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Warum ich dieses Buch
gerade so geschrieben habe
ОглавлениеIch komme gerne abends nach Hause. Sehr gerne sogar. Nach einem langen Arbeitstag. Der Körper ist matt. Der Geist hat sich wund kommuniziert. Die Seele hängt noch halb auf der Autobahn. Und die Aussicht auf ein süffiges Glas Rotwein in meinem Ohrensessel erscheint mir wie ein Vorgeschmack auf das Paradies.
Doch dann steht meine Frau in der Tür. Wie ein übereifriger Feldwebel. Nicht etwa bösartig. Oder gar mit Nudelholz. O nein. Sie sieht wundervoll aus. In ihrem ausgeleierten Labber-Shirt. Liebenswert und attraktiv. Und ihre Absichten sind ganz rein. Sie möchte mir nur – verantwortungsbewusst, wie sie ist – so etwas wie einen knappen Überblick über das Tagesgeschehen geben … und meine sich daraus ergebenden Pflichten sanft andeuten. Meist klingt das dann ungefähr so:
Hallo! Gut, dass du endlich da bist! Wurde auch Zeit. Die Heizung gluckert seit heute Mittag so komisch. Schau doch bitte mal nach. Im Bad wird es gar nicht mehr warm. Ach ja, deine Mutter war auf dem Anrufbeantworter, sie wartet auf einen Rückruf. Was ganz Dringendes.
Unser Sohn hat vorhin einen riesigen Spiderman aus Pappmaschee und Fango gebastelt, den du dir unbedingt angucken musst. Na, vielleicht soll das Schlamm-Ding auch Dumbledore darstellen. Irgend so ein Fantasy-Wesen eben. Ja, er wartet im Garten auf dich.
Dieses hemmungslose Schluchzen ist übrigens unsere Tochter. Sie versteht Mathe nicht und heult seit über einer Stunde rum. Na, ich versteh’s auch nicht. Kümmer du dich bitte. Ihr müsst nur noch die Aufgaben 2 bis 49 machen. Das sollte in knapp einer Stunde erledigt sein. Morgen schreibt sie außerdem eine Arbeit in Biologie. Wiederhole doch bitte mit ihr noch mal alle Grundarten der Quastenflosser und das Paarungsverhalten schlesischer Frettchen.
Ist das Brot, das du mitbringen solltest, in der Tasche? Sag ja nicht, dass du es vergessen hast.
Warte. Richtig, da war noch was: Dein Kollege braucht dringend eine Kopie des Vertragsentwurfs mit Hamburg. Ganz dringend sogar. Na, er sagt: Bis Mitternacht reicht.
Da fällt mir ein: Du bist doch heute dran mit Geschirrspülmaschine ausräumen. Und mit Treppe fegen. Von dem Elektronikschrott, der seit vier Wochen zum Bauhof soll, ganz zu schweigen.
Außerdem fragt Alex, ob du heute Abend mit ihm in den neuen „Hobbit“-Film oder in „Stirb langsam 14“ gehen willst. Na, ich glaube ja nicht, dass das gut für dich wäre.
Sag mal, ist dir eigentlich bewusst, dass du in letzter Zeit gar nicht mehr so oft joggen warst? Ich finde, man sieht’s auch. Da an den Hüften – und hier im Gesicht.
Was noch? Genau! Hast du, wie besprochen, das Hotel für die Herbstferien gebucht? Da waren ja nur noch sehr wenige Zimmer frei. Und ich will auf jeden Fall Blick zum Meer. Auf jeden Fall!
Außerdem bricht der Kaninchenstall auseinander. Nicht, dass unser Hoppelchen ausbüxt. Mich würd’s ja freuen, aber die Kinder wären untröstlich.
Nicht zu vergessen: Der Steuerberater braucht kurzfristig eine umfangreiche Rückmeldung über deine unfassbaren Nebenverdienste als Autor von Männer-Büchern.
Die Nachbarn wollen jetzt doch klagen, wenn unsere Äpfel weiter in ihre Einfahrt plumpsen. Wurde ziemlich laut heute.
Davon mal abgesehen: Es wäre doch total schön, wenn wir zwei mal wieder einen Abend ganz für uns hätten.
