Читать книгу Lebensansichten des Katers Murr - E.T.A. Hoffmann - Страница 10
ОглавлениеEbensowenig, erwiderte Kreisler, als wenn ein Prinzeßlein es unternimmt, in dem offnen Park ihres Herrn Papas einem Fremden von honettem Ansehen, der ihr zufällig begegnet, durch ihre kleine Person imponieren zu wollen.
Dem sei wie ihm wolle, fuhr die Rätin fort, genug, Ihre abenteuerliche Erscheinung in unserm Park hätte böse Folgen haben können. Daß diese abgewandt, daß die Prinzessin wenigstens sich an den Gedanken gewöhnt Sie wiederzusehen, alles das haben wir meiner Julia zu verdanken. Sie allein nimmt Sie in Schutz, indem sie in allem, was Sie begonnen, was Sie gesprochen, nur den Erguß einer überspannten Laune findet, wie sie oft einem tief verletzten oder zu reizbaren Gemüt eigen. Mit einem Wort, Julia, die erst vor kurzer Zeit Shakespeares: „Wie es euch gefällt,“ kennen gelernt, hat Sie gerade mit dem melancholischen Monsieur Jacques verglichen.
O du ahnendes Himmelskind! rief Kreisler, indem ihm die Tränen in die Augen traten.
Überdies, sprach die Benzon weiter, hat meine Julia in Ihnen, als Sie auf der Guitarre phantasierten und, wie sie erzählt, dazwischen sangen und sprachen, den sublimen Musiker und Komponisten erkannt. Sie meint, in dem Augenblick sei ihr ein ganz besonderer Geist der Musik aufgegangen, sie habe, wie von unsichtbarer Macht dazu gezwungen, singen und spielen müssen, und das sei ihr gar anders geglückt, als sonst jemals. — Erfahren Sie nur, Julia konnte sich gar nicht darin finden, daß sie den seltsamen Mann nicht wiedersehen, daß er ihr nur wie ein anmutig wunderlicher, musikalischer Spuk erschienen sein solle; wogegen die Prinzessin mit aller ihr eignen Heftigkeit behauptete, daß ein zweiter Besuch des gespenstischen Wahnsinnigen ihr den Tod geben würde. Da die Mädchen sonst ein Herz und eine Seele sind, und niemals eine Entzweiung unter ihnen stattgefunden, so konnt' ich mit vollem Recht behaupten, daß sich jene Szene aus früher Kindheit umgekehrt wiederhole, als Julia einen etwas bizarren Skaramuz, der ihr einbeschert worden, durchaus in den Kamin werfen wollte, die Prinzessin hingegen ihn in Schutz nahm und für ihren Liebling erklärte.
Ich lasse mich, fiel Kreisler der Benzon laut lachend in die Rede, ein zweiter Skaramuz, von der Prinzessin in den Kamin werfen, und vertraue der süßen Huld der holden Julia. — Sie müssen, fuhr die Benzon fort, die Erinnerung an den Skaramuz für einen humoristischen Einfall halten, und diesen können Sie, Ihrer eigenen Theorie gemäß, nicht übel deuten. Übrigens mögen Sie es sich wohl vorstellen, daß ich in der Schilderung, die die Mädchen mir von Ihrer Erscheinung, von dem ganzen Vorfall im Park machten, Sie augenblicklich wiedererkannte, und daß es Juliens Sehnsucht Sie wiederzusehen, gar nicht bedurfte; ohnedies hätte ich in dem nächsten Augenblick alle Leute, die mir zu Gebote standen, in Bewegung gesetzt, den ganzen Park, ganz Sieghartsweiler durchsuchen lassen, um Sie, der mir bei kurzer Bekanntschaft so wert geworden, wiederzufinden. Alle Nachforschungen blieben vergebens, ich glaubte Sie verloren, um so mehr mußte ich erstaunen, als Sie heute morgen bei mir eintraten. Julia ist bei der Prinzessin, welch ein Zwiespalt der verschiedensten Empfindungen würde sich erheben, wenn die Mädchen in diesem Augenblick Ihre Ankunft erführen. — Was Sie, den ich als wohlbestallten Kapellmeister an dem Hofe des Großherzogs glaubte, so plötzlich herbringt, darüber verlange ich nur dann Aufschluß, wenn es Ihnen recht und gemütlich sein wird, mir darüber etwas zu sagen.
Kreisler war, als die Rätin dies alles sprach, in tiefes Nachdenken versunken. Er starrte zur Erde nieder und fingerte an der Stirn wie einer, der sich auf etwas Vergessenes zu besinnen trachtet.
Ach, begann er, als die Rätin schwieg, das ist eine sehr alberne Geschichte, kaum des Erzählens wert. Doch so viel ist gewiß, daß das, was die kleine Prinzessin für die wirren Reden eines Wahnwitzigen zu halten geruht hat, in der Wahrheit begründet ist. In der Tat befand ich mich damals, als ich das Unglück hatte, die kleine Reizbare im Park zu erschrecken, auf einer Visitenfahrt, denn ich kam eben von einer Visite, die ich niemanden anders abstattete, als dem Durchlauchtigsten Großherzoge selbst, und hier in Sieghartsweiler wollte ich nun ja eben mit den außerordentlichsten, angenehmsten Visiten kontinuieren.
O Kreisler, rief die Rätin, ein wenig lächelnd, niemals lachte sie stark und laut, das ist gewiß wieder irgendein bizarrer Einfall, dem Sie freien Lauf gestattet. Irre ich nicht, so liegt die Residenz wenigstens dreißig Stunden entfernt von Sieghartsweiler.
So ist es, erwiderte Kreisler, aber man wandelt in einem Garten, der mir in solch großem Stil angelegt scheint, daß selbst ein Le Notre darüber erstaunen müßte. Statuieren Sie nun, Verehrte, nicht meine Visitenfahrt, so mögen Sie bedenken, daß ein empfindsamer Kapellmeister, Stimme in Kehle und Brust, Guitarre in der Hand, lustwandelnd durch duftende Wälder, über frisch grünende Wiesen, über wildgetürmtes Steingeklüft, über schmale Stege, unter denen die Waldbäche schäumend fortbrausen, ja, daß ein solcher Kapellmeister als Solosänger einstimmend in die Chöre, die überall ihn umtönen, sehr leicht hineingeraten kann in einzelne Partien des Gartens, absichtslos, ohne es zu wollen. So mag ich hineingeraten sein in den fürstlichen Park zu Sieghartshof, der nichts ist als eine etwas kleinliche Partie in dem großen Park, den die Natur anlegte. — Doch nein, es ist dem nicht so! — Als Sie vorhin davon sprachen, wie ein ganzes lustiges Jägervolk aufgeboten worden, mich einzufangen als jagdbares Wild, das sich verlaufen, gewann ich erst die innere feste Überzeugung von der Notwendigkeit meines Hierseins — eine Notwendigkeit, die mich, hätte ich auch meinen irren Lauf fortsetzen wollen, ins Garn treiben mußte. — Sie erwähnten gütigst, daß meine Bekanntschaft Ihnen wert geworden, mußten mir dabei nicht jene verhängnisvollen Tage der Verwirrung, der allgemeinen Not einfallen, in denen uns das Schicksal zusammenführte? Sie fanden mich damals hin und her schwankend, unfähig, einen Entschluß zu fassen, zerrissen im innersten Gemüt. Sie nahmen mich auf mit freundlicher Gesinnung, und indem Sie, mir den klaren, wolkenlosen Himmel einer ruhigen, in sich abgeschlossenen Weiblichkeit auftuend, mich zu trösten gedachten, tadelten und verziehen Sie zugleich die tolle Ausgelassenheit meines Treibens, welches Sie einer durch den Drang der Umstände herbeigeführten trostlosen Verzweiflung zuschrieben. Sie entzogen mich einer Umgebung, die ich selbst für zweideutig anerkennen mußte; Ihr Haus wurde das friedliche, freundliche Asyl, in dem ich, Ihren stillen Schmerz ehrend, den meinigen vergaß. Ihre Gespräche voll Heiterkeit und Milde wirkten als wohltuende Arznei, ohne daß Sie meine Krankheit kannten. Nicht die bedrohlichen Ereignisse, die meine Stellung im Leben vernichten konnten, waren es, die so feindlich auf mich wirkten. Längst hatte ich gewünscht, Verhältnisse aufzugeben, die mich drückten und ängstigten, und nicht zürnen konnte ich auf das Schicksal, welches das bewirkte, was auszuführen ich selbst so lange nicht Mut und Kraft genug gehabt hatte. Nein! — Als ich mich frei fühlte, da erfaßte mich jene unbeschreibliche Unruhe, die, seit meinen frühen Jugendjahren, so oft mich mit mir selbst entzweit hat. Nicht die Sehnsucht ist es, die, wie jener tiefe Dichter so herrlich sagt, aus dem höheren Leben entsprungen, ewig währt, weil sie ewig nicht erfüllt wird, weder getäuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfüllt, damit sie nicht sterbe; nein — ein wüstes, wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben außer mir selbst suche, da es doch in meinem eigenen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer, rätselhafter Traum von einem Paradies der höchsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung ängstigt mich mit den Qualen des Tantalus. Dies Gefühl bemeisterte sich schon, als ich noch ein Kind, meiner oft so plötzlich, daß ich mitten aus dem frohsten Spiel mit meinen Kameraden davonlief in den Wald, auf den Berg, dort mich niederwarf auf die Erde und trostlos weinte und schluchzte, unerachtet ich eben der Tollste, Ausgelassenste von allen gewesen. Später lernte ich mich selbst mehr bekämpfen, aber nicht auszusprechen vermag ich die Marter meines Zustandes, wenn in der heitersten Umgebung gemütlicher, wohlwollender Freunde, bei irgendeinem Kunstgenuß, ja selbst in den Momenten, wenn meine Eitelkeit in Anspruch genommen wurde auf diese, jene Weise, ja! wenn mir dann plötzlich alles elend, nichtig, farblos, tot erschien und ich mich versetzt fühlte in eine trostlose Einöde. Nur einen Engel des Lichts gibt es, der Macht hat über den bösen Dämon. Es ist der Geist der Tonkunst, der oft aus mir selbst sich siegreich erhebt, und vor dessen mächtiger Stimme alle Schmerzen irdischer Bedrängnis verstummen. —
Immer, nahm die Rätin das Wort, habe ich geglaubt, daß die Musik auf Sie zu stark, mithin verderblich wirke; denn indem bei der Aufführung irgendeines vortrefflichen Werks Ihr ganzes Wesen durchdrungen schien, veränderten sich alle Züge Ihres Gesichts. Sie erblaßten, Sie waren keines Wortes mächtig, Sie hatten nur Seufzer und Tränen, und fielen dann her mit dem bittersten Spott, mit tief verletzendem Hohn, über jeden, der auch nur ein Wort über das Werk des Meisters sagen wollte. — Ja, wenn —
O beste Rätin, fiel Kreisler der Benzon ins Wort, indem er, so ernst und tiefbewegt er zuvor gesprochen, plötzlich den besondern Ton der Ironie wieder aufnahm, der ihm eigen, das ist nun alles anders geworden. Sie glauben gar nicht, Verehrte, was ich an dem großherzoglichen Hofe artig und gescheut geworden bin. Ich kann mit der größten Seelenruhe und Gemütlichkeit zum Don Juan und zur Armida den Takt schlagen, ich kann der ersten Sängerin freundlich zuwinken, wenn sie in der merkwürdigsten Kadenz auf den Sprossen der Tonleiter herumhopst, ich kann, wenn der Hofmarschall nach Haydn's Jahreszeiten mir zuflüstert: C'etoit bien ennuyant, mon cher maître de chapelle, lächelnd mit dem Kopfe nicken und eine bedeutungsvolle Prise nehmen, ja ich kann es geduldig anhören, wenn der kunstverständige Kammer- und Spektakelherr mir weitläuftig demonstriert, daß Mozart und Beethoven den Teufel was von Gesang verstünden, und daß Rossini, Pucitta und wie die Männerchen alle heißen mögen, sich à la hauteur aller Opernmusik geschwungen. — Ja, Verehrte, Sie glauben nicht, was ich während meiner Kapellmeisterschaft profitiert, vorzüglich aber die schöne Überzeugung, wie gut es ist, wenn Künstler förmlich in Dienst treten; der Teufel und seine Großmutter könnte es sonst mit dem stolzen, übermütigen Volke aushalten! Laßt den braven Komponisten Kapellmeister oder Musikdirektor werden, den Dichter Hofpoet, den Maler Hofporträtisten, den Bildhauer Hofporträtmeißler, und Ihr habt bald keine unnützen Phantasten mehr im Lande, vielmehr lauter nützliche Bürger von guter Erziehung und milden Sitten! —
Still, still, rief die Rätin unmutig, halten Sie ein, Kreisler, Ihr Steckenpferd fängt wieder an, sich zu bäumen, nach gewöhnlicher Art und Weise. Übrigens merke ich Unrat, und wünsche jetzt in der Tat recht sehnlich zu wissen, welch ein schlimmes Ereignis Sie zur schnellen, übereilten Flucht aus der Residenz nötigte. Denn auf eine solche Flucht deuten alle Umstände Ihrer Erscheinung im Park.
