Читать книгу Meister Joachim Pausewang - Erwin Guido Kolbenheyer - Страница 2
ОглавлениеNit als seie die Fahrt meines Lebens von jener Ewigkeit zu dieser andern gar sunderlich und was Merkwürdigs; hundert sein die selbigen Weg gangen. Auch kann ich auf keins gelahrten oder hochmögenden Mannes Ermunterung weisen und also beschönigen, daß meine Feder geschwätzig wird. Und dannoch, mein Sohn, mein Basil, derweilen du auf dem Walle stehst und nach der Schanz der Schwedischen und Sächsischen lugst, daß unsre liebe Stadt Breslau kein ohnbedacht Verderben überfalle nachtschlafender Weile, und da im Hause alles schweigt, ein seltsamer Frieden durch mein Herz wallt, hab ich mir einen weichen Ganskiel zugeschnitten. Der schabet sanft übers Papier hin, und sein Flüsterton wird unter meinem Lauschen leibhaftig, als rauneten mir meine Lieben zu, deren Dasein an das meinige geklungen, jedes nach seiner Weis: Meine liebe Hausfrau, deine Mutter Christin, die treue Ruh meiner Seelen; vielwert und vielgerühmt Jakob Böhme, mein Jugendgenoß, und Magister Chrysander Struppius, Hochgelahrt, so nun auch schon die Erde schmeckt – und manche und andre. Sie flüstern ihr Wort in das Schaben der Feder. O Friede, der mein Herz umfängt! O sanfter Ton des Gottes, darein ich ganz gebettet bin!
Einer aber reckt sich auf in seiner Kühnheit und Gewalt. Seiner Sehnsucht Mantel schwillt flügelgleich und schattet meine Kindheit. Mein Vater Pätzke! Was vor ein herzerschütternd Rufen schallt in mein Ohr von dem fernen, ungekannten Grab her? Mengte sich nit die milde Weis meiner Blaterpfeif drein, ich sänke hin und meine Hand müsset bebend vom Papiere gleiten. So aber tut auch die heimliche Blüten ihren Kelch auf, sie hauchet einen Duft, von eignen, fremden Gärten her. Sei mir gegrüßt, du Ursel Trobitzin, an der ich aus dem Kindertraum erwachet!
Wort um Wort sinkt nieder. Es gleicht dem Flockenfall. Wie ein Glitzern ist der silbrige Atem Lunae über meinen Schnee gebreitet, dann mein Herz ruht im Winterschnee, und meinen Scheitel deckt der weiße Fall der Jahre. Auch auf den Dächern draußen und auf den Plätzen und wohin dein wachsam Auge schweift, mein Sohn Basil, vom Walle beim Sandtor – Winter und Schnee und der Hauch Lunae darüber.
Was kleidet der Schnee da draußen? Weiß nit. Wird viel Not sein und wenig Freud, zu diesen schweren Zeiten. Was birgt der Schnee auf meinem Scheitel? Weiß nit. Es fallen eim die Gedanken an, gut und böse, und gleichen dem Winde, kannst nit sagen, von wannen er kummt und wohin er zieht. Was der Schnee des alten Herzens birgt, das sollst du aber wissen, mein Basil, dann über ein Kleines soll das Herz verstummen. Wirst in der chimischen Truhen die Blätter finden, drauf in diesen Nächten Wort um Wort gefallen. Und mir ist, als müßten die Worte dann auferstehen in deiner Brust, und du wirst sagen: Er war mein lieber Vater Joachim Pausewang, der Herr schenke ihm Frieden in der Ewigkeit.
Kunnt aber sein, daß dein Herz in Lieb erschwölle zu den längst verronnenen Tagen – als wie auch mir geschehen, da ich noch jung war und keine eigne Vergangenheit hinter mir fühlet – dann im Menschen schlummert ein Hang nach dem Verweheten. Und kunntest bei dir denken, daß diese Blätter wert zu halten seien von Kind auf Kindeskind. So stößt mir die Furcht zu, es möchte ein Urenkelein so gelahrt werden als der Magister Chrysander Struppius oder gar ein Philosophus und Weltweiser als der Jakob Böhme, den sie Philosophum Teutonicum nennen und das mit Recht. Also kunnt mein Urenkelein seine liebe Stirn kraus ziehen und sagen: Seht, sehet mein Ahn! Und möcht ihm beifallen, was der Pastor Primarius Richter zu Görlitz in Hoffahrt und Dünkel Böhmen zurief (so aber in apologia von Grund aus widerlegt ward): „Sutor, calceus in manibus sit tibi, non calamus!“ Was besagt: Schuster bleib bei deinen Leisten und laß ab vom Schreiben.
Daß nun mein lieb, gelahrt Urenkelein nit müsse seine Stirn krausen, will ich mich, so gut ichs vermag, aller Philosophiae enthalten, nur mein Leben berichten und, was mich zu Frieden geführt, als einfältiger Chronist. Und will mich nit der Poesie, noch der Historienschreiberei unterfangen. Bin nit subtil, und Schelm können vor mir Frieden han, auch alle griechische Mythologiam laß ich billig meinem berühmten Landsmann Martino Opitzen, Poetae Laureato. Nur einiges Leben, doch Leben, mein Basil. Und das taugt auf keine Drechselbank.
So tauet der Schnee in meiner Brust. Mir ist, als ließe Luna von aller Herbigkeit und bitterer Kält und hauchete durch ihren kalten Schimmer eine milde Hitze hernieder. Das muß wohl das Gedenken sein. Hat nit Sunnenkraft und macht doch das Herz erwärmen. Ist schon wie der Glanz Lunae, nur ist mehr Lieb innen. Und ist ein sanftes Lecken an dem Schnee. Hat nit die Grimmigkeit und raffende Wucht des jungen Lenzes, der aus Maul und Nüstern mit schröcklichem Odem fegt. „Ichbin jetzt der Herr“, brüllt er, daß die Schneekoppen aufschreit; ruht nimmer, bis Mutter Erden vor ihrem wilden Bräutigam erzittert und, als ein Weib, daselbst in Liebe treibt, knospet und erblüht, wo sie auch fürchten kann. Dann schmiegt sich der wilde Mann gar freundlich in ihren Schoß, und es geht ein Lachen durch die Welt. – Allein, dies Lachen ist kein Gleichnis vor das Tauen in meiner Brust, vor mein Gedenken. Das ist nur ein Streichlen von sanfter, warmer Hand; wühlt nit vom Grund auf.
Ist fürs erst dein und meine Zeit, mein Basil, die von mir tauet.
Dein und meine Zeit! Indem ichs schreib, kreischt mein Federkiel, als seie dannoch alle Sänftigkeit entflohen. Mich faßt ein Zittern, als führ des Elends Krallenhand mir an die Brust und schüttle mich am Wamse. Es flackert mein Licht und weint helle Tränen, die alsbald vor Bitternis erstarren.
Und Breslau schläft.
Luget ich hinaus, möcht nichts erblicken, dann eine weiche Flockendeck und den Glanz Lunae auf ihr. Und wollt mich schier verwundern: Was zuckt die Flockendeck nit auf, wie das Brusttuch einer schluchzenden Frau? Du Lug von Frieden und Schlaf!
Draußen auf der Dom-Insul liegen Schwed und Sachs bei sechzehen hundert an Fußknechten und Reuttern. Liegen hinter dicken Schanzen. Haben etlich Stück aufgefahren, die blicken aus hohlen Augen auf dich, mein Basil. Was nütz, daß die römisch Meß dort nit gelesen wird? Was nütz, daß auch dort das reine Wort gepredigt wird? Es gleichet ja mehr dem Schatze, welichen ein greulicher Wurm heget. Sein Arkebuß und Pike, Schlangenfalkonet und Kaptalkarthaun, Bomben, Karkossen, Granaten gottgefällige Register, so ihr an eurer grimmigen Kriegsorgel gezogen habt, Lobpreis dem Herrn zu singen? Und hätt ein fürsorglicher Rat nit seit Jahr und Tag unsre beiden Korn- und Zeughäuser beim Sandtor und am Burgfeld mit Frucht und Wehr gefüllt, ei, so naget Breslau am Hungertuche, dieweil Schwed und Sachs die Zufuhr sperren zum einträglichsten Teil. Wollet ihr allso predigen, daß der Mensch nit lebe vom Brot allein, sundern vom Wort, ihr lieben Glaubensbrüder hinter Schanz und Graben auf der Dom-Insul? Wahrlich ein Höllenmusica, eure Kriegsorgel, und ein Höllenpredigt, euer Lauern!
