Читать книгу Nachtstücke - 2. Teil - E.T.A. Hoffmann - Страница 4
Das öde Haus
ОглавлениеMan war darüber einig, dass die wirklichen Erscheinungen im Leben oft viel wunderbarer sich gestalteten als alles, was die regste Phantasie zu erfinden trachte. „Ich meine,“ sprach Lelio, „dass die Geschichte davon hinlänglichen Beweis gibt und dasseben deshalb die sogenannten historischen Romane, worin der Verfasser in seinem müssigen Gehirn bei ärmlichem Feuer ausgebrütete Rindereien den. Taten der ewigen, im Universum waltenden Macht beizugesellen sich unterfängt, so abgeschmackt und widerlich sind.“ „Es ist“, nahm Franz das Wort, „die tiefe Wahrheit der unerforschlichen Geheimnisse, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den über uns herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen.“ „Ach!“ fuhr Lelio fort, „die Erkenntnis, von der du sprichst! — ach, das ist ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem Sündenfall, dass diese Erkenntnis uns fehlt!“ „Viele,“ unterbrach Franz den Freund, „viele sind berufen und wenige auserwählt! Glaubst du denn nicht, dass das Erkennen, das beinahe noch schönere Ahnen der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist wie ein besonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren könnten, heraufzuspringen in den heiteren Augenblick, werf’ ich Euch das skurrile Gleichnis hin, dass Menschen, denen die Sehergabe, das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermäuse bedünken wollen, an denen der gelehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stellvertreter nicht allein alles, sondern viel mehr ausrichtet als alle übrigen Sinne zusammengenommen.“ „Ho ho,“ rief Franz lächelnd, „so wären denn die Fledermäuse eigentlich recht die geborenen natürlichen Somnambulen! Doch in dem heiteren Augenblick, dessen du gedachtest, will ich Posto fassen und bemerken, dass jener sechste bewunderungswürdige Sinn vermag, an jeder Erscheinung, sei es Person, Tat oder Begebenheit, Sogleich dasjenige Exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserem gewöhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was ist denn aber gewöhnliches Leben? — Ach, das Drehen in dem engen Kreise, an den unsere Nase überall stösst, und doch will man wohl Rurbetten versuchen im taktmässigen Passgang des Alltagsgeschäfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir sprechen, ganz vorzüglich eigen scheint. Daher kommt es, dass er oft unbekannten Menschen, die irgend etwas Verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, tagelang nachläuft, dass er über eine Begebenheit, über eine Tat, leichthin erzählt, keiner Beachtung wert und von niemandem beachtet, tiefsinnig wird, dass er antipodische Dinge zusammenstellt und Beziehungen herausphantasiert, an die niemand denkt.“ Lelio rief laut: „Halt, halt, das ist ja unser Theodor, der ganz was Besonderes im Kopfe zu haben scheint, da er mit solch seltsamen Blicken in das Blaue herausschaut.“ „In der Tat,“ fing Theodor an, der so lange geschwiegen, „in der Tat waren meine Blicke seltsam, solang darin der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im Geiste schaute. Die Erinnerung eines unlängst erlebten Abenteuers“ — „O erzähle, erzähle,“ unterbrachen ihn die Freunde. „Erzählen“, fuhr Theodor fort, ,,möcht’ ich wohl doch muss ich zuvörderst dir, lieber Lelio, sagen, dass du die Beispiele, die meine Sehergabe dartun sollten, ziemlich schlecht wähltest. Aus Eberhards Synonymit musst du wissen, dass wunderlich alle Äusserungen der Erkenntnis und des Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernünftigen Grund rechtfertigen lassen, wunderbar aber dasjenige heisst, was man für unmöglich, für unbegreiflich hält, was die bekannten Kräfte der Natur zu übersteigen oder, wie ich hinzufüge, ihrem gewöhnlichen Gange entgegent zu sein scheint. Daraus wirst du entnehmen, dass du vorhin rücksichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwechseltest. Aber gewiss ist es, dass das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sprosst, und dass wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blättern und Blüten hervorsprossen. In dem Abenteuer, das ich euch mitteilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich dünkt, recht schauerliche Weise.“ Mit diesen Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wussten, allerlei Notizen von seiner Reise her eingetragen hatte, und erzählte, dann und wann in dies Buch hineinblickend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mitteilung nicht unwert scheint.
„Ihr wist (so fing Theodor an), dass ich den ganzen vorigen Sommer in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vorfand, das freie, gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heiterer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Strassen zu wandeln, und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zuergögen, oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebäude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebäuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem ***ger Tore führt, ist der Sammelplatz des höberen, durch Stand oder Reichtum zum üppigeren Lebensgenuss berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoss der hohen breiten Paläste werden meistenteils Waren des Luxus feilgeboten, indes in den oberen Stockwerken Leute der beschriebenen Rlasse hausen. Die vornehmsten Gasthäuser liegen in dieser Strasse, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so könnt ihr denken, dass hier ein besonderes Leben und Regen, mehr als in irgendeinem anderen Teile der Residenz, stattfinden muss, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudrängen nach diesem Orte macht es, dass mancher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein Bedürfnis eigentlich erfordert, begnügt, und so kommt es, dass manches von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages plätzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen übrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schönen Gebäuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock über dem Erdgeschoss nur wenig über die Fenster im Erdgeschoss des nachbarlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gänzlicher Verwahrlosung des Eigentümers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebäuden sich ausnehmen muss. Ich blieb stehen und bemerkte bei näherer Betrachtung, dass alle Fenster dicht verzogen waren, ja dass vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgeführt schien, dass die gewöhnliche Glocke an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Haustür diente, fehlte, und dass an dem Torwege selbst nirgends ein Schloss, ein Drucker zu entdecken war. Ich wurde überzeugt, dass dieses Haus ganz unbewohnt sein müsse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch vorübergehen mochte, auch nur die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung, und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natürlichen einfachen Grund, dass der Besiger, auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen Gütern hausend, dies Grundstück weder vermieten noch veräussern mag, um, nach ***n zurückkehrend, augenblicklich seine Wohsung dort aufschlagen zu können. — So dacht’ ich, und doch weiss ich selbst nicht, wie es kam, dass, bei dem öden Hause vorüberschreitend, ich jedesmal wie festgebanntstehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen als verstricken musste. — Ihr wisst es ja alle, ihr wackeren Kumpane meines fröhlichen Jugendlebens, ihr wisst es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebärdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt seltsame Ersdheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wusstet! — Nun! zieht nur eure schlauen spitzfindigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, dass ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und dass mit dem öden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber — am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt, horcht nur auf! — Zur Sache! — Eines Tages, und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewöhnlich in tiefen Gedanken hinstarrend, vor dem öden Hause. Plötzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, dass jemand neben mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hin sicht als mir geistesverwandt kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als dass auch ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr siel es mir auf, dass, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies verödete Gebäude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch lächelte, bald war aber alles erklärt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Kombinationen usw. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte hinaus, die nur die lebendigste Phantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es wäre wohl recht, dass ich euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt fühle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, dass ich unaufhaltsam fortfahren muss. Wie war aber dem guten Grafen zumute, als er, mit der Geschichte fertig, erfuhr, dass das verödete Haus nichts anderes enthalte als die Zuckerbäckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstiess. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Öfen eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebackenen im oberen Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhängen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Dämon den Süssträumenden empfindlich und schmerzhaft bei der Nase. — Unerachter der prosaischen Aufklärung musste ich doch noch immer vorübergebend nach dem öden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbäckerei, des marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Früchte usw. gewöhnen. Eine seltsame Ideenkombination liess mir das alles erscheinen wie füsses, beschwichtigendes Zureden. Ungefähr: „Erschrecken Sie nicht, Bester! Wir alle sind liebe, süsse Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bisschen einchlagen.“Dann dachte ich wieder: „Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, dass du das Gewöhnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen überspannten Geisterseher?“ — Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht anders sein konnte, immer unverändert, und so geschah es, dass mein Blick sich daran gewöhnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmählich verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. — Dass, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltägliche gefügt hatte, ich doch nicht unterliess, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das könnt ihr euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer, ritterlicher Treue am Wunderbaren festhält, wohl denken. So geschah es, das ich eines Tages, als ich wie gewöhnlich zur Mittagsstunde in der Allee luftwandelte, meinen Blick auf die verhängten Fenster des öden Hauses richtete. Da bemerkte ich, dass die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riss meinen Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend weisse, schön geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem Finger ein Brillant mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in üppiger Schönheit geründeten Arm. Die Hand setzte eine hohe, seltsam geformte Kristallflasche hin auf die Fensterbank und verchwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein sonderbar bänglich wonniges Gefühl durchströmte mit elektrischer Wärme mein Inneres, unverwandt blickte ich hinauf nach dem verhängnisvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen Gesichtern hinaufguckten. Das verdross mich, aber gleich fiel mir ein, dass jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das, zahllos vor dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich darüber zu verwundern aufhören konnte, dass eine Schlafmütze aus dem sechsten Stock herabgestürzt, ohne eine Marche zu zerreissen. — Ich schlich mich leise fort, und der prosaische Dämon flüsterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, dass soeben die reiche, sonntäglich geschmückte Konditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. — Seltener Fall! — mir kam urplötzlich ein sehr gescheiter Gedanke. — Ich kehrte um und geradezu ein in den leuchtenden Spiegelladen des dem öden Hause nachbarlichen Konditors. — Mit kühlendem Atem den heissen Schaum von der Schokolade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: „In der Tat, Sie haben da nebenbei Ihre Anstalt sehr schön erweitert.“ — Der Konditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die Vierteltüte, und diese dem lieblichen Mädchen, das danach verlangt, hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit über den Ladentisch herüber und schaute mich mit solch lächelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wiederholte, dass er sehr zweckmässig in dem benachbarten Hause seine Bäckerei angelegt, wiewohl das dadurch verödete Gebäude in der lebendigen Reihe der übrigen düster und traurig absteche. „Ei, mein Herr!“ fing nun der Konditor an, „wer hat Ihnen denn gesagt, dass das Haus nebenan uns gehört? — Leider blieb jeder Versuch, es zu akquirieren, vergebens, und am Ende mag es auch gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigene Bewandtnis.“ — Ihr, meine treuen Freunde, könnt wohl denken, wie mich des Konditors Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause zu sagen. „Ja, mein Herr!“ sprach er, „recht Sonderliches weiss ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiss, dass das Haus der Gräfin von S. gehört, die auf ihren Gütern lebt und seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keines der Prachtgebäude existierte, die jetzt unsere Strasse zieren, stand dies Haus, wie man mir erzählt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der Zeit wurd’es nur gerade vor dem gänzlichen Verfall gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter, menschenfeindlicher Hausverwalter und ein grämlicher, lebensatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in dem öden Gebäude hässlich spuken, und in der Tat, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzüglich zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschäft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an, so hässlich zu scharren und zu rumoren, dass uns beiden ganz graulich zumute wurde. Auch ist es nicht lange her, dass sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hören liess, den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Töne waren so gellend klar und liefen in bunten Kadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland so viel Sängerinnen gekannt, noch nie gehört habe. Mir war so, als würden französische Worte gesungen, doch konnt’ich das nicht genau unterscheiden, und überhaupt das tolle gespenstische Singen nicht lange anhören, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geräusch auf der Strasse nachlasst, hören wir auch in der hinteren Stube tiefe Seufzer und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervorzudröhnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, dass es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. — Bemerken Sie“ — (er führte mich in das hintere Zimmer und zeigte durchs Fenster), „bemerken Sie jene eiserne Röhre, die aus der Mauer hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, dass mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit entschuldigt, dass er sein Essen koche, was der aber essen mag, das weiss der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Röhre recht stark raucht, ein sonderbarer, ganz eigentümlicher Geruch.“ — Die Glastür des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf mir, nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. — Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt jemand anders sein, als der Verwalter des geheimnisvollen Hauses? — Denkt euch einen kleinen dürren Mann mit einem mumienfarbenen Gesicht, spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen, grünfunkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigen Lächeln, altmodisch mit aufgetürmtem Toupet und Klebelöckchen frisiertem, stark gepudertem Haar, grossem Haarbeutel, postillon d’Amour, kaffeebraunem, altem, verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebürstetem Kleide, grauen Strümpfen, grossen abgestumpften Schuhen mit Steinsschnällchen. Denkt euch, dass diese kleine dürre Figur doch, vorzüglich was die übergrossen Fäuste mit langen starken Fingern betrifft, robust geformt ist und kräftig nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber stets lächelnd und starr hinschauend nach den in Kristallgläsernaufbewahrten Süssigkeiten mit ohnmächtiger klagender Stimme herausweint: „Ein paar eingemachte Pomeranzen — ein paar Makronen — ein paar Zuckerkastanien usw.“ Denkt euch das und urteilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Konditor suchte alles, was der Alte gefordert, zusammen. „Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar,“ jammerte der seltsame Mann, holte ächzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche und suchte mühsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzählte, aus verschiedenen alten, zum Teil schon ganz aus dem gewöhnlichen Kurs gekommenen Münzsorten bestand. Er tat dabei sehr kläglich und murmelte: „Süss — süss — süss soll nun alles sein — süss meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul — puren Honig.“ Der Konditor schaute mich lachend an und sprach dann zu dem Alten: „Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja, das Alter, das Alter, die Kräfte nehmen ab immer mehr und mehr.“ Ohne die Miene zu ändern, rief der Alte mit erhöhter Stimme: „Alter? — Alter? — Kräfte abnehmen? Schwach — matt werden! — Ho ho — ho ho — ho ho!“ Und damit schlug er die Fäuste zusammen, dass die Gelenke knackten, und sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Füsse zusammenklappend, hoch auf, dass der ganze Laden dröhnte und alle Gläser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein grässliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten, der hinter ihm hergeschlichen, dicht an seine Füsse geromiegt, auf dem Boden lag. „Verruchte Bestie! Satanischer Höllenhund!“ stöhnte leise im vorigen Ton der Alte, öffnete die Tüte und reichte dem Hunde eine grosse Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, retzte sich auf die Hinterpfoten und knabberte an der Makrone wie ein Eichhörnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen und Einstecken seiner Tüte. „Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar,“ sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand und drückte die des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. „Der alte schwächliche Greis wünscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Konditor,“ wiederholte er dann und schritt zum Laden hinaus, hinter ihm der schwarze Hund, mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. „Sehen Sie,“ fing der Konditor an, „sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S. war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die gräflich S—sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe wegen des wunderlichen Getöns zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: ,Ja! — die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein’.“ — Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tür öffnete sich, elegante Welt strömte herein, und ich konnte nicht weiter fragen. —