Und ich, sprach Kreisler ruhig, indem er seinen Blick fest auf die Rätin heftete, ich kann versichern, daß das schlimme Ereignis, welches mich forttrieb aus der Residenz, unabhängig von allen äußern Dingen, nur in mir selbst lag.
Eben jene Unruhe, von der ich vorhin vielleicht mehr und ernster sprach, als gerade nötig, überfiel mich mit stärkerer Macht als jemals, es war meines Bleibens nicht länger. — Sie wissen, wie ich mich auf meine Kapellmeisterschaft bei dem Großherzog freute. Törichterweise glaubte ich, daß, in der Kunst lebend, meine Stellung eben mich ganz beschwichtigen, daß der Dämon in meinem Innern besiegt werden würde. Aus dem wenigen, was ich erst über meine Bildung am großherzoglichen Hofe angebracht, werden Sie, Verehrte, aber entnehmen, wie sehr ich mich täuschte. Erlassen Sie mir die Schilderung, wie ich durch fade Spielerei mit der heiligen Kunst, zu der ich notgedrungen die Hand bieten mußte, durch die Albernheiten seelenloser Kunstpfuscher, abgeschmackter Dilettanten, durch das ganze tolle Treiben einer Welt voll Kunstgliederpuppen, immer mehr und mehr dahin gebracht wurde, die erbärmliche Nichtswürdigkeit meiner Existenz einzusehen. An einem Morgen mußt' ich zum Großherzog, um meine Einwirkung bei den Festlichkeiten, die in den nächsten Tagen stattfinden sollten, zu erfahren. Der Spektakelherr war, wie natürlich, zugegen und stürmte auf mich ein mit allerlei sinn- und geschmacklosen Anordnungen, denen ich mich fügen sollte. Vorzüglich war es ein von ihm selbst verfaßter Prolog, den er, als höchste Spitze der Theaterfeste, von mir komponiert verlangte. Da diesmal, so sprach er zum Fürsten, einen stechenden Seitenblick auf mich werfend, nicht von gelehrter deutscher Musik, sondern von geschmackvollem italienischen Gesange die Rede sein, so habe er selbst einige zarte Melodien aufgesetzt, die ich gehörig anzubringen hätte. Der Großherzog genehmigte nicht nur alles, sondern nahm auch Gelegenheit, mir überhaupt anzudeuten, daß er meine fernere Ausbildung durch eifriges Studium der neueren Italiener hoffe und erwarte. — Wie ich so erbärmlich da stand! — ich verachtete mich selbst tief — alle Demütigungen erschienen mir gerechte Strafe für meinen kindischen, aberwitzigen Langmut! — Ich verließ das Schloß, um nie wieder zurückzukehren. Noch denselben Abend wollte ich meine Entlassung fordern, aber selbst dieser Entschluß konnte mich nicht über mich selbst beruhigen, da ich mich schon durch einen geheimen Ostrazismus verbannt sah. Die Guitarre, die ich zu anderm Beruf mitgenommen, nahm ich aus dem Wagen, den ich, vors Tor gekommen, fortschickte, und lief hinaus ins Freie, unaufhaltsam fort, immer weiter fort! — Schon sank die Sonne, immer breiter und schwärzer wurden die Schatten der Berge, des Waldes. Unerträglich, ja vernichtend war mir der Gedanke, zurückzukehren nach der Residenz. — Welche Macht zwingt mich zum Rückweg! so rief ich laut. Ich wußte, daß ich mich auf dem Wege nach Sieghartsweiler befand; ich gedachte meines alten Meisters Abraham, von dem ich Tages zuvor einen Brief erhalten, worin er, meine Lage in der Residenz ahnend, mich wegwünschte von dort, mich zu sich einlud. —
Wie, unterbrach die Rätin den Kapellmeister, Sie kennen den wunderlichen Alten?
Meister Abraham, fuhr Kreisler fort, war der innigste Freund meines Vaters, mein Lehrer, zum Teil mein Erzieher! — Nun, Verehrte, wissen Sie ausführlich, wie ich in den Park des wackern Fürsten Irenäus kam, und werden nicht mehr daran zweifeln, daß ich, kommt es darauf an, im Stande bin, ruhig, mit erforderlicher historischer Genauigkeit und so angenehm zu erzählen, daß mir selbst davor graut. Überhaupt kommt mir die ganze Geschichte meiner Flucht aus der Residenz, wie gesagt, so albern vor, und von solcher allen Geist zerstörender Nüchternheit, daß man selbst nicht davon sprechen kann, ohne in erkleckliche Schwachheit zu verfallen. — Möchten Sie, Teure, aber die seichte Begebenheit als krampfstillendes Wasser der erschrockenen Prinzessin beibringen, damit sie sich beruhige, und daran denken, daß ein ehrlicher deutscher Musikus, den, als er gerade seidene Strümpfe angezogen, und sich in einem saubern Kutschkasten vornehm geberdete, Rossini und Pucitta, und Pavesi und Fioravanti, und Gott weiß welche andere inis und ittas, in die Flucht schlugen, sich unmöglich sehr gescheut betragen kann. Verzeihung ist zu hoffen, will ich hoffen! — Als poetischen Nachklang des langweiligen Abenteuers vernehmen Sie aber, beste Rätin, daß in dem Augenblick, da ich, gepeitscht von meinem Dämon, fortrennen wollte, mich der süßeste Zauber festbannte. Schadenfroh trachtete der Dämon eben das tiefste Geheimnis meiner Brust zu Schanden zu machen, da rührte der mächtige Geist der Tonkunst die Schwingen, und vor dem melodischen Rauschen erwachte der Trost, die Hoffnung, ja selbst die Sehnsucht, die die unvergängliche Lieb selbst ist und das Entzücken ewiger Jugend. — Julia sang! —
Kreisler schwieg. Die Benzon horchte auf, gespannt auf das, was nun nachfolgen würde. Da der Kapellmeister sich in stumme Gedanken zu verlieren schien, fragte sie mit kalter Freundlichkeit: Sie finden den Gesang meiner Tochter in der Tat angenehm, lieber Johannes?
Kreisler fuhr heftig auf, das, was er sagen wollte, erstickte aber ein Seufzer aus der tiefsten Brust.
Nun, fuhr die Rätin fort, das ist mir recht lieb. Julia kann von Ihnen, lieber Kreisler, was den wahren Gesang betrifft, recht viel lernen, denn daß Sie hier bleiben, sehe ich nun als eine ausgemachte Sache an.
Verehrteste, begann Kreisler, aber in dem Augenblicke öffnete sich die Türe und Julia trat herein.
Als sie den Kapellmeister gewahrte, verklärte ihr holdes Antlitz ein süßes Lächeln, und ein leises: Ach! hauchte von ihren Lippen.
Die Benzon stand auf, nahm den Kapellmeister bei der Hand und führte ihn Julien entgegen, indem sie sprach: Nun, mein Kind, da ist der seltsame — —
(M. f. f.) — der junge Ponto los auf mein neuestes Manuskript, das neben mir lag, faßte es, ehe ich's verhindern konnte, zwischen die Zähne und rannte damit spornstreichs auf und davon. Er stieß dabei ein schadenfrohes Gelächter aus, und schon dies hätte mich vermuten lassen sollen, daß nicht bloßer jugendlicher Mutwille ihn zur bösen Tat spornte, sondern daß noch etwas mehr im Spiele war. Bald wurde ich darüber aufgeklärt.
