Читать книгу Nordische Mythologie und die Götter der Sagen: Die schönsten nordischen Sagen - Felix Dahn, Felix Dahn - Страница 7

Zweites Kapitel. Die einzelnen Götter. Elben, Zwerge, Riesen. Andere Mittelwesen.

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I. Odin-Wotan.

Odin führt uns in die höchsten und tiefsten, die feinsten und meist durchgeistigten Elemente des germanischen Wesens. Thor-Donar ist der Gott der Bauern, Odin-Wotan, der Siegeskönig, ist der Gott der völkerleitenden Fürsten und Helden; zugleich aber (und das ist das Wunderbare, in dieser Vereinung so ganz für die germanische Volkseigenart Bezeichnende) ist er der Gott der Weltweisheit und der Dichtung; die grossen Könige der Völkerwanderung und die Kaiser des Mittelalters wie anderseits der ewig suchende Faust der deutschen Weltweisheit: Kant, Fichte, Hegel, Schelling, aber ebenso die grössten germanischen Dichter: Shakespeare, Goethe und der Dichterphilosoph Schiller; – alle diese Männer hätten unter dem Asenglauben Odin als ihren besondern Schutzgott betrachtet; alle diese unter sich so grundverschiedenen und doch gleichmässig für germanisches Eigenwesen so scharf bezeichnenden Gestalten, – sie sind Erscheinungen dessen, was die heidnische Vorzeit unsres Volks in ihren obersten Gott gelegt hat; ahnungsvoll hat das Germanentum in die eigne Brust gegriffen und seine höchste Herrlichkeit in Staats- und Siegeskunst, seine Heldenschaft, seine tiefste Tiefe in grübelnder Forschung, seine sehnsuchtsvollste dichterische Begeisterung verkörpert in seinem geheimnisvollen Götterkönig; es weht uns an wie Schauer aus den Urtiefen unsres Volks, gehen wir daran, Odins Runen zu deuten und die Falten zu lüften seines dunkelblauen Mantels. –

Woher rührt jene Verbindung scheinbar unvereinbarer Elemente in einer Göttergestalt?

Die Ursache liegt zum Teil in der Naturgrundlage, zum Teil in der Stellung Odins als obersten Königs und Leiters der Walhallgötter.

Seine Naturgrundlage ist die Luft, – die alldurchdringende; von diesem Alldurchdringen führt er ja auch den Namen; wir Neuhochdeutschen freilich brauchen »waten«, »durchwaten« nur mehr von dem Durchschreiten des Wassers, höchstens etwa noch einer dichten Wiese oder einer Sandfläche; aber althochdeutsch watan, altnordisch vadha, bedeutete jedes Durchschreiten und Durchdringen; die Luft aber, in allen ihren Formen und Erscheinungen gedacht, welche Fülle von Gegensätzen schliesst sie ein! Von dem lautlosen und regungslosen blauen Äther, von dem gelinden, geheimnisvollen Säuseln der Frühlingsnacht, das kaum das junge Blatt der Birke zittern macht, bis zum furchtbar brausenden Sturmwind, der im Walde die stärksten Eichenstämme knickt; – alle diese Erscheinungen nun sind Erscheinungen Wotans; – er ist im gelinden Säuseln und nicht minder im tosenden Sturm. Aber durch diese seine Luftnatur wurde Wotan noch mehr; – er wurde zum Gott des Geistes überhaupt. In mehreren Sprachen ist das Wort für den leisen, unsichtbaren, doch geheimnisvoll allüberall fühlbaren Hauch der Luft eins mit dem Wort für Geist.

Wotan, der Gott des Lufthauchs, ist also auch der Gott des Geisteshauchs; und zwar des Geistes in seinem geheimnisvollen Grübeln, in seiner tiefsten Versenkung in die Rätselrunen des eignen Wesens, der Welt und des Schicksals; wer der Natur und der Geschichte ihre Rätsel abfragen, wer die Ursprünge und die Ausgänge aller Dinge ergründen, wer Gott und die Welt im tiefsten Wesenskern erforschen, d. h. wer philosophieren will, der tut wie Odin; Odin, der »grübelnde Ase«, wie ihn bezeichnend die Edda nennt. Ahnungsvoll hat der deutsche Geist den ihm eignen philosophischen Sinn und Drang, der ihn vor allen Nationen kennzeichnet, seinen Faustischen Zug, in das Bild seines obersten Gottes gelegt. Wie der Wahrheit suchende Grübler Faust nicht harmlos der frohen Gegenwart geniessen mag und sich des Augenblicks und der hellen Oberfläche der Dinge erfreuen, wie es ihn unablässig drängt, den dunkeln Grund der Erscheinungen zu erforschen, die Anfänge, die Gesetze, die Ziele und Ausgänge der Welt; – so der »grübelnde Ase«. Während die andern Götter sich den Freuden Walhalls hingeben oder in Abenteuer, in Kampf und Liebe der Gegenwart leben, uneingedenk der Vergangenheit und um die Zukunft unbesorgt, kann Odin nun und nimmer rasten im Suchen nach geheimer Weisheit, im Erforschen des Werdens und des Endschicksals der Götter und aller Wesen. Die Riesen oder einzelne unter ihnen gelten als im Besitz uralter Weisheit stehend; Odin ermüdet nicht, solche weisen Meister aufzusuchen und auszuforschen; hat er doch sein eines Auge selbst als Pfand dahingegeben, um von dem kundigen Riesen Mimir Weisheitslehren zu empfangen; denn im Wasser, in »Mimirs Brunnen«, liegen die Urbilder aller Dinge verborgen; er versenkt deshalb sein Auge in diesen Brunnen. Zauberinnen, weissagende Frauen, lebende und tote, forscht er aus; ja er hat die »Runen«, den Inbegriff aller geheimen Weisheit, selbst erfunden. Auch mit kundigen Menschen hält er Wettgespräche der Weisheit, in welchen der Götter und aller Wesen Entstehung, Wohnung, Sprache, Schicksal und Ende erörtert wird. So hat er denn auch die Geheimkunde von der unabwendbar drohenden Götterdämmerung ergrübelt; – aber zugleich auch das trostreiche Hoffnungswort von der Erneuerung, von dem Auftauchen einer neuen, schönen, schuldlosen Welt; und er vermag dies Trostwort als letztes Geheimnis seiner Weisheit dem toten Lieblingssohne Baldur noch in das Ohr zu raunen.

Es sind zunächst äussere Gründe, welche den Leiter der Walhall-Götter zu solcher Forschung führen; – das Bedürfnis, die den Göttern von den Riesen drohende Gefahr der Zukunft zu erkunden –; aber ebenso unverkennbar hat die Edda, hierauf weiterbauend, dem »grübelnden Asen« den tief germanischen Drang nach Weltweisheit eingehaucht. Unablässig forscht der Gott, der nicht allwissendist, aber es sein möchte; täglich sendet er seine beiden Raben aus, die Welt und den Lauf der Zeiten zu erkunden; zurückgekehrt sitzen sie dann auf seinen beiden Schultern den flüstern ihm geheim ins Ohr; sie heissen aber – denn nicht könnten die Namen bezeichnender sein – sie heissen »Hugin« und »Mugin«: »Gedanke« und »Erinnerung«.

Vom Geist untrennbar ist die Durchdringung mit Geist, die Begeisterung; und wie der philosophische, findet der dichterische Drang germanischen Volkstums, der Geist, der, vom Trank der Schönheit trunken, selbst das Schöne zeugt, in Odin seinen Ausdruck. Zwar hat die nordische Mythologie einen besondern Gott des Gesanges aufgestellt, Bragi (Odins Sohn), »der die Skalden ihre Kunst gelehrt« (s. unten); aber er ist nur eine Wiederholung, eine einzelne Seite Odins; Odin ist der Gott höchster dichterischer Begeisterung, jener Entzückung künstlerischen Schaffens, welche, -auch nach Sokrates-Platon, mit der wärmsten Liebesbegeisterung für das Schöne verwandt, auch von andern Völkern als ein Rausch, als eine Art göttlichen Wahnsinns gefasst und gefeiert wird. Tief hat es das germanische Bewusstsein erfasst, dass nur aus der Liebe höchsten Wonnen und Qualen der Trank geschöpft wird unsterblicher Dichtung.

Der Trank oder Met der Dichtung war entstanden aus dem Blut eines Zwergen Kwâsir, »der war so weise, niemand mochte ihn um ein Ding fragen – er wusste Antwort«. Den Trank hatte in Verwahrung des Riesen Suttung schöne Tochter Gunnlöd; unter falschem Namen, durch List und in Verkleidung gelangt Odin zu ihr; er gewinnt die Liebe der Jungfrau; drei Tage und drei Nächte erfreut er sich ihrer vollen Gunst und die Liebende gestattet ihm, drei Züge von dem Trank zu schlürfen; aber in diesen drei Zügen trinkt der Gott die drei Gefässe leer, nimmt Adlersgestalt an und entflieht nach Walhall, indem er für sich und seine Lieblinge, denen er davon verleihen mag, die Gabe der Dichtung unentreissbar gewonnen hat; sie heisst daher »Odins Fang«, »Odins Trank«, »Odins Gabe«.

Nach echt germanischer Auffassung ist die Dichtung zugleich die höchste Weisheit; sie gewährt Antwort auf alle Fragen; es ist jene tiefsinnige Wahrheit, dass der Dichter, der echte, dass ein Shakespeare, Goethe, Schiller die letzten Geheimnisse der Menschenbrust ausspricht und in schöner Ahnung die Rätsel der Natur und Geschichte löst; die goldene Frucht der Wahrheit in den silbernen Schalen der Schönheit. – Das ist die germanische Auffassung von der Aufgabe der Dichtkunst, wie sie unsre grössten Meister erkannt und gelöst haben. Denn wahre Schönheit ist schöne Wahrheit. Das Wesen dieser Dichtkunst aber ist trunkene, entzückte Begeisterung. Ein prachtvolles Bild der Edda schildert den Rausch (zunächst allerdings für den Rausch des Trinkers): »der Reiher der Vergessenheit rauscht über die Gelage hin und stiehlt die Besinnung«; »dieses Vogels Gefieder,« fährt Odin fort, »befing auch mich in Gunnlöds Haus und Gehege, trunken ward ich und übertrunken, als ich Odrörir erwarb«. Es wird also der Rausch dichterischer Begeisterung eingekleidet in den Rausch des Trankes des heiligen Mets; auch die Namen sprechen etymologisch die gleiche Lehre aus: Kwâsir bedeutet »die schäumende Gärung«, und Odrörir ist der »Geistrührer«; – der Trank, der den Geist in Bewegung setzt. Aber nur durch die Liebe gelangt der Gott zu dem selig berauschenden Trank: »nur sie, nur Gunnlöd schenkte mir, auf goldenem Lager, einen Trank des teuren Mets«; nie wär’ ihm die Entführung des Trankes geglückt, »wenn Gunnlöd mir nicht half, die gunstgebende Maid, die den Arm um mich schlang«.

Auch das ist tief ergreifend in dieser wunderbaren Sage vom Werden der deutschen Dichtung, dass, wie die Wonne, so das Weh der Liebe als unentbehrlicher Tropfe in diesen Becher der Poesie geschüttet wird; nicht ohne höchste Liebeslust, nicht ohne tiefstes Liebesleid zu geben und zu empfangen wird Odin zum ersten germanischen Dichter; nach den drei seligen Nächten folgen für Gunnlöd die langen, bangen Tage des sehnsuchtvollen Grämens, das ihr Leben verzehrt; und auch durch Glanz und Glorie des göttlichen Dichterkönigs klingt die Erinnerung an die gute Maid, »die alles dahingab« und die er verlassen, leis elegisch zitternd nach: »Übel vergolten hab’ ich,« fährt Odin fort in seiner Selbstschilderung: »Übel vergolten hab’ ich der Holden heiligem Herzen und ihrer glühenden Gunst; den Riesen beraubt’ ich des köstlichen Tranks und liess Gunnlöd sich grämen«.

Rührender und tiefer und einfacher kann man die alte Geschichte nicht erzählen, »wie Liebe doch mit Leide stets endlich lohnen muss«.

Odin ist aber auch das Urbild des völkerleitenden, völkerbezwingenden, Völker zu Krieg und Sieg antreibenden, fortreissenden Staatsmannes.

Zwei Gründe sind es, welche in ihm den unablässigen Drang lebendig erhalten, die Völker und Könige gegeneinander zu hetzen, sie stets listig untereinander zu verfeinden, dem Frieden zu wehren, »Zanksamen, Zwist-Runen unter ihnen auszustreuen«, bis sie sich in blutigen Schlachten morden, bis Tausende auf ihren Schilden liegen; indes der Gott, der Siegeskönig, der all das angerichtet, seine hohen, geheimen, von den geleiteten Fürsten und Völkern gar nicht geahnten Zwecke dadurch erreicht.

Einmal ist »Wuotan«, der Wütende, die kriegerische Kampflust selbst; er ist der Gott jeder höchsten geistigen Erregung, jeder Begeisterung; nicht minder als die dichterische ist es die kriegerische Begeisterung des Helden, welche er darstellt; jener germanische Heldengeist, welcher, aus den Urwäldern Deutschlands hervorbrechend, in der Völkerwanderung das römische Westreich niederwarf, bis nach Apulien und Afrika, bis nach Spanien und Irland unwiderstehlich vorwärts drang, jener ‘furor teutonicus, den die Römer seit dem »kimbrischen Schrecken« kannten, jene Freude am Kampf um des Kampfes willen; der Drang also, der von der Urzeit bis auf die Gegenwart die deutschen Männer in die Feldschlacht treibt; – es ist der Geist Wotans, der sie beseelt.

Dazu aber kommt ein zweiter, in dem Grundbau der germanischen Götterlehre wurzelnder Antrieb; Odin muss als Anführer der Asen und all ihres Heers im Kampfe gegen die Riesen dringend wünschen, dass Krieg und männermordende Schlachten kein Ende nehmen auf Erden; denn nur die Seelen jener Männer, welche nicht den »Strohtod« des Siechtums oder Alters in ihren Betten, sondern den freudigen Schlachtentod gestorben sind auf blutiger Wal, nur diese werden von den Walküren nach Walhall getragen und nur diese, die Einheriar, kämpfen an der Seite der Götter gegen die Riesen; jedes Schlachtfeld liefert also dem König der Götter eine Verstärkung seiner Heerscharen.

Auch dieser Zug Wotans hat in der deutschen Geschichte, im deutschen Volkswesen seine Spiegelung gefunden.

Denn jene friedfertige Gutmütigkeit der Kraft, welche Donar und Dietrich von Bern eignet, ist doch keineswegs ausschliessend und zu allen Zeiten, wie in den tieferen Schichten des Volks, auch in seinen Leitern und Führern massgebend gewesen. Sie konnte es nicht sein in dem harten Kampf ums das Dasein, den seit bald zwei Jahrtausenden das Germanentum gegen Kelten und Romanen, Slaven und Mongolen, Türken und Tataren zu führen hatte. Mit solch treuherziger Friedfertigkeit allein hätten die Germanenvölker trotz Donars Hammer und seiner Kraft vor den bald an Bildung, bald an Zahl unermesslich überlegenen Feinden nicht bestehen können und wären nicht im Lauf der Jahrhunderte siegreich von Asien quer durch ganz Europa nach Spanien, Süditalien und Afrika und in die neuentdeckten Erdteile vorgedrungen, hätten Rom, Byzanz und Paris überwunden und den ehernen Fuss auf den Nacken des Slaventums gesetzt. Da hat es denn von Anbeginn – danken wir Wotan dafür! – dem germanischen Stamm auch nicht an grossen, kühnen und listigen Staatsmännern und Fürsten gefehlt, welche mit überlegener Staatskunst die Geschicke der Völker in Frieden und Krieg zu ihren geheimen und rettenden Zielen gesteuert. Schon jener Cheruskerfürst Armin, dessen dämonische Gestalt im Eingangstor unsrer Geschichte steht, war in staatskluger Arglist kaum minder gross als an Tapferkeit. Die Not der Völkerwanderung hat dann manchen ränkekundigen Fürsten erzogen, welcher byzantinischer Schlauheit mehr als gewachsen war; und bei dem Bild eines unter ihnen, des gefürchteten Meerkönigs Geiserich, des Vandalen, der aus seinem Hafen zu Karthago sein Raubschiff vom Ungefähr, vom Winde, treiben lässt gegen die Völker, »welchen der Himmel zürnt«, scheint die Heldensage geradezu Züge aus dem Wesen Wotans entlehnt zu haben; wie er verschlossen, wortkarg, höchst geschickt gewesen, unter die Fürsten und Völker den »Samen der Zwietracht zu streuen«, er, der arglistigste aller Menschen. Geschweigen wir Theoderichs und Karls, der Grossen, und gedenken sofort jener gewaltigen staufischen Kaiser, Heinrich VI. und Friedrich II., welche über Päpste, Könige und Völker hinweg ihre grossartige, oft vielfach verschlungene Staatskunst mit den Zielen: Rom, Byzanz, Jerusalem verfolgten; erinnern wir uns jenes preussischen Friedrich, von dessen Staatskunst man das über Geiserich gesprochene Lob wiederholen mag: – »er war früher mit der Tat fertig als seine Feinde mit dem Entschluss« – und erwägen wir die Werke überlegener Staats- und Siegeskunst, welche wir, von göttergesendetem, durch den »Wunschgott« geschenktem Glück getragen, im letzten Kriege mit Frankreich (1870) mit staunenden Augen die deutsche Volkskraft leiten sahen; – gedenken wir Bismarcks – und es überschauert uns ein Ahnen von dem aus der Grundtiefe germanischer Art geschöpften Wesen Odins, des staatsklugen, völkerleitenden Meisters des Sieges.

Nachdem aus der Naturgrundlage und aus der Geistesart Odins im bisherigen die wichtigsten Folgerungen abgeleitet sind in grossen allgemeinen Zügen, haben wir darzustellen, was im übrigen und im einzelnen zu seinem Bilde gehört.

Die reiche Fülle seiner Verrichtungen, Aufgaben und Wirkungen fiel schon der Urzeit auf, die ihn verehrte; diese Mannigfaltigkeit drückt sich in der grossen Menge von Namen aus, deren er sich erfreut (gegen zweihundert, in der Edda allein fünfundsiebzig), auch hierin ist ihm kein andrer Gott vergleichbar; ja die Germanen lassen ihn selbst sich dessen berühmen: »Eines Namens genügte mir nie, seit ich unter die Götter fuhr«, und er zählt nun zahlreiche Beinamen auf, welche er bei bestimmten Gelegenheiten, Fahrten, Abenteuern führte; leider ist unsre Überlieferung so stückhaft, dass wir von diesen Begebenheiten nirgends sonst etwas erfahren! –

Der Wind beherrscht auch das Wasser; so tritt Odin auch als Wassergott auf, als »Hnikar« (vgl. der Neck, die Nixe); er allein gibt als Windgott günstigen Wind, »Fahrwind«, den Schiffern; er wandelt auf den Wellen, beschwichtigt sie, gibt dem Schiff, in das er, verkleidet, sich aufnehmen lässt, glückliche Fahrt; so wird er denn auch, wie der Luftgott Hermes-Merkur (mit welchem ihn die Römer verwechselten), ein Gott der Kaufleute, der Schiffs-Frachten.

Aber nicht nur den Wunsch-Wind spendet Odin, sondern als oberster, als mächtigster Gott kann er mehr als alle andern, überhaupt alle Wünsche der Menschen erfüllen; daher heisst er »Oski«, der Wunsch, d. h. der Wunsch-Gott, Wunsch-Erfüller. Und diese Vorstellung war besonders auch südgermanisch, d. h. deutsch; im deutschen Mittelalter wird noch »der Wunsch« personifiziert und vielfach angerufen und gefeiert; dass der alte Wotan darin verborgen war, merkte man nicht mehr.

Als Schlachten- und Siegesgott heisst Odin Walvater, Siegvater, Heerschild (Harbard), Hialmberi (Helmträger); dies leitet hinüber auf die Vorstellung des durch den unsichtbar machenden oder doch die Feinde erschreckenden Helm (Tarnkappe) Verhüllten. So heisst er Grimur und Grimnir: der Verhüllte. Verhüllt, verkleidet, in unscheinbarer Tracht wandert der Gott unermüdlich (wie der Wind) durch Midgard, Riesen- und Elbenheim, überall nach verborgener Weisheit spürend, seine geheimen Pläne, Bündnisse, Verträge verfolgend, die Wirtlichkeit der Menschen prüfend, seine Lieblinge beschützend, die Feinde der Götter ausforschend, überlistend, unerkannt mit ihnen in Wettgespräche sich einlassend, wobei Frage und Antwort wechseln und derjenige, welcher eine Antwort schuldig bleiben muss, das Haupt verwettet und verwirkt hat; als »ewigen Wanderer« bezeichnen ihn die Namen Gangleri, Gangradr, Wegtamr.

Als geheimnisvoller Wanderer, in unscheinbarem Gewand, tritt der Gott in zahlreichen Sagen und Märchen auf; den grossen breiträndigen Schlapphut (Windhut, Wunschhut) tief in die Stirn gerückt, seine Einäugigkeit (s. oben) zu verbergen, an der man ihn erkennen möchte, in einen weitfaltigen, dunkelblauen, fleckigen (d. h. wie die Wolken gefleckten) Mantel gehüllt, mit dichtem Haupthaar (manchmal aber auch kahl), meist mit wirr wogendem, grau gesprenkeltem Bart, den Speer in der Hand, den Zauber-Ring Draupnir am Finger, ein hoher Mann von etwa fünfzig Jahren oder auch wohl als Greis, doch gewaltig an ungebrochener Kraft.

Aber nicht unscheinbar, sondern furchtbar-prächtig, in kriegerischer Helden-Herrlichkeit, tritt der König und Feldherr der Götter auf, wann er an der Spitze der Asen, Lichtalben und Einheriar ausreitet zum Kampfe gegen die Riesen; dann leuchten weithin sein goldener Helm mit den vorwärts gesträubten und dadurch Schreck einflössenden Schwan- oder Adlerschwingen (der »Schreckenshelm«) und die reich geschmückte Brünne; auf Sleipnirs Rücken braust er heran, den Siegesspeer Gungnir schwingt er und schleudert ihn unter der Feinde Volk mit dem Zauberruf: »Odin hat euch alle«.

Und stattlich auch thront er auf Hlidskialf, dem »Hochsitz«, in Walhall (aber doch nicht bloss wie auf Erden der König und jeder Hofherr den Hochsitz in seiner Halle einnimmt; es ist eine Spähwarte gemeint), den nur Frigg, seine Gemahlin, mit ihm teilen darf. Hier empfängt er als Hroptr (Rufer zum Kampf) die neu eintretenden Einheriar. Vor seinem goldenen Stuhle steht ein goldener Schemel; nach (Süden oder nach) Westen schaut er; denn von (Norden oder von) Osten sind, wie die Germanen überhaupt, die Asen, von Odin geführt, hergewandert und nach Süden und Westen zielte ihr Trachten. Zu seinen Füssen kauern die beiden Wölfe (erst später Hunde), Geri und Freki, die Tiere der Walstatt, die Walvater heilig; er füttert sie mit dem Fleische des Ebers Sährimnir, – denn er selbst bedarf nicht der Speise, nur des Trankes; und zwar nicht von Äl oder Met, aber an Wein erfreut er sich. Ein Adler hängt (oder schwebt) über dem Westtor von Odins Saal, wohl scharf ausspähend. Auf des Gottes Schultern aber wiegen sich die beiden Raben und raunen ihm Weisheit in das Ohr. Nachklänge in den Sagen lassen den König Oswald (Aswalt) durch zwölf Goldschmiede (die zwölf Asen) seinem Raben die Flügel mit Gold beschlagen oder zwei weisse Tauben dem Papst ins Ohr flüstern, was er tun soll, oder eine Taube Luther die Bibelübersetzung in das Ohr sagen, wobei die Taube in protestantischen Landen weiss (der heilige Geist), in katholischen aber schwarz ist (der Teufel); kaum ist dabei an den Raben Odins zu denken.

Wir sahen, aus welchen Gründen Odin wünschen muss, dass möglichst viele Männer den Bluttod im Kampfe, nicht den Strohtod, sterben (deshalb ritzten sich Kranke mit dem Speer, um so doch »Odin geweiht«zu sterben und »nach weitherziger Auslegung« die Bedingung erfüllt zu haben; »denn alle mit dem Speer Geritzten«, d. h. ursprünglich im Kampfe Gefallenen, nimmt Odin in Anspruch). Deshalb schliesst er Verträge, Bündnisse mit hervorragenden Königen oder andern Helden, in welchen diese sich verpflichten, dereinst in der Schlacht zu fallen, während der Gott diesen seinen Lieblingen und Walsöhnen, solange sie leben (und zwar manchmal für ein übermenschlich langes Leben oder für eine bestimmte Vertragszeit, z. B. zehn Jahre) Sieg, Ruhm, Beute, Reichtum, auch etwa Weisheit, Zauberkunst oder einzelne Zauberkräfte verleiht. – Sehr oft ist diese Verleihung geknüpft an die Verleihung von Schwert, Ross, Speer, Brünne, Helm, Hut, Mantel, Stab (als Zauberstab, Wünschelrute, im Märchen auch »Knüppel aus dem Sack«, was aber auch auf den Speer zurückgeht), Ring des Gottes.

In unaufzählbar mannigfaltigen Wechslungen wiederholt später die Sagediesen Gedanken des Bündnisses, des Vertrags, der Verleihung und des schliesslichen Eingehens des Schützlings in Walhall; nur dass an Stelle des wohltätigen, herrlichen Gottes der – Teufel tritt, der die arme Seele zu verführen trachtet, um sie schliesslich in der heissen Qualenhölle zu peinigen; an die Stelle tiefgründiger, poesievoller Gedanken des heidnischen Altertums hat das Mittelalter auch hier wieder einmal seine hässlichen Fratzen gestellt.

So ist das Vorbild der Faustsage, welche durch Goethe abermals eine Volksdichtung geworden, das alte Wotans-Bündnis; der Zaubermantel des Doktor Faust ist lediglich der alte Mantel Odins, auf dem er seine Schützlinge entrückt, durch die Luft über Länder und Meere führt. Es ist wunderbar, wie zähe die Volksseele festhält die uralten Formen der Sage; nur der Inhalt, d. h. die Menschen und die Verhältnisse, welche hineingegossen werden, wechseln, aber die Form bleibt die gleiche; so sind im 19. Jahrhundert vor unsern Augen zwei Sagen entstanden, die Eisenbahnsage (ungefähr 1855) und die Bismarcksage (1866), welche lediglich die alten Wotans-Bündnisse darstellen, angewandt auf eine neuzeitliche Erfindung und einen noch lebenden Mann.

Von allen neueren Erfindungen hat auf die Sinne unsres Landvolkes (in Bayern z. B. in den Gegenden um Rosenheim) den grössten, aber auch den unheimlichsten Eindruck gemacht das Dampf und Feuer schnaubende, lindwurmähnlich daherbrausende Ungetüm, welches pfeilgeschwind Menschen und hochgetürmte Lasten durch die Lande trägt und welches wir Eisenbahn nennen. Als nun zuerst dies wilde Wunder in die stillen Alpentäler drang, bemächtigte sich seiner sofort die sagenbildende Einbildungskraft; aber sie schuf in der Eisenbahnsage nichts Neues, sondern wandte darauf an die uralte Formel des Wotan-(Teufels-)Bündnisses und lehrte: nicht Menschen vermochten dies Werk zu erfinden, der Teufel (Wotan) hat es dem Ingenieur verkauft, um den Preis seiner Seele – und der Seele des zuletzt einsteigenden Fahrgastes; darum hütete man sich, dieser letzte zu sein. – Genau dem Wotantypus entspricht ferner die Sage, welche während des österreichischen Kriegs von 1866 niemand geringeren zu ihrem Gegenstand machte als den späteren Kanzler des Deutschen Reiches. Die überraschenden Erfolge der preussischen Waffen wurden ausschliesslich dem Zündnadelgewehr zugeschrieben; diese Siegeswaffe aber hatte nach der Sage der deutsch-österreichischen Bauern nicht der ehrenwerte Herr Dreyse in Sömmerda erfunden, sondern dies Gewehr, das von selbst sich ladet und losgeht, wenn der Preusse darauf klopft, hat der Teufel (d. h. Wotan) »dem Bismarck« verkauft; – natürlich um den Preis, den er von je bei seinen Verträgen sich ausbedingt: – den Preis seiner Seele; der Fürst Bismarck mag es sich schon gefallen lassen, dass er so nachträglich noch als der letzte der Einheriar nach Walhall gelangt, wenn man den Ort auch heutzutage schlimmer nennt. –

Aber schon viel früher wird in den Sagen Odin-Wotans oder des Teufels Mantel (oder Ross) Helden, seinen Lieblingen (oder Männern, welche ihre Seele dem Teufel verkauft), verliehen, um sie aus weitester Ferne über Meer und Land noch rechtzeitig zur Abwendung einer drohenden Gefahr in die Heimat zu schaffen; so z. B. den Kreuzfahrer (Heinrich den Löwen) aus dem Gelobten Land auf seine Burg gerade an dem Tage, an dem seine Gattin, die ihn nach Ablauf beredeter Frist für tot halten muss, zur zweiten Ehe schreiten soll. Das Ross Odins (der schwarze, graue Hengst) kommt freilich auch manchmal ohne Reiter, aber gezäumt und gesattelt, um den Helden, dem Vertrage gemäss, zu mahnen, dass es nun Zeit sei, zu sterben, zu Odin zu fahren; d. h. ursprünglich nach Walhall, dann wohl auch in die Totenwelt. – Und im Mittelalter ist es das Ross des Teufels, welches den Unseligen in die Hölle abholt, der unweigerlich folgen muss; so Dietrich von Bern (s. unten Heldensagen, Buch VI, VII).

Hieran reihen sich die Sagen von den Entrückungen der in Berge, Höhlen, in die Unterwelt entführten Könige und Helden; ursprünglich ist der Berg Walhall und die Helden werden, dem Vertrage gemäss, ihnen zu hoher Ehre, in Odins Saal entrückt, wo sie mit andern Einheriarn seine Tafel teilen, schmausen, zechen, Waffenspiele treiben; der Saal im Berge strahlt daher von Gold und Waffen; und der König im weissen Bart ist Odin selbst; erst später ist Karl der Grosse im Untersberg oder Friedrich I. im Kyffhäuser an des Gottes Stelle getreten. Früh ist aber die Totenwelt als Ort der Entrückung gedacht; Dietrich von Bern, Karl oder Friedrich gelten dann selbst als entrückte Helden, als Gäste oder Gefangene der Totenwelt und schlafen hier den Todesschlaf, bis eine weit ausstehende Bedingung erfüllt wird, sie nun auf die Oberwelt zurückkehren und ihrem von Feinden hart bedrängten Volke Hilfe bringen dürfen.

Vor allem als Herr und König von Walhall wird Odin-Wotan verehrt: »Wal« ist der Inbegriff der in der Schlacht nach Wahl der Wal-Küren, die darin Odins Weisungen zu folgen haben, Gefallenen; diese alle sind Wal-vaters Wal-Söhne und gehen ein in Wal-Hall.

Odin erfüllt daselbst in vollendetster Weise alle Pflichten des gastfreien Wirtes, des »milden« d. h. freigiebigen Königs, der die Einheriar (Schreckenskämpfer) mit allem ehrt und erfreut, was das Herz eines germanischen Gefolgsmannes in der Halle des Gefolgherren von diesem nur irgend begehren mag. Ist eine grosse Schlacht zu gewärtigen, aus welcher viele Helden aufsteigen werden in Walvaters Saal, lässt dieser sorglich schon vorher das Mahl rüsten. Ehrerweisend geht er den Ankömmlingen bis an die Schwelle entgegen; seinem Liebling Helgi bot er sogar an, zur Entschädigung, weil gar so früh diesem Helden das Schutzverhältnis gelöst ward (s. unten Heldensagen), die Herrschaft in Walhall mit ihm zu teilen.

Jeden Morgen wappnen sie sich, gehen in den Hof, fällen einander im Kampfspiel mit Wunden, die sofort wieder heilen. Kam der Mittag, so reiten sie heim und setzen sich mit Odin an den Trinktisch. Sie trinken Äl oder Met oder Milch aus dem Euter der Ziege Heidrun, und schmausen von Sährimnirs Fleisch.

So leben sie sonder Sorge Tag um Tag für unabsehbare Zeiten (d. h. bis zur Götterdämmerung) in den Freuden des Kampfes, des Schmausens und Zechens, bedient von den schönen weissarmigen Schildmädchen, Wunschmädchen, den Walküren (s. unten), welche die geleerten Hörner sofort wieder füllen; man sieht, die Germanen haben ihren Lieblingswunsch irdischen Lebens einfach nach Walhall übertragen, und man begreift es, dass diese Helden lachend starben in der Schlacht, »freudig sprangen in die Speere und den Tod«, gewiss, zu Walhalls Freuden einzugehen. Wenn aber nun eine plumpe und rohe Auffassung das Heldentum der Germanen auf diesen Wunsch, nach Walhall zu gelangen, zurückführt, erkennt tiefere Forschung in der Seele des Volks, dass umgekehrt der kriegsfreudige Heldengeist unsrer Ahnen jenes Walhall-Bild geschaffen hat, in welchem nicht »Bier und Schweinefleisch«, sondern die Kampfesfreude, der Siegesruhm, die Ehre, mit Odin den Tisch zu teilen, die höchste Wonne gewährten.

Als Gott der kriegerischen Begeisterung und des Sieges sowie der geheimen Zauberkünste erfüllt er seine Krieger mit Berserkerwut; nackt, ohne Panzer und Schild, springen sie, stärker als Bären und Stiere, gegen die Feinde, welche Odin durch Schreck blendet oder betäubt, während jenen weder Feuer noch Eisen schadet. In den Schlachten seiner Lieblinge kämpft er mit, auf weissem Ross, mit weissem Schild; oder er bedient sich eines Zauberbogens, der ganz klein aussieht, aber grösser wird beim Spannen; zehn Pfeile zugleich legt er auf die Sehne und zehn Feinde erlegt er auf einen Schuss.

Aber Odin ist auch in dem Sturm, welcher, zumal in den Zeiten der Tag- und Nachtgleiche den bald nahenden Frühling verkündend und Fruchtbarkeit und Wachstum spendend, über die Länder hinbraust; er ist der Anführer des wütenden Heeres (Wuotis-, auch Muotisheer), der wilden Jagd. Jene Naturgrundlage dieser Sagen und Glaubensgebilde ist zweifellos; gerade in den »zwölf Nächten« von Weihnachten bis zum Tage der heiligen drei Könige – also in der Zeit der Winter-Sonnenwende – »jagt Wotan im Walde die Holzweiblein«, d. h. der Sturm knickt die von weiblichen Wesen beseelt gedachten Bäume. In dieser Zeit hielten wohltätige Mächte ihren segnenden Umgang durch die Gaue; es sind die Lichtgötter selbst, die Asen, an ihrer Spitze ihr König und die Königin, welche zu der Zeit, da das Licht auf Erden am schwächsten gewesen (also etwa November und in den ersten Wochen des Dezembers), Midgard verlassen und sich nach Asgard zurückgezogen hatten, nun aber bei zunehmendem Tageslichtwieder ihren Einzug halten; im Mittelalter, da die Götter zu Teufeln geworden, glaubte man daher folgerichtig, dass um diese Zeit die bösen Geister volle Freiheit und Macht gewinnen, auf Erden zu schalten und zu walten.

