Читать книгу Vier Hochzeiten, ein Mauerfall und etliche Umzüge - Evelyn Maibaum - Страница 3
Der Weg ist frei
ОглавлениеAus tiefster Januarkälte kommend, betrat ich mit Glücksgefühlen das Theatercafé und legte in Windeseile Mantel, Schal, Mütze und Handschuhe ab, während ich flüchtig die anwesenden Gäste musterte. Das Café kannte ich seit vielen Jahren und hatte dort fast mein gesamtes Lohnstipendium gelassen.
Meine Augen suchten hastig nach Paula, konnten sie aber im Schummerlicht nicht entdecken. Ungeduldig hangelte ich zwischen den Tischen herum bis mich Herbert, der Kellner, leicht säuerlich wegen der Hektik, die ich angeblich verbreitete, ermahnte.
„Nun setz dich endlich! Was ist heute bloß los mit dir?“ „Sag ich dir nicht!“
Ich grinste ihn provokativ an, sodass er neugierig innehielt.
„Raus mit der Sprache, Kirsche!“
Genau in diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und meine Freundin stürmte herein. Augenblicklich flog ich ihr entgegen. Herbert vergaß sein Ansinnen, verdrehte die Augen und jonglierte ein Tablett mit Gläsern zum Abwaschen hinter den Tresen. Wir Freundinnen begrüßten einander lautstark und zogen ungewollt die Aufmerksamkeit der Gäste auf uns, die entweder lächelnd oder kopfschüttelnd zu uns herüberblickten.
„Komm, wir setzen uns!“ flüsterte ich, als ich das bemerkte und zog Paula am Ärmel zum einzigen freien Tisch.
„Nun sag endlich, was ist passiert? Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen!“
Ich richtete mich auf, mein Herz pochte und so ehrfürchtig, wie ich es in jenem Moment gerade noch vermochte, verkündete ich:
„Es gibt was zu feiern.“
„Ja, ich weiß, nun sag schon, was es ist!
„Ich bin geschieden“
„Großartig!“ Paula atmete hörbar aus.
„Zwei Mal Cocktail Madeleine bitte und ein Glas Selters“ schrie ich durch das Café.
„Und einen Johannisbeermost dazu“ ergänzte Paula.
„Ja, doch! Geht’s auch ein bisschen leiser? Ihr seid nicht alleine hier!“ zischelte Herbert und legte kurz den Zeigefinger auf die Lippen.
„Jawoll! Jawoll!“ skandierten wir im Duett und prusteten wieder los. Unwillkürlich musste ich an meinen Vater denken. Aktuelle Kamera war bei uns zu Hause verboten. Die Sendung durften wir nicht einmal für die Staatsbürgerkunde-Hausaufgaben gucken. Unser Vater hatte ein riesengroßes Fundament gebaut mit einer Mordsantenne obendrauf. Damit empfingen wir nun ARD und ZDF und das Ostfernsehen wurde nur gelegentlich von uns angesehen wenn z.B. die Olsenbande lief. So also sorgte er schon frühzeitig für die richtige Grundeinstellung. Ansonsten verfügte er allerdings über recht seltsame Ansichten. Er hatte immer gemeint, dass wir – meine Schwester, Fanny, und ich – keine Disko bräuchten, weil dort nur komisches Volk herumrennen würde. In meiner Einfalt dachte ich, dass ich ja nie an irgend so ’n Kerl rankommen könnte. So entschied ich schon sehr zeitig zu heiraten. Ich war seit meinem achten Lebensjahr im Reitstall unterwegs, habe es aber, zu großer Karriere mit der Reiterei nicht gebracht, Ich angelte ich mir aber jemanden von dort der es besser verstand , Siegfried Plötze. Er ließ sich nicht lange bitten, und wir feierten einen Monat nach meinem achtzehnten Geburtstag Hochzeit mit fast allem Drum und Dran. Kirche fiel natürlich aus. Aber sonst: ein rauschendes Fest. Ein weißes Kleid mit kurzem Schleier genäht von meiner Mutter, Pferdekutsche, Eskorte… Gefühlt war die halbe Stadt Bernburg dabei und feierte mit.