Nach ein paar Tagen trat der Mann, bei dem der junge Ponto in Diensten, hinein zu meinem Meister. Es war, wie ich nachher erfahren, Herr Lothario, Professor der Ästhetik am Gymnasio zu Sieghartsweiler. — Nach gewöhnlicher Begrüßung schaute der Professor im Zimmer umher und sprach, als er mich erblickte: Wolltet Ihr nicht, lieber Meister, den Kleinen dort aus der Stube entfernen? Warum? fragte der Meister. — Ihr konntet doch sonst die Katzen leiden, Professor, und vorzüglich meinen Liebling, den zierlichen, gescheuten Kater Murr! — Ja, sprach der Professor, indem er höhnisch lachte, zierlich und gescheut, das ist wahr! — Aber tut mir den Gefallen, Meister, und entfernt Euern Liebling, denn ich habe Dinge mit Euch zu reden, die er durchaus nicht hören darf. Wer? rief Meister Abraham, indem er den Professor anstarrte. Nun, fuhr dieser fort, Euer Kater. Ich bitte Euch, fragt nicht weiter, sondern tut, warum ich Euch bitte! — Das ist doch seltsam, sprach der Meister, indem er die Türe des Kabinetts öffnete und mich hineinrief. Ich folgte seinem Ruf, ohne daß er es gewahrte, schlüpfte ich aber wieder hinein und verbarg mich im untersten Fach des Bücherschranks, so daß ich unbemerkt das Zimmer übersehen und jedes Wort, das gesprochen wurde, vernehmen konnte.
Nun möchte ich, sprach Meister Abraham, indem er sich dem Professor gegenüber in seinen Lehnstuhl setzte, doch in aller Welt wissen, welch ein Geheimnis Ihr mir zu entdecken habt, das meinem ehrlichen Kater Murr verschwiegen bleiben soll.
Sagt mir, begann der Professor sehr ernst und nachdenklich, zuvörderst, lieber Meister, was haltet Ihr von dem Grundsatz, daß, nur körperliche Gesundheit vorausgesetzt, sonst ohne Rücksicht auf angeborne geistige Fähigkeit, auf Talent, auf Genie, vermöge einer besonders geregelten Erziehung aus jedem Kinde in kurzer Zeit, mithin noch in den Knabenjahren, ein Heros in Wissenschaft und Kunst geschaffen werden kann?
Es erwiderte der Meister: Was kann ich von diesem Grundsatz anders halten, als daß er albern und abgeschmackt ist. Möglich, ja sogar leicht mag es sein, daß man einem Kinde, das die Auffassungsgabe, wie sie ungefähr bei den Affen anzutreffen, und ein gutes Gedächtnis besitzt, eine Menge Dinge systematisch eintrichtern kann, die es dann vor den Leuten auskramt; nur muß es diesem Kinde durchaus an allem natürlichen Ingenium fehlen, da sonst der innere bessere Geist der heillosen Prozedur widerstrebt. Wer wird aber jemals solch einen einfältigen, mit allerlei verschluckbaren Brocken des Wissens dick gemästeten Jungen einen Gelehrten im echten Sinne des Wortes nennen?
Die Welt, rief der Professor heftig, die ganze Welt! — O es ist entsetzlich! Aller Glaube an die innere, höhere, angeborene Geisteskraft, die allein nur den Gelehrten, den Künstler schafft, geht ja über jenen heillosen, tollen Grundsatz zum Teufel!
Ereifert Euch nicht, sprach der Meister lächelnd, soviel wie ich weiß, ist bis jetzt in unserm guten Deutschland nur ein einziges Produkt jener Erziehungsmethode aufgestellt worden, von dem die Welt eine Zeit lang sprach, und zu sprechen aufhörte, als sie einsah, daß das Produkt eben nicht sonderlich geraten. Zudem fiel die Blütezeit jenes Präparats in die Periode, als gerade die Wunderkinder in die Mode gekommen, die, wie sonst mühsam abgerichtete Hunde und Affen, gegen ein billiges Entree ihre Künste zeigten.
So sprecht Ihr nun, nahm der Professor das Wort, Meister Abraham, und man würde Euch glauben, kennte man nicht den verborgenen Schalk in Euch, wüßte man nicht, daß Euer ganzes Leben eine Reihe der wunderlichsten Experimente darbietet. Gesteht es nur Meister Abraham, gesteht es nur, Ihr habt ganz im Stillen, im geheimsten Geheim, experimentiert nach jenem Grundsatz, aber überbieten wolltet Ihr den Mann, den Verfertiger jenes Präparats von dem wir sprachen. — Ihr wolltet, wart Ihr ganz fertig, hervortreten mit Eurem Zögling, und alle Professoren in der ganzen Welt in Erstaunen versetzen und Verzweiflung, Ihr wolltet den schönen Grundsatz, non ex quovis ligno fit Mercurius ganz und gar zu Schanden machen! — Nun kurz, der quovis ist da, aber kein Mercurius, sondern ein Kater! — Was sagt Ihr, rief der Meister, indem er laut auflachte, was sagt Ihr, ein Kater?
Leugnet es nur nicht, fuhr der Professor fort, an dem Kleinen dort in der Kammer habt Ihr jene abstrakte Erziehungsmethode versucht, Ihr habt ihn lesen, schreiben gelehrt, Ihr habt ihm die Wissenschaft beigebracht, so daß er sich schon jetzt unterfängt den Autor zu spielen, ja sogar Verse zu machen.
Nun sprach der Meister, das ist doch in der Tat das Tollste was mir jemals vorgekommen! — Ich meinen Kater erziehen, ich ihm die Wissenschaften beibringen! — Sagt, was für Träume rumoren in Eurem Sinn, Professor? — Ich versichere Euch, daß ich von meines Katers Bildung nicht das mindeste weiß, dieselbe auch für ganz unmöglich halte.
So! fragte der Professor mit gedehntem Ton, zog ein Heft aus der Tasche, das ich augenblicklich für das mir von dem jungen Ponto geraubte Manuskript erkannte, und las:
Sehnsucht nach dem Höheren.
Ha, welch Gefühl, das meine Brust beweget!
Was sagt dies unruh — ahnungsvolle Beben,
Will sich zum kühnen Sprung der Geist erheben,
Vom Sporn des mächt'gen Genius erreget?
Was ist es, was der Sinn im Sinne träget,
Was will dem Liebesdrang -erfüllten Leben
Dies rastlos brennend feurig süße Streben,
Was ist es, das im bangen Herzen schläget?
Entrückt werd ich nach fernen Zauberlanden,
Kein Wort, kein Laut, die Zunge ist gebunden,
Ein sehnlich Hoffen weht mit Frühlingsfrische,
Befreit mich bald von drückend schweren Banden.
Erträumt, erspürt, im grünsten Laub gefunden!
Hinauf mein Herz! beim Fittich ihn erwische!
Ich hoffe, daß jeder meiner gütigen Leser die Musterhaftigkeit dieses herrlichen Sonetts, das aus der tiefsten Tiefe meines Gemüts hervorfloß, einsehen, und mich um so mehr bewundern wird, wenn ich versichere, daß es zu den ersten gehört, die ich überhaupt verfertigt habe. Der Professor las es aber, in seiner Bosheit, so ohne allen Nachdruck, so abscheulich vor, daß ich mich kaum selbst erkannte, und daß ich von plötzlichem Jähzorn, wie er jungen Dichtern wohl eigen, übermannt, im Begriff war, aus meinem Schlupfwinkel hervor, dem Professor ins Gesicht zu springen, und ihn die Schärfe meiner Krallen fühlen zu lassen. Der kluge Gedanke, daß ich doch, wenn beide, der Meister und der Professor, sich über mich her machten, notwendig den Kürzern ziehen müsse, ließ mich meinen Zorn mit Gewalt niederkämpfen, jedoch entfuhr mir unwillkürlich ein knurrendes Miau, das mich unfehlbar verraten haben würde, hätte der Meister nicht, da der Professor mit dem Sonett fertig, aufs neue eine dröhnende Lache aufgeschlagen, die mich beinahe noch mehr kränkte als des Professors Ungeschick.
Hoho, rief der Meister, wahrhaftig, das Sonett ist eines Katers vollkommen würdig; aber noch immer verstehe ich nicht Euern Spaß, Professor, sagt mir nur lieber gerade zu, wo Ihr hinauswollt.
Der Professor, ohne dem Meister zu antworten, blätterte im Manuskript, und las weiter:
Glosse.
Liebe schwärmt auf allen Wegen,
Freundschaft bleibt für sich allein,
Liebe kommt uns rasch entgegen,
Aufgesucht will Freundschaft sein.
Schmachtend wehe, bange Klagen,
Hör ich überall ertönen,
Ob den Sinn zum Schmerz gewöhnen,
Ob zur Lust, ich kann's nicht sagen,
Möchte oft mich selber fragen,
Ob ich träume, ob ich wache.
Diesem Fühlen, diesem Regen,
Leih' ihm Herz die rechte Sprache;
Ja im Keller, auf dem Dache,
Liebe schwärmt auf allen Wegen!
Doch, es heilen alle Wunden,
Die der Liebesschmerz geschlagen,
Und in einsam stillen Tagen
Mag, von aller Qual entbunden,
Geist und Herz wohl bald gesunden;
Art'ger Kätzchen los Gehudel
Darf es auf die Dauer sein?
Nein! — fort aus dem bösen Strudel,
Unterm Ofen mit dem Pudel,
Freundschaft bleibt für sich allein!
Wohl ich weiß es —
Nein, unterbrach hier der Meister den lesenden Professor, mein Freund, Ihr macht mich in der Tat ungeduldig, Ihr oder ein anderer Schalk hat sich den Spaß gemacht, im Geist eines Katers, der nun gerade mein guter Murr sein soll, Verse zu machen, und nun foppt Ihr mich den ganzen Morgen damit herum. Der Spaß ist übrigens nicht übel, und wird vorzüglich dem Kreisler sehr wohl gefallen, der wohl nicht unterlassen dürfte, damit eine kleine Parforcejagd anzustellen, in der Ihr am Ende selbst ein gehetztes Wild sein könntet. Aber nun laßt Eure sinnreiche Einkleidung fahren und sagt mir ganz ehrlich und trocken, was es mit Eurem seltsamen Spaß eigentlich für eine Bewandnis hat.
