Читать книгу Das Heideprinzesschen - Eugenie Marlitt - Страница 11
9.
Оглавление»Zu Herrn Doktor von Sassen!« sagte Ilse gebieterisch zu den zwei Männern, die unsere Habseligkeiten auf einen kleinen Wagen luden.
»Kenne ich nicht!« versetzte der Eine.
Ilse nannte die Hausnummer.
»Ah, das große Sämereigeschäft – Firma Claudius? ... Wohl, wohl!« sagte er ehrerbietig, und der Wagen rollte fort.
Eine erstickende Staubwolke empfing uns auf der Promenade, die sich zwischen der Stadt und dem Bahnhof hinzog, und auf den weiten Rasenplätzen ringsum und den kleinen hübschen Kastanien über unseren Häuptern lag es schwer und grau, als habe es Asche geschneit ... Hier flog doch wenigstens noch ein Luftzug auf; aber in den Straßen, die wir nun durchwandern mußten, herrschte bleierne, mephitisch dumpfe Schwüle. Dann und wann öffnete sich eine der engen Gassen, und wie eine eintönige, sonnenflimmernde Scheibe breitete sich ein weiter Platz draußen hin – mir war, als müßten dort die erhitzten Pflastersteine dampfen oder helle Funken zurücksprühen ... Ach, die rotblühende Ebene daheim mit dem erquickenden Heideduft und den kühlen, rauschenden Eichen um den Dierkhof!
»Das ist zum Sterben schrecklich, Ilse!« stöhnte ich, während sie meine Hand ergriff und mich hastig auf das Trottoir zog – eine Equipage raste um die Ecke.
Bis dahin waren uns nur wenige vorübereilende Menschen begegnet; die Mittagsglut machte die Straßen still und einsam. Nun aber scholl Trommeln und Pfeifen fern herüber.
»Die Wachtparade!« sagte Ilse aufhorchend mit einem wohlgefälligen Lächeln – alte, fünfundzwanzigjährige hannöversche Erinnerungen mochten wohl in ihr auftauchen.
Der Lärm kam rasch näher, und plötzlich flutete ein Menschenschwall in die Straße herein.
»Hu – guckt 'mal die an! Die hat hundert Jahre im Kleiderschrank gehangen!« schrie ein Junge und stellte sich vor Ilse hin. Er legte seine zwei Fäuste auf dem Kopf übereinander, um die Hutform anzudeuten, und schnitt eine Grimasse. Alles lachte und schrie durcheinander, und selbst unsere zwei Lastträger schmunzelten.
»Gassenjungen!« sagte Ilse verächtlich und hob steif den Kopf, während wir zu meiner Beruhigung gerade in eine stille Seitenstraße einbogen. »In Hannover sind die Leute doch manierlicher – da ist mir so was nie passiert!«
Jeder Nerv zitterte in mir, und die tiefste Niedergeschlagenheit überkam mich – Ilse, meine heilig respektierte Ilse war verhöhnt worden! ... Ich drückte ihre Rechte, die mich bis dahin geschützt und geleitet, leise tröstend und liebkosend an meine Wange und ließ meine müden, heißen Füße mechanisch weiterwandern.
Der Wachtparadenlärm hinter uns erlosch allmählich, und endlich hielten die Männer in einer abgelegenen, totenstillen, aber mit vornehmen Häusern besetzten Straße ... Wir standen vor einem düsteren Steinbau. Sämtliche Fenster im Erdgeschoß waren vergittert, und zu der hochgelegenen Hausthür führten Stufen mit einem schönen Eisengeländer. Das alte Haus mit seiner breiten, massiven Nordfront mochte wohl imposant sein; ich aber entsetzte mich vor den Fenstergittern, vor den geschwärzten Mauersteinen, auf die kein Sonnenschein fiel, und die reichgeschnitzte und verschnörkelte schwere Bohlentür mit dem ungeheuren, blitzenden Messingdrücker starrte mich an, wie ein dunkles, unheimliches Rätsel.
