Читать книгу Der große Gatsby - Френсис Скотт Фицджеральд, Френсис Скотт Кэй Фицджеральд, F. Scott Fitzgerald - Страница 5

II

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Etwa auf halbem Wege zwischen West Egg und New York vereinigt sich die Autostraße mit der Eisenbahn und läuft einen halben Kilometer neben ihr her, als habe sie es eilig, von einem gewissen trostlosen Revier fortzukommen. Es ist ein Tal ganz aus Asche – eine phantastische Farm, wo Asche wächst wie Weizen, Asche sich zu Hügeln und Graten türmt und als grotesker Garten wuchert, Asche die Form von Häusern und Kaminen annimmt und als Rauch emporsteigt, ja Asche, in einem Anlauf zur Transzendenz, sich in die Gestalten aschgrauer Männer verwandelt, die sich schattenhaft und selbst schon zerbröckelnd durch den Dunst bewegen. Von Zeit zu Zeit kriecht eine Schlange grauer Wägelchen auf unsichtbarer Spur dahin und kommt mit einem kreischenden Schreckenslaut zum Stillstand. Dann fällt der Schwarm aschgrauer Männer über sie her und wirbelt mit schweren Schaufeln eine undurchdringliche Staubwolke empor, die diese düstere Emsigkeit wieder gnädig vor unseren Blicken verhüllt.

Über dieser aschgrauen Landschaft und den endlos über sie hinziehenden schwarzen Rauchschwaden entdeckt man nach einiger Zeit die Augen von Doktor T. J. Eckleburg. Die Augen von Doktor T. J. Eckleburg sind blau und riesengroß – allein ihre Pupillen haben einen Meter im Durchmesser. Sie blicken nicht aus einem Gesicht, sondern durch eine riesige gelbe Brille, die auf einer gar nicht vorhandenen Nase sitzt. Offenbar hat irgendein verrückter Augendoktor sie dort aufgepflanzt, um seiner Praxis in Queens Auftrieb zu geben. Vielleicht ist er selbst längst in die ewige Blindheit eingegangen oder hat das Aushängeschild vergessen und ist fortgezogen. Die Augen jedoch, deren Anstrich lange nicht erneuert wurde und die von Sonne und Regen etwas verblaßt sind, brüten nach wie vor über der feierlichen Düsternis dieser Schutthalde.

Das Aschental wird auf einer Seite von einem trüben Flüßchen begrenzt. Wenn die Brücke aufgezogen ist, um Lastkähne durchzulassen, haben die Fahrgäste im wartenden Zug Gelegenheit, wohl eine halbe Stunde auf diese trostlose Szenerie zu starren. Immer gibt’s dort wenigstens einige Minuten Aufenthalt, und auf diese Weise kam es zu meiner ersten Begegnung mit Toms Freundin.

Jeder, der ihn kannte, behauptete hartnäckig, er habe tatsächlich eine Freundin. Besonders verübelte man ihm, daß er in bekannten Cafés mit ihr aufkreuzte und sie dann an einem Tisch sitzen ließ, während er selbst umherschlenderte und sich mit allen möglichen Bekannten unterhielt. Ich war neugierig, wie sie aussähe. An einer Begegnung lag mir weniger; aber sie blieb mir nicht erspart. Ich fuhr eines Nachmittags mit Tom nach New York, und als der Zug bei den Schutthalden hielt, sprang er auf, nahm mich beim Arm und zwang mich buchstäblich auszusteigen.

»Wir steigen hier aus«, sagte er nachdrücklich. »Ich möchte, daß du meine Freundin kennenlernst.«

Ich glaube, er hatte schon beim Mittagessen erheblich getankt, denn er bestand geradezu heftig darauf, ich müsse mitkommen. Er nahm als selbstverständlich an, daß ich an diesem Sonntagnachmittag doch nichts Besseres vorhätte.