Manchmal nimmt mich meine Frau dann noch zärtlich in den Arm, streichelt mir einmal beruhigend über die Wange und flüstert mir ins Ohr: Du siehst müde aus, mein Schatz. Sehr sogar. Du solltest dringend etwas entspannen. Aber bitte erst, wenn du die ganzen Sachen erledigt hast.
Und dann kommt er, der schneidende, der einzigartige Satz, der wie ein Damoklesschwert über fast der Hälfte der Menschheit hängt: Sei ein Mann!
O ja, das wäre ich gerne. Wenn ich nur endlich wüsste, wie. Wie geht das? Ich sage mal so: Wenn ich meiner Frau glauben soll, dann hat Mann-Sein etwas damit zu tun, dass ich all die Rollen ausfülle, in denen sie mich braucht. Und in denen die Welt mich braucht. Und in denen mich die Gesellschaft Europas so gerne erfolgreich sehen möchte.
Denn: Ist euch das aufgefallen? Innerhalb der zwei Minuten, die der allabendliche Rapport meiner Frau im Schnitt dauert, spricht sie rund 10 bis 12 unterschiedliche Profile an, 10 bis 12 männliche Bewährungsfelder, rund ein Dutzend Herausforderungen, denen ich mich zu stellen habe. Ja, schon bei einem einzigen Nach-Hause-Kommen, wie ich es eben beschrieben habe, wird mir ein ganzes Panoptikum an Typen vorgesetzt, in die ich hineinschlüpfen und deren Zuständigkeiten ich – bitte schön – erledigen darf. Vom Reparateur über den Erzieher. Vom Laufburschen bis zum Organisator. Und vom Kulturfreak bis zum Haushaltsgehilfen. Letztlich bis zum „Retter der Menschheit“. Und weil in jedem lässigen Mann von Anbeginn der Welt ohnehin der Wunsch steckt, der „Retter der Menschheit“ zu sein, reiben wir uns darin auf, jede dieser Rollen bis zur Perfektion auszufüllen und zu vollenden.
Um es gleich zu Beginn zu sagen: Grundsätzlich habe ich da gar nichts dagegen. Ja, ich merke, dass ich das sogar möchte. Ich möchte gerne den vielfältigen Aufgaben und Anforderungen gerecht werden und Vater, Sohn, Kollege, Freund, Ehemann, Sportler, Glaubender und was weiß ich noch alles sein. Es ist eine unvorstellbare Bandbreite an Wesenszügen, die ich nicht missen möchte – und die das Leben bunt und abwechslungsreich macht. Aber es ist eben auch überaus anstrengend. Zeitraubend, nervenaufreibend und manchmal ziemlich frustrierend.
Deswegen gestehe ich hier offen: Bisweilen schaue ich doch ein wenig neidisch auf meinen Großonkel Hellwig, der sein Leben lang zu Hause keinen Finger krumm gemacht und alles, wirklich alles meiner Großtante Roswitha überlassen hat. Bis heute unvorstellbar, dass Hellwig sich etwa selbst ein Wurstbrot schmiert, ein kühles Bier aus dem Getränkekeller holt, den Rasen mäht oder eine Glühbirne wechselt. Er wüsste wahrscheinlich gar nicht mehr, wie das geht. Wenn er es denn überhaupt je wusste. Sein reizendes Lebensmotto lautet: „Ich hab die Knete heimgebracht, dafür soll Rosi es mir schön machen. Und zwar dalli.“
Ich habe meiner Frau dieses bewährte, traditionsreiche und klar strukturierte Beziehungsmodell mal mit einer brillanten Power-Point-Präsentation vorgestellt. Aber sie wollte nicht. So überhaupt gar nicht! Ja, sie war nicht mal bereit, wenigstens darüber nachzudenken. Sehr schade. Andererseits: Wenn ich Hellwig da so bräsig sitzen sehe, wie er seine „Haussklavin“ scheucht … nee, das ist es dann wohl auch nicht. Obwohl …
Dass das klassische Männerbild in den letzten Jahrzehnten einen umfassenden Wandel erlebt hat und Frauen zu Recht aus dem überlieferten Käfig patriarchaler Strukturen ausgebrochen sind, ist einerseits ein Segen, es stellt uns gebeutelte Männer der Neuzeit aber vor einige Problemchen, die es früher einfach nicht gab: In den erstaunlichen Epochen, in denen nur die Frauen für die Kindererziehung, den Haushalt, die Versorgung der Eltern und die Gestaltung der Kontakte zuständig waren, galt das Territorium der Männer als klarer abgesteckt und vor allem als eindeutig definiert. Mann wusste, was man zu tun hat. Heute ist – so zumindest mein Eindruck – die Bandbreite wesentlich größer. Und das hat klar erkennbare Konsequenzen.