Aber obwohl es nun der Teufel ist, der das wilde Heer durch die Lüfte führt, gilt es doch als Vorzeichen grosser Fruchtbarkeit des Jahres, wenn man in jenen Nächten das »Muotis-Heer« recht laut ertosen hört – eine Erinnerung an die alte wohltätigeBedeutung dieser Mitte; deshalb, d. h. wegen der Spendung der Fruchtbarkeit, sind unter der wilden Jagd auch so viele weibliche Gestalten. Im Mittelalter sind im wütenden Heer freilich nicht mehr Götter und Göttinnen, sondern Verbrecher, Selbstmörder, Meineidige, Sonntagschänder, Wildschützen, namentlich auch leidenschaftliche Jäger, welche statt der himmlischen Seligkeit ewige Jagdfreuden sich gewünscht haben.

Es ist auffallend, dass, während doch Jagd neben Krieg eine Hauptbeschäftigung, ja eine Hauptleidenschaft der Germanen war, eine besondere Jagdgottheit, der Artemis-Diana entsprechend, bei ihnen nicht bezeugt ist (abgesehen von Ullr, dem winterlichen Jäger); vielleicht war Wotan als Führer der Jagd durch die Luft auch Gott der Jagd auf Erden.

Aber oft ist es nicht ein Jagdzug, sondern ein Heer von Kriegern, was Wotan durch die Lüfte leitet. Dann führt er die Götter und die Einheriar aus Walhall (oder »aus dem hohlen Berge«) zum Kampfe gegen die Riesen, und es berührt sich hier die Sage mit der oben erörterten von dem errettenden Heere, welches von Karl dem Grossen oder von dem Rotbart im Augenblicke grösster Bedrängnis des deutschen Volks aus dem Berge zur Hilfe herausgeführt wird; hört man das wütende Heer, sieht man etwa gar in den Wolken Gewaffnete dahinjagen, so bedeutet dies den baldigen Ausbruch grossen Kriegs.

Und nicht nur auf Erden wandert »Wegtamr«, auch am Himmel zieht er unter den Sternen hin; er fährt hier die Milchstrasse (auch »Helweg«) entlang den »Odins-Weg« oder »Irings-Weg«, auf einem himmlischen Wagen – dem bekannten Sternbild – »Wuotanswagen«, der auch »Irmins-« oder »Karls-Wagen« heisst (daher ist Wotan »der ewige Fuhrmann«).

Den Wegen am Himmel entsprechen Wege auf Erden in den einzelnen Reichen; so durchzog England in der Angelsachsenzeit eine »Irmingstrasse« von Nord nach Süd, und auch die englische »Vaetlinga-straet« findet ihre Wiederholung am Himmel. Die grossen Heer-, Volks-, Königsstrassen standen unter erhöhtem Friedensschutz, waren Wotan geweiht, und der wandernde Gott war auch der Gott der Wege»Aller Asen acht’ ich / Den edelsten Odin! / Weisheit sein Wort, Wunder sein Werk, / Wonnig sein Weh’n. / Wann in weichem Weben / Frühe Frühlings- / Knospen er küsst, / Können die Kleinen die Kelche / Nicht mehr schlummernd verschliessen; / Sie öffnen die Augen / Und hinweg küsst er kosend / Ihren ersten Atem.

»Aber Odin auch / Stürzt im Sturm die Stämme / Uralter Eichen! / Sein Hauch hetzt die Helden / In tapfre Taten und tapfern Tod; / Jubelnd und jauchzend jagen sie jäh / In spitzige Speere, in geschwungene Schwerter; / Selig im Siege, getrost auch im Tode. / Denn sie wissen; es werden die weissen Walküren / Zu Walhalls Wonne tragen die Treuen, / Die lachend erlegen, fechtend und fallend / Für die heilige Heimat und des Hauses Herd. / Auf Erden aber ehrt sie unendlich / Der Sänger Gesang; sie leben im Liede! / In den Hallen noch hört man harfen von Helden, / Die hoch der Hügel hat überhöht.

»Wer aber wies die Sänger, zu singen? / Wer lehrte das Lied und die hallende Harfe? / Wer anders als abermals Odin der Edle! / Der Schläger der Schlachten ist selber ihr Sänger; / Sangvater ist Siegvater, / Siegvater Sangvater zugleich!

»Und wer wies der Weisheit gewundene Wege / Dem begierigen Geist, dem forschenden Frager / Nach Anfang und Ende des unendlichen Alls?

»Was da gewonnen an Wissen und Wahrheit / Der mühseligen Menschen grübelnder Geist –; / Alles hat Odin uns offenbart! / Er hat das hohe, das heil’ge Geheimnis geritzter Runen / Seine Lieblinge lösen gelehrt! Stumm, doch verständlich, mit schweigenden Schritten, / Ein heiliger Herold, schreitet die Schrift; / Ein beredter Bote von Volk zu Volk / Trägt sie getreulich köstliche Kunde, / Wachsende Weisheit pflegend und pflanzend / Von Geschlecht zu Geschlecht; / Wie des Feuers Flamme / Selbst nicht versiegt, ob es auch andern oftmals / Segen sprühend gespendet.

»Retter und Rater / Der mühvollen Menschheit / ist der Rabenumrauschte / Runen-Vater; / Alles ist Odin, was hoch ist und herrlich, / Was wonnig und weise, was stolz und was stark! / Lobt ihn im Liede, ehrt ihn mit Andacht, solang ihr lebet; / Und fallet einst herrlich, in Helmen, als Helden, / Dass fröhlich ihr fahret nach Asgard zu Odin, / Ewig in Walhalls Wonnen zu wohnen.«

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II. Thor-Donar.

Die Naturgrundlage von Odins kraftstrotzendem Sohn Donar, nordisch Thôrr, ist, wie sein Name besagt, das donnernde Gewitter; nach seiner idealen Bedeutung aber ist er der schützende Gott des Ackerbaues und – folgeweise – aller menschlichen Fortschritte.

Der Zusammenhang dieser auf den ersten Anblick befremdenden Verbindung liegt darin, dass das Gewitter nicht in seinen den Menschen und ihren Werken schädlichen, sondern in seinen dem Ackerbau wohltätigen, die Erde befruchtenden Wirkungen als die Naturgrundlage des Gottes gefasst wird; nicht der Blitz, der den Pflüger und sein Rind hinter dem heiligen Pflug erschlägt und die gefüllte Scheune entzündet, nicht der Gewittersturm, der dem Gehöfte das Dach von dem Haupte wirft, nicht der Wolkenbruch, der die Herde dahinschwemmt, oder der Hagel, welcher die Saaten zerschlägt; – nicht solche Wirkungen des Gewitters gehen aus von Donar, dem Beschützer des Baumannes, »der Menschen Freund« –; diese sind vielmehr die Werke seiner Feinde, der Riesen, eines älteren riesischen Donnergottes (Thrymr) und der Sturm- und Hagelriesen. Donars Sendungen, Gaben und Werke sind vielmehr der befruchtende, warme Gewitterregen, welcher das Saatkornaufquellend keimen lässt und in würzigem Brodem aus den befeuchteten, dunkelbraunen Schollen wieder in die gereinigten Lüfte steigt; sein Atem ist der erfrischende, erquickende Hauch, welcher die brütende Schwüle des Sommertages in die wohlige Kühlung auflöst und seines kräftigen Armes Tat ist die Zerschmetterung und Zermürbung des öden, unfruchtbaren Felsgebirges durch den Wurf seines nie fehlenden und nach jedem Wurf von selbst in seine Hand zurückfliegenden Steinhammers (die ältesten Waffen und Werkzeuge der Germanen waren von Stein) Miölnir, des Zermalmers; die trotzigen Häupter der Steinriesen trifft er mit zertrümmernden Blitzenund verwandelt allmählich die Schroffen von Kalk, Granit und Basalt, welche jedes Wachstum ausschliessen, dem Pflug des Menschen nichts gewähren, zerbröckelnd und verwitternd in fruchtbares Bauland, das dereinst die golden wogende Ernte tragen mag.

So ist der Gewittergott zugleich der Gott des Ackerbaues, der schützende Gott des Bauern; ausdrücklich wird er im Gegensatz zu Wotan, dem Gott der Könige und Helden, der »Bauern-Gott« genannt. Daher zieht er durch die Lüfte auf rollendem Wagen, dessen Räder eben das Geräusch des Donners erzeugen, dem Sämann Segen herunterstreuend; daher wird sein Wagenvon den ihm heiligen Ziegenböcken Tann-gniostr und Tann-grisnir, Zahn-Knisterer und Zahn-Knirscher, gezogen; – die Ziege, das Haustier der Armut, folgt dem Menschen nachkletternd bis an die oberste Grenze urbaren Fruchtlandes und unwirtlicher Felsen. Da nun aber mit dem Übergang vom schweifenden Hirten- und Jäger-Leben zu Ackerbau in festen Sitzen der Anfang aller höheren Gesittung gewonnen ist, wird Donar auch zum Gott der menschlichen Kultur überhaupt; sein Steinhammer ist nicht nur Kriegswaffe im Kampfe gegen die Felsriesen, er dient auch friedlichen Zwecken; die Berührung mit dem Hammer weiht das Mädchen zur bräutlichen Frau und heiligt wie den Becher bei dem »Becherfrieden« des frohen Gelages, so die Schwelle des Hauses mit erhöhter Befriedigung; der Hammerwurf bildet auch das uralte Mass bei Landnahme und Landzuteilung, bei der Ansiedlung. Der Hammer schlägt die ehrwürdigen Marksteine in den Boden, er festigt die Wegsäulen, er schlägt die stämmeverbindende Brücke und lässt die Grenzen »enden und wenden«; ja er, der »Weiher« (vêorr), weiht zuletzt noch den Scheiterhaufen, auf welchen fromme Hände den Toten zur letzten Ehrenfeier gebettet.

Dieser Gott des germanischen Bauers ist nun aber – und das ist Donars Bedeutung als Ausdruck des germanischen Volksgeistes – niemand anders als: der germanische Bauer selbst, wie er leibt und lebt, wie er arbeitet und rastet, wie er zecht und schmaust, wie er einen guten, derben Spass gern antut und gern verträgt, gutmütig im Gefühl der gewaltigen Kraft, plump, oft überlistet, aber auch, wenn gereizt, unbändig und ungetüm in alles zerschmetterndem Jähzorn. Diese wohlbekannten Züge aus dem breiten Gesicht des germanischen Bauers; – wir finden sie alle wieder in dem Bild, das uns die alten Sagen vom rotbärtigen Gott des Donners zeichnen.

Der germanische Bauer ist der beste Bauer der Erde; sein Fleiss, seine unermüdliche, liebevolle Hingebung an Pflug und Ackerwerk haben ihn dazu gemacht; unablässig schafft und ringt er gegen die Ungunst der Natur; er gerät in Eifer, in einen wahren Zorn der Arbeit, wo es gilt, dem Boden urbar Land abzugewinnen. Denselben Zug hat Donar; unablässig, unermüdlich ist er hinter seiner Bauarbeit her; diese aber besteht nicht darin, hinter dem Pfluge zu gehen; – erst muss Boden für den Pflug gewonnen sein; und diesen Boden zu gewinnen, ist Donar unaufhörlich unterwegsim Kampf mit den Steinriesen; wo er nur ein solches Fels-Ungetüm noch unbezwungen ragen weiss, dahin fährt er sofort auf dem rollenden Wagen, ihm den harten Schädel zu spalten; er gerät in Zorn, wo er die spröden Gesellen trifft, er weichet nicht, bis sie zermürbt sind; es ist der germanische Bauer der Urzeit, der einen grimmen Kampf ums Dasein mit dem Gestein des Felsgebirges führt; die Stahlhandschuhe des Gottes, welche er führt, sich an dem glühendenBlitzhammer nicht die Hand zu verbrennen, sind die festen, arbeitharten Fäuste des deutschen Pflügers, der zauberkräftige Stärkegürtel (Megin-Giadr) des Gottes aber, der immer wieder neue Kräfte leiht (»die Kraft verdoppelt«), wenn man ihn fester anzieht, ist der Entschluss unweichender Ausdauer, die nimmer erlahmt.

Auch äusserlich spiegelt die Erscheinung des Gottes den germanischen Bauer wider: er ist nicht fein, zierlich oder von natürlicher Anmut wie Baldur, nicht geheimnisvoll, grossartig, erhaben-schön wie Wotan; breitknochig, breitschulterig, breitbackig, mit wirrem, fuchsrotemBart rund um das Kinn und die Wangen, wie ihn heute noch der westfälische Landmann trägt, um ihn fliegend im Wind oder in der Wut, wenn er zornig darein bläst; derb, ja pump, langsam, ungefüg, von schwerfälliger Bewegung, aber von unwiderstehlicher, bärenstarker Kraft.

Der deutsche Bauer, sagten wir, ist ein trefflicher Bauer; aber er ist auch ein sehr starker Esser und Trinker.

Auch darin ist Gott Thor ein Vorbild – oder richtiger; ein Nachbild! – des germanischen Bauers, dessen Verzehrungsvermögen man in den Polizeiordnungen des Mittelalters bei den Schmäusen zur Taufe, Kirchweih, Hochzeit und Begräbnis von Amtswegen Schranken ziehen Musste. In einem der schönsten, weil abgerundetsten und einheitlichsten, Lieder der Edda, Hamarsheimt, des Hammers Heimholung, oder Thrymsquida, das Lied vom Riesen Thrym (oder nordisch: Thrymr), wird uns erzählt, wie Thor, dem, während er schief, der Riese Thrymseinen Hammer entwendet hat und nur zurückgeben will, wenn ihm Freya als Braut zugeführt wird, sich als Freya verkleidet zu dem Riesen begibt und hier beinahe durch sein ungeheures Zulangen bei dem Hochzeitsschmaus sich verrät; die Braut verzehrt einen ganzen gebratenen Ochsen und acht Lachse, ferner sämtliches süsse Gebäck, welches für alle Mädchen und Frau bestimmt gewesen war, und trinkt dazu drei Kufen Met. Der Bräutigam verwundert sich: »Wer sah,« meint er kopfschüttelnd, »wer sah je Bräute so gierig schlingen! Nie so viel Met sah ein Mädchen ich trinken.« Der schlaue Loki, der, als Freyas Magd verkleidet, daneben sitzt, weiss freilich Rat, um den durch seinen eignen Durst beinahe verratenen Freund herauszulügen; acht Tage und Nächte, erklärt er entschuldigend, habe die Braut nichts genossen – vor Sehnsucht nach dem Bräutigam. Dadurch ist Zeit gewonnen, bis der ersehnte Hammer herbeigebracht wird, die Braut zu weihen! – sofort ergreift der Gott die vertraute Waffe, – das Herz lacht ihm im Leibe, wie er sie wieder schaut – und zerschmettert dem Riesen und sämtlichen Gästen von dessen Sippe die harten Häupter.

Auch das Plumpe, Ungeschlachte und Ungefüge, das dem germanischen Bauer anhaftet und seine gewaltige Kraft zuweilen ratlos erscheinen macht, die Unbeholfenheit der Glieder und der Seele, spiegelt sich in seinem Gott. Nach der Schilderung des erwähnten Liedes wäre der starke Gott, der sich im Schlafe seine geliebte Waffe hat entwenden lassen, mit all seiner furchtlosen Stärke nie dazu gelangt, seinen Hammer auch nur wieder zu sehen, hätten nicht andre für ihn kluge Listen ersonnen; darauf weigert er sich noch, sie auszuführen, er sträubt sich in seiner bedächtigen Ernsthaftigkeit, Freyas Kleider anzulegen: »mich würden die Asen weibisch schelten, legt’ ich das bräutliche Linnen mir an« – und gebärdet sich dann, auch nachdem er in den Plan gewilligt, so gröblich ungeschickt, dass er in der Ausführung jeden Augenblick alles zu verderben droht. Und ebenso spielt er in manchen andern Abenteuern, die er auf seinen Fahrten erlebt, häufig die Rolle des (ungeachtet seiner Bärenstärke; – bezeichnend ist sein Beiname »Björn«, der Bär) und trotz seines nie erschrockenen Mutes durch seine List Geprellten und Gefoppten (bei den Wanderungen, welche die Götter-Trilogie Odin, Loki und Thor in Gemeinschaft unternimmt, trägt Donar oft die Prügel davon, eine Rolle, in welcher ihn nach der Annahme des Christentums bei den legendenhaften Wanderungen von Christus, Johannes und Petrus der letztgenannte Apostel ablöst), bis er etwa, spät genug, die Tücken entdeckt, die Geduld ihm reisst und nun freilich nichts der gereizten Kraft des Zornigen widersteht, der mit seinem Hammer allen Widerstand in Trümmer und Scherben schlägt –; wer kennt hier nicht die Rolle wieder, welche die schlichte deutsche Kraft, der »deutsche Michel«, – man verzeihe die Erinnerung an eine für immer vergangene Zeit! – durch fünf lange Jahrhunderte oft genug gespielt hat? Denn auch der Zug schlichter Gutmütigkeit, die sich hochherzig der ungeheuren Kraft nur spät und zögerndzur Abwehr bedient, die kleine Verstösse, zumal Schwächeren, gern nachsieht und wohlwollend, kindlich, freundlich den Geringeren hilft, fehlt nicht im gutmütigen Gott des gutmütigsten aller Völker. Auf einer seiner Fahrten spricht er in der Hütte armer Bauersleute ein, welche ihm, da sie selbst gar nichts haben, keine Speisung bieten können; da lässt er seine eignen beiden Ziegenböcke schlachten und nährt davon seine Wirte und deren Kinder.

Endlich aber – auch die unwiderstehliche Kraft und Tapferkeit des Riesentöters ist das Bild des germanischen Wehrmannes; hat der Feind seinen Grimm geweckt, dann »fährt Asa-Thor in seine ganze Stärke«; er bläst in seinen fliegenden roten Bart, lässt den furchtbaren »Bartruf« ertönen, stürmt gradan wider den Feind und schleudert mit niemals fehlender Hand den alles zerschmetternden Hammer.

Der Aufgabe Thors, den Ackerbau zu schützen, entsprechen die meisten an ihn geknüpften Sagen. So die, wie er zu seinem Knechte Thialfi kam. Auf einer seiner Fahrten kehrt der Gott bei einem Bauern ein, schlachtet selbst seine beiden Böcke und gebietet dabei nur streng, die Knochen, ohne sie zu versehren, auf die beiden Bockshäute zu werfen. Als aber am andern Morgen der Gott durch seinen zum Leben neu erweckenden Hammer – ein Zug, der durch viele heidnische Sagen und christliche Legenden geht – die beiden Böcke wieder belebt hat, lahmt der eine Bock am Hinterbein; Thialfi (»Arbeit«), des Bauern Sohn, hatte, um das Mark zu schlürfen, den Röhrenknochen zerschlagen. Den Zorn des Gottes zu beschwichtigen, gibt der Bauer seine beiden Kinder zur Busse hin, Thialfi und dessen Schwester Röskwa (die Rasche), welche fortab den Gott überall hin als seine Diener begleiten.

Ähnliche Bedeutung hat die Sage von Thors Kampf mit dem Riesen Hrungnir. Beide hatten sie zum Zweikampf ein Stelldichein gegeben an der Ländergrenze bei Griôtûnagardr. Die Riesen gesellten ihrem Vertreter einen Diener Möckurkalfi, den sie aus Lehm schufen, neun Rasten (ein Wegmass, eine Strecke, nach deren Zurücklegung man füglich rasten mag) hoch und unter den Armen drei Rasten breit; sie setzten ihm das Herz einer Stute ein, das aber nicht viel taugte, denn als Thor nahte, geriet Möckurkalfi in schimpfliche Furcht. Hrungnir dagegen hatte ein Herz von hartem Stein; Stein war auch sein Haupt, Stein sein Schild, und die Keule oder Stange, welche er auf der Schulter trug, ein Schleifstein. Thor kam begleitet von Thialfi; dieser riet Hrungnir, er möge den Schild nicht vor sich halten; denn von unten werde Thor ihn angreifen; darauf warf jener den Schild auf die Erde und setzte sich darauf. Nun begann der Kampf zwischen Thor und Hrungnir, Thialfi und Möckurkalfi. In Asen-Zorn fährt der Gott gegen den Riesen und schleudert den Hammer; Hrungnir hebt abwehrend die Schleifsteinstange, diese bricht, ein Stück fällt zur Erde und daraus sind alle Wetzsteinfelsen auf Erden entstanden. Das zweite Stück aber fuhr in Thors Haupt, so dass dieser vornüber fiel; zugleich aber hatte Miölnir des Riesen Schädel in tausend Stücke zerschmettert, dieser stürzte ebenfalls nach vorn und sein ungeheurer Fuss kam auf Thors Hals zu liegen, so dass dieser sich nicht erheben konnte. Vergebens mühte sich Thialfi, der inzwischen seinen Gegner erlegt hatte, ihm zu helfen, vergebens auch alle herbeigeeilten Asen. Nur Thors Sohn, Magni, der doch erst drei Winter alt war, konnte es; der Knabe meinte lachend, mit der Faust hätte er den Riesen erschlagen. Da fuhr Thor heim, aber der Stein stak noch in seinem Haupt. Eine Zauberin Grôa, die Mutter Örwandils, des Kecken, ward geholt; sie sang ihre Zauberlieder über seinem Haupt und schon lockerte sich der Stein. Da wollte Thor ihr danken durch die frohe Kunde, er habe von Norden her über die Eli-wagar watend ihren Sohn in einem Korbe aus Riesenreich davongetragen (der also, müssen mir annehmen, dort gefangen gehalten worden war). Als Wahrzeichen gab er an, Örwandil habe sich eine aus dem Korbe hervorragende Zehe erfroren, Thor habe sie abgebrochen und sie an den Himmel geworfen, wo sie zu dem Sternbild »Örwandils-Zehe« geworden sei; Örwandil selbst werde nun bald kommen. Darüber freute sich Grôa so sehr, dass sie ihrer Zauberlieder vergass – und so steckt heute noch der Stein im Haupte Thors.

Diesen Mythus hat Uhland wunderschön gedeutet: Hrungnir, ganz von Stein, ist die dem Anbau widerstrebende Steinwelt (von at hruga, aufhäufen, also das hoch übereinander getürmte Felsgebirge); »Grot-tuna-gardr«, der Ort des Kampfes, ist die Grenze zwischen Steingebild und Bauland; denn grot »Gries« ist Geröll, tun, Zaun, gardr, Gehege; Thialfi ist die menschliche, bäuerliche Kraft, diese ist gewöhnt, von unten herauf das Gebirge zu bearbeiten; aber Asathor fährt von oben einher. Mit dem langen, breiten Lehmstreifen, der wenig widerstandsfähig ist, d. h. mit Möckurkalfi, wird auch Menschenkraft fertig; die Steingebirge zerschmettert nur der Gewittergott. Der stürzende Riese begräbt beinahe Thor selbst; verschüttende Bergstürze, Thors eignes Werk, bedrohen das Bauland; gerettet wird er durch seinen obzwar noch ganz jungen Sohn Magni; die personifizierte Willenskraft der Asen; das Stück Gestein, das in Thors Haupte stecken bleibt, ist das Gestein, das auch im urbaren Feld der Pflug oft noch findet. Grôa (vgl. neuenglisch to grow) ist das Wachstum, das Saatengrün, welches vergeblich bemüht ist, jene Steine zu überdecken, Thors Wunden zu heilen; der Sohn Ör-wandil (der mit dem Pfeil, Ör, arbeitende) ist der spitze Fruchtkeim, der aus der Saat emporstreben und aufschiessen will. Thor trägt ihn über die Eisströme im Korb; d. h. er hat das keimende Pflanzenleben unter der schützenden Schneehülle vor der Winterkälte geborgen; aber »allzu keck« hat der Keim eine Zehe vorgestreckt und sie erfroren. In der Heldensage ist Thor zu Dietrich von Bern geworden; daher steckt in Dietrichs Stirn seitdem ein Stein wie in Thors Haupt. Örwandil aber wird zu dem Orendel der Heldensage, der ist der »älteste aller Helden«.

Thor ward als Blitzschleuderer, als Donnerer von Römern, Griechen und andern Fremden, ja im deutschen Mittelalter auch von unserm Volk vielfach mit Jupiter-Zeus verwechselt; so heisst der Donnerstag im Latein des Mittelalters »dies Jovis«, die zu Geismar von Winfried zerstörte Donnerseiche »robur Jovis«, die vielen Donnersberge »montes Jovis«, die Pflanze Donnerbart »barba Jovis«.

Aber auch als Herkules ward Thor aufgefasst wegen des der Keule entsprechenden Hammers, mehr noch wegen seiner Fahrten, in welchen er als Beschirmer des Menschen gegen riesische Ungetüme auftritt. Wie es nun des Herkules meist bewunderte Tat war, dass er in die Unterwelt eindrang und dort den Höllenhund Cerberus bezwang, so ist auch Thor sieghaft in die Unterwelt hinabgestiegen.

Mit Loki und dem getreuen Thialfi wanderte er einmal ostwärts gegen Riesenheim; in einem grossen Walde nahmen sie Nachtlager in einer leeren Hütte. Um Mitternacht entstand ein Erdbeben; die Hütte schwankte; sie flüchteten in einen Anbau der Hütte. Bei Tagesanbruch fanden sie im Wald einen Mann liegen, der war nicht klein. Er schlief und schnarchte; da merkten sie, dass dies Schnarchen das Erdbeben gewesen. Erwacht und befragt, nannte er sich Skrymir: »Dich brauch’ ich nicht zu fragen, ich kenne dich, Asathor! Aber wo hast du meinen Handschuh?« Mit diesen Worten streckte er den Arm aus und hob seinen Handschuh auf; da sah Thor und – nicht ohne Staunen! – dass dieser Handschuh die Hütte und der Däumling der Anbau gewesen war. Thor, Thialfi und der Riese wandern nun zusammen; abends legen sie sich unter eine Eiche; Skrymir schläft ein. Vergebens strengt Thor alle Kräfte an, die Schnüre des Speisebündels zu lösen, welche der Riese zusammengezogen, und obwohl er mit dem Hammer zuschlägt, vermag er den Schläfer nicht zu wecken. Der Riese meint, im Schlafe träumend, bei den wuchtigen Schlägen nur, es sei ihm eine Eichel auf den Kopf gefallen. Am Morgen trennen sie sich. Skrymir sagt, die Fremden würden nun bald zu der Burg Utgard des Königs Ut-gard-Loki gelangen; dort möchten sie sich, riet er, nur ja recht bescheiden betragen; denn die Hofmänner jenes Königs würden Übermut von solchen Bürschlein nicht ertragen – (Der Scherz der ganzen Erzählung ist, dass das sonstige Verhältnis zwischen Thor und den Riesen geradezu auf den Kopf gestellt wird.) – Das Gitter der Burg vermögen Thor und Thialfi nicht zu öffnen; so müssen sie sich denn – recht demütigend – durch die Stäbe hindurchschmiegen. Utgardloki erwidert ihren Gruss nur äusserst geringschätzig und wundert sich vor allem, dass Asa-Thor gar so klein sei! Nun beginnen Wettspiele der Gäste mit den Hofleuten des Königs; gegen Loki tritt ein Logi auf; sie wetten, wer stärker essen könne; Loki isst alles Fleisch von den Knochen, aber Logi die Knochen und den Trog dazu! Thialfi wird von Hugi im Wettlauf überwunden. Nun soll Thor ein Horn leeren, das einige von des Riesenkönigs Leuten in einem Zug, auch seine schwächsten Trinker aber in drei Zügen leeren! Thor jedoch vermag, soviel er schluckt, – und er vermag es! – kaum eine Minderung in dem Horn merklich zu machen. Dann soll er Utgardlokis graue Katze vom Boden aufheben; aber nur einen Fuss lupft die Katze auf, so gewaltig Thor sich müht. Endlich soll er ringen mit einem alten Weib (!), Elli, des Königs Amme; aber die Alte steht unerschütterlich, während Thor bald ins Knie sinkt. Sehr bestürzt finden sich die Gäste in allen Kraftproben unterlegen. Als aber am folgenden Tage der König sie verabschiedet, deckt er ihnen auf, dass sie gestern nur durch ein Blendwerk getäuscht worden; zuerst habe er in Skrymirs Gestalt jenes Bündel mit Eisenbanden zusammengeschmiedet, dann gegen die Hammerhiebe Felsstücke vorgehalten, in welche Miölnir tiefe Lücken geschlagen; Logi war das Wildfeuer (der Blitz), Hugi der Gedanke, das Horn war nicht zu leeren, weil das andre Ende im Meere lag, die »kleine Minderung« bedeutet die Ebbe. Die graue Katze war niemand geringerer als die Midgardschlange und Elli war das Alter, »das die Stärksten zu Falle bringt«. Der Riesenkönig Utgardloki ist der Todesgott, sein Reich die Unterwelt; füglich mag das Alter des Todes Amme heissen.

Ganz ähnlich gestaltet sind die beiden Sagen von Thors Fahrten nach Geirrödsgard und zu dem Riesen Hymir.

Loki, dessen gefährliche Vielgeschäftigkeit die Götter gar oft in schlimme Lagen bringt, war, zur Kurzweil und aus Neugier, einmal in dem von Freya entliehenen Falkenhemd (s. unten Freya) auf Abenteuer aufgeflogen, kam in Riesenreich an die Halle Geirröds und guckte zum Fenster hinein. Er wird ergriffen; an den Augen merkt der Riese, dass jener kein Vogel, sondern ein Mann sei; und da Loki nichts gesteht, sperrt er ihn in eine Kiste und lässt ihn drei Monate hungern. Das macht den Falken kirre; er gesteht, wer er sei und erkauft sich die Freilassung durch das Versprechen, Thor ohne seinen Hammer und Stärkegürtel nach Geirrödsgard zu schaffen; – also waffenlos. Der mutige Thor geht gutherzig auf das gefährliche Wagnis ein, des Genossen Wort einzulösen. Unterwegs entleiht er von einer Riesin Grid (nordisch Gridhr, der Mutter des »schweigsamen Asen« Widar) deren Stärkegürtel, Eisenhandschuhe und Stab. Der Strom Wimur, aller Flüsse grösster, sperrt ihren Weg; da umspannt sich Thor mit jenem Gürtel, stemmt der Riesin Stab gegen die Strömung und watet hinein, Loki hält sich unten an Thors Gürtel. Der Strom wächst plötzlich, dass er Thor bis an die Schultern steigt, aber der Siegbewusste ruft: »Wachse nicht, Wimur, nun ich waten muss hin zu des Riesen Haus; wisse: wenn du wächsest, wächst mir die Asenkraft eben hoch dem Himmel!« Alsbald merkt er, dass Gialp, Geirröds Tochter, quer über den Fluss gestellt, das Steigen des Wassers verursacht. Er vertreibt sie durch einen Steinwurf und lacht: »An der Quelle muss man den Strom stauen.« Am Ufer ergreift er einen Vogelbeerstrauch und schwingt sich ans Land, daher der Spruch: »Der Vogelbeerstrauch ist Thors Rettung.« In Geirröds Halle findet sich nur ein Stuhl; kaum hat sich Thor darauf gesetzt, schnellt der Tückische gegen die Decke; aber Thor stemmt Grids Stab zwischen Stuhl und Dachgebälk und drückt den Stuhl zu Boden; da begab sich gross Schreien und Krachen; Geirröds Töchtern, jener Gialp und der zweiten, Greip, waren die Genicke gebrochen (sie hatten offenbar heimtückisch unter dem Stuhle kauernd diesen hochgehoben). Im Wettspiel schleudert der Riese einen glühenden Eisenkeil auf Thor; aber dieser fängt ihn mit den Eisenhandschuhen der Riesin in der Luft; nun flüchtet Geirröd hinter einen Pfeiler; aber Thor wirft den Keil durch den Pfeiler, durch des Riesen Leib, durch die Wand und draussen noch in die Erde.

Sehr sinnreich und poetisch ist auch hier Uhlands Deutung: Geirröd ist ein Riesendämon der Gluthitze, des Hochsommers, der sich in flammenden Blitzen und in Wolkenbrüchen entladet; seine Töchter, die »Lärmende« und die »Greifende«, sind die dem Ackerbau so verderblichen Überschwemmungen der Bergströme nach Hochgewittern. Diese Gewitter gehen nicht von Thor aus, er bekämpft sie vielmehr; seinen Hammer hat er eben deshalb diesmal nicht bei sich; denn nicht er sendet diese Blitze; der Hochsommer in der schädlichen Gluthitze ist riesisch.

Der Vogelbeerstrauch wird Thors Rettung, weil »zur Zeit, da diese Beeren reifen, die schädlichen Gewitter nachlassen«. Der Stuhl ist die Brücke; Brückenbauten, wie alle Kulturwerke, sind Thors Schutz befohlen; von dem darunter brausenden, überschwemmenden Bergstrome werden die Brücke und die ihr Vertrauenden, über sie Hinschreitenden schwer gefährdet; die Unholdinnen, unter ihr sich hebend, drohen, sie nach oben hin zu zersprengen, aber Thor schützt den ihm geheiligten Bau, hält die Brücke aufrecht und beugt die Wildwasser nieder.

Bei der Fahrt zu Utgardloki war der starke Gott wenigstens scheinbar erlegen, er war wenigstens gefoppt. Zornmütig beschloss er, das zu rächen, zumal an seiner alten Feindin, die ihn als »graue Katze« getäuscht hatte; an der Midgardschlange. Eilfertig, ohne Wagen und Böcke, ging er in Gestalt eines Menschen über die Erde hin und kam abends zu einem Riesen Ymir. Am andern Morgen machte der sich fertig, aufs Meer hinaus zu rudern zum Fischfang. Thors Bitte, ihn mitzunehmen, weist er zuerst recht geringschätzig ab: »Wenig wirst du mir helfen, Bürschlein, bist ja so klein und jung. Auch wird dich frieren, fahre ich so weit hinaus und bleibe ich so lang draussen, wie ich pflege.« Thor ärgerte sich furchtbar; am liebsten hätte er den groben Lümmel gleich totgeschlagen; aber er bedachte, dass er ja Grösseres vorhabe, und erwiderte nur: seinetwegen möge der Riese nur so weit hinausfahren, wie er wolle; es werde sich erst noch zeigen, wer von beiden zuerst nach der Rückkehr verlangen werde. Da sagte Ymir, er möge sich selbst einen Köder besorgen. Thor war nicht faul, ging hin, wo er Ymirs Rinderherde weiden sah, packte den grössten Stier, der »Himrisbriotr« (Himmelsbrecher) hiess, riss ihm das Haupt ab und nahm es mit in das Boot. Hier ruderte er mit zwei Rudern so gewaltig, dass Ymir zufrieden brummte und bald halten wollte; hier sei sein gewöhnlicher Fischplatz. Aber Thor fuhr lustig weiter; Ymir warnte, hier sei es bereits gefährlich – so weit draussen – wegen der Midgardschlange; allein Thor fuhr noch weiter, sehr zum Verdruss des Riesen, der vielleicht jetzt Gefahr für seine Gesippin ahnte. Thor zog nun die Ruder ein, steckte das Ochsenhaupt an einen gewaltigen Hamen, der an entsprechend starker Schnur hing, und warf aus. »Da mag man nun sagen,« meint die Edda, »dass diesmal Thor die Midgardschlange nicht minder zum besten hatte, als er damals in Utgardlokis Halle war geneckt worden« – sie erblickt also in diesem Abenteuer die Vergeltung!