Mein Basil, dieweil deine Augen über diese Blätter gleiten – wills Gott, zu besseren Tagen – steigt in deinem Sinn ein grauer Nebel auf als wie ein Rauch. Das ist die Sorg und Unrast verwichener Herbestzeit. Und auf dem Wallen des Nebels zieht eine Imagination hin, daß du wohl aufseufzest ob einem solichen Gesicht.
Seit Jahr und Tag liegt unser hirschen, schäffen, reussisch Leder, harrt des Messers, drohet zu verderben. Unser Nachbar Weißgerber, der werte Meister Balzer Krebitz, fragt wieder und wieder: „Meister Pausewang, was ist? Tanzet man nimmer so leicht in eurem Schuhwerk oder drücket es die Füßlein der Kränzeijungfern?“
„Jawohl, Meister Balzer, man tanzet noch und freiet noch, jedannoch auf derberen Sohlen.“
Die Silberschnallen, Knöpf und Schellen überläuft ein schwarzer Rost.
Kummt wohlmögend Rats-Secretarius Adam Säbisch herüber, dem zeigt deine liebe Margaret unsern feinen Korduwan und weist ihm Marder vor die Verbrämung und seiden Litzchen; er geht auf Freiersfüßen, also kunnt man ihm etlichs Zutrauen.
„Schön, schön, liebe Pausewangin – jedoch habet Ihr nit ein Leder, gut vor Regen und Schnee und vor unsre schlimme Conjunctura?“
Tritt Burgemeister Herr Michael von Flandrian in unsern Gadem.
„Nehmet mir ein reichlich Maß, Meister Pausewang, dann ich setz an, sunderlich bei den Waden, den Zeiten zu Trotz. Und schmieret das Leder mit der fürtrefflichen Tinctur, so Euer Schwiegervater selig, der Meister Siegemund, destilliret hat.“
„Wadenstiefel? Hochmögend Herr Burgemeister, noch ist Summerszeit und Ihr werdet an so schwerem Schuhwerk schleppen. Hie liegt das spanisch Leder, so Euch an dem letzten Paar sehr behaget.“
Ich richt’s ihm augenfällig dar, allein er:
„Ei, was sinnt Ihr eim protestantschen Edelmann an, der kennt jetzt kein spanisch Leder. Wär allzu schlapp, hält nit anderst, als wie die spansche Schlachtordnung bei Leipzig. Der lutherisch Edelmann muß in tüchtig deutschem Leder hergehn, das dauern kann wie unser Evangelium, trotz römscher Wirtschaft von tausend Jahrn!“
Läßt der Herr Junker Strör von Gellwitz mir sein geneigten Gruß bestellen und er brauchet Schuh. War allerweg eine groß Conferenz, da der Junker nichts dann das Allerzartest trug. Nehm also den Jungen mit und trag selbst einen großen Pack Seiden, Rauchwerk, Posamenten, Knöpf und Schellen. Das breitet ich vor ihm dar und ließ es nit am Lobe gebrechen, sunderlich meines besten Leders. Schweifeten auch des Junkers Augen fast wohlgefällig über dem Zeug, er prüfet das und dies und just immer das Best, dann er versteht sich drauf und kunntest ihn niemals nit beschwatzen.
„Ah, Mäter Posewang, ist das Euer ganze Provision?“
Ich bemerket, es seie das Erwähltest und möcht dem subtilsten Geschmack wohl genügen.
„Sertänmang, ich habe ja auch zu Paris kaum einen bessern Cordonnier gefunden, als ich Euch stets versichere, und das will etlichs sagen – aber wisset ihr nit, daß mir der Waldsteiner meine Mühlen zu Neisse niedergebrannt hat?“
Ich vermeinet, er möcht die Mühlen auch auf geringerem Schuhwerk nimmer zurückgewinnen, und wenn schon er nit mehr Elegantiam pflegen kunnt, wer sollt dann zu Breslau in zierlichen Schuhen gehn?
„Ah, Mäter Posewang, Ihr redet mir wohl nach dem Herzen, aber leider nit nach dem Beutel. Müsset dermalen schon den Meister Rotgerber um meine Schuh consultirn.“
Also rafften wir wieder all unser Seiden, Rauchwerk, Drotteln, Silberknöpf und Leder auf, schlichen davon. Junker Strör von Gellwitz winket uns sehr geneigt zu, merklich fast unter Tränen.
Die vergangne Herbestzeit erwuchs in mir als eine Offenbarung. Meister Jakob, lebten nit deine Lehren ganz in meinem innern Lichte auf? Wahrlich der Geist hat aus dir gesprochen, und sein auch deine Zung und Feder nur niedrig Werkzeug, so lieget doch Gottes Fülle darinne. Was sein dagegen die Zungen und Federn deiner Widersacher! Boten der Finsternis und ein Lattenzaun vor den Augen, sehen alls nur haibet. Stehen mehrest unter dem Zornfeuer Luzifers. Auch der hält sein giftige Flamm vor göttlichs Licht. Weiß nit, was ich mehr verachten kunnt als einen, ders wilde Feuer vor Licht ästimirt, wie du, verblendeter König Luzifer. Und hast doch groß Gewalt in dieser halbtoten Kreatur.
Da lagen sie beid hinter ihren Schanzen: die versprengten Kaiserlichen von Leipzig und Steinau her, und Sachs und Schwed. Zwischen beiden das Ohlauer Moor mitten inne, falbig, voll weicher Beulen und pestilenzischem Hauch. Und lagen wie die zwo Qualitäten Herbigkeit und Bitternis, so der Meister Jakob beschrieben: Herbigkeit, die alls zusammenzieht, verkrümmt und verhärt’, über dem Lager der Kaiserlichen – und Bitternis, so alls durchstoßet, zerschneidet und zerfrißt, bei Schwed und Sachs. Und dazwischen das Ohlauer Moor, in dem alle Süßigkeit ist geronnen wie Milch unterm Lab. Und erhitzten sich beid an einander – Herbigkeit und Bitternis – bis ein düster Feuer aufschlug und aus Karthaun und Musket leibhaftig elementarisch fuhr.
Und Breslau?
Indem ichs schreib und innehalt, regt sich kein Schall. Die Nacht schleicht auf Spinnenbeinen einher, kannst nit hören und weißt dannoch, daß sie alles betast und durch Lucken und Ritzen ihre Bangigkeit haucht. Hätt Gott der lebendigen Kreatur kein Schlaf verliehen, weiß nit, wie viel Herzen verzageten um diese Stund. Mußt schon alt gnug sein, Schnee muß über dir liegen und manniche Nacht muß in heimlicher Seelennot verwacht sein, bis du die Süße schmecktest auch aus dem nächtigen Bangen.
Und am selbigen Tag, da über dem Ohlauer Moor sich Herbigkeit und Bitternis elementarisch entzündt, bleibt auch der Sunn Müh umbsunst. Da schleicht das Bangen der Nacht durch Breslau mitten am Tag. Bleibt vor jedem Haus stehn, schielt ins kleinest Fenster, tritt ein durch alle Türen, folgt jedem Schritt. Die Gassen lauscht so ängstlich, daß sich keiner leichten Muts vom Haus wagt und jeder hastet, so schnell er kann, unter sein Dach.
Deine liebe Margret steht am Herd. Das Feuer prasselt lustig und der Brühentopf summt. Sunst ging die Arbeit hurtig gen Mittag zu, als wie die Rößlein ausgreifen, da Kripp und Raufe winken. Aber Selbsten der Jung macht dermalen keine hungrigen Augen. Es hängt sich uns an Arm und Hand, druckt einen bangen Finger auf unsre Lippen, pocht schwer und dumpf an unser Ohr, als pocheten Feldschlangen und Musketensalven.
