Читать книгу Atlan 562: Gefahrenstufe eins - Falk-Ingo Klee - Страница 4

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War da nicht etwas – ein Geräusch? Nein, da war nichts – nichts außer dem Wispern der Unendlichkeit und dem Raunen der Ewigkeit. Und doch: Jemand schien zu flüstern – nicht akustisch, nein, geistig.

Ein Gedanke entstand, wurde zu einem Impuls, kräftig genug, um Raum und Zeit zu überwinden, doch nur ein Wesen konnte die Botschaft empfangen, denn es war eine Kreatur des Denkenden ...

»Du hast einen großen Fehler begangen, Schalter, indem du voreilig und inkonsequent gehandelt hast.« Der Tadel war unüberhörbar. »Es ist deine Schuld, dass sich der erwartete Erfolg noch nicht eingestellt hat.«

»Ich gelobe Besserung, Herr«, gab das Geschöpf des Denkenden geistig zurück, »doch was hätte ich tun sollen?«

»Du sollst von den Möglichkeiten, über die du dank meiner Macht verfügst, besseren Gebrauch machen. Nichts ist für diese Lebewesen unglaubwürdiger, als wenn ihnen das Paradies versprochen wird, du aber zugleich versuchst, einige der Ihren zu töten. Verstehst, du das, Schalter?«

»Ja, Herr«, lautete die demütige Antwort. »Ich weiß, dass es für das, was ich getan habe, keine Entschuldigung gibt, dennoch möchte ich als dein unterwürfiger Diener erwähnen, dass der Plan nur funktionieren kann, wenn dieser Atlan ausgeschaltet wird.«

»Lassen wir das. Ich habe mittlerweile eine wirksamere Maßnahme eingeleitet, und dir, Schalter, obliegt es, dafür zu sorgen, deine ganze Kraft einzusetzen, dass alles zu meiner Zufriedenheit verläuft.«

»Gewiss, Herr«, dienerte das Geschöpf gedanklich. »Bitte halte mich nicht für anmaßend, aber meine Unterstützung wäre wirksamer, wenn du mich in Einzelheiten einweihen könntest.«

Es entstand eine kurze Pause, in der der Denker zu überlegen schien, dann kam die geistige Antwort.

»Als mein Werkzeug würden dich Details überfordern, dennoch will ich dir einen Hinweis geben. Achte auf die SOL.«

»Warum betonst du das so merkwürdig, Herr? Was hast du vor? Was soll ich tun?«

»Warte es ab.«

Nach dieser mysteriösen Andeutung schwieg die geistige Stimme. Ein wenig verwirrt versuchte das »Schalter« genannte Wesen zu ergründen, was der Denkende wohl gemeint hatte.

*

Es war noch nicht lange her, dass die Korvette SZ-2-11 mit dem Eigennamen FRESH geortet hatte, dass die SOL sich im Anflug auf die Landschaft im Nichts befand.

Das hatte bei allen Beteiligten Verwunderung ausgelöst. Während eines Funkgesprächs vor knapp vier Stunden – man schrieb den 20. Juli 3792 – hatte Hayes, der neue High Sideryt, keinen Zweifel daran gelassen, dass er erst konkrete Daten haben wollte, bevor er den Hantelraumer einer möglichen Gefahr aussetzte, die von diesem merkwürdigen Raumkörper ausgehen konnte. Und nun näherte sich die SOL doch der Landschaft im Nichts, ohne zuvor den Erkundungstrupp informiert zu haben.

Vergeblich hatte Atlan versucht, mit dem Fernraumer Verbindung aufzunehmen. Daraufhin war er zusammen mit Sanny und Hage Nockemann von Bord gegangen, während Vorlan Brick und Curie von Herling mit dem Beiboot gestartet waren.

Das tragbare Funkgerät des Arkoniden sprach an. Die FRESH, die jetzt in zehn Kilometer Höhe über dem Kristallsee stand, meldete sich. Klar und deutlich drang die Stimme der Stabsspezialistin van Herling aus dem Empfänger.

»Die SOL ist inzwischen auch ohne Vergrößerung optisch auszumachen. Ihr müsst sie bald ebenfalls sehen können.«

»Habt ihr Kontakt zum Schiff bekommen?«

»Nein, alle Anrufe bleiben unbeantwortet.«

»Danke. Ende.«

Vergeblich versuchte der Unsterbliche zu ergründen, was das zu bedeuten hatte. Warum tat Hayes so geheimnisvoll, wo doch ein solcher Gigant von einem Gegner leicht auszumachen war? Hatte er vielleicht durch Fernortung etwas entdeckt, was der SZ-2-11 entgangen war?

»Seht doch, die SOL!«, rief Nockemann aufgeregt.