So viel stand nun fest, dass die Nachrichten des Grafen P. über das Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, dass der alte Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte, und dass ganz gewiss irgendein Geheimnis vor der Welt dort verhüllt werden sollte. Musste ich denn nicht die Erzählung von dem seltsamen, schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schönen Armes am Fenster in Verbindung setzen? Der Arm sass nicht, konnte nicht sitzen an dem Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen blühenden Mädchens kommen. Doch für das Merkzeichen des Armes entschieden, konnt’ ich leicht mich selbst überreden, dass vielleicht nur eine akustische Täuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und dass ebenso vielleicht nur des vom Graulichen befangenen Konditors trügliches Ohr die Töne so vernommen. — Nun dacht’ ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Kristallflasche, die ich sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geschöpfes mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl, der, vielleicht ganz unabhängig von der gräflich S—schen Familie geworden, nun auf seine eigene Hand in dem verödeten Hause unheilbringendes Wesen trieb. Meine Phantasie war im Arbeiten, und noch in selbiger Nacht, nicht sowohlim Traum als im Delirieren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glänzenden Spange. Wie aus dünnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmütig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines Mädchens in voller anmutiger Jugendblüte hervor. Bald bemerkte ich, dass das, was ich für Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kristallflasche, die Gestalt in den Händen hielt, in sich kreifelndem Gewirbel emporstieg. „O, du holdes Zauberbild,“ rief ich voll Entzücken, „o, du holdes Zauberbild, tu’ es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen hält? — O, wie du mich so voll Wehmut und Liebe anblickst! — Ich weiss es, die schwarze Kunst ist es, die dich befangen, du bist die unglückselige Sklavin des boshaften Teufels, der herumwandelt, kaffeebraun und behaarbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Sprüngen alles zerschmeissen will und Höllenhunde tritt, die er mit Makronen füttert, nachdem sie den satanischen Murki im Fünfachteltakt abgeheult. — O, ich weiss ja alles, du holdes, anmutiges Wesen! — Der Diamant ist der Reflex innerer Glut! — Ach, hättest du ihn nicht mit deinem Herzblut getränkt, wie könnt’ er so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den allerherrlichsten Liebestönen, die je ein Sterblicher vernommen. — Aber ich weiss es wohl, das Band, das deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sei magnetisch. — Glaub’ es nicht, Herrliche! — Ich sehe ja, wie sie herabhängt in die von blauem Feuer glühende Retorte. — Die werf’ ich um und du bist befreit! — Weiss ich denn nicht alles — weiss ich denn nicht alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! — nun öffne den Rosenmund, o sage“ — In dem Augenblick griff eine knotige Faust über meine Schulter weg nach der Kristallflasche, die in tausend Stücke zersplittert in der Luft verstäubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die an mutige Gestalt verschwunden in finsterer Nacht. — Ha! ich merk’ es an eurem Lächeln, dass ihr schon wieder in mir den träumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich euch, dass der ganze Traum, wollt ihr nun einmal nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im profatschen Unglauben anzulächeln, so will ich lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. — Kaum war der Morgen angebrochen, als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief und mich hinstellte vor das öde Haus! — Ausser den inneren Vorhängen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Strasse war noch völlig menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut liess sich hören, still blieb es wie im tiefen Grabe. — Der Tag kam herauf, das Gewerbe rührte sich, ich musste fort. Was soll ich euch damit ermüden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner bestimmten Notiz führte, und wie endlich das schöne Bild meiner Vision zu verblassen begann. — Endlich, als ich einst am späten Abend von einem Spaziergange heimkehrend bei dem öden Hause herangekommen, bemerkte ich, dass das Tor halb geöffnet war; ich schritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluss war gefasst. „Wohnt nicht der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Haufe?“ So frug ich den Alten, indem ich, ihn beinahe zurückdrängend, in den von einer Lampe matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem stehenden Lächeln und sprach leise und gezogen: „Nein, der wohnt nicht hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. — Aber die Leute sagen, es spuke hier in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, dass es nicht wahr ist, es ist ein ruhiges, hübsches Haus, und morgen zieht die gnädige Gräfin von S. ein und — gute Nacht, mein lieber Herr!“ — Damit manövrierte mich der Alte zum Hause hinaus und verschloss hinter mir das Tor. Ich vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden Schlüsselbunde über den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, hinabstieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, dass der Flur mit alten bunten Tapeten behängt und wie ein Saal mit grossen, mit rotem Damast beschlagenen Lehnsesseln möbliert war, welches denn doch ganz verwunderlich aussah.
Nun gingen, wie geweckt durch mein Eindringen in das geheimnisvolle Haus, die Abenteuer auf! — Denkt euch, denkt euch, sowie ich den anderen Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick schon in der Ferne sich unwillkürlich nach dem öden Hause richtet, sehe ich an dem letzten Fenster des oberen Stocks etwas schimmern. — Nähergetreten bemerke ich, dass die äussere Jalousie ganze, der innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen. — O Himmel! gestützt auf den Arm blickt mich wehmütig flehend jenes Antlitz meiner Vision an. — War es möglich, in der auf- und abwogenden Masse stehenzubleiben? — In dem Augenblick fiel mir die Bank ins Auge, die für die Luftwandler in der Allee in der Richtung des öden Hauses, wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Rücken kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich über die Lehne der Bank wegbeugend, konnt’ ich nun ungestört nach dem verhängnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige holdselige Mädchen, Zug für Zug! — Nur schien ihr Blick ungewiss. — Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen etwas Totstarres, und die Täuschung eines lebhaft gemalten Bildes wäre möglich gewesen, hätten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens an Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quäkende Stimme des italienischen Tabulettkrämers gehört, der mir vielleicht schon lange unaufhörlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab. Er liess aber nicht nach mit Bitten und Quälen. Noch gar nichts habe er heute verdient, nur ein paar Bleifedern, ein Bündelchen Zahnstocher möge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Überlästigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: „Auch hier hab’ ich noch schöne Sachen!“ zog er den untersten Schub seines Kastens heraus und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter anderen Gläsern lag, in kleiner Entfernung seitwärts vor. — Ich erblickte das öde Haus hinter mir, das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen die holde Engelsgestalt meiner Vision. — Schnell kaufť ich den kleinen Spiegel, der mir es nun möglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. — Doch, indem ich nun länger und länger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd’ ich von einem seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich beinahe waches Träumen nennen möchte, befangen. Mir war es, als lähme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von dem Spiegel. Mit Beschämung muss ich euch bekennen, dass mir jenes Ammenmärchen einfiel, womit mich in früher Kindheit meine Wartfrau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa gelüsten liess, abends vor dem grossen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehenzubleiben und hineinzugucken. Sie sagte nämlich, wenn Kinder nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt’ ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt’ ich ein Paar grässliche glühende Augen aus dem Spiegel fürchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stürzte dann ohnmächtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mit, als hätten jene Augen mich wirklich angefunkelt. — Kurz, alles dieses tolle Zeug aus meiner frühen Kindheit fiel mir ein, Eiskälte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir schleudern — ich vermocht’ es nicht — nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an — ja, ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. — Jenes Grausen, das mich plötzlich ergriffen, liess von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz süsser Sehnsucht, die mich mit elektrischer Wärme durchglühte. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlächelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als dass ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltierten Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergötzliches. Schauspiel gegeben. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufügte: „Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihren Geister?“ usw. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmütiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, dass ich im Spiegel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden Hauses gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. „Dort drüben? — in dem alten Hause — in dem letzten Fenster?“ so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ sprach ich; da lächelte der Alte sehr und sing an: „Nun, das ist doch eine wunderliche Täuschung — nun, meine alten Augen — Gott ehrte mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Porträt.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie heruntergelassen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun ist’s zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiss, als Kastellan das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt, vom Fenster fort und liess die Jaloufie herunter.“ „War es denn gewiss ein Bild?“ fragte ich nochmals ganz bestürzt. „Trauen Sie meinen Augen,“ erwiderte der Alte. „Dass Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiss sehr die optische Täuschung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, hätt’ ich nicht auch das Bild eines schönen Mädchens kraft meiner Phantasie ins Leben gerufen?“ „Aber Hand und Arm bewegten sich doch,“ fiel ich ein. „Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich,“ sprach der Alte lächelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verliess mich, höflich sich verbeugend, mit den Worten: „Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die so hässlich lügen. — Ganz gehorsamster Diener.“ — Ihr könnt denken, wie mir zummte war, als ich mich so als einen törichten, blödsichtigen Phantasten behandelt sah. Mir kam die Überzeugung, dass der Alte recht hatte, und dass nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem öden Hause, zu meiner eigenen Beschämung, so garstig mystisizierte.