Der Professor schlug das Manuskript zusammen, sah dem Meister ernst ins Auge, und sprach dann: diese Blätter brachte mir vor einigen Tagen mein Pudel Ponto, der, wie Euch bekannt sein wird, mit Eurem Kater Murr in freundschaftlichen Verhältnissen lebt. Zwar trug er das Manuskript zwischen den Zähnen, wie er nun einmal alles zu tragen gewohnt ist, indessen legte er es mir doch ganz unversehrt in den Schoß, und gab mir dabei deutlich zu verstehen, daß er es von keinem andern habe, als von seinem Freunde Murr. Als ich nun einen Blick hineinwarf, fiel mir gleich die ganz besondere, eigentümliche Handschrift auf, als ich aber einiges gelesen, stieg in mir, selbst weiß ich nicht auf welche unbegreifliche Art, der seltsame Gedanke auf, Murr könne das alles selbst gemacht haben. So sehr mir die Vernunft, ja eine gewisse Lebenserfahrung, der wir alle nicht entgehen können, und die am Ende nun wieder weiter nichts ist, als die Vernunft, so sehr mir also eben diese Vernunft sagt: daß jener Gedanke unsinnig, da Kater weder zu schreiben noch Verse zu machen im Stande, so konnte ich ihn doch durchaus nicht los werden. Ich beschloß Euern Kater zu beobachten, und stieg, da ich von meinem Ponto wußte, daß Murr viel auf Eurem Boden hausiere, auf meinen Boden, nahm einige Dachziegel herab, so daß ich mir die freie Aussicht in Eure Dachluken verschaffte. Was gewahrte ich! — Hört es und erstaunt! — In dem einsamsten Winkel des Bodens sitzt Euer Kater! — sitzt aufgerichtet vor einem kleinen Tisch, auf dem Schreibzeug und Papier befindlich, sitzt und reibt sich bald mit der Pfote Stirn und Nacken, fährt sich über's Gesicht, tunkt bald die Feder ein, schreibt, hört wieder auf, schreibt von neuem, überliest das Geschriebene, knurrt (ich konnte es hören) knurrt und spinnt vor lauter Wohlbehagen. — Um ihn her liegen verschiedene Bücher, die, nach ihrem Einband, aus Eurer Bibliothek entnommen. —
Das wäre ja der Teufel, rief der Meister, nun so will ich denn gleich nachsehen, ob mir Bücher fehlen.
Damit stand er auf, und trat an den Bücherschrank. Sowie er mich erblickte, prallte er drei Schritte zurück, und blickte mich an voll Erstaunen. Aber der Professor rief: seht Ihr wohl, Meister? Ihr denkt, der Kleine sitzt harmlos in der Kammer, in die Ihr ihn eingesperrt, und er hat sich hinein geschlichen in den Bücherschrank, um zu studieren, oder noch wahrscheinlicher, um uns zu belauschen. Nun hat er alles gehört was wir gesprochen, und kann seine Maßregeln darnach nehmen. „Kater, begann der Meister, indem er fortwährend den Blick voll Erstaunen auf mir ruhen ließ, „Kater, wenn ich wüßte daß du, deine ehrliche, natürliche Natur ganz und gar verleugnend, dich wirklich darauf verlegtest, solche vertrakte Verse zu machen, wie sie der Professor vorgelesen, wenn ich glauben könnte, daß du wirklich den Wissenschaften nachstelltest, statt den Mäusen, ich glaube, ich könnte dir die Ohren wund zwicken, oder gar —“
Mich überfiel eine schreckliche Angst, ich kniff die Augen zu, und tat, als schliefe ich fest.
Aber nein, nein, fuhr der Meister fort, schaut nur einmal her, Professor, wie mein ehrlicher Kater so sorglos schläft, und sagt selbst, ob er in seinem gutmütigen Antlitz etwas trägt, das auf solche geheime wunderbare Schelmereien, wie Ihr sie ihm Schuld gebt, gedeutet werden könnte — Murr! — Murr! —
So rief der Meister mich an, und ich unterließ nicht wie gewöhnlich mit meinem Krr — Krr — zu antworten, die Augen aufzuschlagen, mich zu erheben und einen hohen, sehr anmutigen Katzenbuckel zu machen.
Der Professor warf mir, voller Zorn, mein Manuskript an den Kopf, ich tat aber, (die mir angeborne Schlauheit gab es mir ein,) als wollte er mit mir spielen, und zerrte springend und tänzelnd die Papiere hin und her, so daß die Stücke umherflogen.
Nun, sprach der Meister, ist es ausgemacht, daß Ihr ganz unrecht habt, Professor, und daß Euch Ponto etwas vorlog. Seht nur hin, wie Murr die Gedichte bearbeitet, welcher Dichter würde sein Manuskript handhaben auf diese Weise?
Ich habe Euch gewarnt, Meister, tut nun was Ihr wollt, erwiderte der Professor, und verließ das Zimmer.
Nun glaubte ich, der Sturm sei vorüber; wie sehr war ich im Irrtum! — Meister Abraham hatte sich, mir zum großen Verdruß, gegen meine wissenschaftliche Bildung erklärt, und demunerachtet er es so getan, als glaube er den Worten des Professors gar nicht, so wurde ich doch bald gewahr, daß er mir auf allen Gängen nachspürte, mir den Gebrauch seiner Bibliothek dadurch abschnitt, daß er den Schrank sorgfältig verschloß, und es durchaus nicht mehr leiden wollte, daß ich mich, wie sonst, auf seinen Schreibtisch unter die Papiere legte.
So kam Leid und Kümmernis über meine keimende Jugend! Was kann einem Genie mehr Schmerz verursachen, als sich verkannt, ja verspottet zu sehen, was kann einen großen Geist mehr erbittern, als da auf Hindernisse zu stoßen, wo er nur allen möglichen Vorschub erwartete! — Doch, je stärker der Druck, desto gewaltiger die Kraft der Entlastung, je straffer der Bogen gespannt, desto schärfer der Schuß! — War mir die Lektüre versperrt, so arbeitete desto freier mein eigner Geist, und schuf aus sich selbst.
Unmutig wie ich war, brachte ich in dieser Periode manche Nächte, manche Tage, in den Kellern des Hauses zu, wo mehrere Mäusefallen aufgestellt waren, und sich überdem viele Kater verschiedenen Alters und Standes versammelten.
Einem tapfern philosophischen Kopf entgehen überall nicht die geheimsten Beziehungen des Lebens im Leben, und er erkennt, wie sich eben aus denselben das Leben gestaltet in Gesinnung und Tat. So gingen mir auch in den Kellern die Verhältnisse der Mäusefallen und der Katzen in ihrer Wechselwirkung auf. Es wurde mir, als einem Kater von edlem echten Sinn, warm um's Herz, wenn ich gewahren mußte, wie jene tote Maschinen, in ihrem pünktlichen Treiben, eine große Schlaffheit in den Katerjünglingen hervorbrachten. Ich ergriff die Feder und schrieb das unsterbliche Werk, dessen ich schon vorhin gedachte, nämlich: „Über Mäusefallen, und deren Einfluß auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit.“ In diesem Büchlein hielt ich den verweichlichten Katerjünglingen einen Spiegel vor die Augen, in dem sie sich selbst erblicken mußten, aller eignen Kraft entsagend, indolent, träge, ruhig es ertragend, daß die schnöden Mäuse nach dem Speck liefen! — Ich rüttelte sie aus dem Schlafe mit donnernden Worten. — Nächst dem Nutzen, den das Werklein schaffen mußte, hatte das Schreiben desselben auch noch den Vorteil für mich, daß ich selbst indessen keine Mäuse fangen durfte, und auch nachher, da ich so kräftig gesprochen, es wohl keinem einfallen konnte, von mir zu verlangen, daß ich selbst ein Beispiel des von mir ausgesprochenen Heroismus im Handeln geben solle.
Damit könnte ich nun meine erste Lebensperiode schließen, und zu meinen eigentlichen Jünglingsmonaten, die an das männliche Alter streifen, übergehen; unmöglich kann ich aber den günstigen Lesern die beiden letzten Strophen der herrlichen Glosse vorenthalten, die mein Meister nicht hören wollte. Hier sind sie:
Wohl, ich weiß es, widerstehen
Mag man nicht dem süßen Kosen,
Wenn aus Büschen duft'ger Rosen
Süße Liebeslaute wehen.
Will das trunkne Aug' dann sehen,
Wie die Holde kommt gesprungen,
Die da lauscht' an Blumenwegen,
Kaum ist Sehnsuchts Ruf erklungen,
Hat sich schnell hinangeschwungen.
Liebe kommt uns rasch entgegen.
Dieses Sehnen, dieses Schmachten
Kann wohl oft den Sinn berücken;
Doch wie lange kann's beglücken,
Dieses Springen, Rennen, Trachten!
Holder Freundschaft Trieb' erwachten,
Strahlten auf bei Hesper's Scheine,
Und den Edlen brav und rein,
Ihn zu finden den ich meine,
Klettr' ich über Mau'r und Zäune,
Aufgesucht will Freundschaft sein.
(Mak.-Bl.) — — gerade den Abend in solch' heitrer, gemütlicher Stimmung, wie man sie an ihm nicht verspürt hatte seit gar geraumer Zeit. Und diese Stimmung war es, die das Unerhörte geschehen ließ. Denn ohne wild aufzufahren, und davon zu rennen, wie er sonst in gleichem Fall wohl zu tun pflegte, hörte er ruhig und sogar mit gutmütigem Lächeln den langen und noch langweiligern ersten Akt eines entsetzlichen Trauerspiels an, den ein junger hoffnungsvoller Lieutenant mit roten Wangen und wohlgekräuseltem Haupthaar verfaßt hatte und mit aller Prätension des glücklichsten Dichters vortrug. Ja als besagter Lieutenant, da er geendet, ihn heftig fragte, was er von der Dichtung halte, begnügte er sich, mit dem mildesten Ausdruck des inneren Ergötzens im ganzen Gesicht, dem jungen Kriegs- und Vershelden zu versichern, daß der Aushängeakt, das gierigen ästhetischen Leckermäulern dargebotene Koststück, in der Tat herrliche Gedanken enthalte, für deren originelle Genialität schon der Umstand spräche, daß auch anerkannt große Dichter wie z. B. Calderon, Shakespeare und der moderne Schiller darauf gefallen. Der Lieutenant umarmte ihn sehr, und verriet mit geheimnisvoller Miene, daß er gedenke, noch denselben Abend eine ganze Gesellschaft der auserlesensten Fräuleins, unter denen sogar eine Gräfin befindlich, die spanisch lese, und in Öl male, mit dem vortrefflichsten aller ersten Akte zu beglücken. Auf die Versicherung, daß er daran ungemein wohl tun werde, lief er voller Enthusiasmus von dannen.
