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DRITTES BUCH: AMALASWINTHA FÜNFTES KAPITEL
ОглавлениеInzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderichs Streitroß, die Heimat und die Herrin erkennend, und schlug freudig mit dem langen, wallenden Schweif.
Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben. »Mein liebes Weib!« sprach er, sie herzlich umarmend. »Mein Witichis!« flüsterte sie, an seiner Brust erglühend, entgegen, »willkommen bei den Deinen.« — »Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen, schwer ging’s —«
»Aber du hieltst Wort wie immer.« — »Mich zog das Herz«, sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. »Dir, Athalwin, ist scheint’s Wallada wichtiger als der Vater«, lächelte er dem Kleinen zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte.
»Nein, Vater, aber gib mir noch die Lanze dazu — so gut wird mir’s selten hier in dem Bauernleben« — und den langen schweren Speerschaft mit Mühe einherschleppend, rief er laut: »He, Wachis, Ansbrand, der Vater hat Durst vom scharfen Ritt.«
Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorüber und voran eilte. »Nun, und wie steht’s hier draußen bei euch?« fragte er, auf Rauthgundis blickend. »Gut, Witichis, die Ernte ist glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.« — »Nicht danach frag’ ich«, sagte er, sie zärtlich an sich drückend, — »wie geht es dir?« — »Wie’s einem armen Weibe geht«, antwortete sie, zu ihm aufblickend, »das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk’ ich, wie arg du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk’ ich dann, kommt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden.
Und das ist’s, sieh, was mir all die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt.«
»Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?«
»Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das tut mir weh.« Witichis blieb stehen. »Wer wagt’s, dir wehzutun?« — »Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn.
Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fürchten. Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiß, und die römischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte sind brav.«
Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und ließen in dem Säulengang sich vor einem Marmortisch nieder. »Du mußt bedenken«, sagte Witichis, »der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner Sklaven an uns abtreten müssen.« — »Und hat zwei Drittel behalten und das Leben dazu — er sollte Gott danken!« meinte Rauthgundis verächtlich.
Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Äpfeln, die er vom Baum gepflückt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein, Fleisch und Käse, und sie grüßten den Herrn mit freimütigem Handschlag. »Gut, meine Kinder, seid gegrüßt. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken Davus, Cacus und die andern?« — »Verzeih, Herr«, schmunzelte Wachis, »sie haben ein schlecht Gewissen.«
»Warum? Weshalb?« — »Ei, ich glaube, weil ich sie ein bißchen geprügelt habe — sie schämen sich.« Die andern Knechte lachten. »Nun, es kann ihnen nicht schaden«, meinte Witichis, »geht zu eurem Essen. Morgen seh’ ich nach eurer Arbeit.« Die Knechte gingen. »Was ist’s mit Calpurnius«, fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis errötete und besann sich: »Das Heu von der Bergwiese«, sagte sie dann, »das unsre Knechte gemäht, hat er nachts in seine Scheuer geschafft und gibt es nicht heraus.« — »Er wird es schon herausgeben, mein’ ich...« sagte er ruhig, trinkend. — »Jawohl«, rief Athalwin lebhaft, »das mein’ ich auch. Und gibt er’s nicht mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an, und ich zieh’ hinüber mit Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer so giftig an, der schwarze Schleicher.«
Rauthgundis wies ihn zur Ruh’ und schickte ihn schlafen. »Wohl, ich gehe«, sagte er, »aber, Vater, wenn du wiederkommst, bringst du mir statt dieses Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?« Und er hüpfte ins Haus.
»Der Streit mit diesen Welschen endet nie«, sagte Witichis, »er vererbt sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruß damit. Desto lieber wirst du tun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof.«
Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: »Du scherzest!« sagte sie, ungläubig. »Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin, ist dir’s nie eingefallen, mich an den Hof zu führen. Ich glaube, es weiß niemand in dem Volk, daß eine Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe geheimgehalten«, lächelte sie, »wie eine Schuld.« — »Wie einen Schatz«, sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. — »Ich habe dich nie gefragt, warum. Ich war und bin glücklich dabei und dachte und denke: er wird wohl seinen Grund haben.«
»Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam König Theoderich auf den seltsamen Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thüringerkönigs, zu vermählen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz bedurfte.« — »Du solltest dort die Krone tragen?« sprach Rauthgundis mit strahlenden Augen. — »Mir aber«, fuhr Witichis fort, »war Rauthgundis lieber als Königin und Krone, und ich sagte nein.