Und dann, derweil wir schweigend essen, verstummt derselbig Donner. Ist, als wenn eine Uhr aufhört zu ticken. Wir lauschen in die Leer. Unsere Löffel finden nimmer den Mund; wir stehen doch nit auf. Schauen in die Weiten, als seie unser Gadem mit eins auf Meilen im Raum gewachsen. Lauschen auf den grausamen Perpendikul unserer Zeit; der hebt aber nimmer an und bleibt stumm.
Beginnt unser klein Joachim zu greinen und das Christlein ist allsogleich dabei. Wimmern kläglich die Kinder, dann es hat das bange Schweigen ihre kleinen warmen Herzen in die frostige Hand genommen und bläst sie eisig an, daß sie zittern wie Vöglein, so aus dem Nest gefallen.
Was hats draußen über dem Ohlauer Moor? Wollen die Kaiserlichen auf Breslau Retirade nehmen? Davor sei Gott! Sunst brennet Schwed und Sachs unsre liebe Stadt als ein Gegenspiel vor Magdeburg!
Sag ich zu dir: „Basil, mußt gehn und fragen!“
Sähe dich die liebe Margret schon voll Ängsten gehn, nur zu fragen, wie solls erst um das jammernd Weib werden, wann der Schwed vor den Toren liegt? – Also sein die Frauenzimmer, sehen gar freundlich das Gewaffen an ihren Männern blinken, so es zum Königsschießen im Werder geht und der Mann recht Pomeranzen und Zitronen oder gar ein silbern Becher bringt: Seht, den hat mein Liebster erschossen! Aber gehts drauf und dran, möchten sie wohl, du hättest allerweg ein Quark troffen, den Nesselkranz getragen anstatt der Schützenröslein und den Dudelsack zu hören gekriegt, nit aber Trumpeten und Pauken – nur daß man dich nit auf ein scharfen Posten stell, als einem guten Schützen wohl ziemt.
(Nunmehr ist ihr gewohnt, daß du jed andre Nacht auf Wache ziehst, und ich schreibs nur, weils von der Liebe zeugt.)
Ich und der Bub machen ohn freien Willen Feierabend, und ich druck mich in unser verschwiegen Gelaß, wo dein gottseliger Ahn, der Meister Siegemund Wutke, sein chimischen Ofen eingericht.
Hat auch den Stein gesucht, hat auch aller Kunst guldnen Schluß erträumet und hat nur eine Tinctura gefunden, so das Leder erweichet und dannoch festiget, daß keine Feucht könnt hindurch dringen und die Schuh gleichwohl nit schmierig und blind aussehn, vielmehr spiegeln und glänzen. Sein viel gewest, die hundert und hundertmal mehr an die Ars Magna gewendt und nit einmal Schuhwichs, geschweig eine so fürtreffliche Tinctura erfunden haben. Glaub aber immer, deine Großmutter Magdalen seie mit dahinter gesteckt, dann sie hatt allezeit einen Sinn vor Practica (nit solliche in Astrologia, sundern im Alltag.)
Du alte chimische Kuchl! Da ich beim schwachen Lichtschein schreib, neigen sich deine verräucherten Wänd zu mir, und ein heimlichs Rieseln gleitet an ihnen nieder wie eines freundlichen Geistes Gruß. Und hat unter deiner geschwärzten Decken auch keiner der wallenden Matrix den Königsmantel umbgehangen, daß sie in edlem Goldglanz erstünde, so hat uns doch dein sanfter Dämmerschein den Sammatmantel der Ruh und der Besinnlichkeit oft um die wogend Brust gelegt, darinnen Ohnrast und das Geschrei der Gassen eine wüst Composition gebrauet.
Wohl ist Mörser und Stößel verstäubt und die Retort in Scherben. Die Luft reucht nach Lederschmier, so wir um Michaeli gekocht – nit nach Tinctura Mercurii oder Quinta Essentia Solis. Und bist dannoch ein Refugium und deines Friedens Gold war allerweg lauter. Wahrlich, es liegt der Stein der Weisen mannigsmal näher als man meinet; mußt nur ein bereit Herz han.
Sitz also am Schreibpult nieder, deiner Kriegsbotschaft zu harren, und das ganz Haus harret mit. In der Tiefe bläht der chimisch Ofen sein Rauchfang als wie ein stutzend Roß die Nüstern. Die umgestoßenen Tiegel starren mit hohlem Blick nach der Tür hin. Über den Fensterrauten liegt ein matter Schleier, als war alle Trosthoffnung verblindt. Das Kohlenloch unterm Ofen sperrt sein erschrocken Maul: das erst Wort, und es müsset ihm ein Klaglaut entfahren. Die rauhen Wänd schaudern; unter ihrem Ruß schimmert die Blässe frostig, gleich den Wangen eines Köhlers, der seinen glühenden Meiler wanken und sinken sieht, und ist kein Tropfen Bluts in ihm.
O bange Stund!
Und da ich sitz und bei mir denk, wie ist doch aller Frieden entflohn – spielet sich ein freundlichs Bild in meine Imagination ein, als wollet es trösten: Da öffnet sich behutsam die Tür und weiland Meister Siegemund, dein lieber Ahn, steckt seinen Glatzkopf herein. Flüstert dann in den Gang:
„Joachim! Joachim! Mulier non adest, die Frau ist nit hie, kumm eilig!“
Ich folg ihm als sein Junggesell und Famulus in Arte, hab aber in der Eil mein Schabeisen mitgeführt.
„Mehercul, Joachim, willdu dem Draconi Venenoso Mercurio mit eim Schabeisen über den Leib fahren, wenn er summa in Calcinatione erglühet? Oder willst mit deim Schusterschurz, so von Kleister und Pech stinkt, den vitrioligen Leu niesen machen?“
Ich stürz in den Gadem zurück, wo der Jakob Böhme und der Struppe eifrig werken, und tu alles Profane von mir. Derweil hat der Meister seinen Tiegel aus dem Kohlenloch herfürgraben, wohin er ihn verstecket, und das Rosarium Philosophorum des Herrn Arnoldi de Villa Nova aufgeschlagen und sucht eifrig die Stell. Dann verrieglet er die Tür, obgleich deine Großmutter Magdalena es ihm aufs bestimmtest untersagt, sich allso an hellichtem Tage zu verrieglen; er aber meinet, es gehör zur Ars Magna ein Riegel für. Er stellt sich inmitten der Küchel auf.
„Joachim, Talarem et …“ und zeiget auf die Glatz.
Mußt ihm den schwarzen Talar umhängen, der war fast weit und hatt versenget Ärmel, da sie oft mitten in Arte über die Hand ins Feuer darglitten. Er raffet immer seinen Kunsthabit hoch, dann er war von kleiner, zierlicher Gestalt, wiewohl beleihet. Auf seine Glatz mußt hoch und steif die chimisch Hauben, so er mit schwarzen Zeichen bemalet – kunnt mir die Symbola nie deuten. Weiß nit, ob sie ein bösen Geist bannen und sänftigen möchten, den Geist meiner lieben Schwieger jedoch haben sie merklich erreget.
