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Einleitung

Das Thema „Essen“ nimmt im individuellen Alltag sowie auch in den Medien und der Öffentlichkeit einen großen Stellenwert ein: Essen ist lebensnotwendig. Essen ist aber auch mit sozialen Aktivitäten und Kontakten assoziiert. Darüber hinaus werden das Essen und seine Zubereitung in einer Vielzahl von Kochbüchern und TV-Sendungen geradezu zelebriert, herausragende Kochkünste werden honoriert, und in entsprechenden Restaurants soll Essen zum ultimativen Genusserlebnis werden. Essen wird des Weiteren in vielfältigsten Formen zum Kauf angeboten, die Auswahlmöglichkeiten nehmen kontinuierlich zu. Essen ist offensichtlich nicht nur lebensnotwendig, es ist in unserer Gesellschaft auch ein wichtiger Teil des sogenannten „Lifestyles“ – den meisten Menschen verschafft Essen Freude und Genuss.

Gleichzeitig existiert in der westlichen Gesellschaft ein körperliches Schönheitsideal, das sich in den letzten vierzig Jahren immer mehr in Richtung „schlank“ bzw. „dünn“ entwickelt hat. Erstrebenswert erscheint dieses Ideal, weil es Schlankheit mit Gesundheit, Schönheit und Erfolg gleichsetzt. Dabei werden eine Figur und ein Körpergewicht propagiert, die nicht mit den physiologischen Voraussetzungen der meisten Menschen übereinstimmen. Anders ausgedrückt: Das Ideal kann mit normalem (langfristig gesundem) Ess- und Ernährungsverhalten nicht erreicht werden.

Dieses unrealistische Ideal wird in Werbung und Medien nicht weniger intensiv und bildhaft angepriesen wie der Themenbereich Essen, was erwiesenermaßen zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, gestörtem Essverhalten, Sorgen um Gewicht und Figur sowie ungesunden Strategien der Gewichtskontrolle führt (Becker / Fay 2006) – Schlanksein wird beinahe zur kollektiven Besessenheit. Für viele entwickelt sich das Thema Essen daher weg vom Genuss und wird zur Belastung: Ein vormals meist unbeschwerter Bereich bekommt eine derart hohe Relevanz, ja Omnipräsenz, dass er nicht mehr mit Lust, sondern mit Leiden verknüpft ist.

Es existieren verschiedenste Muster nicht-normativen Essverhaltens und dysfunktionaler Bewertungen hinsichtlich der Bedeutung von Figur und Gewicht. Das Ausmaß der jeweiligen Abweichung vom „Normalen“ variiert, und die Grenze zwischen bedenklichem Verhalten, problematischem und gestörtem Verhalten ist fließend. Problematisches, nicht-normatives Verhalten im Umgang mit Essen, Figur und Gewicht ist weit verbreitet. So treten beispielsweise gezügeltes Essverhalten (durch Einsparen von Nahrung oder Diätieren wird das Körpergewicht beeinflusst bzw. kontrolliert) und wiederholtes erhebliches Überessen bis hin zu Essanfällen auch bei Gesunden häufig auf. Im Unterschied zu klinisch relevanten Essstörungen sind diese Verhaltensweisen jedoch (noch) nicht mit einer deutlichen Belastung und Beeinträchtigung verbunden. Vom Ausmaß einer eigentlichen klinischen Störung im Umgang mit Essen, Figur und Gewicht ist ein vergleichsweise geringer Teil der Bevölkerung betroffen.

Auffälliges Verhalten in Bezug auf das Essen sowie damit verknüpfte Schwierigkeiten sind nichts Neues, sondern historisch belegt; Beschreibungen von selbst gewähltem Hungern bis hin zu exzessivem Überessen existieren seit Jahrhunderten. Jedoch scheinen die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Essen, die aktuell als Essstörungen definiert werden, eine „neue“ oder „moderne“ Entwicklung zu sein, charakteristisch für das zwanzigste Jahrhundert (Vandereycken 2002). Auffällig ist, dass ein Teil dieser Essstörungen unverhältnismäßig häufig unter weiblichen Jugendlichen und jungen Frauen auftritt. Diese manifesten Essstörungen, namentlich die Anorexia Nervosa („Magersucht“), Bulimia Nervosa („Ess-Brech-Sucht“), Binge Eating Störung („Essanfallsstörung“) und die nicht näher bezeichnete Essstörung (Residualkategorie), werden in diesem Buch beschrieben. Dabei sollen auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Befunde u. a. folgende Fragen beantwortet werden, um einen Einstieg in das Thema „Essstörungen“ zu vermitteln:

• Was ist unter den verschiedenen Essstörungen konkret zu verstehen, und wie unterscheiden sie sich voneinander?

• Wie häufig tritt die jeweilige Essstörung auf, und wer ist davon betroffen?

• Warum entwickelt nur ein Bruchteil derer, die dem gängigen Schlankheitsideal nacheifern, eine manifeste Essstörung, oder was trägt zur Entwicklung einer Essstörung bei?

• Welche Behandlungsansätze sind zur Therapie der Essstörung wirksam?

Die Essstörungen gehören nebst anderen psychischen Störungsbildern wie beispielsweise den Angst- und affektiven Störungen in den Bereich der Psychopathologie. Dieser wird innerhalb des Studiums der Klinischen Psychologie vermittelt. Störungsspezifisches Wissen über Essstörungen ist die Grundlage für deren wirksame Behandlung; es ermöglicht jedoch auch ein besseres Verständnis für die Betroffenen und deren Angehörige. Gerade auch im pädagogischen Bereich kann es hilfreich sein, aufgrund von Basiswissen betroffene oder gefährdete Kinder, Jugendliche oder Adoleszente zu erkennen und adäquate erste Hilfestellungen zu geben.

Essstörungen

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