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Thesen

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1. Das deutsche Volk hat in der Vergangenheit eine ihm eigentümliche geistige Freiheit in Religion, Moral, Erkenntnis und Kunst in unvergleichlicher Weise gezeigt.

2. Bei vielfacher politischer Rückständigkeit droht uns Deutschen politische Unfreiheit vor allem von seiten einer radikalen Demokratie und des Sozialismus.

3. Es ist eine Hauptaufgabe der Zukunft, unter voller Wahrung und Vertiefung der inneren Freiheit echte politische Freiheit in unserem Vaterlande zu entwickeln.

Über die deutsche Freiheit zu reden, das kann in diesen Tagen gewagt, ja vermessen dünken, wo Deutschland schwer gelähmt, von übermächtigen Gegnern unterdrückt und in seiner Kraft durch inneren Zwist gebrochen darniederliegt; es wäre ein solches Unternehmen in Wahrheit töricht, hätte der augenblickliche Stand unseres Volkes das entscheidende Urteil über sein Ergehen und seine Bedeutung zu fällen, und besäße nicht die deutsche Art und die deutsche Geschichte einen tieferen Gehalt und eine größere Kraft als unmittelbar vorliegt; nur eine solche Überzeugung läßt uns Mut, Hoffnung, ja Zuversicht inmitten aller Trübsale schöpfen; sie gibt uns zugleich das Vertrauen, daß die deutsche Freiheit kein bloßes Wahnbild ist, ja daß sie nicht nur uns selbst, sondern auch dem Ganzen der Menschheit unentbehrlich ist. Ist das aber der Fall, so muß und wird sie sich irgendwie gegen alle Hemmungen durchsetzen, die Menschen aber müssen ihr bewußt oder unbewußt dienen.

Zunächst sei der Freiheitsgedanke in seinen weltgeschichtlichen Zusammenhängen kurz gewürdigt; wir werden sehen, daß auch das deutsche Leben ihm eng verbunden ist. Alles heutige Streben nach Freiheit ist ein Ausfluß der Bewegung, welche die gesamte Neuzeit durchdringt und sie von anderen Epochen deutlich abhebt. Galt im Altertum und im Mittelalter das Weltall mit seinen ewigen Sternen und mit ihm der menschliche Lebenskreis als ein festbegründetes und geschlossenes Ganzes und schien dieses Ganze alles Menschliche zu binden und zu lenken, so wird nun zum leitenden Gedanken ein Reich der Freiheit mit seiner unermeßlichen Fülle; die Ordnung aber tritt erst an die zweite Stelle. Nunmehr wird alle Wirklichkeit in Fluß versetzt und zu rastloser Bewegung angehalten; es verbindet sich damit eng der Gedanke eines unbegrenzten Fortschritts zu immer weiteren Höhen; so wird nunmehr das Wachstum des Lebens, die Kraftsteigerung, zum höchsten aller Ziele. Hier heißt es: „Immer möchte der Mensch, was er erkennt, mehr erkennen, und was er liebt, mehr lieben, und die ganze Welt genügt ihm nicht, weil sie sein Wahrheitsverlangen nicht stillt“ (Nikolaus von Cues).

Alle Größen und Werte werden dadurch umgewandelt, alle Ruhe wird als etwas Starres und Totes ausgetrieben. Das Werden und Sichselbstgestalten erhält eine unbeschreibliche Freude, es scheint alle früheren Zeiten weitaus durch Kraft, Frische, Wahrheit zu überragen. Solches Flüssigwerden der ganzen Wirklichkeit erzeugt einen eigentümlichen Begriff des Modernen und gibt ihm das stolze Gefühl einer unbedingten Überlegenheit. Diesen Grundcharakter der Neuzeit hat jedes Streben zu würdigen, das nicht hinter dem Geist der Zeit zurückbleiben und erfolgreich zu den Zeitgenossen wirken möchte. Wie viele Probleme aber der Gesamtbegriff der Freiheit enthält, das läßt sich hier nur nebenbei andeuten.

