Читать книгу Atlan 801: Die Zeitschule von Rhuf - Falk-Ingo Klee - Страница 4

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Mit unfassbarer Geschwindigkeit raste die STERNSCHNUPPE durch den Linearraum auf ein Ziel zu, das ein Unbekannter genannt hatte. Bekannt waren nur die Koordinaten und dass es sich in Manam-Turu befand, aber Angaben über das, was die kleine Mannschaft dort vorfinden würde, gab es nicht. Was hatte den sonst so besonnenen Arkoniden veranlasst, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen und Hals über Kopf den Kurs zu ändern?

Dass Atlan dem vagen Hinweis überhaupt gefolgt war, hing mit einem Ereignis in der Vergangenheit zusammen, das eintausendvierhundertvierzehn Jahre zurücklag.

Damals, im Jahre 2406, hatte er Seite an Seite mit den Terranern und ihren Verbündeten, den Posbis und den Maahks, in Andromeda gegen die Meister der Insel gekämpft. Auf dem Weg zur Superfestung Tamanium der MdI und dem dort agierenden Faktor II namens Trinar Molat war er Tengri Lethos begegnet.

Auf dieses Ereignis und besonders auf den Hüter des Lichts hatte der geheimnisvolle Verfasser hingewiesen und sich sinngemäß als dessen Verwandten bezeichnet. Das ließ nur den Schluss zu, dass es sich bei dem Absender der Nachricht ebenfalls um einen Hathor handeln musste.

Würde er sich zeigen, konnte seine Identität in Erfahrung gebracht werden? Was erwartete sie an Ort und Stelle?

*

Das Bordchronometer zeigte den 2. September 3820, 12 Uhr 11.19 an, als der Diskus in den Einsteinraum zurückfiel und abbremste. Atlan, Anima und Chipol hatten sich in der Zentrale versammelt und warteten gespannt darauf, was das Schiff ermittelte.

Die ersten Bilder kamen herein. Auf dem Schirm erschien die rechnergestützte Abbildung einer großen roten Sonne, die von fünfzehn verschiedenen Trabanten umkreist wurde. Einer Einblendung war zu entnehmen, dass das System im Nordsektor der Galaxis in den Kartentanks nicht verzeichnet war. Das war allerdings nicht weiter tragisch, denn schon flimmerten die ersten Messergebnisse über die Displays.

»Ich messe Peilsignale vom vierten Planeten an«, meldete die STERNSCHNUPPE, ohne den Datenfluss zu unterbrechen. »Daher schlage ich vor, dass wir uns darauf konzentrieren.«

»Einverstanden«, stimmte der Aktivatorträger zu. »Nimm Kurs auf Nummer 4.«

Der Raumer reagierte sofort und nahm Fahrt auf. In fast rechtem Winkel zur Ekliptik drang er in das Gravitationsgefüge des Systems ein und vollführte ein Manöver, das ihn an der Bahn der elften und der siebten Welt vorbeiführte. Die ununterbrochen arbeitenden Taster registrierten weder Energieechos noch ungewöhnliche Massekonzentrationen im Raum oder in Planetennähe.

»Welcher Art sind die Signale, die du auffängst?«, erkundigte sich der Daila.

»Es sind Hyperfunkzeichen ohne besondere Charakteristika«, antwortete die STERNSCHNUPPE bereitwillig. »Die Impulse sind unmodifiziert und ohne Kennungskode, werden allerdings auf einer Frequenz ausgestrahlt, die häufig von hyperphysikalischen Effekten überlagert wird und daher ziemlich ungebräuchlich ist. Der Sender arbeitet automatisch, ist jedoch so schwach, dass seine Reichweite nicht einmal eine Lichtwoche beträgt.«

Chipol gab sich damit zufrieden, doch Atlan dachte sich seinen Teil. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass jemand zufällig die Peilzeichen hereinbekam – selbst wenn es ihn in diesen Bereich verschlug. Und auch dann, wenn er die Funksignale empfing, wirkten sie – da unverschlüsselt – eher gewöhnlich. Das war nicht der Notruf eines havarierten Schiffes, sondern allenfalls die Abstrahlung einer abgestürzten Robotsonde, und wer interessierte sich schon für einen Haufen Schrott? Was so schlicht aussah, war fast genial und verriet intelligente Planung.