Nahezu gleichzeitig blickten Atlan und die Moolatin nach oben. Kein Zweifel, es war der mächtige Hantelraumer, der da über der Landschaft im Nichts schwebte. Kurz entschlossen nahm der Arkonide sein Funkgerät in Betrieb und rief Hayes.

Fast zwei Minuten lang versuchte er, Kontakt zu bekommen, doch die SOL meldete sich nicht. Eine düstere Ahnung beschlich ihn. Etwas konnte da nicht stimmen. Nachdenklich schaltete er ab.

Es könnte diese andere SOL sein, die schon mehrfach beobachtet wurde, deren Existenz aber bisher nicht erklärt werden konnte, kommentierte sein Extrasinn.

»Eine ziemlich kühne Hypothese«, formulierte Atlan gedanklich. »Wie du weißt, befinden wir uns in einer Art Mini-Universum, für das nicht einmal SENECA eine Erklärung hat. Wie sollte da diese Parallel-SOL ausgerechnet in diesen Sektor kommen?«

Der Logiksektor meldete sich nicht mehr; das bestärkte den Arkoniden in seiner Ansicht. Einen solchen Zufall, dass diese Doppel-SOL ausgerechnet hier und jetzt auftauchte, konnte es nicht geben, zumal es auch keinen Sinn ergab. Nein, wesentlich wahrscheinlicher war da schon, dass Hayes einen bestimmten Plan verfolgte und sich aus taktischen Gründen in Schweigen hüllte. Zu gern hätte er gewusst, was Breckcrown vorhatte, doch er musste sich mit der Rolle des Beobachters begnügen.

Er blickte in die Richtung, in der die korbförmigen Hütten der Libellenmenschen standen. Als die kleinen Raumfahrzeuge landeten, waren sie zur Begrüßung herbeigeeilt, die deutlich sichtbare SOL ignorierten sie. Hatte das etwas zu bedeuten?

»Ist unsere SOL nicht ein gewaltiges Schiff?«, fragte Hage Nockemann stolz.

Sanny, die Paramathematikerin, nickte beeindruckt. Für sie, die nicht größer war als siebenundvierzig Zentimeter, war ohnehin alles riesig, was die Solaner und ihre Geräte betraf.

Blicklos starrte Atlan auf den hoch über ihnen stehenden Koloss. Er hätte einiges darum gegeben, jetzt Bjo Breiskoll an seiner Seite zu haben, um durch den Telepathen zu erfahren, was Hayes bewogen hatte, seine Zurückhaltung aufzugeben, doch der Katzer hatte sich strikt geweigert, auch nur einen Fuß auf dieses Teufelsgebilde zu setzen, wie er es genannt hatte.

Gab es wirklich eine Gefahr, in der sie schwebten? Hatte Bjo etwas geespert? War die SOL gekommen, um sie vor etwas zu retten, von dem sie keine Ahnung hatten? In diesem Zusammenhang erinnerte er sich an die Warnung vor einem gewissen Schalter, die der geheimnisvolle Chybrain Sanny übermittelt hatte. Es war das zweite Mal gewesen, dass er vor dem Schalter gewarnt worden war; das erste Mal hatte er diesen Begriff bei seiner unwirklichen Begegnung mit dem Materielosen gehört. Und dann: Der Katzer hatte vor Unheil gewarnt, Tdibmufs sprach von einer bösen Macht. Gab es da einen Zusammenhang?

Bevor er weitere Überlegungen dazu anstellen konnte, wurde der Arkonide jäh aus seinen Gedanken gerissen. Bei der SOL blitzte es auf. Ein greller Energiestrahl raste auf die ungeschützte FRESH zu. Entsetzt schrie Sanny auf.

*

»Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl.« Vorlan Brick, zusammen mit seinem Zwillingsbruder Uster Chefpilot im Mittelteil der SOL und Stabsspezialist wie Curie von Herling, ging unruhig in der Zentrale der SZ-2-11 auf und ab. »Mir gefällt nicht, dass die SOL gar nichts von sich hören lässt. Warum haben sie nicht wenigstens einen Rafferimpuls abgestrahlt, damit wir wissen, was sie vorhaben?«

»Mir behagt das ebenfalls nicht, aber wir können nichts tun.« Die Frau stand vor dem Bildschirm und betrachtete nachdenklich das Abbild des Hantelraumers. »Was mag Breckcrown bewogen haben, mit der kompletten SOL hier aufzutauchen?«

»Wenn ich das wüsste ...«

Der dunkelhäutige Solaner ließ sich mit kantigen Bewegungen im Sessel des Piloten nieder und fuhr spielerisch über die Schalter.

»Ich wäre jetzt lieber an Stelle des Kleinen, der hat wenigstens klare Anweisungen«, brummte Vorlan Brick.