Ich folgte ihm über eine niedrige, weißgestrichene Bahnschranke und dann hundert Meter auf der Straße zurück, immer unter den hartnäckig starrenden Augen von Doktor Eckleburg. Das einzige Gebäude weit und breit war ein kleiner Häuserblock aus gelben Ziegeln, der völlig unmotiviert am Rande der Aschenwüste lag – ein Stück Hauptstraße im glatten Nichts. Er enthielt drei Läden; davon war einer zu vermieten, der andere eine durchgehend geöffnete Frühstücksstube, zu der eine Aschenspur hinführte, und das dritte war eine Garage: Autoreparaturen, George B. Wilson, Ankauf und Verkauf. Dahinein folgte ich Tom.

Das Innere war unwirtlich und kahl. Als einziges Auto erblickte man in einer dunklen Ecke das total verstaubte Wrack eines Fordwagens. Ich dachte gerade, diese Garage sei wohl nur eine Attrappe, hinter der luxuriöse und geheimnisvolle Räumlichkeiten verborgen seien. Da erschien, seine Hände an einem Lappen abwischend, der Eigentümer selbst in der Tür seines Büros, ein leidlich gut aussehender blonder, energieloser Mann, der offenbar an Blutarmut litt. Als er uns erblickte, kam ein feuchter Hoffnungsschimmer in seine hellblauen Augen.

»Hallo, Wilson«, sagte Tom und schlug ihm jovial auf die Schulter. »Was macht’s Geschäft, Alter?«

»Kann nicht klagen«, erwiderte Wilson nicht sehr überzeugend. »Wann werden Sie mir denn den Wagen verkaufen?«

»Nächste Woche; mein Chauffeur hat noch daran zu arbeiten.«

»Der macht aber sehr langsam, oder nicht?« »Keineswegs«, sagte Tom kühl. »Wenn Sie das meinen, verkaufe ich ihn wohl besser an jemand anderes.« »So hab ich’s nicht gemeint«, erklärte Wilson rasch.

»Ich meinte nur –«

Seine Stimme erstarb, und Tom sah sich ungeduldig in der Garage um. Dann hörte ich jemand eine Treppe herunterkommen, und gleich darauf stand die füllige Gestalt einer Frau in der Tür zum Büro, so daß von dort kein Licht mehr hereinfiel. Sie war Mitte dreißig und ein wenig zu voll, aber sie verstand es, wie manche Frauen, mit ihrer Fülle sinnlich zu wirken. Sie trug ein dunkelblaues, fleckiges Crêpe-de-Chine-Kleid. In ihrem Gesicht war kein Zug oder Schimmer von Schönheit, aber sie strömte eine unmittelbar sich aufdrängende Vitalität aus, als sei ihr Körper in jedem Nerv von schwelender Glut erfüllt. Sie lächelte ein wenig, schritt durch ihren Gemahl hindurch, als sei er nur ein Geist, und begrüßte Tom, wobei sie ihm voll ins Auge sah. Dann befeuchtete sie ihre Lippen und sprach, ohne sich auch nur umzuwenden, mit einer angenehm heiseren Stimme zu ihrem Gatten:

»Hol doch ein paar Stühle, nichtwahr, daß man sich setzen kann.«

»Oh, natürlich«, beeilte sich Wilson. Er ging in das kleine Büro und war im selben Augenblick eins mit der Kalkfarbe der Wände. Ein weißer Aschennebel verschleierte seinen dunklen Anzug und sein blasses Haar und legte sich ringsum auf alles und jedes – ausgenommen seine Frau, die nahe an Tom herantrat.

»Wir müssen uns sehen«, sagte Tom kategorisch. »Nimm den nächsten Zug.«

»Gut.«

»Ich treffe dich am Zeitungsstand auf dem unteren Bahnsteig.«

Sie nickte und trat wieder zurück, gerade als George Wilson mit zwei Stühlen in der Bürotür erschien.

Weiter unten auf der Straße, wo man uns vom Hause nicht mehr sehen konnte, warteten wir auf sie. Es war wenige Tage vor dem vierten Juli, und ein graues kümmerliches Italienerkind war dabei, längs der Eisenbahnschienen eine Reihe von Feuerwerkskörpern anzubringen.

»Gräßliche Gegend, nichtwahr«, sagte Tom und wechselte einen stirnrunzelnden Blick mit Doktor Eckleburg.