In der Tat, bestätigte der Logiksektor. Ich hätte es nicht besser arrangieren können, um nur Befugte aufmerksam zu machen. Wer hier vorbeifliegt, bekommt nichts mit, und wer etwas mitbekommt, hält es für unwichtig. Außer dir, denn du erwartest etwas.

Der Arkonide stimmte gedanklich zu und widmete seine Aufmerksamkeit dem Bildschirm, auf dem sich der vierte Trabant abzeichnete. Noch war er eine bunte Kugel, beherrscht von den Farben blau, weiß und grün, aber schon jetzt waren dicke Eiskappen auf den Polen und eine starke Achsneigung zu erkennen. Das deutete auf ausgeprägte Jahreszeiten hin.

Gleich darauf lieferte auch die Fernmessung erste Auswertungen: Äquatordurchmesser 14.300 km, 1,16 g, Eigenrotationszeit 21,7 h, gute Sauerstoffatmosphäre. Anzeichen für Zivilisationen fehlten.

Dann wurden Details sichtbar. Ein dichter grüner Gürtel spannte sich wie eine Leibbinde um den größten Breitenkreis. Nördlich und südlich davon ging der undurchdringliche Dschungel in lichte Wälder über. Ihnen folgten eintönige Steppen, die bis zu den mächtigen Gebirgen reichten. Die steinernen Riesen waren vergletschert und mit Firnschnee bedeckt. Gleich trutzigen Wällen aus Fels und Eis ragten sie empor, schier unüberwindlich, ewige Wächter der gewaltigen Polkappen, die im Dauerfrost erstarrt waren.

Sonderlich warm ums Herz wurde es keinem der drei Passagiere beim Anblick des Planeten, obwohl in Äquatornähe tropisches Klima herrschte. Gewitter wühlten mit ihren Blitzen die Lufthülle auf, Wirbelstürme tobten über das Land und rissen breite Schneisen in die Vegetation, dort, wo das Gebiet ohnehin lebensfeindlich war, fegten Blizzards über die kahlen Ebenen.

»Sehr einladend sieht das nicht gerade aus«, brummte Chipol. »Für eine Begegnung hätte ich einen anderen Ort gewählt.«

»Liebende sicherlich auch, doch ein Rendezvous hat uns der Unbekannte ja nicht versprochen.« Anima lächelte versonnen. »Als Altersruhesitz kann ich mir den Planeten zwar nicht vorstellen, aber wir müssen da auch nicht leben.«

»Andere Intelligenzen mussten es, und sie haben es getan – jedenfalls gibt es deutliche Hinweise darauf, dass der Globus früher einmal besiedelt war«, warf Atlan ein.

Ohne besondere Anweisung war die STERNSCHNUPPE mittlerweile in einen Orbit eingeschwenkt. Dabei hatten ihre Objektive verschiedene Bauten erfasst, die sie nun in starker Vergrößerung wiedergab. Verwundert betrachteten die Gefährten des Arkoniden die Gebilde.

Es handelte sich ausschließlich um Pyramiden, wie sie die Ägypter zur Zeit des Cheops errichtet hatten. Zwar waren sie nur halb so groß wie die alten Grabdenkmäler auf Terra, dennoch überragten sie die Baumriesen des Urwalds noch um einige Meter. Obwohl sie ziemlich weit auseinander lagen, was auf eine spärliche Bevölkerung und eine sehr dünne Besiedlung hinwies, hatten alle Bauwerke die gleiche Form. Gemeinsam war ihnen auch, dass sie sich in einem desolaten Zustand befanden und ziemlich verfallen waren. Wo die Erbauer geblieben waren, vermochte der Diskus nicht zu sagen, war sich allerdings sicher in seiner Bewertung, dass es auf dem vierten Planeten kein intelligentes Leben mehr gab.

»Die Ortungsergebnisse sind negativ«, fasste das Schiff zusammen. »Bedrohliches konnte nicht festgestellt werden. Als Ausgangspunkt der Peilsignale habe ich eine Pyramide lokalisiert.«

Das reale Bild auf dem Schirm verschwand und machte einer Reliefkarte Platz, das die Bordpositronik mit einem Koordinatennetz unterlegte. Ein Leuchtsignal markierte den Standort des Bauwerks, ein roter Lichtpunkt zeigte die jeweilige Position des Raumers an.

