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24.09.2017

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Joe Biden bringt sich in Stellung. Am 1. Februar hat er an der Penn State den Vorsitz des Biden Center for Diplomacy and Global Engagement übernommen, und nur wenige Tage später hat er an der University of Delaware das Joseph R. Biden Jr. Institute for Public Policy and Administration gegründet. Klingt sperrig, ist aber in Bidens Augen notwendig, um ihm die Tür zum Weißen Haus aufzusperren. Denn da will er rein. Obwohl er kaum raus ist aus der Regierung. Aber die Sache ist langfristig angelegt, sowohl was die Institute, als auch was seinen Weg ins Oval Office betrifft. Die beiden Institute – das eine außenpolitisch ausgerichtet, das andere nach Innen gedreht – haben dabei jeweils eine Doppelfunktion: Einerseits fungieren sie als eine Art Think-Tank, der Biden Ideen und Konzepte für seine – dann sicherlich letzte – Präsidentschaftskandidatur liefert, und andererseits bieten sie ihm eine Plattform, mit der er nach außen treten und seine Positionen publik machen kann. Das hat er auch Anfang der Woche wieder getan, als er auf dem Blog seines Delaware-Instituts einen Text über die Zukunft der Arbeit veröffentlicht hat. Der Inhalt ist nicht sonderlich originell, aber das muss er auch nicht. Der Text soll schließlich keinen Essaypreis gewinnen, sondern eine Aufgabe erfüllen, und die besteht darin, Bidens politische Position deutlich zu machen und sich zugleich abzugrenzen, und zwar von Donald Trump ebenso wie von Bernie Sanders, die er beide als Populisten betrachtet. (Auch wenn Biden das mit Blick auf Sanders natürlich nicht offen sagt.) In seinem Text wendet sich Biden jedenfalls gegen das Grundeinkommen und ein zu wohlfahrtsstaatlich orientiertes Amerika. Biden redet lieber von Chancen und Möglichkeiten als von irgendwelchen Hilfsprogrammen. Ohnehin pflegt Biden einen reichlich traditionellen Arbeitsbegriff, der den Job nicht nur an den Paycheck, sondern auch an die Würde der Arbeit an sich (zurück-)bindet. Arbeit bedeutet für Biden Sinnstiftung und Gemeinschaftsgefühl, Selbstverwirklichung für den Einzelnen und Fortschritt für alle. Irgendwelche ökonomischen Postwachstums-Szenarien sind mit Good Old Joe jedenfalls nicht zu machen. Degrowth ist für ihn ein Zauderwort, das das gute alte Zauberwort namens Wachstum nicht ersetzen kann und auch nicht ersetzen wird. Überhaupt spricht sich Biden dagegen aus, die (amerikanischen) Großunternehmen auf die Anklagebank zu setzen und sie für die Probleme des Landes verantwortlich zu machen – eine nur halb versteckte Kampfansage an Bernie Sanders und seine linken Kumpanen. Aber auch Trump wird von Biden attackiert, wobei er dafür nicht den institutseigenen Blog, sondern die deutlich größere Reichweite der New York Times nutzt, um in einem Meinungsbeitrag die Außenpolitik der Trump-Administration als unvereinbar mit den Werten Amerikas zu beschreiben. Altgediente Verbündete wie Deutschland würden, so Biden, am langen Arm verhungern, während Autokraten wie Putin hofiert würden. Aber auch Trumps wirtschaftspolitischer Blick auf die Welt erscheint in Bidens Augen extrem verengt. Statt Offenheit, so Biden, regiere Abschottung, statt internationaler Verträge der Nationalismus.

Wie gesagt, dass alles ist weder neu noch besonders originell, und die Zeit, die ich mit dem Lesen von Bidens Texten verbracht habe, wäre normalerweise unter der Kategorie »verdaddelt« verbucht worden, wäre mir beim Lesen nicht der Gedanke gekommen, wie es wohl aussehen muss, wenn sich Donald Trump im Oval Office an den Schreibtisch setzt, um einen Text über seine arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu verfassen oder einen Meinungsbeitrag für die New York Times zu schreiben. Offen gesagt, sieht das – zumindest in meinem Kopf – ziemlich seltsam aus. Das heißt, es sieht eigentlich gar nicht aus, denn ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Eher kommt Monica Lewinsky nochmal unterm Schreibtisch hervor, als dass sich Trump oben auf der Platte ne Platte macht, wie er seine Politik in Textform sachgerecht erklären kann. Dass sich Trump hinsetzt, nachdenkt und schreibend eine Reihe sinnvoller Sätze aufs präsidiale Papier spult, ist ein Bild, das nur um den Preis einer offenkundig schlechten Satire zu haben ist. Und dass Trump einen seitenlangen Texte in die Tastatur hämmert, ebenso. Andererseits, Trump muss auch keine politischen Programmpapiere verfassen. Das hat er noch nie getan und das wird er auch nicht tun. Und kann es auch nicht. So fest seine Gesinnung auch ist, eine Manifest wird niemals daraus. Wie auch? Trumps Sprache ist die gesprochene, nicht die geschriebene Sprache. Und die genügt ihm. Denn mit der gewinnt er nicht nur Leute, sondern auch die Aufmerksamkeit. Und zwar über die Welt des Politisch-Administrativen hinaus. Das heißt: gerade über diese Welt hinaus. Allein die Tatsache, dass Trump in Dutzenden Hip-Hop-Songs vorkommt (und Biden vermutlich in keinem) bestätigt das. Und das ist nicht erst so, seit Trump Präsident ist. Trump tauche bereits Ende der 1980er-Jahre in Hip-Hop-Songs auf. Er ist Teil der Lyrics, weil er Teil der Welt dieser Leute ist, wobei sich die lyrischen Verweise vor allem auf Trumps Ruhm und seinen Reichtum beziehen. Und das bleibt auch so. Trump protzt sich durch die Jahre, und die Lyrics rühmen’s und reimen’s zurück. Aber das liegt nicht nur daran, dass Trump permanent einen auf dicke Hose macht, sondern auch daran, dass er sich in seinem So-und-nicht-anders-Sein leicht adaptieren lässt. Soll heißen: Trump ist eine Gedankeneinheit, ein fleischgewordenes Sample, das hervorragend in die Songs integriert werden kann, derweil Joes sperrige Texte und seine weitschweifigen Gedanken da einfach nicht reinpassen. Kurzum: Bei Biden hippt und hoppt überhaupt nichts. Wenn er zu Beginn seines Textes über die Zukunft der Arbeit schreibt: »Economic transformations due to rapid advances in technology have created not only significant anxiety but also a legitimate debate about whether there will be sufficient jobs to sustain a vibrant middle class«, dann ist das zwar ein Beispiel für sein politisches Denken, aber kein Sample, das Teil der Popkultur werden kann.

Tagebuch eines Hilflosen

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