Читать книгу Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung - Frank Büttner - Страница 6

Vorwort

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Um 1300 vollzog sich in der italienischen Kunst ein tiefgreifender Wandel, dessen wichtigstes Ergebnis als „Revolution des Bildes“ bezeichnet werden kann. Der Florentiner Giotto di Bondone, der unbestritten als Schlüsselfigur dieses Wandels gilt, hat mit seinen Altarbildern und Fresken die Auffassung von dem, was ein Bild ist, was es leisten kann und soll, auf eine neue Grundlage gestellt und damit für die Entwicklung der Malerei die Wege eröffnet, die in die Neuzeit führen sollten. Für die Kunstgeschichte, die sich als wissenschaftliche Disziplin erst im 19. Jahrhundert etablierte, deren Wurzeln aber bis in die Renaissance reichen, war es schon immer eine große Herausforderung, Ursachen und Motive dieses epochalen Wandels zu erklären. Solange die Kunstgeschichte als Geschichte der Künstler aufgefasst und beschrieben wurde, konnte jeder Wandel, jeder Entwicklungsschritt der Kunst als Tat eines Genies ausgegeben werden. Doch erklärt wurde der Wandel damit nicht. Auch die Stilgeschichte, die neben das Konzept der Künstlergeschichte trat, konnte den Wandel zwar besser registrieren, aber letztlich genauso wenig erklären, auch dort nicht, wo sie mit Alois Riegl den Stilwandel als einen autonomen Prozess begriff, der von einem imaginären, überpersönlichen „Kunstwollen“ gesteuert wurde, denn natürlich drängte sich die Frage auf, wovon denn die Ausrichtung des Kunstwollens wiederum abhängt. Nach Riegl folgte das Kunstwollen einem Wandel in der Geschichte der sinnlichen Wahrnehmung, der von der Dominanz haptischer zur Dominanz optischer Wahrnehmung führte. Da Riegl seine Begriffe aus der Analyse der Werke gewann, ist jeder Versuch, mit ihnen den Wandel in der Erscheinung dieser Werke zu erklären, ein Zirkelschluss. Ein anderer Weg zur Erklärung des Wandels wurde mit dem Konzept der „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte“ beschritten. Max Dvořák, der prominenteste Vertreter dieses methodischen Konzeptes, glaubte die Gründe für den Stilwandel, für den Giotto steht, in einem Wandel vom Idealismus zum Naturalismus zu finden, der ein neues Verhältnis zur Natur und zur Kunst begründete. Dass ein neuer Blick auf die Natur zu einer neuen Kunst führe, ist ein altes, schon in der Antike vorgebrachtes Erklärungsmuster. Doch mit gutem Recht ist dem von Ernst Gombrich und anderen entgegen gehalten worden, dass zunächst Wege gefunden werden müssen, den neuen Blick auf die Natur in ein Kunstwerk umzusetzen. Es müssen die tradierten und eingeübten Gestaltungsschemata überwunden und neue Schemata entwickelt werden. Die Frage bleibt, wie diese Umsetzung möglich ist, wie sie historisch fundiert erklärt werden kann.

Grundlage des hier vorgelegten neuen Erklärungsversuches ist die Überzeugung, dass jedem Kunstwerk notwendigerweise eine mehr oder weniger bestimmte Vorstellung vorausgeht. Das Kunstwerk wird, bevor es geschaffen wird, gedacht. Die initialen, konstitutiven Vorstellungen von den Werken sind in den verschiedenen Kunstgattungen unterschiedlich ausgerichtet. So werden bei einem Werk der Architektur die Gedanken an Stabilität und Zweckbestimmung die weiteren Überlegungen lenken. Auch bei Bildern sind Aufgabe und Funktion wichtig, doch ebenso wichtig ist die Frage, wie das Bild gesehen wird. Diese elementare Frage der Bildwahrnehmung konkurriert mit der Frage nach dem kulturellen Gebrauch. Sicherlich gab es Phasen der kunstgeschichtlichen Entwicklung, in denen sich die Künstler diese Frage nicht gestellt haben, weil ihnen die damit verbundene Problematik nicht bewusst war oder weil sie die Frage für beantwortet hielten. Dann arbeiteten sie sozusagen auf der Grundlage eines Vorurteils, das ihre Gestaltungsentscheidungen lenkte. Es kam aber auch immer wieder vor, dass sich Künstler diese Frage ganz bewusst gestellt und für sich beantwortet haben. Die Kunst der Moderne, aber nicht nur sie, bietet dafür Beispiele in großer Zahl. Ob unbewusst oder bewusst: seine Vorstellung vom Sehen ist für den bildenden Künstler von zentraler Bedeutung, nicht nur im Hinblick auf die Rezeption seines Werkes, das ja gesehen werden soll, sondern auch für den Produktionsprozess, der – zumindest in der die Natur „nachahmenden“ Kunst – immer auch die Frage impliziert, wie der Künstler diese Natur sieht. Diese Vorstellung vom Sehen ist keine absolute, ewig gültige Idee im Sinne der platonischen Philosophie. Sie ist, wie Philosophie und Wissenschaftsgeschichte lehren, auch keine anthropologische Konstante, denn der naturgegebene physiologische und psychologische Ablauf des Sehvorganges ist zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich erklärt worden und von diesen Erklärungen sind die Konzeptualisierungen der Künstler jeweils ausgegangen.