Ich schür das Feuer, er setzt den Tiegel zurecht, die Matrix reget sich auch bald. Er deutet mir alles, da ich in Arte noch ein gar junger Has: Stochert in den Kohlen – das wär nur ein schlecht Naturalfeuer, aber in der Matrix steigt Ignis Spissus auf, das seie schon ein Artificalfeuer von hohem Grad, und er hoffet noch zum Tenuissimo, das ist dem feindünnsten Feuer, zu gelangen. Wirft nun eine Materia, die er fürsorglich mit Wachs umhüllt, in die kochende Matrix. Das zischt auf, der Meister weicht zurücke, ich renn in die äußerst Ecken, dann ich hatt kein sunderlichs Vertrauen zu seiner Composition, trotzdem er die Ledertinktur erfunden, und meinet immer, wir müssend einmal in die Luft gehn. Geschah aber nit. Wir lugen also wieder hin, und der Meister Siegemund erklärt mir:
„Nun sein wir im dreißigsten Stadio und die sechst Seperatio gehet in sextam Conjunctionem über.“ Er klopft mir erregt auf die Schulter. „Joachim, famule et artis adepta, jetzt sein wir der Quinta Essentia ganz nahe: folget die siebend Separatio und die ist der groß Wurf! Joachim, die geht der Exaltatio voran, das ist dem Pelikane, der von seinem Blut die Jungen nährt. Dann zeigt sich zum ersten die Quinta Essentia. Sieh, sieh, wie die Matrix erglüht!“
Meinet, solches wär schon Ignis Tenuissimus und ist ganz erfüllt von der Kunst, heißt mich eifrig den Balg drücken, erlangt das Rosarium Philosophorum, sucht hastig das Zeichen des flammenden Pelikans, springt ans Feuer, schlägt das Zeichen mit dem Rühreisen nach der blauen Flamm hin, so über der Matrix zuckt, und ist ganz entzückt …
Pochts unsanft an die Tür. Der Meister hälts vor seinen Geist, schwingt voll Inbrunst des flammenden Pelikans Symbolum und flüstert: „Ecce Spiritus Pelicani!“ Indem rüttlet deine liebe Großmutter beherzt am Schlosse und ruft: „Siegemund! Siegemund!“ Er stutzt, Zorn wölkt seine Stirn, der donnert dawider: „Inhibemus! Niemand darf ein!“ – „Siegemund, tu auf, Joachim, wenn du nit …“ – „Mulier taceat in Arte!“ schreit er voll Grimm. Da pocht es hart an den Pfosten, nit wie Fingerknöchel sundern hülzern, und die Meisterin ruft nur: „Joachim!“ – So muß ich wohl den Riegel ziehen. Indem ist auch das Feuer in Verwahrlosung gesunken, wo es sollt am schärfsten geblasen werden, und die Matrix ist von der Exaltatio weit ab; überzieht sich gar mit einer dunklen Haut. Dein Ahn langt seine magische Mutzen vom Kopf und druckt sie für die Brust. Er schaut in den Tiegel, als wie ins offen Grab all seiner Hoffnung. Ich aber entweich in den Gadem.
Bald kummt er auch dahin, bindt sich unter Seufzen den Schurz um und hämmert drauf los, daß wir drei Gesellen meinen, es müsset der Leisten springen. Nach einer Weil streckt er seinen Arm mit dem Hammer in die Luft.
„Ihr lieben Gsellen, Jakob, Chrysander und auch du, Joachim, obwohl du allem vor solltest auf deinen Meister Siegemund Wutke hörn! Wir seind alle vier gute Protestanten. Aber item lasset euch gleichwohl bedeuten: ist nit alls des Teufels, was zu Babel gelehret wird, also exempli causa ist Coelibat nit allerweg zu verachten. Der Herr Paulus saget gar wohl seinen Korinthern in capite septimo: ,Der Mann leiste dem Weibe ein schuldige Freundschaft' – aber er fügt merklich hinzu: ,Desgleichen das Weib dem Manne!‘ Und er lehrt weiter: ,Ich sage den Ledigen, es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich‘, und der Herr Paulus ist ohn Wank ledig blieben, ihr guten Gesellen.“
Er hebt seine Stimm gewaltig gen den Herd hin.
„Und fraget weiter der Herr Paulus im selbigen Kapitul: ,Was weißt du, Weib, ob du den Mann werdest selig machen?‘ und sagt zum Beschluß: ,Endlich, welicher heirat, der tuet wohl; welicher aber nit, der tuet besser!‘“
Wir drei Gesellen lugen heimlich, da unser Meister also spricht, hinüber zum Herd, dort ist die Meisterin emsig, dann es geht auf Mittag, und neben ihr die Jungfer Christin. Ach, zier und flink, und die süßen Wangen sein lieblich vom Feuer überhaucht und blühen vor Geschäftigkeit! Die beiden Frauen lächlen einander ohnmerklich zu, also daß wir alle drei unsres Meisters Rat vor gering anschlagen und bei uns denken, der Herr Paulus wär nit gar so grimmig gewest, wann ihm unser Jungfrau Christin sein Mittagessen gekocht hätt. Gleichwohl druckts mir schier das Herz ab, und der Jakob runzlet die Stirn finster, da wir verstohlen nach dem Herd geblickt; wir waren unser drei, und die Jungfer Christin war nur eine. Der Struppe aber seufzet nit, sundern lachet hell auf, als seine Art war. Der Meister verwies ihms hart, und die Christin ergriff eilig den Krug, Wasser zu holen.
Und mit ihr ist das Bild entwichen. Ich schreck auf als wie ein armer Landfahrer, der sich im süßen Heu verkrochen hat und nun erwacht, dann seine Sohlen brennen ihm schmerzlich. War nur ein Traum, flusterts in seiner bangen Brust – und er reibt die Augen. Trüb ists worden allumher und ein Nebelreißen hat ihn kühl genetzt. Was liegt dazwischen? Nichts, dann ein Augenaufschlagen. War er nit auf der Glatzer Reichsstraßen hinabgelaufen? Drunten in dem Tal, wo die Abendsunn ein sanftes Licht gestreut, ist das Haus gestanden. Friedlich hat der Schornstein geschmaucht. Der Vater hat ihn eingeführt, die Mutter hat einen Hirschbrei auf den Tisch gestellt, den umspület braunes Fetten gar freundlich. „Gottlob, daß d’ wieder daheim bist!“ – Er hat sich alsdann in sein Bett gestreckt, die Mutter hat seine brennenden Füß gewaschen und den Kolter auf ihn gebreit. „Mußt eine Weil daheim bleiben. Itz fällt bald Martini ein und dampfet schon der Mist … hast auch etlichs erspart?“ „Wohl, Mutter, Sie brauchet nur in mein Sack zu unterst greifen.“ – Und der Landfahrer reibt die Lider, wills gar nit glauben, daß es nebelreißt und trüb ist allumher. War er nit daheim gewest? Sein Magen knurrt, da ist kein Hirschbrei innen; seine Sohlen brennen, die hat keine Mutter gewaschen; in seim Sack kunnt einer lang suchen … Und lieget dazwischen ein Augenaufschlagen, sunst nichts.
Und wiederum hat mich unsere chimische Küchel angeschwiegen; alles harret deiner Kriegskundschaft, mein Basil. Da holet ich die Abschrift herfür, welich mir durch die Freundschaft des ehrenfest Paul Keym, weiland kaiserlichen Zolleinnehmers zu Liegnitz, ist zu handen kummen, und ist meines werten Jugendgenoß „Aurora oder der Morgenröte Aufgang“. Hab oft darin geblättert, wann mir das Herz wollt sinken, und kunnt ich gleichwohl nit alls erfassen, so hats mir doch eine milde Freud ins Gemüt gegossen.
Du kühle Frauenhand, Philosophia, wie erquickst du die brennenden Sohlen und schüttlest freundlich Mantel und Hut vom Straßenstaub rein, so oft wie Zentnerlast darauf liegt.
Du sanfte Braut Besinnlichkeit, stimmst alsbald deine Lauten, und hinter Qualm und Pulverrauch unserer Zeit geht der rosenfarbige Frühschein auf, wie sich der frohe Bräutigam erhebt an seinem Hochzeitsmorgen. Und wiederum schau ich dich, Philosophia, in hellem Küraß, mit dem michaelischen Flammenschwert, und unter deinem Tritte krümmt sich Luzifer, dem seine Larven ist entrissen. Mein Meister Böhme, dein Geist ist ein Strahl aus selbigem Schwert. Hast den Teufel in seiner Höll mit tapferen Händen gezauset und ihn so recht als den Affen Gottes erwiesen. Du genarreter Luzifer, wie mußt du dich unter dem Tritt krümmen!
Ich suchet das zehend Kapitul: ,Von der göttlichen Kraft im sedisten Quell“, das dringt auf der Höllen Grund.
