Eibe, der in Zusammenhang mit magischen Praktiken stand. In manchen Regionen wird zusätzlich der Gebrauch der Eibe im Rahmen der Volksmedizin erwähnt.

___ Beziehungsebenen

Versuchen wir uns ein Bild von der Beziehung zwischen dem Menschen und dieser besonderen Baumart zu machen, das über die rein materielle Ebene hinausgeht. Im Lauf der menschlichen Kulturgeschichte gab es gewisse Aspekte, die für den Menschen genauso wichtig wie die Befriedigung der Grundbedürfnisse, also Ernährung, Jagd, Arbeit, Wohnung oder Kriegsführung waren: die Erhaltung der Gesundheit, die Pflege oder Steigerung des Wohlbefindens und der Lebenskräfte; das Achten auf seelische Empfindungen wie Freude, Leid, Geborgenheit, die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und des sozialen Zusammenhalts; die Zughörigkeit zu einer geistigen Welt in Verbindung mit dem Geheimnis des Todes und des Glaubens an ein Weiterleben der Seele im Jenseits – einer gottesnahen Welt, die in der »beseelten« Natur und im ganzen Universum für den Menschen einen Ausdruck fand.


Eiche in Saint-Pée-sur-Nivelle (französisches Baskenland) von beeindruckenden Ausmaßen, üppig von Efeu (Hedera helix) überwuchert und voller Leben: Diesem Baum mit seiner eigentümlichen Ausstrahlung hätte man in der Vergangenheit vermutlich den Status »heilig« verliehen. Werden wir ein solches Wesen in der Zukunft genauso respektieren, wie es unsere Vorfahren taten? (Foto A. Hemelrijk)

Wenn wir uns der Eibe unter diesen Gesichtspunkten weiter annähern, führt uns das zur Betrachtung der Bereiche Religion, Mythologie und alte Bräuche. Im Folgenden wird versucht, bestimmte Aspekte dieses Themas unter Einbeziehung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Bäume allgemein und die Eibe im Besonderen zu interpretieren.

___ Die ältesten Eiben

Die besondere Rolle, die Eiben früher gespielt haben, und die außergewöhnliche Erscheinungsform mancher Eiben in England, Schottland, Irland, der Normandie und in der Bretagne veranlassen uns, die Vorstellung, die wir bisher von der Lebensdauer dieser Baumart hatten, nochmals zu überdenken.


Junge Eibenzweige (Taxus baccata), an denen sich gerade fünf Arillen ausbilden. (Foto W. Arnold)

Die Eibe in Kürze

Durch die dunkelgrünen Nadeln, die in zwei Reihen am Zweig angeordnet, aber leicht nach unten gedreht sind, ähnelt die Eibe sehr der Weißtanne. Im Gegensatz zu dieser gehört der 5 bis 15 Meter hoch wachsende Baum jedoch nicht zur Gruppe der Koniferen, weil er einzelne Samen mit einem fleischigen roten Samenmantel umhüllt, Arillus genannt. Auch ist die Eibe in der Regel kein harzführender Baum, da in ihrem normal wachsenden Holz keine Harzkanäle angelegt sind (außer im Fall von Verletzungen). Der einzige nicht giftige Teil dieses Baumes ist der süßlich schmeckende Arillus, aus dem sich nach Entfernen der Samen auch Marmelade kochen lässt.

Obwohl wir hier unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf noch lebende Eiben lenken werden, sei daran erinnert, dass das älteste Holzobjekt, das vom Menschen (dem Neandertaler) bearbeitet wurde, eine im Feuer gehärtete Speerspitze aus Eibe war. Sie wurde in den Moorgebieten nahe Clacton-on-Sea in Essex, England, ausgegraben und auf ein Alter von 350000 Jahren datiert (mittleres Pleistozän, Holstein-Warmzeit). Ein anderes Beispiel ist eine 2,40 Meter lange Eibenlanze, die noch in der Flanke eines Europäischen Waldelefanten (Elephas antiquus) steckend in Lehringen in Niedersachsen gefunden und auf 120 000 Jahre datiert wurde.

Wenn man die spektakulären Eiben der genannten Länder genauer betrachtet, erkennt man eine enge Bindung dieser Art an die keltische und vorkeltische Kultur. Dabei stoßen wir tatsächlich zu unseren tiefsten, fast schon vergessenen Wurzeln vor.

Der englische Autor Allen Meredith hat (in CHETAN/BRUETON 1994) ausführlich dargestellt, dass unsere ältesten Eiben aus vorchristlicher Zeit stammen und dieses hohe Alter ihrer religiösen Bedeutung verdanken, da sie als Bestanteil heiliger Stätten eine Art Schutz genossen. In jahrelanger Arbeit hat er die besonderen Eiben, die an Kirchen und auf Friedhöfen wachsen (churchyard yews) und einige bemerkenswerte frei stehende Eiben untersucht. Diese den Menschen sehr nahe stehenden Bäume wurden unter Zuhilfenahme historischer Dokumente messtechnisch erfasst. Folgende Schlüsse hat der Autor daraus gezogen:

– Die ältesten Eiben haben dank der großen Ehrfurcht überlebt, die man ihrer Symbolik entgegenbrachte, oder vielleicht auch, weil sie als besondere Lebewesen zum Schutz der Tempel in vorchristlicher Zeit dienten. In diesem Zusammenhang übernahmen Missionare häufig heilige Orte von vorher ausgeübten Religionen. Dies lässt sich analog am Beispiel des Ginkgos (Ginkgo biloba) im Fernen Osten beobachten, der dort als heiliger Baum bis vor Kurzem nur innerhalb buddhistischer Tempel zu finden war. Eine weitere Gemeinsamkeit von Eibe und Ginkgo besteht in ihrer Phylogenese: Sie hatten ihre Blütezeit im Lauf der Pflanzenentwicklung noch vor den Koniferen und noch viel weiter vor den heutigen »modernen« Laubgehölzen.