»Entsetzlich.«

»Gut, wenn sie hier einmal fortkommt.«

»Hat ihr Mann nichts dagegen?«

»Wilson? Er glaubt, sie besucht ihre Schwester in New York. Der ist zum Leben und zum Sterben zu dämlich.«

So fuhren Tom Buchanan, seine Freundin und ich zusammen nach New York – oder nicht zusammen, denn Mrs. Wilson saß diskret in einem anderen Waggon. Soweit nahm Tom Rücksicht auf die Empfindlichkeit der East Egger, die womöglich mit im Zuge waren.

Mrs. Wilson trug jetzt ein braungemustertes Musselinkleid, das sich über ihren etwas breiten Hüften spannte, als Tom ihr in New York aus dem Zuge half. Am Zeitungsstand kaufte sie eine Nummer des ›Town Tattle‹ und ein Filmmagazin und in der Bahnhofsdrogerie irgendeine Cold Cream und eine kleine Flasche Parfüm. Oben in der feierlichen Weite der Bahnhofshalle ließ sie vier Taxis abfahren, ehe sie sich zu einem neuen lavendelfarbenen Taxi mit grauen Polstern entschloß. Darin glitten wir aus dem Gewühl des Bahnhofs in die strahlende Helle hinaus. Aber sogleich beugte sich Mrs. Wilson, die aus dem Fenster geblickt hatte, vor und klopfte dem Fahrer.

»Ich möchte einen von den Hunden dort haben«, sagte sie ernsthaft. »Einen für die Wohnung. Das ist so hübsch – ein Hund.«

Wir fuhren zurück zu einem grauen alten Mann, der eine lächerliche Ähnlichkeit mit John D. Rockefeller hatte. In einem Korb, den er von der Schulter nahm, kauerte ein Dutzend ganz junger Hunde von unbestimmter Rasse.

»Was für welche sind es?« fragte Mrs. Wilson eifrig, als er an den Wagenschlag trat.

»Alle Arten. Was für einen wünscht die Dame?« »Ich möchte so einen Polizeihund; das haben Sie wohl nicht?«

Der Mann äugte kritisch in seinen Korb, tauchte dann mit der Hand hinein und zog am Nackenfell ein zappelndes Etwas hervor.

»Das ist kein Polizeihund«, sagte Tom.

»Nein, nicht ausgesprochen ein Polizeihund«, sagte der Mann leicht enttäuscht. »Das ist mehr ein Airedale.« Er strich mit der Hand über die braune Rückenwolle. »Sehen Sie mal das Fell. Ein Fellchen. Mit dem Hund werden Sie keinen Ärger haben; der erkältet sich nicht.«

»Der ist in Ordnung«, sagte Mrs. Wilson begeistert. »Wieviel?«

»Der Hund da?« Er betrachtete ihn voll Bewunderung. »Der kostet Sie zehn Dollar.«

Der Airedale – trotz seiner befremdend weißen Pfoten hatte er zweifellos irgendwo mal etwas von einem Airedale mitbekommen – wechselte den Besitzer und ließ sich auf Mrs. Wilsons Schoß nieder, die sogleich voll Entzücken sein wetterfestes Fell liebkoste.

»Ist es ein Männchen oder ein Weibchen?« fragte sie diskret.

»Der Hund? Das ist ein Rüde.«

»Ist ’ne Hündin«, sagte Tom mit Entschiedenheit. »Hier haben Sie Ihr Geld. Kaufen Sie sich zehn andere dafür.«

Wir fuhren hinüber zur Fifth Avenue, wo es an diesem sommerlichen Sonntagnachmittag lind und warm war, geradezu ländlich. Es hätte mich nicht überrascht, wenn plötzlich eine große Herde weißer Lämmer um die Ecke gekommen wäre.

»Laßt halten«, sagte ich. »Ich muß mich hier verabschieden.«

»Nein, keinesfalls«, warf Tom rasch ein. »Myrtle nimmt es übel, wenn du nicht mit zu ihr kommst. Nicht wahr, Myrtle?«

»Kommen Sie schon«, drängte sie. »Ich ruf Catherine an, meine Schwester. Sie soll sehr schön sein, und das sagen Leute, die es wissen müssen.«

»An sich sehr gern, aber –«

Wir fuhren weiter, hinter dem Park hinüber zu den westlichen Hundertern. Bei der 158. Straße stoppte die Autodroschke an einer Scheibe eines langen Kuchens weißer Apartment-Häuser. Mrs. Wilson ließ wie jemand, der von einer Reise nach Hause kommt, ihren Blick prüfend über die Nachbarschaft gleiten, raffte ihren Hund und die übrigen Einkäufe zusammen und ging hocherhobenen Hauptes hinein.