Kaum war der Hamen zu Grund gefahren, als die Schlange nach dem Ochsenkopf schnappte und die Angel ihr im Gaumen haftete; als sie das merkte, riss sie so stark, dass Thor mit beiden Fäusten auf den Schiffsrand geworfen ward. Da ward er aber sehr zornig, fuhr in seine Asenstärke (nahm nun vermutlich seine wahre, hochragende Göttergestalt an, wie aus dem Nächstfolgenden zu schliessen), sperrte sich so stark mit beiden Füssen gegen den Schiffsboden, dass er diesen durchstiess und sich nun auf den Grund des Meeres stemmte; so zog er die Schlange herauf an Bord; »und war das der schrecklichste Anblick, wie jetzt Thor die Augen gegen die Schlange schärfte, diese aber von unten ihm entgegenstierte und Gift wider ihn blies«.

Da erbleichte der Riese und wechselte die Farbe vor Schrecken, als er den Drachenwurm sah, und wie die See im Boot aus- und einströmte; und als nun Thor den Hammer fasste und in die Luft schwang, das Scheusal zu zerschmettern, sprang der Riese herzu mit seinem Messer und zerschnitt Thors Angelschnur; die Schlange versank – gerettet durch ihren Gesippen – in die See; Thor warf ihr den Hammer nach, und die Leute meinen, er habe ihr da unter dem Wasser das Haupt abgeschlagen. »Aber ich glaube, die Wahrheit ist: die Midgardschlange lebt noch und liegt tief in der See,« – eine Andeutung des letzten tödlichen Kampfes Thors mit ihr –, »Thor aber schwang gegen den Riesen die Faust und traf ihn so an das Ohr, dass er über Bord stürzte und die Fusssohlen sehen liess. Da watete Thor an das Land.«

Anders gestaltet diese Sage ein jüngeres Lied der Edda, Hymis-Kwida. Danach stellt Ögir, der (riesische) Meergott, bei dem die Asen ein grosses Gastmahl halten wollen, die Bedingung, dass Thor, dem er wegen alter Händel grollt, den für das Brauen des Festbieres erforderlichen Kessel herbeischafft; wie auch sonst oft in Sage, Märchen und Schwank ist es bei solchem Auftrag, solcher Aussendung auf Abenteuer auf den Tod oder doch die Demütigung des Beauftragten abgesehen, aber das Werk schlägt zu einem Sieg, zu seiner Verherrlichung aus. Die Götter wissen keinen solchen Kessel und sind ratlos; da sagt dem Donnergott Tyr, der Kriegsgott (s. unten), sein Vater, der Riese Hymir, der im Osten der Eliwagar an des Himmels Ende wohne, habe einen meilentiefen Kessel, dessen man durch List sich wohl bemächtigen möchte. Thor und Tyr ziehen nun aus, den Kessel zu holen. Als sie in die Halle des Riesen treten, trifft da Tyr seine väterliche Grossmutter, die ihm leidige: »Sie hatte der Häupter neunmal hundert«. Aber des Riesen junge Frau (doch wohl Tyrs Mutter), »allgolden, von lichten Brauen«, empfängt sie wirtlich, rät jedoch sogleich, sich vorerst vor ihrem Gatten, wann dieser heimkehre, zu verbergen, denn der sei oft Gästen gram und grimmen Sinnes. Als nun der Riese spät in der Nacht von der Jagd nach Hause kommt, dröhnen Eisberge, wie er eintritt; auf seinem Kinn starrt ein Bart wie ein Wald und ist Eis gefroren. Seine Frau bringt ihm bei, dass ausser seinem Sohne Tyr auch Thor gekommen sei, der Menschen Beschützer, der Riesen Gegner: »Dort hinter der Säule stehen sie«. Da blickt der Riese so grimmig auf die Säule, dass sie zerspringt, die Kessel oben auf dem Querbalken fallen herab; acht zerbrechen, nur einer bleibt ganz – es ist der gesuchte.

Die Gäste werden nun sichtbar; widerwillig rüstet der Riese das Mahl für sie; drei Stiere lässt er schlachten, aber zwei davon verzehrt Thor allein. – Da brummt der Riese, die Speise für morgen müsse man erst durch Fischfang gewinnen. Am andern Tage fahren nun Hymir und Thor zum Fischfang in die See, der dann ähnlich verläuft wie in der vorigen Erzählung; Hymir zieht zwei Walfische zugleich, Thor die Midgardschlange hervor, welche aber – hier ohne Arglist des Riesen – wieder entkommt.

Der Riese bleibt daher hier noch leben; er stellt Thor die Wahl, ob er die Walfische nach Hause tragen oder das Boot am Ufer befestigen wolle. Der Gott tut aber mehr als dies, indem er das Schiff, ohne vorher das Wasser auszuschöpfen, samt allem Schiffsgerät aufhebt und zugleich mit den beiden Walfischen in des Riesen Felsenhöhle trägt. Diesem wird es immer unheimlicher; gleichwohl will er trotzig die Götterkraft nicht anerkennen, wenn der Gast nicht einen grossen Kelch zerbrechen könne. Wohl wirft Thor den Kelch durch Steinsäulen hindurch, aber unzerbrochen bleibt der Kelch. Da rät ihm (wohl heimlich) die freundliche Frau, den Kelch dem Riesen an den Kopf zu werfen, der sei härter als alles andre; Thor tut so, des Riesen Kopf bleibt unversehrt, aber richtig! – der Kelch zerspringt. »Nun seh’ ich meine liebste Lust verloren, da der Kelch in Stücken liegt,« klagt der Riese; doch muss er jetzt die Stärke Thors gelten lassen. Er meint nur noch, ob sie wohl den grossen Kessel aus der Halle hinauszuheben vermöchten? Zweimal bemüht sich Tyr vergeblich; – er kann die Last gar nicht in Bewegung setzen. Da fasst Thor den Kessel am Rand, sperrt die Füsse so stark, dass er den steinernen Estrich durchtritt, hebt den Kessel hoch auf sein Haupt und schreitet stolz und sieghaft mit dem so erbeuteten Kleinod aus der Höhle, Tyr folgt ihm und die mutvollen und stolzgemuten Asen fürchten den Riesen so wenig, dass sie lange fortwandern, ohne sich auch nur umzuschauen. Endlich blickt sich Thor um. »Da sah er aus Höhlen mit Hymir von Osten vielgehauptetes Volk ihm folgen; da harrt’ er und hob von dem Haupte den Hafen, schwang mächtig den mordenden Miölnir entgegen und fällte sie alle, die Felsungeheuer, die ihn anfuhren, in Hymirs Gefolge.«

Wir übergehen die zum Teil sehr gewagten Versuche, diese Sage zu deuten, und erinnern nur, dass sie in zahlreichen Märchen nachklingt; so wird die Mutter des Riesen, »die leidige«, zu des Teufels Grossmutter, welche viel ärger ist als der Teufel selbst, während der Riese an den Menschenfresser erinnert, vor dem sich klein Däumling versteckt (»ich riech’, ich rieche Menschenfleisch«), bis er durch Rat und List der wohlwollenden und schönen Frau des Riesen gerettet wird.

III. Tyr-Ziu.

Dieser Gott des Krieges ist gewissermassen eine vereinzelte Seite Odins, der ja auch, unter andern Bedeutungen, die eines Gottes des Kampfes hat, sofern er die Kampfeswut einhaucht, Schlachtordnungen erfindet und stellt, Kriegspläne entwirft und den Sieg verleiht. Daher heiss Tyr ein Sohn Odins, d. h. ein einzelner Ausfluss seines Wesens, wie der Götterglaube dies Verhältnis auszudrücken liebt, und Odin trägt mancherlei mit Tyr zusammengesetzte Namen: z. B. Hreida-tyr, Hanga-tyr usw.; Tyrs Mutter bleibt ungewiss, vielleicht die Erdgöttin.

Tyr ist nun aber recht eigentlich der Kriegskampf selbst, er ist ein Schwertgott; daher wird er unter dem Zeichen des Schwertes dargestellt. Er war ohne Zweifel der Gott, welchen das suevische Volk der Quaden anrief, indem es bei »gezogenen Schwertern, welche sie wie Götter verehren«, eidete; natürlich haben die Quaden nicht ihre eignen Waffen angebetet, sondern das Schwert war nur dem Kriegsgott heilig und sein Wahrzeichen. Daher heisst er geradezu auch Heru, d. h. Schwert, woher Cherusker und Heruler ihren Namen führen, wie die Suardonen von »Schwert«. Daher wird er, weil das Schwert nur eine Klinge hat, einarmig dargestellt; wir werden sehen, bei welchem Anlass er den andern Arm eingebüsst hat. Auch sein Name: Saxnôt bei den Sachsen, Saxneat bei den Angelsachsen geht hierauf: der »Sachs« oder »Sahs« ist das »Kurzschwert« (im Gegensatz zu dem »Langschwert«, der spatha), das ursprünglich, in der Steinzeit, aus Stein bestand (sahs, Stein, Fels, vgl. lateinisch Saum).

Der nordische Name Tyr bedeutet: »leuchtend« (gotisch Tius) und spriesst aus der gleichen Sanskritwurzel, aus welcher griechisch Zeus, lateinisch Djus-pater (Jupiter, Genit. Jovis, statt Djovis) stammen; auch die griechischen und lateinischen Wörter für Gott (theos, deus), dann lateinisch dies, Tag, althochdeutsch Ziori (Zier) sind verwandt, vielleicht war Tyr ursprünglich auch ein Gott des Himmels, daher der »Glänzende«.

Er war so wichtig, dass, wie Wotan dem Mittwoch (Wodans-dag, neuenglisch: Wednesday), Donar dem Donnerstag, er dem Dienstag den Namen gegeben hat. Dieser hat mit Dienen nichts zu schaffen und ist nicht etwa gar Diensttag zu schreiben; sondern ist nordisch Tys- (Genit. von Tyr) dagr, alamannisch Zies-Tag (von Ziu, Zio; daher hiessen die Schwaben Ziu-wari, Ziusmänner, ihre Hauptstadt Augsburg: Zies-Burg), bayerisch Er-Tag, Erch-Tag, von Eru, vielleicht daher auch die sächsische Eresburg nahe der Irminsul, welche aber auch Heres- und Meresburg heisst. Er war der Schwaben-Alamannen besonders gefeierter Gott, wie schon früher der Tenchterer, welche einen Hauptbestandteil der späteren Alamannen ausmachten. Daher gleicht auch die Rune, welche Tyrs Name bedeutet, dem Schwert: î, ähnlich die angelsächsische Rune Eor, d. h. Eru; dieses zaubermächtige Zeichen ward in Waffen geritzt oder gebrannt als Siegrune. Das Wort »Zeter«, »Zetergeschrei« geht auf Ziu zurück, d. h. ursprünglich den Kriegsgott anrufen, den Waffenruf erheben bei plötzlich drohender Gefahr. Manche Berge waren ihm geweiht; in Ortsnamen tönt er fort, der Seidelbast (daphne mezereum) hiess ursprünglich »Zio-linta«; den heutigen Ausdruck hat erst die Volks-Wortdeutung aufgebracht, als man den Sinn des alten Namens vergessen hatte. Im christlichen Mittelalter ist an seine Stelle der schwertschwingende Erzengel Michael getreten, dessen zweischneidiges Schwert zu Valenciennes aufbewahrt und unter kriegerischen Spielen in Aufzügen umhergetragen ward; die altgermanischen Schwerttänze wurden wohl zu Ehren des Schwertgottes abgehalten. Dagegen lässt sich nicht nachweisen, dass die zahlreichen Spuren von Verehrung gewisser Schwerter und die Sagen von »Siegesschwertern«, welche sich bei vielen Völkern finden, immer germanisch seien und auf Ziu zurückweisen; so das Schwert Attilas, welches ein Hirt in der Erde vergraben fand (eine Kuh, die sich daran verletzt, hatte durch Hinken darauf aufmerksam gemacht –) und dem Hunnenchan brachte, der es als das Schwert des Kriegsgottes erkannte, durch welches er nun unbesiegbar sei; noch spät wird von diesem Schwert gefabelt; nach der Schlacht bei Mühlberg soll es Karls V. gefürchteter Feldherr, der Herzog Alba, wieder aus der Erde gegraben haben. In Köln ward in dem Tempel des Mars das Schwert Julius Cäsars aufbewahrt; dieser Römertempel ward später eine Kapelle des Erzengels Michael, dessen Bild mit dem des Mars auf beiden Seiten dieser Strasse (»Marspforten«) stand.

Leider ist in der nur so trümmerhaft auf uns gelangten Überlieferung Genaueres über diesen Gott – offenbar einen der allerwichtigsten – nicht erhalten. Eine Geschichte nur kann von ihm erzählt werden.

Der böse Loki hatte von einem Riesenweib, Angur-boda (der »Angst-Botin«), drei Kinder; Hel, die Midgardschlange und den Fenriswolf; diese drei furchtbaren Geschwister wurden in Riesenheim erzogen. Die Götter, zumal Odin, ahnten und erkannten, dass von diesen drei Unholden Verrat und Verderben drohe; – der Mutter und des Vaters Art konnten ja nur Böses auf sie vererben. So schickte Odin die Götter aus, ihm die dreifache Riesenbrut zu bringen. Als er sie vor sich hatte, warf er die Schlange in das tiefste Meer, das den Erdkreis umschliesst, Hel nach Niflheim, auf dass sie die an Alter oder Siechtum Sterbenden aufnehme (unten Buch III, II), der Wolf aber ward nun bei den Göttern untergebracht. Er war jedoch schon von Anfang so furchtbar, dass nur Tyr es wagte, zu ihm zu gehen und ihm das Futter zu bringen. Allein er wurde von Tag zu Tag immer schrecklicher, und alle Weissagungen verkündeten, er werde dereinst der Asen Verderben. Da beschlossen sie, ihn an eine recht starke Fessel zu binden (weshalb sie ihn nicht töten, wird nicht gesagt; freilich war dieser Ausweg abgeschnitten durch die unabänderlich feststehende Vorbestimmung der Götterdämmerung), und um ihn zu bewegen, sich die Kette gutwillig anlegen zu lassen, stellten sie ihm das listig als Beweis seines Selbstvertrauens in seine Kraft dar; der Wolf blickte geringschätzig auf die Fessel, liess sich binden, und sowie er sich nur einmal streckte, lag sie zerrissen. Da schmiedeten die Götter eine Kette, die war noch einmal so stark als die erste, und reizten den Wolf, sich auch diese anlegen zu lassen, indem sie ihm vorhielten, wie berühmt er werden würde, wenn auch so starke Bande ihn nicht zwängen. Zwar sah das Untier, dass diese zweite Fessel viel stärker sei; aber er tröstete sich, dass ja auch seine Kraft inzwischen gewachsen sei, »und ohne Gefahr zu bestehen, wird man freilich nicht berühmt«, dachte der Wolf bei sich. So liess er sich denn abermals binden; als aber die Asen sagten, nun sei es geschehen, da schüttelte er sich nur, schleuderte die Kette zu Boden; – weit davon flogen die zerbrochenen Stücke, – und Lokis Sohn war auch von diesem Bande frei. Da fürchteten die Götter, sie würden das Ungetüm gar nicht binden können. Odin aber schickte Freyrs Diener Skirnir (s. unten Freyr) zu Zwergen in Svartalfaheim, welche als die kundigsten Zauberschmiede galten. Diese schufen denn nun eine Fessel, genannt Gleipnir; die war gemacht aus sechserlei Sachen: aus dem Schall des Katzentritts, aus dem Bart der Weiber, aus den Wurzeln der Berge, aus den Sehnen des Bären, aus der Stimme der Fische und aus dem Speichel der Vögel. »Diese Kette war so weich wie ein Seidenband«; die Götter dankten Skirnir, dass er den Auftrag so gut ausgerichtet habe; denn sie alle vermochten nicht, es zu zerreissen. Sie forderten nun den Wolf auf, es sich wie die beiden früheren anlegen zu lassen. Der aber antwortete sehr richtig: »Ist diese dünne Schnur ein gewöhnliches Band, ohne Trug und Zauberwerk gefertigt, so werd’ ich keinen Ruhm dabei haben, sie zu zerreissen. Ist es aber Zauberwerk, so werde ich nicht so töricht sein, es mir anlegen zu lassen.« Arglistig erwiderten die Götter: »Sei unbesorgt! Kannst du nicht einmal ein so dünnes Band zerreissen, sehen wir ja, dass du so schwach bist, dass du uns gewiss nicht schaden kannst, und dann lassen wir dich, als ungefährlich, gleich wieder los.« Der Wolf aber meint ahnungsvoll: »Bin ich erst einmal so fest gebunden, dass ich mich selbst nicht befreien kann, dann wird Spott und Hohn mein Teil, und ich werde wohl lange zu warten haben, bis ihr mir helft. Jedoch, damit ihr mich nicht feig schelten könnt; – wohlan, ich will mir die Fessel anlegen lassen. Aber einer von euch muss mir die Hand in den Rachen stecken, zum Pfande dafür, dass nicht List und Zaubertrug dabei im Spiele ist.« Da sah ein Ase scheu auf den andern; alle wussten ja, das Band sei kein natürliches, und keiner wollte seine Hand daran wagen. Da bot Tyr, der Beherzte, die Hand dar und hielt sie dem Ungetüm in den Rachen. Die Fessel ward dem Wolf nun angelegt und siehe: – sie erhärtete sofort, die seidenweiche, sowie sie den Wolf erfasst hatte und erwies sich als unzerreissbar; ja, je mehr der Wolf dawider tobte, desto stärker ward das Band. Da lachten alle Götter ausser Tyr, der lachte nicht; denn er verlor die Hand; der Wolf biss zu. Die Asen aber sahen, dass das Untier völlig gebändigt war, nahmen die Fessel an dem einen Ende, zogen es verknüpfend mitten durch einen durchbohrten Felsen und versenkten diesen tief in den Grund der Erde, ein andres Felsenstück versenkten sie (mit dem andern Ende?) noch tiefer als Widerhalt. Wohl riss der Wolf den Rachen fürchterlich auf, schnappte nach ihnen und wollte sie beissen; aber sie steckten ihm ein Schwert in den Gaumen, das Heft gegen den Unterkiefer, die Spitze wider den Oberkiefer gestemmt; so ist ihm das Maul gesperrt. Er heult schrecklich, Geifer rinnt aus seinem Rachen und bildet einen ganzen Fluss. So liegt er bis zur Götterdämmerung. Dann aber wird die Kette brechen: »Der Wolf rennt und die Welt zerstürzt.«

Gar manches an dieser Sage ist schwer oder vielmehr gar nicht zu deuten; insbesondere die Namen, mit welchen die ersten beiden Ketten, die Örtlichkeit, wo die Fesselung versucht wird, das Endstück der dritten Kette, die beiden Felsen, der Geiferstrom bezeichnet werden; dieselben sind zum Teil noch ganz unerklärt, zum Teil besagen sie nichts für den Sinn Erhebliches; – wir haben sie deshalb übergangen. Man muss sich eben auch hier hüten, alles an einem Mythus deuten, auf einen Grundgedanken zurückführen zu wollen; gar manches fügt das freie Spiel der dichtenden Einbildungskraft, hier im Norden der sehr gekünstelten Skaldenkunst, hinzu. Sogar der Name »Fenris« selbst gewährt so wenig Anhalt, dass man als Naturgrundlage dieses Riesen bald die dunkle Meerestiefe, bald den Sumpf, bald das unterirdische Feuer angenommen hat. Ja auch jene sechserlei Dinge, aus denen das dritte Band gemacht ist, entziehen sich sicherer Deutung. Denn schon der Erklärungsversuch der jüngeren Edda selbst ist gescheitert, sie sagt: »Die Frauen haben keinen Bart, die Berge keine Wurzeln, der Katzentritt keinen Schall; so magst du glauben, dass es sich mit dem übrigen ebenso wahr verhält«; aber abgesehen davon, dass der Katzentritt nicht völlig unhörbar ist, auch manche Frauen einen Anflug von Bart zeigen, haben ohne Zweifel die Bären Sehnen; und zwar recht starke. Wir berühmen uns also durchaus nicht, den Fenriswolf, dessen Naturgrundlage, dessen sittlich-geistige Bedeutung und den Sinn der ganzen Sage seiner Fesselung mit Sicherheit erklären zu können. Doch scheint folgendes das meist Ansprechende.

Der riesische Unhold in Wolfsgestalt ist die Vernichtung, die Verneinung des Bestehenden, der natürlichen, ganz besonders aber der Rechtsordnung; er ist, wie wir heutzutage sagen mögen, der verkörperte »Nihilismus«. Deshalb ist er es, der am Ende der Dinge den Götterkönig Odin, den allerhaltenden Allvater, selbst verschlingt; nicht eine einzelne drohende Gefahr, sondern die Gefährdung alles Seienden oder doch Sein-Sollenden an sich. Zuerst versuchen die Götter, durch leibliche Stärke, durch äussere Gewalt das Verbrechen zu bändigen; aber vergebens; der dämonische Drang des Unrechts ist stärker als solche Mittel. Jedoch eines ist, was stärker als das Böse; das Recht, das Gesetz, denn es ist die Vernunft selbst, während das Verbrechen widervernünftig und sich selbst widersprechend ist.

So ist das äusserlich kaum wahrnehmbare, seidenweiche, weil eben ideale Band, das allein den Friedebrecher zwingt, – das Recht, das Gesetz. Je mehr er sich dem Rechte widersetzt, z. B. durch Ungehorsam gegenüber dem Richter, desto tiefer verstrickt (»er wird verfestet«, sagten die deutschen Rechtsquellen des Mittelalters) er sich in dies ideale Netzgeflecht, das durch äussere Mittel unzerreissbar, weil es eben selbst nichts Äusserliches ist; solange das Band des Rechtes hält, ist der Versuch des Friedebruches ohnmächtig. Freilich, rein ideal, rein innerlich darf das Recht nicht sein; es muss eine starke Gewalt mit der Rechtsordnung verknüpft sein, welche, wenn die ideale Vernunftmahnung seines Gebotes nicht beachtet wird, mit Gewalt der »Vernunft im Recht«Gehorsam erzwingt. Deshalb vielleicht – aber die Deutung ist sehr kühn – werden neben den fünf äusserlich gar nicht wahrnehmbaren oder gar nicht bestehenden Dingen in dem unzerreissbaren Bande auch als sechstes die sehr starken Sehnen des Bären genannt, die ebenfalls stärker sind als die eines Wolfes.

Beachtenswert ist in der Sage der häufig auch sonst bei Schilderung der Riesen wiederkehrende Zug, dass der Wolf eine gewisse ungeschlachte Redlichkeit, freilich auch plumpe Selbstgefälligkeit und Ruhmgier zeigt, während die Götter ihn nicht mit ehrlichen Mitteln, sondern durch überlegene Arglist bezwingen; denn die Abrede ging auf ein leibliches Band, das Band »Gleipnir« aber ist durch zaubernde Zwerge unzerreissbar geschmiedet. Deshalb, weil die Götter – vor allem wohl Odin – selbst bei Überlistung des Wolfs und oft sonst noch das Recht gebrochen haben, deshalb reisst zuletzt die Kette des Rechts, welche allein sie vor der Vernichtung durch den Hauptrechtsbrecher geschützt hatte.

Vielleicht ist diese Deutung allzu künstlich. Wir würden sie gar nicht wagen, wenn nicht ein Umstand ganz unzweifelhaft darauf hinwiese, dass der Wolf der Vertreter des Rechtsbruches ist; – mag es mit dem Bande, das ihn bändigt, auch eine nicht ganz aufzuhellende Bewandtnis haben. Zwar darauf, dass die Schnüre, welche bei der Rechtsprechung das germanische Ting umhegten, oft in später Zeit Seidenschnüre waren, ist kein gross Gewicht zu legen. Aber es steht fest, dass das Abbild des Verbrechers, zumal des wegen ungehorsamen Ausbleibens vor Gericht friedlos gelegten Geächteten, ein Wolf war, dem die beiden Kiefer durch ein nacktes Schwert auseinander gesperrt sind; so stellen noch die (im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert hinzugefügten) Bilder zu dem (ca. 1230 entstandenen) deutschen Rechtsbuch, dem Sachsenspiegel, den gebannten, verfesteten, geächteten »Ächter« dar; ein Mann mit einem also gesperrten Wolfsrachen. Der Wolf, der friedlose Räuber, der überall erschlagen werden soll, wo er sich in den Siedelungen der Rechtsgenossen zeigt, ist auch nach der Sprache Zeugnis das uralte Wahrzeichen des friedlos gewordenen Verbrechers; »vargr«, »vargs« heisst zugleich »Wolf« und »Räuber« und »vargr i veum« (Wolf im Heiligtum) heisst der Friedlose, weil er eben getötet werden darf wie der Wolf, der sich blicken lässt in dem vom Götter- und vom Rechtsfrieden geweihten Raum. Wir dürfen also wohl annehmen, dass der so gebändigte Fenriswolf nach seiner geistig-sittlichen Bedeutung den Rechtsbruch darstellte. Dass nur der Kriegsgott ihm zu nahen und ihm zuletzt die Hand in den Rachen zu legen wagt, erklärt sich schon aus dem tapferen Mut, der diesem Gott vor allen zukommen muss; vielleicht aber darf man auch daran denken, dass, abgesehen von dem idealen Bande des Rechts, nur die offene Waffengewalt, das Schwert, wie dem Kriegsfeind, so dem Räuber gegenüber erfolgreich auftreten kann und furchtlos nahen mag.

IV. Freyr-Frô.

Freyr-Frô ist ein Sonnengott und als solcher zugleich ein Gott der Fruchtbarkeit, des Gedeihens; zumal des Erntesegens, aber auch der Ehe und ihres Kindersegens. Er ist, wie seine schöne Schwester Freya, ursprünglich den Wanen angehörig und wird unter die Asen erst durch Vertrag aufgenommen; sein Vater ist der wanische Licht-Gott Njördr aus Noatun, seine Mutter die ursprüngliche Erdmutter Nerthus, welche auch als Niördrs Schwester bezeichnet wird.

Ohne zureichenden Grund hat man aus dieser Verbindung gefolgert, die Wanen-verehrenden Völker der Germanen hätten länger als andre Germanen Geschwisterehezugelassen; es sind eben Naturbeziehungen, welche in der Götterwelt die »Heirat« gewisser verschwisterter Gestalten erfordern, ohne dass deshalb in Leben, Recht und Sitte der Menschen noch, wie freilich wohl in grauester Urzeit der Fall gewesen, solche Verbindungen für statthaft gegolten hätten, wie denn auch Loki in seinen Schmähreden solche Geschwisterehe zum Vorwurf macht.

Freyr als Sonnengott sendet den wohltätigen Sonnenschein (aber auch den befruchteten Regen) und gebietet über der Licht-Alben Reich: Alf-heim. Sein geweihtes Tier ist Gullin bursti, der goldborstige Eber, ein Sinnbild der befruchtenden goldenen Sonne; sein Fest wird gefeiert, wann die Sonne wieder siegt, d. h. ungefähr am einundzwanzigsten Dezember, dem Jul-Fest, dem das christliche Weihnachtsfest entspricht.

Nicht ganz klar ist der Zusammenhang, in welchem Freyr auch als ein Gott der glücklichen Schiffahrt gedacht wurde; auch ihm, wie Odin, wird das Zauberschiff Skidbladnir zugeschrieben, welches immer günstigen Fahrwind hat (s. Odin), sich wie ein Tuch zusammenfalten lässt und ebenso durch die Lüfte wie über die Wogen segelt.

Wie alle Wanengötter, – und er als Gott des Erntesegens noch ganz besonders, – ist Freyr friedlicher Art. Daher gelten als seine Söhne sagenhafte Könige, unter deren milder Herrschaft eine Segenszeit von Fruchtbarkeit und Friede waltete. Ein solcher war jener nordische Frôdi (deutsch Fruote), der ein besonderes Opferfest für Freyr einrichtete. Friede herrschte zu seiner Zeit über alle Lande hin, und so gross war die Rechtssicherheit und die Rechtsbruch scheuende Treugesinnung der Menschen, dass ein Goldring Jahr und Tag auf offener Heide lag, ohne dass jemand ihn sich sonder Recht anzueignen wagte. Der König kaufte zwei Mägde riesischer Abstammung, Fenja und Mensa, und brachte sie in seine Zaubermühle, Grotti, welche alles mahlte, d. h. aus sich hervorgehen liess, was der Herr der Mühle wünschte. Er gebot den beiden zu mahlen: »Gold, Friede, Frôdis Glück«. Aber selber war er so habgierig, dass er ihnen verbot, länger zu rasten von ihrer Arbeit, als bis man ein Lied singen könne. Da sangen sie ein Lied, das »Grottenlied« genannt, mahlten aber zugleich und zwar: – ein feindliches Heer! Dies erschien in der Nacht, geführt von einem Seekönig, der Frôdi erschlug und dessen Schätze raubte. Das war das Ende von Frôdis Glück und Friede; die eigne Gier hat sie zerstört. Der Wiking aber nahm auch die Zaubermühleund die beiden Mahlmägde auf sein Schiff und befahl ihnen, Salz zu mahlen; – ein wertvolles Gut und wichtiger Handelsartikel. Auch den Sieger sollte das Unmass der Habsucht und die mitleidlose Härte gegen die fleissigen Mägde verderben. Um Mitternacht fragten sie den Seekönig, ob er denn noch nicht genug Salz habe? Er gebot, fortzufahren in der Arbeit. Sie taten’s; aber in kurzer Zeit sank das überlastete Schiff; da entstand im Meer ein Schlund, nämlich da, wo das Wasser durch das Loch in den Mühlstein stürzte; so entstand der Mahlstrom und deshalb ist die See salzig.

Freyr heisst Yngwi-Freyr; die norwegischen Ynglinger stammten von Freyr. Später wird der Gott als ein menschlicher König von Schweden bedacht, der, ebenso wie jener Gott, Freude, Friede und Segen im Lande wahrte. Daher verheimlichten seine Getreuen seinen Tod, trugen die Leiche in einen grossen Grabhügel mit einer Tür und drei Fenstern, brachten durch ein Fenster alle seine Schätze hinein, Gold, Silber und Erz, und sagten den Schweden, er lebe noch in diesem Hügelhause; so währte das drei Winter nach seinem Tod und auch gute Zeit und Friede währten so lang im Lande. Der entrückte, in den Berg hinein verschwundene Gott ist der Sonnengott selbst, der während der Wintermonate verschwunden ist; solang der Sonnengott herrscht, d. h. im Frühling und Sommer, ist frohe Zeit und Glück im Lande.

Auch der mythische Held Skeáf wird auf Freyr zurückgeführt; ein neugeborner Knabe wird, von rings um ihn gehäuften Schätzen und Waffen umgeben, in einem führerlosen Schiff, auf einer Garbe (skeáf, althochdeutsch skoup, mittelhochdeutsch Schaube) schlafend, vom Meer an das Gestade getragen; die Bewohner ahnen, dass hier ein göttergesendet Wunder zu ihnen schwimme, sie erziehen den Knaben, den sie nach der Garbe »Skeáf« genannt haben; und wählen den Herangewachsenen zum König. Derselbe herrscht lange mächtig und weise und befiehlt, dass er nach seinem Tod abermals in gleicher Weise auf ein Boot gelegt und Wind und Wellen überlassen werde, welche ihn zurücktragen in seine geheimnisvolle Heimat. Hieraus ist später im Mittelalter die Sage von Schwanenritter (Lohengrin) geworden, in welcher das Boot des Knaben oder Jünglings von Schwänen herangeführt und wieder abgeholt wird, nachdem seine Gattin die verbotene Frage nach seinem Namen und Heimatland getan.