– Das älteste historische Dokument, welches das Pflanzen einer Eibe datiert, nennt das Jahr 894 in Buttington, Powys (Wales). Diese Pflanzung erinnert an die Schlacht von Buttington 893, bei der eine Allianz aus Angelsachsen und Walisern den Sieg über die angreifenden Wikinger davontrug. Heute, gut 1120 Jahre später, hat das Exemplar einen Umfang von 8,21 Metern, gemessen 30 Zentimeter über dem Boden (der Durchmesser beträgt 2,6 Meter).

– Eine andere Eibe an der Dryburgh Abbey in Schottland demonstriert, wie langsam das Wachstum unter Umständen vor sich geht. Tatsächlich hat sie seit ihrer Pflanzung im Jahr 1136 bis zur letzten Messung 1988 (nach 852 Jahren) nur einen Umfang von 3,84 Metern und damit einen für diesen Zeitraum »winzigen« Durchmesser von 1,22 Metern erreicht.

– Zusätzlich zu diesen schon sehr beeindruckenden und überraschenden Bäumen, die mit echten »Geburtsurkunden« ausgestattet sind, haben noch viele andere Exemplare überlebt, die aus viel ferneren Zeiten stammen. So zählt Meredith auf:

– 48 Eiben mit einem Umfang von 9 bis 10,5 Metern, Durchmesser bis zu 3,4 Meter.

– 7 Eiben mit einem Umfang von 10,5 bis 12 Metern, Durchmesser bis zu 3,9 Meter.

– 5 Eiben mit einem Umfang über 12 Meter, bei einem Exemplar sogar 17,1 Meter, der Durchmesser beträgt hier 5,4 Meter.

Zu Letzteren gehört als mächtigste die berühmte Eibe von Fortingall, die im geografischen Zentrum Schottlands wächst. In ihrem Stamm bildete sich mit der Zeit ein Hohlraum, der zu einer Aufspaltung in zwei deutlich voneinander getrennte Teile führte. Auf früheren Darstellungen sind diese noch miteinander verbunden. In der Abbildung oben ist diese Verbindung bereits nicht mehr erkennbar. Natürlich stellt sich die Frage: Wie alt ist so eine Eibe? Meredith versucht, dies durch die Analyse alter Aufzeichnungen über die churchyard yews zu beantworten, in denen häufig Messungen dokumentiert sind. Für die Eibe stellt sich heraus, dass mit zunehmendem Alter das jährliche Wachstum zurückgeht.


Die Eibe auf dem Friedhof von Fortingall, Tayside, Schottland. (Zeichnung G. Bergmann nach einer anonymen Darstellung in CHETAN/BRUETON 1994)

Alte Eiben zeigen demnach oft einen jährlichen Umfangszuwachs von nur noch einem halben Zentimeter, wie im Fall der erwähnten Dryburgh-Eibe. Einige vital aussehende Exemplare zeigten im Verlauf der letzten Jahrhunderte überhaupt keinen äußeren Stammzuwachs mehr. Laut Meredith ist das darauf zurückzuführen, dass der Stamm einerseits hohl und andererseits am Aufbau von einer oder mehreren inneren »Luftwurzeln« beteiligt ist. Botaniker erklären das mit der Bildung neuer senkrechter Triebe im Kronenbereich (sogenannte Reiterationen), die mit eigenen Wurzeln ausgestattet sind und sich allmählich zu einem inneren »Sekundärstamm« ausbilden. Dieses Wachstumsphänomen, bei dem sich innerhalb des eigenen morschen Holzes junge Wurzeln bilden, ist in begrenztem Umfang zum Beispiel auch von Pappel, Weide und Esskastanie bekannt. Aus diesen inneren Wurzeln entwickelte sich bei der Eibe in Linton, Hereford, ein sekundärer innerer Stamm, umgeben vom ursprünglich hohlen Schaft, dessen Umfang 10 Meter beträgt bei einem Durchmesser von 3,2 Meter.

Die Ursache für das schwache Dickenwachstum ist vermutlich das Phänomen der nur teilweise vorhandenen oder ganz fehlenden Jahresringe. Das bedeutet, dass während der Vegetationsperiode kein neues Holz gebildet wird. Es tritt bei sehr schwachwüchsigen Bäumen auf, bei denen Krone und Wurzeln sich noch weiterentwickeln, das Kambium (wo das Dickenwachstum entsteht) in den unteren Stammbereichen gleichzeitig aber nicht mehr aktiv ist.

Diese speziellen Vorgänge, zu denen noch die Fähigkeit kommt, dass die unteren Zweige bei Bodenkontakt neue Wurzeln (Absenker) ausbilden können, ihre bemerkenswerte Vitalität und das Fehlen ernsthafter Schädlinge lassen die Eibe als unsterblichen »Lebensbaum« erscheinen. Das ergänzt oder korrigiert das immer noch verbreitete Bild vom »Totenbaum«.

___ Wahre Baumriesen

Die bemerkenswertesten Eiben in England und Frankreich

(mit über 10 Meter Umfang)

OrtGrafschaftUmfang (ft)Umfang (m)Durchmesser (m)
AshbrittleSomerset3811.63.7
Bettws NewyddGwent3310.13.2
ClunShropshire3310.13.2
Cold WalthamSussex3310.13.2
DefynnogBrecon4012.23.9
DiscoedPowys3711.33.6
FortingallTayside5617.15.4
HambledonSurrey3510.73.4
LintonHereford3310.13.2
LlanerfylPowys3510.73.4
LlanfaredPowys3611.03.5
PayhemburyDevon4614.04.5
TandridgeSurrey3611.03.5
UlcombeKent3510.73.4
La Haye de Routot (Hohler Baum mit innenliegender Kapelle)Normandie (Frankreich)3711.33.6
(CHETAN/BRUETON 1994)

Bei prähistorischen Eiben ist es demnach nicht möglich, ihr Alter anhand einer Wachstumskurve über den Zeitraum vom Mittelalter bis heute zu extrapolieren. Allen Meredith schätzt das Alter der zuletzt beschriebenen Eibe von Linton auf 4000 Jahre. Ein Alter, das fast an das der berühmten Kiefern der Rocky Mountains Nordamerikas herankommt. Die dort wachsenden Langlebigen Grannen-Kiefern (Pinus longaeva, Bristlecone pine) wurden in den letzten Analysen auf über 5000 Jahre datiert. Die Eibe von Fortingall, eineinhalb mal so breit wie die von Linton, könnte laut Meredith gut 5000 Jahre alt sein und damit zu den ältesten Bäumen der Erde zählen, der noch dazu Zeuge menschlicher Zivilisation wurde.