»Siehst du, Ilse, daß ich Recht hatte mit der Hinterstube?« rief ich verzweiflungsvoll. »Wir wollen umkehren!«
»Abwarten!« sagte sie und zog mich auf die Stufen hinauf. Die Lastträger nahmen das Gepäck auf die Schultern und traten hinter uns. Ilse klingelte. Gleich darauf wurde die Thür langsam zurückgeschlagen und ein alter Mann ließ uns eintreten. Eine ungewöhnlich hohe und weite Hausflur nahm uns auf. Wir standen auf einer glänzend polierten Steinmosaik – von Stein waren die breiten, gewundenen Treppen im Hintergrund und die zwei mächtigen Träger inmitten der Flur, die sich droben an der Decke in kühne Bogen spalteten. Diese Steinmassen hauchten eine köstliche Kühle aus, aber über sie hin breitete sich auch tiefer Schatten, ein kirchenartiges Dämmerlicht, das nicht einmal die über den Treppen hereinfallenden Sonnengluten zu durchströmen vermochten.
»Firma Claudius?« fragte Ilse.
Der Mann nickte steif, indem er mit sichtbarem Unwillen zurücktrat, um den beladenen Männern Raum zu geben.
»Hier wohnt Herr Doktor von Sassen?«
»Nein, hier nicht!« versetzte er rasch und trat nun mit vorgestreckten Armen den Leuten in den Weg. »Herr von Sassen wohnt in der Karolinenlust – da müssen Sie draußen rechts um die Straßenecke biegen –«
»O Herr Jesus, wir sollen wieder hinaus in die entsetzliche Hitze?« klagte Ilse mit einem Seitenblick auf mich.
»Thut mir leid,« sagte der Alte ungerührt und achselzuckend; »aber durch dieses Haus geht der Weg einmal nicht – und Ihr solltet doch wahrhaftig wissen, daß für dergleichen Dinge, für solch einen Huckepack, drüben in der Seitenstraße ein Thor ist!« fuhr er die Leute an und zeigte auf die Effekten.
In dem Augenblicke, wo er scheltend die Stimme erhob, fing auch im Hintergrund der Halle ein Hund an, zornig mitzukläffen. Dort führten Stufen zu einer Thür hinab. Auf diesen Stufen stand eine alte Dame in schwarzseidenem Kleide und buntbebändertem Häubchen und wischte einem zierlichen Pinscher, der jedenfalls eben von draußen hereingekommen war, mit einem Tuche sorgsam die kleinen Pfoten ab.
»Lassen Sie doch die Leute durchgehen, Erdmann!« rief sie freundlich herüber.
»Aber, Fräulein Fliedner, sehen Sie doch nur den Staub!« protestierte er so ängstlich, als hätten wir die ganze Asche des Vesuvs auf unseren Kleidern und Schuhen und könnten damit seinen sauber polierten Fußboden verschütten. »Und wenn nun gar Herr Claudius in der Hinterstube ist und die Leute über den Hof gehen sieht, so kann es Etwas geben, Fräulein Fliedner!«
»Ich schicke Dörte nachher gleich mit dem Besen herunter, und was die Schelte betrifft, so nehme ich sie auf mich,« beschwichtigte sie ihn. »Uebrigens ist Herr Claudius auf keinen Fall in der Hinterstube – binnen fünf Minuten will er ja nach Dorotheenthal fahren.«
Sie öffnete eigenhändig die Thür nach dem Hofe und winkte uns, durch die Halle zu kommen. Ein leises schelmisches Lächeln huschte über ihr feines Gesicht, als Ilse an ihr vorüberschritt und den betürmten Kopf dankend neigte; aber sie wandte sich rasch ab und stieg, den knurrenden Hund auf dem Arm, die Stufen wieder hinauf.
»Ein vernünftiges Frauenzimmer,« sagte Ilse befriedigt vor sich hin, als die Thür rasselnd hinter uns zugefallen war.
Das Wort »Hof« hatte mich förmlich elektrisiert – ich sah sofort das ganze Geflügel des Dierkhofes fröhlich aufflattern; aber davon war nichts zu sehen in dem großen kahlen Viereck, das wir betraten. Es wurde durch das Vorderhaus, zwei daranstoßende lange Seitenflügel und eine im Hintergrund hinlaufende Mauer gebildet. Den linken Flügel durchbrach ein großes weitoffenes Thor, in welches die Häuser der benachbarten Straße hereinsahen. Hohe Stöße neuer Kisten türmten sich auf dem reingefegten Pflaster, und die völlige Abwesenheit von Gardinen oder sonstigem Schmuck an den Fenstern der Hintergebäude ließ dieselben als das Geschäftslokal der Firma Claudius erkennen.
Eben, als wir in den Hof traten, zog ein Kutscher ein Paar feurige Pferde aus dem Stalle und führte sie nach einem hübschen hellausgeschlagenen Wagen, der vor der Remise stand.