Die schönste Sage von Freyr ist die in Skirnisför, Skirnirsfahrt, erzählte. Freyr setzte sich einmal auf Odins Hochsitz (Hlidskialf), und sah von dort hinab auf alle Welten. Da erschaute er im Norden, in Riesenheim, ein Mädchen, das war so wunderschön, dass von seinen weissen Armen, da es dieselben erhob, Luft, Wasser und alle Welten widerstrahlten. Gerda hiess die Maid und war des Riesen Gymir Tochter. Sofort ergriff tiefste, markverzehrende Liebessehnsucht nach der schönen Jungfrau den Vermessenen, der es gewagt hatte, sich auf den Platz zu setzen, den nur der Hohe beschreiten darf. Er war ganz traurig und sprach, als er heimkam, kein Wort, und niemand wagte, den Tiefsinnigen anzureden. Endlich schickte der besorgte Vater Niördr zu dem Sohne dessen treuesten Freund (oder Diener) Skirnir, ihn auszuforschen. Auf dessen Frage nach dem Grunde seines Trübsinns antwortete Freyr erst abweisend: »Wie soll ich sagen dir jungem Gesellen der Seele grossen Gram? Die Sonne, die selige, hebt sich täglich am Himmel; doch schauet sie niemals meiner Liebe Glück!« Der treue Freund dringt lange vergeblich in den Trauernden: »So gross dein Gram kann sein – mir sollst du ihn sagen! Teilten wir doch die Tage der Jugend; – so mögen wir uns voll vertrauen.« Da seufzt Freyr endlich: »In Gymirs Gehegen schaute ich wandeln mir teure Maid; mehr lieb’ ich sie, als ein Jüngling vermag im Lenz seines Lebens. Aber von allen Asen und Alfen will es nicht einer, dass wir (d. h. ich und sie) beisammen seien; doch ich will nicht mehr leben, wenn ich sie nicht zum Weibe gewinne. Und du, o Freund, sollst ausziehen und für mich um sie werben und sie mir bringen, mit oder gegen den Willen ihres Vaters; und reich will ich dir das lohnen.« Skirnir (der nach andrer Überlieferung sich selbst zuerst erbietet) erwidert, er wolle die Fahrt wagen, wenn Freyr ihm sein treffliches Schwert gebe, »das von selbst sich schwingt gegen der Reifriesen Brut; auch das rasche Ross, das ihn sicher durch flackernde Flammen trage«; – denn der Treue weiss oder ahnt doch, wie furchtbar gehütet er die Riesenjungfrau finden wird. In solchem Vorgefühl erschauernd, spricht Skirnir, da er vor dem Tore das Ross besteigt, zu dem treuen Tier – ein uralter Zug, der in vielen Sagen wiederkehrt –: »Dunkel ist es da draussen; – Nun gilt es über feuchte Berge zu fahren! entweder vollführen wir beide (Reiter und Ross) das Werk; oder uns beide fängt jener furchtbare Riese (Gerdas Vater).« Als nun der kühne Freund nach Riesenheim kommt, findet er die Türe des Holzzaunes, der Gerdas Saal umhegt, von wütenden Hunden bewacht, die da angebunden liegen. Zaudernd fragt er einen Viehhirten, der am Hügel sitzt und die Wege bewacht, wie er es wohl angehen könne, die schöne Maid zu sprechen, trotz Gymirs Grauhunden? Aber der meint, entsetzt über solches Wagen, kein Lebendiger, nur wer dem Tode verfallen oder schon gestorben, werde durch diese Schrecken dringen. Der Treue erwidert: »Wer zur letzten Fahrt, wenn es sein muss, entschlossen ist, dem steht Kühnheit besser als Klagen an; meines Lebens Dauer ist doch vom Schicksal vorbestimmt.« So erschlägt oder vertreibt er die wütenden Hunde, die Wächter. Über deren Heulen und dem Kampf erdröhnt solch Getöse, dass Gerda drinnen besorgt eine Magd befragt, weshalb die Erde bebe in der Halle und alle Wohnungen in Gymirsgard erzittern? »Ein Mann,« sagt diese, »ist im Hofe vom Ross gestiegen und lässt es grasen.« Gerda lässt ihn herein entbieten, milden Met im Saal zu trinken: »Obwohl mir ahnt, dass da draussen steht meines Bruders Beli künftiger Erleger.« Staunend fragt sie den Gast, nachdem er den Saal betreten, wer er sei und zu welchem Zweck er, allein, durch die flackernde Flamme zu fahren gewagt? Skirnir sagt, dass er gekommen sei, ihre Liebe für Freyr zu werben und er bietet ihr als Brautgeschenk elf allgoldene Äpfel. Gerda weigert sich, sie nimmt die Äpfel nicht; keines Mannes Minne will sie: »Nie, solang wir beide atmen, könne sie und Freyr zusammen sein. Der Bote steigert seine Gabe; er bietet nun den Ring Odins, Draupnir, von welchem acht gleich schwere träufen jede neunte Nacht. Gerda meint, in Gymirsgard brauche sie des Goldes nicht, ihr Vater spare ihr Schätze genug. Da geht der Werber von Bitten zur Einschüchterung über, er gedroht sie mit Freyrs Schwert. »Siehst du, Mädchen, das Schwert, das scharfe, spitze, das ich halt’ in der Hand? Vom Haupte hau’ ich den Hals dir ab, weigerst du dich ihm.« Gerda trotzt mutig dem Zwang und droht mit ihrem Vater. Aber Skirnir vertraut, mit Freyrs Schwert den alten Riesen zu fällen, und greift nun, da die Jungfrau Waffen nicht fürchtet, zur Bedrohung mit Zauberrunen; er brach Zauberruten im tiefen Wald und beschwört nun in furchtbaren Worten das Mädchen: falls sie Freyr nicht zum Manne wählt, soll sie allerlei Unheil befallen und zwar nach ihrem eignen Willen (nicht nur nach Skirnirs), weil sie dies Unnatürliche wählte; verlassen von allen Wesen soll sie in Einsamkeit Mangel, Trübsinn und Tränen erdulden oder mit einem scheusslichen, zweiköpfigen Riesen vermählt werden. Zauberrunen schneidet er in den Stab; entweder einen Riesen (d. h. ein Th, den Anfangsbuchstaben des Wortes Thurs, Riese), oder, falls sie nicht des grausigen Riesen wird, die Leiden der unvermählt alternden Jungfrau: Sehnen (oder Ohnmacht, Unmut), Ärger, Ungeduld. »Zornig ist dir Odin, der Asenfürst, zornig Freyr. Freyr flucht dir, gib nach, unselige Maid, eh’ dich befängt der Zauberzorn. Gibst du nach, so schneid’ ich die Runen ab (d. h. ich tilge sie), wie ich sie einschnitt.«

Da gibt die Maid, dem furchtbaren Zauberzwange weichend, den Widerspruch auf; sie beut dem Boten den Kühlkelch voll firnen (d. i. alten) Mets und gelobt in neun Nächten in dem Wald der stillen Pfade, Barri, Freyr Freude zu gönnen: d. h. sich ihm zu vermählen.

Voll Ungeduld und Sehnsucht hatte Freyr den Freund erwartet; er ruft nun den Heimkehrenden schon vor dem Tor an: »Bevor du den Sattel vom Rosse wirfst, bevor du den Fuss auf die Erde setzest –, künde: was hast du ausgerichtet in Riesenland!« Und auf die Meldung des Erfolges seufzt der Ungeduldige: »Lang ist die Nacht, länger sind zwei! Wie soll ich drei überdauern! Oft schien ein Monat mir nicht so lang wie eine Nacht des sehnenden Harrens.«

Es ist unmöglich, alle einzelnen Züge in dieser schönen Sage befriedigend zu deuten; es ist auch unnötig, da die frei spielende, dichterische Einbildungskraft gar manches lediglich um der Schönheit halber erfindet, auch wohl um des Stabreims willen manchen Ausdruck bringt. Aber offenbar liegt hier eine Werbung des Sonnengottes um die Erde vor; sein Diener, Freund und Bote ist Skirnir, d. h. der Heiterer, der Wolken und Nacht des Winters verscheucht; das hingegebene Schwert ist der Sonnenstrahl, der den alten Riesen Gymir, d. h. den mit Hymir (dem winterlichen Meer) verwandten Winterfrost erlegen wird. Gerda, die umgürtete, umhegte (?), ist die von den Riesen gehütete, vom Winter bedeckte Erde; – niemand kann wollen, dass der Sonnengott und die Wintererde beisammen sind; die Weltordnung hat beide getrennt. Die wütend heulenden Hunde sind die Winterstürme, welche dem Sonnengott wehren, zu der Umhegten zu gelangen, die Werbung mit den Äpfeln und dem Ring, der Fruchtbarkeit und des Gedeihens, welche der Preis für die Vermählung mit dem Sonnenjüngling sein sollen, vermögen die noch ganz in Winterstarre versunkene Erde nicht herauszulocken; sie trotzt auch dem Sonnenstrahl und droht mit der Macht ihres Vaters, des Winterriesen, den freilich der Frühlingsbote mit dieser Waffe bald zu fällen hofft. Endlich aber greift dieser zu den geheimnisvollen Zauberkräften, welche mit unwiderstehlicher Notwendigkeit Jahr für Jahr die Erde nötigen, der Werbung des Frühlings nachzugeben; der Zorn Allvaters, der Fluch des Sonnengottes wird sie schlagen, falls sie dieser Götterfügung trotzen will; ohne Gemahl, ohne Sonnenglanz wird sie freudlos, voll finstren Grams, Mangel leidend, und jeder Frucht entbehrend ein traurig Dasein tragen, oder, wenn sie sich vermählt, verfällt sie einem der grauenhaften Winterriesen von ihres Vaters Geschlecht; da kann die Erde dem Zauberdrang, der sie zum Frühling heranzwingt, nicht mehr widerstehen; sie verspricht, den Sonnengott zu empfangen in dem Wald »der stillen Pfade«, Barri, d. h. dem grünenden, nach neun Nächten, d. h. in den drei Monaten, welche dem Lenz, dem Sommer im Norden, allein gehören.

Wenn es dann weiter heisst, Freyr habe Beli mit einem Hirschhorn erschlagen, so hat man dies so deuten wollen, dass im Monat Hornung (Februar), wann die Hirsche frisch hornen, d. h. die Geweihe abwerfen, der Frühling schon zu obsiegen beginnt (aber doch gewiss nicht in Skandinavien, wo diese Sage entstand!). Übrigens deuten manche Züge, so die wabernde Lohe, welche Gerda wie Brunhild (s. Wölsungensage) umgibt, darauf hin, dass das Reich, in welches Skirnir dringen muss, auch als die Unterwelt, die Welt des Todes gedacht war, in welcher das vom Todesschlaf befallene Leben der Erde ruht. Auch scheint ursprünglich Freyr selbst ausgezogen zu sein; – wenigstens erschlägt er, nicht Skirnir, den Bruder der Jungfrau. Erst später vielleicht ist die Aussendung des für den Freund und Gebieter werbenden Freundes entstanden, was dann Ursprung der reichgegliederten, mannigfaltig auftretenden Freundschaftssagewurde. Es wird Freyr von Loki vorgeworfen, dass er sein Schwert töricht hingegeben habe, um Gerda zu gewinnen, und geweissagt, dass er dereinst fallen werde, im letzten Kampfe, weil ihm dies Siegesschwert fehle. Zu der uns überlieferten Fassung der Sage passt das nicht, da ja Freyr die gute Waffe nur dem Freunde vertraut, wie das Ross, der ihm sicher beide wiederbringt. Vielleicht gab in einer andern Überlieferung der Sonnengott das Schwert dem Riesen als Preis für die Jungfrau; d. h. der Sonnenstrahl muss sich in die Erde versenken, die erstarrte zu beleben, und geht dadurch dem Sonnengotte selbst verloren, der allmählich seine Kraft in steter Ausstrahlung (für ein Jahr) erschöpft. Auch hier ist, wie bei Baldurs Tod, das jährlich sich vollziehende Ermatten und Sterben des Sonnengottes wohl erst später mit dem dereinstigen endgültigen Untergang in Beziehung gebracht worden.

V. Baldur-Forseti.

Wie Freyr ist auch Baldur, ebenfalls Odins Sohn, ein Gott des Lichtes, der Sonne, doch in vielfach abweichender Richtung; so wird nicht der Erntesegen wie auf Freyr-Frô, sondern der Frühling auf ihn zurückgeführt; er ist das aufsteigende Licht des wachsenden Jahres und muss daher sterben, wann das Jahr sich neigt, wann die Tageslänge nicht mehr zunimmt, sondern abnimmt, und die Nacht dem Tageslicht zu obsiegen anhebt; also zur Sommersonnenwende, ungefähr zwischen dem einundzwanzigsten und dem vierundzwanzigsten Juni; die Kirche hat auf letzteren Tag das Fest Johannis des Täufers verlegt, des lichtverkündenden Vorgängers des Heilands; die Sonnwendfeuer, welche in dieser Nacht in Oberdeutschland auf den Gipfeln der Berge entzündet werden, deuten den Scheiterhaufen, auf welchem, nach altgermanischem Brauch, die Leiche des Gottes verbrannt wird, wie das in Mittel- und Norddeutschland häufigere Osterfeuer umgekehrt der Scheiterhaufe ist, auf welchem der bei Frühlingsanfang von Baldur besiegte und getötete Winterriese verbrannt wird.

Schon oben ward darauf hingewiesen, wie der Lichtkult, welchen die Germanen mit aus Asien gebracht, eine ganz besondere Färbung annehmen musste, seit dieselben in Nord- und Nordost-Europa lebten; die Sehnsucht nach Licht und Wärme des Frühlings und Sommers musste während der langen Winter schon in den Urwäldern Deutschlands, noch mehr in Skandinavien eine die Seelenstimmung geradezu beherrschende werden; zu dem lebhaften, durch das Waldleben gesteigerten Naturgefühle der Germanen trat hierbei, dass die Bauart und Einrichtung ihrer Holzgehöfte wenig Behaglichkeit im Winter bot, das Leben im Freien, im Lenz und Sommer, daher um so inniger herbeigewünscht werden musste. Daher durchzieht ihre ganze Volkspoesie, ihre Feste und Spiele die Vorstellung des Kampfes zwischen dem lichten, wohltätigen, Leben und Freuden spendenden Gott des Frühlings (des Maien, des Sommers) mit dem Kälte, Dunkel, Erstarrung und Tod verbreitenden Winterriesen. Das Frühlingslicht gerade in diesem Sinn ward nun in Baldur personifiziert.

Der Namedieses Frühlings- und Lichtgottes war bei den verschiedenen Stämmen verschieden, Wesen und Bedeutung waren dieselben; wie heute noch in den Osterfeuern der Winterriese verbrannt wird, so feiert man in vielen Landschaften den Tag Sankt Georgs, welch ritterliche Heiligengestalt an Stelle des alten Frühlingsgottes getreten ist, als den des Sieges des Lichtes über die Winternacht; wie Baldur den Winterriesen, erlegt Sankt Georg mit goldener Lanze (dem Sonnenstrahl) den Drachen und befreit die ihm preisgegebene Jungfrau, die in Wintersbanden schmachtende Erde. Zu Furth im bayrischen Walde wird dieser Drachenstich noch jährlich am Sankt Georgitag feierlich begangen; ein Jüngling in schimmernden Waffen, auf weissem Ross, ein Symbol des siegreichen Lichtes, stösst den Speer in den Rachen eines greulichen Drachen, dessen Blut aus einer in dem Rachen verborgenen Blase spritzt; – es wird von den Bauern, welche von nah und fern zu diesem Feste herbeiziehen, aufgefangen und auf die Felder gesprengt, Fruchtbarkeit zu spenden, zum deutlichen Beweis, dass der Sieger der Sonnen- und Frühlingsgott ist. Anderwärts zogen und ziehen heute noch alt und jung in den Wald, den »Herren Maien« festlich zu empfangen, wann ihn der Kuckucksruf oder der erste Storch, die erste Schwalbe, das erste Veilchen verkündet hat; auch hier wird oft eine Hochzeit mit einer »Maikönigin« gefeiert. (Über Baldurs Gemahlin Nanna, seine Brüder Hödur, Wali, Hermodur s. unten.) Baldur ist als strahlend schöner Jüngling gedacht.

Die Freude der Germanen an dem Frühlingslicht drückt die Edda naiv und rührend aus: »Von Baldur ist nur Gutes zu sagen (was von den andern Asen, die wir sahen, nicht gerühmt werden mag; aber diese Gestalt ist schuldlos und rein verblieben), er ist der Beste, er wird gepriesen von allen. So schön ist er von Antlitz und so hell, dass ein leuchtender Glanz von ihm ausstrahlt; ein Kraut ist so hell, dass es mit Baldurs Brauen verglichen wird; das ist das lichteste (weisseste) aller Kräuter: »Baldurs-braue«. Daraus kannst du ermessen, wie schön sein Haar und sein Leib sein muss. Von allen Asen ist er der weiseste, mildeste, beredteste; er hat die Eigenschaft, dass seine in Streitsachen andrer ausgesprochenen Urteile niemand schelten kann(d. h. im altgermanischen Recht: ihrer Unrichtigkeit und Ungerechtigkeit halber anfechten und einen andern Wahrspruch verlangen). Er bewohnt im Himmel jene Stätte, welche Breida-blick (Weit-Glanz) heisst; und wird da nichts Unreines geduldet.«

Das Licht, die Reinheit, gilt auch als Symbol der sittlichen Reinheit und des guten Rechts; daher mahnt ein in manche Sage gekleidetes Sprichwort: »Die Sonne bringt es an den Tag«, d. h. das Unrecht, das Verbrechen, z. B. den Mord, der sich tief verborgen und sicher wähnt. Diese einzelne Seite Baldurs – dass niemand seine Urteile schelten kann – die lichte Gerechtigkeit und Rechtswahrheit, wird, nach einer uns nun schon geläufigen Ausdrucksweise der Götterwelt, so ausgedrückt, dass der Gott des Rechts, genauer der Rechtsprechung, ein Sohn Baldurs genannt wird; er ist Forseti (Forasizo, seine Mutter ist selbstverständlich Nanna). In germanischer Rechtspflege hatte der König oder der Graf, als »Richter« das Ding, d. h. das Gericht, zu leiten, feierlich zu eröffnen, zu hegen, das Wort zu verleihen, den Dingfrieden zu schützen, Scheltworte, Waffenzücken zu verbieten und zu strafen, Umfrage an das versammelte Volk, später an die Schöffen, zu halten, welche das Urteil fanden; dieses Amt des Vorsitzes wird von Baldurs Sohne bekleidet. Er bewohnt in der Himmelsburg den Saal, welcher der Glänzende (Glitnir) heisst; dort steht sein Richterstuhl, der beste für Götter und Menschen; alle, die sich im Rechtsstreit an Forseti wenden, gehen, mit seinem Schiedsspruch zufrieden, versöhnt und ausgeglichen, von diesem Richterstuhl nach Hause.

In einer schönen Sage von Entstehung des Rechts der Friesen wird erzählt, dass deren zwölf Rechtssprecher (â-sega) in steuerlosem Boot auf dem Meere treiben; sie vermögen das Land nicht zu finden (und auch nicht das Recht, d. h. das »Hintreiben auf steuerlosem Schiff« ist das vergebliche Bemühen, die Rechtsentscheidung im Meere der Zweifel zu finden). Sie beten, ein Dreizehnter möge ihnen gesendet werden, der sie das Recht lehre und an das feste Land lootse. Sofort sitzt ein Dreizehnter am Schiffshinterteil, führt ein Ruder und steuert gegen Wind und Wellen sicher und glücklich ans Land; dort angelangt, wirft er eine Axt, die er auf der Schulter trägt, zur Erde; da entspringt an dieser Stelle ein Quell; hier setzt er sich nieder, die zwölf andern um ihn, und er weist ihnen das Recht. Keiner der zwölf kannte ihn, jedem der zwölf glich er von Angesicht und nachdem er sie das Recht gelehrt – waren ihrer wieder nur zwölf; der dreizehnte war verschwunden; er war nur der Ausdruck ihrer Gemeinvernunft, ihres übereinstimmenden Rechtsbewusstseins gewesen. –

Der Unbekannte war ursprünglich wohl Odin, später aber, nachdem ein besonderer Gott des Rechts aus Odin (als dem Gott des Geistes, daher ist er Fosites Grossvater) und Baldur, als dem Gott der sittlichen Reinheit und Wahrhaftigkeit, herausgelöst war, eben dieser neue Gott. Man verlegt jene Rechtsbelehrung auf die Insel Helgoland (die Grenze der Friesen und Dänen), welche nach diesem Gott »Fositesland« hiess und wo ein heiliger Brunnquell in hoher Verehrung stand; nur schweigend durfte man schöpfen das reine und geheimnisvolle Nass.

Sankt Wilibrord wagte es, um das Jahr 740 in dem Quell drei Heiden zu taufen; kaum entging er lebend dem Zorn des Volks über solche Entweihung und Verwendung des Brunnens der alten Götter zum Dienst ihrer Feinde. Erst Sankt Liutger (gestorben im Jahre 809), selbst ein Friese, führte das Christentum auf der Insel ein, die heute noch das »heilige Land« genannt ist (auch in Norwegen gab es einen Forseti-Wald).

Von Baldurs Tod wird besser in anderm Zusammenhang gehandelt; seine Spuren – unter diesem Namen – in Deutschland sind sehr selten; gar mancher Ortsname, der, mit Pfol zusammengesetzt auf Phol, angeblich gleich Baldur, gedeutet wurde, geht auf »Pfahl« zurück, auf den Pfahlgraben, den alten römischen Grenzhag (limes). Und wenn man eine Bekräftigung jener Annahme darin finden wollte, dass diese Orte auch oft »Teufels«-Graben, »Teufels«-hag genannt werden – da nämlich auch dieser Gott im Mittelalter als ein Teufel gedacht worden sei – so ist zu erinnern, dass die Deutschen das ihnen so verderbliche und grossartige, fast übermenschliche Werk der römischen Feinde, den Grenzhag, den Pfahlgraben, auf Riesen oder andre böse Gewalten, d. h. in der christlichen Zeit auf Teufel zurückführten. So bleibt als Zeugnis für »Phol« fast nur der Merseburger Zauberspruch über, der bei Verrenkungen gesprochen wurde; eingekleidet in epische, ja dramatische Form:

phol ende uuôdan

Vol und Wotan

uuorun zi holza:

fuhren zu Holze:

du uuart demo balderes

da ward Baldersuolon

Fohlensin unoz birenkit:

sein Fuss verrenkt:

thu biguolen sinthgunt,

Da besang ihn Sinthgunt,

sunnâ erâ suister,

Sonne, ihre Schwester,

thu biguolen frûâ,

da besang ihn Fraua (Frigg),

nollâ erâ suister,

Volla, deren Schwester:

thu biguolen uuôdan,

da besang ihn Wotan,

sô he uuola conda

wie er wohl verstand.

sôse bênrenki,

so die Beinverrenkung,

sôse bluotrenki, sôse

so die Blutverrenkung,

lidirenki:

so die Gliederverrenkung:

(Hier fehlt wohl eine Zeile.)

»bên zi bêna,

»Bein zu Beine,

bluot zi bluoda,

Blut zu Blute,

lid zi geliden,

Glied zu Gliedern,

sôse gelîmidâ sin.«

Als ob sie geleimt wären.«

VI. Loki-Loge.

Baldur wird, wie wir sehen werden, getötet durch seines Bruders Hödur unschuldige Hand, auf Anstiften des bösen Loki, althochdeutsch Loge. Die Naturgrundlage dieser halb asischen, halb riesischen Gestalt ist, obzwar dieses bezweifelt wird, das Feuer. Und wie das Feuer, nach Schillers schönen Worten, bald wohltätig, bald verderblich wirkt, so ist auch Lokis Wesen ein zweifaches; er zählt zu den Göttern; denn die wärmende und befruchtende Flamme ist eine segensreiche, den Menschen unentbehrliche Macht; aber sie ist zugleich immer unzuverlässig, gefährlich, treulos und, wenn entfesselt, furchtbar verderblich. Daher der böse Loki schon vor seinem offenen Abfall von den Göttern diesen allerlei zwar listige und verschlagene, scheinbar und für den Augenblick auch wirklich vorteilhafte Ratschläge erteilt, welche sie aber doch stets grossen Gefahren und Verlusten aussetzen und vor allem ihre Treue und Wahrhaftigkeit schädigen, daher ihre »Dämmerung«, d. h. ihre Verschuldung herbeiführen und steigern.

Loki heisst der Sohn des Riesen Farbauti und der Laufey oder Nal; Farbauti, der »Führer des Bootes«, ist vielleicht jener Riese, welcher aus der bei Ymirs Tod entstandenen Sintflut sich in einem Boote rettete; Lauf-ey hat man auf »Laub-Insel« gedeutet, wohin der Riese flüchtete. Aber vielleicht galt Loki ursprünglich als Odins BruderLuft

Wasser

Feuer

Odin

Hönir

Loki

Bileistr

Helblindi

Loki

Kari (oder Hler)

Ögir

Logi

entsprechend:

Zeus

Poseidon

Hephästos.

(So Simrock.)

; er wandert wiederholt mit ihm und mit Hönir; eine Erinnerung daran, dass anfangs Luft, Wasser, Feuer, später Odin, Hönir (Ögir), Loki überwiegend als Naturgewalten gedacht waren; später wird dann Loki nicht mehr als Odins geborner, sondern durch Vertrag angenommener Bruder gedacht; als »Blutsbruder«: Freunde ritzten je eine Ader ihres Armes, fingen das Blut in einem Becher auf, vermischten es und tranken beide davon, wodurch ein unverbrüchlicher Treueverband hergestellt ward, so eng wie unter wirklichen Brüdern.

Aber alsbald bricht der arglistige Loki diese Treue; anfangs erteilt er, wohl lediglich seiner Natur folgend, Ratschläge, deren Befolgung die Reinheit der Götter nur gefährdet, ihre Sicherheit trübt. Bald aber, darüber gescholten und bedroht, stiftet er nunabsichtlich Böses, bis er endlich sie offen beschimpft und ihren Liebling Baldur ermorden lässt. Solange jedoch Loki als wohltätiger Feuergott zu den Göttern hält, musste ein besonderer Vertreter des schädlichen Feuers gedacht werden. Auch dieser, ein Riese, führt den Namen Logi, – eine Erinnerung an Lokis ursprünglich riesische Natur und Parteistellung – mit welchem Loki sogar einen Wettkampf eingeht. Ja einmal wird das schädliche Feuer (im Gegensatz zu dem den Göttern und Menschen befreundeten) als Utgardloki bezeichnet, d. h. der Loki der riesischen, am äussersten Erdenrand gelegenen »Aussen-Welt«.

Schon vor dem offenen Bruche mit den Göttern erscheint Lokis Rat und Tat zugleich mit dem Segensreichen auch schädlich. So schafft er zwar mit Odin und Hönir zusammen die Menschen; aber seine Gabe an diese, Blut und blühende Farbe, schliesst mit dem Warmen und Reizvollen zugleich das Gefährliche der Leidenschaft, der Verlockungund ungezügelt auflodernden Sinnlichkeit ein. So verschafft er zwar Thor den an die Riesen verlorenen Hammer wieder; aber nur, indem er Freyas Auslieferung an die Riesen dafür verspricht und, da dies an ihrem und aller Götter sträuben scheitert, diese zu Trug und Treubruch gegen die Riesen verleitet. So schert er Sif, Thors Gemahlin, hinterlistig das Haar ab – die Sommerfeuerglut versengt das Haar, d. h. den Graswuchs der Erde unter dem Schein wohltätiger Wärme –; um sich von der Strafe zu lösen, bietet er nun zwar den Göttern die wertvollsten Kleinode: Freyrs Schiff, Thors Hammer, welche er durch die schmiedekundigen Dunkel-Elben, die Zwerge, fertigen lässt; – (diese sind ihm nahestehend; denn sie hausen in den Tiefen der Berge, wo auch das Erdfeuer[Loki] wohnt, und sie werden auf seinen Rat von den Göttern geschaffen). Allein arglistig suchte er doch wieder die Vollkommenheit dieser herrlichen Geräte zu hindern; er stach als Mücke den Zwerg, welcher den Blasebalg zog, so dass auch wirklich der Schaft an Thors Hammer etwas zu kurz ausfiel.

Auch zu dem Vertrag mit dem riesischen Baumeister (s. unten Buch III, I) hat er, so scheint, den Göttern geraten; und als sie dadurch abermals mit Verlusten bedroht werden, vermag er sie nur durch abermalige List zu retten, welche auch die Asen schuldig macht, da sie dieselbe oder doch ihre Wirkungen gutheissen. Wie Freya will er auch Idun mit ihren verjüngenden Äpfeln den Riesen preisgeben (s. unten: Idun) zum schwersten Schaden der Götter, welche nun zu altern beginnen. Endlich aber, nachdem er lange (nach Uhlands schönem Wort) als das leise und rastlos unter den Göttern umherschleichende Verderben – List, Betrug, schädlicher Rat, Täuschung (zunächst zwar der Riesen, aber auch der Götter), Gefährdung und Befleckung derselben – in noch verdeckter Feindseligkeit wirkte, versetzt er in Baldurs Ermordung ihnen offen den schwersten Schlag, der sie vor der Götterdämmerung selbst – diese vorbedeutend – treffen kann.

Zur Strafe für diesen äussersten Frevel wird Loki gefangen und gefesselt (s. unten, Götterdämmerung), nachdem er, nach einer Überlieferung wenigstens, vorher noch alle in der Halle des Meergottes Ögir zu festlichem Mahle versammelten Götter und Göttinnen beschimpft hat, unter Aufdeckung ihrer Schwächen, Fehler und Vergehen jeder Art; dies ist der Inhalt der Ögisdrecka, der uns zu grossem Teil unverständlich bleibt, weil er in seinen Anspielungen die Kenntnis der zahlreichen Göttergeschichten voraussetzt, welche uns leider verloren sind. Man ersieht aber daraus, in welcher Fülle und in welch verfänglicher Weise die Dichtung solche Sagen ausgebildet hatte, nach welchen fast alle Götter und Göttinnen in Untreue und andre Schuld verstrickt erscheinen, so dass das sittliche Bedürfnis im Volk ihren Untergang oder doch ihre Läuterung im Weltenbrande dringend fordern musste.

Ausser zwei Söhnen von seiner Gattin Sigyn hatte Loki noch von der Riesin Angur-boda drei furchtbare Sprösslinge: den Fenriswolf, die Midgardschlange und Hel (s. unten).

VII. Hel-Nerthus

Während der Fenriswolf und die Midgardschlange die Vernichtung (zumal der Rechtsbruch) und das unwirtliche, stets die Dämme der Erde bedrohende Weltmeer, ausschliesslich schädliche Mächte sind, gilt dies nicht in gleicher Ausnahmslosigkeit von Hel, welche später zwar als Riesin, als schaurige Herrscherin der Unterwelt, des Schattenreiches, auch wohl des Strafortes für Verbrecher, als Todesgöttin erscheint, ursprünglich aber auch wohltätige Bedeutung gehabt hat.

Sie bedeutet in ihrem Namen »Heljan«, hehlen, bergen, zwar das Verhülltwerden und Gefangengehaltenwerden der Toten in dem schaurigen finstern Abgrund der Tiefe, aber zugleich auch das Nährende; die schützende, Lebenskeime bergende und befruchtende Erde wird als segensreicher, warmer Schoss, als ehrwürdigheilige Mutter »die hehlende« genannt. So komme es, dass die Erdgöttin Jörd (auch Fiörgyn, Berg, Hlodyn, Herdgöttin), die Nerthus (Nährende) der Südgermanen, ursprünglich die grosse von den Römern der Isis verglichene Göttin, wohl auch als Hel gedacht wurde. Daher berührt sie sich mit Frigg, welche, der Hera-Juno entsprechend, die Göttin der Ehe, des Hausherdes, der Fruchtbarkeit ist, das Urbild der germanischen Hausfrau, des Götterkönigs schöne, strenge, ehrfurchtwürdige Gemahlin.

Wie es scheint, war sie anfangs zugleich die Göttin der Liebe, diese ohne Rücksicht auf den heiligen Ehebund gedacht. Erst später löste sich, wie wir dies ja wiederholt gesehen, diese eine Seite der Bedeutungen von der Gesamtgestalt ab und wurde zu einer besonderen selbständigen Göttin der Liebe, als Freya; daher erklärt sich, dass auch später noch die beiden nahe verwandten und stabreimenden Göttinnen Frigg und Freya miteinander oft verwechselt werden, was freilich nicht ausschliesst, dass die jugendlich-feurige Freya als Göttin der Liebe zu Frigga, der gestrengen und eifersüchtig das Recht der Ehe wahrenden Hausmutter, auch wohl einmal in Gegensatz tritt.

Sehr bezeichnend für die Doppelart der Hel; die finstere, Grab und Tod bedeutende und zugleich die leben-nährende und für das Wiederemporsteigen des geschützten Keimes unentbehrliche, ist es nun, dass Hel selbst oder die bei ihr weilenden Jungfrauen halb schwarze und halb weisse Haut- und Gewandfarbe tragen. Die in die Unterwelt verwünschte, zum Aufenthalt in der Grabestiefe für bestimmte Zeit verdammte Maid ist schwarz, sofern sie der Tiefe verfallen, aber weiss, sofern sie der Erlösung, der Befreiung, d. h. durch den sieghaft einbringenden lichten Ritter fähig ist (den Sonnenstrahl; s. Skirnisfahrt).

Daher in vielen Sagen und Märchen auch wohl darauf geachtet wird, ob der kühne Befreier die zu Rettende schon ganz schwarz geworden antrifft; – dann ist sie verloren – oder ob noch Weisses an ihr haftet; dann ist sie noch zu erlösen. Das ward dann in Kirchensagen auch wohl auf die im Fegefeuer harrenden Seelen übertragen.

Als Königin der schaurigen Tiefe, als Beherrscherin der Schrecken, als Fürstin der finsteren Unterwelt erscheint Hel auch als Gebietigerin der Straforte für Frevler, welche nach dem Tode die Schuld ihres Lebens zu büssen haben; so ward die persönlich gedachte Göttin Hel der Heiden zu der räumlich gedachten Hölle des christlichen Mittelalters. Aber erst das Christentum hat uns die Hölle heiss gemacht; nach germanischer Anschauung ist der Strafort der abgeschiedenen Seelen eine kalte Wasserhölle; Strömeunter der Erde, eben im Reiche Hels, welche Schwerter, Schlangen und Leichen dahinwälzen; mitten in diesem Gewoge treiben die Verstorbenen dahin, welche auf Erden die Schuld des Meineids, des Mordes an Gesippen und Ähnliches verübt haben; aber die Qualen dieser germanischen Hölle sind nicht ewige (s. unten: Götterdämmerung).

Die Brücke, welche nach der Unterwelt führt durch Steinklüfte, wird von der Riesin Môdgudr (Seelenstreit) bewacht. Sie ist eine Anklägerin; als Brunhild den Ritt nach Hel tut, wehrt ihr die Riesin den Weg, indem sie ihr die während ihres Lebens auf der Erde begangene Schuld vorhält.

Eine Göttin der Schrecken, die Riesin der grausigen Tiefe, welche alles Leben hinabschlürfen will, ähnlich wie die Wasserriesin Ran die Ertrinkenden, wurde Hel wohl erst später, nachdem ihre wohltätigen Seiten in der Erbgöttin Nerthus oder Jörd sowie in Frigg besonderen Ausdruck gefunden hatten. Als böse Unholdin schildert sie eine offenbar jüngere Darstellung; ihr Saal heisst Elend, Hunger ihre Schüssel, ihr Messer Gier, ihr Knecht Gangträge, ihre Magd Ganglässig, ihre Schwelle Einsturz, ihr Bett Kummer, ihr Vorhang drohendes Verderben; sie ist nur zur Hälfte menschenfarb, zur andern Hälfte schwarz (schwarzblau, blâ); also kenntlich genug durch ihr furchtbares Aussehen.

Vielleicht aber waren früher neben jenen Straforten in Hels Reich auch Räume seligen Aufenthalts gedacht, welche erst später ausschliessend nach Asgard verlegt wurden, wobei dann das Fortleben in Hel auch für Schuldlose nurmehr als ein freudloses, schattenhaftes gedacht wurde, nachdem der vergeistigte Odin und sein Walhall in den Vordergrund getreten waren. Wenigstens würde jene Annahme am besten erklären, dass Sagen und Märchen im Reiche der Unterwelt, im Schoss der Berge, in Höhlen, unterhalb der Seen und Teiche anmutreiche Gärten, blumige Wiesen, goldene Säle kennen, in welchen die Seelen der schuldlosen Abgeschiedenen ein frohes Dasein führen; wird doch auch für Baldur festlicher Empfang in Hels geschmücktem Saal bereitet.