Es verdroß ihn schwer, und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich würde wohl niemals freien. Konnt’ ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu nennen: du weißt, wie lange dein Vater mißtrauisch und eisern dich mir nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt ich’s nicht für wohlgetan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine Schwester ausgeschlagen.«
»Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang»«
»Weil«, sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, »weil’ ich meine Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, wunder was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot, und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiß, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser Säulen, im Frieden dieses Daches.«
Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfekten, und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hörte ihn Rauthgundis an; dann drückte sie ihm die Hand: »Das ist wacker, Witichis, daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk’ ich, als sonst.«
»Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei stehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk, war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene.«
»Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das nie ein.«
»Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.«
»Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.«
»Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.«
»Nein, Witichis«, sagte sie ruhig, aufstehend, »der Hof paßt nicht für mich. Und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern Kind und gar unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken«, lachte sie, »und diese rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt’ ich zu den feinen Römerinnen, und wenig Ehre würdest du haben von mir.«
»Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?« — »Nein, Witichis, zu gut.« — »Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen lernen.« — »Das würd’ ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich würd’ ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß sie hohl, falsch und schlecht sind.«
»So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondelang?« — »Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis«, sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, »denk’ nur, wer ich bin, und wie du mich gefunden.
Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolkes den Saum der Alpen umgürten, hoch auf den Felsschroffen der Scaranzia, wo die junge Isara schäumend aus den Steinklüften ins offene Land der Bajuwaren bricht, da steht meines Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt’ ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter, und den Bruder haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder Wein in der Talschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drüben überm breiten Önus. Und daß ich wohl auch wissen möchte, wie’s aussieht über dem Karwendel. Oder gar drüben, hinter dem Brennusberg, wo der Bruder hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fühlte ich, wie schön es sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst, und wo ich prächtige Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene, und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stalltür heulen hörte und mit dem Kienbrand scheuchte.
Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier spannen, wann der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseits der nächsten Wälder, nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben.
Da kamest du — ich weiß es noch wie heute« — und sie hielt an, in Erinnerung verloren.
»Ich weiß es auch noch genau«, sagte Witichis. »Ich führte eine Hundertschaft zur Ablösung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus — ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwülen Sommertag pfadlos umhergeirrt — da sah ich Rauch aufsteigen überm Tannenhang, und bald fand ich das versteckte Gehöft und trat ins Tor: da stand ein prächtig Mädchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer.«
»Und ich erschrak siedheiß — zum erstenmal in meinem Leben! als der große, bräunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem funkelnden Helm.«
«Ja, du wurdest blutrot bis in die Schläfe, und ich bat dich um einen Trunk Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schöner Bild gesehen, als wie du dich niederbeugtest und mit den kräftigen Armen den schweren Eimer auf den Brunnenrand hobst und mir schöpftest in dem Kürbiskrug: reich fielen die dichten goldbraunen Zöpfe übers schwarze Mieder bis in die Knie, und deine Wangen waren pfirsichgleich: o wie wacker, frisch und blühend sahst du aus. Und wie wacker, frisch und blühend bist du mir geblieben seither alle Zeit.«
»Und darum, mein Witichis, auf daß ich dir blühend bleibe, führe mich nicht an den Hof. Sieh, hier schon im Tal, im Südtal der Alpen, wird mir’s oft zu schwül, und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemächern — da würd’ ich dir verkümmern und verschmachten. Laß du mich hier — ich will schon fertig werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiß ich ja, du denkst auch im Königssaal nach Haus an Weib und Kind.«
»Ja, weiß Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier, und Gott behüte dich, mein gutes Weib.« —
Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurück, die Waldhöhe hinan. Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck des Gefühls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern’gen Weib und seinem Knaben!
Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich’s durchaus nicht hatte nehmen lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Plötzlich ritt er zu ihm hinan. »Herr«, sagte er, »ich weiß was.« — »So? Warum sagst du’s nicht?« — »Weil mich noch niemand darum gefragt hat.« — »Nun, ich frage dich drum.« — »Ja, wenn man gefragt ist, muß man freilich reden. Die Frau hat dir gesagt, daß Calpurnius so ein böser Nachbar ist?« — »Ja. Und was soll’s damit?« — »Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?«
»Nein. Weißt du, seit wann?« — »Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen Mittagsschlaf.«
»Der Faulpelz warst du.«
»Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau.«
»Was sagte er?«
»Das hab ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, daß es patschte. Das hab’ ich verstanden. Und seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar, und das wollt’ ich dir sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht ärgern wollen mit dem Wicht.
Aber es ist doch besser, du weißt darum. Und sieh, da steht Calpurnius gerade unter seiner Hoftür — siehst du, dort — und jetzt fahr’ wohl, lieber Herr.«
Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause.
Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Tür seines Nachbarn, dieser wollte sich ins Haus drücken, aber Witichis rief ihn in einem Ton, daß er bleiben mußte.
»Was willst du mir, Nachbar Witichis«, sagte er, blinzelnd zu ihm aufsehend.
Witichis zog den Zügel an und schob sein Roß dicht neben jenen. Dann streckte er ihm die geballte erzgepanzerte Faust hart vor die Augen: »Nachbar Calpurnius«, sagte er ruhig, »wenn ich dir einmal ins Gesicht schlage, stehst du nie wieder auf.«
Calpurnius fuhr erschrocken zurück.
Witichis aber gab seinem Rosse den Sporen und ritt stolz und langsam seines Weges.