Sehr wahrscheinlich waren diese prähistorischen Eiben schon Bestandteile keltischer Tempel und zeitlich noch älterer megalithischer Stätten der Protokelten mit ihren exakt nach astronomischen und tellurischen Perspektiven aufgestellten Menhiren. Die weiblichen Eiben (die sich von den männlichen biologisch unterscheiden) befanden sich an den Südseiten der heiligen Stätten, die männlichen auf den Nordseiten. Zudem bei Tempelruinen fanden Archäologen auch Reste von Alleen in Ost-West-Ausrichtung. Diesen Bäumen sagt man auch eine Verbindung zu heiligen Quellen nach, wie beispielsweise zum Chalice Well (Kelchquelle) im berühmten Glastonbury, wo ihr Wachstum im Lauf der Zeitgeschichte anscheinend nie unterbrochen wurde. Archäologen fanden dort in 3,5 Meter Tiefe den Stumpf einer Eibe, die circa 300 Jahre v. Chr. gelebt haben muss. Dieser Rest lag in der gleichen Linie wie die noch heute dort wachsenden Eiben und war vermutlich Bestandteil eines alten rituellen Weges durch das kleine Tal.

___ Megalithische Kultstätten

Die ersten heiligen Eiben gehören also zu Tempelbauten, die im Allgemeinen aus Menhiren mit einem Gewicht bis zu 350 000 Kilogramm errichtet wurden und ungefähr aus der Zeit um 3000 Jahre v. Chr. stammen. Ihre Anordnung folgt sehr genauen astronomischen Beobachtungen. Ein Steinkreis wie der von Callanish auf der Insel Lewis in Schottland, das »Stonehenge des Nordens«, ist genau nach dem Sonnenauf- und -untergang zur Sommer- und Wintersonnenwende und zu den Tagundnachtgleichen ausgerichtet.

Er ist auch auf den 18,6-jährigen Zyklus der Rotation der Mondknoten in der Ekliptikebene hin gebaut, am nördlichsten Punkt, von dem aus man dieses Phänomen noch beobachten kann. Ähnliche astroarchäologische Untersuchungen wurden in der Schweiz an der megalithischen Stätte von Planezzas bei Falera in Graubünden gemacht. Geländevermessungen zeugen von der hohen Komplexität dieses Systems. An dieser alten Kultstätte befindet sich heute die Kirche Sogn Rumetg, wobei hier die christliche Religion die Spuren der Vergangenheit beibehalten hat, praktisch ohne einen Schaden anzurichten. Ein ähnliches System aus der Zeit des dritten vorchristlichen Jahrtausends wurde 1986 in Yverdon, am Ufer des Neuenburger Sees freigelegt und restauriert. Auch hier erfolgt die Anordnung nach strengen Linien und Halbkreisen. Der Name »Yverdon« kommt aus dem Keltischen und wurde im Lateinischen zu Eburodunum, »Eibenhügel«; nicht weit von dort liegt am See der Ort Yvonand, »Eibental«.


Die Menhire von Yverdon, Eburodunum, Waadt. (Zeichnung G. Bergmann)

In ihrem 2005 erschienenen, aber praktisch unbeachteten Werk zeigen John Burke und Kaj Halberg auf der Basis systematischer Messungen, dass Lage und Gestaltung megalithischer Stätten in einem Zusammenhang mit dem Magnetfeld der Erde und ausgeprägten geologischen Verwerfungen stehen. Ihre Messungen umfassten Geomagnetismus (mithilfe eines Magnetometers), elektrische Erdströme (mithilfe von Masseelektroden) und den elektrischen Ladezustand der Luft, der den Ionisationsgrad spiegelt (mittels eines elektrostatischen Voltmeters). Besondere Messwerte können über geologischen Verwerfungen beobachtet werden oder dort, wo zwei unterschiedliche Felsenformationen dicht aneinander liegen, wodurch örtlicher Geomagnetismus und Abgabe elektrischer Ladung an die Luft messbar werden.

Es stellt sich wieder einmal die Frage nach der genauen Funktion, welche die Reihen bestimmter Baumarten im Zusammenhang mit den vom Menschen angelegten erstaunlichen Kultstätten erfüllten.

___ Die Kultur der Kelten und ihre Spuren in der Ortsnamenkunde

Die vorkeltische Zeit hat uns lediglich riesige Steine hinterlassen. Von den Kelten sind uns Ortsnamen geblieben und, was jene selbst betrifft, Berichte und Beschreibungen griechischer und römischer Schriftsteller. Später waren es Mönche der nordischen Tradition, welche die mündlichen Überlieferungen, Mythen und Legenden der keltischen oder skandinavischen Heldensagen schriftlich zusammengetragen haben.

Zu ihrer Blütezeit (während der Hallstattzeit oder der ersten Eisenzeit, gegen 900–450 v. Chr., die der Latènezeit vorausgeht), waren die Kelten über ein riesiges Areal verbreitet. Vom Rhein-Donau-Gebiet erstreckte es sich nach Westen bis Gallien, Galizien und Portugal; im Osten bis Galatien (dem heutigen Zentralanatolien – daher der Brief des Apostels Paulus an die Galater), im Süden bis zur Poebene und im Norden bis Wales, England, Schottland und Irland. Die keltische Bevölkerung bestand überwiegend aus Ackerbauern und Viehzüchtern, die für den Reichtum, die Vielseitigkeit und die Qualität ihrer Produktion bekannt waren. Ihnen ist auch eine ganze Reihe technologischer Erfindungen zu verdanken. Die auffälligste davon ist eine Erntemaschine, die in der Gegend um Reims und Trier entwickelt wurde, während man überall sonst während des Altertums mit der Sichel erntete. Plinius der Ältere hatte diese Maschine bereits erwähnt, ihre Darstellung wurde erst viel später an zwei Skulpturen wieder gefunden.