Der Kleine – das war sein Bruder. Beide waren eineiige Zwillinge, aber unterschiedlich groß. Während Vorlan immerhin 1,86 m maß, war Uster nur einhundertvierundsechzig Zentimeter groß. Als beide noch Kinder waren, hatte man bei Uster eine Störung der Hypophyse diagnostiziert, die das Wachstum steuert, doch aufgrund fehlender Rohstoffe hatte man damals keine entsprechende Medizin herstellen können, so dass ihm jetzt einige Zentimeter fehlten; seinem Selbstbewusstsein hatte das aber keinen Abbruch getan. Wann immer die beiden zusammen waren, zogen sie sich gegenseitig mit dem Größenunterschied auf.

»Wir werden bald wissen, was man auf der SOL plant«, meinte die ehemalige Magnidin.

Als hätte sie damit ein Stichwort geliefert, blitzte es drüben bei dem Hantelraumer auf. Fassungslos, unfähig, sich zu bewegen, starrte die Frau auf den Schirm.

»Als wenn ich es geahnt hätte«, knurrte Brick.

Anders als Curie van Herling reagierte er sofort und legte dabei eine Kaltblütigkeit an den Tag, als befände er sich im Simulator.

Mit fliegenden Fingern nahm er in rascher Folge verschiedene Schaltungen vor, fuhr die Energieversorgung auf Volllast und aktivierte die Schirmfelder. Das nervtötende Geheul der überlasteten Aggregate und der akustischen Warnanlagen überhörte er geflissentlich und beachtete auch nicht die Batterien roter Lämpchen; letztendlich war es egal, ob ein Treffer die FRESH zur Explosion brachte oder die eigene Maschinerie.

»Festhalten!«, brüllte der Pilot.

Mit einem Alarmstart versuchte er das Schiff von der Stelle förmlich wegzukatapultieren, was aber infolge der Masseträgheit und der winzigen Zeitspanne nur unvollkommen gelang.

In das Tosen und Toben der Triebwerke, das Wimmern der Sirenen und das Jaulen der überlasteten Andruckneutralisatoren mischte sich das Ächzen strapazierten Materials, das von der Einschlagwucht einer Energiesalve übertönt würde. Die Schiffszelle dröhnte wie eine riesige Glocke.

Als hätte eine Riesenfaust die Korvette gepackt, wurde der Raumer durchgerüttelt und zur Seite geschleudert. Die kinetische Energie war so groß, dass weniger stabile Halterungen zerbrachen und Geräte aus ihren Verankerungen gerissen wurden. Curie van Herling hatte sich nicht auf den Beinen halten können und war gegen einen Sitz geschleudert worden. Obwohl ihr der Aufprall fast das Bewusstsein raubte, waren ihre Reflexe so ausgeprägt, dass es ihr gelang, sich festzukrallen.

Entladungen von unvorstellbarer Stärke tobten durch die Schirmfelder, erzeugten verwirrende Farbspiele und brachten sie an einigen Stellen zum Flackern. Kurzfristig erlosch die Beleuchtung, verschiedene Anzeigen fielen aus, als sämtliche Energie auf die Primärverbraucher geschaltet wurde.

Die wabernde Lohe, in die das Beiboot gehüllt war, wurde blasser, das infernalische Heulen verlor an Intensität. Wie eine abgefeuerte Kanonenkugel raste die FRESH in zehn Kilometer Höhe über die Landschaft im Nichts, von dem Hantelraumer weg. Auch jetzt noch leuchteten ihre Schirme, allerdings diesmal durch die Reibung der Atmosphäre.

»Das war verdammt knapp«, keuchte Brick. Sein dunkles Gesicht war vor Anspannung verzerrt, feine Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

Stöhnend rappelte sich die Solanerin auf und ließ sich in einen Sessel neben dem Piloten fallen. Sie war leichenblass, ihre Augen waren weit aufgerissen.

»Was mag auf der SOL vorgefallen sein?«, flüsterte sie tonlos. »Warum lässt Breckcrown auf uns schießen?«

»Eine gute Frage, auf die ich leider keine Antwort weiß«, gab der Mann zurück. Er knirschte mit den Zähnen. »Ich hätte nicht übel Lust, diesen Idioten da drüben ebenfalls einen Schuss vor den Bug zu setzen.«

»Das kannst du nicht machen, Vorlan«, sagte die Stabsspezialistin beschwörend.

Der Pilot drosselte die Kapazität der Meiler, bis die Warnlichter nach und nach erloschen. Er lächelte freudlos.