»Ich werde die McKees heraufbitten«, verkündete sie, als wir im Lift standen. »Und, natürlich, auch meine Schwester werde ich anrufen.«

Die Wohnung war im obersten Stock – ein kleines Wohnzimmer, ein kleines Speisezimmer, ein kleines Schlafzimmer und ein Bad. Das Wohnzimmer war bis an die Türen vollgestellt mit einer Garnitur viel zu großer Polstermöbel mit Gobelinmuster, so daß man sich nicht im Raum bewegen konnte, ohne andauernd über Rokokoszenen mit schaukelnden Damen im Park von Versailles zu stolpern. Das einzige Bild war eine übermäßig vergrößerte Photographie, offenbar eine Henne auf einem beschmutzten Felsen sitzend. Aus einiger Entfernung betrachtet entpuppte sich indessen die Henne als ein Kapotthut, unter dem das Antlitz einer würdigen Matrone auf einen herniederblitzte. Auf dem Tisch lagen mehrere alte Nummern von ›Town Tattle‹, ein Exemplar des Buches ›Simon Called Peter‹ und einige der kleinen Skandalblättchen vom Broadway. Mrs. Wilsons erste Sorge galt dem Hund. Der nicht sehr dienstwillige Liftboy holte ein Kistchen mit Stroh und etwas Milch; dazu fügte er aus eigenem Antrieb eine Büchse mit großen, steinharten Hundekuchen, wovon einer den ganzen Nachmittag in der Untertasse mit Milch lag und sich apathisch auflöste. Inzwischen brachte Tom aus einem Schrank eine Flasche Whisky zum Vorschein.

Ich bin genau zweimal in meinem Leben betrunken gewesen, das zweite Mal an jenem Nachmittag. Daher verschwammen alle folgenden Ereignisse für mich in einem schattenhaften Dämmer, obwohl bis nach acht die strahlende Sonne zum Fenster hereinschien. Auf Toms Schoß sitzend, rief Mrs. Wilson verschiedene Leute an; dann waren keine Zigaretten da, und ich ging hinunter in den Eckladen welche holen. Als ich zurückkam, waren die beiden verschwunden. Also setzte ich mich diskret ins Wohnzimmer und las ein Kapitel aus ›Simon Called Peter‹ – entweder war es unverdauliches Zeug, oder der Whisky verzerrte die Dinge, denn ich konnte überhaupt keinen Sinn hineinbringen.

Gerade als Tom und Myrtle (nach dem ersten Glas nannten Mrs. Wilson und ich einander beim Vornamen) wiedererschienen, langten auch die Gäste in der Wohnung an.

Catherine, die Schwester, war eine schlanke, mondäne Dreißigerin mit einer festen und dicken roten Mähne über einem milchigweiß gepuderten Gesicht. Ihre Augenbrauen waren ausgezupft und dann in einem kühneren Winkel nachgezogen. Aber die Natur hatte sich mit Erfolg bemüht, die alte Kurve wiederherzustellen, wodurch ihr Gesicht etwas Verschmutztes bekam. Wenn sie sich bewegte, gab es ein unaufhörliches Geklingel von dem Auf und Ab der zahllosen Emailreifen, die sie an den Armen trug. Sie kam so hastig herein, als müsse sie nach dem Rechten sehen, und blickte sich mit solcher Besitzermiene im Zimmer um, daß mir der Gedanke kam, ob etwa sie da wohne. Als ich sie aber fragte, lachte sie unmäßig, wiederholte meine Frage laut und erklärte mir dann, sie wohne mit einer Freundin in einem Hotel.