Der Stellenwert der Eibe für die keltische Kultur zeigt sich unmittelbar in der Ortsnamensgebung. Wie schon bezüglich Yverdon erwähnt, stammt der französische Name If für »Eibe« aus dem gallischen eburos, ibor oder auch ivos. Dieselbe Wurzel ist im irischen Begriff eo, dem hochdeutschen iwa, dem bretonischen ivin und dem normannischen i erkennbar.

Einigen Autoren zufolge muss die Bedeutung des Wortes im Sinn von »überleben», »überdauern« gesehen sein. Nicht nur viele Orte keltischen Ursprungs sind nach der Eibe benannt – wie in den beiden erwähnten Fällen –, sondern auch die Benennung ganzer Stämme dieses Volkes zeugt von einem spezifischen Kult um die Eibe. So beispielsweise die Eburonen (Eibenmänner) in Belgien oder die Eburovices (Eibenkrieger), deren Hauptstadt Evreux im aktuell Eure genannten Departement liegt. Alle diese Namen stammen vom selben Wortstamm ab, wie auch die Iverni im Süden Irlands. Der erste Grieche, der die Meere Nordeuropas von Massalia aus (dem antiken Marseille) erkundete, der Kaufmann, Forscher und Geograph Pytheas (ca. 350–385 v. Chr.) schrieb, dass man das Land der Iverni Ierne nannte. Im Übrigen ist allgemein bekannt, dass in Irland vor den Rodungen im Mittelalter ausgesprochen viele Eiben wuchsen. Analog zu den Eibenvölkern waren die Lemovices die Ulmenkrieger (wissenschaftlicher Name der Ulme: Ulmus), in der Region des Limousin zu Hause, wo Ortsnamen wie Limoges oder Limeil ebenfalls von Zugehörigkeit zur Ulme zeugen (siehe Verbreitungskarte der Kelten).

»Eibe« ist vermutlich auch der Ursprung von »Iberia«, das vom altspanischen ibe abstammt; vielleicht trifft das ebenso für den Fluss Ebro zu, dessen Quelle nahe der Nordküste liegt und sogar für den Tajo (tejo, teixo, teix sind spanische Namen für die Eibe), einen Fluss, der dem Iberischen Gebirge entspringt, das früher von den Keltiberern besiedelt war. Aufgrund der ozeanischen Feuchtigkeit war der Anteil der Eibe in den nordspanischen Wäldern nachweislich sehr hoch, mit einem Maximum im Zeitraum von 6000 bis 3000 v. Chr., ehe durch Übernutzung ein Rückgang einsetzte. Reste dieser sehr alten Bestände sind zum Beispiel von dem spanischen Eiben-Spezialisten Ignacio Abella beschrieben worden. Ihm zufolge hat sich in bestimmten lokalen Gemeinschaften eine Form von Verehrung für diesen Baum gehalten.

Im äußersten Südosten Europas, im aktuellen Gebiet Georgiens und Armeniens, erstreckte sich während der Römerzeit und im Mittelalter ein iberisches Königreich, dessen Name offensichtlich ebenfalls auf die Eibe zurückgeht. Tatsächlich kommt der Baum im heutigen Kaukasusgebirge noch sehr häufig vor.


Einige Stämme der Kelten in Gallien zu römischer Zeit unter Hervorhebung der Eburonen, Eburovices und Lemovices. (Zeichnung D. Rambert nach DE VRIES 1977)


Auch diese Buche scheint den Himmel auf ihren ausgestreckten Ästen zu tragen: Damit er uns nicht auf den Kopf fällt? Wir werden später noch sehen, dass sie von dort tatsächlich Nährstoffe bezieht und ihre Rhythmen sich an denen des Himmels orientieren. (Foto A. Hemelrijk)

Der alte Name von York (nahe an yew, dem englischen Namen für »Eibe«) war Eborakon und steht in Zusammenhang mit einem keltischen oder präkeltischen Kult, welcher der Eibe gewidmet war. Dieser Baum ist auch heute noch in den Wappen von New York präsent. Die heilige Insel Iona in den Hebriden steht vermutlich auch in direkter Verbindung mit ihm. Columban hat sie zu Beginn des Christentums zu einem spirituellen Zentrum gemacht, ehe er Zentraleuropa christianisierte. Während seiner Reise, die ihn durch die Ostschweiz führte, benannte er vermutlich auch den nahe am Zürichsee gelegenen Ort Iona. In ihrem Buch »The sacred Yew« stellen die Autoren Chetan und Brueton eine Verbindung vom Uetliberg nahe Zürich zum Eibenkult her. Dort ganz in der Nähe, in Horgen, führten kürzlich gemachte archäologische Ausgrabungen zur Entdeckung von Eibenpfählen, die aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. stammen.

In Irland waren zwei der fünf heiligen Bäume mit Sicherheit Eiben, wenn nicht sogar alle fünf. Bei den Kelten waren heilige Bäume oder Wälder höher angesehen als die mit eigenen Händen erbauten Gebäude: Für einen König und seinen Stamm gab es keine größere Katastrophe als eine Invasion in das Stammesgebiet und das Fällen der heiligen Bäume. Die irischen Jahrbücher berichten von einem Fall, wo für einen solchen gefällten Baum 3000 Kühe als Reparationsleistung ausgeliefert werden mussten.