Ich begreife Dich, sprach jetzt der kleine Geheimrat, heute gar nicht, lieber Johannes, mit Deiner unbeschreiblichen Sanftmut! — Wie war es Dir möglich, das durchaus abgeschmackte Zeug so ruhig, so aufmerksam anzuhören! — Angst und bange wurde mir, als der Lieutenant uns, die wir unbewacht keine Gefahr ahnten, überfiel, und uns rettungslos eingarnte in die tausendfältigen Schlingen seiner endlosen Verse! — Ich dachte, jeden Augenblick würdest Du dazwischen fahren, wie Du es sonst wohl tust bei geringerem Anlaß; aber Du bleibst ruhig, ja, Dein Blick spricht Wohlgefallen aus, und am Ende, nachdem ich für meine Person ganz schwach und elend worden, fertigst Du den Unglückseligen ab mit einer Ironie, die er nicht einmal zu fassen im Stande, und sagst ihm wenigstens nicht zur Warnung für künftige Fälle, daß das Ding viel zu lang sei, und merklich amputiert werden müsse.
Ach, erwiderte Kreisler, was hätte ich denn ausgerichtet mit diesem kläglichen Rat! — Kann denn ein prägnanter Dichter wie unser lieber Lieutenant, wohl mit Nutzen irgendeine Amputation an seinen Versen vornehmen, wachsen sie ihm nicht nach, unter der Hand? — Und weißt Du denn nicht, daß überhaupt die Verse unserer jungen Dichter die Reproduktionskraft der Eidechsen besitzen, denen die Schwänze munter wiederum hervor schießen, hat man sie auch an der Wurzel weggeschnitten! — Wenn Du aber meinst, daß ich des Lieutenants Leserei ruhig angehört, so bist Du in großem Irrtum! — Der Sturm war vorüber, alle Gräser und Blumen im kleinen Garten erhoben ihre gebeugten Häupter, und schlürften begierig den Himmelsnektar ein, der aus den Wolkenschleiern in einzelnen Tropfen hinabfiel. Ich stellte mich unter den großen blühenden Apfelbaum, und horchte auf die verhallende Stimme des Donners in den fernen Bergen, die wie eine Weissagung von unaussprechlichen Dingen in meiner Seele wider klang, und schaute auf zu dem Blau des Himmels, das wie mit leuchtenden Augen dort und dort durch die fliehenden Wolken blickte! — Aber dazwischen rief der Onkel: ich solle fein ins Zimmer und mir den neuen geblümten Schlafrock nicht verderben durch ungeziemliche Nässe, und mir nicht den Schnupfen holen im feuchten Grase. Und dann war es wieder nicht der Onkel, welcher sprach, sondern irgendein Filou von Papagei oder Starmatz hinterm Busch oder im Busch, oder Gott weiß wo sonst, machte sich den unnützen Spaß, mich damit zu necken, daß er mir allerlei köstliche Gedanken aus dem Shakespeare zurief nach seiner Manier. Und das war nun wieder der Lieutenant und sein Trauerspiel! — Geheimer Rat, gib Dir die Mühe zu merken, daß es eine Erinnerung an meine Knabenzeit war, die mich Dir und dem Lieutenant entführte! Ich stand wirklich, ein Junge von höchstens zwölf Jahren, in des Onkels kleinem Garten, und hatte den schönsten Zitz als Schlafrock an, den jemals eine Kattundruckerseele ersonnen, und vergebens hast Du, o Geheimerat! heute Dein Königsräucherpulver verschwendet, denn ich habe nichts verspürt, als das Aroma meines blühenden Apfelbaums, nicht einmal das Haaröl des Versifikanten, der sein Haupt salbt, ohne es jemals schützen zu können gegen Wind und Wetter durch eine Krone, vielmehr nichts aufstülpen darf, als Filz und Leder, durch das Reglement ausgeprägt zu einem Tschako! — Genug Bester! Du warst von uns dreien das einzige Opferlamm, das sich dem infernalischen Trauerspielmesser des dichterischen Helden darbot. Denn, während ich mich, alle Extremitäten sorglich einziehend, in das kleine Schlafröckchen eingeputzt hatte, und mit zwölfjähriger, zwölfflötiger Leichtigkeit hinein gesprungen war in mehrbesagten Garten, verbrauchte Meister Abraham, wie Du siehst, drei bis vier Bogen des schönsten Notenpapiers, um allerlei ergötzliche Phantasmata zuzuschneiden. Auch er ist also dem Lieutenant entwischt! —
Kreisler hatte recht; Meister Abraham verstand sich darauf, Kartonblätter so zuzuschneiden, daß, fand man auch aus dem Gewirre durchschnittner Flecke nicht das mindeste deutlich heraus, doch, hielt man ein Licht hinter das Blatt, in dem auf die Wand geworfenen Schatten, sich die seltsamsten Gestalten in allerlei Gruppen bildeten. Hatte nun Meister Abraham schon an und für sich selbst einen natürlichen Abscheu gegen alles Vorlesen, war ihm noch besonders des Lieutenants Verselei im Grunde des Herzens zuwider, so konnt' es nicht fehlen, daß er, kaum hatte der Lieutenant begonnen, begierig nach dem steifen Notenpapier griff, das zufällig auf dem Tische des Geheimerats lag, eine kleine Schere aus der Tasche langte, und eine Beschäftigung begann, die ihn dem Attentat des Lieutenants gänzlich entzog.
Höre Kreisler, begann nun der Geheimerat, — also eine Erinnerung an Deine Knabenzeit war es, die in Deine Seele kam, und dieser Erinnerung mag ich es wohl zuschreiben, daß Du heute so mild bist, so gemütlich, — höre, mein innigstgeliebter Freund! es wurmt mich wie alle, die Dich ehren und lieben, daß ich von Deinem frühern Leben so ganz und gar nichts weiß, daß Du der leisesten Frage darüber so unfreundlich ausweichst, ja, daß Du absichtlich Schleier über die Vergangenheit wirfst, die doch zuweilen zu durchsichtig sind, um nicht durch allerlei in seltsamer Verzerrung durchschimmernde Bilder die Neugierde zu reizen. Sei offen gegen die, denen Du doch schon Dein Vertrauen schenktest. —
Kreisler blickte den Geheimerat an mit großen Augen voll Verwunderung, wie einer, der aus dem tiefen Schlafe erwachend, eine fremde unbekannte Gestalt vor sich erblickt, und fing dann sehr ernsthaft an:
„Am Tage Johannis Chrysostomi, das heißt am vier und zwanzigsten Januar des Jahres Ein tausend siebenhundert und etzliche dazu, um die Mittagsstunde, wurde einer geboren, der hatte ein Gesicht und Hände und Füße. Der Vater aß eben Erbsensuppe, und goß sich vor Freuden einen ganzen Löffel voll über den Bart, worüber die Wöchnerin, unerachtet sie es nicht gesehen, dermaßen lachte, daß von der Erschütterung dem Lautenisten, der dem Säugling seinen neuesten Murki vorspielte, alle Saiten sprangen, und er bei der atlasnen Nachthaube seiner Großmutter schwur, was Musik betreffe, würde der kleine Hans Haase ein elender Stümper bleiben ewiglich und immerdar. Darauf wischte sich aber der Vater das Kinn rein und sprach pathetisch: Johannes soll er zwar heißen, jedoch kein Hase sein. Der Lautenist —“
Ich bitte Dich, Kreisler, unterbrach der kleine Geheimrat den Kapellmeister, verfalle nicht in die verdammte Sorte von Humor, die mir, ich mags wohl sagen, den Atem versetzt! Verlange ich denn, daß Du mir eine pragmatische Selbstbiographie geben, will ich denn mehr, als daß Du mir vergönnen sollst, einige Blicke in Dein früheres Leben zu tun, ehe ich Dich kannte? — In der Tat magst du mir eine Neugierde nicht verargen, die keine andere Quelle hat, als die innigste Zuneigung recht aus dem tiefsten Herzen. Und nebenher mußt Du es Dir, da Du nun einmal seltsam genug auftrittst, gefallen lassen, daß jeder glaubt, nur das bunteste Leben, eine Reihe der fabelhaftesten Ereignisse könne die psychische Form so auskneten und bilden, wie es bei Dir geschehen. — „O des groben Irrtums, sprach Kreisler, indem er tief seufzte, meine Jugendzeit gleicht einer dürren Heide ohne Blüten und Blumen, Geist und Gemüt erschlaffend im trostlosen Einerlei! —“
Nein nein, rief der Geheimerat, dem ist nicht so, denn ich weiß wenigstens, daß in der Heide ein hübscher kleiner Garten steht, mit einem blühenden Apfelbaum, der mein feinstes Königspulver überduftet. Nun! ich meine, Johannes, Du rückst hervor mit der Erinnerung aus Deiner frühern Jugendzeit, die heute, wie Du erst sagtest, Deine ganze Seele befängt.
Ich dächte, sprach Meister Abraham, indem er dem eben fertig gewordenen Kapuziner die Tonsur einschnitt, ich dächte auch, Kreisler, daß Ihr in Eurer heutigen passablen Stimmung nichts Besseres tun könntet, als Euer Herz oder Euer Gemüt, oder wie Ihr sonst gerade Euer inneres Schatzkästlein nennen möget, aufschließen, und dies, jenes daraus hervorlangen. Das heißt, da Ihr nun einmal verraten, daß Ihr wider den Willen des besorgten Oheims im Regen hinausliefet und abergläubischerweise auf die Weissagungen des sterbenden Donners horchtet, so möget Ihr immer noch mehr erzählen, wie sich damals alles begab. Aber lügt nicht, Johannes, denn Ihr wißt, daß Ihr, was wenigstens die Zeit betrifft, als Ihr die ersten Hosen truget, und dann der erste Haarzopf Euch eingeflochten wurde, unter meiner Kontrolle stehet.
Kreisler wollte etwas erwidern, aber Meister Abraham wandte sich schnell zum kleinen Geheimenrat und sprach: „Sie glauben gar nicht, Vortrefflichster, wie unser Johannes sich dem bösen Geist des Lügens ganz und gar hingibt, wenn er, wie es jedoch gar selten geschieht, von seiner frühesten Jugendzeit erzählt. Gerade wenn die Kinder noch sagen: Pä pä und Mä mä und mit den Fingern ins Licht fahren, gerade zu der Zeit will er schon alles beachtet, und tiefe Blicke getan haben ins menschliche Herz.
