Читать книгу Denn das Blut ist das Leben - Francis Marion Crawford - Страница 3
Einleitung: Francis Marion Crawford – Leben und Werk
ОглавлениеEr zählte zu den meistgelesenen amerikanischen Schriftstellern seiner Zeit; heutzutage sind seine Romane weitgehend vergessen. Doch Kennern der Fantastik ist sein Name immer noch geläufig und seine Horrorgeschichten gelten mittlerweile als Klassiker des Genres.
Francis Marion Crawford wurde am 2. August 1854 im italienischen Bagni di Lucca geboren. Ein starker künstlerischer Zug prägte die Familie: sein Vater Thomas Crawford war Bildhauer (ein Schüler Thorvaldsens), seine Tante Julia Howe Ward eine prominente Dichterin und Frauenrechtlerin. Auch zwei seiner Schwestern – Mary Crawford Fraser und Anne Crawford von Rabe – sowie die beiden Cousinen Laura Elizabeth und Maud Howe erlangten als Autorinnen Bekanntheit.
Thomas Crawford starb, als sein Sohn erst drei Jahre alt war. Die Familie blieb zunächst in Rom, wo Francis Marion seine Schullaufbahn begann; weitere Stationen seiner schulischen und universitären Ausbildung waren die USA, England und Deutschland. 1879 ging Crawford nach Indien, um dort Sanskrit zu studieren. Nachdem er in Europa und Amerika bereits ein wenig journalistisch gearbeitet hatte, wurde er in Allahabad Herausgeber des Indian Herald, aber bereits nach einem Jahr gab er im Streit mit dem Besitzer der Zeitung die Stelle wieder auf. Crawford kehrte in die USA zurück, setzte seine Gelegenheitsarbeiten im Journalismus fort, scheiterte mit dem Plan, Lehrer für Sanskrit zu werden, und musste auch die Idee, eine Karriere als professioneller Sänger zu starten, aufgeben. Unschlüssig über seinen weiteren Lebensweg (er überlegte sogar, in die Politik zu gehen), ließ er sich von seinem Onkel den Rat geben, doch ein Buch über seine Erlebnisse in Indien zu schreiben. Der Anregung folgend verfasste er in rasantem Tempo seinen ersten Roman Mr. Isaacs: A Tale of Modern India (1882) und erzielte damit gleich hohen Zuspruch beim Lesepublikum. Es folgten über 40 weitere Romane und einige andere Werke, beispielsweise Sachbücher zur Geschichte Roms oder ein Theaterstück für Sarah Bernhardt (mit ihr 1902 in Paris uraufgeführt).
Entgegen dem Trend seiner Zeit zu Naturalismus und psychologischer Analyse strebte Crawford eine Verbindung von „realistischen“ und „romantischen“ Elementen an. Seine Romane (er nannte sie auch „Taschentheater“) sollten in erster Linie unterhaltsam sein – mit spannenden, mitunter abenteuerlichen Handlungen, sympathischen Protagonisten und keiner Scheu vor Melodramatik -, das aber in intelligenten, fein abgewogenen Kompositionen. Crawfords Stärken liegen vornehmlich in packenden Schilderungen und der Fähigkeit, den Plot (mag der an sich auch nicht bemerkenswert sein) souverän fließen zu lassen. Mit wenigen Strichen evoziert er plastische Szenerien, ohne sich in Details zu verlieren, und sein Stil erreicht immer wieder eine hohe Poesie. Geschätzt hat das Publikum vor allem seine an „exotischen“ Schauplätzen spielenden Geschichten, beispielsweise die vierbändige Saracinesca-Reihe (1887-1897), die das Schicksal einer zeitgenössischen römischen Familie über zwei Generationen schildert. (Der letzte Band, Corleone, greift als eines der ersten literarischen Werke überhaupt das Thema „Mafia“ auf.) Dagegen erwiesen sich Crawfords in den USA angesiedelten Romane als weniger erfolgreich. Insgesamt aber fanden seine Werke großen Beifall, wenn auch nicht immer von der literarischen Kritik; doch auch die schärfsten Kritiker mussten widerwillig sein erzählerisches Talent anerkennen.
Der anhaltende finanzielle Erfolg ermöglichte Crawford zahlreiche Reisen und einen generell aufwendigen, geradezu aristokratischen Lebensstil. 1887 schließlich, inzwischen verheiratet und Vater zweier Kinder, kaufte er in der Nähe von Sorrent (am Golf von Neapel) eine Villa, um sich dauerhaft niederzulassen. Am Karfreitag (9.April) 1909 starb er dort an den Spätfolgen eines Gasunfalls, den er fast ein Jahrzehnt zuvor bei der Besichtigung eines Glasschmelz-Werkes in Colorado erlitten hatte. (Der Besuch hatte der Recherche für einen Roman gedient.) Nach seinem Tod nahm Crawfords Popularität rasch ab. Die neue Zeit fand nicht mehr recht Geschmack an seinen Werken, die aus einer optimistischeren Epoche stammten. Mag sein, dass den Lesern seine Helden nun ein Stück zu idealisiert waren; mag sein, dass der ebenso zuversichtliche wie kosmopolitische Geist seiner Romane einer durch den Ersten Weltkrieg erschütterten Gesellschaft bestenfalls antiquiert erschien – jedenfalls geriet Crawford fast gänzlich ins Vergessen. Allein der „fantastische“ Teil seines Oeuvres sicherte sein literarisches Überleben.