Parallel zu den Kelten räumt die nordische Tradition (skandinavisch-germanisch) in ihren Mythen, die in den Eddas gesammelt sind, der mächtigen Yggdrasil, der Weltenesche, die sich mit ihrem immergrünen Laub über den Urd-Brunnen erhebt, einen zentralen Platz ein. Mehrere Kommentatoren stellen die Bezeichnung der Yggdrasil als »Weltenesche« infrage: Ihr Name könnte »Eibensäule« bedeuten. Laut dem Bericht des Missionars Adam von Bremen stand neben dem berühmten Tempel von Uppsala, Schweden, ein immergrüner Stellvertreter für den Weltenbaum, »ein riesiger Baum, die Äste weit ausbreitend, er ist immergrün im Sommer und im Winter«. Dieser Baum wurde im Lauf der Christianisierung gefällt. Nach Auffassung verschiedener Autoren und in der öffentlichen Meinung kann dies nur ein immergrüner Baum mit Nadeln gewesen sein – eine Eibe.

Die Ähnlichkeiten zwischen dem nordischen Weltenbaum Yggdrasil und dem Weltenbaum, der auf eine schamanische Vision im Amazonasgebiet zurückgeht (siehe Abbildung Seite 36), lassen sich nicht durch direkte oder indirekte kulturelle Einflüsse erklären. Vermutlich liegen die Ursprünge eher in einer allen Menschen gemeinsamen psycho-spirituellen Veranlagung, die durch weltweit gültige Archetypen zum Ausdruck kommt, wie Carl Gustav Jung (1875–1961) sie beschrieben hat. Die Riesenschlange, die mit dem Baum dargestellt ist, erinnert an den rätselhaften Ouroboros, die Riesenschlange, die sich in den Schwanz beißt (sich selbst verzehrt) und einen geschlossenen Kreis bildet. Dieser erscheint auch schon in der alten ägyptischen Ikonografie und später zum Beispiel auf einer Bronzescheibe aus dem alten Benin (Afrika), zwischen der Erde und dem Tierkreis am Himmel eingerollt.

Erinnern wir in diesem Zusammenhang an den heiligen Baum der Haidas an der Küste von British Columbia, der tragische Berühmtheit erlangte. Der »Goldene Baum« war ein einmaliges Exemplar der Sitka-Fichte (Picea sitchensis), 300 Jahre alt, 50 Meter hoch und komplett mit leuchtend goldenen Nadeln bedeckt, vermutlich aus einer speziellen Mutation entstanden. In einer paradoxen Geste wurde sie 1997 von einem erfahrenen Holzfäller mit der Motorsäge gefällt. Der Verursacher dieses Verbrechens wollte damit gegen die scheinbar unabwendbare Vernichtung der Urwälder protestieren, indem er die Gemeinde vor Ort in Bestürzung versetzte.

Yggdrasil, die Darstellung wird Oluf Bagge zugeschrieben. Eine riesige Meeresschlange um den Baumstamm herum grenzt die bekannte Welt vom Jenseits Midgard ab. Am Fuß des Baumes entspringt die Quelle der Urd, einer der drei Nornen, welche die Fäden des Schicksals spinnen. (Nachzeichnung D. Rambert)


Weltenbaum, wie er von einem Schamanen aus dem Amazonasgebiet nach dem Gebrauch von Ayahuasca beschrieben wird: Um die Stammbasis, die gleichzeitig die Quelle der Flüsse Ukayali und des Amazonas ist,wickelt sich eine Riesenwasserschlange, die Anakonda. (Nachzeichnung D. Rambert nach NARBY 1995)

Nationalbäume

Es ist nicht einmal allen Brasilianern bewusst: Der Name ihres Landes geht auf einen sinnbildlichen Baum zurück, das Pao Brasil, das Brasilholz (Caesalpinia echinata, Pernambuk oder Pernambukholz – nach dem Namen der Region, wo der Baum früher sehr häufig vorkam). Dieser Baum der Mata Atlantica (der tropische Regenwald der Atlantikküste) wurde leider gnadenlos ausgebeutet: als Färberpflanze, da das Holz einen rotbraunen Farbton liefert, und für die Fabrikation von Geigenbögen, für die es aufgrund seiner extremen Zähigkeit sehr begehrt ist. Der Libanon hingegen zeigt seinen Nationalbaum auf der Flagge: Es handelt sich um die Libanonzeder (Cedrus libani), die auf weißem Grund zwischen zwei waagerechten roten Streifen abgebildet ist. Die Zeder gilt als Symbol von Heiligkeit, Ewigkeit und Frieden. Als Symbol für Langlebigkeit taucht sie in der Bibel an 77 Stellen auf. Alphonse de Lamartine (1790–1869), der während einer gemeinsam mit seiner Tochter verbrachten Orientreise vom Anblick dieses Baumes verzückt war, sagt darüber: »Die Zedern sind Jahrhunderte alte Reliquien der Natur, die berühmtesten Naturdenkmäler des Universums. Sie wissen mehr von der Geschichte der Erde als die Geschichte selbst.« Auf der zypriotischen Flagge sieht man zwei gekreuzte Ölbaumzweige (Olea europaea), die den Frieden zwischen Griechen und Türken symbolisieren. Auf der Flagge der Vereinten Nationen umschließen die Ölbaumzweige ihrerseits das zentrale Motiv. Dieser Baum, den nach der griechischen Mythologie die Göttin Athena aus der Erde holte, ist seit der Antike das Symbol Athens und steht für Kraft und Sieg, Weisheit und Treue, Unsterblichkeit und Hoffnung, Reichtum und Überfluss. Das Symbol Kanadas ist das Ahornblatt. Die Flagge ist rot mit einem weißen Rechteck in der Mitte, auf dem ein rotes Ahornblatt mit elf Spitzen stilisiert ist, weshalb sie auch Unifolié (»die Einblättrige«) oder The Maple Leaf Flag (»Die Ahornblattflagge«) genannt wird. Seit dem 18. Jahrhundert diente dieser Baum als Symbol, mit dem man die Natur und Umwelt Kanadas verherrlichte. Beim weltberühmten flammenden Schauspiel der Blätter im Herbst spielt er eine der Hauptrollen.