Ihr tut mir unrecht, sprach Kreisler, mild lächelnd, mit sanfter Stimme, Ihr tut mir großes Unrecht, Meister! Sollt' es mir denn möglich sein, Euch was weismachen zu wollen von frühreifem Geistesvermögen, wie es wohl eitle Gecken tun? — Und ich frage Dich, Geheimerrat, ob es Dir auch nicht widerfährt, daß oft Momente lichtvoll vor Deine Seele treten aus einer Zeit, die manche erstaunlich kluge Leute ein bloßes Vegetieren nennen und nichts statuieren wollen, als bloßen Instinkt, dessen höhere Vortrefflichkeit wir den Tieren einräumen müssen! — Ich meine, daß es damit eine eigene Bewandnis hat! — Ewig unerforschlich bleibt uns das erste Erwachen zum klaren Bewußtsein! — Wäre es möglich, daß dies mit einem Ruck geschehen könnte, ich glaube, der Schreck darüber müßte uns töten. — Wer hat nicht schon die Angst der ersten Momente im Erwachen aus tiefem Traum, bewußtlosen Schlaf empfunden, wenn er sich selbst fühlend, sich auf sich selbst besinnen mußte! — Doch, um mich nicht zu weit zu verlieren, ich meine, jeder starke psychische Eindruck in jener Entwicklungszeit läßt wohl ein Samenkorn zurück, das eben mit dem Emporsprossen des geistigen Vermögens fortgedeiht, und so lebt aller Schmerz, alle Lust jener Stunden der Morgendämmerung in uns fort, und es sind wirklich die süßen wehmutsvollen Stimmen der Lieben, die wir, als sie uns aus dem Schlafe weckten, nur im Traum zu hören glaubten, und die noch in uns forthallen! — Ich weiß aber, worauf der Meister anspielt. Auf nichts anders, als auf die Geschichte von der verstorbenen Tante, die er mir wegstreiten will, und die ich, um ihn erklecklich zu ärgern, nun gerade Dir, Geheimerat erzählen werde, wenn Du mir versprichst, mir was weniges empfindelnde Kinderei zu Gute zu halten. — Was ich Dir von der Erbssuppe und dem Lautenisten — O, unterbrach der Geheimerat den Kapellmeister, still still, nun merk' ich wohl, Du willst mich foppen, und das ist denn doch wider alle Sitte und Ordnung.
Keinesweges, fuhr Kreisler fort, mein Herz! Aber von dem Lautenisten muß ich anfangen; denn er bildet den natürlichsten Übergang zur Laute, deren Himmelstöne das Kind in süße Träume wiegten. Die jüngere Schwester meiner Mutter war Virtuosin auf diesem, zur Zeit in die musikalische Polterkammer verwiesenen Instrument. Gesetzte Männer, die schreiben und rechnen können und wohl noch mehr als das, haben in meiner Gegenwart Tränen vergossen, wenn sie bloß dachten an das Lautenspiel der seligen Mamsell Sophie, mir ist es deshalb gar nicht zu verdenken, wenn ich ein durstig Kind, meiner selbst nicht mächtig, noch ohne in Wort und Rede aufgekeimtes Bewußtsein, alle Wehmut des wunderbaren Tonzaubers, den die Lautenistin aus ihrem Innersten strömen ließ, in begierigen Zügen einschlürfte. — Jener Lautenist an der Wiege war aber der Lehrer der Verstorbenen, klein von Person, mit hinlänglich krummen Beinen, hieß Monsieur Turtel, und trug eine sehr saubere weiße Perücke mit einem breiten Haarbeutel, sowie einen roten Mantel. — Ich sage das nur, um zu beweisen, wie deutlich mir die Gestalten aus jener Zeit aufgehen, und daß weder Meister Abraham, noch sonst jemand, daran zweifeln darf, wenn ich behaupte, daß ich, ein Kind von noch nicht drei Jahren, mich finde auf dem Schoß eines Mädchens, deren mild blickende Augen mir recht in die Seele leuchteten, daß ich noch die süße Stimme höre, die zu mir sprach, zu mir sang, daß ich es noch recht gut weiß, wie ich der anmutigen Person all' meine Liebe, all' meine Zärtlichkeit zuwandte. Dies war aber eben Tante Sophie, die in seltsamer Verkürzung „Füßchen“ gerufen wurde. Eines Tages lamentierte ich sehr, weil ich Tante Füßchen nicht gesehen hatte. Die Wärterin brachte mich in ein Zimmer, wo Tante Füßchen im Bette lag, aber ein alter Mann, der neben ihr gesessen, sprang schnell auf, und führte, heftig scheltend, die Wärterin, die mich auf dem Arm hatte, heraus. Bald darauf kleidete man mich an, hüllte mich ein in dicke Tücher, brachte mich ganz und gar in ein anderes Haus zu andern Personen, die sämtlich Onkel und Tanten von mir sein wollten, und versicherten, daß Tante Füßchen sehr krank sei, und ich, wäre ich bei ihr geblieben, ebenso krank geworden sein würde. Nach einigen Wochen brachte man mich zurück nach meinem vorigen Aufenthalt. Ich weinte, ich schrie, ich wollte zu Tante Füßchen. Sowie ich in jenes Zimmer gekommen, trippelte ich hin an das Bette, in dem Tante Füßchen gelegen, und zog die Gardinen auseinander. Das Bette war leer, und eine Person, die nun wieder eine Tante von mir war, sprach, indem ihr die Tränen aus den Augen stürzten: Du findest sie nicht mehr, Johannes, sie ist gestorben, und liegt unter der Erde. —
Ich weiß wohl, daß ich den Sinn dieser Worte nicht verstehen konnte, aber noch jetzt, jenes Augenblicks gedenkend, erbebe ich in dem namenlosen Gefühl, das mich damals erfaßte. Der Tod selbst preßte mich hinein in seinen Eispanzer, seine Schauer drangen in mein Innerstes und vor ihnen erstarrte alle Lust der ersten Knabenjahre. — Was ich begann, weiß ich nicht mehr, wüßte es vielleicht niemals, aber erzählt hat man mir oft genug, daß ich langsam die Gardinen fahren ließ, ganz ernst und still einige Augenblicke stehen blieb, dann aber, wie tief in mich gekehrt und darüber nachsinnend, was man mir eben gesagt, mich auf ein kleines Rohrstühlchen setzte, das mir eben nahe stand. Man fügte hinzu, daß diese stille Trauer des sonst zu den lebhaftesten Ausbrüchen geneigten Kindes etwas unbeschreiblich Rührendes gehabt, und daß man selbst einen nachteiligen psychischen Einfluß gefürchtet, da ich mehrere Wochen in demselben Zustande geblieben, nicht weinend, nicht lachend, zu keinem Spiel aufgelegt, kein freundlich Wort erwidernd, nichts um mich her beachtend. —
In diesem Augenblick nahm Meister Abraham ein in Kreuz- und Querzügen wunderlich durchschnittenes Blatt zur Hand, hielt es vor die brennenden Kerzen, und auf der Wand reflektierte sich ein ganzes Chor von Nonnen, die auf seltsamen Instrumenten spielten.
Hoho! rief Kreisler, indem er die ganz artig geordnete Gruppe der Schwestern erblickte, hoho Meister, ich weiß wohl, woran Ihr mich erinnern wollt! — Und noch jetzt behaupte ich keck, daß Ihr unrecht tatet mich auszuschelten, mich einen störrigen, unverständigen Burschen zu nennen, der durch die dissonierende Stimme seiner Torheit einen ganzen singenden und spielenden Konvent aus Ton und Takt bringen könne. Hatte ich nicht zu der Zeit, als Ihr mich, zwanzig oder dreißig Meilen weit von meiner Vaterstadt, in das Klarissen-Kloster führtet, um die erste wahrhaft katholische Kirchenmusik zu hören; hatte ich, sag' ich, damals nicht den gerechtesten Anspruch auf die brillanteste Lümmelhaftigkeit, da ich gerade mitten in den Lümmeljahren stand? War es nicht desto schöner, daß dem unerachtet der längst verwundene Schmerz des dreijährigen Knaben erwachte mit neuer Kraft, und einen Wahn gebar, der meine Brust mit allem tötenden Entzücken der herzzerschneidendsten Wehmut erfüllte? — Mußte ich nicht behaupten, und alles Einredens unerachtet dabei bleiben, daß niemand anders das wunderliche Instrument, die Trompette marine geheißen, spiele, als Tante Füßchen, unerachtet sie längst verstorben? — Warum hieltet Ihr mich ab, einzudringen in den Chor, wo ich sie wiedergefunden hatte in ihrem grünen Kleide mit ros'farbnen Schleifen! —
Nun starrte Kreisler hin nach der Wand, und sprach mit bewegter, zitternder Stimme: Wahrhaftig! — Tante Füßchen ragt hervor unter den Nonnen! — Sie ist auf eine Fußbank getreten um das schwierige Instrument besser handhaben zu können. Doch der Geheimerat trat vor ihn hin, so daß er ihm den Anblick des Schattenbildes entzog, faßte ihn bei beiden Schultern und begann: In der Tat, Johannes! es wäre gescheuter, Du überließest Dich nicht Deinen seltsamen Träumereien und sprächest nicht von Instrumenten die gar nicht existieren, denn in meinem Leben habe ich nichts gehört von einer Trompette marine! —
O, rief Meister Abraham lachend, indem er, das Blatt unter den Tisch werfend, den ganzen Nonnenkonvent samt der chimärischen Tante Füßchen mit ihrer Trompette marine schnell verschwinden ließ, o mein würdigster Geheimerat, der Herr Kapellmeister ist auch jetzt wie immer, ein vernünftiger, ruhiger Mann, und kein Phantast oder Haselant, wofür ihn gern viele ausgeben möchten. Ist es nicht möglich, daß die Lautenistin, nachdem sie Todes verblichen, sich mit Effekt auf das wunderbare Instrument verlegte, welches sie vielleicht noch jetzt hin und wider in Nonnenklöstern wahrnehmen und darüber in Erstaunen geraten können? — Wie! — Die Trompette marine soll nicht existieren? — Schlagen Sie doch nur diesen Artikel gefälligst in Kochs musikalischem Lexikon nach, das Sie ja selbst besitzen.
