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Ich habe in meinem Leben noch nicht so etwas … etwas Gruseliges gesehen, dachte ich, während Pino völlig ungerührt sein Werkzeug auspackte. Ich stand wie festgefroren am Eingang der Kapuzinergruft.

Überall Knochen, das war doch gar nicht möglich! Aber irgendwie auch unglaublich … schön - wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte.

Ungefähr 4000 Mönche sollten hier bestattet sein, aber nicht auf normalem Weg. Nein, ihre Knochen waren in kunstvollsten Arabesken an Decke und Wände gehämmert, sechs kleine, nebeneinanderliegende Kapellen lang.

Schädel lagen zu Bögen aufgeschichtet, Skelette in braune Kapuzenhemden gekleidet lehnten darin, Kreuze in den knochigen Fingern und gebeugt in ewiger Demut und Anbetung.

Lampen warfen ein glanzloses Muster durch Hüftknochen, Ellen und Speichen, Rippen zogen sich in Girlanden über die Decke, akzentuiert mit Wirbeln. Waren das Schienbeine, die die römischen Ziffern der Uhr-Rosette bildeten? Ein Kinderskelett in der Mitte der letzten Kuppel hielt eine Waage. Hodie mihi, cras tibi, stand in eine Marmortafel gemeißelt darunter: Heute mir, morgen dir.

Durch ein Fensterchen fiel trübes Licht herein. Am Ende der Knochenkrypta führte eine Tür in einen holzgetäfelten Gang. Unser Arbeitsplatz für die nächsten Wochen. Pino sollte hier und in den angrenzenden Räumen verschiedene Hölzer restaurieren und austauschen. Vom Eingang geradeaus ging es zum inneren Eingang des Klosters, rechts führte eine Treppe hinunter in die Katakomben.

Im Moment klopfte Pino mit gerunzelter Stirn an den Türrahmen herum. Er murmelte vor sich hin und schüttelte immer wieder den Kopf. Dann packte er eine der Türen und stemmte sie mit Schwung aus ihren alten Angeln. Ich war immer wieder überrascht, wenn ich sah, wie viel Kraft in Pinos untersetzter Figur steckte.

Zu zweit trugen wir die Türen hinaus in unseren klapprigen Lieferwagen, den Pino vor der Doppeltreppe, die hinauf zur erhöht liegenden Kirche führte, geparkt hatte. Danach stand mir der Schweiß auf der Stirn, so schwer war das Teil. Die Dame, die uns eingelassen hatte, umflatterte uns mit allen möglichen Instruktionen. Ich glaube, Pino hörte nicht besser zu als ich.

Pino stellte mir einen Eimer mit Wasser hin und ich begann behutsam mit Holzseife die Vertäfelung abzubürsten, während er versuchte mehr Licht in den Raum zu bringen. Die eine schummerige Lampe an der Decke des Gangs war auf jeden Fall zu wenig, um gut arbeiten zu können, und für die Spots, die er mitgebracht hatte, fehlten Stecker. Er begann Kabel zusammenzustecken und in allen Ecken nach Stromauslässen zu suchen. Schließlich gab er seufzend auf. „Ich bring dann mal die Türen in die Werkstatt, dabei kann ich gleich noch paar Kabel mitbringen. Die müssen wir eben bis ins Kloster hinüber legen, wenn’s nicht anders geht. Die Elektrik hier ist vorsintflutlich. Du kommst zurecht, oder?“

Ich nickte. Ja, ich kam klar – obwohl ich es hier ziemlich unheimlich fand. Ruhig arbeitete ich weiter. Es war faszinierend zu sehen, wie frisch das Holz unter seiner jahrhundertealten Patina aus Kerzenruß, Schmutz und Fett auftauchte. Wie viele Hände mussten ihre Abdrücke hier hinterlassen haben! Ich blickte mich unwillkürlich nach den Skeletten in den verblichenen Mönchskutten um. All diese Mönche waren einmal hier entlanggegangen, hatten mitgeholfen, die Knochen ihrer Mitbrüder so kunstvoll zu arrangieren, bevor sie selbst ein Teil des Ganzen wurden. Ich zog die Schultern hoch. Ein leichtes Frösteln war mir über den Rücken gelaufen.

Die Tür zu den Katakomben hinunter hatte Pino mitgenommen. Eine düstere Welt musste das sein dort unten. Die Urchristen hatten die Katakomben angelegt, wenn ich das richtig verstanden hatte. Die Kapuziner hatten dann in den unterirdischen Gewölben die Toten aus dem umliegenden Armenviertel, in dem die Mönche Pflegedienst leisteten, bestattet.

Von irgendwoher wehten einzelne Töne herüber. Musik? Gesang? Es war schwer auszumachen. Die Kirche musste etwas nach links versetzt über mir liegen. Vielleicht war ja gerade ein Vespergottesdienst oder so etwas. Sonst war es so still, dass ich meinen eigenen Atem hörte. Die dicken Wände schienen alle Geräusche aufzusaugen. Auch die vereinzelten Töne waren nun nicht mehr zu hören. Konzentriert bürstete ich Paneel für Paneel das Holz ab. Wie schön die verschiedenen Holzzuschnitte zu Mustern verschlungen waren!