,Da ist Ach und Wehe, Gelfen und Schreien – als wenns immer donnert und wetterleuchtet, denn also gebärden sich die angezündeten Geister Gottes. Die Süßigkeit ist verschmachtet, als wie eine glühende Kohle, da kein Saft mehr im Holze ist, die lechzet und ist kein Labsal da; die Liebe ist Feindschaft, der Schall ist ein hartes Pochen, gleich einem hohlen Feuerklang, als ob es einen Donnerschlag täte, das Revier ist ein Trauerhaus …“
Als hätt ihm unsere Zeit fürgeleucht, da er in den dunklen Hcllengrund drang. Dann, mein Basil, also wie die Herrlichkeit Gottes in uns und um uns sanft und lieblich wallet – könnens nur nit erspähen mit unserm halbtoten Gesicht und schmeckens nur inwendig, als du auch einen Veigelduft kannst nit erspähen, sundern du mußt ihn schmecken – desgleichen brennt und qualmt auch die Höll in uns und ringsum; ist eine Fäulnis des Herzens, und muß ein jeder die seine schmecken lernen auf seine Weis. So es einem aber bedünket, er kunnt wohl seine Nasen zuhalten, auf daß er des Luzifer Saustall nit reucht, oder ein Artificalwasser und Rosentincturam über seine Fäulnis sprengen, der möcht auch seinen Frieden niemals nit schauen.
Da höret ich im Gadern deine liebe Margret klagen und die Kindlein schreien. Wußt also, daß deine Kundschaft ein traurig Vöglein wär, und schloß meine Schrift wiederum in den Schrein. Kamst herein, und hing die Margret dir am Halse, und die Kleinen zerrten an ihrem Rock. War aber kein freundlichs Bild! Die Kaiserlichen nahmen Retirad auf Breslau und der Schwed und Sachs folget auf ihren Fersen. Dombischof Karolus Ferdinandus seie in aller Früh von der Dom-Insul samt Kapitul und Klerisei gewichen, hat sein Losament bei der großen Waag. Der Graf von Donau und Oberhauptmann Herzog Heinrich Wenzel von Oelse ließen alls zusammen trummlen. Der Herr Burgemeister aber hat den Rat entboten. Und seie alls in Angst, indem der Graf von Donau und der Herzog Heinrich Wenzel den Kaiserlichen die Tor offen halten wollen.
Da schallet auch schon die Trummei durch unsre stille Rauffergaß (führt ihren Namen ganz ohn Verdienst und wird derhalben auch Gerbergraben genennt). Wirft sich deine liebe Margret an meinen Hals: „Vater, lieber Vater gehet mit ihm, auf daß ihm möcht nichts zustoßen!“ und flennt gar sehr. Denk ich mir, sie werden mich nit bei dir stehen lan, aber ich kunnt’s wohl wagen. Hing also die Wehr um, meins Herrn Vaters Kurzschwert mit dem güldnen Knopf, dann Pulverhorn, Kugeltasch und schulteret deinen Hacken. Zogen selbander aus, weiß und braun, ein ungleich Paar. Dein Fähnlein nahm mich gut auf, sageten etlich: „Sehet die beiden Pausewangen, braun und weiß.“
Sein alsbald auf dem Wall nah beim Mühltor abendwärts postiret. Das Tor steht offen und das Odertor, desgleichen das Nikolaustor und die Brucken liegen aus. Herein schiebt sich die ärmest Schar von Mensch und Vieh, schwer beladen, schreiend und greinend, drängend, stutzend, stürzend, raffend und immer dazwischen ein Häuf Stadtsöldner. Der Weg zwischen Bastei und Graben ist ganz erfüllt von dem Elend, das zum Tore drängt. Müssen ihre Reusen, ihre Netz, die Boote lassen und die armen Hüttlein. Was nütz, daß der Pfahlrat protestiret? Der Pfahlbürger gehört jetz in die Mauern, der Schwed wird nit fragen und wird sengen, dann ist das Elend noch toller. Und hängt des Pfahlbürgers Herz an seim Herd, kann er auch nur ein Restlein seines Gutes bergen … o, sehet Breslau, ihr armen, elenden Leut! War Breslau nit eure Mutter? Seht, wie die Mutter zittert, kummt unter ihren weiten Mantel, bis das Kriegswetter verzogen ist.
Und wie sie drängen! Die Männer ziehen den Karrn, der Strick schneidet ihnen in die Brust, und keuchen dannoch schändliche Schwür, ein um den andern, schwingen ihren Knüttel, das gering Vieh vor sich her zu treiben. Die Weiber schieben das ächzend Gefährt tiefgekrümmt mit der Schulter an, ihre Hand zerren an dem dicken Sack, der auf ihnen liegt, wie eine Nachtdrud voll Furcht und Schrecken. Auf den kreischenden Rädern wankt die getürmet Armetei, und obenauf krapplen die Würmlein und schreien ihren Geschwistern zu, die allso jung und klein mitschieben und ein jeds sein Bündel schleppt. Karren auf Karren, Mühsal auf Mühsal, Not auf Not. Und stockt der jämmerlich Zug, so heben die Stadtknecht ihre Partisaner und vergunnen ihnen kaum einen Herzschlag Rast – dann am Himmelsrand jenseits der Dom-Insul erhebt sich eine Wolken: die Kaiserlichen sein’s und hinterdrein Schwed und Sachs.
Sinkt die Sunn in manchem Herzen, gleichwie sie über dem Werder sinkt, dieweil sich all das Elend verkriecht. Liegen die Mühlen vor uns wie totes Vieh. In den Mehl- und Würzgängen stockt die Frucht wie geronnen Blut in den Adern. Und reget sich kein Rad. Lasset uns ruhen, wer weiß, bald kräht der rot Hahn auf unserm Giebel und schlägt mit seinen prasselnden Flügeln!
Und die scheidend Sunn haucht einen matten Dunst auf den Tscheppin, ist wie eine stille Klag. Tscheppin mit deinen runden Wipfeln, fruchtbeladen, und heimlichen Zäunen, Glanzgespiel der Brunnen und den duftigen Blüten!
Dort liegt unser Gärtlein. – Wird unser großer Apfelbaum seine trächtigen Äst breiten wie eine Henn: ,Kummt alle, höret ihr nit was die Sunn raunt?' Und werden die Stachelbeer- und Johannisstauden ihm leise zuflüstern: ,Hörens wohl, sie werden uns alle niedertreten.’ Greinen Salbei, Anis, Saturei und Kerbel: ,Ach, wollet ihr klagen? Habt Stamm und Dorn, steht struppig und zäh, vor euch wird sich der ärgest Reutterstiefel verwahrn. Uns sanfte Kräutlein achtet kein nackender Fuß nit!' Da knarrt der große Apfelbaum in den Ästen, schüttlet seine Krön, fallen etlich Äpfel ins Gras. Will unser Gärtlein vor Trauer schier versinken, da läßt sich aus der hintersten Ecken ein keck Stimmlein vernehmen: ,Weinet nit, König Apfelbaum, ich bin noch hie, und Schwertel bin ich benannt oder Allermannsharnisch, mach hieb- und stichfest, will euch trittfest machen alle!' Müssen Krapp und Kümmel lachen, so schwer auch ihr Herze ist, die Malven wird aber blutrot und wirft einen verzagten Blick auf die Kichererbsen, die haben schon gleich beim ersten Wort ihre Schoten zusammengesteckt, als junge Maidlein tun, wenn Prinz Maurenbrecher auf dem Bürgerring pfeifend einherkleppert. Unser Apfelbaum aber wiegt seine Krön hin und her, schaut besorgt auf des Meister Balzer Krebitzen seine alte Scheun, die steht ganz nah beim Zaun. ,Wenn die brennt,’ denkt er bei sich, ,so brauchen der Junker Joachim und die Jungfer Christi meine Äpfel nimmer zu braten, dann ich kann mein Volk nit im Stich lassen, wenn der Schwed einbricht.’