Der Geheimerat tat es auf der Stelle, und las laut:
„Dieses alte ganz einfache Bogeninstrument besteht aus drei dünnen, sieben Schuh langen Brettern, die unten, wo das Instrument auf dem Fußboden aufstehet, sechs bis sieben Zoll, oben aber kaum zwei Zoll breit und in der Form eines Triangels zusammengeleimt sind, so daß das Korpus, welches oben eine Art von Wirbelkasten hat, von unten bis oben verjüngt zuläuft. Eins von diesen drei Brettern macht den Sangboden aus, der mit einigen Schallöchern versehen, und mit einer einzigen, etwas starken Darmsaite bezogen ist. Bei dem Spielen stellt man das Instrument schief vor sich hin, und stemmt den obern Teil desselben gegen die Brust. Mit dem Daumen der linken Hand berührt der Spieler die Saite da, wo die zu greifenden Töne liegen, ganz gelinde und ungefähr ebenso wie bei dem Flautino oder Flageolett auf der Geige, während mit der rechten Hand die Saite mit dem Bogen angestrichen wird. Der eigentümliche Ton dieses Instruments, der dem Tone einer gedämpften Trompete gleicht, wird durch den besondern Steg hervorgebracht, auf welchem die Saite unten auf dem Resonanzboden ruhet. Dieser Steg hat beinahe die Gestalt eines kleinen Schuhes, der vorn ganz niedrig und dünne, hinten hingegen höher und stärker ist. Auf dem hintern Teile desselben liegt die Saite auf, und verursacht, wenn sie angestrichen wird, durch ihre Schwingungen, daß sich der vordere und leichte Teil des Steges auf dem Sangboden auf und nieder bewegt, wodurch der schnarrende, und der gedämpften Trompete ähnliche Ton, hervorgebracht wird!“ —
Baut mir ein solches Instrument, rief der Geheimerat mit glänzenden Augen, Meister Abraham, ich werfe meine Nagelgeige in den Winkel, berühre nicht mehr den Euphon, sondern setze Hof und Stadt in Erstaunen, auf der Trompette marine die wunderbarsten Lieder spielend! —
Ich tue das, erwiderte Meister Abraham, und möge, bester Geheimerat, der Geist von Tante Füßchen im grüntaftnen Kleide über Sie kommen, und Sie eben als Geist begeistern! —
Der Geheimerat umarmte entzückt den Meister, aber Kreisler trat zwischen beide, indem er beinahe ärgerlich sprach. Ei, seid Ihr nicht ärgere Haselanten, als ich jemals einer gewesen bin, und dabei unbarmherzig gegen den, den Ihr zu lieben vorgebt! — Begnügt Euch doch damit, daß Ihr mit jener Beschreibung eines Instruments, dessen Ton mein Innerstes durchbebte, mir Eiswasser über die heiße Stirn gegossen, und schweigt von der Lautenistin! — Nun, Du wolltest ja Geheimerat, ich sollte von meiner Jugend sprechen, und schnitt der Meister dazu Schattenbilder, die zu Momenten aus jener Zeit paßten, so konntest Du mit der schönen, mit Kupferstichen verzierten, Ausgabe meiner biographischen Skizzen zufrieden sein. Als Du aber den Artikel aus dem Koch lasest, fiel mir sein lexikalischer Kollege Gerber ein, und ich erblickte mich, einen Leichnam, ausgestreckt auf der Tafel liegend, bereit zur biographischen Sektion. — Der Prospekt könnte sagen: es ist gar nicht zu verwundern, daß in dem Innern dieses jungen Mannes durch tausend Adern und Äderchen lauter musikalisches Blut läuft, denn das war der Fall bei vielen seiner Blutsverwandten, deren Blutsverwandter er eben deshalb ist. — Ich will nämlich sagen, daß die mehrsten von meinen Tanten und Onkels, deren es, wie der Meister weiß, und Du eben erst erfahren hast, eine nicht geringe Anzahl gab, Musik trieben, und noch dazu meistenteils Instrumente spielten, die schon damals sehr selten waren, jetzt aber zum Teil verschwunden sind, so, daß ich nur noch im Traum die ganz wunderbar klingenden Konzerte vernehme, die ich ungefähr bis zu meinem zehnten, eilften Jahr hörte. — Mag es sein, daß deshalb mein musikalisches Talent schon im ersten Aufkeimen die Richtung genommen hat, die in meiner Art zu instrumentieren sich kund tun soll, und die man als zu phantastisch verwirft. — Kannst Du Dich, Geheimerat, der Tränen enthalten, wenn Du recht schön auf dem uralten Instrument, auf der Viola d'Amore, spielen hörst, so danke dem Schöpfer für Deine robuste Konstitution; ich für mein Teil flennte beträchtlich, als der Ritter Eßer sich darauf hören ließ, früher aber noch mehr, wenn ein großer ansehnlicher Mann, dem die geistliche Kleidung ungemein gut stand, und der nun wieder mein Onkel war, mir darauf vorspielte. So war denn auch eines andern Verwandten Spiel auf der Viola di Gamba gar angenehm und verlockend, wiewohl derjenige Onkel, der mich erzog, oder vielmehr nicht erzog, und der das Spinett mit barbarischer Virtuosität zu hantieren wußte, ihm mit Recht Mangel an Takt vorwarf. Der Arme geriet auch bei der ganzen Familie in nicht geringe Verachtung, als man erfahren, daß er in aller Fröhlichkeit nach der Musik einer Sarabande eine Menuett à la Pompadour getanzt. Ich könnte Euch überhaupt viel erzählen von den musikalischen Belustigungen meiner Familie, die oft einzig in ihrer Art sein mochten, aber es würde manches Groteske mit unter laufen, worüber Ihr lachen müßtet; und meine werten Verwandten Eurem Gelächter preiszugeben, das verbietet mir der Respectus Parentelis.
Johannes, begann der Geheimerat, Du wirst es mir in Deiner Gemütlichkeit nicht verargen, wenn ich eine Saite in Deinem Innern anschlage, deren Berührung Dich vielleicht schmerzt. — Immer sprichst Du von Onkeln, von Tanten, nicht gedenkst Du Deines Vaters, Deiner Mutter! —
O mein Freund, erwiderte Kreisler mit dem Ausdruck der tiefsten Bewegung, eben heute gedachte ich, — doch nein, nichts mehr von Erinnerungen, von Träumen, nichts von dem Augenblick, der heute alles nur gefühlte, nicht verstandene Weh meiner frühen Knabenzeit weckte, aber eine Ruhe kam dann in mein Gemüt, die der ahnungsvollen Stille des Waldes gleicht, wenn der Gewittersturm vorüber! Ja Meister, Ihr habt recht, ich stand unter dem Apfelbaum, und horchte auf die weissagende Stimme des hinsterbenden Donners! — Du kannst Dir deutlicher die dumpfe Betäubung denken, in der ich wohl ein paar Jahre fortleben mochte, als ich Tante Füßchen verloren, wenn ich Dir sage, daß der Tod meiner Mutter, der in diese Zeit fällt, keinen sonderlichen Eindruck auf mich machte. Weshalb aber mein Vater mich ganz dem Bruder meiner Mutter überließ, oder überlassen mußte, darf ich Dir nicht sagen, da Du Ähnliches in manchem verbrauchten Familienroman, oder in irgendeiner Ifflandschen Hauskreuzkomödie nachlesen kannst. Es genügt, Dir zu sagen, daß, wenn ich meine Knaben-, ja einen guten Teil meiner Jünglingsjahre, im trostlosen Einerlei verlebte, dies wohl eben dem Umstande zuzuschreiben, daß ich elternlos war. Der schlechte Vater ist noch immer viel besser, als jeder gute Erzieher, mein' ich, und mir schauert die Haut, wenn Eltern in lieblosem Unverstande ihre Kinder von sich lassen und verweisen in diese, jene Erziehungsanstalt, wo die Armen ohne Rücksicht auf ihre Individualität, die ja niemanden anders als eben den Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und appretiert werden. — Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich kein Mensch auf Erden darüber verwundern, daß ich ungezogen bin, denn der Oheim zog oder erzog mich ganz und gar nicht, sondern überließ mich der Willkür der Lehrer, die ins Haus kamen, da ich keine Schule besuchen, und auch durch irgendeine Bekanntschaft mit einem Knaben meines Alters die Einsamkeit des Hauses, das der unverheiratete Oheim mit einem alten trübsinnigen Bedienten allein bewohnte, nicht stören durfte. — Ich besinne mich nur auf drei verschiedene Fälle, in denen der beinahe bis zum Stumpfsinn gleichgültige, ruhige Oheim einen kurzen Akt der Erziehung vornahm, indem er mir eine Ohrfeige zuteilte, so, daß ich wirklich während meiner Knabenzeit drei Ohrfeigen empfangen. Ich könnte Dir, mein Geheimerat, da ich eben zum Schwatzen so aufgelegt, die Geschichte von den drei Ohrfeigen als ein romantisches Kleeblatt auftischen, doch hebe ich nur die mittelste heraus, da ich weiß, daß Du auf nichts so erpicht bist, als auf meine musikalischen Studien, und es Dir nicht gleichgültig sein kann, zu erfahren, wie ich zum erstenmal komponierte. — Der Oheim hatte eine ziemlich starke Bibliothek, in der ich nach Gefallen stöbern und lesen durfte was ich wollte; mir fielen Rousseau's Bekenntnisse in der deutschen Übersetzung in die Hände. Ich verschlang das Buch, das eben nicht für einen zwölfjährigen Knaben geschrieben, und das den Samen manches Unheils in mein Inneres hätte streuen können. Aber nur ein einziger Moment aus allen, zum Teil sehr verfänglichen, Begebenheiten erfüllte mein Gemüt so ganz und gar, daß ich alles übrige darüber vergaß. Gleich elektrischen Schlägen traf mich nämlich die Erzählung, wie der Knabe Rousseau von dem mächtigen Geist seiner innern Musik getrieben, sonst aber ohne alle Kenntnis der Harmonik, des Kontrapunkts, aller praktischen Hilfsmittel, sich entschließt, eine Oper zu komponieren, wie er die Vorhänge des Zimmers herabläßt, wie er sich aufs Bette wirft, um sich ganz der Inspiration seiner Einbildungskraft