Eine nähere Betrachtung der Freiheit hat die politische oder nationale und die geistige Freiheit deutlich voneinander zu scheiden, jene bezieht sich auf das gesellschaftliche Zusammensein der Menschen, diese auf den inneren Stand der Seele. Die politische Freiheit verficht die selbständige Teilnahme der einzelnen Volksgenossen am Ganzen des Staates und seiner Regierung, die geistige erstrebt eine Selbständigkeit und Ursprünglichkeit des Lebens im Ganzen der Seele; beides kann weit auseinandergehen, ein politisch Freier kann geistig gebunden, ein geistig Freier politisch abhängig sein; daß eine derartige Scheidung einen schweren Mangel bedeutet, ist ohne weiteres klar.

Die Deutschen hatten so lange kein politisches gemeinsames Leben, als das alte Reich zerfallen war; Deutschland war damals mehr eine ethnographische als eine politische Einheit. Erst im 18. Jahrhundert erwachte ein Streben darnach, aber auch die gewaltige französische Umwälzung rüttelte hier nicht am überkommenen Stande des Ganzen, sie hatte überwiegend einen literarischen und privaten Charakter, sie forderte für das persönliche Empfinden den freiesten Ausdruck und eine Austreibung alles Zopfes und Zwanges im geselligen Leben, aber politische und wirtschaftliche Fragen bewegten sie zunächst kaum.

Ein selbständiges nationales und politisches Leben des ganzen Deutschland erzeugten erst die Befreiungskriege; höher und höher stieg damals die Hoffnung, die Einheit und die Freiheit Deutschlands in Einem erreichen zu können; namentlich war die gebildete Jugend mit vielen Volksgenossen bis 1866 von solchem Streben durchglüht. Als dann aber schließlich Bismarcks überragendes Genie das neue Deutschland schuf, da erfolgte eine Scheidung der nationalen und freiheitlichen Bewegung; sie war unter den gegebenen Verhältnissen wohl zwingend geboten, aber es war für den Verlauf unserer Entwicklung ein nicht geringer Schaden, daß jene Bewegungen nebeneinander verliefen, und daß der nationale Aufstieg nicht durch eine Kräftigung der politischen Freiheit unterstützt wurde. Die zahlreichen Reformen im einzelnen konnten bei aller Tüchtigkeit diesen Mangel nicht voll ersetzen; so verblieb die politische Macht in der Hauptsache dem wohlgeordneten Beamtenstaate, der von oben her zu regieren und die Staatsbürger mehr als Objekt denn als Subjekt der Tätigkeit zu behandeln pflegte. Dies Beamtentum hatte unverkennbare Vorzüge, es war zuverlässig, gewissenhaft, sparsam – lauter Eigenschaften, die wir nach den jüngsten Erfahrungen besonders schätzen müssen –, aber es hatte wenig Unternehmensgeist, es verstand es nicht, neue und schwierige Verhältnisse zu leiten, sondern nur im gewohnten Lauf der Dinge seine Pflicht zu üben. Es besaß namentlich nicht die Gabe, die Gemüter anzuziehen, es konnte leicht den Staat den Bürgern mehr verleiden als sie ihm gewinnen. Dazu bestand bei den Spitzen des staatlichen Lebens oft wenig Teilnahme und wenig Kenntnis für die inneren Forderungen der Zeit, gelegentlich erschien eine erstaunliche Unkenntnis der Menschen und Dinge, kurz diese Persönlichkeiten waren nicht geeignet, schwierige und verantwortungsvolle Aufgaben selbständig zu lösen. Dazu das Hofleben mit seiner dünkelhaften Gespreiztheit und seiner inneren Leere.

Bei der Gestaltung der Verhältnisse wurden wir im Technischen der Verwaltung vortrefflich, in der hohen Staatskunst schlecht regiert, wie die Leistungen unserer meisten Diplomaten handgreiflich erwiesen haben. Es war ein arges Mißverhältnis, daß ein kraftvolles, frisch aufstrebendes Volk an derartige Verhältnisse gebunden war, und daß wichtigste Entscheidungen ohne, ja gegen seinen Wunsch erfolgen konnten. Viele tüchtige Kräfte blieben bei solchem Stande der Dinge zum Schaden des Staates ungenutzt; im Gesamtbilde aber schien Deutschland in seinem inneren Gefüge minder frei als andere Staaten; wohl wurde das in den Vorstellungen unserer Gegner oft arg übertrieben, und es wurde zugleich verkannt, wie viel Deutschland an eigenartiger Freiheit besitzt, aber nach den Meinungen anderer Völker blieb es zurück. Bei solchen Fragen aber ist auch der Schein eine Macht und eine Gefahr.

