Читать книгу Erwin Rosenberger: In indischen Liebesgassen - Prostitution in Bombay - Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes - Erwin Rosenberger - Страница 7
Vorwort zur Neu-Ausgabe
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In den Jahren des Ersten Weltkriegs unseligen und widerwärtigen Angedenkens war uns, wie jedermann weiß, nebst anderen Freiheiten auch die Freizügigkeit weggenommen; wir hatten nicht die Möglichkeit, nach eigenem Belieben zu wandern und zu reisen.
Indien lag damals in einer unerreichbaren Ferne. Ein Spaziergang durch die Gassen der indischen Hafenstadt Bombay erschien mir in jenen Tagen als eine ungefähr ebenso leichte und naheliegende Unternehmung wie etwa das Hinaufklettern auf einen Mondkrater oder wie eine Kahnfahrt auf einem Marskanal.
Und ich hielt es zu damaligen Zeiten für höchst unwahrscheinlich, dass ich noch jemals über die blauen Meereswellen als Schiffsarzt dahin gondeln würde.
Indes, eines holden Tages, im Herbst 1919, stand ich wieder auf dem Verdeck eines Schiffes, das aus dem Hafen von Triest abdampfte, ich lehnte an der Reeling, erfüllt von der wunderbaren Empfindung: Jetzt bist du wiederum Seefahrer! Jetzt geht's hinaus in nähere und entlegene Meere! – Und ich sah, wie die Häuser von Triest kleiner und kleiner wurden.
Auf den Dampfern des Lloyd „TRIESTINO“ trieb ich mich nun in der Levante herum und im Schwarzen Meer, fuhr dann zweimal nach Japan und endlich, im Jahre 1921 und späterhin, fand ich von neuem Gelegenheit, die Küste Vorderindiens zu besuchen, die indische Hafenstadt Bombay, mein wohlbekanntes Bombay.
Es ist selbstverständlich, dass ich in Bombay auch den Stadtteil der Freudenmädchen aufsuchte, die mir sehr vertrauten Liebesgassen, denen ich vor dem Krieg so manches Blatt meiner Tagebücher gewidmet. Die Beobachtungen, die ich während dieser Forschungs-Ausflüge machte, jetzt nach dem Kriege, sind als nachträgliches Kapitel angegliedert.
Zudem habe ich den Tagebüchern, die ich vor dem Krieg geschrieben, noch einige Kapitel entnommen, Aufzeichnungen, welche mir eine belehrsame Ergänzung dieser sittengeschichtlichen Studie zu sein schienen, und habe sie da und dort eingeschaltet.
Ich hatte mich bemüht, in meinen Tagebüchern die Wirklichkeit möglichst genau und richtig zu porträtieren. Man tut dies, weil man – wenn ich so sagen darf – als Forschungswanderer von einer Art wissenschaftlichen Gewissens geleitet und tyrannisiert wird. Und ferner: der Trieb, ein Tagebuch zu führen, ist eine Form des Selbsterhaltungstriebes; wer, einem inneren Zwange folgend, seine Erlebnisse auf dem Papier konserviert, will das Stück Leben, das aus jenen Geschehnissen aufgebaut ist, vor dem Untergang retten. Das Leben, – das ist die Summe der Erlebnisse. Wenn wir die Begebenheiten einer bestimmten Lebensperiode vergessen haben, wenn uns keine Erinnerungsspur von ihnen geblieben ist, so ist diese Lebensstrecke verloren, gestorben. Das Tagebuch ist das Mittel, unser Selbst zu erhalten, unser Ich festzuhalten; die Iche – sit venia verbo – woraus unsere Vergangenheit zusammengesetzt ist. Jeder Mensch hat in seinem individuellen Dasein eine lange Ahnenreihe, – all die Iche, all seine Entwicklungsstufen, alle Formen seiner Persönlichkeit, die seinem derzeitigen Ich vorangegangen sind.
Jeder ist sein eigener Vorfahr, wie er auch sein eigener Nachkomme, Nachfolger ist.
– Ich bin, merk ich, ein bisschen vom Thema abgeschweift; vom Hinweis, dass der Autor eines Tagebuches aus konservativem Egoismus sich gedrängt fühlt, mit historischer Treue zu zeichnen, um den Erinnerungswert nicht zu beschädigen, in der Voraussicht, dass er selber einmal der Leser seiner Tagebücher sein wird.
Januar 1924.
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