Читать книгу Die großen Western 218 - Frank Callahan - Страница 3
ОглавлениеJim Hensons Faust zuckte blitzschnell nach vorn und traf die Kinnspitze des Banditen. Joel Powers ruderte mit den Armen wie ein flügellahmer Enterich und taumelte einige Schritte zurück, bis er gegen die Wand des Saloons prallte.
Ein Stöhnen drang aus seinem Mund. Schmerz und Wut verzerrten das Gesicht des jungen Burschen. Für einige Augenblicke stand er wie erstarrt, dann griff er voller Wut nach seinem Revolver.
Ehe er den Colt jedoch aus dem Halfter reißen konnte, starrte er bereits in die Mündung von Jim Hensons Waffe. Blitzschnell hatte der Deputy gezogen.
Ein Raunen ging durch die anwesenden Männer im Saloon, die gespannt dieser Auseinandersetzung folgten.
Joel Powers nahm seine Hand vom Revolverkolben, als wäre dieser glühend heiß geworden. Jim Henson lächelte.
»Nun ist es genug, Powers«, sagte er. »Du kommst mit mir ins Jail, wo du übernachten wirst. Morgen wird sich Richter Hunnigan um dich kümmern.«
Joel Powers antwortete nicht. Er stand noch immer gegen die Saloonwand gelehnt. Er suchte nach einer Chance, um seiner drohenden Verhaftung zu entgehen. Aber es gab keine Chance.
Matt funkelte der Stern auf Jim Hensons Weste. Sommersprossen tanzten auf dem schmalen Gesicht des hageren Mannes. Die blauen Augen erinnerten an einen Bergsee in den Rocky Mountains.
»Dreh dich um, Powers, und stütz dich mit beiden Händen gegen die Wand, damit ich mir dein Eisen holen kann. Und denk daran, dass auf deinem Streckbrief tot oder lebendig steht.«
Joel Powers gab auf.
Mit zuckenden Lippen wandte er sich um. Ohne Schwierigkeiten nahm Jim Henson ihm den Revolver aus dem Halfter.
»Okay, Bandit. Wir können gehen.«
Wenige Sekunden später traf die kühle Nachtluft die beiden Männer, nachdem sie den Saloon verlassen hatten. Brodelnder Stimmenlärm blieb hinter ihnen zurück.
Jim Henson sog die frische Luft in seine Lungen. Hart drückte er den Lauf seines Revolvers dem Banditen in den Rücken.
»Los, Amigo, setz dich schon in Bewegung. Das Sheriff-Office befindet sich schräg gegenüber. Ich bin sicher, dass du es bereits gesehen hast.«
Auf der Main Street herrschte kaum Betrieb. Lichtbahnen fielen aus zahlreichen Fenstern, ließen den aufgewirbelten Staub wie Goldpuder schimmern.
Fünf Yards vor dem Office setzte der Bandit nochmals alles auf eine Karte.
Jim Henson hatte damit gerechnet. Er steppte gedankenschnell zur Seite, entging so dem heimtückischen Tritt von Powers und schlug dann mit dem langen Lauf seines Revolvers hart zu.
Der Bandit brach zusammen und blieb liegen, als wäre er nicht mehr am Leben.
Jim Henson überzeugte sich, dass sein Gegner auch wirklich bewusstlos war und warf ihn sich dann über die Schulter. So stampfte er zum Office hinüber.
Will Everett, der Distrikt-Sheriff, öffnete die Tür, nachdem er die schweren Schritte gehört hatte. Seine Augen verengten sich, und sein buschiger Oberlippenbart sträubte sich für einen Moment wie das Fell eines Wildkaters, der sich einer Klapperschlange gegenübersah.
Jim Henson ließ den bewusstlosen Banditen auf das alte Sofa fallen und richtete sich auf. Ein zufriedenes Lächeln teilte seine Lippen. Er nickte seinem Vorgesetzten zu.
»Das ist Joel Powers, Sheriff. Ich entdeckte ihn drüben im Saloon und verhaftete ihn. Er wird wegen …« Will Everett winkte kurz ab.