Nach einer Weile trat ich mit der Fußspitze leicht gegen den zweiten Eimer. Leer. Pino hatte vergessen, ihn zu füllen. Ich musste aber allmählich mit klarem Wasser nachwischen, bevor die gelöste Schmutzschicht wieder antrocknete. Wo hatte er das Putzwasser geholt? Wahrscheinlich da vorne irgendwo, Richtung Kloster. Ich packte den leeren Eimer. Hoffentlich gab es dort auch eine Toilette.

Im Gang zog es, die Luft roch trocken. Eine Tür beschloss den alten Teil des Korridors, dahinter sah es moderner aus: Die Wände in einem blassen Grün gestrichen und die Türen weiß, wenn auch der Lack an vielen Stellen bereits abblätterte. Was hier wohl für Räume waren? Wahrscheinlich Abstellkammern und so. Ich ging weiter. Hinter einer schweren Holztür begann das Kloster, dort war kein Außenstehender mehr willkommen, schon gar kein weiblicher. Mir kam es vor, als hörte ich wieder dieses ferne Singen, aber vielleicht war es auch nur die Stille, die mir in den Ohren dröhnte. Plötzlich ein leises Klicken — eine Tür fiel hinter mir ins Schloss. Ich fuhr herum. Es hatte doch gar keine Tür offen gestanden?

„Hallo?“ Meine Stimme klang zaghaft. Ich räusperte mich. Wahrscheinlich hatte der Luftzug eine der Türen aufgeweht. Und dann wieder zu? Nein. Außerdem zog es draußen, im alten Teil, nicht hier … Aber … hier war doch ganz sicher niemand, das hätte ich vorher merken müssen.

„Hallo!“, rief ich noch einmal mit festerer Stimme. Auf einmal hatte ich die verstörende Vision, dass eines der Skelette langsam den Kopf hob, mit seinen leeren Augenhöhlen in den Gang spähte und mir gleich antworten würde. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Wieder ein Türenschlagen, diesmal ganz deutlich, und ein Rumpeln, als würde etwas Schweres abgestellt. „He, Selina! Wo steckst du denn?“

Ich stieß ächzend die Luft aus. Das war Pino! Du liebe Güte, ich hatte wirklich zu viel Fantasie!

„Hier!“, rief ich mit wackeliger Stimme.

Pino tauchte am anderen Ende des Ganges auf. „Ich hab einfach die ganze Kiste mit den Kabeln mitgebracht. Jetzt werden wir uns gleich mal ansehen, wie weit wir damit kommen! Was machst du denn da hinten? Wolltest wohl schon ins Kloster gehen, vor lauter Warten, ja?“ Er lachte freundlich.

„Ich … ich hab Wasser gesucht.“

„Wasser, ah! Dann schau mal da.“ Er stieß eine der Türen auf. „Da ist auch ein Klo, falls du es brauchst. Ich such jetzt erst mal die Signora.“

Mein Herzschlag beruhigte sich langsam, während das Wasser wirbelnd in den Eimer strömte. Es roch sauber in dem kleinen Waschraum. Ich hielt meine Handgelenke unter den Strahl und wischte mir mit den feuchten Händen übers Gesicht. Wie nervös mich die paar Skelette gemacht hatten, dabei waren sie ja wirklich harmlos. Und friedlich. Und eigentlich fröhlich. Jeder Totenschädel grinste in einem immerwährenden Lächeln. Da sahen die Lebenden oft ganz anders aus!

Ich konnte die Stimmen von Pino und der Frau hören und bis ich mit dem Wasser wieder bei meinen Paneelen war, erstrahlte der Gang im hellen Licht der Spots. Die Verkabelung schlängelte sich durch die Eingangstür zur äußeren Klosterpforte hinüber. Pino lachte. „Ist doch besser, nicht wahr?“ Ich nickte. Das Beste daran war, dass Pino wieder da war und ich nicht mehr allein in der Gruft stand.

Ich bin eingesperrt, immer wieder in anderen Zimmern, aber immer gleich verzweifelt. Ich weiß nicht, was mich bedroht. Etwas Schreckliches. Schrecklich und tödlich. Und es kommt auf mich zu, kommt näher und immer näher. Unausweichlich. Ich kann nicht fliehen, kann ihm nicht entkommen.

Japsend und mit panisch klopfendem Herzen gelang es mir, mich aus dem Albtraum zu befreien, mich an die Oberfläche meines Bewusstseins zu strampeln, wie ein Taucher, dem der Sauerstoff ausgegangen war. Ich war schweißgebadet und brauchte ewig, bis meine Atmung sich wieder beruhigt hatte.

Jedes Traumbild steht für einen Teil des eigenen Selbst, hatte ich einmal gelesen. Auch die bedrohlichen Anteile.

Welcher Teil meiner selbst bedrohte mich hier? Welcher Teil wandte sich gegen meine Fröhlichkeit und meine Lebensfreude und wollte mich vor Schreck und Furcht erstarrt sehen? Menschen, die Angst haben, sind leichter zu kontrollieren, heißt es. War das die Idee? Kontrolle? Tat ich mir das selber an?

Dunkle Seele Liebe

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