Wie ich also der roten, sinkenden Sunn nachhange und an unser Summerhäusl denk, wo ich deine liebe Mutter Christin weinen sähe, als ich des Chrysander Zettlein gebracht, indem er auf die hohe Schul gen Prag zog, und wo ich die hundert Kirschen auflas, so ihr aus der Schürzen gefallen waren – wie ich also einer fernen Zeit und einer versunkenen Sunn nachhange, trittst du nahe zu mir: „Vater, sehet dort!“
Brechen die ersten Reutter aus dem Erlenbusch, wo die Leichnamsmühl gestanden, sprengen an den Elbinger Kopf unserer langen Bruck. Alsbald folgen die müden Haufen und schieben sich auf die Bruck, daß der Donner zu uns herüberhallt. Herr Burgemeister von Flandrian hat aber alle Tor schließen und hat aufziehen lassen.
Kummt der Befehl, unser Fähnlein sollet sich gen das Odertor sammlen. War ein Rennen und Stoßen. Wir faßten beim rechten Turm Posto, wo unser schwerest Geschütz liegt. Der Graf von Donau und Herzog Heinrich Wenzel standen nit weit, und saget uns der jung Kilian Kretschmer, daß der Graf lästerlich geschworen hätt, weil der Burgemeister die Tor geschlossen.
Wir beid kamen alsbald in Stand, rührten frisch Zündkraut auf, Blei war schon geladen.
Vom Elbinger Ufer drang ein wüst Geschrei und infernalisch Durcheinander. Vom kaiserlichen Geschütz und Wagen war nit ein Rad zu sehen; mochten alls in Feindeshand gelassen han, was sich nachher auch allso erwiese. War eine wilde Flucht. Ergossen sich die zuchtlosen Haufen in den Werder, schrieen uns über den Graben zu, wir sollten gutwillig auftun oder zu essen und trinken schicken, sunst wollten sie sichs holen. Kunnten sie aber schreien lassen, dann sie waren ganz ausgenommen, warfen sich zumeist auf den Boden und rührten sich nit, als wären sie geprellt. Die Letzten drüben zerrissen in Eil einen Schober Stroh, häuften’s auf der Brucken. Steckten die Bruck in Brand. Das Feuer wuchs bald an Licht, der Abend war schon tief erdunklet. Und sähe die lange Bruck wie eine Fackel aus. Unter den Erlen bei der Leichnamsmühl nistet schon die Nacht. Kunnten also nit ehender sehen, daß der Schwed anritt, bis er in den Feuerschein kam. Er machet sich allsogleich dran, das Feuer zu zerstoßen.
Da erhob sich vor uns ein Geschrei. Der Graf von Donau hatt dem Hans Temmeritzen, Büchsenmeister beim groben Geschütz, Befehl geben, eins auf den Schweden zu lösen. Des weigert sich Hans Temmeritz, indem der Rat solichs nit geheißen. Also rieht der Graf von Donau selbst die ,Alt Sau“ (oder auch ,Simson‘ benannt) und kunntens ihm nit wehren, dann der Herzog Heinrich Wenzel war nit mehr hie. Gab ein erschrecklichen Donnerschlag, daß wir allesamt wichen und eine Taubheit in unsre Ohren fuhr, als wenn man im fließenden Wasser taucht. War ein Glück, daß er nit den ,Rinozerum‘ gelöset, der ist noch einmal so schwer als die ,Alt Sau“; denk mir, der hätt uns das Gehör zerbellt. Der Hans Temmeritz aber rief: „Nu ist verspielt! Der Sachs und Schwed wird die Antwort nit schuldig bleiben.“ Die Kaiserlichen schrieen im Jubel laut und riefen, wir sollten das Tor auftun. Auch in der Wallgassen waren die Leut zusammengeloffen, schrieen desgleichen, aber vor Jammer und Zorn, dann sie vermeinend, der Schwed müsse allsogleich die Stadt beschießen.
Eilet Herr Burgemeister von Flandrian herzu, im Gesicht weiß vor Grimm und bebend, er forschet streng, wer so zuchtlos gehandelt und mit der Not der Stadt so freventlich gespielt. Kunnt zwar den Grafen von Donau nicht tasten, wies ihn aber vom Wall und befahl ihm stante pede die Stadt zu verlassen.
Das Volk drunten fiel über den Grafen her, hätt ihn, weiß Gott, zu Schanden geschlagen, so ihn nit der von Dobschitz in sein Wagen aufgenommen und durchs Schweidnitzer Tor gebracht. Indem hat auch der Burgemeister dem kaiserlichen Obristen Rostock auf Ratsbeschluß die Stadt verweigert, zogen also die Kaiserlichen längs der Mauer ab, kunnten gottlob nit sengen noch plündern, daß der Schwed ihren Weg nit gewahret.
Der Schwed aber schoß nit, zerstieß nur das Feuer. War wunderlich zu schauen: als hab König Luzifer die Kriegsernt von so viel Jahren auf unsrer langen Bruck gehäufet, und schorfelten nun seine Knecht die Frucht. Stachen mit ihren Piken in die Glut, oft zween und drei an einem Schaft und warfen Bund um Bund in weitem Bogen nach beiden Seiten aus. Stob je ein Regen glühender Spreu in die Luft, das Stroh flammet im Falle hell auf, dann triebs eine Weil, zuckend wie ein verreckend Tier und ward verschlungen. So sank der Brand. Währet nit lang, und auch das letzt Fünklein war von Nacht und Nebel aufgesogen. Drüben lag Ruh. Brannten kein Feuer, dann sie waren des Friedens unsrer Stadt nit sicher. Hieben lag Ruh. Die Stern schwammen im Dunst, trüb und übelhumorig.
Da legtest du, mein Basil, deinen Mantel um meine Schultern, dieweil des Herbstes Herbigkeit sein flockigen Nebelbarchant über den dunklen Oderspiegel breitet, und du sagtest:
„Ihr sollet nit frieren, Vater, um meines Weibs willen.“
Zog dich nieder zu mir und schlug deinen Mantel um dich und mich, also saßen wir schweigend, dicht bei einander, und wir schameten uns fast. Du saßest ganz still und ehrtest meine Lieb, obgleich etliche Schritt von uns Männer deines Alters lagen und den Krug gehen ließen.
Mein Basil, darumb so sitz ich nun in unsrer chimischen Küchel, derweil du draußen stehst und auf die Dom-Insul lugst. Ich red zu dir, mein einzig Blut, das leben soll, wenn meine Feder vor alle Zeit schweigt. Und wenn mein Aug verloschen ist, sollst du aus diesen Blättern vernehmen, daß du mir selbigs Mal mein Herz erwärmt hast, nit nur meine alten Knochen. Da ist mir meines Herzens Wärm aufgestiegen als das süßest Quellwasser und hat mein Aug gefeuchtet, ohnmerklich freilich deinem Blicke. Dann Männer sollen nit an einander verschweigen, das ziemt kaum Liebesleuten. Bin ich aber tot, so magst du es wissen und ehren.
Hab oft gesehen, wie sich Vater und Sohn gen einander erhitzt und einander feindlich trieben, als die Herbigkeit die Bitternis treibet, und war keine süße Qualität zwischen beiden, so das wild Zornfeuer gesänftigt hätt; und will mir gleichwohl bedünken, es seie nichts, dann die verkehret Zärtlichkeit gewest. Wenn die sich umkehrt, gleicht sie ganz dem Skorpion im Feuer, der stößt den Stachel in sein eigen Herz und kummt vor Gift um. Will mich gleichwohl bedünken, daß sollichs Gift und Böswilligkeit zwischen Vater und Sohn besser seie, dann eine süßliche Fäul, daraus sich ein aufgeschwollen Pestilenz und Verderbung des Fleisches gebäret, wie der Meister Jakob erwiesen. Nichts kann den Mann mehr beschämen, als eine Zärtlichkeit wider sein eigen Geschlecht, darinnen kein mutvoll Ringen und selig Ernten liegt. Und es ist besser, der Mann verzehre sich in bitterem Willen, dann er verzärtele.