»Okay, Jim, ich weiß genau, was gegen diesen Hundesohn vorliegt«, unterbrach er seinen Deputy. »Aber du hättest mir Bescheid sagen müssen, Jim. Dieser Powers ist ein gefährlicher Höllenhund, der über Leichen geht. Zu zweit hätten wir es bestimmt einfacher gehabt, diesen Burschen zu stellen. Wie ich jedoch sehe, bist du auch allein mit ihm fertig geworden. Alle Achtung, mein Junge.«
Jim Hensons Gesicht rötete sich leicht. Dieses Lob schmeckte ihm. Und eigentlich war es seine erste größere Tat hier in Colton, nachdem er den Job als Deputy vor genau vierzehn Tagen angenommen hatte.
»Danke, Sheriff, ich wollte mir jedoch selbst beweisen, dass ich mit diesem Burschen fertig werde. Bisher hatte ich es doch nur mit einigen Saufbrüdern zu tun, die ich ins Jail schleppte, damit sie dort ihren Rausch ausschliefen.«
»Okay, Jim, das geht in Ordnung. Doch sollte wirklich wieder einmal ein Bandit auftauchen oder sich sonst etwas Größeres hier in der Stadt tun, dann wirst du mich auf jeden Fall verständigen. Ist das klar?«
Jim nickte.
Der Sheriff fuhr fort: »Weißt du, mein Junge, sonst nehmen die Bürger dieser Stadt an, dass ich mich bereits auf mein Altenteil zurückgezogen habe und dich die gefährlichste Arbeit machen lasse. Und du wirst doch zugeben, dass ich diesen Eindruck erst gar nicht entstehen lassen will.«
»Okay, Sheriff, ich habe kapiert, was Sie mir sagen wollen. Würden Sie mir helfen, diesen Burschen in eine Zelle zu verfrachten?«
So geschah es auch.
Dann standen sie vor dem Gitterkäfig. Powers lag auf der Pritsche und richtete nun stöhnend seinen Oberkörper auf. Es dauerte einige Sekunden, bis sein Schädel wieder klar war.
Sein hasserfüllter Blick traf den jungen Deputy. Dann sagte er mit knarrender Stimme: »Das werde ich dir heimzahlen, du verdammter Deputy, darauf kannst du dich verlassen. Ich bringe dich um. Irgendwann. Ich schwöre es dir!«
Jim Hensons jugendliches Gesicht blieb unbeeindruckt, während der Sheriff näher an das Gitter trat.
»Reiß nur deine Klappe nicht so weit auf, Bandit, sonst stopfe ich dir jedes einzelne Wort wieder in die Kehle zurück. Du wirst baumeln, du Hundesohn. Daran geht überhaupt kein Weg vorbei. Und ich bin gespannt, ob du auch dann noch so große Töne spuckst. Sehr gespannt. Ich gehe jedoch jede Wette ein, dass du dann sehr klein und hässlich sein wirst.«
Nach diesen Worten wandte sich Everett seinem Deputy zu und verließ mit ihm den Zellentrakt.
»Du darfst auf solche Drohungen nicht hören, meine Junge«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Du hast nur deine Pflicht getan. Und dieser Bursche wird bald hängen und für seine große Schuld büßen, die er über seine Mitmenschen gebracht hat.«
Im Office angelangt, holte Sheriff Everett eine Whiskyflasche mit goldgelbem Kentucky-Whisky aus einer Schublade seines Schreibtisches hervor und füllte zwei Gläser.
»Auf dich, mein Junge. Nun glaube ich wirklich, dass ich mit dir einen guten Griff getan habe.«
*
Der einsame Reiter zügelte sein Pferd hinter einem Wacholdergebüsch. Beruhigend tätschelte er den schweißnassen Hals seines Pferdes, das nervös tänzelte und laut schnaubte.
Der Mann war wie ein Cowboy gekleidet, und diesen Job übte er auch aus. Mark Scott, der Vormann der Hastings-Ranch, lauschte in die Dunkelheit, die ihn wie ein schützender Mantel umgab.
Und doch fühlte sich Scott jetzt nicht besonders wohl in seiner Haut, wurde den Eindruck einfach nicht los, schon seit geraumer Zeit verfolgt zu werden.
Angst war es nicht, die den breitschultrigen Mann beherrschte. Seine Sorge galt mehr den zehntausend Dollar, die sich in seiner Satteltasche befanden. Er hatte das Geld im Auftrag seines Ranchers von der Bank in Colton geholt.