»Wir sehen uns dort unten mal um«, bestimmte Atlan.

Seine Entscheidung fand die Zustimmung der beiden anderen, zumal ihre Neugier geweckt war und dem Diskus und damit auch ihnen keine Gefahr drohte.

Der Antrieb summte kaum vernehmbar, als die STERNSCHNUPPE die Umlaufbahn verließ und das genannte Ziel auf dem Planeten ansteuerte. Niemand spürte den Kontakt mit der Atmosphäre, und auch als die STERNSCHNUPPE die von Turbulenzen erfüllten Luftschichten erreichte, sank sie so ruhig der Oberfläche entgegen, als wäre es völlig windstill. Das Schiff hatte eben auch in dieser Hinsicht seine Qualitäten.

*

Der Diskus war direkt neben dem Bauwerk niedergegangen. Noch kurz vor dem Aufsetzen hatte die Feinpeilung ergeben, dass sich der Sender unter der Pyramide befinden musste.

Chipol war ganz kribbelig und wollte sofort zum Ausstieg eilen, doch der Arkonide hielt ihn zurück.

»Nicht so schnell, mein Junge. Ohne Schutzanzüge und Flugaggregate gehen wir nicht von Bord.«

»Ausrüstung ist nur Ballast«, widersprach der Daila. »Du hast doch gehört, dass wir ungefährdet sind.«

»Natürlich, doch das sagt wenig über unsere Erfolgsaussichten aus.« Atlan lächelte nachsichtig. »Willst du die Pyramide erklimmen, wenn sich zeigen sollte, dass man nur von oben hineingelangt? Oder hast du vor, mit den Händen zu graben, um zum Sender vorzudringen?«

»Du hast gewonnen.«

Ohne zu murren, zwängte sich Chipol in eine Kombination, Anima und der Aktivatorträger ebenfalls. Mit einer aufreizenden Bewegung strich die junge Frau ihr schulterlanges schwarzes Haar zurück, verstaute einen Strahler in einer Anzugtasche und blickte den Arkoniden herausfordernd an.

»Fertig?«

»Ich bin bereit«, bestätigte Atlan.

»Dann los!«

Gemeinsam verließen die drei den Raum und marschierten zur Schleuse am unteren Pol. Ein Atmosphärenaustausch erübrigte sich, und da das Schiff die Rampe bereits ausgefahren hatte, gelangten sie ohne Verzögerung ins Freie.

Die STERNSCHNUPPE war in einem Windbruch gelandet, ihre acht Stützen hatten sich tief in den Untergrund gebohrt. Überall lagen vermodernde Stämme herum, teils übereinander, teils verborgen unter üppig wuchernden Gehölzen und schon mannshohen jungen Bäumen, die mit tropischen Gewächsen und Schlingpflanzen um Licht und Nahrung wetteiferten. Wie in jedem Urwald gab es auch hier nur eine dünne Humusschicht, die wirklich nährstoffreich war.

Unbarmherzig brannte die Sonne vom Himmel herab. Die Regenwolken hatten sich verzogen, nur in der Ferne blitzte und grummelte es noch. Von den Blättern tropfte das Wasser, die nasse Erde dampfte regelrecht. Es roch nach Kompost und verfaultem Laub, irgendwo keckerten Tiere in den Zweigen, der klagende Ruf eines Vogels war zu hören.

Ein wenig skeptisch betrachteten die Expeditionsteilnehmer die Pyramide. Sie bestand aus Felsblöcken, wirkte jedoch nicht sonderlich vertrauenerweckend. Die Steine zeigten deutliche Spuren von Verwitterung, hatten sich teilweise aus ihrer Verankerung gelöst oder waren herausgerissen worden. Genau besehen war das Bauwerk eine Ruine, auf der sich Pflanzen angesiedelt hatten, deren Wurzeln das Zerstörungswerk noch schneller vorantrieben, als es Wind und Wetter konnten.

