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B – A – C – H

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Wie auf ein geheimes Zeichen hin wurde es still in der vollbesetzten Kirche, so als ob die Menschen die Luft anhielten, bevor die Orgel die ersten Töne spielte. Vier klagende Noten hallten durch das Kirchenschiff: B – A – C – H. Die Bachtage waren eröffnet.

Der Organist, ein hochrangiger Musiker aus Paris, variierte das Thema kunstvoll. Immer wieder wurden die perlenden Tonfolgen, die rauschenden Akkorde von der Sequenz unterbrochen: B – A – C – H.

Guido warf einen Blick auf Anna-Lena. Sie saß neben ihm und lauschte verzückt. Beinahe hätte er den Kopf geschüttelt. Anna-Lena und ihre Leidenschaft für Musik, vor allem für Johann Sebastian Bach. Ihr Flügel, Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ – das war Anna-Lenas Lebensinhalt. Unermüdlich übte sie Präludien und Fugen. Und wenn sie nicht selbst Klavier spielte, schallten Bachkantaten oder die Brandenburgischen Konzerte durchs ganze Haus, und sie summte mit. Verstehen konnte er das nicht. Im Gegenteil: Es ging ihm ganz gehörig auf die Nerven.

B – A – C – H. Die Improvisationen des Organisten erreichten einen schlichten Abschluss. Die Zuhörer erwachten wie aus einer Trance. Nur Anna-Lena nicht. Sie saß starr und mit geschlossenen Augen da.

„Anna-Lena“, flüsterte er.

Seine Freundin reagierte nicht.

Er fasste sie an der Schulter. Ihm war, als würde er ein Stück Holz berühren.

„Anna-Lena!“ Er schüttelte sie leicht.

Die Umsitzenden wurden aufmerksam, schauten zu ihnen herüber.

Er gab ihr einen leichten Klaps auf die Wange. „Wach auf!“

Sie schien von alldem nichts zu bemerken.

„Sie müssen Hilfe holen“, flüsterte jemand. Guido schaltete sein Handy ein.

Willenlos ließ Anna-Lena sich von den Sanitätern hinausführen. Kurz bevor das Kirchenportal hinter ihnen zuschlug, setzte die Orgel wieder ein.

Im Krankenwagen bettete man Anna-Lena auf eine Trage. Guido betrachtete ihr Gesicht. Es sah friedlich aus, völlig entspannt.

„Ich werde Martin verständigen“, beschloss er. „Schließlich ist sie seine Schwester. Soll er sich um die Sache kümmern. Ich kenne das Mädchen ja kaum.“

Martin war Sänger und nahm an der Generalprobe des Bachchores teil, der am nächsten Tag einen Auftritt hatte.

Vom Krankenhaus aus rief er ihn an. Guido verabscheute Anna-Lenas Bruder und gleichzeitig beneidete er ihn. Umgeben von Reichtum und Luxus lebte er mit seiner Schwester in einer großen Villa, die sie von ihren Eltern geerbt hatten. Sie hatten alles, was man sich nur wünschen konnte. Aber im Grunde interessierten sich beide nur für eins: Barockmusik.

Er verzog abfällig seinen Mund, als Martin sich meldete. „So wie dieser Weichling an seiner Schwester hängt, bekommt er sicher sofort einen Nervenzusammenbruch“, dachte er.

Doch Martin reagierte ganz anders. „In Ordnung, ich komme“, sagte er ruhig und hängte ein.

Kurze Zeit später war Martin zur Stelle. „Wo ist sie?“, fragte er knapp. Ohne Guido eines weiteren Blickes zu würdigen, betrat er den Untersuchungsraum, in dem Anna-Lena sich befand.

Noch größer war Guidos Erstaunen, als er ein paar Augenblicke später mit seiner Schwester am Arm wieder herauskam. Sie lachten und Anna-Lena wirkte völlig normal.

Sie blieben vor ihm stehen. „Ich glaube, ich muss es Guido erklären“, sagte sie zu ihrem Bruder.

„An deiner Stelle würde ich das nicht tun.“

„Doch, das bin ich ihm schuldig, nach der ganzen Aufregung.“ Sie nahm Guidos Hand. „Komm und ich erzähle dir alles bei einem Glas Wein.“

Martin ging mit. Stumm hörte er zu, während sie von ihrer Kindheit sprach und von den Spielen, die sie und ihr Bruder gespielt hatten.

„Unsere Eltern waren oft wochenlang auf Konzertreise“, sagte sie, „und die Erzieherin mochten wir nicht. So kam es, dass wir die meiste Zeit mit unserer Musik und miteinander verbrachten. Irgendwann wurden uns unsere Spiele langweilig. Da kam Martin auf die Idee.“

Ihr Bruder rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.

„Er hatte etwas über Hypnose gelesen“, fuhr Anna-Lena fort, „und wir wollten es einfach mal ausprobieren. Es klappte besser, als wir gedacht hatten. Martin hypnotisierte mich und ließ mich allerhand komische Dinge tun. Dabei filmte er mich, und hinterher haben wir Tränen gelacht. Jeden Abend vertrieben wir uns auf diese Weise die Zeit.“

Guido starrte sie an. „Willst du damit sagen, dass du eben in der Kirche in Hypnose warst?“

Anna-Lena nickte.