Die segensreiche Wirkung Hels allein wird hervorgehoben, wenn sie mit der Erbgöttin Jörd (südgermanisch: Nerthus) als eins gedacht und daher – als solche – mit Odin vermählt wird; sie gebiert ihm als Jörd Thor, als Hel Widar (s. diesen unten). Daher heisst es auch, dass Odin ihr Gewalt über die neunte Welt (eben über die Unterwelt)gegeben habe. Als heilige, segensreiche, allnährende (Nerthus von narjan, nähren) Mutter wurde die Erbgöttin (terra mater) von suevischen Völkern an der Nordseeküste verehrt; sie hatte ihren Wohnsitz auf einem Eiland des Meeres; in einem keuschen Haine ward ihr heiliger Wagen, von faltenreichem Gewande verhüllt, aufbewahrt; nur ihres Priesters Hand durfte rühren an das geheimnisvolle Gefährt. Dieser erkennt es, wann die Göttin das Heiligtum betritt; alsbald werden die ihr geweihten Kühe angeschirrt, und in Ehrfurcht begleitet er den feierlichen Zug. Denn nun fährt die Göttin unter die Völker und greift ein in die Geschicke der Menschen; zur Zeit des frühesten Frühlings (Februar oder März). Da hebt an eine Reihe festfroher Tage; alle Stätten, welche sie des Einzugs und der Gastung würdigt, werden Festplätze. Dann ruhen die Waffen, keine Kriegsfahrt wird unternommen, eingeschlossen wird alle Eisenwehr; Friede und Ruhe kennt man in jenen Tagen, liebt man in jenen Tagen allein, bis die Göttin des Verkehrs mit den Sterblichen ersättigt ist und derselbe Priester sie zurückgeleitet in ihr Heiligtum. Alsbald werden Wagen, Gewande und, nach dem Glauben, die Gottheit selbst in einem geheimnisvoll abgelegenen See gebadet. Unfreie, welche dabei Dienste leisten, verschlingt sofort dieselbe Flut. Daher waltet geheimes Grauen und eine bedeutungsvolle Rätselhaftigkeit; denn, was jenes Verborgene sei, das wissen nur dem Tode Geweihte. Diese Schilderung des Tacitus (Germania c. 40) zeigt die Erdgöttin als eine Mutter der Freude, des Segens, des Gedeihens, des Friedens, wann sie unter die Völker fährt; aber die düsteren Menschenopfer, die der geheimnisvolle See verschlingt, deuten an, dass sie zugleich die Göttin des Todes und der Unterwelt war.

Der Wagen der Göttin war vielleicht zugleich als Schiff gedacht; (in Italien »Caroccio«, ein Wagen, der oft ein Schiff oder doch einen Mastbaum trug) – schon um von jener Insel das Festland zu erreichen. Unter dem Bild eines Schiffes, d. h. richtiger wohl auf einem Schiff, hielt eine Göttin der Fruchtbarkeit, welche von den Römern der ägyptischen Isis verglichen ward, Umzüge. Solche festliche Umfahrten, zur Zeit, da der Winter dem sieghaft einziehenden Frühling weicht, – ungefähr um Fastnacht– mit der Bedeutung, Freude und Frieden zu verbreiten, waren häufig und haben sich in manchen Landschaften bis heute erhalten.

Gerade von dem Festdienst dieser der Isis vergleichbaren Göttin der Ehe, des Friedens, der Fruchtbarkeit, daher auch des Ackersegens und der Schiffahrt, haben sich zahlreiche Spuren erhalten. Aventin erzählt von einer Frau Eisen, welche den König Schwab in Augsburg Eisen schmieden gelehrt habe und pflügen, säen, ernten, Flachs und Hanf bauen, die Weiber aber spinnen, weben, nähen, Brot kneten und backen; mit Schiff, Pflug und Wagen zog sie durch die Gaue. Zu Nivelles wird noch der Wagen einer solchen Göttin, der heiligen Gertrud, aufbewahrt, welche gegen Mäusefrass schützte; mit einer Maus am Stab oder Rocken wird sie abgebildet. Man trinkt Sankt Gertruds Minne wie der heidnischen Götter, und zwar aus einem Becher, der ein Schiff darstellt. Denn auch die Schützerin der Schiffer ist sie; die Rheinschiffer beten in der Kapelle der heiligen Gertrud in Bonn um gute Fahrt; sie bringt die schöne Jahreszeit, »d. h. sie holt den kalten Stein aus dem Rhein«. Die Gartenarbeit wird nun wieder möglich: »Gertrud (= Freya-Gerda) ist die erste Gärtnerin«; d. h. an ihrem Tag (17. März) weicht die Kälte der Frühlingswärme. Gertrud, die »Speer-traute«, ist übrigens ein Walküren-Name; sie entspricht Freya; daher auch verbringen alle Seelen Verstorbener die erste Nacht in Sankt Gertruds Saal, die zweite bei Sankt Michael, die dritte erst in Himmel oder Hölle; es ist Freya, welche sich mit Wotan (= Sankt Michael) in die Seelen der Verstorbenen teilt. Auch ist Sankt Gertrud wie einer heidnischen Göttin ein Waldestier heilig: der rothäubige Schwarzspecht (picus martius) der auch »Martinsvogel« heisst, weil er Sankt Martin d. h. Wotan geweiht ist. Derselbe war bei den Italikern ein verzauberter König, Picus, ein Waldgeist, als Vogel aber dem Kriegsgott Mars geweiht, was vielleicht auch auf Sankt Martin (mit Schwert und Mantel) hinführt.

Der Gemahl der Nerthus war nicht Odin, sondern wahrscheinlich ihr Bruder Niördr, welcher sie verlassen musste, als er, aus dem Verbande der Manen scheidend, unter die Asen aufgenommen wurde; denn Geschwisterehe, welche, wie bei andern nordischen Völkern, auch bei Germanen in ältester Zeit vorkam, galt den Asen, d. h. dem vorgeschrittenen Bewusstsein, welches die Asen-Religion geschaffen, nicht mehr als erlaubt.

VIII. Freya und Frigg.

Freya, die Wanengöttin, war vermählt mit Odr; als sie diesen verlor, weinte sie ihm in treuer Liebe Sehnen goldene Tränen nach. Odr wird von einigen als Freyr gedacht, welcher die Schwester bei ihrer beider Aufnahme unter die Asen nicht mehr habe als Gemahl behalten dürfen, von andern als Odin, der in den »zwölf Nächten« (von Weihnachten bis Dreikönige) als wilder Jäger in dem Sturmbrausen jener Zeit um die Frühlingsgöttin, die schöne Jahreszeit, wirbt, aber schon bald, zur Zeit der Sommersonnenwende, von dem Hauer eines Ebers getroffen, stirbt; d. h. nur in seiner Bedeutung als Gott des aufsteigenden Jahres; ähnlich seinem Sohne Baldur. Daher wird auch der Hackelberend (d. h. Mantelträger, d. h. Wotan), der im Mittelalter als wilder Jäger Wotan vertritt, durch einen Eber getötet und hat nun in alle Ewigkeit zu jagen, weil er sich, frevlen Sinnes, statt der himmlischen Seligkeit ewige Weidmannslust gewünscht hatte.

Bald aber ward nicht mehr Freya als Gemahlin Odins gedacht, sondern Frigga; Freya, die zur Naturgrundlage die schöne Frühlingszeit hat, ward nun zur Göttin der Liebe, sowohl der edeln als (zumal später) der sinnlichen, leidenschaftlichen Liebe; wenigstens werden ihr von Loki und der Riesin Hyndla derartige Vorwürfe gemacht.

Aber Freya ist nicht eine weichliche Liebesgöttin wie Aphrodite, sondern sie ist zugleich die erste, die Anführerin der Walküren, der Schildjungfrauen Odins (s. diese unten). Als solche reitet sie an der Spitze dieser in die Schlacht und ihr gehört die Hälfte der Wal, d. h. der (nach des Schicksals oder Odins oder eben der Wal-küren Beschluss) in dem Kampfe Gefallenen, nur die andre Hälfte Odin; daher heisst ihre Himmelsburg Folk-wang, der Anger des (gefallenen) Volks, ihr Saal Sess-rumnir, der Sitz-räumige; der Freitag (nordisch Frejudarg) ist nach ihr benannt.

Als Walküre (– sie ist die eigentliche, die ursprünglich einzige, die andern sind nur ihre Vervielfältigungen und Wiederholungen –) ist sie Jungfrau; als solche heisst sie Gefion und alle, die unvermählt sterben, nimmt sie auf. Indes hat später die Sage Gefion einen Gemahl gesellt. »Gefn« heisst Meeresstrom; daran wohl knüpfte die Dichtung. Zu Gylfi, König von Swithiod (Schweden), kam einst eine fahrende Frau, deren Gesang ihn so wonnig ergötzte, dass er ihr zum Lohne so viel seines Landes versprach, als vier Rinder während eines Tages und einer Nacht würden pflügen können. Aber diese Landfahrerin war eine verkleidete Tochter Asgards; sie nahm vier Rinder aus Riesenheim – Riesengeborne – und jochte sie vor ihren Pflug. So gewaltig und tief furchend zogen die Rinder, dass sie das Gepflügte losrissen vom übrigen Festland und es mit sich zogen ins Meer, bis sie stehen blieben in einem Sunde. Da festigte Gefion das losgerissene Land und nannte es »Seeland«: – die dänische Insel. In Schweden entstand an Stelle des weggepflückten Landstückes ein See, Lögr, dessen Buchten daher den vorspringenden Küstenspitzen von Seeland entsprechen, wie die Scheide dem Schwert. Gefion vermählte sich zu Lethra, der dänischen Königsburg, auf Seeland, mit Skiold und ward so der Skiöldunge Stammutter.

Frigg, Odins rechtmässige Gemahlin, der Hera-Juno entsprechend, ist die Göttin der Ehe, des heiligen Herdes, des ehelichen Hauses, der ehehäuslichen Wirtschaft; sie ist das Urbild der germanischen Hausfrau, mit deren ernsten Pflichten und stolzen Rechten. Daher ist sie die Lehrerin und Beschirmerin des Spinnens, daher führt sie am Gürtel die Schlüssel als Zeichen ihrer Schlüsselgewalt, d. h. der Leitung des Hausstandes. Wie Hera-Juno ist sie – freilich nicht immer ohne Grund; der wärmste Freund Odin-Wotans muss ihr das einräumen! – oft recht eifersüchtig auf ihren Gemahl. Dass er vermöge seiner Naturgrundlage und vermöge seiner verschiedenen geistigen Aufgaben von der Göttersage gar manche Frau und Freundin ausser Frigga zugedichtet erhalten muss; – diese Notwendigkeit einzusehen hat Frau Frigga niemals über ihr Frauenherz gebracht.

Friggs Vater heisst Fiörgyn, weil sie ursprünglich mit der Erdgöttin Jörd, dessen Tochter, identisch war; ihre Halle heisst Fensal, was auf Sumpf und Meer deutet.

Als Spinnerin lebt Frigg bis heute im Glauben des Volkes fort; die drei Sterne, welche den Gürtel des Sternbildes Orion bilden, heissen »Friggs Rocken«. Bei den Bayern und Schwaben geht sie heute noch um als Berchtfrau, Frau Bercht, d. h. Berahta, die Glänzende, wie die Sage die Mutter Karls des Grossen Bertha die Spinnerinnannte und wie die verlorene goldene Zeit, da diese Göttin des Segens herrschte, beklagt wird mit dem Seufzer: »Die Zeit ist hin, da Bertha spann». Daher geht noch heute nach dem Glauben des oberdeutschen Landvolkes um die Zeit, da die Spinnarbeit vollendet sein, jede Dirne mit dem zugeteilten Masse Flachs fertig sein muss – bis zu Lichtmess (zweiten Februar) – eine hehre Gestalt in dem Dorf um; nach dem Gebetläuten in der Dämmerstunde wandelt durch die verschneiten Gassen und Gangsteige eine hohe Frau, ganz in weisses Linnen gehüllt, vom Haupte, von welchem sich manchmal eine goldene Locke durch des Schleiers Falten stiehlt, bis zu den Riemenschuhen; sie lugt durch die Butzen-Scheiben der niederen Fenster in die erleuchteten Stuben und prüft, ob die Spinnarbeit sauber vollendet; die fleissige, reinliche Magd belohnt sie, aber wehe der trägen, unsauberen! Sie tritt nachts an deren Bett und schneidet ihr mit dem langen Krumm-Messer den Leib auf, den noch nicht abgesponnenen Flachs und den etwa nachlässig in der Stube gelassenen Kehricht hineinstopfend, mit der Pflugschar statt mit der Nadel und mit einer Eisenkette statt des Zwirns näht sie die Öffnung zu. Doch gibt es ein Mittel, sich zu schützen; wenn die Magd fleissig von den fetten Kücheln gegessen hat, welche um diese Zeit gebacken werden, so glitscht das Messer unschädlich ab; die Schuldige hat die Göttin wieder versöhnt durch eifrige Teilnahme an dem Opferschmaus, der dieser zu Ehren gehalten ward. Auch findet um Fastnacht in vielen Gauen das »Berchtenlaufen« statt, d. h. die Frau Berahta, eine in Weiss gekleidete Gestalt, hält ihren Umzug mit allerlei Gefolgschaft, in welcher auch Wotan und andre Götter, freilich fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, auftreten. Sie sammeln von jedem Hause Gabenein, welche unweigerlich gespendet werden müssen, eine Erscheinung, welche bei solchen Umzügen sehr oft begegnet und immer auf die alte Beitragspflicht zu dem gemeinsamen Opferfest und Opferschmause hinweist.

Die Bercht-Frau ist die leuchtende Frau; wir sahen, sie ist in glänzend Leinen-Weiss gekleidet; so ist es denn Frigg, welche als »weisse Frau« heute noch in vielen Schlössern umgeht und als Ahnfrau gar manches Fürstengeschlechtsverehrt wird; sie erscheint warnend, mahnend ihren spätesten Sprösslingen, wann Gefahr sie bedrohtoder schwere Verbrechen in dem Hause begangen sind. Wie auf Odin führten also Königs- oder Fürstengeschlechter ihren Ursprung auch auf Odins Hausfrau zurück; die weisse Frau (meistens heisst sie »Bertha«, d. h. eben Berahta); – so die von Neuhaus in Böhmen, welche dies Schloss erbaute und den Arbeitern als Lohn einen »süssen Brei« versprach, d. h. einen Opfer- und Festschmaus, der heute noch daselbst am grünen Donnerstag unter die Armen verteilt wird; Krapfen dürfen dabei nicht fehlen. Bestimmte Speisen: Fische (mit Hafergrütze), Heringe (mit Klössen) werden auch sonst zu Ehren der Berchtfrau gegessen. Ihre Festabende sind Fastnacht und auch der Dreikönigsabend, der deshalb auch Berchtenabendheisst.

Die weisse Frau wie die Berchtfrau und die Königin Bertha ist die Segen und Gedeihen spendende »grosse Göttin« (ursprünglich Nerthus und auch Hel). Als solche heisst sie die »gute Frau«, la bonne dame, bona socia, auch wohl Dame Abonde, Abundia, d. h. Überfluss. Die holde Frau (Frau Holle, Hullefrau) ist sie als die milde, hilf- und segenreiche; so heisst sie bei Franken, Hessen, Thüringen; wenn sie »im hohlen Stein«, im tiefen Berg, unter der Erde, auch wohl in einem Brunnen oder unter einem See, ihre Wohnung hat, so ist das Erinnerung daran, dass sie, die Erdgöttin, ja auch die Unterweltsgöttin war. Und daraus erklärt es sich nun auch, dass die Holde auch unhold, die Weisse schwarz und finster, strafend, drohend werden kann gegen den Schuldigen, der ihre Rechte, ihre Ehre verletzt, der fürwitzig, ohne Scheu dringen will in ihre ehrwürdigen Geheimnisse, in die Unterwelt, die nicht von Lebenden zu beschreiten ist. Daher erklärt sich, dass die schöne, hilfreiche Göttin auch furchtbar, hässlich, grauenhaft, grausam erscheinen mag.

Mit liebenswürdigem Scherz und tiefer Menschenkenntnis verwertet die Sage die alte Wahrheit, dass auch dem gewaltigsten Mannesgeist Frauenlist, zumal dem Ehegemahl gegenüber die Klugheit der Ehefrau, überlegen ist. Besonders wirksam muss dies hervortreten, wenn es kein geringerer ist als der oberste der Götter, der geistgewaltige Odin selbst, an dem diese alte Erfahrung sich bewährt; er, der alle andern Wesen zu überlisten pflegt, durch seiner Runen, durch seiner tiefgründigen Gedanken Weisheit, – er muss sich durch Frau Frigg überlisten lassen; ganz wie andre gewöhnliche Eheherren auch.

In mehreren Bildungen führt dies die Sage aus.

So überlistet einmal Frigg (noch unter dem Namen Frea = Freya) ihren Gemahl bei der Zuwendung des Sieges an die Langobarden. Ein andermal in einer Wette, indem jeder der beiden Gatten für einen andern Liebling Partei ergreift; die beiden waren Agnar und Geirröd, die Söhne des Königs Hraudung. Diese werden als Knaben beim Fischfang mit ihrem Boot vom Sturme verschlagen an fremde, ferne Küste; ein Bauer und sein Weib nehmen sich der Kinder an und erziehen sie als ihre Pflegekinder, der Bauer den jüngeren Geirröd, die Bäuerin den älteren Agnar; Bauer und Bäuerin waren aber Odin und Frigg. Nach längerer Zeit gab beiden der Bauer ein Schiff, dass sie wieder nach Hause gelangen konnten; er sprach aber, als die Gatten beide an den Strand geleiteten, allein flüsternd, mit Geirröd. Sie hatten guten Wind (Odins-Wind) und kamen an die Küste ihres väterlichen Reichs. Da sprang Geirröd, der sich vorn ins Schiff gesetzt hatte, ans Land, stiess aber das Schiff mit dem Fusse zurück und rief dabei: »Fahre hin in böser Geister Gewalt!« Diesen argen Rat hatte ihm der Bauer geraunt. Das Boot trieb hinaus in die wilde See und verschwand vor Geirröds Augen. Der aber ging hinauf zu seines Vaters Burg; dieser war eben gestorben, Geirröd ward zu seinem Nachfolger gekoren und gewann grosse Herrlichkeit. Da sassen eines Tages Odin und Freya auf Hlidskialf und schauten über die Welt hin. Da sprach Odin lachend: »Siehest du, Frigg, deinen Liebling Agnar? In einer Höhle sitzt er und hat Kinder mit einer schnöden Riesin; aber mein Pflegling Geirröd ist König im Lande.« Frigg erwiderte: »Er ist aber solch ein Neidling, dass er seine Gäste foltert; er fürchtet, der Geizige, allzu viele möchten zu ihm kommen.« Odin sprach: »Das ist eine grosse Lüge.« Und wetteten beide hierüber. Frigg aber schickte insgeheim ihre Schmuck-maid (eski-mey) Fulla zu Geirröd und liess ihn warnen vor einem mächtigen Zauberer, der in sein Land kommen werde; und als Erkennungszeichen gab sie an, kein noch so böser Hund werde sich wagen an jenen Mann. Es war nun gar nicht wahr, dass Geirröd gegen seine Gäste ein so geiziger Wirt war. Aber jenen Wanderer, an den kein Hund sich wagte, liess er greifen; der trug einen blauen Faltenmantel und nannte sich Grimnir, mehr Bescheid aber gab er auf keine Frage. Der König liess ihn foltern, bis dass er spräche, und setzte ihn zwischen zwei Feuer. Und sass er so acht Nächte. Des Königs Knäblein, Agnar, zehn Winter alt, erbarmte das; es ging mit vollem Horne zu dem Gepeinigten, gab ihm zu trinken und sprach, übel tue der König, ihn, den Schuldlosen, zu peinigen. Da war das Feuer so nah, dass es schon den blauen Mantel ergriff. Der Wanderer hebt nun an, ungefragt, seine Weisheit zu enthüllen; er verheisst Agnar, der allein sich seiner angenommen, reichen Lohn und schliesst, indem er, seine zahlreichen Namen aufzählend, sich Odin nennt. Da sprang der König hastig auf und wollte den Gast aus den Feuern führen; aber das Schwert, das er, halb aus der Scheide gezogen, auf den Knien liegen hatte, glitt nun heraus, das Heft nach unten, und fuhr dem strauchelnden König in den Leib, dass er starb. Odin verschwand und Agnar ward König auf lange Zeit; dieser Sohn Geirröds ist in Wahrheit eine Wiederholung des verratenen Bruders Agnar.

Später wird solcher Wettstreit der beiden göttlichen Gatten dem Gegenstand nach immer tiefer herabgezogen vom Schwank, so dass sie streiten und wetten über das beste – Bier!

IX. Die Nornen.

Wir sahen: nicht die Götter, auch nicht der weitaus mächtigste und weiseste der Asen, auch Odin nicht, »machen« das Schicksal der Welt, der Götter und ihrer Feinde, der Riesen, der andern Mittelwesen und endlich der Menschen, sowie der unbewussten Naturwelt; sondern dies Schicksal steht über den Göttern und allen Riesen, unabänderlich verhängt, fest.

Es ist auch ungewiss, selbst Odin nicht in allen Dingen bekannt; durch Grübeln und durch Runen, durch Erforschung bald bei Riesen, bald bei Zwergen, bald bei Zauberweibern, die er auch wohl erst vom Tod erwecken muss und die alle auch nur einiges wissen, nicht alles, hat er seine Kenntnis zusammenzutragen, die von Allwissenheit weit entfernt bleibt. Auch die drei Schicksalsschwestern oder Nornen, in welchen das unpersönliche Schicksal alsbald personifiziert wird, machen das Schicksal keineswegs mit Absicht oder Bewusstsein; vielmehr sprechen sie es nur aus; sie spinnen und weben es, aber nicht so, wie sie wollen, sondern so, wie sie müssen.

Sie nähern sich also insofern den menschlichen weisen Frauen (oder Zauberinnen), als sie das Künftige kennen, erkunden und aussprechen, nicht aber es bewirken.

Dies ist wenigstens die vorherrschende Anschauung. Aber die Göttersage, wie sie im Volke lebt, ist nicht ein System – es ist ein Irrtum der Gelehrten, dies anzunehmen – und sie ist, schon vermöge der mannigfaltigen Geistes- und Seelenkräfte, welche sie herstellen, vermöge der verschiedenen Aufgaben, welche sie erfüllen soll, vermöge der frei schaltenden Einbildungskraft, welche sie weiter bildet, ohne dass die eine Sage auf eine andre Rücksicht nehmen müsste, wenn sie nicht will, von Widersprüchen durchaus nicht frei. Daher kommt es, dass Odin oder andre Götter, auch wohl die Walküren, gelegentlich doch so dargestellt werden, als ob ihr Wille, ihre Gunst oder Abgunst das Geschick der Menschen entscheide; daher betet man zu Odin und den andern Göttern, was sinnlos wäre, wenn sie gar nichts zu entscheiden hätten.

Die Vorstellung ist wohl die, dass das Gesamtgeschick der Welt, also auch der Götter, zwar feststeht (- insbesondere die unabwendbare Götterdämmerung –), dass aber innerhalb eines grossen, weiten Rahmens, welchen das Schicksal abgesteckt hat, Odin und die andern Götter Entscheidungen, zumal über den Gang der menschlichen Geschicke auf Erden, treffen mögen; – ganz ebenso wie bei Griechen und Italikern.

Bei solcher Auffassung wird es nun möglich, dass auch die Nornen das Geschick nicht lediglich aussprechen oder, ohne eignen Willen, spinnen und weben, sondern dass sie – innerhalb eines bestimmten, unüberschreitbaren Rahmens – selbsttätig Glück und Unglück bestimmen, ja auch Eigenschaften wie Schönheit, Hässlichkeit, Kraft, Schwäche, Mut, Feigheit, Weisheit, Torheit, Begabung, wie z. B. für Harfenspiel, für Skaldenkunst, für Rätselraten, für Rechtsprechung, dem Menschenbei der Geburt mitgeben; – ihm in die Wiege legen», als »Angebinde«, was ursprünglich ganz wörtlich zu nehmen war; die Freunde, Gäste, zumal aber die Paten, welche dem Kinde Namen gaben, waren mit dem Namengeben zugleich Geschenke in die Wiege zu stecken, oder an die Pfosten des Bettes der Mutter zu binden durch Recht und Sitte verpflichtet; auch etwa wann das Kind »den ersten Zahn bricht«, haben ihm die Paten ein »,Zahngebinde«, »Zahngeschenk« zu reichen. Bei der Dreizahl der Nornen: Urd (nordisch Urdhr), die Vergangenheit, Werdandi, die Gegenwart, Skuld, die Zukunft, – tiefsinniger kann man das ewige Schicksal, das unvergängliche, unabänderliche nicht zusammenschliessen – ergiebt sich nun der reizende Einfall als sehr nahe liegend, dass zwei der Gaben Verleihenden dem Kinde wohlgesinnt, günstige Spenden, Eigenschaften, Vorbestimmungen in die Wiege legen, die dritte aber aus irgend einem Grunde, z. B. wegen fahrlässiger Zurücksetzung, gereizt, feindlich gesinnt, nachteilige Gaben beifügt, etwa so, dass sie der vorhergehenden günstigen Fügung, welche sie nicht aufheben kann, einen ungünstigen Zusatz anhängt. Da ist es denn ein Glück, wenn die dritte, wohlwollende Schwester noch nicht gesprochen hat; denn nun kann sie das schädliche Geschenk der zweiten zwar nicht unmittelbar aufheben, aber durch weiteren Zusatz abschwächen oder – wenigstens unter einer Bedingung: z. B. der Erlösung, der Errettung aus dem von der zürnenden Patin verhängten Zauberschlaf – nachträglich wieder auflösen.

Als Nornagest geboren war, traten drei weissagende Frauen an seine Wiege; die ersten beiden sagten ihm Heil voraus; aber die jüngste – sie glaubte sich geringer geachtet – sprach drohend: »Haltet ein mit eurer Glück-Verheissung; denn ich lege ihm: er soll nicht länger leben, als hier dieser Span (oder diese Kerze) lodert, der neben der Wiege brennt.« Rasch löschte die älteste Schwester den Span, überreichte ihn Nornagests Mutter und mahnte, des Spanes wohl zu achten. Erst am letzten Tage seines Lebens möge ihn Nornagest anzünden (d. h. also entweder, wann er lebensmüde geworden, oder an dem von den Nornen vorbestimmten Tage). Nornagest führte in seiner Harfe verborgen den Span mit sich; dreihundert Jahre lebte er und sah des Nordlands goldenste Tage; da endlich, lebenssatt, holt er den Span hervor, zündete ihn an und blickte ruhig in die verglimmende Flamme; mit ihr zugleich erlosch sein Leben.

In dem holden Märchen vom Dornröschen sind es dreizehn Feen, welche das Königspaar als Patinnen ladet. Aber nur zwölf goldene Teller hat die Königin, die dreizehnte erhält einen Silberteller (oder die dreizehnte wird deshalb gar nicht geladen). Nachdem nun elf der Feen dem Kinde je einen Wunsch gesprochen und je eine Gabe gewährt, – Schönheit, Tugend, Gesundheit – spricht plötzlich die dreizehnte, ergrimmt über die Zurücksetzung (und plötzlich in den Saal tretend): »Das wird ihr aber alles nicht viel helfen, oder doch nicht lange. Denn ich lege ihr, dass sie sich im fünfzehnten Jahre mit einer Spindel in den Finger sticht und tot hinfällt.« »Aber ich,« rief die zwölfte, die ihren Wunsch noch nicht vergabt hatte, »ich lege ihr, dass es nur ein dem Tode gleichender Schlaf sein soll, aus dem ein Königssohn durch seinen Kuss sie erlösen mag, der mutig durch das Dorngestrüppe dringt, mit welchem ich, nachdem sie und zugleich mit ihr alle lebenden Wesen in der Burg in Todesschlaf hingesunken, das ganze Schloss umgürten werde.«

Aus dem weiteren Verlauf des altbekannten Märchens heben wir nur hervor, dass es die böse Fee, d. h. die grollende Norne selbst ist, welche im höchsten Turmzimmer, als alte Spinnerin verkleidet, dem Mädchen die tödliche Spindel in die Hand spielt, nachdem der König alle Spindeln aus dem Schlosse verbannt hatte. Tiefsinnig und zartsinnig hatte ursprünglich die Sage mit diesem Nornen-Spruch die Geschichte von Gerda und Freyr verknüpft. Dornröslein ist die Sommerwärme und die Sommerlust, welche durch Nornenspruch (d. h. Notwendigkeit) in Erstarrung versinken muss, in todesgleichen Schlaf und mit ihr alles Leben im Schloss, d. h. auf der Erde. Das Dorngestrüpp ist das Gedörnicht, welches den Scheiterhaufen der Toten umgibt, entsprechend der »wabernden Lohe« des Scheiterhaufens. Die Maid gilt als zu Hel hinabgesunken; aber wie Skirnir (oder Freyr) dringt der lichte Königssohn (des Himmelskönigs oder Sigurd), dringt der Sonnenjüngling, der Frühlingssonnenstrahl, sieghaft durch die Umhegung bis in den Schoss der Erde und eckt mit seinem warmen Liebeskuss die nur schlummernde Schöne zu neuem, seligem Leben.

Dieser Gedankenzusammenhang liegt nun sehr vielen Sagen zu Grunde; nachdem mit der Walhallreligion auch die Nornen vergessen waren, sind in gar zahlreichen Sagen, Märchen, Legenden, Schwänken an Stelle der altgermanischen Schicksalschwestern Feen (nach keltisch-romanischer Färbung) getreten und Geister jeder Art: Nixen, Elben, Zwerge und andre übermenschliche Wesen.

Nachdem wir dies vorausgeschickt, wird das Verständnis der ehrwürdigen, obzwar furchtbaren Schicksalspinnerinnen nicht schwierig, wird zumal der in ihrem Wesen und Wirken manchmal waltende Widerspruch voll begreiflich sein.

Mit zweifelhaftemRecht hat man die Nornen ähnlich als Vervielfältigungen Hels aufgefasst, wie die Walküren (s. unten) ohne Zweifel Vervielfältigungen Freyas sind. Die drei Nornen sind göttlichen Abstammes, aber älter als die Asen; – wodurch wir abermals in eine Vorzeit versetzt werden, da noch die Riesen als Götter galten und die lichten Geistesgötter noch gar nicht vorhanden, d. h. in dem Bewusstsein des Volks noch gar nicht möglich und nötig waren. Älter als die Götter müssen sie sein, weil sie das Schicksal weben, das ewig ist, während die Götter in der Zeit entstanden. Die Nornen sind bei den Riesen aufgewachsen. Als die Götter mit den Nornen bekannt wurden, war die selige Unschuldszeit der Götter dahin; anders gewendet: erst als die Götter schuldig geworden, als um des Goldes (?) willen Untreue und Mord bei den Göttern vorkam, stellten sich die Nornen bei ihnen (warnend?) ein; im Unschuldsalter der Kindheit fehlt die Empfindung für den Lauf der Zeit, für Schicksal und Notwendigkeit.

Die älteste Norne, Urd, hat hervorragende Bedeutung; ihr Brunnen liegt an jener Wurzel der Weltesche, welche zu den Menschen hinab sich erstreckt (also oberhalb Midgards, was freilich zu Hel, dem Wohnort der Schwestern, übel passt!). An diesem Brunnen versammeln sich (wenigstens nach einer Überlieferung) die Götter, Gericht zu halten; nach andern Angaben muss man aber die Gerichtsstatt, das »Ding« der Asen, wohl nach Asgard verlegen.

Urd ist der Name für »Schicksal« überhaupt; »die Wurd«, weiblich gedacht, heisst althochdeutsch »das Schicksal«, angelsächsisch hat das Wort die Bedeutung »Zaubergeschick« angenommen; – so heissen die Hexen in »Macbeth« »weird-sisters«, Zauber-, d. h. Schicksals-Schwestern. Diese Schicksalsgöttin scheint bei den Südgermanen für sich allein, ohne Beziehung auf ihre beiden Schwestern, eine wichtige Rolle gespielt zu haben.

In Süddeutschland und in den romanischen Ländern sind die drei Nornen zum Teil verschmolzen mit den tria fata (den trois fées), den »Müttern« der keltisch-römischen Mythologie, welchen zahlreiche Inschriften, Altäre usw. in jenen Gegenden gewidmet waren.

Aber auch ohne solche Beimischung haben sich, insbesondere in den vom bajuvarischen Stamme besiedelten Landen (doch auch bei Alamannen im Elsass, in Schwaben, Baden, Württemberg), Bayern und Deutschösterreich, sehr zahlreiche und heute noch im Volke voll lebendige Sagen und Aberglauben erhalten, welche die »seligen (saligen) Fräulein«, die »drei Schwestern«, die »drei Fräulein« zum Gegenstande haben.

Sie hausen meist, wie die Nornen, am Brunnen, auch im Innern der Burg-Brunnen.

Oft ist die eine Schwester schwarz, die andre weiss, die dritte halb schwarz und halb weiss; und diese ist dann die böse, den Menschen feindliche, welche auch wohl die eine blinde Schwester bei Verteilung eines Hortes betrügt. Der Name »Hel« begegnet oft in den Bezeichnungen der Orte, wo die Schwestern hausen; auch wohl »Rach-hel«, die rächende, strafende Hel. Statt der Fäden spinnen sie auch wohl Seile, ziehen diese weit übers Tal hoch durch die Luft, festigen sie an Gipfeln und Felsen hoher Berge, tanzen auf diesen Seilen oder hängen ihre Wäsche daran auf, was gut Wetter bedeutet. Aber sie hängen auch Menschen daran, sie strafend zu töten. Der Zug, dass zwei der Nornen übereinstimmend Gutes wollen und fügen, – sie sind: »Heil-Rätinnen«, – die dritte aber eigensinnig und böswillig widerspricht, wiederholt sich sehr oft in den Sagen und Märchen von den drei Schwestern.

Dieselben werden auch häufig aufgefasst als Hüterinnen eines Hortes, der in dem Schosse der Erde in einem tiefen Berge liegt; und dadurch ergeben sich nun freilich Beziehungen zur Unterwelt, zu Hel. Ein Hahn kräht in ihren Burgbergen; – wie der Hahn im Saale Hels – ein Hund bewacht den Hort, wie den Eingang zu Hel und zu den Nornen – eine Schlange, ein Drache, ein Wurmhütet den Hort, wacht auf dem roten Golde des unterirdischen Schatzes. Dieser Schatz liegt nicht unbeweglich wie totes Geld; er hebt sich und senkt sich, »er blüht«, spricht die Sage; an einem Tag in viel hundert Jahren wird er sich so gehoben haben, dass er offen zu Tage liegt und ein Sonntagskind oder ein andrer Auserwählter des Schicksals, der gewisse fast unmögliche oder doch nur in vielen Jahrtausenden einmal zutreffende Zufalls-Übereinstimmungen in seiner Person vereinigtund der dann noch obenein als furchtloser Held (Siegfried) die Schrecknisse nicht scheut, welche den Hort umgeben (Wolf, Hund, Drache, grauenhafte Weiber), der mag den Hort heben. Damit ist dann zugleich erlöst die verzauberte Jungfrau, auf welcher der Fluch lastete, als Drache oder als dreibeiniges Pferd, oder als Kröte, oder als hässliche Alte so lange neben dem Schatz in der Unterwelt zu harren, bis der Auserkorene durch alle Schrecken zu ihr dringt, mutig sie küsst und so die Erlöste selbst und ihren Hort gewinnt.