»Ein Experte für Statik scheint der Unbekannte nicht zu sein.« Der Daila wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Anstatt einen Sender unter dem Gemäuer zu vergraben, hätte er lieber ein Schild anbringen sollen mit der Aufschrift ›Betreten wegen Einsturzgefahr verboten‹.«

»Nun übertreibst du aber schamlos«, sagte Anima erheitert. »Das Gebäude ist zwar ziemlich verfallen, aber es wird nicht gleich zusammenbrechen und uns erschlagen.«

»Der Meinung bin ich auch, außerdem ist nicht gesagt, dass wir uns unbedingt ins Innere des Bauwerks begeben müssen. Vielleicht gibt es da einen Stollen oder etwas Ähnliches.«

»Um so etwas zu finden, musst du die ganze Wildnis um die Pyramide herum abholzen oder zerstrahlen«, brummte Chipol.

»Hiermit geht es auch.« Atlan grinste und förderte aus den unergründlichen Taschen seiner Kombination einen winzigen Hohlraumdetektor zutage. »Wir nehmen uns zuerst die Sockelkanten vor.«

»Irgendwann werde ich zaubern und Berge versetzen müssen, um neben dir bestehen zu können«, klagte der junge Daila theatralisch. »Warum bin ich nicht darauf gekommen?«

»Schiebe es einfach auf deine Jugend«, meinte der Arkonide trocken. »Ganz früher fehlte mir auch die Routine, aber die Erfahrung wächst mit zunehmendem Alter. Das siehst du an mir.«

Er gab Chipol einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und stapfte auf das Gemäuer zu. Anima und der Junge folgten ihm.

Die Fortbewegung war gar nicht so einfach. Immer wieder rutschten sie auf dem glitschigen Untergrund aus, stolperten über verfaulende Stämme, die unter Laub und Gestrüpp verborgen waren oder blieben mit den Füßen an federnden Ranken hängen. Ineinander verschlungene Kletterpflanzen bildeten undurchdringliche Hecken, Schösslinge und Sträucher waren zu verfilzten Dickichten zusammengewachsen. Zusätzliche Hindernisse existierten in Form herabgefallener mannshoher Felsbrocken, die sich tief in den Boden gebohrt hatten und wie Monolithe emporragten. Tropische Moose und Zwergfarne bedeckten sie mit einem grünen Tarnschleier, der ihre Konturen verschwimmen ließ.

Riesenstauden mit Rhabarberblättern lockten als Schattenspender, doch wer so unvorsichtig war, sie zu beschädigen, wurde in eine nach Aas stinkende Wolke eingehüllt, die einem den Atem nahm. Der Daila, der sich einen natürlichen Sonnenschirm besorgen wollte, wurde ein Opfer des Elefantenohrs. Entsetzt nahm er Reißaus, strauchelte und kam zu Fall. Hinterrücks landete er in einem Gebüsch, das sich als Sinnpflanze entpuppte. Blitzschnell klappten die Fiederblättchen zusammen, wie verdorrt senkten sich die Zweige. Erst jetzt wurde erkennbar, dass sie scharfe fingerlange Dornen trugen, doch sie vermochten das Anzugmaterial nicht zu durchdringen.

Atlan und Anima war der Zwischenfall nicht entgangen. So schnell sie konnten, liefen sie zu Chipol, um ihm zu helfen, aber bevor sie ihn erreichten, hatte er sich aus eigener Kraft aus dem stacheligen Gestrüpp befreit. Er wirkte ein wenig blass, war jedoch unverletzt.

»Von wegen ungefährlich!«, stieß er hervor. »Was mag es sonst noch hier geben, wenn schon die Vegetation so heimtückisch ist?«

»Ich hoffe, dass wir vor weiteren Überraschungen dieser Art verschont bleiben.« Der Arkonide musterte seinen jugendlichen Begleiter besorgt. »Bist du wirklich in Ordnung?«

»Ja, dank der Kombination. Ich muss dir Abbitte leisten – sie ist doch kein Ballast.«

»Lass es gut sein und sei in Zukunft etwas vorsichtiger.«

»Darauf kannst du dich verlassen«, versprach der Daila mit grimmiger Miene. »Jetzt bin ich gewarnt.«

Der kleine Trupp setzte sich wieder in Bewegung. Diesmal vermieden es die drei, den Riesenstauden zu nahe zu kommen, und um die hinterhältigen Sinnpflanzen machten sie einen weiten Bogen. Das kostete zwar Zeit, doch dafür blieben ihnen weitere Erfahrungen mit der wehrhaften Flora erspart.