»Keine Sorge, Curie, ich lasse mich nicht zu einer Unbesonnenheit hinreißen, zumal unser Schiffchen der SOL hoffnungslos unterlegen ist. Ich werde ...«

Was er wollte, blieb unausgesprochen. »Aufpassen, der Tanz geht weiter!«

Wieder blitzte es bei der SOL auf. Geistesgegenwärtig schaltete Brick auf Schubumkehr und zwang die SZ-2-11 in einem brutalen Manöver nach unten. Erneut verwandelte sich die Zentrale in ein akustisches Inferno, Vibrationen durchliefen das Schiff. Gequält stöhnte die Frau auf.

Dem Piloten rauschte das Blut in den Ohren, seine schweißnassen Hände verkrampften sich. Wie hypnotisiert starrte er auf die Anzeigen, dann stieß er geräuschvoll die Luft aus. Dank seiner Reaktionsschnelligkeit hatte er noch einmal das Kunststück fertiggebracht, den Raumer aus der Schusslinie zu bringen. Die vernichtende Salve strich knapp über die FRESH hinweg.

»Sie meinen es ernst, Vorlan. Sie wollen uns vernichten.«

»Es sieht so aus – wodurch unsere Lage sehr ungemütlich wird«, sagte der Dunkelhäutige sarkastisch. »Unsere einzige Chance besteht darin, zu versuchen, diesen Himmelskörper zwischen uns und die SOL zu bringen.«

Curie von Herling blickte ihren Begleiter skeptisch an.

»Glaubst du, du schaffst es?«

»Wenn wir vorher nicht getroffen werden – ja. Ein solches Riesenschiff ist wesentlich unbeweglicher als eine Korvette.« Trotz der tödlichen Gefahr, in der sie sich befanden, brachte er noch ein Grinsen zustande. »Außerdem kann ich dem Kleinen dann endlich einmal beweisen, wer von uns der bessere Pilot ist.«

Die Frau schwieg. In einer Situation wie dieser hatte sie keinen Sinn für Humor.

Vorlan Brick war das nur recht, denn so konnte er sich voll und ganz auf die Steuerung konzentrieren.

In einer engen Parabel brachte er das Schiff auf die ursprüngliche Höhe, schlug dann aber keinen geraden Kurs ein, sondern ließ die FRESH mit vierfacher Schallgeschwindigkeit mal im Zickzack fliegen, mal auf- und abtanzen wie einen Stein auf dem Wasser. Um das Zielen zusätzlich zu erschweren, baute er willkürlich Figuren ein, vollführte Loopings, ließ den Raumer die auszurechnende Bahn plötzlich unterbrechen und zwang ihn in eine Richtung, die allen Gesetzen der Logik widersprach.

Mittlerweile hatte die SOL ebenfalls Fahrt aufgenommen und war dazu übergegangen, mit etlichen Geschützen im Takt zu feuern, wodurch eine größere Streuung erreicht wurde.

Der Solaner fuhr sich mit der Linken über die verschwitzte Stirn.

»Allmählich wird's brenzlig.«

»Warum erhöhst du nicht die Geschwindigkeit?«

»Weil ich dann nicht mehr so schnell ausweichen kann«, knurrte Brick.

Kaum, dass er ausgesprochen hatte, wurde das Schiff von einem Schlag getroffen, der es bis in seine Grundfesten erbeben ließ. Ein unheilvolles Knirschen und Knacken war zu hören. Trotz der Filter erfüllte gleißende Helligkeit den Raum, mischte sich mit dem aufgeregten Flackern ganzer Batterien von Warnlämpchen. Die SZ-2-11 hatte erneut einen Streifschuss erhalten.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie und die tapfere kleine Besatzung endgültig das Schicksal ereilte, denn ein Schiffchen von sechzig Metern Durchmesser hatte gegen einen Koloss wie die SOL keine Chance.

*

Als die SOL zu feuern begann, hatte Atlan nicht eine Sekunde gezögert.

»In Deckung!«, schrie er.

Mit einem Satz war er bei Sanny, riss die zierliche Moolatin an sich und brachte sich mit ihr hinter einer Bodenerhebung in Sicherheit. Nockemann, der anfangs ziemlich perplex war, ließ sich einfach zu Boden fallen und bedeckte den Kopf mit den Händen.

Der Arkonide hatte sich schützend über die Paramathematikerin geworfen, war aber zugleich kaltblütig genug, sich eine Stelle auszusuchen, an der die Büsche so licht waren, dass er beobachten konnte, was sich da oben abspielte. Alles geschah rasend schnell.

Kaum, dass sich die FRESH in ihre Schutzschirme gehüllt hatte, bewegte sie sich zur Seite, doch das konnte auch eine Sinnestäuschung sein. Schon stand da, wo sich die Korvette befand, ein leuchtender Glutball am Himmel, der die Sonne verblassen ließ.

Hoffen und Bangen zugleich erfüllten den Arkoniden. Vorlan hatte unglaublich schnell reagiert. Möglicherweise hatte er es noch geschafft ...