Unsere Lastträger schritten schnurstracks auf eine inmitten der Mauer gelegene Thür zu, und wir folgten ihnen.
»Wohin wollen denn die Leute?« rief uns plötzlich eine Stimme in ziemlich kurzem Tone nach.
Ich zog meinen Hut noch tiefer in die Augen und hütete mich, den Kopf zu wenden – ich erkannte sofort die Stimme des alten Herrn im braunen Hut wieder, wenn sie auch jetzt nicht so weich klang, wie vor vier Wochen in der Heide ... Er war also doch in der Hinterstube, und jetzt »gab es Etwas«, wie der Alte in der Hausflur gesagt hatte ... Die zwei Männer blieben auch sofort wie auf militärisches Kommando stehen und wagten nicht, den Fuß weiter zu setzen. Nur Ilse wandte sich resolut um.
»Wir wollen zu Herrn von Sassen – ist's erlaubt, hier durchzugehen?« fragte sie höflich.
Es erfolgte keine Antwort; aber der Herr hatte jedenfalls mit der Hand zustimmend gewinkt, denn Ilse öffnete ohne Weiteres die Thür und ließ die Lastträger eintreten ... Diesmal mußte sie mich genau so, wie gestern Morgen auf dem Dierkhof, über die Schwelle schieben, denn ich stand wie versteinert ... Mein an das gleichförmige Graubraun und das ununterbrochenen Blütenrot der Heide gewöhntes Auge flog im ersten Augenblick völlig verständnislos über das Farbenmeer hin, das den weiten Plan da vor mir förmlich übergoß. Es war mir unmöglich, zu denken, daß diese tausendfarbig gemischten oder auch in scharf abgegrenzten Nüancen hinfließenden breiten Ströme Blumen, nichts als dicht aneinandergedrängte vielgestaltige Blumenkronen und Dolden sein könnten ... Jetzt erst begriff ich, wie menschliche Phantasie die Wunder der Märchenwelt hatte ersinnen mögen – wie eine ungeahnte einsame Zauberinsel schwamm dieses köstliche Blumenfeld inmitten der neuen Welt, die mir bis zu diesem Augenblicke so häßlich und graubestaubt erschienen war.
Neben meinen Füßen streckte sich ein Beet voll lilablauer Heliotropen hin; ihr starker Vanillenduft hing schwer in den Lüften und versetzte mich in eine Art von Rausch ... Vergessen waren die stauberfüllten heißen Straßen und die widerwärtigen Reiseeindrücke, vergessen der gräuliche Wachtparadenlärm, die höhnenden Gassenjungen und das Grauen vor der Hinterstube! Mein Hut saß nicht mehr wie festgemauert auf dem Kopfe – ich warf ihn hoch in die Luft.
»Ach, Ilse, ich möchte mich gleich mitten in die Blumen hineinwerfen, daß sie über mir zusammenschlügen,« jubelte ich auf.
»Ja, du wärst's imstande,« meinte sie trocken, fand es aber doch geraten, mich am Rockzipfel festzunehmen.
Das ununterbrochene Bienengesurr und das Rauschen eines fernen Gewässers ausgenommen, war es sehr still und einsam in dem Garten. Die Vögel hatten sich verstummend in das kühle Gebüsch zurückgezogen, und die Menschen hielten Mittagsrast. Nur ein ältlicher Mann, dem Arbeitskostüm nach ein Gärtner, trat aus einem Gewächshaus, als wir vorüberkamen, und zeigte den Trägern den nächsten Weg nach der »Karolinenlust«. Ilse dankte ihm.
»Schon recht, Madamchen!« sagte er mit einer eigentümlich sanften, gelassenen Stimme.
Das war zu viel für die grundehrliche Ilse.
»Sie müssen nicht denken, weil ich vielleicht einen hübschen Hut aufhabe, daß ich eine Dame sein will – ich bin aus der Heide, und mein Vater war ein Besenbinder,« sagte sie und ging weiter.
Wir kamen an einen Fluß, über den eine zierlich geschwungene Eisenbrücke führte. Er schnitt das ungeheure Blumenparterre ab; das jenseitige Ufer war mit dichtem Gebüsch bestanden, und wo es auseinanderriß, da sah man in das labende, grüne Düster unter dichtgescharten Baumgruppen hinein, auf sorgsam geschorene Rasenflächen und helle Kieswege.