Mr. McKee aus der unteren Etage war ein Mann von femininer Blässe. Ein kleiner Rest Seifenschaum auf seiner Wange deutete darauf hin, daß er sich soeben rasiert hatte. Er begrüßte alle Anwesenden äußerst ehrerbietig. Mich informierte er sogleich, daß er zum ›Künstlervolk‹ gehöre, und später ging mir auf, daß er ein Photograph war und die unscharfe Vergrößerung von Mrs. Wilsons Mutter verfertigt hatte, die gespenstisch von der Wand herablauerte. Seine Frau war laut und dumm, proper und unausstehlich. Sie erzählte mir stolz, ihr Mann habe sie seit ihrer Hochzeit hundertsiebenundzwanzigmal photographiert. Mrs. Wilson hatte sich umgezogen und trug jetzt ein anspruchsvolles Nachmittagskleid aus cremefarbenem Chiffon, mit dem sie sich unter ständigem Rascheln durchs Zimmer bewegte. Unter dem Einfluß dieses Gewandes hatte sich ihre ganze Persönlichkeit verändert. Ihre anfangs in der Garage so auffällige Vitalität war einer eindrucksvollen Grandezza gewichen. Ihr Lachen, ihre Gesten und Bemerkungen wurden mit jedem Augenblick heftiger und affektierter. Indem sie sich so entfaltete, schien der Raum um sie immer kleiner zu werden, bis sie sich schließlich wie auf einem lärmenden, kreischenden Karussell in der rauchgeschwängerten Luft bewegte.

»Meine Liebe«, wandte sie sich mit unnatürlich hoher Stimme an ihre Schwester, »diese Weiber beschwindeln einen hinten und vorn. Sie denken nur ans Geld. Vorige Woche hatte ich eine Frau hier wegen meiner Füße, und als sie mir die Rechnung gab, war’s, als hätte sie mir meinen Appendictus rausgenommen.«

»Wie hieß die Frau«, fragte Mrs. McKee. »Mrs. Eberhardt. Sie kommt ins Haus und macht den Leuten die Füße.«

»Ich finde Ihr Kleid wundervoll«, bemerkte Mrs. McKee, »ein Gedicht.«

Mrs. Wilson wehrte das Kompliment ab, indem sie verächtlich die Augenbrauen hochzog.

»Ein abgetragener alter Fetzen«, sagte sie. »Ich zieh’s nur manchmal über, wenn’s nicht so drauf ankommt.«

»Aber es steht Ihnen fabelhaft. Sie wissen schon, wie ich’s meine«, fuhr Mrs. McKee fort. »Wenn Chester Sie in dieser Pose – er könnte was draus machen.«

Alles schwieg und blickte auf Mrs. Wilson, die eine Haarsträhne über ihren Augen zurückstrich und unsere Blicke mit einem strahlenden Lächeln erwiderte. Mr. McKee betrachtete sie angespannt, legte den Kopf schief und bewegte dann vor dem Gesicht seine Hand langsam vor und zurück.

»Man müßte die Beleuchtung verändern«, sagte er nach einer Weile. »Ich würde gern die Gesichtszüge plastischer herausholen. Und ich würde versuchen, mehr von der Frisur zu bringen.«

»Nein, nicht das Licht verändern«, rief Mrs. McKee.

»Ich find’s gerade so –«

Ihr Gatte machte »Sst!«, und wir alle blickten wiederum auf das Objekt. Nur Tom Buchanan gähnte vernehmlich und stand auf.

»Ihr McKees, nehmt euch zu trinken!« sagte er. »Myrtle, laß noch Eis und Soda kommen, sonst schlafen unsere Gäste ganz ein.«

»Ich hab’s schon dem Boy gesagt.« Myrtle runzelte die Brauen voll Verzweiflung über die Bummelei des niederen Personals. »Diese Leute! Man muß ihnen den ganzen Tag draufsitzen.«

Sie blickte mich an und lachte sinnlos. Dann fiel sie mit exaltierten Küssen über den Hund her und rauschte hinaus in die Küche, als ob dort ein Dutzend Küchenchefs ihre Befehle erwarte.

»Ich hab draußen auf Long Island ein paar hübsche Sachen gemacht«, versicherte Mr. McKee.

Tom sah ihn verständnislos an.

»Zwei haben wir unten eingerahmt.«

»Was zwei?« fragte Tom.