Weiter wären noch der Hibiskus zu nennen (Hibiscus rosasinensis), die Nationalblume von Malaysia, wo sie Bunga Raya heißt, oder der Banyanbaum (Ficus benghalensis), der auf der indonesischen Flagge abgebildet ist, wie auch der »Baum der Reisenden« aus Madagaskar (Ravenalapalme, Ravenala madagascariensis) mit den weit aufgefächerten Blättern und schließlich der Frangipani (Plumeria alba), ein kleiner Baum, auch Tempelblume genannt, der von den Antillen stammt. Die Blume mit einem »paradiesischen Duft mit goldener, betörender Note« ist das Nationalsymbol von Nicaragua und Laos, wo der Strauch eingeführt wurde.

___ Mythologische Überlieferung

In der keltischen Mythologie stehen alle äußeren Erscheinungen in Zusammenhang mit Dramen der göttlichen oder geistigen Welt. In dieser sehr komplexen Götterwelt spielt die Eibe häufig eine Rolle; die wichtigste vielleicht im Zusammenhang mit Scathach.


Schattenverträglichkeit der Eibe im Vergleich mit anderen heimischen Arten. Von oben nach unten: Birke (Betula pendula), Kiefer/Waldföhre (Pinus sylvestris), Stieleiche (Quercus robur), Hainbuche (Carpinus betulus), Fichte (Picea abies), Buche (Fagus sylvatica), Weißtanne (Abies alba) und Eibe (Taxus baccata). (Relative Werteskala nach RUBNER 1960; Zeichnung D. Rambert)

»Scathach, die ›Schattige‹ oder ›Dunkle‹, war eine große Waffenmeisterin in Alba (Schottland). Sie pflegt, in der Krone einer Eibe auf dem Rücken liegend, ihre beiden Söhne zu unterrichten. (…) Die Todesmutter liegt als Eibengöttin geschützt im Gezweig des heiligen Baumes« (CLARUS 1991).

Bei den Griechen und Römern hieß eine Gottheit mit ähnlicher Funktion Hekate (Göttin der schwarzen Magie und des Spuks) und auch ihr war die Eibe als Symbol des Todes und der Regeneration geweiht. In der römischen Tradition wurde die Eibe übrigens in Verbindung mit Saturn gebracht und ihre Zweige am Fest der Saturnalia verwendet. In einigen Überlieferungen wird die Eibe also mit den langsamen Rhythmen des Planeten Saturn in Einklang gesehen, der in der Astrologie als kalt und todesverwandt gilt.

Der Bezug der Eibe zur Dunkelheit liegt ursprünglich in der Natur dieser Baumart. Wenn man ihre Schattentoleranz mit derjenigen anderer Arten, wie der Birke, einer Lichtbaumart (heliophil), oder der als Schattenbaumart (sciaphil) geltenden Weißtanne vergleicht, so verträgt sie noch deutlich mehr Dunkelheit als letztgenannte.

Die Eibe scheint somit von einer anderen Welt zu stammen. Botaniker haben entdeckt, dass die Unterseite der Eibennadeln eine spezielle Struktur besitzt. Eine besondere Art der Zellanordnung reflektiert das Licht im Inneren des Gewebes, dadurch kann es von der Pflanze vollständig aufgenommen werden. Diese Fähigkeit, Licht zu »schlucken«, dürfte die Ursache für den oft als düster und unheimlich empfundenen Charakter von Eibenwäldern sein.

___ Das Wissen der Druiden

Von den Eiben verehrenden Kelten und besonders von ihren geistigen Führern, den Druiden, schrieb Vergil, dass sie innerhalb eines göttlichen Plans in Übereinstimmung mit der Natur lebten. Sie empfanden ein tiefes Mitgefühl für alles Lebende und betonten, dass der Mensch mit der Natur zusammenwirken muss. Die Druiden waren große Astronomen und richteten ihre kultischen Handlungen nach dem Himmelsgeschehen aus. Auch die Verrichtungen des täglichen Lebens mussten damit in Einklang geschehen. Die alten astronomisch und astrologisch geprägten Bauernregeln gehen wahrscheinlich auf ihre Beobachtungen und Angaben zurück. Ihr Kalender basiert nämlich auf der Mondperiodik, wie aus dem berühmten Fund von Cologny (Ain), der 1897 gemacht wurde, zu entnehmen ist. Hierbei handelt es sich um das älteste überlieferte Dokument in gallischer Sprache. Der Fund bestand aus den Fragmenten einer Bronzescheibe mit eingravierten lateinischen Buchstaben. Der Kalender nennt Mondmonate mit 30 (Matu/Maith) und mit 29 Tagen (Anmatu/Anmaith). Jeder Mondmonat ist unterteilt in eine erste Hälfte mit 15 als günstig angesehenen Tagen, auf die eine zweite Hälfte mit 15 oder 14 ungünstigen Tagen folgt.

Dass die eng mit Tempelanlagen verbundene Eibe, wie alle anderen Bäume auch, tatsächlich im Einklang mit besonderen astronomischen Rhythmen stehen könnte, erweist sich als immer plausibler: Subtile, exogene Rhythmen wurden schon bei mehreren Baumarten entdeckt und beschrieben. Zum Beispiel konnte unter relativ konstanten tropischen Bedingungen in einem mehrjährigen Versuch gezeigt werden, dass bei verschiedenen Baumarten die Keimrate und Keimgeschwindigkeit ebenso wie das Wachstum in den ersten Monaten mit den Mondphasen übereinstimmen, die sich dem Lauf der Jahreszeiten überlagern.

