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Prolog

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Vor der Bucht von Cagliari, 1798.

Ein greller Blitz zerteilte den Himmel. Unmittelbar danach krachte der Donner, gefolgt von zwei weiteren Blitzen, die für einige Sekunden die Nacht erhellten. Donnerschläge wie Kanonenschüsse. Heulender Wind und prasselnder Regen, der wie Schrot aufs Deck der kleinen Schoner-brigg schlug.

Bereits seit über einer halben Stunde rollte die Lady Anne ächzend von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Das Tauwerk und die Masten knarrten und stöhnten in den heftigen Sturmböen, die wie nasskalte Hände von Riesen nach allem griffen, was sie an Deck finden konnten. Kein Sturmreff hatte diesem Unwetter widerstehen können. Die Segel des Großmastes hingen schon gespenstisch weiß in Fetzen von den Rahen. Lange würde das Schiff dem Unwetter nicht mehr trotzen können.

John Mackenzie zog den Mantel enger um sich und verstärkte seinen Griff um das Geländer des Treppenaufgangs. Diese gottverdammte Hundewache. Er war todmüde. Aber an Schlaf war nicht zu denken; er war ein englischer Seemann und musste seine Pflicht tun. Auch wenn es nicht mehr viel gab, das noch für das Schiff getan werden konnte. Zwar hatten sie rechtzeitig gerefft, aber außer den Toppsegeln des Besanmastes hatten sie dennoch kein Stückchen Segeltuch retten können. Der Sturm schien mit jedem Glasenschlag stärker geworden zu sein. Wahre Sturzbäche von Regenwasser strömten hinunter ins Unterdeck und schwappten zwischen den Geschützen hin und her. Die verstärkten Klappen über dem Laderaum hielten geradeso eben dem nun einsetzenden Hagel stand, der wie eine Salve Gewehrkugeln nach der anderen auf John, die beiden wachhabenden Offiziere und Talbot, den zweiten Offizier am Steuerrad, herabschoss.

Der Bootsmann Al Dawson stand unter dem Vorsprung des Achterdecks und hielt sich mit einer Hand an der neunstufigen Treppe fest, die zum Steuerrad hinaufführte. In der anderen Hand hielt er den grün gestrichenen Arm der Galionsfigur, den John ihm vor einem Tag gegeben hatte. Als neuer Knotenstock würde das abgebrochene Stück Eichenholz einer neuen Aufgabe zugeteilt werden.

Anders als der detailliert gearbeitete Körper der Frau im grünen Kleid, die am Bug des Handelsschiffes schon seit beinah sieben Jahren Wind und Wetter getrotzt hatte. Auch wenn es John geschmerzt hatte, den gut gearbeiteten Arm wegzugeben – selbst für eine Extraportion Rum. Aber Dawson hatte nicht locker gelassen; er hatte den Gerüchten Glauben geschenkt.

John warf einen besorgten Blick über das Vorschiff, das sich bei jeder schäumenden Woge aufbäumte und dann wieder im Wellental versank. Hoffentlich hielt der neue rechte Arm mit der Rose, die John vor wenigen Wochen im Hafen von Jaffa blutrot angemalt hatte. Nicht nur das Schicksal des Schiffes und der gesamten achtzigköpfigen Mannschaft stand auf dem Spiel, wenn die schöne Frau sich in ihre Bestandteile auflöste.

Johns Herz klopfte bis zum Hals, als er daran dachte, dass nur er wusste, wie wichtig der geheimnisvolle Glücksbringer für ihn und das Gelingen seines Planes war.

Ein lautes Krachen, gefolgt von einem Reißen und dann dem Bersten von Holz zog Johns Aufmerksamkeit auf sich. Dann polterte mittschiffs etwas auf das Deck. John sah einen runden Gegenstand durch ein Loch in den Planken verschwinden. Eine Kanonenkugel.

Mit einem Mal brach unter den beiden wachhabenden Offizieren Hektik aus. Sie gestikulierten und ruderten mit den Armen, während Al Dawson unter dem schützenden Überhang des Achterdecks hervorsprang, die neun Stufen zu Talbot hinaufstürmte, „alle Mann an Deck!“ brüllte und wie wild am Schlegel der Schiffsglocke zu reißen begann. Der helle, scheppernde Ton schnitt durch das Tosen des Windes und wurde nur kurz vom Dröhnen des Donners überlagert.

Sofort war unter Deck das Getrappel vieler Füße zu vernehmen, das durch den Aufgang zu John heraufklang. Nur Sekunden später erschien der erste Kopf mit Matrosenpferdeschwanz auf dem Gang zu den Unterkünften der Mannschaft.

Alle Mann auf Gefechtsstation!“ brüllte Dawson gegen das Heulen des Sturms an.

Je zwei Mann nahmen Position bei den insgesamt vierundzwanzig Achtzehnpfündern ein und stießen die Stückpforten auf. Dann sahen sie abwartend zu den beiden wachhabenden Offizieren hinauf. Diese starrten angestrengt nach Steuerbord in die Sturmnacht hinaus.