Vor allem findet sich der Mann des 21. Jahrhunderts eben in einer (ziemlich unschönen) Zerrissenheit wieder. Von allen Seiten zerrt und reißt es an ihm. Perfekt soll und will er ja – wie gesagt – nicht nur in einer Rolle sein, sondern, bitte schön, in jeder. Und da sind wir mittendrin im Dilemma. Denn: Wie ich es auch mache, ist es falsch. Kümmere ich mich intensiv darum, im Beruf erfolgreich zu arbeiten, dann vernachlässige ich meist unweigerlich die Kinder. Treibe ich zu viel Sport am Wochenende, dann habe ich keine Zeit, mit meiner Frau essen zu gehen. Sorge ich dafür, dass im Garten alles tipptopp ist, dann leiden meine Freundschaften darunter. Und übernehme ich im Haushalt voller Hingabe immer mehr Aufgaben, dann schauen mich meine Kollegen bald ziemlich mitleidig an.
Es scheint fast, als käme man aus dem ungnädigen Sog der vielfältigen und miteinander konkurrierenden Rollen gar nicht mehr raus. Als könne man nie alle so vollkommen erfüllen, dass man in dem Gesamtkonzept Zufriedenheit findet. Mann-Sein wird deshalb immer mehr zu einer wahren Sisyphos-Aufgabe.
Außerdem führt die Zerrissenheit gleichzeitig dazu, dass man im Normalfall ja vor lauter Trubel gar nicht genügend Zeit hat, den einzelnen Herausforderungen seines Mann-Seins mal etwas konzentrierter und intensiver auf den Grund zu gehen. Die divergierenden Rollen in Ruhe etwas genauer zu betrachten. Nun: Genau das möchte ich in diesem Buch gerne machen, das heißt, in die einzelnen Betätigungs- und Identifikationsfelder des Mannes eintauchen, sodass wir als Männer eine reale Chance haben, mit ihnen produktiv umzugehen und sie bewusst zu gestalten.
Denn natürlich muss ich diese Rollen in meinem Leben – und wahrscheinlich auch in verschiedenen Lebensphasen – immer gewichten. Ich muss entscheiden, wie viel Raum ich einem bestimmten Zug meines Mann-Seins geben kann, darf und möchte. Und ich muss ernsthaft prüfen, was mir an welcher männlichen Rolle wie wichtig ist. Zu einem solchen Entscheidungsprozess gehört aber, dass ich die Potentiale und Risiken jeder Rolle auch kenne. Je konkreter ich sie mir vor Augen führe, desto aktiver werde ich sie ausfüllen können. Garantiert.
Ich bin der festen Überzeugung: Es ist eine höchst komplexe Herausforderung, dem eigenen Mann-Sein auf die Schliche zu kommen und in dem Wirrwarr der zahllosen Rollen endlich einmal eine überschaubare Grundordnung herzustellen. Ja, das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – „was für Männer“. Vor allem aber ist es eine bewegende Angelegenheit, für die wir möglichst viele Gedankenanstöße, Inspirationen, Bilder und Ideen brauchen. Es gibt einfach zu wenige Orientierungspunkte, die uns helfen, uns im unübersichtlichen Labyrinth der Geschlechter dauerhaft zurechtzufinden.
Das – nicht weniger, aber auch nicht mehr – will dieses Buch leisten. Es ist kein Ratgeber, kein Selbsthilfebuch, kein Nachschlagewerk und auch kein umfassendes Kompendium maskuliner Verhaltensmuster. Ich bin ja kein Psychologe. Ich möchte mit diesen kleinen „Ausflügen“ in die Niederungen männlicher Handlungsfelder einfach Lust machen, die Buntheit der Rollen im Dasein eines Mannes klarer und selbstbewusster wahrzunehmen. Und zwar so, dass wir Mannsbilder etwas gelassener daran gehen können, uns als Männer wohlzufühlen. Fröhlich, entspannt und … ja, mannhaft.