Der Sinn ist wieder der gleiche wie bei Dornröslein und Gerda: der Schatz ist nicht tot, er lebt; d. h. es sind die Lebenskräfte der Erde, welche Getreide und alle Vegetation erzeugen, von höchstem Segensreichtum für den Menschen; aber vom Tode der Sommerwärme an gefesselt und gebunden in dem Schosse der Erde, in der Unterwelt, aus der nicht jeder nach Reichtum Gierige, sondern nur der sie heben kann, welcher treuesten Fleiss, furchtloses Eindringen in die Erde und die Gunst des Himmels in seiner Person vereint. Freilich sind nicht alle Züge der mannigfaltig ineinander verschlungenen Sagen hieraus gleichwie aus einem Mittelpunkt zu erklären; die Einbildungskraft hat auch hier frei geschaltet. Und im Mittelalter sind dann christliche Vorstellungen, bis zu voller Verhüllung der ursprünglichen Bedeutung, um die »drei Schwestern« gefaltet worden; sie sollen Stifterinnen eines Klosters, einer Kirche, Wohltäterinnen der ganzen Gegend gewesen sein; wobei dann freilich unbegreiflich bleibt, weshalb ihre Burg, samt ihnen selbst, versunken ist, und sie, der Erlösung bedürftig, im Schosse der Erde harren, so dass man Messen für sie stiftet, Gebete für sie spricht.

Hat man den drei Nornen doch sogar die Namen der drei christlichen Tugenden: Fides, Spes, Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe) gegeben! An manchen Orten heissen sie aber noch: Ain-pett, Wil-pett, War-pett; »pett« ist althochdeutsch »piot«, der Opfer-Altar; Ain ist Agin, Schreck; War ist Werre, Streit (daher französisch guerre, Krieg). Der dritte Name geht vielleicht auf »Wille«, ist aber wahrscheinlich verderbt; anderwärts heisst er Widi-kunna, Winter-bring; letzteres wohl Volksbedeutung, nachdem der Sinn des alten Namens nicht mehr verstanden ward. Wenn nur zwei Schwestern genannt werden, heißen sie »Muss« und »Kann«; – sehr bezeichnend für Menschengeschick.

X. Die Walküren.

Sie sind die »Schildjungfrauen«, »Helm-Mädchen«, auch Wunsch-Mädchen Odins; sie küren die Wal, d. h. sie bestimmen nach des Schicksals (der Nornen) unabänderlichen Satzungen, nach andern Sagen gemäss Odins Wunsch, diejenigen Helden, welche in der Schlacht fallen sollen, und die Erschlagenen (der Inbegriff der die Walstatt Bedeckenden heisst eben »die Wal«, strages, und diesen Inbegriff »küren« sie) tragen sie, aus dem Todesschlummer sie weckend, empor nach Walhall auf ihren durch die Wolken sausenden Rossen.

Oben aber, in Walhalls goldenen Sälen, vertauschen sie das Kriegerische mit friedlich-festlichem Tun; sie füllen, die Weissarmigen, den schmausenden und zechenden Göttern und Einheriar die Hörner mit schäumendem Met und Äl (sie verwahren Trinkgerät wie Essgeschirr).

In beiden ist ihr Vorbild ihre Anführerin Freya – als solche »Wal-Freya« genannt; – so dass sie nur als deren Vervielfältigungen erscheinen; jene ist vor allen der Götter Mundschenkin und reicht den in Odins Saal Eintretenden das Trinkhorn. Die Zahl wird verschieden angegeben; auf sechs (mit Freya sieben), neun, zwölf oder dreizehn. Sie sind gewissermassen besondere Nornen; während diese das Gesamte entscheiden, bestimmen die Walküren nur das Geschick der Schlacht: Sieg oder Unsieg, Tod oder Leben. Sie (Odins Nornen) sind die Trägerinnen von Odins Willen hierin (sofern er, nicht das über ihm stehende Schicksal, als über Tod oder Leben entscheidend gilt), der sie zu jedem Kampf entsendet, auf dass sie die Fallenden küren und des Sieges walten. Aber sie wagen es wohl auch, gegen Odins Willen zu entscheiden, was er freilich mit schwerster Strafe ahndet!

All ihr Leben und Wesen ist Kampfesfreude; in diesen tapferen, wunderschönen, hochherzigen, begeistert durch die Lüfte jagenden Jungfrauen hat die germanische Einbildungskraft eines ihrer edelsten, herrlichsten Gebilde geschaffen, auch hier nur der veredelnde Ausdruck des eignen Volksgeistes; denn es fehlt auch in der germanischen Geschichte nicht an mutigen Frauen und Mädchen, welche heldenhaft des Gatten, des Geliebten, des Bruders Geschick, kämpfend bis in den Tod, geteilt haben. Wunderschöne Erzählungen von Frauenliebe, von Treue und Heldentum, die sie umkleiden, hat die Sage an Walküren wie Swawa, Sigrun, Hilde, Brunhilde geknüpft (s. unten Heldensagen). Auch irdisch geborene Jungfrauen, Königstöchter zumal, können, bei entsprechender Gesinnung und unter Gelübde der Jungfräulichkeit, Walküren werden, falls Odin sie dessen würdigt, sie dazu erwählt; dann heissen sie seine »Wahl- oder Wunsch-Töchter«, wie die Einheriar seine Wunsch- oder Wahl-Söhne. »Walküren trachten» heisst es in der Edda: »All ihr Trachten ist Waffenstreit» und freudig Heldentum; in den Kampf zieht es immerdar die »Helm-Mädchen« dahin.

Sie können sich in Schwäne verwandeln oder, menschliche Bildung bewahrend, in ein Schwanenhemd (ähnlich Freyas Falkenhemd) fahren und so noch rascher als auf ihren Rossen die Luft durchsausen. Diese Rosse sind als Wolken gedacht; die Walmädchen sind Odins Töchter; seine Naturgrundlage: Luft und Wind, fehlt auch ihnen nicht ganz; durch die Lüfte schweben sie, nicht auf Erden stampfen ihre Pferde. Tau träuft von den Mähnen ihrer Rosse »und das macht fruchtbar die Felder«. Daher heisst eine der Walküren geradezu »Mist«, d. h. Nebel (noch neuenglisch ebenso).

An jene Schwanenhemden der Walküren knüpfte gar manche schöne Sage. Wenn die Mädchen dieselben abgelegt haben, etwa um zu baden, und Menschen ergreifen die Flügelgewande rasch, können sie jene in ihre Gewalt bringen. Auch gehört ein Schwanenring dazu, auf dass sie ganz zu Schwänen werden können; wer ihnen diesen abstreift, hindert ihre Verwandlung und Flucht. So hatte ein Held Agnar der Walküre Brunhilde ihr Schwanenhemd hinweg – »unter die Eiche« – getragen und sie dadurch gezwungen, ihm statt seinem Feinde Hjalmgunnar, dem Odin den Sieg bestimmt hatte, den Sieg zu verleihen. So bemächtigen sich Wieland der Schmied und seine beiden Brüder dreier Königstöchter, welche bei dem Bad ihre Schwanenhemden von sich gelegt hatten; jedoch nach sieben Jahren fliegen diese wieder davon, hinweggetragen von allüberwindendem Sehnen nach ihrem Leben mit Schild, Helm und Speer. Auch die drei Meerweiber, oder die Donaunixen, welche Hagen bei der Fahrt in Königs Etzels Reich begegnen und welche er zwingt, ihm die Zukunft zu weissagen, indem er ihnen »die wunderbaren Gewande«, d. h. die Schwanenhemden wegnimmt, waren Wal-küren, Sieg-Weiber. Daher sind auch ihre Namen so oft mit Sieg zusammengesetzt (Sig-run, Sig-lind, Sig-ridh, Sigr-drifa). Aber auch Wünschel-Weiber heissen sie wohl (vgl. oben), oder »Wilde Weiber«, »Waldfrauen«, und im Mittelalter werden sie oft zu Meer-mädchen, »Meer-Minnen«, Wasserfrauen, Nixen, die sich gelegentlich in Schwäne verwandeln oder auch in andre Tiergebilde mit Fischschwanz, Schlangenleib (Melusine, des Staufenbergers Geliebte). Als solche vermählen sie sich wohl mit sterblichen Männern; freilich meist mit der Neigung, nach einiger Zeit Gemahl und Kinder zu verlassen, um dem alten Beruf nachzuschweben; oder doch unter der Bedingung, alle sieben Tage oder Wochen ungefolgt und unbelauscht sich zurückziehen und in der ursprünglichen Gestalt als Schwan oder Schlange oder als Nixenkönigin mit den Genossinnen sich bestimmte Zeit tummeln zu dürfen; bricht der Mann aus Fürwitz oder Misstrauen das Gelübde, entschwindet die Edle für immerdar, und all sein Glück ist hin; das Gegenstück der Lohengrinsage, indem hier der Mann, wie bei Lohengrin das Weib, durch neugieriges Misstrauen sich der Liebe des edleren Gatten als unwürdig erweist. Zuweilen auch schliessen diese überirdischen Mädchen nicht geradezu Ehe mit Sterblichen, aber ein Freundschafts- oder Liebesbündnis, und sie fliegen dann auf deren Ruf oder auf ein Zauberwort oder Zauberzeichen sofort herbei, »sie zu schützen«, Sieg, Glück, Schönheit ihnen zu verleihen; hierin gleichen die Walküren den angeborenen weiblichen Schutzgeistern, den Fülgias des Nordens, welche ihre Helden und Lieblinge von der Geburt bis zum Tode schützend umschwebenLied der Walküre.

Froh sah ich dich aufblühn, du freudiger Held,

Lang folgt’ ich dir schwebend und schweigend gesellt.

Oft küsst’ ich des Schlummernden Schläfe gelind,

Und leise die Locken, die dir wehen im Wind.

Hoch flog ich zu Häupten, – du kanntest mich kaum –

Durch die Wipfel der Wälder, dein Trost und dein Traum.

Ich brach vor dem Bugspriet durch Brandung dir Bahn,

Vor dem Schiffe dir schwamm ich, weiss-schwingig, ein Schwan.

Ich zog dir zum Ziele den zischenden Pfeil,

Aufriss ich das Ross dir, das gestrauchelt am Steil.

Oft fing ich des Feindes geschwungenes Schwert,

Lang hab’ ich die Lanzen vom Leib dir gewehrt.

Und nun, da die Norne den Tod dir verhängt,

Hab’ ich dir den schnellsten, den schönsten geschenkt.

»Sieg!« riefest du selig, »Sieg, Sieg allerwärts!«

Da lenkt’ ich die Lanze dir ins herrliche Herz.

Du lächeltest leiblich – ich umfing dich im Fall –

Ich küsse die Wunde – und nun auf; – nach Walhall!

(Dahn, Gedichte. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 209.

, wie Swawa Helgi; unsichtbar oder zuweilen sichtbar werdend in Gestalt einer herrlich gerüsteten Jungfrau oder auch eines Tieres, dessen Eigenart der Eigenart des Helden besonders entspricht.

Auch nordisch Disen, althochdeutsch Idisen heissen sie wohl, was aber übermenschliche Jungfrauen überhaupt, nicht nur Walküren bezeichnet. In dem Merseburger Zauberspruch zaubern sie: »Heften Hafte, binden Bande«, durch solche sinnbildliche Handlungen Heere zu hemmen, Feinde zu fangen. Unter den Walküren ragen hervor Hilde und Brunhilde, welche zugleich den Übergang der Götter- in die Heldensage sehr lehrreich darstellen.

Während die Namen der andern Walküren wechseln, kehrt überall der Namen Hilde wieder: »Hild« heisst Kampf; daher heisst »Hilde wecken« soviel wie Kampf wecken. Sie ist der personifizierte Kampfgeist; als Führerin, als erste der Walküren ist sie – Freya selbst. Nach der Sage von Högni und Hilde entführte Hedni, Hiarandis Sohn, seine Geliebte, Hilde, König Högnis Tochter. Der Vater verfolgt sie zu Schiff und holt sie ein; beide samt ihren Mannen rüsten sich zum Kampfe. Hilde bietet dem Vater ein Halsband zur Sühne (es ist Freyas Halsband: Brisingamen); aber Högni weist den Antrag zurück; denn schon hat er die furchtbare Waffe aus der Scheide gezogen, das Schwert Dainsleif, daseines Mannes Todesblut trinken muss, so oft es aus der Scheide gezogen wird. Erst das Abenddunkel scheidet die Kämpfer der schrecklichen Hiadningaschlacht. Aber in der Nacht schreitet Hilde zum Walplatz und erweckt die Gefallenen aus ihrem Todesschlaf; und so in jeder folgenden Nacht, fort und fort, bis zur Götterdämmerung und zu dem allerletzten Kampf, der auf Erden gekämpft wirdDu hast mir den Vater erschlagen und schlugst mir den Bruder dazu,

Und dennoch in ewigen Tagen mein Liebster, mein alles bist du.

Es liegen so müde vom Rechten die erschlagenen Helden zu Hauf

Ich aber, in mondhellen Nächten, ich wecke die Schlummernden auf.

Sie fassen verschlafen die Schilde, sie rücken die Helme zurecht,

In den Lüften ertobet das wilde, das schreckliche Geistergefecht.

Da krähet der Hahn und sie stocken; – noch im Schwunge die Lanze ruht,

Ich trockne mit meinen Locken auf Helgis Stirne das Blut.

Ins Hügelgrab sinken wir beide, ins Brautbett dunkel und still;

Und über die graue Heide hinpfeifet der Nordwind schrill.

(Dahn, Gedichte. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 213.)

.

Es ist der Grundgedanke gar mancher Sage; ein edles, herrliches Weib, in tragischen Widerstreit gestellt zwischen ihrem Vater (oder ihren Brüdern) einerseits und einem Geliebten (oder Ehegatten) anderseits. Ist einmal Blut geflossen, darf sie nach dem Sittengesetz germanischer Blutrache nicht ruhen noch rasten, bis die Rache durch Untergang der Schuldigen vollendet ist. So erscheint sie, nachdem diese Pflicht der Blutrache durch das Christentum beseitigt worden, als eine dämonische Unholdin, als eine »Walandine«, eine Teufelin, als die Verderberin ihrer Sippe oder der ihres Gatten, was sie ursprünglich keineswegs war, sondern lediglich die Verkörperung der unerbittlichen Ehrenpflicht der Blutrache. Diese ist freilich an sich tragisch, da sie mit unentrinnbarer Notwendigkeit fortrast, bis beide oder eines der darin verstrickten Geschlechter ausgerottet sind, durch jedes neue Blutvergiessen neu entzündet und auch die persönlich ganz Unschuldigen (Giselher in den mittelhochdeutschen Nibelungen) erbarmungslos mit dem ehernen Tritt der Notwendigkeit dahinstürzend. Dabei ist es die der älteren Zeit angehörige Auffassung, dass das rächende Weib auf Seite ihrer Brüder, die jüngere, dass sie auf Seite des gemordeten Gemahls tritt. Jenes Schwert, das, wenn einmal gezogen, nicht wieder in die Scheide fährt, bis es eines Mannes Tod geworden, ist ebenfalls ein schaurig schönes Bild der Blutrache, die, einmal entfesselt durch Blutvergiessen, nur nach neuem Blutvergiessen rastet. Und so schreitet jene gewaltige Gestalt der Krimhild als späte Nachwirkung der Walküre Hilde furchtbar durch die germanische Dichtung hin; die Weib gewordene Blutrache, ursprünglich nicht eine »Walandine«, wie sie Hagen schilt, sondern eine Göttin oder doch eine Walküre.

Noch in christlicher Zeit hat eine Sage es ausgedrückt, dass Hilde ursprünglich Freya selbst war. Deren Schmuck ist das kostbare Halsgeschmeide Brisingamen, welches ihr vier zauberkundige Zwerge geschmiedet – nach später, schmähender Erfindung um den Preis ihrer Liebesgunst. Odin lässt es ihr durch Loki stehlen und will es ihr nur zurückgeben, wenn sie – und hier erscheint sie als die zum Kampf treibende Walküre – zwei mächtige Könige, von denen jeder über zwanzig Jarle gebietet, verfeindet und zum Kriege fortreisst, dabei aber die Erschlagenen immer wieder zum Kampf erweckt, bis dereinst ein christlicher Held diesem Zauberbann ein Ende mache. Die Sage verrät gar vielfach ihren späten, künstlichen Ursprung; weshalb bedarf Odin Freyas zu jenem Kampfschüren, was er durch seine Runen am besten selbst versteht? Welchen Vorteil hat für Odin die Geisterschlacht, welche die Zahl der Einheriar nicht vermehrt? Die Erfindung verherrlicht lediglich das Christentum, welches durch König Olaf Tryggvason die Blutrache abzustellen trachtet, während diese nach der alten heidnischen Sage bei dem Kampf der Hedninge fortraset bis zur Götterdämmerung. Man nimmt an, dass die Sage von Hilde und Högni in der Gudrunsage weiter tönt (s. unten). Wie Hilde ist auch Brunhilde aus Freya (oder Frigg) hervorgegangen. Sie ist Walküre, hat sich aber ganz dem Helden Agnar zum Dienste geweiht, so dass sie in dem Kampfe mit Hjalmgunnar, dem Odin den Sieg bestimmt hatte, diesen durch Agnar erschlagen liess. Da entbrannte furchtbar Odins Zorn über die »Sigr-drifa«; er nahm ihr die Walkürenschaft und bestimmte sie zur Ehe. Brunhild aber schwor, keinen zum Manne zu nehmen, der sich fürchten könne (was Odin der noch immer geliebten gewährt, muss man hinzudenken, wenn man nicht solches Gelübde als auch für Odin unantastbar ansehen will). Odin stach ihr nun den Schlafdorn in das Haupt und umgürtete sie und die Burg, in welcher sie lag, mit »wabernder Lohe (Wafurlogi), die nur durchschreiten mag, wer Furcht nicht kennt; es ist die Glut des Scheiterhaufens; Brünhild gilt als wirklich gestorben und verbrannt; sie weilt nun bei Hel (wie Gerda) und der Held, der zu ihr gelangen und sie durch seinen Kuss aus dem Todesschlaf erwecken will, muss in die Unterwelt eindringen, was von je als höchste Heldentat für Götter und Halbgötter (Odin als Nornagest, bei den Griechen Herakles) gilt.

Hier wölbt sich wieder die Brücke aus der Götter- zu der Heldensage; ursprünglich ist es Odin selbst, der durch die Waberlohe in die Unterwelt eindringt, dann Freyr, später in dessen Vertretung Skirnir und zuletzt Sigurd.

Aus der Heldensage senkt sich dann später die uralte Überlieferung als Niederschlag in das Märchen vom Dornröslein und in den Schwank, »von dem, der auszog, um das Gruseln zu lernen«, der allein die von Ungeheuern gefangene Königstochter retten kann, weil eben er sich zu fürchten nie gelernt, bis die Befreite, nachdem sie ihm vermählt worden, auch diesen Wunsch erfüllt, und ihm, während er schläft, einen grossen Eimer eiskalten Wassers voll zappelnder Fischlein in das Bett und über den Leib schüttet, wobei er das Gruseln gründlich lernt.

Übrigens ist auch Schneewittchen, das »in den Bergen bei den sieben Zwergen«, d. h. bei den Dunkel-Elben in einer Höhle, oder in dem im tiefsten Walde versteckten Zwergenreich den Todesschlaf schläft, nachdem ihr der giftige Kamm (der Schlafdorn) in das Haupt gestochen worden, eine in der Unterwelt in dem Todesschlaf ruhende Göttin, die nur der jugendschöne, jugendkühne Königssohn, d. h. der Frühlingssonnenstrahl, erwecken und befreien mag.

Der germanische Heldengeist lebt durchaus nicht nur in den Männern unsers Volkes; er hat vielmehr auch hochherzige Jungfrauen und Ehefrauen in Zeiten schwerer Kämpfe und Gefahren beseelt. Schon die Römer haben dies erfahren; die Frauen der Kimbern kämpften noch von der Wagenburg herab für ihre weibliche Ehre, nachdem die Männer erschlagen waren. Auch sonst fanden die siegenden Legionen unter den Erschlagenen auf der Walstatt manchmal Frauen in Mannesrüstung. Tacitus hebt hervor, dass die Waffen (Schild, Schwert und Framea), das aufgeschirrte Ross bei den Brautgaben nicht fehlen dürfen; – die junge Frau empfängt sie von dem Gemahl, dem auch sie Waffen schenkt; sie sollen ausdrücken, in welcher Gesinnung das Weib des Mannes Genossin werden müsse; diese Gemeinschaft auch im Werk der Waffen ist das innigste Band, das heiligste Geheimnis der Ehe; die Waffengötter sind auch die Ehegötter. Das Weib soll nicht wähnen, ausserhalb der Gedanken des Heldentums stehen zu dürfen und ausserhalb der Gefahren des Krieges; gleich zu Anfang der Ehe soll sie durch diese Wahrzeichen gemahnt werden, dass sie zu dem Manne komme als Genossin auch seiner Kämpfe und Gefahren, sein Schicksal teilend in der Schlacht wie im Frieden, das Gleiche wagend und erleidend. Dies bedeutet das aufgezäumte Ross und das Geschenk der Waffen; in solcher Gesinnung soll das Weib leben, in solcher sterben, die empfangenen Waffen den Söhnen und den Schwiegertöchtern unbefleckt, nicht entehrt übergeben, so sie vererbend von Geschlecht zu Geschlecht (Tacitus, Germania Kapitel 18). Nur ein Heldenvolk solcher Gesinnung vermochte Gestalten wie die Walküren aus seiner Einbildungskraft, ja aus dem eignen Leben zu schöpfen.

Nicht selbst die Waffen führend, aber durch Weissagung, durch Erforschung des Ausganges bevorstehender Kämpfe die Beschlüsse der Feldherren, der Volksführer leitend, übte so die Jungfrau Veleda, im Lande der Brukterer auf hoher Warte einsam hausend, grössten Einfluss auf den Krieg der gegen Rom verbündeten Germanen bei dem Aufstande der Bataver im Jahre 69; sie hatte den Sieg verheissen und Sieg war geschehen und der gefangene Legat der Römer wurde auf seiner eroberten Prachtgaleere ihr die Lippe hinauf als wohlverdienter Beuteanteil zugeführt.

XI. Andere Götter und Göttinnen.

Von zahlreichen andern Göttern und Göttinnen sind uns Spuren erhalten, kaum hinreichend, lebendige Anschauung von ihren Gestalten zu gewähren, aber genügend, unsre Klage zu verstärken, dass uns von all dem Grossartigen und Heldenhaften, Tiefsinnigen und Feinsinnigen, Ahnungsvollen und fröhlich Schalkhaften, was die Seele unsres Volkes in diesen Gebilden geschaffen hatte, nur so dürftige Trümmer und Andeutungen geblieben sind.

Unzweifelhaft ist von Heimdall, dem Sohne Odins, und von neun (riesischen) Schwertern (welche ihn aufgenährt haben mit der Kraft der Erde, mit kühler Flut und mit dem Strom des Sonnenlichtes), nur bezeugt, dass er der treue Wächterder Regenbogenbrücke Bif-röst ist; er trägt das gellende Wächterhorn, Giallarhorn, in das er stösst, wann die Riesen heranreiten zum letzten Sturm auf Asgards goldene Höhen. Man hat ihn unter anderm Namen wiedergefunden als Rigr; als solcher wandert er über die Erde hin und wird der Vater der verschiedenen Stände.

Auch Iring soll er heissen und nach ihm die Milchstrasse »Iringstrasse» benannt sein. Er ist also ein Gott des Himmels, der Luftregion, als solcher eine Seite (ein Sohn) Odins; als seine Mutter wird anderwärts die Erde bezeichnet. Auch der »Schwert-As« heisst er und mit dem Schwertgott Eru wird er zusammengehalten. Seinen Namen hat man gedeutet als »Dolde (d. h. Spitze) des Heims«, d. h. der Erde, des Weltbaumes; daher heisst seine Wohnung Himinbiörg, Himmelsburg; daher, als ein Gott des lichten Äthers, mag er der »weisse« heissen; daher führt er, hoch da oben wachend, das krumme Horn, d. h. die Mondsichel. Sein Ross heisst Gulltopr (Goldwipfel) und er hat goldene Zähne, also ein Gott des himmlischen Sonnenlichts. Daher heisst er auch »der sich Neigende«, da ihm der Monat, in dem die Sonne sich neigt, vom einundzwanzigsten Juni bis einundzwanzigsten Juli, geweiht war. Jedoch auch (wohltätigen) Regen spendet dieser Himmelsgott; als Loki, der heisse, sengende Sommergluthauch, Freyas (der jungen Erde) Halsgeschmeide Brisingamen (das frische Grün des Rasens) geraubt (d. h. versengt) hatte, da brachte es ihr Heimdall nach siegreichem Kampfe mit Loki wieder zurück; der erfrischende Regen belebt das versengte Grün aufs neue.

Hödur, der schuldlose Töter Baldurs, und Odins wie Baldurs Rächer; Hermôdr, Widar und Wali, sind uns fast nur aus der Geschichte von des Lichtgottes Ermordung und der Erneuerung der Welt bekannt; ihre Hauptbedeutung liegt auf den Gebieten jener beiden grossen Sagen und ist dort zu würdigen. Aber einiges ist doch auch hier schon hervorzuheben.

Wali ist das wiederkehrende Licht, welches zur Zeit der Wintersonnenwende die Tötung Baldurs, der in der Sommersonnenwende stirbt, an dem blinden Hödur rächt; er ist der Sohn Odins und der Rinda (d. h. der winterlichen Erdrinde). Sie war die Tochter eines Ruthenen-(Russen-)Königs. Odin war nach Baldurs Tod geweissagt, nur diese könne ihm einen Sohn gebären, der Baldur rächen werde. Odin naht nun in seiner Wandergestalt mit Schlapphut und Mantel jenem König, gewinnt dessen Gunst, schlägt als dessen Feldherr die Feinde und verlangt als Lohn der Tochter Hand. Der König will sie ihm geben, aber die spröde, herbe, stolze Jungfrau gibt ihm statt des Brautkusses – eine Ohrfeige. (Die Erzählung stammt aus Saxos Bericht, mit zahlreichen Vergröberungen der Götter, welche wir fast sämtlich übergehen.)

Nun erscheint Odin als Goldschmied verkleidet und wirbt um die Maid mit künstlichen Spangen. Abermals mit einem Schlag abgewiesen, naht er als junger, blühender Krieger zu Ross und zeigt ihr seine Reiterkünste. Aber sie stösst den Werbenden so rauh zurück, dass er strauchelt und sein Knie die Erde rührt. Da berührt er sie zornig mit seinem Zauberstabe (gambantein, den Skirnir gegen Gerda brauchte) und beraubt sie so des Verstandes. Aber die Werbung gibt er nicht auf; kann doch nur Rinda Baldurs Rächer gebären. Er verkleidet sich in Frauengewand, nimmt unter dem Namen Wecha Dienst bei dem Mädchen und wäscht ihr die weissen Füsse. Da sie immer schwerer erkrankt, verheisst er, sie zu heilen, aber mit so harter Kur, dass die Kranke sie nur gezwungen ertragen werde. So wird ihm von dem Vater das Mädchen gebunden übergeben; er führt sie fort, vermählt sich nun mit der Widerstrebenden, und sie wird die Mutter Walis. Während seiner Abwesenheit und wegen des verübten Betrugesentsetzt aber ein Teil der Götter Odin der obersten Gewalt; ein andrer, Ullr, erhält Odins Thron und Namen; aber bald gewinnt Odin die Götter wieder für sich; Ullr muss flüchten und wird im fernen Norden erschlagen.

Die Deutung ist nicht schwer. Rinda ist die winterliche Erdrinde; nach des Lichtgottes Baldur Tod ist die Erde dem wohltätigen Himmelsgott Odin entrückt. Vergebens bemüht dieser sich, sie für sich zu gewinnen; vergeblich bekämpft er tapfer die Winterriesen; vergeblich wirbt er um sie mit den goldenen Gaben des Sommers; vergebens zeigt er ihr die Lust kriegerischer Spiele, der schönsten Gabe der Sommerzeit; die Erde, die dem Liebesleben abgesagt, weist dreimal heftig den Freier zurück; die Versuche, des Winters Herrschaft zu brechen, scheitern. Da verflucht sie der Lebensgott für immer, dem Wintertode verfallen zu sein, falls sie ihn nicht erhöre; er wirbt um die erstarrte, indem er ihr die Füsse bespült (es ist wohl allzu kühn, hier an den Tauwind zu denken, der die Erdrinde in Tauwasser schmelzt; aber irgend ein ähnlicher Vorgang in täuschender Hülle und scheinbar ungefährlicher Gestalt liegt hier zu Grunde) und zwingt die immer noch Widerstrebende zuletzt mit Gewalt, sich dem Sieger zu ergeben und die Mutter zu werden des neuen Frühlings, der den im Vorjahr getöteten an dem Winter- und Nachtgott Hödur rächt. Ursprünglich bezog sich Baldurs Tod nur auf den jährlichen Untergang des Lichtes; erst später ward dies auf die Götterdämmerung bezogen, und nun konnte nicht mehr Baldur selbst jeden Frühling wiederkehren, – vielmehr erst in der erneuten Welt – sondern statt seiner ein Bruder, ein andrer Sohn Odins.

Wali war der Monat Liosberi (Lichtbringer; vom neunzehnten Januar bis achtzehnten Februar) geweiht, was die Grundauffassung voll bekräftigt. In diese Zeit fällt nicht nur Mariä Lichtmess (zweiter Februar), auch der Valentinstag (vierter Februar), der in England (Ophelia in Shakespeares Hamlet führt ein Volkslied darüber an), Nordfrankreich, Brabant ein Fest der Liebenden ist. An diesem Tage paaren sich nach dem Volksglauben die Vögelein, und auch die jungen Leute wählten oder erlosten für das kommende Jahr, halb im Scherz, halb im Ernst, ihren Schatz. Man hat nun Sankt Valentin als an Walis Stelle getreten gedacht, auch dieses Heiligen Namen auf einen zweiten Namen desselben Gottes: Ali, der Nährer, und einen dritten: Bui, der Bebauer, d. h. Erdbebauer, Ackerbebauer, auf Welo, Wolo (unsern neuhochdeutschen »Wohl«) zurückgeführt, d. h. einen Gott des Wohlergehens, Glückes, eines Liebesfrühlings. – Auch als guter Schütze wird Wali gerühmt; der Frühlingssonnengott entsendet die fernhintreffenden Pfeile wie Phöbus Apollon.

Ullr ist nach der echten alten Sage durchaus nicht ein von den empörten Göttern eingesetzter Gegenkönig Odins, sondern lediglich Odin selbst; nur ein winterlicher, statt des sommerlichen Odins. Nur der Sommer ist die Zeit für die Kriegsfahrten des Siegesgottes – ist er doch zugleich der allbelebende Allvater der sommerlichen Lebensfreude; im Winter ruhen wie der Krieg, so jenes warme Freudeleben; Odin ist fern, so scheint es. Aber er ist doch da; nur unter dem Namen »Ullr« und in winterlicher Vermummung. Jetzt gewährt der Schnee die Fährte des Wildes dem Weidmann; nun beginnt die Jagd; Ullr führt sie an, zum Schutz gegen die Kälte in Tierfelle gehüllt, seines Birschgangs Beute liefert ihm ja reichlich Pelzwerk, – mit Bogenund Pfeil, Schrittschuhe unter den Sohlen; – so verfolgt er behend über Schnee und Eis des Wildes Spur, ein Gott der Jagd; hierin ist ihm Sankt Hubert (Hukbert, der Geistglänzende) nachgefolgt. Er ist ein Sohn der Erdgöttin Sif, aber nicht von Thor; denn er wird geboren, wann die Gewitter noch ferne sind; sein Vater konnte füglich ungenannt bleiben, wenn Ullr = Odin ist. Sich selber meint daher Odin, wenn er, in König Geirröds Saal zur Folter zwischen zwei Feuer gesetzt, ausruft: »Wer die Lohe löscht, gewinnt Ullrs Gunst und aller Götter.« Im Sommer weilt dagegen Ullr in der Unterwelt, Odin auf Erden und in Asgard. Als winterlicher Gott hat Ullr auch die Schrittschuhe, vielleicht auch die Schneeschuhe erfunden; er besprach durch Zaubereinen Knochen so, dass er darauf über das gefrorene Meer fahren konnte; die Schrittschuhe wurden aus Knochen gefertigt; vielleicht aber liess ihn die Sage auf solchen breiten, schildähnlichen Zauberschuhen auch über flüssig Wasser schreiten. Dass er aber deshalb (warum? ein Schrittschuh ist doch kein Schild!) der »Schild-As« heisst (vergl. »der Schwert-As«), ist ebenso unwahrscheinlich, wie dass er deshalb im Zweikampf angerufen wurde, weil hier der Schild so wichtig gewesen sei! Vielleicht war als sein Schild die Eisdecke des winterlichen Meeres gedacht, und vielleicht heisst deshalb der (Eis-) Schild »Ullrs Schiff«, weil der Wintergott, statt auf einem Schiff, auf dem Schilde des Eises das Meer überschreitet. Allein das sind lauter allzu kühne, wenig befriedigende Vermutungen.

Widar heisst »der schweigsame As«; nur allzu sehr verdient er diesen Namen; denn er schweigt auch uns gegenüber; die Forschung müht sich fast ganz vergeblich, ihn zu erklären. Doch wird man »Widar« als den »Wiederer«, d. h. den Wiederbringer und Erneuerer fassen dürfen; er ist es, der seines Vaters Odin Fall an dem Fenriswolfe rächt, und er ist es, der neben Wali, dem Rächer Baldurs, vor allen andern als in der erneuten Welt fortlebend ausdrücklich genannt wird; er rächt den Allerhalter an dem Allverderber; er erneut die Welt. Vielleicht war seine Naturgrundlage die jährliche Wiedererneuerung des Lebens der Natur im Frühling, bevor noch die Weltvernichtung und Welterneuerung ausgebildet war; als diese Lehren aufkamen, ward aus dem jährlichen Erneuerer der endgültige Wiederbringer. Weil er auch das Grün der Erde wiederbringt, – alljährlich und in der grossen Erneuerung – mag es von ihm heissen: »Gesträuch grünt und hohes Gras in Eidars Landwidi« (Landweite, Gebiet), was auf beide Arten von Erneuerung passt. Dass er dereinst den Fenriswolf erlegen wird (und zwar in welcher Weise), verkündet die Weissagung: er werde »dem Wolf die kalten Kiefer klüften« (s. unten Buch III, II). Und zu dieser Bedeutung Widars als des Rächers und Wiederherstellers der Götter stimmt es auch trefflich, wenn es heisst: »Auf Widar vertrauen die Götter in allen Gefahren.« Stumm und abgeschieden wohnt er in der Einöde, bis er hervorschreitet, des hohen Vaters Tod zu rächen.

