Читать книгу Jack und seine drei Flammen - F. C. Phillips - Страница 4
Zweites Kapitel.
ОглавлениеDas Kosthaus, an dessen sämtlichen Gerechtsamen, den Zutritt zum Billardzimmer und die Benutzung des Pianos miteingeschlossen, ich um den bescheidenen Preis von dreissig Schilling die Woche teilnehmen durfte, lag in dem halbaristokratischen Bezirk Bayswater, das hochmütig auf Paddington herabsieht, während es selbst von South Kensington über die Schulter angeblickt wird. Es gehörte einer Witwe, die einstens hübsch gewesen sein mochte, jetzt aber abgehetzt und überarbeitet aussah und nie müde wurde, über ihre gegenwärtigen und vergangenen Kümmernisse zu klagen.
Die Gesellschaft war eine überaus gemischte. Da waren zwei Herren, von denen jeder irgend etwas in der City war — was, habe ich nie ermitteln können. Ferner war einer da, von dem ich wusste, dass er Bookmaker, aber nicht Mitglied des Tattersalls war. Auch ein auf Halbsold gesetzter Offizier war vorhanden, weiter ein Titular-Oberstlieutenant und ein Schreiber von Somerset House nebst einem Herrn von der Presse. Was die Damen anbelangt, so waren auch diese ein wenig gemischt. Die eine war eine Generalswitwe, die mit ausgeprägtem irischen Dialekt sprach und bei jeder denkbaren Gelegenheit auf ihren Gatten, den „Scheneral“, Bezug nahm. Auch zwei wohlbeleibte Frauen waren da, von deren Männern behauptet wurde, sie dienten in Indien. Allein es ergaben sich einige Schwierigkeiten, wenn man festzustellen versuchte, welchen Regimentern diese tapferen Offiziere angehörten — eine Thatsache, die von der Frau Generalin tückischerweise ausgebeutet wurde. Ferner hatten wir eine Miss M’Lachlan, die gerne mit ihrem Neffen, „Dem M’Lachlan“ prahlte; sie kleidete sich äusserst streng und schlicht, hatte eine aufdringliche Nase und war eine so entschiedene Calvinistin, dass sie jede Art von bischöflicher Verfassung für schlimmer hielt, als die römisch-katholische Kirche selbst. Schliesslich kam noch Mrs. Brabazon, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig Jahren, die von allen andern Frauen gehasst wurde, teils weil sie alle Kleider aus Paris bezog und sich besser zu kleiden verstand als die übrigen, teils weil sie sehr hübsch war und allen Männern gefiel, teils auch, weil sie sich gewisse Ueppigkeiten gestattete, wie ein Fläschchen Champagner zum Mittagessen oder auch gelegentlich eine Treibhausfrucht, während sie ihrer Leidenschaft für frische Blumen ganz zügellos frönte und sich welche aus Nizza kommen liess, wenn in London auch um den höchsten Preis keine aufzutreiben waren.
Schon nach einer Woche waren Mrs. Brabazon und ich die besten Freunde und nach Verlauf von vierzehn Tagen wurde mir gestattet, sie auf ihrem Morgenspaziergang zu begleiten. Nach etwa einem Dutzend solcher Ausflüge, deren Ziel meistens die Kensington-Gärten waren, erklärte ich ihr mehr oder weniger tölpelhaft, denn es war mir ernst, dass ich sie liebe, worauf sie entgegnete, ich sei ein ganz ungezogener und unverschämter Junge, dass ich wage, ihr so etwas ins Gesicht zu sagen.
„Aber ich liebe Sie wirklich,“ versicherte ich, „auf Ehre, ich liebe Sie!“
„Sie einfältiger kleiner Spatz! Ich könnte ja Ihre Mutter sein!“ Dabei rieb sie ihre Backe heftig mit dem Taschentuch, vermutlich um zu zeigen, dass die Rosen ihrer Wangen natürlich seien. „Wenn Sie es wagen, noch mehr solchen Unsinn verlauten zu lassen, schicke ich Sie fort und gehe allein nach Hause. Sie verdienten wahrhaftig, für Ihre Unverschämtheit die Rute zu bekommen.“
Rasch blickte ich mich um, und da uns niemand sehen konnte, schlang ich kühn meinen Arm um ihren Leib und küsste sie. Natürlich bekam ich eine Ohrfeige dafür, aber ich glaube nicht, dass diese die Bestimmung hatte, mir ernstlich wehe zu thun — in diesem Falle hätte sie wenigstens ihren Zweck völlig verfehlt.
„Sie sind sehr unartig und sollten sich schämen. Sie sind ja kaum der Rute entwachsen und riechen noch nach Butterbrot; ich kann so aufgeschossene halbwüchsige Jungen nicht ausstehen, solche Jungen dont on coupe le pain en tartines.“
„Wenn Sie mich nicht höflicher behandeln, thue ich’s noch einmal,“ erwiderte ich.
„Nein, bitte nicht,“ sagte die Dame, „wenigstens nicht hier; gleich lachen uns alle Kindermädchen aus, und der Parkaufseher weist uns hinaus.“
„Ich küsse Sie dann nur um so öfter, wenn ich Sie heimgebracht habe.“
„Das ist Ihre Sache, mein junger Herr — vielleicht dürfen Sie’s, wenn Sie artig sind.“
So spazierten wir im besten Einvernehmen nach Hause, und ich will nur als einfache Thatsache erwähnen, dass ich sie im Flur, auf der Matte wenigstens zwölfmal küsste, sobald die Hausthür hinter uns zugefallen war. Dies war so meine scherzhafte Weise, mich zu geben.