Martin räusperte sich. „Ich glaube, das reicht“, sagte er, zu seiner Schwester gewandt.

„Aber wieso?“, bohrte Guido weiter. „Dein Bruder war doch gar nicht anwesend.“

„Wir haben eine Art Geheimsignal verwendet“, erklärte Anna-Lena, „eine Abkürzung sozusagen, damit ich schneller in Hypnose fiel.“

„Sei still!“, versuchte Martin sie zu bremsen.

Anna-Lena lächelte ihn an. „Keine Sorge.“ Sie begann zu summen. Zwei-, dreimal dieselben vier Töne. Es war ein tieftraurig klingender Melodiefetzen. „Begreifst du jetzt?“

„Ich bin unmusikalisch“, antwortete Guido ein wenig gereizt, „das weißt du doch.“

„Anna-Lena!“, warnte Martin.

Sie summte wieder. „B – A – C – H“, sagte sie, „das sind die vier Noten, die wir als Code wählten. Wir dachten, wir würden diese Töne niemals außerhalb unserer vier Wände hören.“

Jetzt verstehe ich“, rief Guido. „Heute Abend, bei der Improvisation, da hast du sie gehört!“

Sie nickte.

„Und dein Bruder hat dich im Krankenhaus aus der Hypnose zurückgeholt.“

„So ist es. Sonst hätte ich noch sehr lange und sehr gut geschlafen.“ Sie lachte.

Martin schüttelte besorgt den Kopf. „Hoffentlich war es kein Fehler, ihn einzuweihen.“

„Wie kommst du eigentlich dazu, so etwas zu sagen!“, protestierte Guido empört.

„Ach was“, rief Anna-Lena lachend, ehe Martin antworten konnte, „warum sollte ich meinem Freund die Geschichte verschweigen? Und falls es noch einmal passieren sollte, weiß er wenigstens Bescheid.“

„Wie holt Martin dich denn aus der Hypnose zurück?“, erkundigte sich Guido.

„Er sagt mir einfach, dass ich aufwachen soll. Und dann singt er die Töne rückwärts: H – C – A – B.“

Als Guido an diesem Abend nach Hause kam, stieg er sofort zum Dachboden hinauf und wühlte zwischen allerlei staubigen Gegenständen herum, bis er gefunden hatte, was er suchte.

Er brauchte nicht lange auf eine günstige Gelegenheit zu warten. Schon am nächsten Nachmittag fand er Anna-Lena allein vor. Nach dem Begrüßungskuss drückte er sie sanft in einen Sessel und griff in eine Plastiktüte.

„Eine Blockflöte!“, rief Anna-Lena überrascht. „Sag bloß, du willst mir ein Ständchen bringen!“

„Genau das will ich.“ Lächelnd setzte das Instrument an seine Lippen. Was für ein Glück, dass er auch die alte Flötenfibel aufbewahrt hatte!

„B – A – C – H” flötete er, und es passierte genau das, was er gehofft hatte: Anna-Lena starrte ihn an, sank nach hinten und schloss die Augen.

Er beobachtete sie eine Weile, und als er sicher war, dass sie sich in Trance befand, gab er ihr seine Befehle: „Wenn du gleich aufwachst, wirst du zur Bank gehen und 50.000 Euro locker machen. Du wirst sie mir geben, dich später aber nicht mehr daran erinnern, sondern glauben, du hättest das Geld gespendet.“ Er grinste. „Im Grunde hast du das ja auch.“

Anna-Lena atmete tief und gleichmäßig.

„Und nun wach auf!“ Guido flötete: H – C – A – B.

Anna-Lenas Augenlider flatterten. Dann richtete sie sich auf.

Gespannt wartete er, doch nichts geschah. Sie trank ihren Kaffee und schaute schweigend durch das Fenster in den Park hinaus.

„Möchtest du nicht irgendwo hingehen?“, fragte Guido schließlich.

Anna-Lena wandte ihm das Gesicht zu. Zorn sprühte aus ihren Augen. „Verschwinde!“, stieß sie hervor.

„Aber ...“, begann Guido, doch sie ließ ihn nicht ausreden. „Ich hätte auf Martin hören sollen. Du bist wirklich der letzte Dreck. Lass dich hier nie wieder blicken!“

In der Tür drehte Guido sich noch einmal um: „Warum ...“

„Warum es nicht geklappt hat? Ganz einfach: Deine Flöte ist verstimmt. Was du da gespielt hast, klang eher wie H – A – Cis – C. Du hast es natürlich nicht gemerkt, weil du unmusikalisch bist.“

„Du hast mich also an der Nase herumgeführt“, sagte er beinahe vorwurfsvoll.

„Allerdings. Weil ich wissen wollte, was du im Schilde führtest. Und glaube mir, das wird noch ein Nachspiel haben.“

Guido ballte die Fäuste, als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. An der Straßenbahnhaltestelle warf er die Blockflöte in den Abfalleimer.

Potpourri des Bösen

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