Dem Wandel der Kunst um 1300 ging ein umfassender Wandel des philosophischen Denkens in Europa voraus. Im Zuge der Rezeption der Philosophie des Aristoteles hat man sich weit intensiver als in den Jahrhunderten davor mit Fragen der Psychologie und Naturphilosophie beschäftigt. Wie die zahlreichen Kommentare zur aristotelischen Schrift über die Seele belegen, fanden die Fragen nach Wesen und Tätigkeit der Seele und der Wahrnehmungsleistung der Sinne ein besonders großes Interesse. In diesem Kontext kam es zu einem grundsätzlichen Wandel in der Auffassung vom Sehen. Man studierte intensiv die überlieferten Texte der antiken und arabischen Optik. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden von Roger Bacon, John Pecham und Witelo umfangreiche Traktate zur Optik verfasst, in denen eine neue Lehre vom Sehen entfaltet wurde, die bald schon an den Universitäten gelehrt wurde und bis in das 17. Jahrhundert hinein Bestand haben sollte.

These der vorliegenden Arbeit ist es, dass in diesen Lehren der Optik eine wesentliche Voraussetzung für den Wandel der Kunst um 1300 zu finden ist. Die Perspectiva, so ihr lateinischer Name, lehrte, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit ein Betrachter Körper, ihre Größe und Formen, ihre Entfernung und ihre Abstände untereinander irrtumsfrei erkennen kann. Auf dieser Grundlage wurde die neue Bildauffassung entwickelt, die mit dem Begriff des „perspektivischen Bildes“ bezeichnet werden kann. Den Lehren der Optik entsprechend ist „Perspektive“ mehr als das im 15. Jahrhundert entwickelte Konstruktionsverfahren, auf das der Begriff allzu oft reduziert wird. Die Wirkung des „perspektivischen Bildes“ beruht primär auf der Wahrnehmung von Farbe und Licht.

Der Revolution des Bildes, die vor allem Giotto mit seinen Werken vollbrachte, lag eine grundsätzlich neue Auffassung vom Sehen zugrunde. Damit soll nicht gesagt werden, dass alle bisherigen Erklärungsversuche obsolet sind. Die Entwicklung der kunstwissenschaftlichen Methoden verläuft komplementär. Neue Zugriffsweisen und Fragestellungen ersetzen nicht die vorausgehenden Verfahren, sondern versuchen die „weißen Flecken“, die diese auf der Landkarte des kunsthistorischen Wissens hinterlassen haben, auszufüllen. So soll auf dem hier eingeschlagenen Weg einer Verbindung von Kunstgeschichte und Wissenschaftsgeschichte auf eine der Voraussetzungen, aber eine entscheidend wichtige und bislang nicht angemessen gewürdigte Voraussetzung des epochalen Wandels der Kunst um 1300 hingewiesen werden. Damit wird zugleich ein methodisches Konzept aufgegriffen, das als ein unvollendetes Projekt der Kunstwissenschaft gelten kann: Kunstgeschichte als Geschichte des Sehens. Wie Alois Riegl mit seiner Erklärung des Kunstwollens hat auch Heinrich Wölfflin das Problem der Stilentwicklung mit den Wandlungen in der Geschichte des Sehens erklären wollen. Wie Riegl kam er nicht zum Ziele, weil er seine Grundbegriffe, mit denen er die unterschiedlichen Sehweise erfassen wollte, aus den Kunstwerken deduzierte, um sie dann wieder zur Erklärung der jeweiligen stilistischen Eigenart einzusetzen. Die Anbindung an Wissenschaftsgeschichte bietet einen alternativen Zugang zur Geschichte des Sehens, der die Historizität der Vorstellungen vom Sehen erschließt und damit historische Zugänge zu den Werken der Kunst und der ihnen zugrunde liegenden Bildauffassung ermöglicht.

Meine Freunde und viele Kollegen wie auch die Studierenden, die meine Lehrveranstaltungen an den Universitäten in Kiel und München besucht haben, wissen, dass mich der Gegenstand der hier vorgelegten Studie seit vielen Jahren beschäftigt hat. Die Diskussionen, die ich in meinen Seminaren und im Anschluss an meine an zahlreichen Orten gehaltenen Vorträge führen konnte, haben sehr dazu beigetragen, meine Thesen zu klären und zu schärfen. Ganz besonders möchte ich mich bei Robert Suckale, Lars Olof Larsson, Götz Pochat, Max Seidel und Klaus Bergdolt, Lieselotte E. Saurma und Michael Viktor Schwarz für ihre Anregungen und ihre Unterstützung bedanken. Andrea Gottdang danke ich ganz herzlich für die gründliche und kritische Durchsicht des Manuskriptes. Meine Mitarbeit im Sonderforschungsbereich 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München hatte zwar eine spätere Phase der Entwicklung des perspektivischen Bildes zum Gegenstand, hat aber meine Studien zu dessen Ursprüngen vielfach befruchtet. Im Frühjahr 2010 gab mir ein dreimonatiger Studienaufenthalt am Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) die Möglichkeit meine Material- und Literaturrecherchen abzuschließen, wofür ich den Direktoren Professor Dr. Gerhard Wolf und Professor Dr. Alessandro Nova überaus dankbar bin. Dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort danke ich für den Druckkostenzuschuss, der das Erscheinen dieses Buches erst möglich gemacht hat.

Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung

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