Er hat es geschafft!

Ja, es war ihm tatsächlich gelungen, den überfallartigen Angriff abzuwehren, denn der Glutball breitete sich nicht aus, wie das bei einer Explosion der Fall war, im Gegenteil, aus dieser Hölle tauchte die SZ-2-11 auf wie ein Phönix aus der Asche. Mit steigender Geschwindigkeit entfernte sie sich von der SOL, und es hatte den Anschein, dass ihre Schutzschirme unversehrt waren.

Atlan bemerkte nicht, dass seine Augen tränten – ein deutliches Anzeichen seiner Erregung –, er fühlte Zorn in sich aufsteigen. Was dachte sich Hayes eigentlich dabei, ein Beiboot unter Beschuss zu nehmen?

Der Arkonide rollte sich zur Seite und sprang auf. Obwohl er sah, dass Sanny ziemlich konfus war, ließ er sie unbeachtet und nahm statt dessen sein Funkgerät in Betrieb.

»Hier ist Atlan! Ich rufe die SOL! SOL, hört ihr mich? Meldet euch!«

Als der Wissenschaftler hörte, dass Atlan die SOL anfunkte, riskierte er es, den Kopf zu heben, warf aber einen misstrauischen Blick nach oben, bevor er sich dazu entschloss, aufzustehen. Wie es im Augenblick aussah, mussten sie nicht damit rechnen, von herabregnenden Trümmerstücken getroffen zu werden, obwohl die FRESH erneut attackiert wurde und sich nur durch gewagte Ausweichmanöver retten konnte.

»Was bedeutet das?«, fragte die Kleine verwirrt.

»Ich fürchte, das könnte dir noch nicht einmal Blödel beantworten«, seufzte Nockemann. »Ich kann mir jedenfalls keinen Reim darauf machen, es sei denn, vom High Sideryt wären wieder Duplikate aufgetaucht, was aber nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.«

Mit einem Blick bedeutete ihm der Unsterbliche zu schweigen. Ergeben zuckte der Solaner die Schultern und ging zu der Moolatin. Bevor er sie erreichte, blieb er stehen und drehte sich abrupt um.

»Richte Hayes aus, dass ich missbillige, was er da tut. Es zeugt von einem verdammt schlechten Charakter, die eigenen Leute als Zielscheibe zu benutzen.«

»Halte endlich den Mund!«, sagte Atlan ungnädig und beschäftigte sich wieder mit dem Funkgerät.

Unwillkürlich zog Nockemann den Kopf ein. Er konnte sich nicht erinnern, den Arkoniden je zuvor so aufgebracht gesehen zu haben.

»Hier ... die SOL. Wir hören ... Atlan. Was ... es?«, drang es verzerrt aus dem Empfänger.

»Das wurde auch langsam Zeit«, sagte der Aktivatorträger wütend. »Ich will den High Sideryt sprechen.«

»Du ... schlecht zu verstehen, die Sendung ... gestört. Wen ... du sprechen?«

»Breckcrown Hayes, und zwar sofort!«

Warum bist du so ungehalten?, erkundigte sich sein Extrasinn.

»Das ist die dümmste Frage, die du mir je gestellt hast«, erregte sich der Arkonide gedanklich.

Du bist außer dir, und das trübt den Verstand. Dein Funkgerät reicht knapp fünfzig Lichtminuten weit.

»Und?«

Du kannst die SOL sehen, doch du hast Schwierigkeiten mit der Verständigung. Findest du das plausibel?

Auf einmal fiel es dem Aktivatorträger wie Schuppen von den Augen. Ein ungeheuerlicher Gedanke kam ihm.

»Du meinst?«

Ja, so muss es sein. Die SOL, die hier über der Landschaft im Nichts aufgetaucht ist, kann nur diese Geister-SOL sein, die schon mehrfach beobachtet wurde. Oder hast du ernsthaft damit gerechnet, dass der neue High Sideryt es darauf anlegt, andere Solaner zu töten, um einer schäbigen Tradition zu folgen?

Das Funkgerät sprach erneut an und enthob den Arkoniden einer Antwort.

»Hier ist Breckcrown ... Was ... es, Atlan?«

»Wo befindest du dich derzeit mit der SOL?«

»An ... alten Position. Warum ... du?«

»Du hast also den Standort nicht verändert?«

»Ich ... den Sinn nicht, ... Sendung kommt ... nur schlecht verständlich ... Kannst du ... wiederholen?«

Atlan tat es und fügte zugleich die Frage an, was man auf der SOL mittlerweile unternommen hatte.