Im Übrigen konnten mithilfe moderner statistischer Analysemethoden Auswirkungen von astronomischen Langzeitrhythmen beobachtet werden. Es handelt sich um die Jahresringbildung, die bei mehreren Baumarten synchron mit dem Elf-Jahre-Zyklus der Sonnenfleckenaktivität verläuft. Dieser Zyklus wird von manchen Astronomen als »Planetengezeiten« betrachtet: Er hängt nämlich mit dem Umlaufrhythmus von Jupiter und Venus zusammen. In diesem Zusammenhang kam eine genaue Analyse der Eigenschaften, die Holz in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Fällens aufweist, zu dem Ergebnis, dass es eine signifikante Variabilität gibt, die von den Konstellationen der Tierkreiszeichen abhängt, in denen der Mond steht. Dies würde bedeuten, dass die merkwürdigen alten »Regeln nach den Tierkreiszeichen« tatsächlichen Naturphänomenen entsprechen und objektiv sowie quantifizierbar sind.

In seiner jüngst veröffentlichten Monografie über den Saft der Eibe (»La Savia del Tejo«, 2015), beobachtet David Matarranz eine erstaunliche Variabilität des Saftes dieser Baumart; dies betrifft Farbe, Geruch, Geschmack und Konsistenz. Der Autor behandelt ausführlich die Mondphasen als einen der beeinflussenden Faktoren dieser Flüssigkeit, die früher vermutlich für bestimmte Zwecke genutzt wurde. Die Verehrung, die diese Baumart in prähistorischen Zeiten genoss, bekommt hier einen zusätzlichen Aspekt.


Druiden galten auch als Magier, die das Wetter beeinflussen konnten – eine Praxis, die sich in den Ritualen der Regenmacher bis heute gehalten hat –, und fähig waren, die Zukunft zu deuten. Dazu benutzten sie Eibenstäbe mit Inschriften aus der alten irischen Ogham-Schrift. In dieser Schrift, auch »Baumalphabet« genannt, wird jeder Vokal oder Konsonant durch eine Baumart dargestellt. Die Eibe (Abbildung links oben) steht hier zentral für den Vokal i.

Das Wahrsagen nach derselben Methode praktizierten auch die Germanen, manchmal mit Eiben- oder sonst mit Buchenstäben, die mit der alten germanischen und skandinavischen Runenschrift versehen waren. (Abbildung links unten: das Runenzeichen für Eibe.)

In der Magie und bei der Einflussnahme auf psychologische Vorgänge hat die Eibe eine ganze Reihe von Funktionen übernommen. Sie dient als Zauberstab, als Wünschelrute für verlorenes Gut, als Schutz vor bösen Geistern, zur Vollendung einer unmöglichen Liebe (nach dem Tod begegnen sich Tristan und Isolde als zwei Eiben, die aus ihrem Grab wachsen), zur Verleihung der Hellsichtigkeit: als Bestandteil der Paste für das dritte Auge bei den Hindus oder als psychotrope Droge.

Um die Bedeutung dieser letzten Dimension ermessen zu können, sei daran erinnert, dass die Wirkung von Eibenduft oft als gefährlich galt. Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) erwähnt in seiner »Historia Naturalis« (Buch 16, Kapitel 20), dass das Gift der Eibe in Arkadien (im Zentrum der Peleponnes) so wirkungsvoll war, dass Leute, die sich darunter ausruhten oder schliefen, starben. Interessantes Detail: Derselbe Autor berichtet davon, dass ein Kupfernagel, der in den Stamm geschlagen wird, die Pflanze unschädlich macht.

Auf andere scheint dieser Baum eine betörende Wirkung auszuüben; es wird von tranceartigen Zuständen berichtet. Möglicherweise wurde diese Eigenschaft von den Druiden zum Erreichen besonderer Bewusstseinszustände genutzt. Ein deutscher Medizinprofessor aus Greiz, Dr. Albert Kukowka (zitiert in DUMITRU 1992), entdeckte diesbezüglich, dass die Eibe an heißen Tagen in ihrem Schatten ein gasförmiges Alkaloid produziert, das Halluzinationen auslösen kann. Bei ihm führte es zunächst zu alptraumhaften Visionen in Verbindung mit Unwohlsein und es kam im weiteren Verlauf zu großer Euphorie, mit der Vorstellung eines paradiesischen Reiches und der Wahrnehmung himmlischer Musik, begleitet von unsagbaren Glücksgefühlen. In diesem Zusammenhang hat Fred HAGENEDER, Autor einer äußerst bemerkenswerten Monografie über die Eibe (2007), eine enorme Variabilität bezüglich der chemischen Zusammensetzung (dem Gehalt aktiver Substanzen) festgestellt: Sie variiert in Abhängigkeit vom Entnahmezeitpunkt, den Standorten und von Baum zu Baum. Er berichtet von einer interessanten Tatsache, die Parallelen zur Erfahrung von Dr. Kukowka zeigt: In vier durch Eibengift verursachten Todesfällen – die Substanzen wirken bis hin zu einer Atemlähmung – konnte bei den Opfern »ein besonders heiterer Gesichtsausdruck« beobachtet werden.

Die Druiden, die sich einer Ausbildung von bis zu zwanzig Jahren unterzogen, waren auch hervorragende und anerkannte Ärzte. Sie praktizierten unter anderem die Trepanation, bei welcher der Schädel angebohrt wird, erfolgreich, wie Knochenfunde mit Narbenspuren beweisen. Die Pflanzenheilkunde war für sie ein wichtiges Wissensgebiet. Wozu sie die berühmte, nach Mondstand geschnittene Eichenmistel verwendeten, ist nicht mehr bekannt. Jedenfalls wird heute die Mistel als homöopathisches Mittel bei der Krebsbehandlung eingesetzt. In diesem Zusammenhang hat die Eibe seit alters her, vermutlich auf diesen verloren gegangenen Kenntnissen basierend, eine breite volkskundlich-medizinische Verwendung gefunden. Bei dieser hoch wirksamen und primär giftigen Pflanze wird allerdings vor Experimenten gewarnt. Die Tabelle oben veranschaulicht die breite Palette der Anwendungsmöglichkeiten dieser Baumart früher und heute. Über die neueste Entdeckung des krebshemmenden Eibenwirkstoffes wurde viel berichtet. Nur eine Zahl dazu: Mehr als 130 000 Pflanzen- und Tierextrakte wurden vom amerikanischen National Cancer Institute zwischen 1960 und 1981 systematisch an Krebszellenkulturen getestet. Lediglich das Paclitaxel der Eibe zeigte sich in spezifischen Krebstherapien sicher und effizient. Das Problem mit diesem Rindenextrakt aus der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) liegt in seiner sehr geringen Konzentration: 1 Kilogramm getrocknete Rinde ergibt nicht mehr als 150 Milligramm Paclitaxel. Für ein Kilogramm müssten schätzungsweise 5000 Bäume gefällt werden. Erst später gelang es Chemikern des französischen CNRS (Nationales Forschungs- und Wissenschaftszentrum), eine aktive Substanz zu isolieren und daraus ein Molekül mit der fünffachen Wirksamkeit des Paclitaxel zu gewinnen. Dieses hat den Vorteil, dass es aus den Nadeln der Europäischen Eibe (Taxus baccata) gewonnen wird, also aus einer erneuerbaren Quelle, bei deren Verwendung das Leben des Baumes nicht gefährdet wird.