Zumindest fantastische Versatzstücke tauchen in einigen seiner Romane auf, etwa indischer Mystizismus in seinem Debüt oder religiöse Wundererscheinungen in dem pseudo-historischen Zoroaster (1885). Khaled: A Tale of Arabia (1891), Crawfords Favorit unter den eigenen Büchern, erzählt die Geschichte eines Dschinns, der einen sterblichen Körper erhält, aber um auch eine unsterbliche Seele zu empfangen, die Liebe der Königstochter Zehowa gewinnen muss. Freilich enthält der Roman, der vor allem durch seine poetische Sprache fesselt, abgesehen von dieser Ausgangslage keine weiteren übernatürlichen Elemente. Allein The Witch of Prague (Die Hexe von Prag, ebenfalls 1891), in dem Crawford das Modethema „Hypnotismus“ aufnimmt, bietet durchgehende Fantastik. Leider weist der Roman ebenfalls zahlreiche überlange Dialoge und monologische Reflexionen auf, was ihn, ganz untypisch für ein Crawford-Werk, zu einer eher mühsamen Lektüre macht. Aber es sind ohnehin nicht die (mehr oder weniger) fantastischen Romane, die den Zahn der Zeit überdauert haben (obgleich Khaled es Anfang der 1970er Jahre in Lin Carters bekannte Ballantine Adult Fantasy-Serie schaffte), sondern seine Handvoll Horrorgeschichten, bezeichnenderweise der wohl „dunkelste“ Teil seines Schaffens.
Crawford selbst scheint ihnen keine große Bedeutung beigemessen zu haben. Das wenige, was er in diesem Genre schrieb, erschien in gesammelter Form erst posthum 1911, in den USA unter dem Titel Wandering Ghosts, in Großbritannien als Uncanny Tales. (Dabei wurde eine Erzählung, nämlich „The King's Messenger“ von 1907, komplett übersehen.) Es dauerte bis in die 1990er Jahre, ehe es zu einer vollständigen Neuauflage kam, aber einzelne der Stories waren auch zuvor immer wieder in Anthologien aufgenommen worden und hatten so Crawfords Namen nie ganz in Vergessenheit geraten lassen.
Eine komplette deutsche Ausgabe der Wandering Ghosts harrt immer noch der Veröffentlichung. Vorliegende Auswahl präsentiert mit vier der ursprünglich sieben (mit „The King's Messenger“ acht) Geschichten etwa die Hälfte der Sammlung (der andere Teil ist in Vorbereitung). Den Auftakt macht „Die obere Koje“ („The Upper Berth“, 1886), vielleicht die bekannteste fantastische Erzählung des Autors, nicht zuletzt weil H.P. Lovecraft sie als dessen „Meisterwerk und eine der eindrucksvollsten Horrorgeschichten in der Literatur überhaupt“ rühmte. Auch „Denn das Blut ist das Leben“ („For the Blood is the Life“, 1905) zählt zu Crawfords prominentesten Erzählungen. Das ist nicht allein dem starken Titel geschuldet, sondern auch der meisterhaften Skizzierung des ebenso harschen wie pittoresken süditalienischen Schauplatzes und den annähernd lyrischen Passagen dieser düster-romantischen Vampirgeschichte. „Der kreischende Schädel“ („The Screaming Skull“, 1908) – eine eindringliche Warnung vor dem allzu sorglosen Umgang mit makaberen Anekdoten - wurde dagegen weniger beachtet, muss sich aber nicht zuletzt dank des raffiniert inszenierten Schwankens des Protagonisten zwischen Akzeptanz und Leugnung der ihn heimsuchenden übernatürlichen Ereignissen keineswegs hinter ihren Schwestern verstecken. Den Abschluss bildet „Der Puppengeist“ („The Doll's Ghost“). Es ist, das sei zugegeben, eine durchaus rührselige Geschichte, doch wie so oft, wenn Crawford sich auf solches Terrain wagt, versteht er es hier, das Sentimentale mit sanfter Ironie zu ergänzen und abzuschwächen. Und in dem virtuosen Spannungsaufbau beweist sich Crawford einmal mehr als begnadeter Erzähler, der längst auch dem deutschen Leser ins Gedächtnis zurückgerufen zu werden verdient.
Thomas Jeenicke