»Nichts. Wir befinden ... an alter Position und warten auf ... Bericht. Das ... doch abgesprochen.«

»Gewiss, aber mittlerweile hat sich hier etwas ergeben, was die Anwesenheit der SOL erfordert. Diese Parallel-SOL ist über der Landschaft im Nichts aufgetaucht und legt es darauf an, die FRESH zu vernichten. Du musst uns helfen, Breckcrown – sofort. Vorlan ist zwar ein guter Pilot, aber einem solchen Giganten wie der SOL ist eine Korvette hoffnungslos unterlegen.«

»Wir ... so schnell ... möglich.«

»Danke, Breckcrown.«

Der Arkonide schaltete das Funkgerät ab und wandte sich seinen Begleitern zu, die mitgehört hatten. Sanny blickte Atlan aus großen Augen fragend an, während Nockemann einfach dastand, sich unbehaglich am Kinn kratzte und keinen sonderlich intelligenten Eindruck machte.

»Bei allen Raumgeistern«, platzte er plötzlich heraus. »Wie bist du darauf gekommen, dass es die Parallel-SOL ist?«

»Das ist im Augenblick nicht von Belang«, wehrte der Arkonide weitere Fragen ab und hielt Ausschau nach der FRESH.

Die Korvette war nicht mehr auszumachen, und auch die Geister-SOL verschwand am Horizont, lediglich ein Überschallknall und Luftturbulenzen zeugten davon, dass die drei nicht einem Spuk zum Opfer gefallen waren.

»Hoffentlich schafft Vorlan es«, sagte die Moolatin bedrückt.

»Wenn einer das Kunststück fertigbringt, sich wenigstens kurzfristig gegen einen solchen Giganten wie die SOL halten zu können, dann ist es einer der Brick-Brüder«, sagte der Aktivatorträger überzeugt. »Die Frage ist nur, ob Hayes so zeitig hier eintrifft, dass noch etwas zu retten ist.«

Der Wissenschaftler blickte sich unbehaglich um. Sie besaßen keinen beweglichen Untersatz mehr, beide Space-Jets waren vernichtet worden.

»Wir können der FRESH nicht helfen. Sollen wir uns zum Dorf der Libellenmenschen begeben?«

Atlan schüttelte den Kopf.

»Was hätte das für einen Sinn?«

»Worauf willst du warten?«, antwortete Hage Nockemann mit einer Gegenfrage. »Ein Platz ist so gut oder so schlecht wie der andere.«

»Eben!«

»Ich will dir nicht zu nahe treten, aber jetzt erinnerst du mich an Blödel«, brummte der Solaner gekränkt. »Der muss auch immer das letzte Wort haben.«

Dass Nockemann nicht wirklich getroffen war, zeigte sich an dem verklärten Gesichtsausdruck. Er verriet zugleich deutlich, wie sehr der Galakto-Genetiker sich innerlich mit der wissenschaftlichen Positronik verbunden fühlte, die er abfällig »Blödel« nannte, dabei hätte er nie öffentlich zugegeben, dass ihm der Rechner fehlte. Beide – Mensch und Maschine – hatten eine Beziehung zueinander entwickelt, die weit über das hinausging, was man gemeinhin von einem Wissenschaftler und seiner Elektronik erwartete. Blödel – das war für Hage nicht einfach eine Kombination von Chips, Schaltkreisen und Speichern, sondern ein Gesprächspartner, ein Wesen, förmlich ein Freund. Hätte man ihn allerdings darauf angesprochen, hätte er das mit Vehemenz als Unterstellung bestritten.

»Es freut mich, dass du mir einen solchen Status einräumst«, sagte Atlan und musste unwillkürlich lächeln. »Allerdings kann ich dir nicht versprechen, Blödel völlig zu ersetzen. Mir fehlt da ein bisschen die Erfahrung als positronisches Pendant.«

Misstrauisch beäugte Nockemann den anderen, dann beklagte er sich:

»Du machst dich über mich lustig.«

»Nichts läge mir ferner, Hage. Oder nimmst du mir einen kleinen Scherz übel?«

Der Wissenschaftler zog die Stirn kraus, dann lachte er.

»Nein, Blödel ist nämlich manchmal auch ein Spaßvogel, mitunter sogar ein arger Schelm.«

Atlan zwang sich zu einem säuerlichen Lächeln. So wörtlich hatte er es nun wirklich nicht gemeint. Demonstrativ ging er einige Schritte zur Seite und suchte den Himmel mit den Augen ab. Das kleine Pelzwesen trat an seine Seite.

»Glaubst du, dass man uns auch töten will wie Curie, Vorlan und die anderen an Bord der FRESH?«

»Zumindest im Augenblick gibt es keine Anzeichen dafür, Sanny.« Beruhigend legte der Unsterbliche seine Hände auf die Schultern der Moolatin. »Du brauchst dich nicht zu ängstigen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die echte SOL hier ist. Du hast es selbst gehört.«

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«, zitierte Nockemann, der den beiden gefolgt war und die Unterhaltung mitbekommen hatte.