Ich schrak zusammen und floh plötzlich hinter Ilse, als wir die Brücke überschritten hatten – ein Lachen scholl herüber, jenes harmonische Lachen, das ich vor vier Wochen am Hügel gehört hatte, und von welchem ich wußte, daß ich es nie bis an das Ende meiner Tage vergessen würde ... Trotzdem flüchtete ich, denn wo das Lachen, da waren ja auch die spöttischen Augen, vor denen ich mich entsetzlich fürchtete. Ilses breite, knochige Gestalt verdeckte meine kleine Person vollkommen; so rückten wir vorwärts durch dunkelschattige Alleen und kühle Boskette – laute Ausrufe, Gelächter und plaudernde Mädchenstimmen drangen immer deutlicher bis zu uns, und plötzlich sahen wir bunte Reifen über dem Kiesrund wirbeln, auf das wir eben heraustraten.
Einer der Reifen verirrte sich und flog in ein Boskett. Eine junge, zartgebaute Dame und ein schlanker Mann in hellem Sommeranzug verfolgten ihn mit hochgehobenen Armen und Stöcken und drangen tief in das Gebüsch ein, wo er verschwunden – der schlanke Mann war der junge Herr Claudius, und das Mädchen, das neben ihm hergelaufen mit den feinbeschuhten, flüchtigen Füßchen und dem offen wehenden, blonden Haar, erschien mir mit ihrem silberhellen Gelächter ganz unausstehlich, obgleich ich ihr Gesicht nicht einmal gesehen hatte ... Mir war seltsam zu Mute; ich grollte und wußte nicht weshalb, und atmete doch froh und erleichtert auf, weil ich nun vorüberschlüpfen konnte, ohne dem jungen Herrn begegnen zu müssen.
Ich lugte neben Ilse hervor und sah noch mehr junge Damen umherstehen, eine aber überragte sie alle, eine hohe, starkgegliederte Gestalt in weißem Kleide, über das sie ein feuerfarbenes, mit Gold gesticktes Jäckchen geworfen hatte ... Sie hatte etwas Kühnes in ihren Bewegungen, und doch auch wieder jene stolze Lässigkeit, die aus Kraftbewußtsein und großer innerer Sicherheit hervorgeht.
»Alle guten Geister!« rief sie in komischem Entsetzen und schlug die Hände zusammen, als Ilse, den Trägern voran, in ihren Gesichtskreis trat; dann brach sie rücksichtslos in ein mutwilliges Gelächter aus.
Ilse wandte sich verständnisvoll um und sah nach dem Bettenfrachtstück zurück, das ja so herausfordernd und lächerlich über dem Kopf des Trägers schaukelte.
Im Nu waren wir von den sämtlichen Damen umringt.
»O Herr Jesus, Leonore, was zerrst du mich denn immer und hängst mir am Rocke wie ein kleines Kind!« schalt Ilse unwillig; sie schüttelte mich ab und zog mich mit einem energischen Ruck an ihre Seite.
Wie schämte ich mich! In einer Hand hielt ich den Hut und in der anderen die große, weiße Halskrause, die sich, Gott weiß wie, von meinem Halse losgemacht hatte ... Hätte ich am Pranger stehen müssen, mein scheues Gefühl würde sich nicht mehr gekrümmt und gewunden haben, als jetzt unter allen diesen fremden, neugierigen Mädchenaugen!
»Ach, eine kleine Zigeunerin!« riefen zwei Stimmen auf einmal, als ich befangen den Kopf hob und die Augen aufschlug.
»Ei, warum nicht gar auch – ein Zigeunermädchen!« sagte Ilse tief beleidigt. »Es ist dem Herrn von Sassen sein leiblich Kind –«
»Wie, die Mumie hat auch Kinder?« unterbrach sie die große junge Dame überrascht, und um ihre roten Lippen zuckte es fortgesetzt in verhaltenem Unwillen. Die Anderen aber zogen sich ein wenig zurück und sahen mich auf einmal mit ganz anderen, ich möchte sagen, freundlich ehrerbietigen Blicken an.
In diesem Moment kam auch der junge Herr über den freien Platz her. Ich sah auf meine Schuhe, die ihre plumpen Spitzen keck über den hellen Kies hinstreckten, und unwillkürlich zog und zerrte ich an meinem schwarzen Rock, um ihn, wenn auch nur um einen halben Zoll, zu verlängern.
Der Herr warf den Reifen im Weiterschreiten hoch in die Luft und fing ihn stets mit einer sehr gewandten graziösen Bewegung wieder auf, so viel Mühe sich auch die junge Dame neben ihm geben mochte, das hübsche, bunte Ding mit ihren weißen Händen zu haschen ... Da fiel sein Blick auf mich – er stutzte und kniff die großen braunen Augen prüfend zusammen; dann kam er spornstreichs auf mich zu.