*

Sie hatten das Bauwerk fast zur Hälfte umrundet, als der Hohlraumspürer ansprach. An der Stelle, die das Gerät anzeigte, bedeckte ein dichter Pflanzenteppich aus hartlaubigen Ranken den Untergrund. Atlan packte mit der behandschuhten Rechten zu und versuchte, die elastischen Ausläufer aus dem Boden zu reißen, doch sie widerstanden seinen Anstrengungen. Kurzerhand zerstrahlte er das Gestrüpp.

Ein dunkles Loch tat sich auf, das sich bei näherem Hinsehen als Eingang zu einem Schacht entpuppte. Obwohl er halbverschüttet war, schien er begehbar zu sein, jedenfalls ließen Schutt, Geröll und Erdeinbrüche noch genügend Raum, um einem ausgewachsenen Mann das Durchkommen zu ermöglichen.

»Der Gang wirkt noch einsturzgefährdeter als die Pyramide«, meinte Chipol skeptisch. »Sollten wir nicht lieber weitersuchen? Vielleicht gibt es noch einen besser erhaltenen Zugang zu dem Sender.«

»Das ist nicht auszuschließen, trotzdem riskiere ich es.« Der Aktivatorträger verstaute den Detektor und befestigte einen Handscheinwerfer an seiner Montur. »Ihr könnt ja hier auf mich warten.«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, protestierte Anima, und der Daila setzte hinzu: »Wenn du gehst, gehen wir alle.«

Atlan nickte zustimmend, denn er hatte nichts anderes erwartet. Mit einer lässigen Bewegung schaltete er die Lampe an, ging in die Hocke und leuchtete den Boden der Röhre aus. Er lag etwa drei Meter unter der Oberfläche, eine grobgeschotterte, leicht geneigte Rampe mit Wänden aus festgestampftem Lehm. Bizarres Wurzelwerk hatte das Erdreich durchstoßen und ragte in den Schacht hinein, Steintrümmer, verrottetes Laub und morsche Aststücke lagen in der Grube.

Der Arkonide zögerte nicht. Sich mit einer Hand abstützend, sprang er in die Tiefe und kam federnd auf. Holzstücke zerbrachen unter dem Gewicht des Aufpralls, eine dürre Wurzel wurde abgeknickt, lockere Erde rutschte in das Loch. Der Gang selbst blieb unverändert.

Atlan streckte die Arme aus und war Anima behilflich. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, dass sie sich an ihn schmiegte, er fühlte ihren wohlgeformten Leib an seinem Körper, glaubte ihre Wärme zu spüren und ein inniges Leuchten in den ausdrucksvollen grünen Augen mit den golden funkelnden Pünktchen in der Iris zu erkennen.

Willst du der Minne frönen oder einen Hathor finden?

Ernüchtert setzte der Unsterbliche seine Begleiterin behutsam ab, konnte sich allerdings nicht verkneifen, seinen Logiksektor mit einem Schimpfwort zu bedenken. Der reagierte mit einem spöttischen Impuls.

Mit einem dumpfen Laut landete Chipol neben den beiden anderen im Loch. Er hatte ebenfalls seinen Handscheinwerfer eingeschaltet und kletterte voller Tatendrang über das Geröll hinweg auf die Tunnelmündung zu.

»Nicht so hektisch«, mahnte Atlan zur Besonnenheit und hielt ihn fest. »Wir halten es wie früher: Der Erfahrenste geht voraus.«

»Bitte.« Der Daila blieb stehen und deutete einladend auf die Öffnung. »Alter vor Schönheit, anwesende Damen ausgenommen.«

»Frecher Kerl«, lachte Anima und versetzte ihm einen kameradschaftlichen Rippenstoß.

Der Junge grinste breit und zwinkerte ihr vertraulich zu, als der Arkonide ihm scherzhaft mit dem Finger drohte. Dieses kleine Intermezzo war typisch für den Umgang der drei untereinander und zeigte, dass das Betriebsklima stimmte, doch gleich darauf war man wieder mit dem gebührenden Ernst bei der Sache.

Atlan hatte seinen Strahler gezogen und leuchtete in den Schacht hinein. Im tanzenden Schein des Lichtkegels war ein aus behauenen Felsquadern errichtetes Gewölbe zu erkennen, dessen ovale Form an eine Abwasserröhre unterirdischer Kanalisationsnetze erinnerte.