»Zwei Studien. Die eine nenne ich ›Montauk Point – Die Möwen‹ und die andere ›Montauk Point – Das Meer‹.«

Die Schwester Catherine setzte sich zu mir auf die Couch.

»Wohnen Sie auch drüben auf Long Island?« wollte sie wissen.

»Ich wohne in West Egg.«

»So? Da war ich mal auf einer Gesellschaft, vor vier Wochen etwa. Im Haus von einem gewissen Gatsby. Kennen Sie den?«

»Ich wohne neben ihm.«

»So, man sagt, er wär’n Neffe oder ’n Verwandter von Kaiser Wilhelm. Daher das viele Geld.«

»Was Sie nicht sagen.«

Sie nickte.

»Ich graule mich vor ihm. Möchte nichts mit ihm zu tun haben.«

Diese erschöpfende Information über meinen Nachbarn wurde von Mrs. McKee unterbrochen, die plötzlich mit dem Finger auf Catherine zeigte:

»Chester, aber aus ihr könntest du was machen«, platzte sie los, doch Mr. McKee nickte nur gelangweilt und wandte sich ganz Tom zu.

»Ich möchte noch mehr auf Long Island arbeiten, wenn ich nur eine Einführung hätte. Ich brauche einen guten Start, weiter nichts.«

»Bitten Sie Myrtle«, sagte Tom und stieß ein kurzes Lachen aus, als Mrs. Wilson mit einem Tablett hereinkam.

»Sie wird Ihnen ein Empfehlungsschreiben geben, nicht wahr, Myrtle?«

»Was soll ich?« fragte sie erschreckt.

»Du wirst Mr. McKee einen Empfehlungsbrief an deinen Mann geben, dann kann er ’n paar Aufnahmen von ihm machen.« Einen Augenblick bewegte er stumm improvisierend die Lippen. »›George B. Wilson an der Gasolinpumpe‹ oder so ähnlich.«

Catherine beugte sich nah zu mir und flüsterte mir ins Ohr:

»Die beiden können ihre Ehehälften nicht ausstehen.« »Ach nein.«

»Nicht ausstehn.« Sie blickte erst auf Myrtle und dann auf Tom. »Ich sag immer, wozu weiter mit ihnen leben, wenn sie sie doch nicht ausstehn können? Wenn ich die wäre – Scheidung verlangen und auf der Stelle einander heiraten.«

»Liebt sie denn Wilson auch nicht?«

Die Antwort darauf war unerwartet. Sie kam von Myrtle, die meine Frage gehört hatte, und sie war obszön und beleidigend.

»Sehen Sie«, rief Catherine triumphierend. Dann senkte sie wieder die Stimme. »Nur seine Frau steht noch dazwischen. Sie ist katholisch, und die glauben nicht an Scheidung.«

Daisy war nicht katholisch. Es berührte mich peinlich, daß jemand so raffiniert lügen konnte.

»Wenn sie dann heiraten«, fuhr Catherine fort, »sollen sie für einige Zeit in den Westen, bis hier Gras drüber gewachsen ist.«

»Es wäre vielleicht taktvoller, nach Europa zu gehen.« »Oh, lieben Sie Europa?« rief sie unvermittelt aus, »ich bin eben aus Monte Carlo zurück.«

»So.«

»Gerade voriges Jahr. Ich war mit einer Freundin drüben.«

»Für länger?«

»Nein, nur nach Monte Carlo und zurück. Wir fuhren über Marseille. Als wir losfuhren, hatten wir über zwölfhundert Dollar, aber man hat uns in zwei Tagen alles abgeluchst, in den privaten Spielsälen. Die Rückreise war kein Vergnügen, kann ich Ihnen sagen. Gott, wie ich diese Stadt gehaßt habe!«

Für einen Augenblick stand der abendliche Himmel im Fenster wie der Azur des Mittelmeers – dann rief mich das schrille Organ von Mrs. McKee in die Wirklichkeit des Raumes zurück.