Im literarischen Leben und Schaffen entstand über die politischen Fragen hinaus eine mißmutige und verneinende Denkart, eine Lust, aller Überlieferung schroff zu widersprechen, daran sowohl eine bittere Satire als einen kecken Spott zu üben, so in Religion und Moral, so in Weltanschauung und Sitte. Das ergab eine gewisse geistige Freiheit, aber diese Freiheit war überwiegend verwerfender und zerstörender Art, sie konnte weder fruchtbare Schöpfungen erzeugen, noch dem Menschen neue Bahnen erschließen oder ihn gemäß Schillers Mahnung von der Angst des Irdischen befreien. Es war eine Freiheit mehr der zersetzenden Reflexion als einer inneren Erhöhung. Das Ganze unserer Denkart litt dadurch, daß eine vielseitige und formal gewandte intellektuelle Betätigung ohne ein Gegengewicht politischen Lebens und Handelns blieb. Für die Seele unseres Volkes aber, die somit unter sich gegenseitig durchkreuzenden Antrieben stand, war bei den meisten unserer Staatsmänner sehr geringes Interesse und Verständnis.

Seinen Schwerpunkt hatte das deutsche Reich in einer glänzenden technischen und wirtschaftlichen Kultur, es hat in dieser Richtung eine großartige Arbeit geleistet, welche den ganzen Erdball umspannte und alles mit ihren Fäden durchwob. Aber diese in ihrer Weise erstaunliche Kultur war bei all ihrer Weite innerlich begrenzt, sie war an erster Stelle eine bloße Arbeitskultur, sie war vornehmlich darauf gerichtet, die Welt um uns in den Dienst des Menschen zu ziehen und emsig daraus Vorteile für sich selbst zu gewinnen, aber sie bot seinem Innern recht wenig, sie pflegte die Seele als eine bloße Nebensache zu behandeln und sich wenig um eine geistige Freiheit zu kümmern. Das Ganze unseres Volkes geriet durch solche einseitige Gestaltung des Lebens in eine unerfreuliche Lage; hier hielten keine überlegenen Ziele den ganzen Menschen aufrecht, hier gab es keine großen Ideale, kein kräftiges Empfinden. Das geistige Schaffen in Religion, Philosophie, Kunst und Literatur war dem Grundgehalte nach recht dürftig; so tüchtig die gelehrte Arbeit war, sie förderte nicht das Gedeihen eines schaffenden und ursprünglichen Lebens, auch war sie geneigt, ihr eigenes Selbstbewußtsein stark zu überspannen und Wissen für Leben zu geben; so hatte das Ganze bei allem rastlosen Eifer und Übereifer keinen wesenhaften Gehalt, eine innere Leere war bei allem Geschick und bei allem Aufputz nicht zu verkennen.

Anfang 1914 habe ich eindringlich auf das Mißliche, ja Gefährliche dieser seelischen Lage hingewiesen und in einer Schrift: „Zur Sammlung der Geister“ (Quelle und Meyer) die Schäden dieser einseitigen Arbeitskultur mit ihrer Zurückstellung der Seele geschildert; es hat sich damals eine Anzahl Gleichgesinnter zur gemeinsamen Besprechung in Darmstadt zusammengefunden, und wir waren einig, die Sache möglichst zu fördern, bis der Ausbruch des Krieges die Ausführung derartiger Pläne verhinderte.

Es genügt in Kürze zu erwähnen, was wir alle bewußt oder unbewußt miterlebten: das weitere und weitere Auseinandergehen von Arbeit und Seele, deren enge Verbindung früher die Größe und der Stolz der Deutschen war, das ständige Anwachsen der ausschließlichen Arbeitskultur, die Gleichgültigkeit des Arbeiters für seine Werke, die gegenseitige Entfremdung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, – Entfremdung auf allen Punkten und in allen Schichten, auch in der Weltanschauung, bis das Ganze in völlig getrennte Lager zerfiel.

