Читать книгу Ikigai. Dein Grund, morgens aufzustehen - Frank Bonkowski - Страница 5
Einleitung
ОглавлениеWarum bist du heute aufgestanden? Weil du musstest, obwohl du eigentlich lieber liegen geblieben wärst? Oder konntest du es kaum erwarten, diesen Tag zu beginnen, Neues zu entdecken, etwas zu tun, was dir wichtig ist, was dir guttut und nebenbei sogar diese Welt ein kleines Stückchen besser macht?
Gibt es eigentlich so etwas wie „den Sinn des Lebens“? Eine Aufgabe, die nicht unbedingt leicht ist, aber die dir eine unglaubliche Freude, Energie, eben einen echten Sinn schenkt? Die Japaner haben ein Wort für das, was dich morgens aus dem Bett steigen lässt. Sie nennen es „Ikigai“. „Ikigai“ ist dieses Gefühl, dass dieser Tag heute wichtig ist. Dass es etwas Neues gibt, das auf dich wartet. Dass du da draußen einen Job zu erledigen hast.
Mein Freund Bastian hat vor gefühlt hundert Jahren, als zarter 16-Jähriger, eine Ausbildung in einem Verlag absolviert. Dort ist er bis heute als Magazin-Designer tätig. Bastian ist inzwischen 58 und hasst es, jeden Morgen in die Bahn zu steigen und einen weiteren Tag mit einer Aufgabe, die ihm seit 30 Jahren überhaupt keinen Spaß mehr macht, vor der Nase zu haben. Seit ich ihn kenne, sehnt Bastian den Tag seiner Rente herbei.
Christine hat vor acht Jahren einen gut bezahlten Job gekündigt und sich als Hochzeitsplanerin selbstständig gemacht. „Wieso gerade Hochzeitsplanerin?“, frage ich sie. „Da hast du doch nur mit gestressten Leuten zu tun, die möglichst wenig Geld ausgeben wollen und gar nicht nachvollziehen können, wie viel Arbeit du investierst, um ihren Tag zu etwas Besonderem zu machen.“
„Manchmal schon, aber …“, beginnt sie ihre Antwort, und jetzt leuchten ihre Augen. „Ich darf Menschen an einem der wichtigsten Tage ihres Lebens begleiten. Ich darf dafür sorgen, dass er unvergesslich und einfach wunderschön wird − und außerdem noch in ihr Budget passt.“
Bruce war Teil unseres Leitungsteams. Eines Tages fuhren wir gemeinsam zu einem Gabentest, den eine dieser Megachurches in den USA veranstaltete. Als wir anschließend bei einem Kaffee sitzen − man trinkt auf diesen christlichen Zusammenkünften immer irre viel Kaffee − , da hat Bruce einen ehrlichen Moment. „Wisst ihr was?“, sagt er mit traurigem Gesichtsausdruck. „Ich mache bei uns in der Kirche seit 25 Jahren den Kinderstundenonkel − jeden Sonntag. Alle denken, dass mir das Spaß machen würde, nur weil ich mich so gut in der Bibel auskenne. Aber ganz ehrlich? Ich hasse Kinderstunden. Ich mache das nur, weil sich sonst niemand freiwillig meldet. Mich nerven kleine Kinder. Ich würde so viel lieber mit Intellektuellen über Theologie diskutieren. Davon gibt es bei uns in der Gemeinde aber leider nicht so viele.“
Giuseppe habe ich in einem kleinen Dorf in Süditalien kennengelernt. Er ist 92 und wird jeden Morgen in seinem Rollstuhl vor das Haus geschoben, in dem er mit seiner Familie lebt. Von dort aus lächelt er Leuten zu, begrüßt jeden fröhlich, der vorbeikommt, und hat immer einen witzigen Spruch auf den Lippen. „Es ist mir wichtig, Menschen das Gefühl zu geben, gesehen zu werden“, erzählt er mir.
Meine Frau Loretta hat vergangene Woche mit ihrer Band in einer Kneipe in Lübeck vor ganzen 15 zahlenden Zuschauern gespielt. Es war ein warmer Frühlingsabend, von denen es bei uns im hohen Norden nicht so viele gibt, und der Veranstalter hatte vergessen, dass direkt um die Ecke zeitgleich eine bekannte Band einen Auftritt hatte. Während ich noch ausrechnete, ob die Gage wenigstens die Fahrtkosten decken würde − 75 € geteilt durch vier Musiker sind 18,75 € pro Kopf − gab meine Frau auf der Bühne einfach Vollgas. Das macht man nämlich, wenn man das gefunden hat, was einem Freude, Energie und Sinn schenkt.
Wer sein Ikigai findet, der lebt, arbeitet und fühlt anders. Besser. Die Alternative, die Bastian und Bruce erleben, ist dagegen unglaublich langweilig und freudlos – selbst wenn es nach außen hin eventuell sogar erfolgreicher wirkt.
Ich weiß, dass Begriffe wie Lebenssinn, Berufung und Ikigai bei vielen Menschen Ängste auslösen und Fragen aufwerfen. Ängste wie die, von anderen ausgelacht zu werden, wenn man seinem vermeintlich „unrealistischen“ Traum folgt. Fragen zu Finanzen, zur Verantwortung für die Familie. Außerdem kommen einem sofort all die Dinge in den Kopf, die man schon einmal ausprobiert hat – und bei denen man fürchterlich auf die Nase gefallen ist …
… und trotzdem, und trotzdem haben wir alle diese Sehnsucht und Hoffnung in uns, dass es das wirklich geben könnte: den Grund, warum wir hier sind. Etwas, das nur wir schaffen können.
Vielleicht können die nächsten Seiten ja einen Prozess in Gang bringen, der dich dieser Hoffnung näherbringt. Ich würde mich ehrlich für dich freuen.