Ganz voller Unmut und Verdruss lief ich nach Hause, fest entschlossen, mich ganz loszusagen von jedem Gedanken an die Mysterien des öden Hauses und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, dass mich den Tag über dringend gewordene Geschäfte am Schreibtisch, an den Abenden aber geistreiche fröhliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so musst’ es wohl geschehen, dass ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, dass ich zuweilen aus dem Sclaf auffuhr, wie plötzlich durch äussere Berührung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, dass nur der Gedanke an das geheimnisvolle Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des öden Hauses erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst während der Arbeit, während der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden durch fuhr mich oft plötzlich, ohne weiteren Anlass, jener Gedanke wie ein elektrischer Blitz. Doch waren dies nur schnell vorübergehende Momente. Den kleinen Taschenspiegel, der mir so täuschend das anmutige Bildnis reflektiert, hatte ich zum prosaischen Hausbedarf bestimmt. Ich pflegte mir vor demselben die Halsbinde festzuknüpfen. So geschah es, dass er mir, als ich einst dies wichtige Geschäft abtun wollte, blind schien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu polieren. — Alle meine Pulse stockten, mein Innerstes bebte vor wonnigem Grauen! — ja, so muss ich das Gefühl nennen, das mich übermannte, als ich, sowie mein Hauch den Spiegel überlief, im bläulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich mit jenem wehmütigen, das Herz durchbohrenden Blick anschaute! — Ihr lacht? — Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich für einen unheilbaren Träumer, aber sprecht, denkt, was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber sowie der Hauch zerrann, verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. — Ich will euch nicht ermüden, ich will euch nicht herzählen alle Momente, die sich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich sagen, dass ich unaufhörlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte, dass es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervorzurufen, dass aber manchmal die angestrengtesten Bemühungen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem öden Hause und starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte sich zeigen. — Ich lebte nur in dem Gedanken an sie, alles übrige war abgestorben für mich, ich vernachlässigte meine Freunde, meine Studien. — Dieser Zustand, wollte er in milderen Schmerz, in träumerische Sehnsucht übergeben, ja, schien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur höchsten Spitze gesteigert durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen denke. — Da ich von einem Seelenzustand rede, der mich hätte ins Verderben stürzen können, so ist für euch, ihr Ungläubigen, da nichts zu belächeln und zu bespötteln, hört und fühlt mit mir, was ich ausgestanden. — Wie gesagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblasst war, ergriff mich ein körperliches Übelbefinden; die Gestalt trat, wie sonst niemals, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, das ich sie zu erfassen wähnte. Aber dann kam es mir auf grauliche Weise vor, ich sei selbst die Gestalt und von den Nebeln des Spiegels umhüllt und umschlossen. Ein empfindlicher Brustschmerz und dann gänzliche Apathie endigte den peinlichen Zustand, der immer eine das innerste Mark wegzehrende Erschöpfung hinterliess. In diesen Momenten misslang jeder Versuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber erkräftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, so mag ich nicht leugnen, dass sich damit ein besonderer, mir sonst fremder physischer Reiz verband, — Diese ewige Spannung wirkte gar verderblich auf mich ein, blass, wie der Tod und zerstört im ganzen Wesen schwankte ich umher, meine Freunde hielten mich für Frank, und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, über meinen Zustand, so wie ich es nur vermochte, ernstlich nachzusinnen. War es Absicht oder Zufall, dass einer der Freunde, welcher Arzneikunde studierte, bei einem Besuch Keils Buch über Geisteszerrüttungen zurückliess. Ich fing an zu lesen, das Werk 30g mich unwiderstehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was über fixen Wahnsinn gesagt wird, mich selbst wiederfand! — Das tiefe Entsetzen, das ich mich selbst auf dem Wege zum Tollhause erblickend, empfand, brachte mich zur Befinnung und zum festen Entschluss, den ich rasch ausführte. Ich steckte meinen Taschenspiegel ein und eilte schnell zu dem Doktor K., berühmt durch seine Behandlung und Heilung der Wahnsinnigen, durch sein tieferes Eingehen in das psychische Prinzip, welches oft sogar körperliche Krankheiten hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzählte ihm alles, ich verschwieg ihm nicht den kleinsten Umstand, uno beschwor ihn, mich zu retten von dem ungeheuern Schicksal, von dem bedroht ich mich glaubte. Er hörte mich sehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in seinem Blick tiefes Erstaunen. „Noch,“ fing er an, „noch ist die Gefahr keineswegs so nahe als Sie glauben, und ich kann mit Gewissheit behaupten, dass ich sie ganz abzuwenden vermag. Dass Sie auf unerhörte Weise psychisch angegriffen sind, leidet gar keinen Zweifel, aber die völlige klare Erkenntnis dieses Angriffs irgendeines bösen Prinzips gibt Ihnen selbst die Waffen in die Hand, sich dagegen zu wehren. Lassen Sie mir Ihren Taschenspiegel, zwingen Sie sich zu irgendeiner Arbeit, die Ihre Geisteskräfte in Anspruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten Sie von der Frühe an, solange Sie es nur auszuhalten vermögen, dann aber, nach einem tüchtigen Spaziergange, fort in die Gesellschaft Ihrer Freunde, die Sie so lange vermisst. Essen Sie nahrhafte Speisen, trinken Sie starken kräftigen Wein. Sie sehen, dass ich bloss die fixe Idee, das heisst die Erscheinung des Sie betörenden Antliges im Fenster des öden Hauses und im Spiegel vertilgen, Ihren Geist auf andere Dinge leiten und Ihren Körper stärken will. Stehen Sie selbst meiner Absicht redlich bei.“ — Es wurde mir schwer, mich von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn schon genommen, schien es zu bemerken, er hauchte ihn an und fragte, indem er mir ihn vorhielt: „Sehen Sie etwas?“ „Nicht das mindeste,“ erwiderte ich, wie es sich auch in der Tat verhielt. „Hauchen Sie den Spiegel an,“ sprach dann der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich tat es: das Wunderbild trat deutlicher als je hervor. „Da ist sie,“ rief ich laut. Der Arzt schaute hinein und sprach dann: „Ich sehe nicht das mindeste, aber nicht verhehlen mag ich Ihnen, dass ich in dem Augenblick, als ich in Ihren Spiegel sah, einen unheimlichen Schauer fühlte, der aber gleich vorüberging. Sie bemerken, dass ich ganz aufrichtig bin, und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. Wiederholen Sie doch den Versuch.“ Ich tat es, der Arzt umfasste mich, ich fühlte seine Hand auf dem Rückenwirbel. — Die Gestalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel schauend, erblasste, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, schaute nochmals hinein, verschloss ihn in dem Pult und kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch, die Hand vor der Stirn, schweigend dagestanden, zu mir zurück. „Befolgen Sie,“ fing er an, „befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf Ihnen bekennen, dass jene Momente, in denen Sie, ausser sich selbst gesetzt, Ihr eignes Ich in physischem Schmerz fühlten, mir noch sehr geheimnisvoll sind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr darüber sagen zu können.