Also saßen wir still bei einand. Ich fühlet mit Freuden, daß du nur schwer deine Scham bezwangst, um den Vater zu wärmen. Verwunderte mich desgleichen, daß ich nur selten von jenseitigen Dingen mit dir gesprochen, da ich doch wußt, wie dein Gemüt der holden Besinnlichkeit geneigt seie. Dann wir sein allezeit bereit, unsre Perlen in ein fremden Schweinkober zu schütten, aber gar selten, den grauen Habit des Alltags von deren Schultern zu ziehen, die aus dem nämlichen Wasserkrug mit uns trinken. Daraus erwächst manch unnütz Einsiedelei, Verschüchterung des Gemüts und wohl auch Dünkel. Indem ich so dacht, strich die sanfte Hand Philosophiae über mein’ Scheitel und wir sprachen, wie doch alle Confession ein Stückwerk seie und, anstatt den Frieden zu vollenden, dem Teufel ihre Blößen erwiese, darein er im Nu sein bösen Willen geußt und so aus Theologia Politicam machet. Und du forschtest in mir, wie es wär, daß Gott sich durch den lieben Doktor Martinum neu erschlossen, und seie gleichwohl nit die Kraft in der Confessio, alle zu zwingen.
Darauf ich: „Solche liegt in keiner Confessio und kann nit.“
Du aber mit Besorgnis: „Vater, Ihr seid doch gut lutherisch?“
„Bin gut lutherisch, weil darinnen die meist Freiheit lieget. Bin lutherisch, wo verlangt wird zu bekennen. Aber Gott liegt in keim Bekenntnis, da sein der Wort zuviel. Dann unsre elementarischen Wort gleichen ganz dem brennend Stroh: ist ein Aufsehen, Funken, Flammen und Schein, du meinst, nu ist aller Finsternis ein End. Und gehst du hin nach einer Weil und schaust, liegt nichts da, als ein verdorret Aschensalz, das der Wind zerbläst. So einer witzig ist, wirft er’s in den Laugenkrug und geht damit baden. Beißt wohl die Haut rein von Staub und Schweiß, dringt aber nit zu Herzen. Sein allzuviel Redner und Bekenner, allzuviel brennend Stroh.“
Du neigtest deine Stirn und dein Blick ruhte am Boden, indem du sprachst: „Wie soll da ein Christenmensch seinen Gott erschauen!“
„Basil, dafür ist keine Practic erfunden.
Der eine steigt auf die Bastei vorm Mühltor und lustwandlet, bis er sich bekömmlich einen Hunger hat angelaufen. Dann geht er heim und setzt sich zufrieden an den Tisch.
Der ander zieht seine Kinder nach sich auf die Bastei und weist ihnen das groß Wasserrad. Hebt an mit Brustton: ,Das hat im Diameter bei zween Dutzend Ellen, und mehr als hundert Kannen kreisen auf ihm, die durch die Kraft des Wassers getrieben werden. Und schütten ihr Wasser all in die groß Leitung, so unter der Stadt hinziehet.“ Da staunen die Kindlein, und der Vater reibt sich seine Nas vor Gelahrtheit und sagt: ,Die Bastei ist eigentlich keine Bastei nit, sunder allein die Aufschüttung, daß man kunnt das Rad in Gang bringen, indem eine rechte Bastei nirgends von wegen eins Wasserrads gebauet wird, sunder von wegen der Fortification. Dieselb Aufschüttung allhie steht aber auf zwölf tausend Erlen- und Eichenpfählen. Erasme, wie heißt nun sollich ein Pfahl auf Latein?“ Fährt der klein Erasmus zusammen, und ein blasser Schröcken reißt seine Lider auf, bringt aber noch zu gutem Glück herfür: ,Palus“. Runzelt der Vater die Stirn und brummt: ,Das ist nit vollkommen, Erasme!“ Stottert der klein Erasmus: ,Palus, paludis …“ und hat auch schon seine Maulschellen. Greinend klaubt er seine Mutzen von den nickenden Grashalmen und leiert herfür: ,Palus, pali, masculini generis, der Pfahl; palus paludis, feminini generis, heißet aber ein stehend Wasser, Sumpf, Teich, See.“ Der Vater fährt nun fort zu erklären, daß hie dereinst der Rotgießer Drehekunst gestanden, so aber nieder gebrannt anno funfzehen hundert und etliche, weiß nit, der Vater aber weiß alls, auf Jahr und Tag. – Geht also auch dieser mit seinen Kindlein heim und desgleichen sehr befriediget.
Der dritt aber steht auf der Bastei. Neben ihm rauschet das Wasserrad eine wundersam Musicam, als die Orgel zu Sant Elisabethen am Ostersunntag. Viel tausend Demanten funklen an den vermoosten Speichen und viel tausend weben ein duftigs Schleiertuch, darein die untergehend Sunn einen bunten Bogen stickt, und eitel Goldglanz ergießt sich aus den Kannen. – Der Dritt läßt seinen trunknen Blick schweifen. Die Oder umgreift die Stadt wie eine Silberspangen den köstlichen Topas. Die schlanken Türm mit blanken Kugeln und Hahnen, drunter das heimlich Gewinkel und Gewirre, spitzgiebelig, gebräunt, und aus jedem Schornstein das behaglich Wölkchen. Alt-Breslau, du liebe Fraue von Schlesien! Und rund umher schlingen die Erlenhain einen huschenden Reigen, ducken sich hie als ein scheues Buschicht, recken sich da in schlanker Zier, und zwischendurch laufen die Weiden, ohn Atem, in silbergrauer Seiden, kugelrund, kurzbeinige, wohllebige Junker. Vom Ufer her aus dem Bürgerwerder summt noch das geschäftig Leben. Dort liegen die langen, schwarzen, schweren Schiff, dort deckt sich der Rechentisch mit Zahlen, dort kreist der Krahn von Ufer zu Fähre, von Fähre zu Ufer. Und der Mühlberg drüben! Über dem steht die blasse Scheiben wie ein weiß Schafwölklein. Er breitet seinen weiten, grünen Chamelotmantel und läßt ihn von den Leinwand-, Garn- und Züchenbleichen hell verbrämen … Da steigt in dem Dritten eine sanfte, wundersame Lieb vom Herzen auf, und ist ihm, als müsset er zu der brausenden Wasserorgel singen. – Sieh, Basil, in dem ist Gott. Die Engel im Lichte haben auch keine andre Lieb. Ist dies ein Confession und kunnts einer in Artikul fassen? Glaub nit. Vermeinest, daß der Mann möcht seliger sein, so er dies kunnt auf latein, griechisch, hebräisch deuten? Glaub nit. Und seines Leibes Notdurft ist gar verstummt. Fast sprengt ihm das singend Glück die Brust. Er trinkt mit Aug und Ohr und mit eim jeden Atemzug Gott, und Gott schlägt durch Aug und Ohr und jeden Hauch aus ihm herfür. Er ist erfüllet ganz. Die rot Sunn, der weiß Mond, und des Ostens dunkeles Blau und der Menschenerd bunts Getrieb strömt auf ihn ein, und aus ihm fleußt Himmel und Erde. Er ist Vater, Sohn und Geist in einem und ist Gott in seinem göttlichen Rausch.“
Du lägest an meiner Schulter und atmetest schwer, als müßtest ein Schluchzen verhehlen. Wir schwiegen lang. Da vernahm ich hinter mir ein leises Sporenklirren und legeten sich leichte Finger auf meine Schulter.
„Mäter Posewang, wollet mir Eure Hand verstatten.“
Und da ich mich erhob, drücket mich der Junker Strör von Gellwitz sanft nieder.
„O, verbleibet in Eurer beliebigen Situation! Ich muß Pardon erbitten, daß ich ohn Euer Permission gelauscht … Ihr erweckt mir fast ein Desir nach Schusterei. – So Ihr wünscht, meine Bibliothek steht Euch offen.“
Ich danket ihm sehr.
„Ihr solltet aber hier nit frieren, Mäter Posewang. Die Affär,“ und er wies hinüber gen Elbing, „ist nimmer so interessant, als sie Comte de Danoub diesen Abend zu machen verstanden hätt. – Kommt mit mir, ich will Euch durch die Torwacht bringen.“
Also geleitet mich der Junker freundlich, half mir die steile Steigen nieder und reichet mir dabei huldvollst die Hand, obwohl er nit jünger ist als ich.
