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Spiritualität ist subjektiv

Es gibt zahlreiche Wege auf einen Berg. Und selbst wenn zwei Menschen denselben Weg auf den Gipfel wählen, so erleben sie ihn doch unterschiedlich: beschwerlich der eine, erholsam und entspannend der andere. Sieht der eine die Mühen des Aufstiegs vor sich, so genießt der andere mehr die Aussicht, oder er nimmt mit allen Sinnen die frische Luft, den Wind, den Duft des Bergwaldes in sich auf.

Es ist ein wichtiges Merkmal eines spirituellen Wegs, individuell verschieden zu sein. Deshalb lässt er sich auch nicht objektiv, sondern nur subjektiv beschreiben, weshalb der Leser in vielen Punkten gerne völlig anderer Meinung sein darf. Hier wird einer von zahlreichen gangbaren Wegen zur individuellen Entwicklung vorgestellt. Und dies bedeutet nun einmal, dass zwei Menschen im Allgemeinen nicht dasselbe erleben.

Sehen Sie das Buch als Angebot an, das Sie - wenn Sie wollen - annehmen können. Es weist Ihnen einen Weg zur spirituellen Entwicklung und gibt Ihnen das Rüstzeug an die Hand, diesen Weg zu gehen. Wie Sie dies tun, liegt allein in Ihrer Verantwortung.

Sich frei für seinen Weg entscheiden

So sollte das vorliegende Buch über schamanisches Heilen weitgehend als rein technische Instruktion verstanden werden. Schließlich kann es beispielsweise nicht Aufgabe eines Fahrlehrers sein, seinen Schülern nach bestandener Führerscheinprüfung nur bestimmte Reiseziele zu empfehlen. Es ist nicht seine Aufgabe, ihnen zu verbieten, ein Kriegsgebiet anzusteuern oder sie im Gegenzug dazu aufzufordern, ihren Wagen sonntags ausschließlich zur Kirche zu lenken. Denn gerade im Fahrtziel liegt die individuelle Entwicklung, die persönliche Entfaltung eines Lernenden.

Wer also von diesem Werk so etwas wie einen Reiseführer erwartet, der ihn an bestimmten Wegmarken vorbei sicher zu seinem spirituellen Ziel führt, wird nicht zufrieden gestellt werden. Doch bedenken Sie: Wer in die Fußstapfen eines anderen tritt - und sei es in die eines Gurus oder Meisters - der wird diesen niemals überholen können. Dieser Weg hat nur scheinbar Vorteile. Zumindest ist er bequemer als der hier beschriebene, denn man bekommt vorgeführt, was man zu erwarten hat. Am Ende einer langen vergeblichen Reise wird einen dann jedoch das Gefühl beschleichen, niemals selbst gelebt zu haben, sondern vielmehr gelebt worden zu sein.

Individuelle Lebenserfahrung schafft innere Sicherheit

Lebt man allerdings selbst und entscheidet sich eigenverantwortlich für seinen Weg, dann lernt man mit Hilfe eines Lehrers zwar die Art und Weise einer Fortbewegung, also beispielsweise das Autofahren. Man bestimmt aber seine Reiseziele letztlich allein. Zunächst mag einem das unsicher oder gar gefährlich scheinen, denn offenbar verzichtet man bewusst auf jede Vorgabe und jeden Halt. Wer weiß schon, ob der Weg, den man nach eigenem Gutdünken einschlägt, nicht direkt in die Wüste oder an den Rand eines Abgrunds führt? Doch nur so wächst Lebenserfahrung, nur so entsteht schließlich jene innere Sicherheit, die einem sagt: »Du bist - beinahe - jeder Situation gewachsen.« Erst dann hat die Angst vor dem Ungewissen keinen Platz mehr im Leben.

Schamanismus - wie er hier verstanden wird - hat nichts mit einer Abkehr vom Alltag zu tun. Im Gegenteil, es geht darum, ihn in das tägliche Leben zu integrieren. Dazu bedarf es auch einer bestimmten Geisteshaltung.

Schamanismus, ein spiritueller Weg

Der Leser mag sich fragen, was das bisher Gesagte mit Schamanismus zu tun hat. Nun, ich meine, das genau ist Schamanismus. Schamanismus heißt, das sichere Gespür dafür zu entwickeln, wohin ein Weg führt, bevor man ihn einschlägt. So bedeutet Schamanismus beispielsweise bei der Begegnung mit einem anderen Menschen, sofort zu wissen, wohin er in seinem Leben steuert. Vielleicht kann man ihm dann behutsam helfen, rechtzeitig einer Katastrophe auszuweichen oder einer körperlich und seelisch spürbaren Sackgasse zu entkommen. Nichts anderes bedeutet schamanisches Heilen.

Diese Aussagen lassen sich auch auf Zen-Buddhismus, Raja-Yoga oder die so genannte Transzendentale Meditation anwenden. Schamanismus ist nur ein Weg zum Gipfel des Bergs, sicher nicht der einzige und sicher nicht der richtige Weg für jeden. Entscheiden Sie selbst, welcher zu Ihnen passt, und gehen Sie ihn dann konsequent. Verfallen Sie aber nicht in den Fehler zahlreicher spirituell Suchender, die zeitlebens um den Berg herum gehen, um immer neue Wege kennen zu lernen. Diese beschreiten sie alle nur soweit, bis die ersten Hindernisse kommen. Danach gehen sie zurück und suchen einen vermeintlich leichteren Weg. So gelangt man nicht an sein Ziel.

Nicht wenige esoterisch bestimmte Zeitgenossen versuchen sogar das völlig Unmögliche: Sie wollen drei, vier oder mehr Wege gleichzeitig gehen, um auch ja nichts zu versäumen. Es ist müßig, darüber nachzudenken, wohin das führt.