“ — Mit festem, unabänderlichem Willen, so, schwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemäss, und so sehr ich auch bald den wohltätigen Einfluss anderer Geistesanstrengung und der übrigen verordneten Diät verspürte, so blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfällen, die mittags um zwölf Uhr viel stärker aber nachts um zwölf Uhr sich einzustellen pflegten. Selbst in munterer Gesellschaft bei Wein und Gesang war es oft, als durchführen plötzlich mein Inneres spitzige glühende Dolche, und alle Macht des Geistes reichte dann nicht hin zum Widerstande, ich musste mich entfernen und durfte erst wiederkehren, wenn ich aus dem ohnmachtähnlichen Zustande erwacht. — Es begab sich, dass ich mich einst bei einer Abendgesellschaft befand, in der über psychische Einflüsse und Wirkungen, über das dunkle unbekannte Gebiet des Magnetismus gesprochen wurde. Man kam vorzüglich auf die Möglichkeit der Einwirkung eines entfernten psychischen Prinzips, sie wurde aus vielen Beispielen bewiesen, und vorzüglich führte ein junger, dem Magnetismus ergebener Arzt an, dass er wie mehrere andere, oder vielmehr wie alle kräftigen Magnetiseure, es vermöge, aus der Ferne bloss durch den festsixierten Gedanken und Willen auf seine Somnambulen zu wirken. Alles, was Kluge, Schubert, Bartels u. m. darüber gesagt haben, kam nach und nach zum Vorschein. „Das Wichtigste,“ fing endlich einer der Anwesenden, ein als scharfsinniger Beobachter bekannter Mediziner, an, „das Wichtigste von allem bleibt mir immer, dass der Magnetismus manches Geheimnis, das wir als gemeine schlichte Lebenserfahrung nun eben für Kein Geheimnis erkennen wollen, zu erschliessen scheint. Nur müssen wir freilich behutsam zu Werke gehen. — Wie kommt es denn, dass ohne allen äusseren oder inneren uns bekannten Anlass, ja unsere Ideenkette zerreissend, irgendeine Person, oder wohl gar das treue Bild irgendeiner Begebenheit so lebendig, so sich unseres ganzen Ichs bemeisternd uns in den Sinn kommt, dass wir selbst darüber erstaunen. Am merkwürdigsten ist es, dass wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild ist in den schwarzen Abgrund versunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz unabhängigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegenden versegt und plötzlich scheinbar uns ganz fremd gewordene Personen, an die wir seit Jahren nicht mehr dachten, entgegenführt. Ja, noch mehr! Oft schauen wir auf eben diese Weise ganz fremde unbek annte Personen, die wir vielleicht Jahre nachher erst kennenlernen. Das bekannte: ,Mein Gott, der Mann, die Frau kommt mir so zum Erstaunen bekannt vor, ich dächt’, ich hätt’ ihn, sie shon irgendwo gesehen,‘ ist vielleicht, da dies oft schlechterdings unmöglich, die dunkle Erinnerung an ein solches Traumbild. Wie, wenn dies plötzliche Hineinspringen fremder Bilder in unsere Ideenreihe, die uns gleich mit besonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes psychisches Prinzip veranlasst würde? Wie, wenn es dem fremden Geiste unter gewissen Umständen möglich wäre, den magnetischen Rapport auch ohne Vorbereitung so herbeizuführen, dass wir uns willenlos ihm fügen müssten?“ „So kämen wir“, fiel ein anderer lachend ein, „mit einem gar nicht zu grossen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauberbildern, Spiegeln und andern unsinnigen abergläubischen Phantastereien längst verjährter alberner Zeit.“ „Ei,“ unterbrach der Mediziner den Ungläubigen, „keine Zeit kann verjähren und noch viel weniger hat es jemals eine alberne Zeit gegeben, wenn wir nicht etwa jede Zeit, in der Menschen zu denken sich unterfangen mögen, mithin auch die unsrige, für albern erkennen wollen. — Es ist ein eignes Ding, etwas geradezu wegleugnen zu wollen, was oft sogar durch streng juristisch geführten Beweis festgestellt ist, und so wenig ich der Meinung bin, dass in dem dunkeln geheimnisvollen Reiche, welches unseres Geistes Heimat ist, auch nur ein einziges, unserm blöden Auge recht hell leuchtendes Lämpchen brennt, so ist doch so viel gewiss, dass uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwürfe nicht versagt hat. Wir suchen, verblindet wie wir sind, uns weiter zu arbeiten auf finstern Wegen. Aber so wie der Blinde auf Erden an dem flüsternden Rauschen der Bäume, an dem Murmeln und Plätschern des Wassers, die Nähe des Waldes, der ihn in seinen kühlenden Schatten aufnimmt, des Baches, der den Durstenden labt, erkennt und so das Ziel seiner Sehnsucht erreicht, so ahnen wir an dem tönenden Flügelschlag unbekannter, uns mit Geifteratem berührender Wesen, dass der Pilgergang uns zur Quelle des Lichtes führt, vor dem unsere Augen sich auftun!“ — Ich konnte mich nicht länger halten; „Sie statuieren also“, wandte ich mich zu dem Mediziner, „die Einwirkung eines fremden geistigen Prinzips, dem man sich willenlos fügen muss?“ „Ich halte,“ erwiderte der Mediziner, „ich halte, um nicht zu weit zu gehen, diese Einwirkung nicht allein für möglich, sondern auch andern, durch den magnetischen Zustand deutlicher gewordenen Operationen des psychischen Prinzips für ganz homogen.“ „So könnt’ es auch“, fuhr ich fort, „dämonischen Kräften verstattet sein, feindlich verderbend auf uns zu wirken?“ „Schnöde Kunststücke gefallner Geister,“ erwiderte der Mediziner lächelnd. — „Nein, denen wollen wir nicht erliegen. Und überhaupt bitt’ ich, meine Andeutungen für nichts anderes zu nehmen als eben nur für Andeutungen, denen ich noch hinzufüge, dass ich keineswegs an unbedingte Herrschaft eines geistigen Prinzips über das andere glauben, sondern vielmehr annehmen will, dass entweder irgendeine Abhängigkeit, Schwäche des inneren Willens, oder eine Wechselwirkung stattfinden muss, die jener Herrschaft Raum gibt.“ „Nun erst,“ fing ein ältlicher Mann an, der solange geschwiegen und nur aufmerksam zugehört, „nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen Gedanken über Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen, einigermassen befreunden. Gibt es geheimnisvolle tätige Kräfte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen nur irgendeine Abnormität im geistigen Organismus Kraft und Mut zum sieghaften Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur geistige Krankheit — die Sünde macht uns untertan dem dämonischen Prinzip. Merkwürdig ist es, dass von den ältesten Zeiten her die den Menschen im Innersten verstörendste Gemütsbewegung es war, an der sich dämonische Kräfte übten. Ich meine nichts anderes als die Liebesverzauberungen, von denen alle Chroniken voll sind. In tollen Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und selbst in dem Gesetzbuch eines sehr aufgeklärten Staates wird von den Liebestränken gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken bestimmt sind, als sie nicht Liebeslust im allgemeinen erwecken, sondern unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich werde in diesen Gesprächen an eine tragische Begebenheit erinnert, die sich in meinem eigenen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unser Land mit seinen Truppen überschwemmt hatte, wurde ein Obrister von der italienischen Nobelgarde bei mir einquartiert. Er war einer von den wenigen Offizieren der sogenannten Grossen Armee, die sich durch ein stilles, bescheidenes, edles Betragen auszeichneten. Sein todbleiches Gesicht, seine düsteren Augen zeugten von Krankheit oder tiefer Schwermut. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der besondere Zufall kundtat, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf seinem Zimmer, als er plötzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf die Brust, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er tödliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war genötigt, sich in das Sofa zu werfen, dann aber verloren plötzlich seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewusstlosen Bildsäule. Mit einem Kuck, wie aus dem Traume auffahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen musste, da er selbst beim Magnetisieren des Kranken von einem unerträglichen Gefühl des Übelseins ergriffen wurde. Er hatte übrigens des Obristen Zutrauen gewonnen, und dieser sagte ihm, dass in jenen Momenten sich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann würde es ihm, als wenn ihre glühenden Blicke in sein Inneres führen, und er fühle die unerträglichsten Schmerzen, bis er in völlige Bewusstlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein dumpfer Kopfschmerz und eine Abspannung, als habe er geschwelgt im Liebesgenuss zurüct. Nie liess er sich über die näheren Verhältnisse aus, in denen er vielleicht mit jenem Frauenzimmer stand. Die Truppen sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des Obristen vor der Tür, er frühstückte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde führen wollte, stürzte er mit einem dumpfen Schrei vom Stuhle herab. Er war tot. Die Ärzte fanden ihn vom Nervenschlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obristen adressierter Brief bei mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken, ihn zu öffnen, um vielleicht ein Näheres von den Verwandten des Obristen zu erfahren und ihnen Nachricht von seinem plötzlichen Tode geben zu können. Der Brief kam von Pisa und enthielt ohne Unterschrift die wenigen Worte: ,Unglückseliger! Heute am 7. — um zwölf Uhr mittag sank Antonia, dein trügerisches Abbild mit liebenden Armen umschlingend, tot nieder!’ — Ich sah den Kalender nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte, und fand, dass Antonias Todesstunde auch die seinige gewesen.“ — Ich hörte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte; denn in dem Entsetzen, was mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit wütendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbekannten Bilde auf, dass ich davon überwältigt aufspringen und hineilen musste nach dem verhängnisvollen Hause. Es war mir in der Ferne, als säh’ ich Lichter blitzen durch die festverschlossenen Jalousien, aber der Schein verschwand, als ich näher kam. Rasend vor dürstendem Liebesverlangen stürzte ich auf die Tür; sie wich meinem Druck, ich stand auf dem matt erleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, schwülen Luft umfangen. Das Herz pochte mir vor seltsamer Angst und Ungeduld, da ging ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle strömender Ton durch das Haus, und ich weiss selbst nicht, wie es geschah, dass ich mich plötzlich in einem mit vielen Kerzen hellerleuchteten Saale befand, der in altertümlicher Pracht mit vergoldeten Möbeln und seltsamen japanischen Gefässen verziert war. Starkduftendes Räucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. „Willkommen — willkommen, süsser Bräutigam — die Stunde ist da, die Hochzeit nah!“ — So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und ebensowenig, als ich weiss, wie ich plötzlich in den Saal kam, ebensowenig vermag ich zu sagen, wie es sich begab, dass plötzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuchtete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: „Willkommen, süsser Bräutigam;“ trat sie mit ausgebreiteten Armen mir entgegen — und ein gelbes, von Alter und Wahnsinn grässlich verzerrtes Antlitz starrte mir in die Augen. Von tiefem Entsetzen durchbebt, wankte ich zurück; wie durch den glühenden, durchbohrenden Blick der Klapperschlange festgezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem greulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat näber auf mich zu, da war es mir, als sei das scheussliche Gesicht nur eine Maske von dünnem Flor, durch den! die Züge jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fühlt’ ich mich von den Händen des Weibes berührt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Boden sant und hinter mir eine Stimme rief: „Hu hu! — treibt schon wieder der Teufel sein Bocksspiel mit Euer Gnaden; zu Bette, zu Bette, meine Gnädigste, sonst setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!“ — Ich wandte mich rasch um und erblickte den alten Hausverwalter im blossen Hemde, eine tüchtige Peitsche über dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die Alte, die sich heulend am Boden krümmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von sich schleudernd rief er: „Donnerwetter, Herr, der alte Satan hätte Sie ermordet, kam ich nicht dazwischen — fort, fort, fort.“ — Ich stürzte zum Saal hinaus, vergebens sucht’ ich in dicker Finsternis die Tür des Hauses. Nun hörť ich die zischenden Hiebe der Peitsche und das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Hilfe rufen, als der Boden unter meinen Füssen schwand; ich fiel eine Treppe hinab und traf auf eine Tür so hart, dass sie aufsprang und ich der Länge nach in ein kleines Zimmer stürzte. An dem Bette, das jemand soeben verlassen zu haben schien, an dem kaffeebraunen, über einen Stuhl gehängten Rock musste ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augenblicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter stürzte herein und hin zu meinen Füssen. „Um aller Seligkeit willen,“ flehte er mit aufgehobenen Händen, „um aller Seligkeit willen, wer Sie auch sein mögen, wie der alte gnädige Hexensatan Sie auch hierher gelockt haben mag, verschweigen Sie, was hier geschehen, sonst komme ich um Amt und Brot! — Die wahnsinnige Exzellenz ist abgestraft und liegt gebunden im Bette. O, schlafen Sie doch, geehrtester Herr! recht sanft und süss. — Ja ja, das tun Sie doch fein — eine schöne warme Juliusnacht, zwar kein Monodein, aber beglückter Sternenschimmer. — Nun ruhige, glückliche Nacht.“ — Unter diesen Reden war der Alte aufgesprungen, hatte ein Licht genommen, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Tür hinausgeschoben und diese fest verschlossen. Ganz verstört eilt’ ich nach Hause, und ihr könnt wohl denken, dass ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimnis ergriffen, auch nicht den mindesten nur wahrscheinlichen Zusammenhang der Sache mir in den ersten Tagen denken konnte. Nur so viel war gewiss, dass, hielt mich so lange ein böser Zauber gefangen, dieser jetzt in der Tat von mir abgelassen hatte. Alle schmerzliche Sehnsucht nach dem Zauberbild in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im öden Gebäude wie das unvermutete Hineingeraten in ein Tollhaus. Dass der Hausverwalter zum tyrannischen Wächter einer wahnsinnigen Frau von vor nehmer Geburt, deren Zustand vielleicht der Welt verborgen bleiben sollte, bestimmt worden, daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel — das tolle Zauberwesen überhaupt — doch weiter — weiter!