Wir sahen bereits, dass Odins eine Bedeutung als Gott der Dichtung aus seinem Wesen ausgelöstund in seinem Sohne Bragi, als einem besondern Gott der Dichtung, wiederholt, selbständig persönlich gemacht wird. Wir wissen nur sehr wenig von diesem: »Er ist gefeiert wegen Wortgewandtheit und Wohlredenheit und geschickt in der Skaldenkunst, die nach ihm Bragr heisst; auch werden Leute, die redegeschickter als andre, Bragurleute genannt. Seine Gattin Idun bewahrt in einem Gefässe jene Äpfel, welche die Götter geniessen, wann sie altern; denn davon werden sie alle (immer wieder) jung und mag das so dauern bis zur Götterdämmerung«.

Es verstösst nun gegen alle Erfahrung über Entstehung von Göttern und Göttersagen, mit der herrschenden Auffassung anzunehmen, in der verjüngenden Kraft dieser Äpfel sei die »verjüngende Kraft der Dichtung« gefeiert! Nein! Solche Gleichnisse einer wissenschaftlichen Kunstlehre, wie sie ein Dichter-Philosoph überfeinerter Bildung anstellt, liegen den unbefangenen Anschauungen der Urzeit fern. Vielmehr verrät eine Stelle, welche Idun mit Gerda für eins erklärt, dass diese verjüngenden Äpfel die in jedem Frühjahr sich verjüngende Lebenskraft der Erde sind; jeden Herbst dämmern die Lichtgötter, jedes Frühjahr verjüngen sie sich wieder durch die verjüngte Lebenskraft der Erde; daher währt diese verjüngende Wirkung auch nur bis zur Götterdämmerung, vor deren Vollendung bereits das Wiederkehren des Frühlings aufhört. Erst folgeweise und später hat man dann auch die mit dem Frühling wieder beginnende Liebeslust in jenen Äpfeln gefunden und deren Eignerinmit dem Liedgott vermählt.

Von Idun werden zwei verschiedene Sagen erzählt, deren erste bloss auf den Jahreswechsel sich bezieht, deren zweite, ursprünglich von gleicher Bedeutung, später auf den Untergang der Welt übertragen wurde.

Einmal zogen drei Asen wandernd über Berg und Tal: Odin, Loki und Hönir. Sie kamen in öde Lande, wo sie nur schmale Kost fanden. Da sie ins Tal hinabstiegen, erblickten sie eine Herde weidender Rinder. Eifrig und voll Freude, ihren Hunger zu stillen, ergriffen sie eines der Tiere, schlachteten es, machten Feuer an unter einer hochwipfeligen Eiche und wollten den ganzen Ochsen sieden. Nach geraumer Zeit, da sie füglich glauben durften, der Sud sei vollendet, deckten sie den Kessel auf; – aber siehe, das Fleisch war noch nicht gar. Und da sie nach langer Zeit wieder nachsahen, da war es nicht besser. Erstaunt redeten sie untereinander, woher das wohl rühren könne? Da hörten sie hoch von dem Wipfel der Eiche herab eine Stimme: »Ich, der ich hier oben sitze, wehre dem Sud, zu sieden.« Und hinaufschauend erblickten sie da oben einen Adler, der war nicht klein. »Wollt ihr mir Sättigung verstatten an dem Rinde,« rief der mächtige Vogel herunter, »so soll der Sud sieden.« Da sie nun zustimmten, flog der Aar herab, setzte sich zu dem Kessel und sofort war das Fleisch gar. Der Vogel nahm nun aber gleich vorweg für sich die besten und grössten Stücke; beide Lenden und beide Bugteile. Das erzürnte Loki; er fasste eine Stange und stiess sie mit Macht dem Vogel in den Leib. Der flog auf, die Stangenspitze in dem Rumpf; aber Loki hielt noch das andre Ende in den beiden Händen und sah sich mit emporgerissen; und konnte nicht loslassen, ohne herabzustürzen und zu zerschmettern. Und der Vogel flog sausend über Felsspitzen, Bergsteine und Bäume so niedrig hin, dass Loki heftig daran stiess mit den Beinen; und auch die Arme schmerzten ihn so arg; er meinte, sie würden ihm aus den Achseln gerissen. Flehentlich schreiend bat er den Adler um Frieden. Der aber fuhr immer rascher dahin und sagte, niemals solle Loki davonkommen, wenn er ihm nicht Idun samt ihren Äpfeln aus Asgard herbeischaffe und in seine Gewalt gebe. Loki, in seiner Angst, versprach alles. Da setzte ihn der Vogel ab, dass jener zu seinen Weggefährten zurückgehen konnte. Er schwieg aber von der Lösung, die er versprochen hatte. Als sie nun wieder nach Asgard heimgekehrt waren, sprach Loki zu Idun: »Komm, du Holde, mit mir nach Midgard hinunter. Da hab’ ich in einem Walde einen Baum gefunden mit Äpfeln, die sind noch schöner als die deinen.« Idun wollte das nicht glauben. »Wohlan,« sprach Loki, »nimm deine Äpfel mit, halte sie daneben und vergleiche.« Und Idun tat nach seinem Rate und folgte ihm zu Walde. Da kam sausend der Riese Thiassi in Adlerhaut gefahren, – denn der war es gewesen, der Loki überlistet und entführt hatte – ergriff Idun samt ihren Äpfeln und trug sie durch die Luft davon nach Thrymheim in seine Heimat.

Den Göttern aber ging es nun gar schlecht, seit Idun verschwunden; ihre Haare ergrauten, sie wurden alt. Da traten sie zusammen, hielten Rat und forschten, was man zuletzt von der Verschwundenen gesehen oder gehört. Da ward festgestellt; das letzte, was man von ihr gesehen, war, dass sie mit Loki aus Asgard geschritten. Da ergriffen sie den schon lang Beargwohnten, banden ihn, führten ihn vor ihre Richterstühle und bedrohten ihn mit Peinigung und Tod. Loki erschrak; er gelobte, er wolle nach Idun suchen in Jötunheim, – denn vielleicht sei sie dorthin entführt – wenn ihm Freya zu rascher Reise ihr Falkenhemd leihen wolle. Und nachdem er in dies hineingeschlüpft, flog er gen Norden nach Riesenheim und kam in Thiassis Haus. Der war fort auf den See gerudert; Idun war allein zu Hause. Da verwandelte sie Loki in eine Nuss (nach andrer Lesart in eine Schwalbe), ergriff sie samt ihren Äpfeln mit den Fängen und flog davon, so schnell er konnte. Aber Thiassi, wie er nach Hause kam, vermisste sofort Idun, fuhr in sein Adlerhemd und setzte dem Falken nach – mit Adlerschnelle. Die Götter standen auf Asgards hohen Zinnen und blickten sehnsüchtig und harrend nach Idun und nach Loki gen Norden. Da sahen sie den Falken heraneilen, die Nuss in den Fängen, hart verfolgt von dem durch die Wolken stürmenden Adler. Sie eilten herab von der Mauer, hinaus vor das Tor und häuften trockene Hobelspäne draussen hart an dem Wall. Der Falke kam noch glücklich über die Zinnen und liess sich im Hofe gerade hinter der Mauer nieder. Da warfen die Götter Feuer in die Späne; der Adler aber konnte sich im vollen Schuss des Sturmflugs nicht mehr halten, er sauste heran, das Feuer schlug ihm ins Gefieder; da konnte er nicht mehr fliegen, er stürzte zur Erde, und rasch waren die Asen zur Hand, zerrten ihn durch das Torgatter und töteten ihn.

Thiassi ist ein Sturmriese; denn als zerstörende Gewalt ist der Wind nicht Odin, sondern riesisch; Stürme, nach Schnelligkeit und Gewalt ihres sausenden Fluges, wurden als Adler gedacht; seine Heimat Thrymheim (wo auch der riesische [im Gegensatz zu Thor] Donnerer Thrym hauset), ist das nördliche unfruchtbare Gebirge, von wannen im Spätherbst die eisigen, tödlichen Stürme kommen; in diese öden Hungermarken waren die drei Asen über Berge und Ödland gewandert, deshalb fanden sie hier karge Kost; als Sturmadler hat Thiassi auch verhindert, dass der Sud gedieh; er blies das Feuer aus; er verweht die Wärme. Vielleicht hatte es auch sinnbildliche Bedeutung, dass gerade Loki (die Sommerwärme?) von dem kalten Herbststurm davongetragen wird durch die Lüfte. Wie Thrym Freya (die schöne Jahreszeit), so will Thiassi die Wiederkehr des Grüns den Göttern entreissen und für sich rauben (Uhland: das frische Sommergrün an Laub und Gras). Wirklich auch gelingt es dem herbstlichen Nordwind, das Grün des Waldes und den goldenen Blumenflor der Wiesen zu entführen; die Götter, d. h. die Natur, werden nun alt und grau. Loki, der Südwind, wird ausgesandt, die Entführte wiederzuholen, muss sich Freyas, der Frühlingsgöttin, Flügel entleihen, nach der Jahreswende, wann der Nordsturm gerade abwesend.

Als Nuss, d. h. als aufspriessender Samenkern, wird die Verjüngung zurückgebracht oder in Gestalt der frühling-verkündenden Schwalbe. Zwar braust der Nordsturm verfolgend hinterdrein; aber in den von den wohltätigen Mächten entzündeten Flammen der beginnenden Sommerglut muss er verenden mit versengtem Gefieder.

Eine andre Sage berichtet: Idun, Iwaldis, des kunstreichen Zwergs jüngste Tochter, war, nachdem schon andre unheilvolle Vorzeichen, schwere Träume und Ahnungen die Götter geängstet hatten, vom Weltenbaum herab zu Boden gesunken. Sie liegt an der Erde, unter des Baumes Stamm gebannt; schwer erträgt sie dies Geschick; so lange an heitere Wohnungen gewöhnt, kann sie es nicht lernen, nun weilen zu sollen bei der Tochter Nörwis, d. h. der Nacht, der Genossin Hels. Die Götter sehen ihre Trübsal um dieses Wohnens in der Tiefe willen und senden ihr ein Wolfsfell, sich zu bedecken; damit verhüllt freut sie sich zwar dieses Mittels, ihre Farbe erneut sich. Aber doch trauert sie noch immer. Da sendet Odin drei Boten an sie aus: Heimdall, Loki und Bragi, die Niedergesunkene auszuforschen, was sie wisse von drohendem Weltgeschick, ob das ihr Widerfahrene auch den Göttern und der Welt Unheil bedeute? Aber erfolglos bleibt die Sendung; wie scheu und betäubt erscheint den Boten die Arme; sie schweigt oder sie weint; die beiden andern kehren nach Asgard zurück; nur Bragi bleibt, sie zu hüten, bei ihr zurück (ihr Gatte oder Bräutigam). »Der verstummte Gesang (auch Vogelgesang?) bei der hingewelkten Sommergrüne« (deutet Uhland schön, aber sehr kühn).

Idun ist auch hier die Sommergrüne; sie heisst die jüngste Tochter I-waldis, des »Innen-Waltenden«; denn innen im Schosse der Erde walten die Zwerge, als deren kunstvolles Gebilde der Schmuck der Oberfläche mit Blumen, Gras, Kräutern und Saaten gilt; haben sie doch auch Sifs goldenes Haar – den Goldschmuck des reifen Getreides – gestaltet. Idun ist im Herbst vom Weltenbaume sterbend herabgesunken; nahe Hels Reich liegt der Blattschmuck des jüngsten Jahres, gewöhnt, in heiteren Höhen zu wohnen, jetzt trauernd am Boden. Die Götter senden ihr zwar den Winterschnee, die Wolfsdecke, sie zu schützen. Aber auch Heimdall, der Himmelsregen, und Loki, die Wärme, vermögen sie nicht wieder zu beleben; der verstummte Gesang bleibt bei ihr zurück bis zur Wiederkehr des Frühlings (muss man im Sinne der ursprünglichen Sage beifügen), wann beide wiederkehren nach oben. Später aber ward Iduns, der Verjüngerin, Herabsinken auf die drohende Götterdämmerung bezogen; sie galt nun, wie bald auch Baldur, dessen bevorstehenden Tod ihr Herabsinken nun vorbedeutet, als unwiederbringbar den Göttern verloren bis zur Erneuerung der untergegangenen Welt. Daher die tiefernste Wendung in dem die vergebliche Botschaft schildernden Eddaliede: »Odins Rabenzauber«. Odin fordert die Götter auf, »nun andern Rat zu suchen während der Nacht«; sie finden keinen; weitere böse Ahnungen drücken sie. Er selbst aber, der Unerschrockene, sattelt sein Ross und reitet nach Hel, eine tote Wala durch Zauber zu wecken und von ihr Auskunft zu erzwingen über das nahende Geschick.

Sehr wenig ist es, was wir von einigen andern Göttinnen und Göttern wissen; fast nur, dass ihnen gewisse Monate oder andre Jahresabschnitte geweiht waren. So einer Göttin Spurke der Februar, der nach ihr »Sporkel« hiess; vielleicht war ihr der gleichnamige Wacholderstrauch heilig: »Spörkels Kathrin (oder »Spörkels Elsken«) schüttelt ihre neunundneunzig Röcke« sagt ein Sprichwort am Rhein oder in Westfalen; vielleicht die häufigen Regenschauer und Schneefälle dieses Monats?

Den Nordgermanen aber heisst der Februar Gôi und von dem Weibe, das ihm diesen Namen gab, geht folgende auf Landnahme, Ackerbau und Frühlingsanfang bezügliche Sage. Der alte Riese Fornjotr hatte einen Sohn Kari, dieser einen Sohn Frosti (Frost), dieser einen Sohn Snar (Schnee), dieser einen Sohn Thorri, dem (vielleicht) um Mitt-Winter das Opfer Thorri-blôt gebracht wurde. Sein Sohn Gor gab dem »Schlacht-Monat« den Namen (im November), der andre Sohn hiess Nor; während des Thorri-Festes ward deren Schwester Gôi geraubt. Der Vater entsandte beide Söhne, die Verlorene zu suchen; vier Wochen später brachte er ein Opfer; (»Gôi-blott« –) vermutlich, auf dass die Götter die Wiedergewinnung begünstigen möchten. Gor forschte zur See, Nor zu Lande; Gor fuhr an Schweden vorbei nach Dänemark, besuchte hier seine Gesippen, die von dem Meergott Hlêr (Ögir) stammten, und segelte dann weiter gen Norden. Nor aber wanderte aus Kwenland durch Lappland nach Throndheim. Beide Brüder waren mit Gefolgschaften ausgezogen und hatten sich auf ihrer Fahrt gar manche Landschaften und Eilande unterworfen. Als sie wieder zusammentrafen, verteilten sie das Gewonnene derart, dass Nor das feste Land behielt; – er nannte es Norwegen, Gor aber die Inseln. Endlich fand Nor auch die Schwester wieder; Hrôlf, ein Enkel Thors, hatte sie geraubt aus Kwenland; zur Aussöhnung empfing Nor Hrôlfs Schwester zur Ehe. Da Goi soviel als Gau, d. h. Land ist, erhellt, dass die ausziehenden Brüder Land suchen; die Namen Frost, Schnee, Nord weisen auf Winter-Riesen hin, denen das Bauland durch den Spross des Ackerbaugottes für immer entzogen wird. Das Einzelne der späten und künstlichen Dichtung bleibt aber unklar; die Zusammenfassung von Ansiedlung, Landnahme, Ackerbau, Frühlingsanfang als Stoffgebiete einer Sage musste verwirren. Es ist sehr willkürlich, Hrôlf als Hrôdolf auf den Monat März (in Skandinavien beginnt aber doch im März weder Lenz noch Ackerbestellung!) zu beziehen, weil dieser Monat bei den Angelsachsen »Rhêdemônadh« heisst; auch alamannisch (in Appenzell) Redi-Monat, was auf eine Göttin Hrêde zurückgeführt wird. Der weibliche Schmuck (angelsächsisch Rhedo) weist auf Freyas Brisingamen, das Halsgeschmeide, das wir als die von Gras und Blumen geschmückte Erdrinde kennen lernten.

Eine Frühlingsgöttin war auch Ostara, welche sogar dem christlichen Osterfeste den Namen gegeben hat; der April heisst nach der Göttin ursprünglich, später nach dem meist in diesen Monat fallenden Auferstehungsfest »Ostarmânoth«; sie brachte von Osten her Frühling und aufnehmendes Licht. Die Edda kennt nur den die Himmelsgegend bezeichnenden Zwerg Austri. Aber bei den Südgermanen ward das fröhliche Frühlingsfest in heiteren Spielen gefeiert; die Sonne selber tut vor Lust am Morgen des Ostersonntags drei Sprünge, ursprünglich wohl drei Freuden- (oder Sieges-)sprünge über ihre wiedergewonnene Kraft (oder im Wettkampf mit dem Winterriesen?). »Osterspiel« heisst grösste Freude, daher spricht mittelhochdeutsche Liebesdichtung die Geliebte an: »Du meines Herzens Ostertag«. Die Oster-Fladen, Oster-Stollen, Oster-Stufen, Osterküchel, welche zu dieser Zeit gebacken werden, weisen, wie all’ solches Gebildbrot, auf alte Osterschmäuse; zu diesen musste jeder Hof Beiträge in Früchten oder Fleisch liefern; deutlicher noch bezeugt daher den heidnischen Ursprung dieser Festspeisen, dass in manchen Tälern Oberbayerns, z. B. in der Jachenau, die einzelnen Gehöfte in Wechselreihe verpflichtet sind (- oder doch vor wenigen Jahren verpflichtet waren –) zu gemeinschaftlicher Verzehrung einen Widder zu liefern, dessen Hörner mit Bändern geschmückt und mit Rauschgold überzogen waren; wir wissen aber, dass bei Opferfesten horntragenden Tieren die Hörner »vergoldet« wurden. Deshalb wird bei dem Osterschmaus auch der »Oster-sahs« genannt; das Oster-Messer, mit dem das Opfer geschlachtet worden. Ähnliche Verpflichtungen gelten zu Ostern oder Himmelfahrt in andern Landschaften. Dass die Ostereier nicht von einer gewöhnlichen Henne, sondern vom Osterhasen (genauer: von der Frau Häsin) gelegt werden, erklärt sich ebenfalls nur aus der Bedeutung der Göttin Ostara; dieser, als einer Frühlings- und Liebesgöttin, war der Hase wegen seiner Fruchtbarkeit heilig. Dass die Ostereier – die richtigen – rot sein müssen, rührt daher, dass Rot die dem Donnergott geweihte Farbe ist, das erste Gewitter aber galt als Frühlingsanfang, als Tag des Einzugs von Frau Ostara. Die Osterfeuer, welche in norddeutschen Landschaften angezündet werden, sind die Scheiterhaufen des von dem Frühling besiegten und getöteten Winterriesen, welcher nun verbrannt wird nach altgermanischer Bestattungsweise; Judas Ischariot, der manchmal dabei ins Feuer geworfen wird, ist nur der von der Kirche eingeführte Ersatzmann für den Winterriesen, welcher in andern Gegenden heute noch als zottige Pelzpuppe, mit Schneeschaufel und Schlitten ausgestattet, in die Flammen geschleudert wird, in Festhaltung der ursprünglichen Bedeutung. Noch im späten Mittelalter musste der Pfarrer am Ostersonntag nach der Frühpredigt von der Kanzel herab dem Volk einen Schwank, ein lustig »Ostermärlein« erzählen. Das Volk wollte die Kurzweil nicht missen, welche zu der heidnischen Zeit das Osterspiel gewährt hatte; und so schlugen die Leute denn nun in der Kirche ihr »Ostergelächter« auf.

Dagegen eine Sommer- oder Erntegöttin war Thors Gemahlin Sif.

Loki schor ihr hinterlistig das Haar ab; jedoch Thor zwang ihn, Ersatz zu schaffen. Da liess Loki von den Schwarzelben in der Erde ihr neue Haare von Gold machen, welche wachsen (und geschnitten werden) konnten wie natürliche; das Getreidefeld, dessen golden wallenden Haarschmuck der scheinbar freundliche, in Wahrheit tückisch schädliche Glutsommer versengt, aber von den geheimnisvoll schaffenden Erdkräften für das kommende Jahr erneut wird.

Vielleicht entsprechen dieser nordischen Erntegöttin unter andern Namen südgermanische: Frau Waud, Frau Wod (d. h. Frau Wodans, = Frigg = Berahta = Holda), Frau Freke (deutlich Frigg), auch wohl Stempe, Trempe (wegen des stampfenden Fusses, reine pédauque). Pflugschar und Egge, auf denen sie gern im Ackerfeld sich niederlässt, sind ihr geweiht; sie ist unverkennbar eine Schützerin des Ackerbaues, Gewährerin des Erntesegens, eins mit Frigg in dieser Bedeutung der hausfräulichen Göttin, oder sie ist diese eine Seite von Frigg, losgelöst und selbständig personifiziert. Auch wohl Erka, Frau Erke, Frau Herke, Frau Harke heisst sie und führt den Rechen, die Harke, womit die geschnittenen Schwaden zusammengeharkt werden.

Fulla, Friggs Schmuckmädchen (nach dem Merseburger Zauberspruch aber deren Schwester), trägt ein Goldband um die flatternden Locken; sie ist die Göttin der Fülle, der Üppigkeit, des Segens und des Überflusses; romanisch Dame Habonde, Abundia; also auch eine einzelne Seite von Frigg. Sie verwahrt der Herrin Schmuckkästchen und Schuhe und ist ihrer heimlichen Pläne Vertraute.

Auch die Sonne, Frau Sunna, war eine Göttin, welche nicht bloss bei der Lehre von der Entstehung der Welt zur Erklärung des Tagesgestirnes angeführt und damit (für sich allein oder zusammen etwa mit dem Mond) abgefertigt worden wäre, sondern im Volk in allerlei gottesdienstlichen Handlungen verehrt ward und in mancherlei Erzählungen durch die Lande ging.

Während diese Göttinnen unverkennbar in dem Leben des Volks tief wurzelten, machen einige andre Namen, die in der Edda begegnen, mehr oder minder den Eindruck, als seien sie von den Skalden künstlich gestaltet, mit geringem Anhalt an dem Glauben des Volks.

Dies gilt noch am wenigsten von Gnâ, der Botin Friggs, deren Ross Hof-hwarpnir (Huf-werfer) über Wasser und durch Luft wie auf festem Boden zu laufen vermag. Wanen sahen einst sie auf diesem Ross durch die Luft brausen und fragten erstaunt: »Was fliegt da, was fährt da, was lenkt durch die Luft?« Sie aber (Gnâ, die »Hochfliegende«?) antwortete: »Ich fliege nicht, ich fahre nicht, doch lenk’ ich durch die Luft auf Hôf-wharpnir, den Hamskerpir (Schenkel-rasch) mit Gardrofwa (Stark-schweif) zeugte.«

Auch Hnoss, die Tochter Freyas und Odrs, hat vielleicht noch mehr Fleisch und Blut, da doch wenigstens ihre Eltern genannt werden; freilich bedeutet sie nur »Schmuck, Geschmeide«, und wenn es nun von ihr heisst: »Sie ist so schön, dass alles, was schön und köstlich ist, nach ihr benannt wird« – so ist das eine sehr frostige Personifikation des wesenlosen Namens.

Eine ähnlich nüchterne Verbildlichung ist Gersemi, Kleinod, dann Siöfn, welche die Menschen zur Zärtlichkeit erweicht; nach ihr (die mit neuhochdeutsch »Seufzen« zusammenhängt) sei die Liebe Siafni genannt worden.

Lofn (nach der »Erlaubnis« benannt) hat von Odin und Frigg Erlaubnis empfangen, Paare zu verbinden, trotz der gegenstehenden (Rechts-)Hindernisse.

Wara, die Hüterin der Verträge, hört die Eide, die Versprechungen, straft den Vertragsbruch; sie ist so weise, dass ihrem Forschen nichts verborgen bleibt. Syn versperrt die Türen den rechtlos Andringenden, ist auch Helferin derer, die, ungerecht verklagt, vor Gericht etwas leugnen: »Syn ist vorgeschoben«, heisst es daher, bestreitet der Beklagte die Schuld.

Hlîn ist von Frigg (die auch selbst diesen Namen führt; wieder ein Fall von Loslösung und Verselbständigung einer einzelnen Seite in einer Göttergestalt) allen als Helferin bestellt, die in Gefahren Schutz brauchen (das Wort ist unser »Lehnen«).

Ebenfalls eine nüchterne Personifikation ist Snotra (die Geschneuzte, d. h. die Kluge) »verständig und artig; und alle Verständigen heissen deshalb nach ihr«.

Diese geist-, körper- und poesielosen abgezogenen Begriffe zeigen deutlich, wie in überkünstelter Zeit Skalden gleich ganze Göttergestalten aus Wörtern schaffen, die im Volksleben und Volksglauben keinen Bestand haben; – wie viel häufiger haben sie Götter zwar nicht geschaffen, aber in beliebigen Dichtungen der Einbildungskraft verwertet!

Wir sind damit an die äusserste Mark der Götterwelt gelangt, wo die Grenze zwischen Religion und Kunstdichtung, ja gekünstelter Verbildlichung endet und wendet.

Mittelhochdeutsche Dichter sprechen in fast gleichem Sinne von Frau Sälde, Frau Minne, Frau Ehre, Frau Masse, Frau Stäte, Frau Zucht, ohne an diese Wesen selbst zu glauben oder Glauben an sie von ihren Lesern oder Hörern zu verlangen. .

XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen.

Zwischen Göttern und Menschen stehen zahlreiche Mittelwesen; nicht so mächtig wie die Götter, – deren Macht aber freilich auch keineswegs unbeschränkt, keineswegs »Allmacht« ist, – jedoch mächtiger als die Menschen; zumal den Schranken des Raumes ganz oder doch zum Teil entrückt, mit übermenschlichen Gaben von Zukunfts-Kenntnis, Schönheit, Schnelligkeit, Verwandlungsfähigkeit ausgerüstet. Die Frage, ob ihre Seelen sterblich oder unsterblich, wird verschieden beantwortet. Diese Mittelwesen, fast unübersehbar schon an Mannigfaltigkeit und unschätzbar an Zahl, erfüllen in wimmelnder Menge den Äther, die Luft (obwohl hierfür die Zeugnisse schwach sind), die Erde, die Meere, die Ströme, die Bäche, die Wasserfälle, die Seen, die Quellen. Sie hausen auf Bergen, in Höhlen, in Felsen, in Wäldern, in einzelnen Bäumen und Büschen, im Moos, im Kelch der Blumen, ja zwischen Stamm und Rinde sogar vermögen die Winzig-Feinen sich einzunisten; sie sind die Träger, der Ausdruck des lebhaften Naturgefühls, in welchem, lebendiger noch als Hellenen und Italiker, die Germanen alles um sie her bevölkerten und beseelten mit übermenschlichen Wesen, welche, regelmässig unsichtbar und nur spürbar an ihren Wirkungen, manchmal sich den überraschten Augen der Menschen zeigen. Solche »Mittelwesen« heissen mit allgemeinstem Namen »Wicht«; soviel wie Wesen. Heute sagen wir der Wicht in abschätzigem Sinn, aber auch »das Wicht« hat sich mundartlich, z. B. westfälisch, erhalten und bedeutet, ohne ungünstigen Sinn, ein Mädchen. Die Kleinheit und zugleich die Übermenschlichkeit wird ausgedrückt durch Namen wie »Wichtel«, »Wichtlein«, »Wichtelmännchen«.

Enger wohl ist der Name »Elben«, »der Elbe«, »die Elbin«; aber doch machen die Elben und Elbinnen, selbst wieder in mehrere Gruppen gespalten, für sich ein ganzes Reich, eine ganze grosse Klasse von Wesen aus, wie Asen, Menschen, Riesen. Ursprünglich waren wohl alle Elben »licht«; denn der Name geht auf »albus« (weiss, hell) zurück, und es ist vielleicht nicht ganz oder doch nicht allgemein richtig, die Dunkelelben als eins mit den Zwergen zu fassen. Die Lichtelben sind schöner (heller) als die Sonne, die Dunkelelben schwärzer als Pech; aber böse, schädlich sind auch diese nicht; die stehen vielmehr (in der Regel) auf Seite der Götter, denen die Waffen und Zaubergeräte schmieden, gegen die Riesen. Ihr Reich, Alfheim, liegt Asenheim nahe; Freyr, der Gott der Fruchtbarkeit, erhielt Alfheim als »Zahngebinde«; einmal wird auch »Vid-blain« (»weit blauend«), also blauer Himmel, als ihr luftig und leuchtend Heim bezeichnet.

Alle Elben sind die im Stillen unablässig wirkenden Geheimkräfte der Natur; sie »brauen« oder »spinnen« das Wetter, sie lassen die Halme spriessen, sie schaffen oder verarbeiten doch im Schosse der Erde als Dunkelelben oder Zwergedie Adern des Metalls. Aber mutwillig, ferner leicht reizbar, dann rachsüchtig sind alle Elben; auch Lichtelben lieben es, aus Mutwillen Menschen und Tiere, d. h. Pferde (daher »Pferdemahr«), zu necken, zu plagen, sie vom Weg ab in die Irre zu locken, ihnen plötzlich überraschend und erschreckend auf den Rücken, auf den Nacken zu springen und sich dann, sie »reitend«, von ihnen tragen zu lassen; so reiten die elbischen »Truden« Rosse und Menschen; das »Albdrücken« ist das Bedrücktwerden im Schlaf, in beängstigendem Traum, von einem auf des Geplagten Brust reitenden Elben, dem Nachtalb, Nachtmahr; »elf-ridden« sagen die Engländer. Aber auch Krankheiten, z. B. der Weichselzopf bei Menschen und Tieren, zumal plötzlich anfallende, besonders auch Hautausschläge sind vom »Elbengeschoss« dem Menschen angeblasen, angeschossen (daher »Hexenschuss« statt des ältern »Elbenschuss«) und deshalb empfiehlt die Volksheilkunst als Hauptmittel, um solcher Krankheiten sich zu entledigen, zwischen zwei nahe aneinanderstehenden Bäumen, Felsen, durch eine Felsspalte hindurch sich zu drängen; je enger, desto besser, desto sicherer wird das elbische Geschoss, das winzige, unsichtbare, welches in der Haut des Erkrankten haftet, abgestreift. Jedoch auch durch den blossen Blick (»bösen Blick«, »elbischen Blick«) können sie Unheil über den Menschen bringen, der sie reizte.

Es gibt nur schöne Lichtelben, dagegen bald schöne, bald hässliche (»eislich getane«) Dunkelelben. Die Zwerge sind durch den dicken Kopf, die allzu kurzen Beine, den watschelnden Gang entstellt; oft haben sie Gänse- oder Krähenfüsse; und diese beschämende Ungestalt nächtlicher Gäste wird entdeckt, bestreut man Herd und Diele mit Asche; dann findet man am andern Morgen die Vogelfüsse abgedrückt. Aber das nehmen die (meist) wohltätigen Hausgeister sehr übel, und man verscheucht sie damit für immerdar. Auch die guten Schutzgeister eines Landes, einer Küstenstrecke waren, eben als Elben, leicht zu verscheuchen, zu erschrecken. Böse Feinde des Landes versuchten das durch »Neidstangen« zu bewirken; aber auch unabsichtlich konnten die Scheuen verschüchtert und vertrieben werden auf Nimmerwiederkehr durch plötzlich erschreckenden Anblick. Deshalb war es manchmal verboten, an den Schiffsschnäbeln Drachenköpfe oder andre Schreck einjagende Bilder von Ungetümen anzubringen, welche, wenn sie gegen die Küste heranfuhren, die guten »Landwichte« (zugleich Landwächter) leicht erschrecken und verscheuchen mochten.

Den Elben eignet manche den Menschen überlegene Weisheit und Kunst. Opfer werden ihnen dargebracht, ihre Gunst zu gewinnen oder zu erhalten, besonders auch, aber nicht allein, den Hausgeistern, welchen man Mehl und Salz auf dem Herde verstreut, einen Napf Milch hinstellt, wie man wohl auch den Feld- und Korn-geistern die letzten Baumfrüchte hängen, die letzten Ähren stehen lässt. Sie lieben die Musik; sie führen wunderbare Tänze im Mondenlicht auf; am Morgen findet man die Spuren dieses »Elfenreigens«, die »Elfringeln«, im tauigen Grase. Während sie nach heidnischer Auffassung, abgesehen von neckischem Mutwillen, den Menschen nur zur Strafe für Missachtung oder Kränkung schaden, hat das Mittelalter auch diese wohltätigen »Lieblinge« (Liufinger im Norden) in teuflische, schädliche, hässliche, die »guten Holdchen» in »Unholde« verwandelt; einzelne Elben nehmen freilich sogar der (späten) Sage nach das Christentum selbst an durch die Taufe.

Bei den Zwergen tritt mancher Zug hervor, der darauf hinweist, dass zwar keineswegs allein oder auch nur vorherrschend, aber doch auch neben natürlichen Bedeutungen ein Gegensatz der Volksart und der Bildungsstufe zu Grunde liegt; zum Teil haben die einwandernden Germanen in ihre Zwergenwelt aufgenommen vorgefundene, an Kraft, Wuchs und Sitte tiefer stehende (finnische?) Bevölkerungen, welche scheu vor den hochragenden Siegern zurückwichen, in die Wälder und Felshöhlen, in die von Wasser, von Seen und Flüssen umgebenen Zufluchtsstätten(Pfahlbauten) einer älteren Einwohnerschaft, welche, zwar ärmer und bildungsloser, aber mit besserem, d. h. älterem, Recht im Lande sitzt. Aus den Tiefen der Berge(Felshöhlen), aus den Teichen tönen die klagenden Lieder dieses aussterbenden Völkleins. Diese Leutchen sind ehrlich, ohne Falsch, sie essen nur einfache, ungekochte Speise, sie kennen kein Salz; die Kunst des Brotbackens zu erlernen, kommen sie an den Herd der germanischen Hausfrau; sie klagen über die Untreue und Arglistder ihnen weit überlegenen neuen Herren des Landes, vor denen sie verschwinden und aussterben müssen, etwa wie die Rothäute Amerikas vor den »Blassgesichtern« mit ihrem Feuergewehr und Feuerwasser. Sie wagen sich wohl manchmal noch – zumal junge Männlein und Weiblein – schüchtern aus ihrem Versteck im Wasser in das Dorf, teilzunehmen an dem Tanz um die Linde; und an Schönheit des Gesichts und an Feinheit der Tanzkunst übertreffen sie, z. B. »die drei Seejungfern«, dann weit die Menschen. Aber bevor die Sonne sinkt, müssen sie flüchtig verschwinden; der nasse Saum ihres Gewandes bekundet dann etwa ihren gewöhnlichen Aufenthalt – im Wasser, auf den Pfahlbauten – oder der Abdruck ihrer Schwanenfüsse, welche sie sorgfältig verbergen, verrät sie. Verspäten sie sich, so zerreisst sie wohl ihr Vater oder König und ein Blutfleck schwimmt auf der Wasserfläche. Aber manche haben auch mit Menschen Ehebündnisse geschlossen und Kinder gehabt, welche sie viele Jahre pflegen, bis sie plötzlich, etwa weil man, gegen das Gelübde, um ihre Herkunft fragte oder ihre Füsschen entdeckte oder ihr nächtliches Fest mit andern zu Besuch kommenden Geistern störte, wehklagend verschwinden auf Nimmerwiederkehr.

