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Tag 1

An dem wir unsere Esel kennenlernen

Die beiden Eseldamen Emma und Paula werden uns auf unserer Wanderung begleiten. Wir sehen sie zum ersten Mal auf einer großen Wiese und wundern uns über ihre dicken Bäuche.


An einem schönen Augusttag geht es los. Wir erreichen den Eselhof im Hochschwarzwald bei strahlendem Sonnenschein. Der 400 Jahre alte Häusleberghof ist ein Aussiedlerhof auf rund 850 Metern, oberhalb von Oberried gelegen, von dem aus man einen wunderbaren Ausblick auf die umgebende Hügellandschaft hat. Bewirtschaftet wird er von Uta Reese, die auf rund 5 Hektar Fläche eine Selbstversorgerlandwirtschaft betreibt und Eseltrekking anbietet.

Wir sehen zum ersten Mal „unsere“ Esel


Auf der Weide sehen wir die ersten Esel stehen. Magdalena schließt ein besonders flauschiges Exemplar in ihr Herz. Es hat weiches, fast weißes Fell, kann besonders laut und ausdauernd I-Ahhh rufen und kommt gleich an den Zaun, um sich von ihr mit Spitzwegerich füttern zu lassen. Damit ist der Esel in Magdalenas Augen qualifiziert, uns zu begleiten – mit ihm möchte sie unterwegs sein. Es stehen noch zwei weitere Esel auf der Weide, die sich nicht weiter für uns interessieren und in aller Seelenruhe grasen. Wie sich später herausstellt, ist der weiße Kuschelesel der pubertierende Teenie der Herde und für unser Unterfangen gänzlich ungeeignet. Schließlich möchten wir unser Gepäck nicht selbst tragen und uns auch nicht mit den Launen eines aufmüpfigen Jungesels auseinandersetzen. Es werden uns also die zwei recht unscheinbaren, aber verlässlich wirkende Eselinnen Emma und Paula zugeteilt.

Zwei schwangere Eseldamen


Der immense Bauchumfang von Emma und Paula irritiert uns etwas und Uta bestätigt unsere Vermutung: Beide sind trächtig und bekommen in zwei oder drei Monaten ihre Jungen. Vorbereitet auf unsere Frage, ob das denn dann ginge mit dem Gepäck, wehrt sie gleich ab: „Esel gebären, wenn es gerade passt, wenn sie also Zeit und Ruhe dazu haben, und dieser riesige Bauch schränkt sie nicht wirklich ein.“ Wir nehmen das hin, insgeheim regt sich aber Mitleid für diese netten Tiere, die so friedlich und ergeben vor uns stehen.

Erst mal ordentlich striegeln


Uta gibt uns eine gründliche Einweisung. Wir dürfen Emma und Paula, „unsere“ Eselinnen, zum ersten Mal striegeln und ihnen die Hufe auskratzen. Beides lassen sie gern mit sich machen und Severin und Magdalena gehen enthusiastisch ans Werk. Selbst aufgeregtes Geplapper und ungeschicktes Hantieren bringen Emma und Paula nicht aus der Ruhe. Eine Charaktereigenschaft von Eseln, die uns von Beginn an auffällt: ihre stoische Ruhe. Beginnen Pferde bei Gefahr oder unbekannten Geräuschen nervös zu tänzeln, bleibt ein Esel stehen. Einzig seine Ohren sind auf Empfang – und zwar in (fast) alle Himmelsrichtungen. So ein Eselsohr ist erstaunlich beweglich.

Nicht stur, ...

Wir lernen, den Sattel richtig aufzulegen und den Gurt (erstaunlich stramm) festzuziehen. Uta räumt als Erstes mit dem Vorurteil vom sturen Esel auf. Lektion 1: „Nein, sie sind nicht stur, sondern im Gegenteil ausgesprochen zuverlässig.“ Als Beweis führt sie an, dass Esel seit Tausenden von Jahren für uns Menschen arbeiten und sich nicht gegen ungerechte Behandlung, schlechte Bedingungen und grausame Herren wehren. Vor über 2 000 Jahren trug ein Esel eine junge Mutter auf der Flucht eine sehr weite Strecke und rettete sie damit vor dem sicheren Tod und nur ein paar Jahrzehnte später trug ein Eselfohlen das mittlerweile zum Mann herangewachsene Baby durch eine jubelnde Menschenmenge, ohne zu bocken und ohne vor dem Lärm zu erschrecken.

... sondern äußerst zuverlässig!