Als Frischvermählte zog ich zu Siegfried ins Kinderzimmer. Wieder hatte ich es mit einem Vater zu tun – diesmal mit seinem. Er war anders gestrickt als meiner, denn er war ein Bauer, wie er im Buche steht. Die Familie betrieb Viehwirtschaft und damit kristallisierte er sich natürlich im Arbeiter -und- Bauern- Staat mit an die Spitze des Systems. Als ich mir auf meine weiße Hose fetzige, bunte Flicken genäht hatte, wollte mir Siegfrieds Vater das gute Stück fast vom Arsch reißen, weil er meinte, so könne man doch als verheiratete Frau nicht herumlaufen. Der hätte mich am liebsten rechts mit Schwein an der Leine und links mit dem Eierkorb in der Hand über den Hof wuseln sehen - das war wohl seine Traumvorstellung.
Bald darauf nahm das Schicksal seinen Lauf. Siegfried wurde ins Wehrkreiskommando eingeladen. Er hatte sich nicht herausreden können, als sie ihn drei Jahre für die Fahne verpflichten wollten, obwohl nur anderthalb Jahre nötig gewesen wären. Mit hängenden Schultern und Hundeblick wurde mir das offenbart, woraufhin ich entgegnete:
„Na, dann sieh mal zu… An der Stelle halte ich eine Scheidung für angemessen.“
Bei seinem ersten Urlaub war ich bereits ausgezogen - mit dem Fahrrad übrigens, ich besaß ja nichts. Freudig hatte ich die Tasche gepackt und mich mit fliegenden Fahnen wieder unter Papas Fittiche begeben. Die Erfahrung hatte ihn in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt und von Stund an erlaubte er meiner Schwester und mir, zur Disko zu gehen. Na bitte!
Am Abend kam Siegfried zu uns, ich gab ihm an der Hoftür den Ring zurück und er konnte wieder abtreten.
„Wollt Ihr auch etwas essen?“
„Nein.“
„Ja! Zur Feier des Tages – du bist eingeladen, Paula.“
Es gibt aber nur…
„… genau das wollen wir: zwei Mal Zwiebelklump.“
„Wird gemacht.“ Herbert entfernte sich wieder.
Paula schaute mich nachdenklich an. „Tut dir die Scheidung denn auch ein klitzekleines bisschen leid?“
„Überhaupt nicht! Der Spasti hat mich gar nicht verdient!“
„Lange hat eure Ehe ja nicht gedauert.
„17 Monate, 2 Wochen, 4 Tage und 3 Stunden.“
„Herbert, noch zwei Madeleine darauf!“
„Und, wars teuer?“
„Nicht der Rede wert. Dreihundert Piepen.“
„Na dann.“
Der Alkohol sorgte für ein anhaltendes Stimmungshoch. Erst als Herbert das Essen servierte und uns gutmütig warnte
„Vorsicht heiß!“ spachtelten wir unsere Mahlzeit mit großem Vergnügen, still und sehr konzentriert, in uns hinein. Wir wollten uns auf gar keinen Fall die Zungen verbrennen. Allmählich entspannten wir. Unsere Wangen glühten. Paula blinzelte mich aus glasigen Augen zufrieden an. Ich lächelte vor mich hin. Wir aßen und schwiegen. Nur das Besteck klapperte sachte am Porzellan des Tellers. In diese Stille hinein fiel mein Blick auf einen blondgelockten, gut gebauten Kerl mit einem Bier auf dem Tisch. Er schaute mir unbeirrt in die Augen. Was hatte das zu bedeuten? Er regte sich nicht. Er sagte nichts. Er schaute mich nur an. So ging das den ganzen Abend. Erst als Paula und ich beschlossen hatten zu gehen, erhob auch er sich, legte einen Schein auf den Tisch und beeilte sich, uns die Tür aufzuhalten. Gespielt freundlich fragte er, ob er uns nach Hause bringen dürfe.
„Das könnte dir so passen!“ entgegnete Paula. „Es geht dich überhaupt nichts an, wo wir wohnen.“
„Und du? Darf ich dich begleiten?“
„Ja!“ rutschte es aus mir heraus.
Paula erschrak.
„Ist schon gut.“ beruhigte ich sie. „Wir kennen uns. Darf ich vorstellen? Äh, wie heißt du noch mal?“
Wir lachten alle drei.
„Alexander. Nenn mich einfach Alex.“
„Gut, dann noch viel Spaß euch beiden. Ich finde alleine nach Hause.“ Paula zwinkerte mir vielsagend zu und verließ uns.
„Warum hast du gesagt, dass wir uns kennen?“
„Was meinst du?“
„Sind wir uns schon einmal begegnet?“
„Nein. Du heißt Alex! Muss ich noch mehr wissen?“
Er grinste mich an.