Fand deine liebe Margret noch beim Licht. War froh, das verängstiget Frauenzimmer, da es höret: der Rat wöll alls wieder auf gleich bringen, die Dom-Insul freilich seie sogut als in der Schweden Hand. Sie setzet mir ein Mus für und ging zu den Kindlein schlafen, dann sie war fast müd. Was kunnt ihr auch an der Dom-Insul gelegen sein!
Mir war der Schlaf fern. Schlich hinüber in unsre chimische Küchel, setzet mich in den großen Kissenstuhl am Pulte und dacht bei mir, daß wir beid, du und ich, so viel Jahr neben einander geschustert und du dereinst kaum zu sagen wüßtest, was ich in Herzenstiefen getragen. Dann eine kurze Weil, und ich werd nimmer bei dir sein. Ich habe mein reichlich Stück Arbeit tan und mein Leben nit gespart. So möcht mein Andenken alsbald arm und ärmer werden und nichts davon bleiben, dann ein Achselzucken: ,Ja, er ist ein Schuster gewest, und der vielgerühmt Meister Jakob Böhme hat eine Zeitlang neben ihm geschustert."
Hab euch alle treu geliebet, sunderlich dich, mein Basil, und dann sollet ich gar verklungen sein und in des kleinen Joachim Gemüt vielleicht vor alle Zeit verstummen? So dacht ich in der Stille der chimischen Küchel bei mir: Ist ein Leben so gering? Hat nit da und dort ein schönes Licht gebrannt in allen meinen Jahren, das auch eines Enkelsohnes Brust kunnt erleuchten? Nit also, daß meines Lebens Lichtkranz sunderlich seie und merkwürdig – er brennt abseits vom Hochaltar. Aber gleichwohl ist ein jeds Lichtlein aus Freud und Kümmernis gezogen. Und ob ich nun gleich weiß, daß jeder Mann sein eigner Wachszieher sein muß, so fällt doch der Apfel nit weit vom Stamm. Und meine Art und Folge kunnt in künftigen Nächten je und je einen Trost aus meinem Licht gewinnen. Dann auch ich hab mannigsmal geglaubt, es brenn die Höll unter meinen Füßen und ihre Flammen müsseten mich verzehren, war aber nur das Feuer, bei dem mein Wachs ist lauter gesotten.
Also beschloß ich meines Lebens Krön vor dir zu entblätteren, wie einem herbstlichen Baum geziemt. O, wie sie fallen die Blätter alle!
Wäret einst grün und derselb Wind, so euch vom Ast fegt, flüsterte um euch wie ein süßer Buhl, daß ihr vor Wonne bebtet! Ihr schaukelt im Falle noch eine Weil her und hin, als trügen euch die Träum. Und dann liegt ihr still auf den toten Brüdern, selber nur ein Bett und Estrich vor die andern, so noch am Aste hangen eine Zeitlang. Und dann kummt der Schnee, der deckt alls zu.
Mußt eine Wochen verrinnen seither.
Drei Nächt deiner Wache sein dahingezogen, vor mir ist ein leeres Blatt gelegen und ein blütenweißer Kiel, ohn Tintenmakel, kein Schwanenfittich kunnt einen reineren geben. Mein Fäßlein war bis an den Rand mit dem dunklen Safte gefüllt, der wunderlich ist wie der erst Wille Gottes. Ist doch ein jeder Tropf darinnen gleich einem Cosmus in seim Urgrund und Chaos. Der Möglichkeiten so in ihm ruhen – endlos viel; ruhen nirgend mehr. Der Tropf hängt sich an den Kiel, ein Federzug, das Blatt ist kein Blatt mehr. Es hat sein elementarisch Wesen entäußert, sein papieren Eigentum verlorn, ist hörig worden und ein Knecht. Ihm ist eine Stimm auferlegt. Die muß es tragen. Und gleichet darin ganz dem irdischen Menschen, der seine Sinne tragen muß, damit Gott und der Welt Herre schreiben. Und ergreifst du das gezeichnet Blatt, so erfüllen dich die Zeichen, was liegt dir am Papier. Also tritt ein Fremdling in dein Gadem, was suchst du bei ihm? Fürderst die Zeichen. Was liegt dir dran, ob er gegessen oder getrunken hab, ob er von Prag oder Dräsn kummt? (Wird aber die letzt Trumpet erschallen und alle Wesen herfürlocken, es werden die Zeichen sein, so auf ihnen ruhen, die werden alsdann sprechen. Drum eben hab nit Angst, mein Sohn Basil: Gott wird das Papier nit ansehn, so es gleich grau und grobkörnicht war, Gott siehet nicht den Leib, noch die Erdenkrum, die an ihm hanget. Sündern allein was aus Not und Freud, aus Irrtum und Erkenntnis, was aus Laster und Reinheit vor Zeichen ist dir erwachsen. Das bleibt in Zeit und Ewigkeit dein Teil und ist die Stimm, so dir vom Leben auferlegt ward, ist die Entäußerung deines elementarischen Wesens in ihm selbst. – Darum mißtraue denen Auctoribus und Scribenten, die nit acht haben auf den schwarzen Tropf, so ihr Kiel aus dem Fäßlein zeucht, die desgleichen vermeinen, das Papier seie geduldig. Dann wer die Mittel vor nichts achtet, der schätzet auch die Zeichen gering. Die Zeichen aber schreien nach dem Gewissen.)
Saß in den dreien Nächten harrend vor dem Pult. Das unbeschrieben Blatt wuchs vor meinen Augen in die Weite, umfloß mich wie ein erstaunlichs Gefild, darauf ein großer Himmel ruhet. Das Gefild war von reifen Ähren übergüldt. Indem ich meinen Blick schweifen ließ, erhob sich ein Sturm. Das wogend Rauschen schwoll allumher, und aus den Wogentalen tauchten Stein um Stein: ein Totenacker, über dem das Korn wallt. Durch den Sturm aber ging die gewaltig Sehnsucht, bitter, heftig, voll drängender Not, bis sich der quellend Wunsch an ihm selbst entzündt und zum Wortblitz erstarret. Der Blitz stand über dem weiten, brausenden Feld, und aus ihm rief der Donner, daß es unter meinen Füßen wanket und ich vom Fieber geritten ward. „Erwachet!“, allso riefs. Barst Stein um Stein. Daraus hob sich meines Lebens Näh und Fern und schrie mich an: „Joachim, sieh mich! Joachim, nun zittere du!“
Endlos tobet das Gedräng. Sie stampfeten die gülden Saat nieder unter ihrem wilden Getrampel, stürmeten also herbei, all meines Lebens Gestalten aus Näh und Fern, in bunten Kasack en, in grauen Säcken, in schwarzen Talaren. Hoben ihre Faust wider mich auf und brülleten: „Hast midi schmählich verleugnet! Hast mich aufn Mist geworfen! Hast mir ein Luglarven umtan!“ Waren ihrer wenig, so mich freundlich grüßten und mir zuwinkten! Ich stand inmitten: ein Feldhauptmann, den die losen, rottierend Haufen um Sold anschreien, er aber weiß, seine Truhen sein hohl wie Pauken. Wußt mir nit Rat wider mein eigen Leben, das nah und näher brausete. Und wie die Schwalb vor dem Wetter duckend über den Boden huscht, so tauchten meine gespreizten Händ nieder ins Korn, rauften je eine Handvoll Halm und schwangen sie denen entgegen: „Sehet mein gülden Korn! Ihr sollt mirs nimmer zertramplen!“ Und die reife Frucht lösete sich aus den geschwungnen Ähren; war wie ein Goldregen über meines Lebens Gestalten allen. Hagelte in ihre Herzen. Also erstarrete die drangvolle Woge vor mir, türmet sich hoch und sank zurück. Ergoß sich über das weite Feld und jeglicher Stein verschlang das Seine. Es reckten sich die Halm neu. Ein leiser Kornduft und Schmack der satten Erd wallet drüber hin.
Erhob sich die Stimm in meinem Herzen, so immer bei mir gewest, wenn mich des Lebens Mühsal fast übermannet, und sie klang über das weite Feld hin: „Ich will euch rufen, jeden an seinem Feierabend!“ Aus den Steinen scholls dawider: „Wir hören!“