Der Weg ist nicht das Ziel

Nicht zuletzt will dieses Buch so etwas wie eine Entscheidungshilfe sein: »Ist Schamanismus für mich der richtige Weg? Oder bin ich eher der meditative Typ, der Eremit?« Schamanismus ist zwar ein höchst individueller Weg, mit Sicherheit aber kein einsam in Zurückgezogenheit erlebter. Das macht ihn zuweilen sehr aufregend.

Im Übrigen weist er ebenso wenig ein bestimmtes Ziel wie jeder andere spirituelle Weg. Schamanismus ist ein Werkzeug für den spirituell Suchenden, wie beispielsweise Hammer, Zange oder Säge für den Handwerker. Nicht mehr und nicht weniger. Dieses Werk will den Gebrauch des Werkzeugs vermitteln.

Im Grunde genommen ist die Fähigkeit, Schamanismus zu praktizieren universell und damit jedem Menschen eigen. Diese Fähigkeit gilt es zu entdecken und zu entwickeln.

Den eigenen kulturellen Hintergrund mit einbeziehen

Wer bisher vielleicht glaubte, Schamanismus bedeute die Einweihung in geheimnisvolle spirituelle Rituale von indianischen Heilern, schwarzafrikanischen Medizinmännern oder asiatischen Zauberpriestern, der mag enttäuscht sein. Darum handelt es sich ganz gewiss nicht, auch wenn sich Indianer, Urwaldheiler und sibirische Magier schamanischer Praktiken zu ihren ureigenen Zwecken bedienen. Wir Europäer des 20. Jahrhunderts sind jedoch ein ganz anderer Menschenschlag mit einem anderen kulturellen Hintergrund und anderen Traditionen. Diese lassen sich kaum mit Urwaldritualen oder steinzeitlichem Denken in Einklang bringen. Es wäre daher reichlich naiv, wenn wir unseren schamanischen Weg darin suchten, gewissenhaft indianische Medizinradrituale, Schwitzhüttenzeremonien oder traditionelle Gebräuche australischer Ureinwohner nachzuvollziehen, in der irrigen Auffassung, uns dadurch spirituell entwickeln zu können.

Diese Idee ist im Grund genau so aberwitzig wie die Vorstellung, ein afrikanischer Buschmann würde zur Weihnachtszeit gemäß des überlieferten europäischen Rituals einen Tannenbaum schmücken und vor diesem ein fremdsprachiges Weihnachtslied anstimmen. Was hierzulande Kinderaugen zum Leuchten bringt, Familienbande festigt und als Symbol einer segensreichen Zeit verstanden wird, wäre für den Buschmann nichts als ein fremdartiger, farbenfroher, aber sinnloser Brauch, der für ihn gewiss keine spirituelle Entwicklung einleiten kann.

Sie meinen, dieses Beispiel sei übertrieben? Was macht denn ein Europäer anderes, wenn er ein indianisches Schwitzhüttenritual zum Zweck innerer spiritueller Reinigung abhält? Dabei befürchtet er vielleicht sogar, die ganze Mühe sei umsonst, weil er vergessen hat, ob er dabei 21 oder 22 Ahnen- oder Naturgeister anrufen soll und nicht weiß, ob er sie auch in der korrekten hierarchischen Reihenfolge aufgesagt hat. Inwiefern benimmt sich ein Europäer, der täglich 100-mal ein buddhistisches Mantra hersagt, das ihm ein indischer Guru zur Erlangung seiner spirituellen Entwicklung verkaufte, anders als ein den Weihnachtsbaum umher tanzender Buschmann?

Dass die Kulte und Rituale fremder Kulturen auf Menschen, die durch westliches Denken geprägt sind, eine große Faszination ausüben können, steht außer Frage. Problematisch wird das Ganze, wenn man meint, es sei damit getan, diese einfach zu übernehmen.

Ethnische Wurzeln respektieren

Einen Leitfaden zum minutiösen Nacherleben magischer Eingeborenenkulte wird der Leser daher hier nicht finden. Allerdings bin ich mir durchaus bewusst, dass all diese Ausprägungen schamanischer Rituale heute sowohl gut meinend wie auch aus kommerziellen Gründen in Büchern und in Seminaren vielerorts unter dem einen Sammelbegriff »Schamanismus« angeboten werden.

Und das ist nicht einmal zu kritisieren, denn wo die Nachfrage besteht, gibt es auch ein entsprechendes Angebot. Und niemand kann bestreiten, dass es auf dieser Welt tatsächlich Schamanen gibt, die Schwitzhüttenrituale abhalten und daraus ihren spirituellen Gewinn ziehen.

Schamanismus im Einklang mit der eigenen Kultur

Ich bin davon überzeugt, dass das pure Nachahmen uns kulturell fremder ritueller Praktiken zu keiner Selbstverwirklichung führen kann. Auch ist kaum zu vermuten, dass wir uns durch das Erleben dieser kultischen Handlungen zu Indianern, Schwarzafrikanern oder Zentralasiaten wandeln. Was also sollten diese Praktiken für einen Zweck haben, wenn nicht jenen, für uns neue, fremdartige Abhängigkeiten zu schaffen, mit denen wir nie gelernt haben umzugehen.

Dass sich Schamanismus auch ohne exotisch anmutende Eingeborenenrituale durchaus Gewinn bringend und bereichernd für jeden von uns im alltäglichen Leben praktizieren lässt, dass er darüber hinaus auch im Einklang mit der modernen Naturwissenschaft steht, dies möchte das vorliegende Heilbuch der Schamanen vermitteln.

Felix R. Paturi

Heilbuch der Schamanen

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