Eigentlich sollte er schon längst sein Ziel erreicht haben, doch ein paar Freunde und einige Drinks führten zu dieser Verspätung. Bis zur Hastings-Ranch waren es noch ungefähr drei Meilen.
Mark Scott spähte hinter dem Wacholderbusch hervor. Vor ihm lag die Weide. In der Ferne vernahm er das Muhen einiger Rinder. Irgendwo heulte ein Wolf die gelbliche Scheibe des Mondes an, die fahles Licht auf das Land warf.
Nicht unweit in einem Cottonwood erklang der klagende Ruf eines Käuzchens. Der Vormann der Hastings-Ranch zuckte zusammen. Schon wollte er sein Pferd wieder antreiben, als drei dunkle Schatten zwischen den Sträuchern auftauchten und sich geräuschlos näherschoben.
Matt funkelten Revolver im schwachen Mondlicht.
Mark Scott entdeckte die drei Banditen erst, als sie nur noch zwei Pferdelängen von ihm entfernt waren. Die Kerle hatten ihre Halstücher vor die Gesichter gebunden, sodass nur noch die Augen zu sehen waren.
Funkelnde Augenpaare starrten auf den Vormann. Drohend richteten sich die Läufe der Revolver auf Mark Scott, der den Outlaws nun doch in die Falle gegangen war.
Und dann handelt er.
Brutal, wie es sonst nicht seine Art war, trat er seinem Grauen in die Flanke. Aufwiehernd stieg das Pferd in die Höhe, keilte nach vorn aus.
Der Vormann der Hastings-Ranch zog seinen Revolver, wollte ihn auf die drei Desperados richten, die im ersten Moment sehr überrascht von der Aktion ihres Opfers waren.
Doch ehe Scott zum Schuss kam, feuerten die drei maskierten Männer. Heißes Blei grub sich in die Brust des Vormanns, der von den Kugeln vom Pferderücken gerissen wurde und zu Boden stürzte.
Die Schussdetonationen verwehten. Pulverdampf hüllte die drei Mörder ein, die nun langsam zu ihrem Opfer traten. Einer der Burschen beugte sich zu Scott hinunter, wälzte ihn auf den Rücken.
Der Bandit starrte in zwei gebrochene Augen. Er richtete sich wieder auf.
Ein ellenlanger Fluch kam zwischen seinen Lippen hervor, ehe er sich an den Satteltaschen von Scotts Pferd zu schaffen machte.
»Ist er tot?«, fragte einer der anderen Outlaws.
»Yeah, er ist tot«, knurrte der großgewachsene, schlanke Mann. »Damit konnten wir nicht rechnen, dass er zur Waffe greifen würde. Er ist selbst schuld, dieser Narr. Warum hat er sich nicht ergeben?«
Die beiden anderen Banditen schwiegen. Ihre Augen wurden jedoch groß, als ihr Partner ein kleines Päckchen aus der Satteltasche zog und es aufriss. Dollarnoten waren zu sehen.
»Zehntausend Dollar, Jungs. Nun sind wir fein raus aus dem ganzen Schlamassel. Es hat sich gelohnt. Kommt, wir hauen jetzt ab.«
Die beiden Burschen nickten, während der dritte das Geldpäckchen zwischen Hemd und Lederjacke schob.
Sie warfen dem Toten noch einen kurzen Blick zu, ehe sie zu ihren Pferden eilten, die sie hundert Yards entfernt zwischen einigen Büschen versteckt hatten.
Bald wurden sie von der Dunkelheit verschluckt. Nur ein Toter und sein Pferd blieben zurück.
*
Sheriff Everett und sein Deputy zuckten zusammen, als es schwer gegen die Officetür pochte. Jim Hensons rechte Hand senkte sich unwillkürlich auf den Kolben seines Revolvers.
Dann öffnete er, blickte in das gerötete Gesicht eines Cowboys, der ihn einfach zur Seite drängte und sich an den Sheriff von Colton wandte.
»Ich habe einen Toten mitgebracht, Sheriff. Es handelt sich um Mark Scott, unseren Vormann. Ich fand ihn einige Meilen vor der Ranch. Anscheinend ein Überfall. Die Satteltaschen waren durchwühlt. Ob allerdings etwas fehlt, konnte ich nicht feststellen.«
Nach dieser langen Rede schnappte der Cowboy nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sein Gesicht glänzte wie eine Speckschwarte. Ein heißer Ritt lag hinter dem Cowboy der Hastings-Ranch.