Da kam der Weltkrieg. Zuerst führte die gewaltige Aufregung und glühende Begeisterung zur Einigung aller Parteien und Klassen; das große deutsche Reich war für einige Zeit einig und erlebte größte Triumphe. Seele und Arbeit kamen jetzt zu einer vollen Einigung. Aber nach und nach erlöschte das anfängliche Feuer, die Einigkeit der Gemüter sank mehr und mehr, bis das Reich dahin kam, wo es jetzt steht, niedergeworfen von Feinden und mehr noch durch inneren Zwist zerrissen, zerfallen an Leib und Seele.

Wie aber wird es möglich sein, daß wir uns aus so schweren Nöten erretten? Die nächste Hoffnung bildet unsere geistige Kraft mit ihrer Freiheit, aber was haben wir unter einer solchen Freiheit zu verstehen, und wie können wir sie suchen? Aus der vielfachen Verwirrung retten kann uns am besten ein Blick auf unsere geistigen Helden, die in leuchtender Klarheit und mit siegesgewisser Macht vor uns stehen.

Kein anderes modernes Volk hat eine solche Fülle selbstwüchsiger und schöpferischer Männer wie die Deutschen hervorgebracht, religiöse Führer wie Eckhart und Luther, Denker wie Leibniz und Kant, Dichter wie Goethe und Schiller, Tonkünstler wie Bach und Beethoven; diese Männer haben aus der größten Fülle des Geistes gelebt, sie alle sind unwiderlegliche Zeugnisse des Geistes und der Kraft für unser gemeinsames Leben. Daß aber alle diese Männer bei aller Verschiedenheit die geistige Freiheit als ihr höchstes Gut erklärten, das darf uns als ein erhebendes Zeichen dafür gelten, daß unser Volk in besonderem Maße das Vermögen ursprünglicher geistiger Freiheit hat, und daß es sich dadurch auf weitere Höhen emporheben, sowie sich aus tiefster Not retten kann. Eine große Offenbarung des Lebens hat sich bei uns vollzogen; halten wir sie mit voller Kraft fest und schöpfen wir immer neuen Mut aus ihr!

Als den Hauptführer des deutschen Lebens zu einer religiösen Freiheit dürfen wir Luther betrachten, natürlich unter Fernhalten alles Zufälligen und bloß Konfessionellen. Was war der Ausgangspunkt seines Strebens? Es war ein heiliger Ernst um die ewigen Güter und zugleich um die Rettung der eigenen Seele, es war ein glühender Zorn gegen das, was ihm als eine Entstellung und Entartung der Wahrheit galt; das trieb ihn zwingend zum Kampf gegen die ganze von seiner Umgebung geheiligte kirchliche Ordnung, zugleich aber zur Rettung der geistigen Freiheit. War es zufällig, daß seine mächtigste Schrift von der Freiheit des Christenmenschen handelte? Allem Zagen und Bedenken traten hier die markigen Worte entgegen: „Ärgernis hin, Ärgernis her, Not bricht Eisen und hat kein Ärgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seele geschehen kann. Wo nicht, so soll ich meiner Seele raten, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt“. Das fordert Mut und Freiheit gegenüber den Menschen, es fordert zugleich eine innere Belebung und Erhöhung des eigenen Wesens, es eröffnet eine neue Welt. Hier vollzog sich ein geistiges Wunder: das Erscheinen und Durchbrechen eines in Gott begründeten Lebens, als der Quelle des persönlichen Lebens; dies Durchbrechen war eine dem Einzelnen weit überlegene Macht, aber es war ihm zugleich eine eigene Tat und Entscheidung, es gab ihm zugleich das Bewußtsein einer vollen Freiheit und Weltüberlegenheit, es ließ ihn vor allem Kirchlichen das Moralische mit seiner schlichten Größe schätzen. Für Luther war der Gottesgedanke nicht bloß eine jenseitige, aus überlegener Höhe gebietende Macht, sondern die Seele seines eigenen Lebens, er gewann bei ihm die unmittelbarste seelische Nähe, so daß es heißen konnte: „Daß nichts Gegenwärtigeres und Innerlicheres sein kann in allen Kreaturen denn Gott selbst“.

Deutsche Freiheit

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