»Das ist von Shakespeare.«

Der Wissenschaftler strahlte Atlan an, als hätte der ihm soeben den Stein der Weisen vermacht.

»Ich gehe jede Wette ein, dass kaum jemand an Bord der SOL das gewusst hätte – bis auf Blödel natürlich. Allmählich glaube ich tatsächlich an eine gewisse Affinität zwischen euch.«

Der Arkonide blickte sein Gegenüber befremdet an.

»Vergiss es.«

»Bist du etwa eingeschnappt?«

»Nein, aber mir ist gerade eingefallen, dass ich völlig andere Schaltkreise besitze als eine Positronik.«

»Seht doch – die FRESH! Sie existiert noch!«

Der Ausruf Sannys unterbrach das Geplänkel der beiden Männer. Tatsächlich zeichnete sich am Horizont ein leuchtender Punkt ab, der rasch größer wurde. Ein zweiter, wesentlich größerer Körper folgte ihm, doch er begnügte sich nicht damit, sondern feuerte auf das vergleichsweise winzige Objekt. Unwillkürlich hielt die kleine Gruppe den Atem an, als eine Salve die Kugel am oberen Pol traf und ihre Schirme aufleuchten ließ.

Wie ein Geschoss stürzte die Korvette nach unten. Schon befürchteten die drei, dass das Beiboot getroffen war und auf dem Boden zerschellen würde, als es wenige hundert Meter über der Oberfläche abgefangen wurde und sich nach einer rasanten Kurve spiralig nach oben schraubte. Ein schaurig klingendes Orgeln erfüllte die Luft.

Wieder feuerte die Parallel-SOL. Brick hatte es nicht bei dem Aufstieg belassen, sondern den Raumer in eine Parabel gezwungen, die das Material bis an die Grenzen seiner Festigkeit belastete. Dieses gewagte Manöver bewahrte die SZ-2-11 zwar vor einem Volltreffer, doch die Schirmfelder waren der auftreffenden Restenergie des Beschusses nicht gewachsen und brachen zusammen.

Nockemann gab einen erstickten Laut von sich und wandte sich ab. Unzweifelhaft bedeutete der nächste Treffer das Ende der nun ungeschützten FRESH und ihrer kleinen Besatzung; er, der sich dem Leben verschrieben hatte als Wissenschaftler, konnte und wollte es nicht mit ansehen.

Mit unbewegtem Gesicht blickte Atlan nach oben. Seine Miene verriet nicht, was er dachte, aber trotz seines mehr als zehntausendjährigen Lebens, in dessen Verlauf er den Tod vieler Individuen miterlebt hatte, war er innerlich nicht weniger aufgewühlt als der Galakto-Genetiker.

Curie und Vorlan waren nicht seine Freunde wie etwa Perry Rhodan, sie standen ihm persönlich nicht so nahe, aber es war immer wieder schmerzhaft und deprimierend zugleich, hilflos zusehen zu müssen, wie Intelligenzen einfach vernichtet wurden. Es konnte doch nicht der Sinn des Lebens sein, dass sich hochstehende Wesen gegenseitig töteten.

Ein Raubtier, das eine Beute riss, tat das nicht, weil es grausam war, sondern weil es überleben wollte, aber warum gab es so etwas wie Krieg oder jetzt diese Jagd auf die Korvette, bei der das Ende feststand? Wem konnte ein Schiffchen wie die FRESH gefährlich werden? Der Geister-SOL bestimmt nicht. Was veranlasste die Geschöpfe an Bord der Hantelraumer-Kopie dazu, das Beiboot zu vernichten? Woher kam die zweite SOL überhaupt?

Du hast die Super-Intelligenzen vergessen, erinnerte der Logiksektor. Und Hidden-X.

»Meinst du, dass der, der hinter dieser Doppel-SOL steckt, Angst vor einer Korvette hat?«, gab der Weißhaarige bitter zurück.

Sicherlich nicht, aber es könnte ein wichtiger Schachzug in der Auseinandersetzung sein.

Atlan gab sich damit zufrieden. Es war müßig, sich den Kopf weiter darüber zu zerbrechen.

Der Aktivatorträger richtete den Blick wieder zum Himmel. Mit tollkühnen Manövern war es Vorlan bis jetzt gelungen, die FRESH vor der Vernichtung zu bewahren, aber man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass die Lage für Brick absolut hoffnungslos war.

»Atlan, ich habe eben berechnet, wie die Korvette sich retten kann«, rief Sanny plötzlich.

Elektrisiert fuhr der Arkonide herum.