»Was, der Tausend – das ist ja das Heideprinzeßchen!« rief er erstaunt.
»Wer?« fragte die hochgewachsene junge Dame mit großen Augen.
»Ei, du weißt es ja, Charlotte – das Heideprinzeßchen! Ich habe dir doch von dem kleinen barfüßigen Wesen erzählt, das wie eine Eidechse durch die Heide schlüpfte – freilich eine Eidechse mit einem Prinzessinnenkrönchen!« Er lachte auf. »Wie in aller Welt kommt denn die kleine Perlenverkäuferin hierher?«
Die Rücksichtslosigkeit, mit der er in meiner Gegenwart mich kritisierte, und das unverhohlene Erstaunen des stolzen jungen Herrn über meine Anwesenheit in seinem Garten, schlugen den letzten Rest meines Selbstbewußtseins zu Boden; aber die Bezeichnung »Perlenverkäuferin« machte mir auch das Blut sieden.
»Es ist ja nicht wahr!« stieß ich heraus. »Ich habe Ihnen die Perlen nicht verkauft – Sie wissen doch, daß ich Ihre Thaler in den Sand geworfen habe!«
Charlotte lächelte und trat mit aufstrahlenden Augen rasch auf mich zu.
»Ach, wie reizend – sie ist stolz, die Kleine!« rief sie. Sie bog sich herab und strich mir mit ihrer großen schlanken Hand über das Haar, aber ungefähr so, wie man ein nettes Bologneserhündchen streichelt. »Was meinst du zu der merkwürdigen Neuigkeit, Dagobert?« sagte sie zu dem jungen Herrn. »Die Mumie hat Familie – das niedliche Ding da ist dem Doktor von Sassen sein Töchterchen –«
»Unmöglich!« fuhr er in maßloser Ueberraschung zurück.
»Na, was ist denn dabei so schrecklich zu verwundern?« versetzte Ilse trocken. »Meinen Sie denn, weil die Kleine nicht auch solch eine Schabracke um hat« – sie zeigte auf Charlottens elegantes Jäckchen – »darf sie nicht vornehmer Leute Kind sein?«
Die junge Dame lachte wie ein Kobold – die schneidige Zurechtweisung schien sie höchlich zu amüsieren.
»Aber wie siehst du auch aus, Leonore!« schalt Ilse. »Es fehlt nur noch, daß du die Schuhe und Strümpfe ausziehst!« Sie legte mir die Krause um den Hals, fuhr mit beiden Händen glättend über meinen Scheitel und band den Hut darüber. Ich sah ängstlich auf die umstehenden Damen; neben ihnen war ich mir der Lächerlichkeit meiner äußeren Erscheinung plötzlich sehr wohl bewußt – jetzt lachten sie gewiß; aber keine verzog eine Miene, sie sahen im Gegenteil so ernsthaft zu, als ob eine wirkliche Prinzessin da vor ihnen Toilette mache. Nur um Charlottens Mund zuckte ein unbezwinglicher Lachreiz.
»Armes Opfer!« sagte sie in tiefen Tönen des Erbarmens. »Aber wie ist's denn, bleibt Heideprinzeßchen bei dem Papa?« setzte sie lebhaft hinzu.
»Versteht sich!« entgegnete Ilse kategorisch. »Bei wem denn sonst? ... Nun möchte ich aber bitten, uns vorbeizulassen – wir haben müde Füße ... Ist das dort endlich die Karolinenlust, oder wie das Ding heißen mag?« fragte sie und zeigte auf einen mattweißen Streifen, der durch die Hecken und Baumkronen herüberdämmerte.
»Ich werde Sie führen,« erbot sich der junge Herr sehr geschmeidig und höflich – er war vollständig umgewandelt, selbst seine Augen, die vorher mit unverkennbarem Ergötzen immer wieder über Ilses unselige Kopfbedeckung hingehuscht waren, erlaubten sich nicht einen einzigen spöttischen Blick mehr.
Mir schwoll das Herz. Was für ein Mann mußte mein Vater sein, daß schon sein Name allein hinreichte, Ilse und mir sofort Geltung und Achtung bei Anderen zu verschaffen!
Die Damen bleiben grüßend zurück, und wir schritten in Begleitung des jungen Herrn schräg über das Kiesrund, in das Taxusgebüsch hinein.