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Kapitel 1: Begriffserklärungen, Geschichte und Hintergründe

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Volunteer Tourismus oder Freiwilligenarbeit im Ausland ist eine boomenden Sparte im Alternativtourismus. Während ehrenamtliche Tätigkeit in Entwicklungsländern eine lange Tradition vorzuweisen hat, ist seit einigen Jahren eine Kombination aus touristischen Aktivitäten und freiwilliger Tätigkeit, der Volunteer Tourismus oder auch Volunteer Reisen genannt, entstanden. An Volunteer Tourismus Projekte oder Programme wird der Anspruch gestellt, die TeilnehmerInnen zu engagierten WeltbürgerInnen zu bilden. Auf den ersten Blick scheinen Volunteer Tourismus Angebote neue Möglichkeiten für Globales Lernen bzw. Global Citizenship Education zu erschließen, die Herausforderung liegt allerdings in der Umsetzung der Konzepte. Da für viele touristische AnbieterInnen der Profit im Vordergrund steht, werden die Möglichkeiten für nachhaltige Lernerfahrungen der Volunteers oftmals nicht genutzt. Im besten Fall gestalten sich Volunteer Reisen als eine fachlich betreute Reise, die bewusst eine Integration von Freiwilligenarbeit und touristischem Erlebnis für einen bestimmten Zeitraum sicherstellt. Das zentrale Ziel ist dabei, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Zieldestinationen nachhaltig zu verbessern.

Zu Beginn ist eine Begriffsklärung unerlässlich. Wovon sprechen wir, wenn wir von Voluntourismus, Volunteer Reisen, Freiwilligendienst oder Freiwilligenarbeit im Ausland sprechen? Im Grunde ist das Konzept bei allen Bergriffen ähnlich: es verbindet eine touristische Aktivität – also Reisen, mit ehrenamtlichen Engagement – also Volunteering. Trotzdem gibt es einige Unschärfen und die Bezeichnungen werden unterschiedlich verwendet.

Zum besseren Verständnis macht es Sinn, sich mit der Geschichte und der Entwicklung vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus auseinanderzusetzen.


Ein wenig Geschichte: Die Entwicklung vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus

Freiwilligendienste kamen ungefähr in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf, die Gründung der YMCA (Young Men's Christian Association) spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Ziel der YMCA war, zu forcieren, dass sich jeder Mensch, unabhängig von der Hautfarbe, des Geschlechts, des Alters, der Klasse und später auch der religiösen Anschauungen, karitativ betätigen sollte. Auch die Gründungen von Service-Clubs, wie beispielsweise Rotary, Lions-Club und Kiwanis verfolgten diese Ziele. In den 1920er Jahren wurde der Friedensdienst als Wiederaufbau- und Friedensprojekt nach dem ersten Weltkrieg ins Leben gerufen. Aus ganz Europa reisten Menschen in ehemalige Kriegsgebiete (in Frankreich) und halfen der lokalen Bevölkerung. Der Gedanke der Völkerverständigung und Friedensbildung stand im Vordergrund. Pioniere der ersten Stunde waren zum Beispiel Service Civil International (SCI), aber auch kirchliche Organisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen setzten sich mit Freiwilligenarbeit für gemeinsame Belange ein. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre führte dazu, dass Freiwilligendienste als Beschäftigungsmaßnahme für Arbeitslose eingeführt wurden. Dieser freiwillige Arbeitsdienst wurde in Deutschland bald in einen Zwangsarbeitsdienst umgewandelt und diente dann der Stärkung des Nationalsozialismus. In den USA erlebte die Freiwilligenarbeit in den 1930er Jahren ebenfalls einen Boom. Die Gründung der Civilian Conservation Corps (CCC) durch Präsident Franklin D. Roosevelt setzte auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für junge Menschen, die durch die Wirtschaftskrise arbeitslos wurden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde von der UNESCO die erste Dachorganisation für internationale Freiwilligendienste gegründet (Co-ordinating Committee for International Voluntary Service - CCIVS). Internationale Organisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, kirchliche Gruppen, Jugendorganisationen oder lokale ehrenamtliche Initiativen in den unterschiedlichsten Bereichen entstanden auf der ganzen Welt. Präsident John F. Kennedy gründete 1961 die Peace Corps, die ähnlich organisiert waren, jedoch ihren Schwerpunkt auf die Entsendung junger Erwachsener in Entwicklungsländer legte. Dort arbeiteten sie in Projekten der Entwicklungshilfe.