„Ich möchte dir gerne etwas zeigen. Hast du noch Lust, mit mir auf den Schloßberg zu steigen.“
„Kommt man denn dort hoch? Um diese Zeit?“
„Ich schon! Lust?“
„Aber immer!“
„Na dann…“ Alex reichte mir seinen Arm und ich hielt mich an ihm fest. So liefen wir ohne viele Worte durch eisige Kälte hinauf zum Schloss. Alex führte mich zu einer Bank.
„Setz dich! Ich besorge schnell den Schlüssel. Und dann steigen wir dort hinauf.“ Er zeigte mit dem Finger in Richtung Turmspitze, ehe er verschwand.
Es war zu kalt, deshalb blieb ich stehen und hüpfte von einem Bein auf das andere. Mein Herz schlug Purzelbäume, weil ich so was noch nie getan hatte. Aber wer hätte denn auch ahnen können, dass mein Abend so verlaufen würde? Nach einer kleinen Weile kehrte Alex mit dem Schlüssel zurück. Er öffnete, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, die Pforte zum Turm. Wir erreichten die Treppe und er ging voraus. Ich musste mich anstrengen, um ihm folgen zu können, so zügig lief er. Jetzt bereute ich, dass ich zu viele Cocktails getrunken hatte.
„Wie kommst du denn an den Schlüssel?“
„Das ist nicht schwer für mich, mein Vater ist hier der Hausmeister.“
Ich ging lachend hinter ihm her. Oben nahm Alex mich in seine Arme. Die Aussicht war herrlich. Dann küssten wir uns.
„Hey Kirsche, du küsst verdammt gut!“
Noch ein paar Stunden verbrachten wir oben im Turm, um dann im Morgengrauen zu mir zu gehen.
Nach einer intensiven Bekanntschaft mit Alex kehrten wir zwei Wochen später zurück zu unserem Turm.
„Willst du mich heiraten?“
„Gute Idee!“
„Heißt das JA?“
„Ja!“
„Das ist ja wunderbar!“ Alex hob mich in die Luft und schleuderte mich herum.
„Wunderbar“, wiederholte ich, „aber wenn ich dich nicht vollkotzen soll, dann, in Gottes Namen, bitte, lass mich runter!“
Wir lachten schon wieder. Er setzte mich ab und umfing mich zärtlich mit seinen Armen.
„Ich muss dir allerdings etwas beichten.“
„Der muss auch zur Fahne“, dachte ich und erschrak.
„ Kennst du die Geschichte von Till Eulenspiegel?“
Sogleich entspannte ich. Natürlich kannte ich sie, wie jeder hier in Bernburg, aber ich wollte sie von ihm hören. Noch nie hatte mir ein Kerl eine Geschichte erzählt.
„Na los schon! Erzähl sie mir!“
Und dann begann er leise und mit veränderter, weicher Stimme zu erzählen.
„Vor vielen, vielen Jahren kam ein Mann in die Stadt. Der hieß Till Eulenspiegel. Und da man im Schloss gerade einen Turmbläser suchte, nahm er die Arbeit an. Fortan hatte er hier oben, auf diesem Turm, wache zu halten und die Schlossgesellschaft vor nahenden Feinden zu warnen. Jedoch störten ihn die lausige Bezahlung und das schlechte Essen und er trug sich mit dem Gedanken, wieder fortzugehen. Als die Hofgesellschaft eines Abends ein Fest feierte und die Tafel reichlich mit Gebratenem und Gesottenem gedeckt war, blies er kurzerhand Alarm. Die Hofdamen und –Herren ließen alles stehen und liegen und flüchteten aus dem Saal, um sich in Sicherheit zu bringen. Till Eulenspiegel aber stieg vom Turm herab, schlich ins Schloss, lief immer der Nase nach und ließ es sich schmecken. Dann füllte er seine Taschen mit den Köstlichkeiten und begab sich auf Wanderschaft. Er kehrte nie wieder nach Bernburg zurück.“
„Schade eigentlich.“ Ganz verzaubert schaute ich Alex an und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
„Ab heute bist du mein Till Eulenspiegel.“
„Genau das ist der Punkt. Ich will in den Westen gehen. Mein Ausreiseantrag läuft schon.“
„Na und?“
„Willst du mich noch immer heiraten?“ fragte Alex überrascht.
„Klar doch!“
„Und du kommst wirklich mit?“
Wie praktisch, dachte ich, aber ich sagte:
„Bloß weg hier.“
„Juch – huuuu!“ schallte seine Stimme vom Turm herab.