Später begab es sich, dass ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: „Wissen Sie wohl, dass sich die Geheimnisse unseres öden Hauses zu enthüllen anfangen?“ Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzählen wollte, öffneten sich die Flügeltüren des Esssaales, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechanisch der in steifem Zeremoniell sehr langsam daherschreitenden Reihe gefolgt. Ich führe meine Dame zu dem offenen Platz, der sich uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und — erblicke mein Spiegelbild in den getreuesten Zügen, so dass gar keine Täuschung möglich ist. Dass ich im Innersten erbebte, könnt ihr euch wohl denken, aber ebenso muss ich euch versichern, dass sich auch nicht der leiseste Anklang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswut in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervorrief. — Meine Befremdung, noch mehr mein Erschrecken muss lesbar gewesen sein in meinem Blick, denn das Mädchen sah mich ganz verwundert an, so dass ich für notig hielt, mich so, wie ich nur konnte, zusammenzunehmen und so gelassen als möglich anzuführen, dass eine lebhafte Erinnerung mich gar nicht bezweifeln lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze Abfertigung, dass dies wohl nicht gut der Fall sein könne, da sie gestern erst, und zwar das erstemal in ihrem Leben nach ***n gekommen, machte mich im eigentlichsten Sinn des Wortes etwas verblüfft. Ich verstummte. Nur der Engelsblick, den die holdseligen Augen des Mädchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wisst, wie man bei derlei Gelegenheit die geistigen Fühlhörner ausstrecken und leise, leise tasten muss, bis man die Stelle findet, wo der angegebene Ton widerklingt. So machť ich es und fand bald, dass ich ein zartes, holdes, aber in irgendeinem psychischen Überreiz verkränkeltes Wesen neben mir hatte. Bei irgendeiner heiteren Wendung des Gesprächs, vorzüglich wenn ich zur Würze wie scharfen Cayennepfeffer irgendein keckes bizarres Wort hineinstreute, lächelte sie zwar, aber seltsam schmerzlich, wie zu hart berührt. „Sie sind nicht heiter, meine Gnädige, vielleicht der Besuch heute morgen.“ — So redete ein nicht weit entfernt sitzender Offizier meine Dame an, aber in dem Augenblick fasste ihn sein Nachbar schnell beim Arm und sagte ihm etwas ins Ohr, während eine Frau an der andern Seite des Tisches, Glut auf den Wangen und im Blick, laut der herrlichen Oper erwähnte, deren Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen vergleichen werde. — Meiner Nachbarin stürzten die Tränen aus den Augen: „Bin ich nicht ein albernes Kind,“ wandte sie sich zu mir. Schon erst hatte sie über Migräne geklagt. „Die gewöhnliche Folge des nervösen Kopfschmerzes,“ erwiderte ich daher mit unbefangenem Ton, „wofür nichts besser hilft, als der muntere kecke Geist, der in dem Schaum dieses Dichtergetränks sprudelt.“ Mit diesen Worten schenkte, ich Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem sie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Tränen, die sie nicht zu bergen vermochte. Es schien heller geworden in ihrem Innern, und alles wäre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehens hart an das vor mir stehende englische Glas gestossen, so dass es in gellender schneidender Höhe ertönte. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein plötzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im öden Hause schien. — Während dass man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mid dem Grafen P. zu nähern; er merkte gut, warum. „Wissen Sie wohl, dass Ihre Nachbarin die Gräfin Edwine von S. war? — Wissen Sie wohl, dass in dem öden Hause die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren unheilbar wahnsinnig, eingesperrt gehalten wird? — Heute morgen waren beide, Mutter und Tochter, bei der Unglücklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltsamen Ausbrüchen des Wahnsinns der Gräfin zu steuern wusste, und dem daher die Aufsicht über sie übertragen wurde, liegt todkrank, und man sagt, dass die Schwester endlich dem Doktor K. das Geheimnis anvertraut, und dass dieser noch die letzten Mittel versuchen wird, die Kranke, wo nicht herzustellen, doch von der entsetzlichen Tobsucht, in die sie zuweilen ausbrechen soll, zu retten. Mehr weiss ich vor der Hand nicht.“ — Andere traten hinzu, das Gespräch brach ab. — Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich meines rätselhaften Zustandes halber gewandt, und ihr möget euch wohl vorstellen, dass ich, sobald es sein konnte, zu ihm eilte und alles, was mir seit der Zeit widerfahren, getreulich erzählte. Ich forderte ihn auf, zu meiner Beruhigung so viel, als er von der wahnsinnigen Alten wisse, zu sagen, und er nahm keinen Anstand, mir, nachdem ich ihm strenge Verschwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen.
Angelika, die Gräfin von 3. (so fing der Doktor an), unerachter in die Dreissig vorgerückt, stand noch in der vollsten Blüte wunderbarer Schönheit, als der Graf von S., der viel jünger an Jahren, sie hier in ***n bei Hofe sah und sich in ihren Reizen so verfing, dass er zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur Sommerzeit die Gräfin auf die Güter ihres Vaters zurückkehrte, ihr nachreiste, um seine Wünsche, die nach Angelikas Benehmen durchaus nicht hoffnungslos zu sein schienen, dem alten Grafen zu eröffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekommen, kaum sah er Angelikas jüngere Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung erwachte. In verblühter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren Schönheit und Anmut den Grafen S. unwiderstehlich hinriss, und so kam es, dass er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabrielens Hand warb,die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele gleich die entschiedenste Neigung für den Grafen S. zeigte. Angelika äusserte nicht den mindesten Verdruss über die Untreue ihres Liebhabers. „Er glaubt mich verlassen zu haben. Der törichte Knabe! Er merkt nicht, dass nicht ich, dass er mein Spielzeug war, das ich wegwarf!“ — So sprach sie in stolzem Hohn, und in der Tat, ihr ganzes Wesen zeigte, dass es wohl Ernst sein mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Übrigens sah man, sobald das Bündnis Gabrielens mit dem Grafen von S. ausgesprochen war, Angelika sehr selten. Sie erschien nicht bei der Tafel und man sagte, sie schweife einsam im nächsten Walde umher, den sie längst zum Ziel ihrer Spaziergänge gewählt hatte. — Ein sonderbarer Vorfall störte die einförmige Ruhe, die im Schlosse herrschte. Es begab sich, dass die Jäger des Grafen von Z., unterstügt von den in grosser Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeunerbande eingefangen hatten, der man die Mordbrennereien und Räubereien, welche seit kurzer Zeit so häufig in der Gegend vorfielen, schuld gab. An eine lange Kette geschlossen brachte man die Männer, gebunden, auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder auf den Schlosshof. Manch trotzige Gestalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien den entschlossenen Räuber und Mörder zu bezeichnen, vorzüglich fiel aber ein langes, hageres, entseglides Weib, in einen blutroten Schalvom Kopf bis zu Fuss gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand und mit gebietender Stimme rief, man solle sie herabsteigen lassen, welches auch geschah. Der Graf von 3. kam auf den Schlosshof und befahl eben, wie man die Bande abgesondert in den festen Schlossgefängnissen verteilen sollte, als mit fliegenden Haaren, Entsetzen und Angst im bleichen Gesicht, Gräfin Angelika aus der Tür hinausstürzte und, auf die Knie geworfen, mit schneidender Stimme rief: „Diese Leute los — diese Leute los — sie sind unschuldig, unschuldig — Vater, lass diese Leute los! — ein Tropfen Bluts, vergossen an einein von diesen, und ich stosse mir dieses Messer in die Brust!“ — Damit schwang die Gräfin ein spiegelblankes Messer in den Lüften und sank ohnmächtig nieder. „Ei, mein schönes Püppchen, mein trautes Golokind, das wussť ich ja wohl, dass du es nicht leiden würdest!“ — So meckerte die rote Alte. Dann kauerte sie nieder neben der Gräfin und bedeckte Gesicht und Busen mit ekelhaften Küssen, indem sie fortwährend murmelte: „Blanke Tochter, blanke Tochter — wach’ auf, wach’ auf, der Bräutigam kommt — hei hei, blanker Bräutigam kommt.“ Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln schien. Diese Phiole hielt die Alte der Gräfin an das Herz; augenblicklich erwachte sie, aber kaum erblickte sie das Zigeunerweib, als sie aufsprang, das Weib heftig und brünstig umarmte und dann mit ihr davoneilte in das Schloss hinein. Der Graf von Z. — Gabriele, ihr Bräutigam, die unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von seltsamem Grauen ergriffen das alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichgültig und ruhig, sie wurden nun abgelöst von der Kette und einzeln gefesselt in die Schlossgefängnisse geworfen. Am andern Morgen liess der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner wurden vorgeführt, der Graf erklärte laut, dass fie ganz unschuldig wären an allen Räubereien, die in der Gegend verübt, und dass er ihnen freien Durchzug durch sein Gebietverstatte, worauf sie entfesselt und zum Erstaunen aller mit Pässen wohl versehen entlassen wurden. Das rote Weib wurde vermisst. Man wollte wissen, dass der Zigeunerhauptmann, kenntlich an den goldenen Ketten um den Hals und dem roten Federbusch an dem spanisch niedergekrempten Hut, nachts auf dem Zimmer des Grafen gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargetan, dass die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der Tat auch nicht den mindesten Anteil hatten. — Gabrielens Hochzeit rückte heran, mit Erstaunen bemerkte sie eines Tages, dass mehrere Rüstwagen mit Möbeln, Kleidungsstücken, Wäsche, kurz, mit einer ganz vollständigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr sie, dass Angelika, begleitet von dem Kammerdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten roten Zigeunerin ähnlich gesehen, nachts abgereist sei. Graf Z. löste das Rätsel, indem er erklärte, dass er sich aus gewissen Ursachen genötigt gesehen, den freilich seltsamen Wünschen Angelikas nachzugeben und ihr nicht allein das in ***n belegene Haus in der Allee als Eigentumn zu schenken, sondern auch zu erlauben, dass sie dort einen eigenen, ganz unabhängigen Haushalt führe, wobei sie sich bedungen, dass keiner aus der Familie, ihn selbst nicht ausgenommen, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis das Haus betreten solle. Der Graf von S. fügte hinzu, dass auf Angelikas dringenden Wunsch er seinen Kammerdiener ihr habe überlassen müssen, der mitgereist sei nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit seiner Gemahlin nach D., und ein Jahr verging ihnen in ungetrübter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an, auf ganz eigene Weise zu kränkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemühungen seiner Gemahlin, das Geheimnis ihm zu entreissen, das sein Innerstes verderblich zu zerstören schien. Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand lebensgefährlich machten, gab er den Ärzteri nach und ging angeblich nach Pisa. — Gabriele konnte nicht mitreisen, da sie ihrer Niederkunft entgegensah, die indessen erst nach mehreren Wochen erfolgte.