Rasch, ereignislos, aber angenehm verfloss ein Monat auf diese Art. Meine Geldsendungen von Hause trafen äusserst unregelmässig ein, aber ich hielt mich der armen, überarbeiteten Martha, Mrs. Jessett, gegenüber redlich und bezahlte sie so regelmässig, als ich konnte. Manchmal, wenn ich gerade im Billard Glück gehabt hatte, bezahlte ich sie auch ein wenig im voraus und sagte ihr, sie solle das Geld nehmen, solange es da sei, weil ich es sonst ja doch nur wieder verlieren würde. Wohl schüttelte sie ab und zu den Kopf zu meinem Billardspiel, doch hielt sie mich im ganzen offenbar für einen recht anständigen, gesitteten jungen Mann, der dem, was sie ihren „gewählten Kreis“ nannte, wenigstens nicht zur Unehre, wenn nicht gar zur Zierde gereichte.
Ich erfreute mich einer kräftigen Gesundheit und pflegte riesige Spaziergänge zu unternehmen. Eine bestimmte Anzahl Mittagessen mussten im Temple, der alten Rechtsschule Londons, eingenommen werden, und aus diesen Mahlzeiten, die mir wohl behagten, bestand im grossen Ganzen meine juristische Ausbildung. Der Wein war durchaus nicht schlecht, und die kleinen Tischgesellschaften zu Vieren waren freundschaftliche parties carrées.
So verfloss mein Leben — von meiner Liebesangelegenheit abgesehen — in ruhiger, einförmiger Weise; ich konnte mir leicht Geld genug für meine bescheidenen Vergnügungen verschaffen. Ab und zu gestattete ich mir einen schönen, langen Ritt mit einem ruhigen Mittagessen in irgend einem altmodischen Gasthof. Meine Neigungen, oder wenigstens einige derselben, müssen ganz barbarisch gewesen sein, denn ich entdeckte ein altväterisches, am Flussufer gelegenes Haus in Chelsea, in dem die Schiffsknechte um einen Krug Bier nach der Scheibe warfen und Kegel schoben.
Ich habe das Kegelspiel ganz besonders gern. Zweifelsohne ist es ein sehr gemeines Spiel, aber es ist an einem Regentag eine ausgezeichnete Bewegung, und überdies entsinne ich mich, irgendwo gelesen zu haben, dass Peter der Grosse zur Zeit, da er als Schiffsbauer in Deptford beschäftigt gewesen, nicht nur jeden Mann am Ort bezwungen, sondern auch eine ausserordentliche Vorliebe für das Kegelspiel gezeigt habe. Uebrigens kenne ich thatsächlich einen gelehrten Richter, der ebenfalls eine grosse Schwäche für das Kegeln hat und gar kein Geheimnis aus dieser Thatsache macht, und auch in Marlborough-Housea) befindet sich eine Kegelbahn.
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass meine Studiengenossen und die jüngeren Advokaten im grossen Ganzen vortreffliche, ehrenwerte Menschen waren und ich zahlreiche Freundschaften schloss, die wesentlich dazu beitrugen, mein Leben angenehm zu gestalten. Braucht irgend jemand mehr, um glücklich zu sein?
Auch Mrs. Brabazon darf ich nicht vergessen. Manchmal benutzte ich eine günstige Strömung und ruderte sie nach Richmond, von wo wir mit der Bahn zurückfuhren, nachdem wir in dem lieben alten Schloss gespeist hatten. Alle Arten vergnügter kleiner Ausflüge machten wir zusammen — nach Ham House, nach Hampton Court mit seinen Galerien und Gärten, nach Farmingham in den Löwen, wo wir den ganzen Tag lang mit mehr oder weniger Glück dem Fischfang oblagen und dann behaglich unter einem offenen, üppig von Rosen und Geissblatt umrankten Fenster unser Mahl einnahmen. Nichts machte ihr so viel Freude, als an einen neuen Ort zu gehen, und mich beglückte nichts mehr, als einen neuen Punkt zu finden, an den ich sie führen konnte. Wir waren glücklich wie Kinder, und so weit ich es beurteilen kann, auch unschuldig wie solche. Es freute uns, unser Leben für uns, auf unsre eigne Weise zu leben, und wenn dies eine Sünde ist, welche Ansicht Miss M’Lachlan energisch zum Ausdruck brachte, so kann ich nur versichern, dass es eine sehr angenehme Sünde ist und ich alle bedaure, die sie nie begangen haben. Es gibt Leute, von denen ich fest überzeugt bin, dass sie den Vögeln das Singen am Sonntag verbieten und die Kaninchen mit ihren glänzenden Aeuglein während des Gottesdienstes am liebsten in ihre Höhlen sperren würden, und zu dieser Sorte gehörte auch Miss M’Lachlan, die von ihrem Pfefferminz und Anis und Kümmel pünktlich den Zehnten entrichtete, während sie sich mit heiterer Gleichgültigkeit über die wichtigeren Bestimmungen des Gesetzes hinwegsetzte.
Bei Tisch gab es gelegentliche Scharmützel zwischen der schottischen alten Jungfer und Mrs. Brabazon, bei welchen die letztere dermassen die Oberhand behielt, dass Miss M’Lachlan zu allgemeiner Erleichterung und unter nicht verhehlter Heiterkeit Mr. Brattles in Thränen ausbrach und das Zimmer verliess, was dem boshaften Herrn willkommenen Stoff zu allerlei Scherzen über die alte Hexe gab.