Trotzdem ist der Umgang mit den verschiedenen Männer-Rollen mehr als nur ein heiteres Gedankenspiel. Viel mehr sogar. Denn die Gestaltung und die Gewichtung solcher Rollen in einem Persönlichkeitsprofil haben ja ganz schnell existenzielle Folgen. So treffe ich zum Beispiel immer öfter auf Männer, die ernsthaft glauben, sie könnten das Glück ihres Lebens dadurch finden, dass sie kurzerhand eine bestimmte Rolle in ihrem Dasein austauschen. Sei es, dass sie einen neuen Job anfangen, sich eine neue Frau suchen oder einem neuen Hobby frönen. Die Hoffnung dahinter klingt dann so: „Wenn ich in einer Rolle meines Lebens einen radikalen Wechsel gestalte, dann wird sich der Rest schon fügen. Dann wird alles gut.“ Was sich meist sehr bald als Irrtum herausstellt. Oftmals sogar als ziemlich fataler.
Ich werde doch kein neuer Mann, wenn ich die Koordinaten einer einzelnen Rolle verändere. Mag uns das in Midlife-Crisis-Momenten oder an persönlichen Tiefpunkten auch gelegentlich sehr attraktiv erscheinen. Ja, bisweilen haben wir den Eindruck, dass just in dieser oder jener Rolle, die wir ausfüllen sollen, so der Wurm drin ist, dass wir einen Kahlschlag anstreben sollten. Und mancher macht das dann auch. Aber: Wirkliche Lebensveränderungen sind nur da möglich, wo ich das Gesamtsystem meiner Rollen kenne und mich mit meiner kompletten Persönlichkeit auf einen Umgestaltungsprozess einlasse. Diesem Gesamtsystem möchte ich ein wenig nachspüren, indem ich heiter die einzelnen Komponenten durchstöbere und nach den verbindenden Elementen forsche.
Nehmt dieses Buch deshalb einfach als einen fröhlichen Wegbegleiter, der einlädt, immer wieder mal innezuhalten, in dieser oder jener Rolle eine individuelle Standortbestimmung vorzunehmen und – möglicherweise – auch das eigene Wertesystem infrage zu stellen. Das kann zwar gelegentlich bedeuten, dass man Unbequemes aushalten muss – aber Bequemlichkeit hat meines Wissens noch keinen Menschen einen einzigen Schritt vorangebracht. Und wenn wir als Männer wissen, was wir wollen und warum wir so sind, wie wir sind, dann ist intensive Selbsterforschung sicher der beste Weg einer zukunftsweisenden Emanzipation.
Weil ich die Suche nach dem „Super, Mann!“ nicht einfach als Abhandlung oder als Konzept oder als allgemeingültige Darstellung gestalten wollte, bin ich auf die Idee mit den Briefen gekommen. Briefe sind ein wunderbares Medium. Anregend. Persönlich. Und vertraulich. Nun: Dieses Buch besteht aus Briefen, die ich Euch … oder mir … oder den vielen Rollen in mir und meinen Freunden schon immer mal schreiben wollte. Das hat einen persönlichen und ungezwungenen Charakter. Und lässt sich sicher auch entspannter und anregender lesen als eine theoretische Darstellung.
Ich schreibe diese Briefe quasi als ein Freund, der sich mal auf den einen, mal auf den anderen Zug der männlichen Persönlichkeit konzentriert und dadurch mit ihnen ins Gespräch (oder ins Plaudern) kommt. Der freundschaftliche Zugang ist auch deshalb wichtig, weil ich mich all den unterschiedlichen Anforderungen an das Mann-Sein ja sehr verbunden fühle. Es wäre tragisch, wenn ich eine Facette meines Seins hassen oder verachten würde. Nein, ich mag sie erst einmal. Aber ein guter Freund darf eben auch mal nachhaken, den Finger in eine Wunde legen oder auf Fehlentwicklungen hinweisen. Und dann kommen in der Regel äußerst hilfreiche Prozesse in Gang.
So, und jetzt geht es los …