Sheriff Everetts Gesicht wurde um ein paar Nuancen bleicher, während sein Deputy bereits aus dem Office eilte und vor einem Pferd stehen blieb, über dessen Sattel der leblose Körper des Vormanns hing.
Einige Bürger von Colton hatten sich inzwischen versammelt.
Sheriff Everett tauchte im Türrechteck auf. Seine Lippen glichen einem schmalen Strich.
Jim trat zu ihm.
»Ich möchte wissen, warum er umgebracht worden ist, Sheriff. Ob es eine Erklärung für diesen Mord gibt?«
Einer der Bürger schob sich nach vorn. Everett erkannte im ungewissen Licht, dass es sich um Hai Hammer, dem Bankier handelte. Der wohlbeleibte Mann sagte: »Scott hat gegen Abend zehntausend Dollar vom Konto des alten Hastings abgehoben. Er hatte eine ordnungsgemäße Vollmacht dabei. Irgendjemand muss von der Sache Wind bekommen und Mark aufgelauert haben. Ich gehe jede Wette ein, dass sich die zehntausend Bucks nicht mehr in den Satteltaschen befinden.«
So war es auch.
Jim Henson trat zu seinem Vorgesetzten.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich sofort zu der Stelle reite, wo der Vormann gefunden worden ist? Vielleicht gelingt es mir, diesem Burschen zu folgen. Noch ist die Fährte heiß. Und ich verstehe wirklich etwas vom Spurenlesen, Sheriff. Vielleicht bringt mich dieser Cowboy an den Tatort, dann verliere ich noch weniger Zeit.«
Will Everett überlegte nicht lange.
»Okay, mein Junge. Reite los, doch achte gut auf dich. Dieser Killer wird auch vor keinem zweiten Mord zurückschrecken. Gegen eine Kugel aus dem Hinterhalt ist niemand gefeit. Auch du nicht.«
Jim Henson lächelte flüchtig, nickte dem Sheriff zu und wandte sich an den Cowboy der Hastings-Ranch. »Bringst du mich zu der Stelle?«
»Gewiss, Deputy, ich muss sowieso zur Ranch, um dem Boss diese verdammte Nachricht zu bringen. Ich bin gespannt, wie er das verdauen wird.«
Jim Henson überquerte mit schnellen Schritten die Main Street und betrat den Mietstall, in dem sein Pferd untergebracht war. Old Joe, ein Oldtimer mit einem Holzbein, das bei jedem Schritt knarrte, kam aus seinem Verschlag.
»Was ist denn los, Deputy?«, fragte er und hielt sich seine Hose fest, denn er hatte die Hosenträger vergessen.
»Hilf mir lieber, mein Pferd zu satteln, Joe«, sagte Jim Henson. »Mark Scott wurde erschossen und ausgeraubt. Und ich will diesem Hundesohn hinterher.«
In Old Joe kam Leben. Innerhalb kürzester Zeit war Jims Rappwallach gesattelt. Dann ritt der junge Mann auch schon aus dem Livery Stable hinaus.
Kurze Zeit darauf lag die kleine Stadt Colton hinter den beiden Reitern, die ihre Pferde nicht schonten und über die Weide fegten, als wäre ein ganzer Stamm skalphungriger Apachen hinter ihnen her.
»Dort drüben ist die Stelle«, sagte der Cowboy eine halbe Stunde später. »Dort genau zwischen den Bäumen habe ich Scott gefunden. Ich reite gleich weiter, muss Big Old Hastings informieren. Oh, verdammt, das wird keine leichte Aufgabe sein. Mark Scott war sein bester Mann. Ich schätze, dass Big Old Hastings ein Dutzend Jungs in die Sättel bringen wird, um den Mörder seines Vormannes zu jagen. Versuch dein Glück, Deputy. Ich drücke dir die Daumen.«
Dann gab er seinem schweißnassen Pferd die Zügel frei und jagte auf eine Stelle zwischen zwei Hügeln zu, hinter denen die Ranch des mächtigen Cattle Kings lag.
Jim Henson verhielt noch einige Sekunden regungslos im Sattel, ehe er seinen Rappwallach antrieb. Kurze Zeit später sprang der Deputy aus dem Sattel.