Auch John blickte starr hinaus in die Dunkelheit, mit beinah ebenso laut klopfendem Herzen wie bei ihrer Abfahrt, als er sicher war, jeden Moment von einem der Häscher ergriffen zu werden. Den grimmigen Männern mit den Krummsäbeln, die schon James und seine Gefährten verfolgt hatten.

Einer der beiden Offiziere brüllte etwas, das John nicht ganz verstand. Er konnte sich aber denken, wer sie hier südöstlich von Sardinien unter Beschuss genommen hatte. Die Flotte der Königsmörder hatte sie entdeckt.

John sah, wie sich Talbot am Steuerrad gegen die Sturmböen stemmte und gleichzeitig versuchte, das schlingernde Schiff einigermaßen stabil zu halten.

Das Bersten einer weiteren Rahe am Vormast schleuderte handgroße Splitter auf das Deck hinab. Mit einem scharfen Sirren fuhr ein beinah kopfgroßer Holzgegenstand hernieder, eine Talje mit gerissenen Seil-enden, der John nur durch einen geistesgegenwärtigen Sprung nach mittschiffs entgehen konnte. Gleich darauf zersplitterten die Stufen des Treppenaufgangs – genau dort, wo er noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte.

Report, Mister Dawson!“ drang die scharfe Stimme Kapitän Porters an Johns Ohr. Der kleine Mann hatte die Tür zur Heckkajüte aufgerissen und war mit drei großen Sätzen an der steuerbordseitigen Treppe zum Achterdeck. Dawson gestikulierte und brachte den Kapitän schnell ins Bild.

Sein „Feuer frei!“-Ruf ging in einem erneuten Krachen unter, das die Bordwand an Steuerbord bersten ließ. Genau dort, wo die Treppe zum Achterdeck hinaufführte. Der Kapitän war verschwunden, begraben unter den Trümmern.

Gegen den Sturm ankämpfend arbeitete sich Dawson zu Talbot hinüber, um ihm beim Halten des Steuerrades zu helfen. Doch er kam nicht mehr dazu. Eine gewaltige Woge schleuderte den Schiffsrumpf hoch auf die Backbordseite.

Sechs der bronzenen Geschütze rissen sich aus den Haltetauen und brachen mitsamt den schweren Lafetten aus Eichenholz durch die zersplitternde Bordwand. John sah, wie acht Matrosen mit in die Tiefe gerissen wurden.

Ein kurzes Aufleuchten in einiger Entfernung, kaum erkennbar in der stürmischen Nacht, wurde gefolgt von einem weiteren ohrenbetäubenden Krachen.

Mit einem gewaltigen Stöhnen bäumte sich die Lady Anne auf und legte sich hart auf die Steuerbordseite. Schäumende Gischt schlug wie eine riesige Flutwelle über das Deck herein und wischte John von den glitschigen Decksplanken. In letzter Sekunde klammerte er sich an das Geländer des Treppenaufgangs und zog sich wieder auf die Füße.

Er musste jetzt einen klaren Kopf behalten. Er durfte nicht aufgeben. Sein Glück lag in diesem Schiff und er würde es nicht aufgeben. Dafür hatte er zu viel riskiert.

Wie wild gewordene Kutschpferde jagten die Erinnerungen durch seinen Kopf: Seine Entscheidung, zur See zu fahren, hatte er nie bereut. Auch wenn er seine Vaterstadt Huntingdon gern unter anderen Umständen verlassen hätte. Bei Lloyd & Sons hatte er alles gelernt, was er als Zimmerergeselle brauchte.

Eine Zukunft hätte er in der Provinz allerdings niemals gehabt, selbst wenn er sich nicht den Hass von Melissas Brüdern zugezogen hätte. Vielleicht hatten sie sich inzwischen beruhigt, immerhin war es mehr als drei Jahre her, dass er der Grafschaft den Rücken gekehrt hatte.

Aber was ihm weitaus mehr Sorgen bereitete, war das Versprechen, das er Pamelas Bruder gegeben hatte. James Morton hatte ihm geschworen, dass er Pamela zur Frau haben sollte, wenn er den kleinen Beutel aus Segeltuch unentdeckt nach England bringen würde. Was aber hatte er davon, wenn sie nun hier irgendwo zwischen Sizilien und Sardinien von den Froschfressern versenkt wurden?

John hörte Talbot aufschreien. Einen Moment später brach das Achterdeck. Der zweite Offizier klammerte sich wie eine Ratte ans Holz und ging mit dem Steuerrad über Bord.

John sah nicht mehr, wie der Neunzehnjährige verschwand. Eine gewaltige Erschütterung brachte ihn aus dem Gleichgewicht und spülte ihn mit der nächsten Welle durch ein klaffendes Einschussloch hinaus aus dem sterbenden Schiffskörper.

Sein letzter Gedanke galt der geheimnisvollen Frau, an der sein Glück hing. Er hatte sie nicht ausreichend schützen können. Schon bald würden sie beide auf dem Grund des Meeres ihr ewiges Grab finden. Ein letztes Aufblitzen von Kanonenfeuer zerriss die Sturmnacht. Dann schwanden John die Sinne.


Die grüne Frau

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