___ Therapeutische Anwendungen der Eibe

FormHeilende Wirkung gegenReferenz (zitiert in ZÜRCHER 1998)
Absud der RindeSchlangenbisse, InsektensticheNAMVAR und SPETHMANN 1986
SägemehlTollwut, KropfNAMVAR und SPETHMANN 1986
Tee aus den NadelnParasitäre Infektionen, Epilepsie, Mandelentzündung, Diphterie, MenstruationsbeschwerdenSTRASSMANN 1994
Abkochung der NadelnAbtreibende Wirkung bei SchwangerschaftCZERWEK und FISCHER 1960; SCHEEDER 1996
SäuberungParasitäre InfektionenSTRASSMANN 1994
Nadelextrakt, auch für homöopathische PräparateGicht, Rheuma Lebererkrankungen, Verstopfung, Blasenkrankheiten, WundroseLICHTENSTEIN 1973 DUMITRU 1992
Rindenextrakt (Paclitaxel, Taxol R), Nadelextrakt (Docetaxel)Leukämie, Eierstockkrebs, BrustkrebsTHOREZ 1994; NZZ 1996

Sind diese außergewöhnlichen Heilkräfte auch Teil der Geheimnisse um die Eibe?

___ Eine fürchterliche Waffe

Die Rodungen, welche die europäischen Eibenwälder verwüstet und fast zu deren völligem Verschwinden geführt haben, sind auf die wirtschaftliche Nachfrage Englands zu Beginn des 14. Jahrhunderts zurückzuführen und erfolgten durch Monopolgesellschaften. Die ersten Importe kamen aus Irland und Spanien, dann erweiterte sich das Einzugsgebiet auf Mitteleuropa, das Baltikum und sogar Südeuropa. Das Holz war für die Herstellung des berühmten englischen Langbogens (longbow) bestimmt, dessen Stoßkraft noch lange die ersten Feuerwaffen übertraf. Sein »Fabrikationsgeheimnis« wurde von Skandinaviern entdeckt und bestand in der Verwendung von Stammteilen, die sowohl Splintholz als auch Kernholz enthielten. Das Splintholz, das auf den Rücken des Bogens zu liegen kommt, ist bei der Eibe ungewöhnlich zugfest, was vermutlich auf die charakteristische anatomische Struktur der spiralförmigen Verstärkungen der Tracheiden zurückzuführen ist (siehe Kapitel »Polarität und Spiralität«, Seite 79). Das Kernholz im Bogeninneren liefert seinerseits eine stark erhöhte Druckfestigkeit. Die Eigenschaften dieser beiden Bestandteile aus demselben Stamm ergänzen sich also und verleihen dieser Waffe ballistische Qualitäten, die weit über denen einfacher Bogen aus anderen Holzarten liegen. Laut zeitgenössischen Berichten haben diese Pfeile drei bis fünf Daumen (7,5 bis 10 Zentimeter) starke Eichentüren durchbohrt. Wieder einmal wurde die Eibe Bestandteil bei der Namensgebung: Die englischen Bogenschützen im Hundertjährigen Krieg nannten sich »Yeomen«.

___ Hin zu einem tieferen Verständnis

Zurückblickend bleibt schließlich eine Frage: »Wie nahmen unsere Vorfahren die Eibe wahr – was wussten sie von ihr?« Von den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgehend, begreifen wir, dass es sich bei ihren Erkenntnissen nicht einfach um blinden Aberglauben handelte. Im Gegenteil: Dieses besondere Wissen kann uns vermutlich wertvolle Anregungen zu einem tiefer gehenden Verständnis der Natur geben.

Diese Frage und dieser Befund leiten zu den Erfahrungen von Künstlern über, die bei ihren Projekten mit dem Baum als zentralem Element arbeiten. So zum Beispiel Marion Laval-Jeantet, die gleichzeitig Künstlerin und lehrende Forscherin in den Bereichen Kunst und Ethnopsychoanalyse ist (zitiert in PIQUE 2013, 215): »Tatsächlich haben unter anderem die esoterischen Kenntnisse und das Wissen um die Wahrsagekunst eine nachweisliche Bedeutung für das Überleben vieler Gesellschaften gespielt, in einer Zeit, wo die Wissenschaft noch weniger entwickelt war. Warum sollten sie heute keine Gültigkeit mehr haben, nur aus dem Grund heraus, dass die Wissenschaft sich entwickelt hat? Warum sollte es überhaupt einen Widerspruch zwischen diesem Wissen und dem modernen Wissen geben? Steht dieses Widerspruchsdenken nicht auf derselben Ebene mit dem, das eine multikulturelle Gesellschaft zugunsten einer einseitigen Integration unterordnet? Ein Denken, in dem Biodiversität keinen Platz mehr hat, wo der Baum unwiederbringlich auf ein Konsumobjekt reduziert wird … Ein Denken, das dringend eines Überdenkens bedarf.«

Die Bäume und das Unsichtbare - eBook

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