»Was ist es? Sage es mir – schnell!«

Noch während er sprach, nahm er das kleine Funkgerät und schaltete es ein.

»Die FRESH kann der Geister-SOL nur entkommen, wenn sie hier auf der Landschaft im Nichts landet.«

»Curie, Vorlan, hier ist Atlan!« Hastig gab er durch, was die Paramathematikerin ermittelt hatte. Er hatte keinerlei Bedenken, die Botschaft zu übermitteln, denn zu oft schon hatte die Moolatin ihre besonderen Fähigkeiten unter Beweis gestellt. »Beeilt euch, ehe es zu spät ist.«

Curie van Herling, die den Anruf entgegengenommen hatte, bestätigte knapp. Ihre Stimme klang gepresst. Wahrscheinlich hatte sie nicht mehr damit gerechnet, dass es noch eine Möglichkeit geben konnte, mit heiler Haut davonzukommen.

Der Pilot reagierte augenblicklich. Die SZ-2-11 stürzte wie ein Stein nach unten, wurde abgefangen, geriet ins Trudeln, schoss im spitzen Winkel nach rechts weg und kehrte im weiten Bogen zurück.

Wieder hatte Brick das Glück des Tüchtigen. Eine Salve strich knapp zweihundert Meter über das Beiboot hinweg, der nächste Schuss verfehlte sein Ziel ebenfalls, weil Vorlan eine nicht vorhersehbare Spirale flog.

Mittlerweile betrug der Abstand zur Oberfläche nicht mehr als einen Kilometer. Nochmals spielte der Solaner sein ganzes Können aus, dann setzte er alles auf eine Karte und ließ den Raumer unter Einsatz der Triebwerke einfach »durchsacken«.

Ein orkanartiger Sturm und brüllende Turbulenzen rissen die kleine Gruppe fast von den Beinen, als Brick den Fall mittels Schubumkehr und Antigraveinsatz abfing; dabei brachte er außerdem noch das Kunststück fertig, nahe Atlans Standort zu landen.

Verständlicherweise hatten die drei nur Augen für die Korvette und waren unendlich erleichtert, als sie unversehrt aufsetzte. Es war der Arkonide, der als erster registrierte, dass die Doppel-SOL während der letzten Flugphase nicht mehr auf die FRESH geschossen hatte. Als er emporblickte, erkannte er auch den Grund dafür: Die andere, die echte SOL war aufgetaucht.

Sanny und Nockemann folgten seinem Blick, ihr Mienenspiel veränderte sich. Die Anspannung, verursacht durch die Angst um die Gefährten, wich aus ihren Gesichtern, sie wirkten gelöst, freudig erregt, zugleich zeigte sich aber auch ein Zug von Beklemmung. Was kam nun? Verschwand die Doppel-SOL, oder kam es zu einem Titanenkampf?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Blindwütig und mit geballter Feuerkraft griff das Geisterschiff an, vermochte der echten SOL jedoch nichts anzuhaben, da diese mit aktivierten Schirmfeldern über der Landschaft im Nichts aufgetaucht war.

Der solanische Raumer erwiderte die Salven, hatte aber ebenso wenig Erfolg wie der Gegner, denn auch dieser operierte mit allen Defensivsystemen. Ein wilder Schlagabtausch entbrannte, der sich wie Wetterleuchten über das Firmament zog. Unvorstellbare Energien wurden dabei freigesetzt.

Atlan beobachtete das Duell der Giganten mit gemischten Gefühlen. Ihm behagte diese Auseinandersetzung überhaupt nicht. Nicht, dass er fürchtete, dass die reguläre SOL unterliegen könnte, nein, ihm bereitete Unbehagen, dass der Hantelraumer über der Landschaft im Nichts präsent sein musste, um den anderen Raumer in Schach zu halten. Die angestrebte Erkundung der Scheibenwelt ohne Gefährdung der Solaner und ihrer Basis war damit hinfällig geworden.

Das könnte Absicht sein!, meldete sich der Extrasinn.

In diesem Augenblick geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Ein grün leuchtender Energieschirm baute sich auf, der die Landschaft im Nichts, ihre Bewohner und die gelandete FRESH vom Kampfgeschehen abschirmte. Verwundert blickte Nockemann den Arkoniden an.

»Dieses Gebilde wird immer geheimnisvoller. Habt ihr geglaubt, dass sich diese Scheibenwelt selbst schützen kann und damit auch uns?«

Ernst erwiderte Atlan:

»Es ist eine Frage der Definition, Hage.«

»Was meinst du damit?«

»Wir sind von der SOL abgeschnitten.«

Betroffen zwirbelte der Wissenschaftler seinen Schnauzbart. Daran hatte er nicht gedacht.

Atlan 562: Gefahrenstufe eins

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