Und er fand die Stelle, an der der tote Vormann gelegen hatte. Rostbraune Flecken im Gras zeigten es ihm an.
Trotz seiner Jugend verstand es Jim Henson, Fährten und Spuren zu lesen. Bald wusste er, dass Mark Scott von drei Banditen überfallen und niedergeschossen worden war.
Er nahm die Verfolgung auf, obwohl es bei der noch immer herrschenden Dunkelheit nicht einfach war. Wie ein Wolf heftete er sich an die Fährten der drei Mörder, deren Vorsprung er auf ungefähr zwei Stunden schätzte.
Meile um Meile legte der Hilfssheriff von Colton zurück. Immer wieder hielt Henson sein Pferd an, lauschte in die Nacht und sah sich nach allen Seiten um.
Alles blieb ruhig.
Die Berge kamen näher, ragten wie vorsintflutliche Ungeheuer gegen den helleren Nachthimmel. Als Jim auf eine breite Fährte traf, die von einer dahinziehenden Rinderherde gezogen worden war, wurde es schwierig, die Spuren der drei Killer nicht zu verlieren.
Mehr als einmal musste der Deputy aus dem Sattel, gab jedoch nicht auf, sondern setzte seinen Trail mit der Zähigkeit eines Wüstenwolfes fort.
Und dann lagen die Fährten der drei Killer wieder klar und deutlich vor ihm. Sie führten immer weiter in die rauer werdende Bergwelt hinein.
Felsschroffen strebten gegen den Himmel. Verkrüppelte Kiefern ragten aus Spalten. Die Vegetation wurde kärglicher.
Der Deputy ahnte, dass die drei Mörder in dieser unwegsamen Bergwildnis untertauchen wollten. Und er wusste auch, dass viele andere Männer die Jagd schon längst aufgegeben hätten.
Jim Henson dachte in diesen Sekunden an seinen Lehrmeister, einen erfahrenen Scout und Raubtierjäger, der die Rocky Mountains wie seinen Tabaksbeutel kannte. Von ihm hatte Jim sämtliche Tricks gelernt, die man in der Wildnis kennen musste, wenn man überleben wollte.
Das Gelände wurde noch rauer.
Felsbrocken an Felsbrocken reihten sich aneinander. Und dadurch wuchs natürlich die Gefahr immer mehr, in einen Hinterhalt zu geraten.
Jim Henson wusste natürlich von diesem Risiko und stellte sich darauf ein. Seine Winchester lag über dem Sattelhorn. Längst hatte er die Sicherungsschlaufe vom Revolverhahn gelöst.
Vielleicht wurde er von den drei Killern bereits erwartet. Der Körper des Deputy duckte sich leicht im Sattel. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus.
Und der zwanzigjährige Jim Henson konnte sich auf dieses instinktive Gefühl verlassen. Mehr als einmal hatte es ihm schon das Leben gerettet.
Jim zügelte seinen Rappwallach hinter einen Haselnussstrauch. Ein leichter Wind spielte mit den Blättern. Von irgendwoher kam der scharfe Schrei eines jagenden Nachtfalken.
Im Osten dämmerte bereits der Morgen. In spätestens einer halben Stunde würde es hell werden. Leichter Bodennebel wogte zwischen Felsen, Büschen und Bäumen.
Jim Henson hielt Ausschau. Doch es war fast ein aussichtsloses Unterfangen, einen Hinterhalt zu entdecken. Hinter jedem Felsen oder Baumstamm konnten die drei Killer lauern.
Und doch sagte dieser dumpfe Druck in Jims Magen, dass er den Halunken bereits sehr dicht aufs Fell gerückt war.
Langsam ritt er voller Konzentration weiter, um sofort reagieren zu können.
Nichts geschah.
Nach zweihundert Yards hielt Jim Henson nochmals sein Pferd an. Er blickte zu einer Baumgruppe hinüber, die von mannshohen Felsklötzen umrahmt wurde.
Über den Bäumen kreisten über ein Dutzend Vögel. Jim konnte sie zwar kaum sehen, vernahm jedoch ihre krächzenden Laute.
Irgendjemand musste den Vogelschwarm aufgescheucht haben.