hinzugeben, wie ihm nun sein Werk aufgeht, gleich einem herrlichen Traum! — Tag und Nacht verließ mich nicht der Gedanke an diesen Moment, mit dem mir die höchste Seligkeit über den Knaben Rousseau gekommen zu sein schien! — Oft war es mir, als sei ich auch schon dieser Seligkeit teilhaftig geworden, und dann, nur von meinem festen Entschlusse hänge es ab, mich auch in dies Paradies hinaufzuschwingen, da der Geist der Musik in mir ebenso mächtig beschwingt sei. Genug, ich kam dahin, es meinem Vorbilde nachmachen zu wollen. Als nämlich an einem stürmischen Herbstabend, der Oheim wider seine Gewohnheit das Haus verlassen, ließ ich sofort die Vorhänge herab, und warf mich auf des Oheims Bett, um, wie Rousseau, eine Oper im Geiste zu empfangen. So vortrefflich aber die Anstalten waren, so sehr ich mich abmühte, den dichterischen Geist heranzulocken, doch blieb er im störrischen Eigensinn davon. Durchaus summte mir, statt aller herrlichen Gedanken, die mir aufgehen sollten, ein altes erbärmliches Lied vor den Ohren, dessen weinerlicher Text begann: „Ich liebte nur Ismenen, Ismene liebt' nur mich“, und ließ, so sehr ich mich dagegen sträubte, nicht nach. Jetzt kommt der erhabene Priesterchor: „Hoch von Olympos Höh'n“, rief ich mir zu, aber: „Ich liebte nur Ismenen“, summte die Melodie fort und unaufhörlich fort, bis ich zuletzt fast einschlief. Mich weckten laute Stimmen, indem ein unerträglicher Geruch mir in die Nase fuhr und den Atem versetzte. Das ganze Zimmer war von dickem Rauch erfüllt, und in dem Gewölk stand der Oheim, und trat die Reste der flammenden Gardine, die den Kleiderschrank verbarg, nieder und rief: Wasser her — Wasser her! bis der alte Diener Wasser in reichlicher Fülle herbeibrachte, über den Boden ausgoß, und so das Feuer löschte. Der Rauch zog langsam durch die Fenster. „Wo ist nur der Unglücksvogel,“ fragte der Oheim, indem er im Zimmer umherleuchtete. Ich wußte wohl, welchen Vogel er meinte, und blieb mäuschenstill im Bette, bis der Oheim hinantrat und mir mit einem zornigen: „Will Er wohl gleich heraus!“ auf die Beine half. „Steckt mir der Bösewicht das Haus über dem Kopfe an,“ fuhr der Onkel fort! Ich versicherte, auf weiteres Befragen, ganz ruhig, daß ich auf dieselbe Weise wie der Knabe Rousseau nach dem Inhalt seiner Bekenntnisse es getan, eine Opera seria im Bett komponiert hätte, und daß ich durchaus gar nicht wisse, wie der Brand entstanden. — „Rousseau? komponiert? Opera seria? — Pinsel!“ — So stotterte der Oheim vor Zorn, und teilte mir die kräftige Ohrfeige zu, die ich als die zweite empfing, so daß ich, vor Schreck erstarrt, sprachlos stehen blieb, und in dem Augenblick hörte ich wie einen Nachklang des Schlages ganz deutlich: „Ich liebte nur Ismenen“ usw. usw. Sowohl gegen dieses Lied, als gegen die Begeisterung des Komponierens überhaupt, empfand ich von diesem Augenblick an einen lebhaften Widerwillen.
Aber wie war nur das Feuer entstanden? fragte der Geheimerat.
Noch in diesem Augenblick, erwiderte Kreisler, ist es mir unbegreiflich, durch welchen Zufall die Gardine in Brand geriet, und einen schönen Schlafrock des Oheims, sowie drei oder vier schön frisierte Toupets, die der Oheim als partielle Perücken-Studien aus einer Gesamtfrisur aufzusetzen pflegte, mit in ihr Verderben riß. Mir ist es auch immer so vorgekommen, als habe ich nicht des unverschuldeten Feuers, sondern nur der unternommenen Komposition halber, die Ohrfeige erhalten. — Seltsam genug war es die Musik allein, die zu treiben mich der Oheim mit Strenge anhielt, unerachtet der Lehrer, getäuscht von dem nur momentanen Widerwillen, den ich dagegen äußerte, mich für ein durchaus unmusikalisches Prinzip hielt. Was ich übrigens lernen oder nicht lernen mochte, das war dem Oheim völlig gleich. Äußerte er manchmal lebhaften Unwillen, daß es so schwer hielt, mich zur Musik anzuhalten, so hätte man denken sollen, daß er von der Freude hätte durchdrungen sein müssen, als nach ein paar Jahren der musikalische Geist sich so mächtig in mir regte, daß er alles übrige überflügelte, das war aber nun wieder ganz und gar nicht der Fall. Der Oheim lächelte bloß ein wenig, wenn er bemerkte, daß ich bald mehrere Instrumente mit einiger Virtuosität spielte, ja daß ich manches kleine Stück aufsetzte zur Zufriedenheit der Meister und Kenner. Ja, er lächelte bloß ein wenig, und sprach, wenn man ihn mit Lobeserhebungen anfuhr, mit schlauer Miene: Ja, der kleine Neveu ist närrisch genug. — So ist es mir, nahm der Geheimerat das Wort, aber ganz unbegreiflich, daß der Oheim Deiner Neigung nicht Freiheit ließ, sondern Dich hineinzwang in eine andere Laufbahn. Soviel ich nämlich weiß, ist Deine Kapellmeisterschaft eben nicht von lange her.
Und auch nicht weit her, rief Meister Abraham lachend, und fuhr, indem er das Bildnis eines kleinen, wunderlich gebauten Mannes an die Wand warf, weiter fort. Aber nun muß ich mich des wackern Oheims, den mancher verruchte Neffe den O weh Onkel nannte, weil er sich mit Vornamen Ottfried Wenzel schrieb, ja nun muß ich mich seiner annehmen, und der Welt versichern, daß wenn der Kapellmeister Johannes Kreisler es sich einfallen ließ, Legationsrat zu sein und sich abzuquälen mit seiner innersten Natur ganz widrigen Dingen, niemand weniger daran schuld ist, als eben der O weh Onkel. — O still davon, Meister, sprach Kreisler, und nehmt mir dort den Oheim von der Wand, denn mocht' er auch wirklich lächerlich genug aussehen, so mag ich doch eben heute über den Alten, der lange im Grabe ruht, nicht lachen! —
Ihr übernehmt Euch heute ja ganz in geziemlicher Empfindsamkeit, erwiderte der Meister; Kreisler achtete aber nicht darauf, sondern sprach, sich zum kleinen Geheimerat wendend: Du wirst es bedauern, mich zum Schwatzen gebracht zu haben, da ich Dir, der vielleicht das Außerordentliche erwartete, nur Gemeines, wie es sich tausendmal im Leben wiederholt, auftischen kann. — So ist es auch gewiß, daß es nicht Erziehungszwang, nicht besonderer Eigensinn des Schicksals, nein, daß es der gewöhnlichste Lauf der Dinge war, der mich fortschob, so daß ich unwillkürlich dort hinkam, wo ich eben nicht hin wollte. Hast du nicht bemerkt, daß es in jeder Familie einen gibt, der sich, sei es durch besonderes Genie, oder durch das glückliche Zusammentreffen günstiger Ereignisse, zu einer gewissen Höhe hinaufschwang, und der nun, ein Heros, in der Mitte des Kreises steht, zu dem die lieben Verwandten demütig hinaufblicken, dessen gebietende Stimme vernommen wird in entscheidenden Sprüchen, von denen keine Appellation möglich? — So ging es mit dem jüngern Bruder meines Oheims, der dem musikalischen Familiennest entflohen war, und in der Residenz als geheimer Legationsrat, in der Nähe des Fürsten, eine ziemlich wichtige Person vorstellte. Sein Emporsteigen hatte die Familie in eine staunende Bewunderung gesetzt, die nicht nachließ. Man nannte den Legationsrat mit feierlichem Ernst, und wenn es hieß: der geheime Legationsrat hat geschrieben, der geheime Legationsrat hat das und das geäußert, so horchte alles in stummer Ehrfurcht auf. Dadurch schon seit meiner frühesten Kindheit daran gewöhnt, den Oheim in der Residenz als einen Mann anzusehen, der das höchste Ziel alles menschlichen Strebens erreicht, mußte ich es natürlich finden, daß ich gar nichts anders tun konnte, als in seine Fußtapfen treten. Das Bildnis des vornehmen Oheims hing in dem Prunkzimmer, und keinen größern Wunsch hegte ich, als so frisiert, so gekleidet umherzugehen, wie der Oheim auf dem Bilde. Diesen Wunsch gewährte mein Erzieher, und ich muß wirklich, als zehnjähriger Knabe, anmutig genug ausgesehen haben, im himmelhoch frisierten Toupet, und kleinen zirkelrunden Haarbeutel, im zeisiggrünen Rock mit schmaler silberner Stickerei, seidenen Strümpfen und kleinem Degen. Dies kindische Streben ging tiefer ein, als ich älter worden, da, um mir Lust zur trockensten Wissenschaft einzuflößen, es genügte, mir zu sagen, dies Studium sei mir nötig, damit ich, dem Oheim gleich, dereinst Legationsrat werden könne. Daß die Kunst, welche mein Inneres erfüllte, mein eigentliches Streben, die wahre einzige Tendenz meines Lebens sein dürfe, fiel mir um so weniger ein, als ich gewohnt war, von Musik, Malerei, Poesie, nicht anders reden zu hören, als von ganz angenehmen Dingen, die zur Erheiterung und Belustigung dienen könnten. Die Schnelle, mit der ich, ohne daß sich jemals auch nur ein einziges Hindernis offenbart hätte, durch mein erlangtes Wissen, und durch den Vorschub des Oheims in der Residenz, in der Laufbahn, die ich gewissermaßen selbst gewählt, vorwärts schritt, ließ mir keinen Moment übrig, mich umzuschauen, und die schiefe Richtung des Weges, den ich genommen, wahrzunehmen. Das Ziel war erreicht, umzukehren nicht mehr möglich, als in einem nicht geahnten Moment die Kunst sich rächte, der ich abtrünnig worden, als der Gedanke eines ganzen verlornen Lebens mich mit trostlosem Weh erfaßte, als ich mich in Ketten geschlagen sah, die mir unzerbrechlich dünkten! —