»Fast hätte ich auch eine Dummheit gemacht«, erklärte sie nachdrücklich. »Ich hätte beinah einen kleinen Ladenschwengel geheiratet, der jahrelang hinter mir her war. Ich wußte, daß er weit unter mir stand. Alle sagten’s mir immer wieder. ›Lucille‹, sagten sie, ›dieser Mann steht weit unter dir!‹ Aber er hätt’s geschafft, wenn ich nicht Chester getroffen hätte.«

»Ja, aber hören Sie«, sagte Myrtle Wilson, indem sie mehrmals heftig mit dem Kopf nickte, »schließlich haben Sie ihn nicht geheiratet.«

»Natürlich nicht.«

»Schön, aber ich«, sagte Myrtle bedeutungsvoll. »Und das ist der Unterschied zwischen Ihrem und meinem Fall.«

»Warum eigentlich, Myrtle?« verlangte Catherine zu wissen. »Kein Mensch hat dich gezwungen.«

Myrtle dachte nach.

»Ich habe ihn geheiratet, weil ich ihn für einen Gentleman hielt«, sagte sie dann. »Ich dachte, er wüßte, was man einer Frau schuldig ist. Aber er taugte nicht mal, mir die Schuhsohlen zu lecken.«

»Eine Zeitlang warst du ganz verrückt nach ihm«, sagte Catherine.

»Ich? Verrückt nach ihm?« rief Myrtle ungläubig. »Wer sagt das? Ich war nicht verrückter nach ihm als nach – dem da.«

Sie zeigte plötzlich auf mich, und alle sahen mich strafend an. Ich versuchte eine Miene aufzusetzen, als hätte ich das auch nicht im mindesten erwartet.

»Ich war nur einmal verrückt – nämlich als ich ihn heiratete. Ich wußte gleich, daß es ein Fehler war. Er borgte sich für die Hochzeit bei irgend jemand einen guten Anzug, ohne mir ein Wörtchen zu sagen, und eines Tages, als er nicht da war, kam der Mann deswegen. ›Oh, der Anzug gehört Ihnen?‹ sagte ich. ›Das ist das erste, was ich höre.‹ Aber ich gab ihn ihm, und dann legte ich mich hin und heulte den ganzen Nachmittag wie ein Schloßhund.«

»Sie sollte wirklich weg von ihm«, wandte sich Catherine wieder an mich. »Nun hausen sie schon elf Jahre über der Garage. Und Tom ist ihr erster Liebhaber.«

Die Whiskyflasche – die zweite – machte nun unausgesetzt bei allen die Runde, außer Catherine, ›die ebensogut ohne etwas auskam‹. Tom klingelte nach dem Portier und schickte ihn nach irgendwelchen berühmten Sandwiches, mit denen man ein ganzes Abendessen bestreiten konnte. Ich strebte hinaus in die laue Dämmerung und wollte einen Spaziergang zum Park machen, aber jedesmal, wenn ich aufzubrechen versuchte, wurde ich in irgendeine wilde und laute Diskussion verwickelt und sank wie von Stricken gehalten wieder in meinen Sessel zurück. Dennoch – für einen zufälligen Beobachter irgendwo in den Straßen mußte unsere gelb erleuchtete Fensterfron einen kleinen Ausschnitt menschlichen Privatlebens bedeuten. Ich sah ihn, wie er hinaufblickte und sich verwunderte. Ich befand mich sozusagen drinnen und auch draußen, war zugleich bezaubert und abgestoßen von der unerschöpflichen Vielgestaltigkeit des Lebens.

Myrtle rückte mit ihrem Sessel zu mir hin, und plötzlich mußte ich in einem warmen Atemstrom die Geschichte ihrer ersten Begegnung mit Tom über mich ergehen lassen.

»Es war auf den beiden Notsitzen einander gegenüber, die immer als letzte im Zug noch frei sind. Ich fuhr nach New York zu meiner Schwester und wollte über Nacht bleiben. Er war in Smoking und Lackschuhen; ich mußte ihn immerzu ansehen, aber jedesmal, wenn er meinen Blick erwiderte, mußte ich so tun, als interessiere mich nur das Reklameplakat über seinem Kopf. Auf dem Bahnhof war er unmittelbar neben mir; seine weiße Hemdbrust drückte sich gegen meinen Arm. Deshalb drohte ich ihm mit der Polizei, aber er wußte gleich, daß ich ihm was vormachte. Als ich mit ihm in ein Taxi stieg, war ich so aufgeregt – mir kam überhaupt nicht zum Bewußtsein, daß ich nicht in meine U-Bahn gestiegen war. Nur eins ging mir wieder und wieder durch den Kopf: ›Man lebt nur einmal, man lebt nur einmal.‹«

Sie wandte sich an Mrs. McKee, und schon hallte der Raum von ihrem affektierten Lachen wider.