In Österreich wurde 1968 der Österreichische Entwicklungsdienst (heute HORIZONT 3000) als Entsendeorganisation für Personaleinsätze von EntwicklungshelferInnen gegründet. Das so genannte Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) im Inland wurde im selben Jahr ins Leben gerufen, gleichzeitig entstanden die Freiwilligendienste im Ausland, wie zum Beispiel der Gedenkdienst.

Ehrenamtliches Engagement ist Teil der Völkergemeinschaft und in den meisten Gesellschaften tief verankert. Freiwilligenarbeit geschieht auf lokaler und globaler Ebene, Menschen engagieren sich zwei Wochen oder ein Leben lang ehrenamtlich. Viel ehrenamtliches Engagement oder Freiwilligenarbeit geschieht im Hintergrund und wird von uns im Alltag kaum wahrgenommen. Von der freiwilligen Feuerwehr und Wasserrettung zu Kulturinitiativen, von Solidaritätsgruppen und EntwicklungshelferInnen zu VoluntouristInnen, von Suppenküchen und Foodsharing zu Pflegediensten (um nur einige Möglichkeiten zu nennen) – es vereint diese Menschen der Wunsch Arbeit zu leisten, die außerhalb der Gesetze des Marktes funktioniert und mit anderen Werten als Geld zu messen ist.

Freiwilligenarbeit im Ausland, im speziellen im globalen Süden, wird seit den 1990er Jahren immer beliebter. Aus dem Wunsch zu helfen und einen Beitrag zu leisten, hat sich ein kommerzieller Tourismuszweig entwickelt, der sich von Jahr zu Jahr vergrößert. Dieses Phänomen nennt man Voluntourismus, eine Verkürzung von Volunteer Tourismus, da es hierbei vor allem um den Aspekt des Tourismus und weniger um die ehrenamtliche Tätigkeit geht. Freiwillige werden, oft ohne ausreichende Qualifikation und oft für sehr kurze Zeiträume, zu Projekten im globalen Süden vermittelt. Die beliebtesten Destinationen sind das südliche und östliche Afrika, Südostasien und Teile Lateinamerikas. Die Tätigkeitsbereiche sind breit gefächert: Von Umweltprojekten, beispielsweise Schildkröteneier beschützen, Müllsammeln, etc., bis hin zur Mitarbeit in Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Frauenhäusern und Altersheimen reicht das Angebot.


Ein Begriffswirrwarr: Voluntourismus, Work and Travel, Freiwilligenarbeit im Ausland, Freiwilligendienst, Volunteer Reisen, u.v.m.

Im englisch- und deutschsprachigen Raum gibt es unzählige Bezeichnungen für die Kombination von ehrenamtlicher Tätigkeit und touristischer Aktivität, wir haben uns für den Überbegriff Volunteer Reisen entschieden. In diesem Kapitel versuchen wir, die Bezeichnungen voneinander abzugrenzen und einen Überblick über das Begriffswirrwarr zu schaffen.

Volunteer Reisen: Dieser Überbegriff umfasst die Kombination von ehrenamtlicher Tätigkeit und touristischer Aktivität. Egal ob die Reise selbstorganisiert oder über ein Reisebüro gebucht wurde, egal ob der oder die Reisende ein Jahr oder zwei Wochen bei einem Projekt mitarbeitet und egal, ob das Projekt im Sozialbereich oder im Umweltbereich angesiedelt ist. Auch die Destination ist irrelevant, ausgeschlossen ist jedoch die Freiwilligenarbeit in der Heimat, da die Komponente des Reisens wegfällt. Meist führt eine Volunteer Reise jedoch in den so genannten globalen Süden, auf den wir noch ausführlicher eingehen. Volunteer Reisende erhalten meist keinerlei Vergütung für ihre Tätigkeiten (es gibt wenige Ausnahmen, die Taschengeld oder Unterkunft zur Verfügung stellen) und arbeiten nicht für wirtschaftliche Betriebe – im Gegensatz zu Work and Travel.

Work and Travel: Work and Travel bedeutet die Kombination aus einer touristischen Aktivität und Arbeit, die ehrenamtliche Komponente fällt dabei weg. Viele Langzeitreisende nützen dementsprechende Angebote und arbeiten beispielsweise als Gegenleistung für freie Kost und Logis. Vor allem in Hotels und Hostels, in Restaurants und in der Landwirtschaft werden gerne Langzeitreisende als (billige) Arbeitskräfte eingesetzt. Große Plattformen wie (work&travel, wooofing) unterstützen bei der Suche.