Einigermassen, aber auch nur zum Teil, hängt hiermit die Neigung der Zwerge zusammen, den Menschen zu stehlen, was die Zwerge selbst nicht zuwege bringen können; allerlei Backgerät, Braugerät (das sie wohl auch entleihen und dann stets treulich, oft zum Lohne mit Gold gefüllt, zurückbringen); denn sie sind »Meisterdiebe«: sie stehlen den brütenden Vöglein unvermerkt die Eier unter dem Leibe weg; ganz besonders aber stehlen sie Menschen selbst: Erwachsene, schöne Frauen, zumal aber Kinder aus der Wiege; – sie legen dann wohl ihre eignen hässlichen, dickköpfigen Säuglinge hinein, zum Tausch, zur Auswechslung (»Wechselbalg«) – oder auch vom Spielplatz, indem sie dieselben an sich locken, oder Kinder, die sich im Wald oder im dichten Korn des Weges verirrt haben, um so durch Vermählung mit den schönen und starkgliedrigen Menschen ihrer eignen verkrüppelten Zucht aufzuhelfen. Deshalb stehlen oder locken oder bitten sie wohl auch Menschenfrauen, welche gerade Kinder stillen, in ihre unterirdischen Höhlen, dort Zwergenkinder mit zu säugen.

Jedoch jene sozusagen ethnographische und geschichtliche Grundlage ist, wie bemerkt, nur sehr vereinzelt. Im wesentlichen haben die Zwerge eine Naturgrundlage. Und diese erklärt zum Teil auch das eben besprochene Kinderstehlen; das ertrunkene Kind ist von dem Wasserelb hinabgeholt, das im Wald verirrte, im dichten Korn bei heissem Mittagsommerbrand verschmachtete, das in dem Sumpf erstickte vom »Waldschratt«, von der »Kornmuhme«, vom »Roggenmütterlein«, von den »Moosmännlein« verlockt und getötet.

Es ist auch keineswegs immer auf jene Scheu der (finnischen?) Zwerge vor der germanischen Kultur zurückzuführen, dass diese Dunkelelben den Ackerbau, das Roden der Wälder, das Anlegen von Hüttenwerken hassen, fürchten, davor auswandernd entrinnen. Die Naturgrundlage dient zur Erklärung. Die im geheimen wirkenden und webenden Kräfte der Natur im Erdenschoss, in Wald und Berg wollen nicht vom Menschen verstört, nicht ihm dienstbar gemacht werden. Daher die Sagen, welche ungeheure Massen von unsichtbaren Auswanderern von dem Fährmann über den Strom setzen lassen; er hört nur ihre Stimmen, und sein Schiff droht unter der Last der unergreifbaren Fahrgäste zu sinken; oder man hört das Getrappel von vielen Tausenden kleiner Füsse über eine Brücke. Jedoch berührt sich diese Vorstellung mit dem Sagenkreis von der Unterwelt, über deren Ströme die Seelen der Abgeschiedenen, die Schatten, sich fahren lassen, weil Zwergenreich und Totenreich (unter der Erde) nahe aneinander grenzen.

Die Zwerge, stets im Schosse der Erde, in den Tiefen der Berge hausend, kennen alle Metallgänge und sind die besten, zauberkundigsten Schmiede. Zwerge, Iwaldis Söhne, hatten Odins Speer Gungnir, Freyrs Schiff Skidbladnir und Sifs goldenes Haar geschmiedet. Loki verwettete sein Haupt einem Zwerge, dass dessen Bruder nicht drei gleich köstliche Kleinode fertigen könne; aber obwohl Loki als Mücke den Gehilfen bei der Arbeit zweimal in die Hand stach, schuf dieser doch Frôs goldborstigen Eber und Odins Ring Draupnir und, obgleich er ihm bei dem dritten Werk sogar in das Auge stach, den Hammer Thors, der nur am Stiele etwas zu kurz geraten war, weil der Bläser einen Augenblick vor Schmerz gezuckt und innegehalten hatte an der Esse. Aber die Götter erklärten doch Loki der Wette verlustig, d. h. diese drei Kleinode den drei ersten gleichwertig.

Übrigens haben die Zwerge als unterirdische Geister mit den Riesen die Scheu vor dem Tageslicht gemein; ein Sonnenstrahl kann sie in Stein verwandeln. So überlistet Odin einen Zwerg in der Wette von Frag’ und Antwort, indem er ihn so lange beschäftigt, bis die Sonne in den Saal scheint und den allzu eifrigen und auf sein Wissen allzu eitlen Zwerg versteint. Auch zerspringt wohl der Zwerg beim Morgenlicht. Deshalb tragen sie auch Nebelhüte, Tarnkappen, welche sie vor allem vor dem Sonnenstrahl schützen, dann freilich auch unsichtbar und zauberstark machen, so dass, wer ihnen das Hütchen abschlägt, sie erblicken und bezwingen mag. Als Bewohner der Unterwelt sind die Zwerge Nachbarn Hels, der Totenfrau, und »bleich um die Nase) – wie Leichen –, oft Hels Boten, Menschen, die sterben sollen, abzuholen (ihr Berg ist oft geradezu die Unterwelt, d. h. das Reich der Toten). So wird Dietrich von Bern bald von einem schwarzen Ross, bald von einem Zwerg abgeholt bei seiner Entrückung. Auch statt des Rattenfängers von Hameln holt etwa ein Zwerg die Kinder ab und lockt sie in den Berg.

Vermöge ihrer Zauberkünste können sich Zwergenkönige sogar Riesen dienstbar machen. Denn die Welt der Zwerge ist in viele Königreiche gegliedert; solche zaubermächtige, reiche Zwerge waren Laurin, dessen Rosengarten mit seidener Schnur umhegt war; wer die Umfriedung verletzte, büsste mit dem linken Fuss und der rechten Hand. Andre Zwergenkönige herrschten über den Magnetberg im Lebermeer, im Harz (Giebich, ein Beiname Odins, der – um seiner Zauberkunst willen? – später von der verderbten Sage auch wohl als Zwergenkönig gedacht wird); Hans Heiling in Böhmen ist König der Berggeister; Rübezahl in Schlesien ist wohl slavisch, aber mit mancher Beimischung von Zügen aus Elben, Riesen und Zwergen.

Eine besondere Gruppe der Elben bilden die Wassergeister mannigfaltiger Benennung. »Mummel«, der Name der Wasserrosen, der Nymphäen, bezeichnet, wie Neck oder Nix, auch den männlichen Wassergeist (Mummelsee, Mümlingfluss), Nixe den weiblichen. Beide von hoher, eben von elbischer Schönheit, lieben es, im Wasser spielend den Oberleib der Sonne oder dem Mondlicht zu zeigen; sie strählen dabei ihr langes, goldenes, manchmal aber grünes Haar. Grün oder »eisern« sind auch ihre Zähne, die sie im Zorne blecken, grün ihr Hut oder rot ihre Mütze. Die Königin der Wassergeister ist (abgesehen von der Haffrau oder Ran, welche letztere riesisch, nicht elbisch, s. unten) Wachilde, die Ahnfrau Wittichs, welche diesen auf seiner Flucht vor Dietrich von Bern schützend in die Fluten aufnimmt (s. unten Heldensagen). Aber auch Holda (s. oben Frigga) empfängt die Ertrinkenden auf blumigen Wiesen, die im Grunde des Sees liegen.

Die Wassergeister besonders lieben leidenschaftlich Musik und Tanz; der schwedische Strom-Karl (Karl = Kerl = Mann) verlockt die Menschen durch bezaubernden Gesang; von seinem »Alb-leich« (Elben-Tanz-Weise) dürfen nur zehn Reihen gespielt werden; wollte man die elfte auch noch spielen, welche dem Nachtgeist eigen ist, würden Tische und Bänke, Greise und Grossmütter, ja die Kinder in der Wiege anheben und nicht mehr ablassen, zu tanzen.

In dem Feuer selbst lebende Geister gab es unsres Wissens nicht; wohl aber solche, welche das Feuer darstellten in seiner wohltätigen und in seiner verderblichen Macht. Die Flamme des Herdes war heilig; war sie doch von Göttern umschwebt und daher mit höherem Frieden auch von dem Volksrecht umhegt. Der sonst vom Rechte nicht geschützte fremde Gast, der Flüchtling, durfte wenigstens nach Gebot von Religion und Sitte nicht mehr von dem Hausherrn als rechtlos behandelt werden, nachdem es ihm gelungen, den Herd, der zugleich der älteste Altar, zu erreichen und zu umfassen. Auch die Verfolger durften ihn nicht von dieser Zufluchtsstätte hinwegreissen; wer diesen Herdfrieden, den gesteigerten Hausfrieden, brach, hatte erhöhte Busse dem Hauseigner zu entrichten. Das Herdfeuer, welches die Halle wärmt, die Speisen kocht oder brät, der Schmiedekunst dient, wird in hohen Ehren gehalten. Die Geister, welche das Feuer, übrigens auch das Erbfeuer, darstellen, tragen oft rotes Gewand, oder doch ein rotes Hütlein oder Mützlein. Nur etwa die Irrwische, Irrlichter sind manchmal unmittelbar als Feuergeister gedacht; aber sie werden doch auch wieder von der hüpfenden Flamme selbst unterschieden; diese Feuermännlein, Wiesenhüpferlein, Lüchtemännekens gelten manchmal als Seelen ungetauft verstorbener Kinder, besonders häufig aber als Seelen von Mark-Verrückern, d. h. Bauern, welche heimlich zum Schaden der Nachbarn die Grenzsteine verschoben haben (daher in Westfalen Schnatgänger, weil sie in der verschobenen angemassten Schnat = Furche gehen), auch wohl Feldmesser, welche, bestochen, das Gleiche gefrevelt. Sie müssen nun den glühenden Stein in der Hand tragen und schmerzlich fragen: »Wo setz’ ich ihn hin? Wo setz’ ich ihn hin?« Antwortet ihnen aber einer: »Wo du ihn hergenommen hast,« so sind sie erlöst. Aber auch Meineidige müssen nach ihrem Tode als Irrlichter oder feurige Männer umgehen: »Ick will nit spoken gohn« oder »Ick will nit glöhnig (glühend) gohn,« sagte der niederdeutsche Bauer, der ungerechten Gewinn oder die Zumutung eines gewagten Eides vor Gericht ablehnt. Ihre Namen »Tückebold« gehen auf ihre Tücke, »Huckebold« auf das elbische, neckische Aufspringen in den Nacken, »Tummeldink« auf ihr rasches Tummeln, ebenso »Fuchtelmännlein«. Dass sie als Elben gedacht sind (obzwar die verdammten Seelen als Gespenster erscheinen) bekundet noch ausdrücklich der Name: »Elblichter«.

Nicht in dem Feuer, aber an dem Feuer, neben dem Feuer des Herdes leben und wohnen die Hausgeister mannigfaltigster Art und Benennung, weil eben der Herd die heiligste Stätte, gleichsam der Kern des Hauses ist. Die Hausgeister heissen deshalb geradezu »Herdmännlein«; auf dem Herde, seinem Gesimse, waren Götter-Runen geritzt, Bilder der Götter, zumal aber der Hausgeister eingeritzt, eingebrannt, auch wohl, aus Bernstein, Ton oder Metall geformt, aufgestellt, welche Sitte an dem »Kamin« haftete und erst mit diesem verschwand.

An die Stelle des Herdes trat später der Ofen (gotisch auhns, also h für f; h entspricht dem g in lateinisch ignis, Feuer). Dabei erklärt sich nun, dass in so vielen Sagen und Märchen der unschuldig Verfolgte, der Unglückliche, dem die Menschen nicht zu seinem Rechte verhelfen wollen oder können, die echte Königstochter, welche von der falschen verdrängt ist, in äusserster Bedrängnis »dem Ofen ihre Not klagen«, worauf ihnen alsbald geholfen wird; es ist nicht ein neuzeitlicher, nüchterner Ofen, sondern der heilige Herd, an welchem gute Götter und helfende Geister wohnen, die auf solches Anrufen rettend eingreifen.

Andre Namen gehen darauf, dass die Geister, die Zwerge zumal, missgestaltet oder verkrüppelt erscheinen: Butze, Butzemann, d. h. ein im Wachstum zurückgebliebener, kleiner Stump, auch von Bäumen und Büschen, niederdeutsch Butte, Buttmann (dazu Puck). Erst später, als die Erwachsenen nicht mehr an diese Geister glaubten, vermummten sie selbst sich als solche Butzmänner, z. B. am Nikolaustag (daher auch Niss, Nissen und Klas aus Niko-laus Koboldnamen sind) als »Knecht Ruprecht«, Rüpel, die Kinder zu necken, zu erschrecken, zu warnen, zu strafen.

»Hütel«, »Hütchen« heissen sie wegen ihres unsichtbar machenden Hütchens (der Tarnkappe), »Gütel« (daraus später durch Volksdeutung: »das Jüdel«) in schmeichelnder Benennung, weil sie gute wohltätige Geister sind; als solche schützen sie die Kinder, falls solche ohne Aufsicht im Hause zurückgelassen sind, und spielen gern mit denselben, weshalb man ihnen, wie Milch und Brosamen, auch Spielzeug schenkt, zumal kleine Bogen und Pfeile, die echte Waffe von Elben.

Als Hausgeister, ähnlich wie Frigga, der Hausfrauen Schutzgöttin und Vorbild, belohnen und fördern sie fleissiges, treues, reinliches, strafen und quälen sie faules, ungetreues, unsauberes Gesinde; sie stossen der unachtsamen Magd den Melkkübel um, blasen ihr das Licht oder das Herdfeuer aus, zwicken und zwacken sie im Traum, drücken, »reiten« die Knechte als »Alb«. Daher können sie manchmal auch bloss als Plagegeister aufgefasst werden. Sie sind die Veranlasser des unerklärbaren Rumpelns, Polterns, Klopfens, das man zur Nacht zuweilen in alten Häusern vernimmt; daher ihre Namen Rumpelstilzlein, Poppelein (Poppeln = Pochen), Klöpferle, Bullermann. Schon deshalb, weil die Germanen in grauer Vorzeit nicht sesshaft Ackerbau betrieben, sondern die leichtgezimmerten Holzhütten gelegentlich abbrachen und, umherwandernd, meist von Viehzucht und Jagd lebten, waren diese Schutzgeister ursprünglich nicht an einen bestimmten Ort geknüpft, sondern nur an die Sippe, auf deren Wagen sie mit weiterzogen, bis sie in dem neu errichteten Hause gleich den Menschen wieder wohnhaft wurden. So nahmen die Norweger, da sie nach Island auswanderten, die Pfeiler, welche in der Halle der alten Heimat den Hochsitz überragt hatten und in welche der Götter oder der Hausgeister Bilder eingeschnitten waren, auf den Schiffen mit, liessen sie dicht vor der Küste schwimmen, landeten an der Stelle, wo diese führenden Zeichen ans Land trieben, erbauten in der Nähe die neue Halle und richteten die alten Hochsitzpfeiler in derselben wieder auf, so den alten Göttern und Hausgeistern abermals die wirkliche Stätte bereitend. Bekannt ist das Märchen von dem neckenden Hausgeist, dem der Bauer entweichen will: er verlässt das heimgesuchte Haus, packt alle Habe auf einen Wagen und fährt damit weit weg an das neuerbaute Haus; da springt der Poltergeist vom Wagen, hüpft über die Schwelle und ruft neckisch: »Ich bin schon da!« (»Ich sin all hier!«)

Auch wohl als Seelen Verstorbener, zumal etwa ermordeter Vorfahren, werden die Hausgeister bedacht (ähnlich wie die weisse Frau oder der in andern Schlössern oder Familien umgehende graue, braune, schwarze Mönch), welche dann der Erlösung durch unerschrockene Tat, durch ein schwer zu erratendes Wort bedürfen und als »dankbare Tote« solche Erlösung reich vergelten. In christlicher Zeit sind oft die Kobolde zu Teufeln geworden (wie Wotan); man kann sie zum Dienst erwerben durch Vertrag um den Preis des Seelenheils; dann verschaffen sie wohl ihrem Dienstherrn durch die Alraunwurzel oder durch einen Heckepfennig, der, wie der Ring Draupnir, stets sich mehrt, grossen Reichtum. In die Teufelund die Hexen des Mittelalters sind von Göttern, Göttinnen, weissen Frauen, Walküren, Elben; Hausgeistern, Riesen, Zwergen gar manche Züge übergegangen.

Ein abgeschlossenes Reich bildet Riesenheim; es hat an seiner Grenze einen Mark-Wart, der Riesen Hüter, Mark-Hüter, der, fröhlich die Harfe schlagend, auf dem Hügel Wachehält. Über ihm singt im Vogelholz ein schön roter Hahn.

Die Riesen, wenigstens einige von ihnen, waren, wie wir sahen, ursprünglich selbst Götter, die Götter einer einfacheren, roheren, noch wenig vergeistigten Zeit, in welcher die Verehrung der Naturgewalten: Gewitter, Wind, Meer, Feuer, aber allerdings stets in deren Beziehung auf den Menschen und sein Leben, dem noch sehr schlichten religiösen Bedürfnis genügten. Wie ja auch bei den Griechen die Titanen solche Naturgötter einfacherer Zeit waren und erst spät von den Olympiern gestürzt und aus der Herrschaft verdrängt wurden. Daher erklärt es sich, dass ein riesischer Donnergott Thrymr dem asischen Thor, ein riesischer Feuergott Utgardloki dem asischen Loki gegenübersteht.

Daher ist auch den Riesen, obzwar sie nun als Feinde der Götter und der Menschen, d. h. als die Naturgewalten nach ihrer schädlichen, verderblichen Wirkung gelten, noch gar mancher günstige, löbliche Zug verblieben, der nun freilich zu ihrer übrigen Art nicht recht passen will.

So sind die Riesen zwar einfältig, plump, roh; aber auch redlich, ehrlich, vertragstreu, während die schuldig gewordenen Asen mit dem erwachten Gedankenleben auch das Falsche, Treulose in sich aufgenommen haben. So eignet einzelnen Riesen (wie übrigens auch Zwergen) uralte Weisheit; die Vertrautheit mit der Natur, die Kenntnis ihres Wirkens und ihrer Erfolge liegt den reinen Naturgewalten noch näher als den arglistigen Asen. Sie leben friedlich untereinander, an Viehherden sich freuend; der Hunde, welche sie mit goldenem Halsband schmücken, der rabenschwarzen Rinder, der von der Weide brüllend heimgekehrten Kühe mit goldenen Hörnern, der Rosse, deren Mähnen sie strählen; darin spiegelt sich die Vorzeit der Germanen, da diese ganz überwiegend von Viehzucht lebten, noch nicht eifrig den Ackerbau trieben und noch nicht bei Sesshafter Ansiedlung, durch den Pflug, durch Brücken- und Wegebauten – die Werke Asathors – die uralte ehrwürdige Freiheit und Ungestörtheit der Erde antasteten.

Daraus erklärt sich, dass den Riesen in ältester Zeit Opfer dargebracht wurden, die Naturgewalten zu versöhnen oder gnädig gestimmt zu erhalten. Später freilich wird dies so gewendet, dass die Jungfrauen, die Königstöchter, die dem Riesen, dem Drachen jährlich dargebracht werden müssen als Opfer, damit er nicht Volk und Land verderbe, von den Göttern befreit werden, welche den Riesen erlegen und die furchtbaren Opfer damit abstellen. Jetzt, nachdem die Asen die Herrscher geworden, erscheinen die Riesen freilich ganz überwiegend als plump, ungeschlacht, roh, und bei leicht gereiztem Zorn furchtbar grausam; in solchem Riesenzorn, Riesenmut entwurzeln sie die stärksten Eichen, reissen Felsen aus der Erdeund schleudern sie gegen Götter und Menschen.

Dummdreist und prahlerisch pochen sie nun auf ihre blinde Kraft, welche aber in ihrer Unbehilflichkeit von Göttern und selbst von menschlichen Helden, etwa mittels überlegener (Zauber-) Waffen und durch Geist und Mut ganz regelmässig besiegt wird. Auf plumpen Sinnengenuss und die darauf folgende Trägheit gehen auch ihre Namen: Jötun, der Esser, Fresser, und Thurs, der Durster, Säufer.

Alle Elemente und Naturgewalten, welche den Menschen schaden können, sind nunmehr in Riesen dargestellt; daher gibt es Steinriesen, Bergriesen, Waldriesen.

Wir sahen, wie die dem menschlichen Ackerbau nichts gewährenden, vielmehr verderbliche Felsstürze herabschleudernden Steinberge recht eigentlich die Musterriesen und daher Hauptfeinde Thors sind, der ihnen mit Blitz und Regen die Häupter spaltet und zermürbt. Die Riesen wohnen also auf den höchsten Felsbergen und in Steinhöhlen (so Hyndla, die Hündin) der Berge; von Stein sind ihre Waffen, Keulen, Stangen, Schuhe, ja ihre Häupter und Herzen (s. oben Hrungnir), »Steinalt« heissen sie; oder »bergesalt«; »alt wie der Böhmerwald«, auch wie das Riesengebirge; – im Zusammenhang damit, dass das Steinalter eine unvordenklich frühe Zeit bedeutet, da die Menschheit noch nicht Erzgerät und Erzwaffen führten. Die Riesen müssen vor dem Ackerbau der Menschen aus dem Lande weichen; der Anbau löst das Gestein der Berge auf. Deshalb mahnt der alte Riese, dessen kleines Mädchen vom Berg niedergestiegen war und einen Bauer samt Rind und Pflug in der Schürze aus der Niederung mitgebracht hatte als Spielzeug: »Bring’s zurück, mein Töchterlein! Das ist von einem Geschlecht, das uns Riesen grossen Schaden tut; wir müssen vor ihnen einst das Land räumen, und sie werden an unsrer Seite hier wohnen.«

Die Berg-Riesengehen dann leicht in Waldriesen über; Waldunholde, wilde, nackte Männer, nur mit Laubbüscheln die Lenden bekleidet, ausgerissene Bäume als Waffe in den Händen, menschenfresserisch; es sind die Schrecknisse des Urwaldes in ihnen dargestellt. Witolf oder Widolf war ein solcher Waldriese; wenn alle Walen (d. h. weissagende Frauen) von ihnen abstammen, geht das schwerlich auf die geheimnisvoll flüsternden Schauer des tiefen Waldes, eher doch darauf, dass diese in einsamen Waldbergen, genauer in Höhlen, zu hausen pflegen. Dieses Wohnen gar vieler Riesen in Höhlen hat dann wohl dahin geführt, dass man Riesenheim geradezu in die Unterwelt verlegte; – die Walen sind oft tot und müssen erst wieder zum Leben geweckt werden; wie ja Hel, ursprünglich wohltätige Göttin, selbst zur riesischen Unholdin wird.Ferner Feuerriesen: die Söhne Muspels, des Holzverderbers (jetzt anders gedeutet), d. h. eben: des Feuers. Ihr König und Muspelheims Herr ist der furchtbare Surtur, der schwarze, der allverfinsternde Brandrauch (s. unten Götterdämmerung); aber auch Loki, den als schädliches Feuer der rein riesische Utgardloki gewissermassen wiederholt, tritt in dem letzten Kampf, nachdem er sich losgerissen von seinen Felsen- und Eisenbanden, als Feuerunhold gegen die Götter auf.

Zweifelhaft ist, ob Utgardloki derselbe ist, der auch Hâlogi (Hochlohe) heisst. Hâlogaland ist nach ihm benannt; er ist ein Sohn des Altriesen Forn-jotr, seine Gattin ist Glöd (die Glut); beider Töchter, Eisa und Eimyria (Asche und Glut-Asche) werden von zwei Jarlen, Wê-seti (Weihtums-Errichter) und Wifil (Weibnehmer) nach den Inseln Burgundarholm (Bornholm) und Wifil-ey entführt, d. h. die ersten Besiedler dieser Inseln bringen die heilige Herdflamme und die Ehe mit. Wesetis Sohn Bui bedeutet den Anbau des unbebauten Bodens. Eine andre Tochter Hâlogis, Thôrgerd Holgabrud (nordisch: Thorgerdhr Holgabrudhr), wurde wie ihr Vater durch Blutopfer und Gold- und Silbergaben in besonderen Tempeln verehrt, ebenso ihre Schwester Yrpa. Aber sie sind riesisch; deshalb ist ihrem Bruder Soti Odin feindlich, wie Thor das Gewitterfeuer in Geirröd bekämpft und die Feuerriesin Hyrrökin (s. unten Baldurs Bestattung) hasst.

Von den Wasserriesenist vor allen zu nennen die Midgardschlange, das kreisförmig um den Erdrand geschlungene Weltmeer, der Wurm, der sich selbst in den Schweif beisst. Sie ist Thors Hauptfeindin, denn immer »sucht sie Land«, d. h. trachtet sie die Dämme und Deiche zu überfluten, welche die Götter und die Menschen zum Schutze Midgards aufgerichtet haben; solche Überschwemmung vernichtet alles Bauland und alles Menschenleben.

Wir sahen, es gelang Thor nicht, das Ungeheuer zu erlegen; sie riss sich los, als er sie geangelt hatte. Zwar floh sie, schwer verwundet, in den tiefsten Grund des Meeres; aber dereinst wird sie, wieder heil und mutig, abermals »Riesenmut« annehmen und »Land suchen«. In sehr vielen Gegenden, in der Nähe von Seen, wirkt diese uralte Vorstellung nach; in dem Grunde des Sees liegt schlafend, wund, gefesselt ein furchtbarer Wurm, Drache, Fisch; am jüngsten Tage (christlich ausgedrückt), oder wenn Gottlosigkeit, Unglaube, Üppigkeit in der nahen Hauptstadt den äussersten Grad erreicht haben, wird sich der Drache losreissen, bei seinen gewaltigen Bewegungen tritt der See über die Ufer, und Wasser und Wurm verschlingen alles Leben in der sündhaften Stadt (so vom Walchensee und von München erzählt).

Ein riesischer König, ursprünglich riesischer Gott des Meeres ist Hlêr oder Ögir (wohl derselbe wie Gymir). Seine Gemahlin ist Ran; eine (selbst riesische) im Wasser hausende Todesgöttin, Hel ganz ähnlich, nur auf die durch Ertrinken Sterbenden beschränkt. Ihr Reich ist der Grund des Meeres (in diesem Sinne heisst sie auch wohl »Haf-frau«) und andrer Gewässer; hier hält sie die Seelen der Ertrunkenen fest, welche sie mit ihrem Netz aus Schiffen oder bei dem Baden oder im Schwimmen in die Tiefe zieht, hinabraubt (dem entspricht ihr Name, der »Raub«, rapina, bedeutet, daher heisst fara til Rânar, ertrinken [zur See], sitza at Rânar [sitzen in Rans Reich], ertrunken sein; Ran wäre althochdeutsch: Rahana, ähnlich wie Tanfana, Hludana). Die neun Töchter von Ögir und Ran bedeuten: »Wellen«, »Flut« und andre Erscheinungen der Gewässer.

Das Meer spielt bei allen Küsten- und Insel-Germanen eine so gewaltige Rolle, dass die die Wanen verehrenden Völker eines (wanischen) Meergottes nicht entraten mochten; er ist Niördr (aus Noatun), der Vertreter des friedlichen, der Schiffahrt diensamen, den Menschen wohltätigen Meeres. Aber auch mit Ögir pflegen die Asen Gastverkehr; alljährlich zur Zeit der Lein-Ernte (im September), wann mildere Winde (Beyggwir und Beyla) walten und die Schrecken des Meeres ruhen, besuchen die Götter Ögir in seiner Halle im Grunde der See, welche, in Ermangelung von Tageslicht, von Goldlicht (schwerlich doch Bernstein! Eher das Meerleuchten, welches dichterisch auf die vielen in der See versunkenen Schätze zurückgeführt wird) beleuchtet wird. Seine Diener heissen daher Funa-fengr (Feuer-fänger) und Eldir (Anzünder).

Ein Wasserriese ist auch jener Grendel, welchen Beowulf in seiner Jugend erlegt (s. unten Beowulflied). Er und seine noch furchtbarere Mutter (wie ja auch im mittelalterlichen Schwank des Teufels Frau, Mutter oder Grossmutter noch ärger erscheint als der Teufel) sind die Sturmfluten, welche im Frühling die Küsten der Nordsee (wo diese Sage entstand) bedrohen. In hohem Alter tötet Beowulf auch noch einen Drachen, der das Land verwüstet und ausraubt, sinkt aber selbst, auf den Tod verwundet, zusammen; es sind die Herbsthochfluten, welche die Ernte, den Reichtum des Landes, rauben wollen; Beowulf, alt geworden, stirbt, nachdem er auch diesem Feinde gewehrt. Ursprünglich war es der Sonnengott Freyr, der, im Frühling jung, im Spätherbst gealtert, jene Unholde bekämpft; erst später ward aus dem göttlichen Helden der halb-göttliche Beowulf.

Grosse Helden und Königsgeschlechter stammen oft von Meer-Riesen oder Meer-Elben ab, welche die am Strande wandelnden Königstöchter mit Gewalt sich zum Weibe genommen; wie Ortnit und Dietrich von Bern wird auch das geschichtliche Königshaus der salfränkischen Mero-vinge auf einen solchen Meer-wicht zurückgeleitet. Wieland der Schmied (s. diesen unten) war ein Sohn Wates, der im Gudrun-Lied als Heermeister der Hegelinge auftritt, ursprünglich aber ein Wasserriese war, durch dessen »Waten« die Wiederkehr von Flut und Ebbe bewirkt ward; er gilt als Sohn der Wasser-Minne (d. h. Elbin) Wâchilt; später ward er mit Christophorus, dem watenden Träger Christi, zusammengebracht. Ein andrer Meer-Riese ist der Gebieter der Walfische, welche er, als seine Eber, in das hohe Meer führt.

Wasser-Riesen, aber nicht Meer-Riesen, sondern Vertreter verderblicher Bergströme, welche in reissenden Wirbeln mit mehrfachen (z. B. acht) Armen Bauland, Gehöfte, Herden, Menschen verschlingen, sind Hergrim und Starkadr. Letzterer, »achthändig«, besiegt den schwächeren Giessbach Hergrim im Kampf um ein Mädchen, Alfa-sprengi, das Starkadr verlobt, aber von Hergrim mit ihrem Willen entführt war; nachdem Hergrim gefallen, tötete sie sich selbst, um nicht Starkadr anzugehören: »ein schimmernder Staubbach, um den sich zwei benachbarte Stromriesen zu streiten scheinen«. Starkadr riss alle fahrende Habe Hergrims an sich: »der mächtigere Strom reisst die Wasserschätze des Besiegten an sich«. – Auch den Sohn Hergrims und Alfasprengis nimmt er nun in seine Erziehung; einen aus der Vereinigung der beiden entsprungenen Bach reisst der stärkere Strom an sich. Starkadr raubte nun Alf-hild, die Tochter Königs Alfs von Alfheim (natürlich eine Elbin; abermals ein Gewässer? oder eine fruchtbare Flur?), ward aber von Thor getötet, indem ihn der Gott von einem Felsen stürzte; der dem Ackerbau höchst verderbliche Bergstrom wird durch den mittels Wasserbauten das Bauland schützenden Gott des Ackerbaues über einen Fels hinabgeleitet.

Winter-Riesen gar mannigfaltiger Art und Benennung zeigen uns recht deutlich, wie stark der im hohen Norden dem Menschen und seinem Leben und Wirtschaften so machtvoll widerstreitende Winter, dessen Besiegung durch den lichten warmen Frühlingsgott den Inhalt so vieler und der bedeutsamsten Sagen ausmacht, die Vorstellungen der Germanen, zumal eben der Nordgermanen, beschäftigte. Die Winter-Riesen sind Reif-Riesen, Hrim-thursen, wobei »Reif« für »Kälte«, »Frost« überhaupt steht; Ymir, der älteste aller Riesen, war ja aus Eisströmen erwachsen, er ist besonders der Reif-Riesen Ahnherr. Gar mancher Riesen Namen sind daher mit »Hrim«, Reif, zusammengesetzt. Gletscher dröhnen, wann der Winterriese Hymir eintritt; sein Kinnwald ist gefroren, der Pfeiler zerspringt vor seinem Blick, d. h. »die Kälte sprengt das Holz der Bäume« (Uhland).

Wie der Feuer-Riese und der Meer-Riese ist auch der Luft-Riese Kari ein Sohn des Alt-Riesen Forn-jotr. Die Luft, sofern sie den Menschen und ihrer Wirtschaft feindlich, ist riesisch; – sofern wohltätig und Ausdruck des Geistes, ist sie asisch und in Odin dargestellt. Die feindliche Luft erscheint aber einmal als Sturm (daher die zahlreichen Sturm-Riesen: Hräswelgr, Thiassi, Thrym, Beli); dann als Kälte, Winterluft; daher stammen von Kari als Winterluft Frosti, Jökull (Eisberg), Snôr (Schnee), Fönn (dichter Schnee), Drîfa (Schneegestöber), Miöll (feinster, glänzendster Schnee). Manche dieser Gestalten sind wohl blosse Gebilde der Skalden und ohne Wurzeln im Leben des Volks. Doch werden von einigen einzelne anmutige Sagen erzählt: König Snio (Schnee) von Dänemark wirbt um die junge Schwedenkönigin; heimlich flüstert sie mit seinem Boten, auf Wintersanfang verabreden sie geheime Begegnung. Frosti entführt Miöll, die »lichtgelockte« Tochter des Finnenkönigs Snär; er fasst sie unter dem Gürtel, rasch fahren sie im Winde dahin.

Thiassi war der Sohn Äl-waldis, des »Bier-Bringers«. Als dieser starb, teilten sich Thiassi und seine beiden Brüder Idi und Gângr in der Weise in das Erbe, dass jeder je einen Mund voll Goldes daraus nahm. Uhland hat dies so gedeutet: der Bierbringer ist der Regenwind, seine Schätze sind die Wolken; starb der Regenwind, teilen sich die übrigen späteren (d. h. jüngeren) Winde in die Wolken, sie teilen sie mit dem Munde, d. h. sie zerblasen sie. Der heute noch in unsrer Sprache lebenden »Windsbraut« liegt die Sage zu Grunde, dass ein stolzes Mädchen alle menschlichen Freier verschmähte – nur des Windes (d. h. keines) Braut wollte sie werden, hatte sie gelobt. Da nahm sie Odin bei dem Wort, drang des Nachts, die Fenster aufstossend, in ihr Schlafgemach, umfasste die zugleich vor Grauen und Wonne Erbebende und trug sie in seinem dunkeln Mantel weit nach Asgards goldenen Hügeln.

Nordische Mythologie und die Götter der Sagen: Die schönsten nordischen Sagen

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