„Hier“, sprach der Arzt, „werden die Mitteilungen der Gräfin Gabriele von S. so rhapsodisch, dass nur ein tieferer Blick den näheren Zusammenhang auffassen kann. — Genug — ihr Kind, ein Mädchen, verschwindet aufunbegreifliche Weise aus der Wiege, alle Nachforschungen bleiben vergebens — ihre Trostlosigkeit geht bis zur Verzweiflung, als zur selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsegliche Nachricht schreibt, dass erden Schwiegersohn, den er aufdem Wege nach Pisaglaubte, in ***n, und zwar in Angelikas Hause, vom Nervenschlage zum Tode getroffen, gefunden; dass Angelika in furchtbaren Wahnsinn geraten sei und dass er solchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. — So wie Gabriele von S. nur einige Kräfte gewonnen, eilt sie auf die Güter des Vaters; in schlafloser Nacht das Bild des verlorenen Gatten, des verlorenen Kindes vor Augen, glaubt sie ein leises Wimmern vor der Türe des Schlafzimmers zu vernehmen; ermutigt zündet sie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt hinaus. — Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den roten Schal gewickelt, starrt das Zigeunerweib mit stierem, leblosem Blick ihr in die Augen — in den Armen hält sie ein kleines Kind, das ängstlich wimmert; das Herz schlägt der Gräfin hoch auf in der Brust! — es ist ihr Kind, es ist die verlorene Tochter! — Sie reisst das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in diesem Augenblick kugelt diese um wie eine leblose Puppe. Auf das Angstgeschrei der Gräfin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib tot auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf lässt sie einscharren. — Was bleibt übrig, als nach ***n zur wahnsinnigen Angelika zu eilen und vielleicht dort das Geheimnis mit dem Kinde zu erforschen. Alles hat sich verändert. Angelik as wilde Raserei hat alle weiblichen Dienstboten entfernt, nur der Kammerdiener ist geblieben. Angelika ist ruhig und vernünftig geworden. Als der Graf die Geschichte von Gabrielens Kind erzählt, schlägt sie die Hände zusammen und ruft mit lautem Lachen: ,Ist’s Püppchen angekommen? — richtig angekommen? — eingescharrt, eingescharrt? Ojemine, wie prächtig sich der Goldfasan schüttelt! wisst ihr nichts vom grünen Löwen mit den blauen Glutaugen?’ — Mit Entsetzen bemerkt der Graf die Rückkehr des Wahnsinns, indem plötzlich Angelikas Gesicht die Züge des Zigeunerweibes anzunehmen scheint, und beschliesst, die Arme mitzunehmen auf die Güter, welches der alte Kammerdiener widerrät. In der Tat bricht auch der wahnsinn Angelik as in Wut und Raserei aus, sobald man Anstalten macht, sie aus dem Hause zu entfernen. — In einem lichten Zwischenraum beschwört Angelika mit heissen Tränen den Vater, sie in dem Hause sterben zu lassen, und tiefgerührt bewilligt er dies, obwohl er das Geständnis, das dabei ihren Lippen entflieht, nur für das Erzeugnis des aufs neue ausbrechenden Wahnsinns hält. Sie bekennt, dass Graf S. in ihre Arme zurückgekehrt, und dass das Kind, welches die Zigeunerin in das Haus des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieses Bündnisses sei. — In der Residenz glaubt man, dass der Graf von Z. die Unglückliche mitgenommen hat auf die Güter, indessen sie hier, tief verborgen und der Aufsicht des Kammerdieners übergeben, in dem verödeten Hause bleibt. — Graf von Z. ist gestorben vor einiger Zeit, und Gräfin Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegenheiten zu berichtigen. Sie durfte es sich nicht versagen, die unglückliche Schwester zu sehen. Bei diesem Besuch muss sich Wunderliches ereignet haben, doch hat mir die Gräfin nichts darüber vertraut, sondern nur im allgemeinen gesagt, das es nun nötig geworden, dem alten Kammerdiener die Unglückliche zu entreissen. Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grausame Misshandlungen den Ausbrüchen des Wahnsinns zu steuern gesucht, dann aber durch Angelikas Vorspiegelung, dass sie Gold zu machen verstehe, sich verleiten lassen, mit ihr allerlei sonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles Nötige dazu herbeizuschaffen. — Es würde wohl“, so schloss der Arzt seine Erzählung, „ganz überflüssig sein, Sie, gerade Sie auf den tieferen Zusammenhang aller dieser seltsamen Dinge aufmerksam zu machen. Es ist mir gewiss, dass Sie die Ratastrophe herbeigeführt haben, die der Alten Genesung oder baldigen Tod bringen wird. Übrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, dass ich mich nicht wenig entsetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetischen Rapport gesetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel sah. Dass dies Bild Edmonde war, wissen wir nun beide.“ —
Ebenso, wie der Arzt glaubte, für mich nichts hinzufügen zu dürfen, ebenso halte ich es für ganz unnütz, mich nun noch, darüber etwa zu verbreiten, in welchem geheimen Verhältnis Angelika, Edmonde, ich und der alte Kammerdiener standen, und wie mystische Wechselwirkungen ein dämonisches Spiel trieben. Nur so viel sage ich noch, dass mich nach diesen Begebenheiten ein drückendes, unheimliches Gefühl aus der Residenz trieb, welches erst nach einiger Zeit mich plötzlich verliess. Ich glaube, dass die Alte in dem Augenblick, als ein ganz besonderes Wohlsein mein Innerstes durchströmte, gestorben ist. — So endete Theodor seine Erzählung. Noch manches sprachen die Freunde über Theodors Abenteuer und gaben ihm recht, dass sich darin das Wunderliche mit dem Wunderbaren auf seltsame grauliche Weise mische. — Als sie schieden, nahm Franz Theodors Hand und sprach, sie leise schüttelnd, mit beinahe wehmütigem Lächeln: „Gute Nacht, du Spalanzanische Fledermaus!“