Hier und da hatte sich ein Stein aus der Verankerung gelöst und lag als Hindernis im Gang. Wurzeln hatten etliche Blöcke nach innen gedrückt, Bodenerhebungen und eingespültes Erdreich verminderten die Scheitelhöhe von gut zwei Meter teilweise um dreißig bis vierzig Zentimeter. Verschiedene kleine Insekten, die sich vermutlich von organischen Abfällen ernährten, huschten über den Boden, feuchte, modrige Kühle drang aus dem Tunnel.

Der Arkonide zog den Kopf zurück und informierte seine Begleiter über das, was er gesehen hatte. Er schloss mit den Worten:

»Ich denke, wir können es wagen, in den Gang einzudringen, ohne damit rechnen zu müssen, dass wir verschüttet werden. Zwar ist das Gewölbe ziemlich verfallen, dennoch macht es einen stabilen Eindruck. Es scheint wie die Pyramiden für die Ewigkeit gebaut worden zu sein.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Chipol herausfordernd. »Ergründen wir das Geheimnis endlich.«

Da auch Anima keine Einwände hatte, drang der Aktivatorträger an der Spitze der kleinen Truppe in die Röhre ein. Schon nach wenigen Schritten musste er sich bücken, um nicht anzustoßen, dann kam er nur noch kriechend weiter. Als er sich wieder aufrichten konnte, musste er sich an einem Erdeinbruch vorbeizwängen, der auch ein Stück der Wand eingerissen hatte.

»Haltet Abstand!«, rief der Aktivatorträger, der sich immer wieder nach seinen Gefährten umdrehte. »Wir können einander nur helfen, wenn wir nicht alle gleichzeitig in Not geraten.«

Der subplanetare Korridor verzerrte seine Stimme zu einer gespensterhaft hohlen Tonfolge, die von den Mauern als dumpfes Echo zurückgeworfen wurde. Dennoch wurde er verstanden, denn die beiden anderen gingen deutlich auf Distanz – vor allem Chipol, der die Nachhut bildete. Er hatte seine Waffe ebenfalls schussbereit in der Hand.

Es ging nun deutlich steiler nach unten, und je tiefer sie kamen, um so geringer wurden die Beschädigungen. Bis hierher reichten die Wurzeln der Baumriesen nicht herab, Wassereinbrüche und Bodenverwerfungen gab es nicht mehr. Der Regen versickerte bereits in den oberen Schichten und wurde dort von den Pflanzen gierig aufgesogen. Die Besatzung der STERNSCHNUPPE kam nun zügig voran.

Nach knapp fünfzehn Minuten ereignislosen Fußmarsches durch einen eintönigen dunklen Stollen, der wie mit dem Lineal gezogen war und stetig abwärts führte, deutete sich eine Veränderung an. Die Röhre erweiterte sich zu einer Art Höhle.

Es war kein natürlicher Felsendom, sondern ein gemauertes Gewölbe, das fast dem Verlies einer mittelalterlichen Burg ähnelte. Welchem Zweck das Gemäuer diente, war nicht einmal zu erraten, denn es gab weder irgendwelche Gegenstände noch Hinweise auf die Funktion, es existierten keine Nischen und Abzweigungen. Wie geisterhafte Leuchtfinger huschten die Lichtbahnen der drei starken Scheinwerfer über Wände und Boden.

»He, seht mal her!«, rief Chipol aufgeregt. »Ich habe einen zweiten Ausgang aus der Höhle entdeckt.«

Atlan und Anima fuhren herum und richteten ihre Lichtquellen fast synchron an der Lampe des Daila aus. Die gebündelten grellen Strahlen verloren sich irgendwo, rissen jedoch zugleich die Begrenzung einer Öffnung aus der Finsternis.

»Es ist unglaublich!«, stieß Anima hervor. »Ich kann es nicht fassen!«

Ein wenig befremdet musterte der Arkonide die Frau an seiner Seite.