»Aber meine Liebe«, rief sie, »ich schenk Ihnen das Kleid, sobald es erledigt ist. Ich muß mir sowieso morgen ein neues kaufen. Ich muß mir überhaupt eine Liste machen, was ich alles brauche – Massage, Dauerwelle, ein Halsband für den Hund, dann so einen niedlichen kleinen Aschbecher mit Springbrunnen und einen Kranz mit schwarzer Schleife für Mutters Grab, der hält den ganzen Sommer über. Ich muß mir wirklich alles aufschreiben, sonst vergeß ich die Hälfte.«

Es war jetzt neun Uhr – und fast unmittelbar danach blickte ich wieder auf meine Uhr und sah, daß es zehn war. Mr. McKee war mit geballten Fäusten im Schoß in einem Sessel eingeschlafen und bot wahrhaft das Bild eines Mannes der Tat. Ich nahm mein Taschentuch und wischte das Fleckchen getrockneten Seifenschaums von seiner Wange, das mich schon den ganzen Nachmittag geärgert hatte.

Das Hündchen saß auf dem Tisch, blickte mit halberblindeten Augen durch den Zigarettennebel und gab hin und wieder ein schwaches Knurren von sich. Leute verschwanden, kamen wieder und machten Pläne, irgendwohin aufzubrechen; dann verloren sie einander aus den Augen und suchten sich, um sich kaum einen Schritt entfernt wiederzufinden. Irgendwann gegen Mitternacht standen Tom Buchanan und Mrs. Wilson hart einander gegenüber und diskutierten in leidenschaftlich erregtem Ton, ob Mrs. Wilson das Recht habe, Daisys Namen zu erwähnen.

»Daisy! Daisy! Daisy!« brüllte Mrs. Wilson. »Ich sag’s, wenn es mir paßt! Daisy! Dai –«

Tom Buchanan machte eine kurze zielsichere Bewegung mit der flachen Hand und brach ihr das Nasenbein.

Dann waren auf einmal lauter blutige Handtücher im Badezimmer verstreut, keifende Weiberstimmen und – hoch über dem konfusen Lärm – ein anhaltendes ersticktes Schmerzgewimmer. Mr. McKee wachte aus seinem Schlummer auf und rannte entsetzt zur Tür. Jedoch auf halbem Wege machte er kehrt und starrte entgeistert auf die Szene – seine Frau und Catherine, schimpfend und tröstend, stolperten mit allem möglichen für Erste Hilfe in Händen zwischen den dichtgedrängten Möbeln umher, und auf der Couch die bejammernswerte Gestalt, die unter ständigen Blutströmen versuchte, eine Nummer von ›Town Tattle‹ zum Schutz der Szenen aus Versailles auf dem Polster auszubreiten. Dann wandte Mr. McKee den Rücken und schritt weiter zur Tür hinaus. Ich nahm meinen Hut vom Wandleuchter und folgte ihm.

»Kommen Sie mal zum Mittagessen«, schlug er vor, als wir im Aufzug hinuntersummten.

»Wohin?«

»Wo Sie wollen.«

»Nehmen Sie Ihre Hände vom Hebel«, sagte der Liftboy scharf.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Mr. McKee würdevoll, »ich wußte nicht, daß ich da angefaßt hatte.« »Abgemacht«, sagte ich, »wird mir ein Vergnügen sein.« … Ich stand an seinem Bett, und er saß aufrecht in den

Kissen, in Unterhosen und mit einer großen Photomappe in Händen.

»Schönheit und Bestie … Einsamkeit … Alter Karrengaul … Brook’n Bridge …«

Später fand ich mich halb schlafend auf dem kalten unteren Bahnsteig von Pennsylvania Station, mit stierem Blick auf die Morgenausgabe der ›Tribune‹, und wartete auf den Zug um vier Uhr früh.

Der große Gatsby

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