Insgeheim hoffen wir, dass die Esel des 21. Jahrhunderts über ein ähnliches Naturell verfügen, uns treu folgen und unser Gepäck tragen. Wenn ja, dann könnten wir einem entspannten Urlaub entgegenblicken. Aber wir fragen uns, worauf Uta uns da vorbereiten will? Wir beabsichtigen nicht, uns durch jubelnde Menschenmassen zu bewegen oder eine Flucht über Landesgrenzen hinweg anzutreten. Eigentlich sind unsere Wünsche ganz einfach: Wir wollen geruhsam durch den Schwarzwald wandern und möglichst vor Einbruch der Nacht die nächste sichere Hütte erreichen. Birgt der tiefe Schwarzwald etwa Gefahren, von denen wir bisher nichts wussten? Natürlich nicht. Uta wollte uns nur sagen: Keine Angst, eure Esel werden sich nicht vor Fahrradklingeln oder lauten Autos erschrecken, sie werden weitergehen, auch wenn die Strecke mal länger ist als geplant, und sie werden euch fast nichts krummnehmen.

Drei Dinge braucht der Esel


Die nächste Lektion: Esel sind Herdentiere. Neben Futter und einem sicheren Dach über dem Kopf, sobald es dunkel wird, ist die Herde das dritte Element in einem perfekten Eselleben. Esel sind so sehr auf den Austausch mit ihren Artgenossen angewiesen, dass es in Deutschland mittlerweile verboten ist, einen einzelnen Esel zu halten. Was allerdings nicht verhindert, dass man doch immer wieder einsame Esel in Ställen und auf Weiden antrifft. Wie wir erfahren, gehen Emma und Paula gern mit uns auf Tour. Das sagen sie uns zwar nicht selbst, aber Uta kennt ihre Esel sehr gut und weiß, dass sie Abwechslung schätzen und lieber unterwegs sind, als auf der Weide zu stehen. Dafür nehmen Esel selbst die Gesellschaft unerfahrener Stadtbewohner in Kauf. Die beiden seien das gewohnt, meint sie, und sind die Tour auch schon ein paar Mal gegangen.

Wir werden zur Herde

Wir werden also ihre Herde auf Zeit sein und außerdem die Anführer dieser Herde. Leitesel – eine Rolle, auf die wir uns nun wirklich nicht vorbereitet hatten. Wir sind etwas überrumpelt, gleichzeitig aber auch geschmeichelt. Nach einem tiefen Blick in die großen, treuen Eselaugen unserer neuen Herdenmitglieder sehen wir der Aufgabe entspannt entgegen. „Ihr müsst ihnen zeigen, dass ihr die Herde leitet. Sie müssen wissen, dass sie sich auf euch verlassen können“, meint Uta. Wir haben keine Vorstellung davon, wie man sich zum Anführer einer Eselherde qualifiziert, und nehmen diese Aussage erst einmal hin. Das wird schon irgendwie klappen, denken wir. Schließlich bringen wir etwas mehr Gehirnmasse mit und verfügen über zwei eindeutige Vorteile: einen funktionierenden Sprechapparat und eine Wanderkarte. So leicht ist das aber nicht, wie sich wenig später herausstellt. Unsere Stellung als Chefs einer sechsköpfigen Herde müssen wir uns hart erarbeiten – aber dazu später mehr. Jetzt schickt uns Uta erst mal mit den Worten: „Die Großen geben die Alpha-Esel“ auf einen Probespaziergang, von dem wir eine Stunde später unverletzt und glücklich zurückkehren.

Nachtruhe


Wir verbringen die Nacht im Haupthaus des uralten Schwarzwaldhofs. Dort wohnt man ein bisschen wie im Freilichtmuseum, ziemlich urtümlich. Kleine Fenster, dunkle Wandvertäfelungen, nur vereinzelt hängen Lampen von den Decken. Durch das ausladende Dach kommt nur wenig Licht durch die kleinen Fenster. Eigentlich würde ich ganz gern den Heizkörper aufdrehen, denn hier oben ist es gegen Abend recht kühl geworden. Aber eine Zentralheizung gibt es nicht. Der Hof ist vollkommen energieautark und an kein öffentliches Netz angeschlossen. Wir müssen uns also mit dem begnügen, was uns die Natur im Augenblick an Wärme zugesteht. Und das genügt auch. Wir knipsen bald das Licht aus und schlafen ein, eingehüllt in die Stille des Dreisamtals.

Gut zu wissen Packliste

Die Packliste eines Eselwanderers unterscheidet sich nicht allzu sehr von der eines „normalen“ Wanderers. Gutes Schuhwerk und wetterfeste Kleidung sind unerlässlich. Wanderstöcke sind gut, wenn man in bergigem Gelände unterwegs ist. Allerdings kann man nicht mit Stöcken hantieren, während man einen Esel führt. Esel lassen sich viel auf den Rücken laden. Trotzdem sollte man es nicht übertreiben. Auf einen normal großen Hausesel kann man ca. 30 Kilogramm aufladen, gleichmäßig verteilt auf die beiden Satteltaschen. Was darüber hinausgeht, muss in den Rucksack. Empfindliche elektronische Geräte sollten nicht in die Satteltaschen, sondern in den Rucksack. Auf engen Wegen können die Taschen gequetscht werden. Esel suchen sich ihr Futter unterwegs. Man muss also keinen Stauraum für die Verpflegung der Vierbeiner vorsehen.

Ganz ruhig, meint der Esel

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