Freiwilligenarbeit im Ausland: Diese Bezeichnung ist von der Bedeutung eigentlich gleichzusetzen mit Volunteer Reisen. Leider ist der Begriff „Freiwilligenarbeit“ etwas sperrig und der Begriff Ausland zu sehr mit nationaler Identität verbunden, so dass wir uns für Volunteer Reisen entschieden haben. Manchmal wird auch von „Flexibler Freiwilligenarbeit“ gesprochen – damit ist die kommerzielle Variante, also der Voluntourismus in Abgrenzung zu Freiwilligendiensten gemeint.

Voluntourismus: Diese Definition ist eine Abkürzung des Begriffs Volunteer Tourismus, welcher in der englischsprachigen Fachliteratur auch als "volunteer vacation", "volunteer holiday", "volunteer travel", oder "pro-poor tourism" bezeichnet wird. Im Vordergrund steht die touristische Komponente. Voluntourismus bedeutet auch, dass der Aufenthalt natürlich etwas kostet, dieser Aspekt unterscheidet Voluntourismus-Angebote von der klassischen Freiwilligenarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Preisspanne unterscheidet sich sehr stark von Anbieter zu Anbieter. Die Kosten setzen sich meist aus Unterkunft, Transport und Verpflegung, sowie der Betreuung durch die Entsendeorganisation zusammen.

Freiwilligendienst, Freiwilliges soziales Jahr, Zivildienst im Ausland: Hier existieren unterschiedliche Regelungen und damit unterschiedliche Interpretationen im deutschsprachigen Raum. In Österreich wird der Zivildienst im Ausland zwar als „Freiwilligendienst“ bezeichnet, junge Männer sind aber nach wie vor verpflichtet, einen Zivildienst zu leisten, sie dürfen sich lediglich entscheiden, ob im Inland oder Ausland. Für Frauen ist dieser Einsatz, wie der Freiwilligendienst oder das freiwillige Soziale Jahr in Deutschland, tatsächlich ein Freiwilligendienst. Diese Einsätze sind institutionalisiert, eingebettet in große Organisationen, staatlich gefördert und durchorganisiert. Der größte Akteur im deutschsprachigen Raum ist sicher der Dienst Weltwärts.


Zahlen und Fakten

Im Jahr 2012 engagierten sich laut eines Berichtes des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 3,3 Millionen ÖsterreicherInnen ehrenamtlich. Das heißt, fast die Hälfte der Bevölkerung arbeitet in der Freizeit formell in Vereinen und Organisationen oder informell beispielsweise in der Nachbarschaftshilfe. Als Motiv für das freiwillige Engagement wird der Wunsch, etwas Nützliches zum Gemeinwohl beizutragen und anderen zu helfen angegeben. Altruistische Gründe bilden den Hauptantrieb, aber auch das Bedürfnis nach Anerkennung und die Erweiterung der Kompetenzen und des Netzwerkes spielen eine Rolle. Viele ÖsterreicherInnen sind langfristig ehrenamtlich tätig, zusätzlich werden im Bedarfsfall oftmals viele weitere Menschen mobilisiert. Dies zeigte sich im Sommer/Herbst 2015 im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise oder auch bei Naturkatastrophen, wie beispielsweise bei der Mithilfe bei der Beseitigung von Hochwasserschäden.

Aufgrund der kaum vorhandenen Daten ist es sehr schwierig die Anzahl der im Ausland tätigen Freiwilligen global zu beziffern. Das Interesse an entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten ist im globalen Norden sehr hoch und im Steigen begriffen. Laut des deutschen Programms Weltwärts gehen jährlich über 10.000 Bewerbungen ein. Seit 2008 wurden von Westwärts mehr als 20.000 Freiwillige entsendet, 63 Prozent davon weiblich mit einem Durchschnittsalter von 19,8 Jahren (vgl. Weltwärts Website). Der kommerzielle Anbieter Projects Abroad, eine global tätige Entsendeorganisation, vermittelte nach eigenen Angaben im Jahr 2013 8600 Freiwillige in 29 Länder. 1025 Volunteers kamen in diesem Zeitraum aus deutschsprachigen Ländern.

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