»Warum bist du denn auf einmal so hektisch? Außer einem Durchlass kann ich nichts erkennen.«

»Es ist der Zugang zu einer Zeitgruft!« Unwillkürlich flüsterte sie, ihre Stimme klang beinahe andächtig. »Und er ist offen.«

»Ich habe zwar noch keine Zeitgruft gesehen, aber nach allem, was ich davon gehört habe und was du mir selbst erzählt hast, ist der Einstieg stets von einem Lamellenschott verschlossen und beeindruckender als das Loch vor uns.« Zweifelnd blickte Atlan seine Begleiterin an. »Bist du sicher, dass du dich nicht täuschst?«

»Absolut sicher. Ein Irrtum ist ausgeschlossen«, sagte Anima mit Bestimmtheit. »Zeitgrüfte sind unverwechselbar. Ich war lange genug mit Goman-Largo und Neithadl-Off unterwegs und kenne mich aus.«

»Gut. Ich unterstelle also, dass du Recht hast, doch warum ist ausgerechnet diese Zeitgruft nicht verschlossen?«

»Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen«, bedauerte die schlanke junge Frau. »Vielleicht ist dieser Unbekannte dafür verantwortlich.«

Dieser Gedanke hat etwas für sich, räumte der Extrasinn ein. Als Hüter des Lichts verfügte Tengri Lethos über einen Zeittransmitter, und der als Absender der Nachricht vermutete Hathor kann ebenfalls ein solches Gerät besitzen. Was liegt näher, als dass jemand, der die Dimension »Zeit« beherrscht und benutzt, eine Zeitgruft als Treffpunkt oder Informationsbasis wählt?

Manchmal bist du direkt brauchbar, gab der Unsterbliche gedanklich zurück, jedenfalls ist deine Logik bestechend. Aber hast du auch eine Erklärung dafür, warum der Einstieg offen ist?

Dir wurde ein Hindernis aus dem Weg geräumt. Betrachte es als Hinweis dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist.

Atlan war zu dem gleichen Schluss gekommen und fühlte sich durch die Argumentation des Logiksektors in seinem Entschluss bestärkt, weiterzugehen.

»Ich habe vor, in die Zeitgruft einzudringen«, gab er seine Entscheidung bekannt. »Da ich jedoch nicht weiß, was uns dort erwartet, stelle ich es euch frei, ob ihr mitkommen wollt.«

Insgeheim hoffte er auf die Zustimmung seiner Begleiter, denn gerade Animas Unterstützung konnte sich als sehr nützlich erweisen, da sie praktische Erfahrungen mit derartigen Einrichtungen besaß. Erwartungsvoll sah er die beiden an.

»Auf mich kannst du zählen«, sagte Anima spontan. »Jetzt umzukehren, ergäbe keinen Sinn.«

»Natürlich bin ich ebenfalls mit von der Partie, doch mir gefällt die Sache nicht so recht«, meldete der Daila Bedenken an. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Irgend etwas stimmt da nicht.«

»Niemand zwingt dich, mitzukommen. Du kannst hier warten oder umkehren.« Atlan gab sich sachlich. »Deine Skepsis kann ich allerdings nicht teilen. Ich glaube nicht, dass uns Gefahr droht, denn hätte es unser Informant darauf angelegt, uns ins Jenseits zu befördern, hätte er es bereits getan. Gelegenheiten dazu hatte er jedenfalls genug.«

»Ich lasse euch nicht im Stich«, sagte der Junge mit fester Stimme, »aber wir sollten vorsichtig sein.«

»Darauf kannst du dich verlassen«, versprach der Arkonide. »Ich habe nicht die Absicht, die Gruft der Zeit zu unserer eigenen werden zu lassen.«

»Dann werde ich vorausgehen«, sagte die Vardi.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Anima. Es war meine Entscheidung, und ich will nicht, dass du an meiner Stelle ein Risiko eingehst.«

»Davon kann keine Rede sein.« Die Frau lächelte entwaffnend. »Ich wäre gefährdeter, wenn du die Führung übernehmen würdest, Atlan.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Im Gegensatz zu dir kenne ich nämlich Zeitgrüfte aus eigener Erfahrung. Sollten wir dieses Wissen nicht nutzen?«

Der Aktivatorträger gab sich geschlagen. Zwar kannte er die Tücken von Einrichtungen dieser Art nur vom Hörensagen, doch allein der Gedanke daran, in einen Zeitstrudel zu geraten oder durch eine Zeitströmung aus der Gegenwart gerissen zu werden, bereitete ihm fast körperliches Unbehagen.

Mit Anima an der Spitze drang die kleine Gruppe in den Vorhof der Zeitgruft ein.

Atlan 801: Die Zeitschule von Rhuf

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