Für den Deputy stand fest, dass es die drei Mörder waren, die an dieser Stelle im Hinterhalt lagen und auf ihn lauerten.
Ein hartes Lächeln legte sich um die Mundwinkel des jungen Mannes. Hart und kantig wurde sein Kinn, wollte überhaupt nicht zu seiner sonst so jugendlichen Erscheinung passen.
Er schwang sich aus dem Sattel und ging zuerst einmal hinter einem Busch in Deckung.
Die Vögel kreisten noch immer über der kleinen Baumgruppe. Die Entfernung bis zu den Bäumen betrug ungefähr zweihundert Yards.
Der Deputy schlich los.
Und auch in dieser Beziehung verstand er sein Handwerk, das er bei dem Rocky-Mann in Colorados Bergen gelernt hatte. Ein Comanche, die man zu den besten Pferdedieben der Welt zählte, hätte es nicht besser machen können.
Jim Henson nutzte jede sich nur bietende Deckungsmöglichkeit aus, verschmolz immer wieder mit seiner Umgebung und näherte sich so der Waldinsel.
Bis auf fünfzig Yards kam er heran, ehe er eine Pause einlegte. Forschend äugte er hinüber, konnte jedoch nichts Verdächtiges entdecken.
Jim schlich weiter, hoffte nur, sich nicht getäuscht zu haben. Sonst würde er kostbare Zeit verlieren, in der sich der Vorsprung der Mörder vergrößern musste.
Nach dreißig Yards wurde es kritisch, denn bis zur Waldinsel gab es nun kaum noch Deckungsmöglichkeiten. Zwanzig Yards flaches Gelände lag vor ihm.
Jim Henson wollte es trotzdem riskieren.
Er kam nicht weit.
Feuerlanzen aus drei Gewehren zuckten auf ihn zu. Dann wimmerte auch schon das heiße Blei heran, furchte den Boden und warf ihm Erdbrocken und Steinsplitter ins Gesicht.
Jim Henson rollte sich zur Seite, gelangte in eine kleine Bodenmulde, die er vorher in der Dunkelheit übersehen hatte, und schmiegte sich hinein.
Erneut wimmerten Geschosse heran.
Eine Kugel fuhr dem Deputy in die Schulterspitze, nahm Stoff und Hautfetzen mit. Jim Henson spürte es feucht seinen Rücken hinunterrieseln.
Er verhielt sich ruhig, feuerte nicht, um seine Position nicht zu verraten und hoffte, dass seine drei Gegner bald das Feuer einstellen würden.
So war es dann auch.
Zwar jagten die drei Killer noch einige Kugeln herüber, die jedoch ihr Ziel nicht fanden.
Dann herrschte Stille.
Sekunden vergingen, in denen sich Jim Henson nicht bewegte. Nun spürte er die Streifschusswunde an seiner Schulterspitze, die wie Feuer brannte.
Der Deputy verbiss den Schmerz und schob sich vorsichtig aus der Bodenmulde hervor. Er hätte es nicht tun sollen, denn sofort pfiffen Kugeln heran, die ihn nur knapp verfehlten.
Jim Henson erwiderte das Feuer.
Und bereits in diesen Sekunden zeigte sich, dass er ein ausgezeichneter und treffsicherer Gewehrschütze war.
Kaum hatte seine erste Kugel den Gewehrlauf verlassen, gellte auch schon ein greller Schmerzensschrei durch die Nacht. Der Deputy erkannte eine sich aufbäumende Gestalt, die einige Schritte nach vorn taumelte und dann zusammenenbrach, als habe man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.
Die beiden anderen Banditen schossen nicht mehr, mussten anscheinend den Ausfall ihres Partners erst einmal verdauen.
Und natürlich nutzte Jim Henson diese für ihn so kostbaren Sekunden aus, um sich näher an seine Gegner heranzuarbeiten. Fast mühelos überbrückte er die zwanzig Yards und warf sich in sicherer Deckung hinter einen Felsbrocken.
Noch immer schwiegen die Waffen der beiden anderen Banditen. Jim schlich weiter, erreichte die ersten Büsche und sah die beiden Kerle über einen Körper gebeugt, der am Boden lag und sich nicht rührte.
Wieder prägte dieser harte Ausdruck das Gesicht des jungen Mannes. Er zog mit einer fließenden Bewegung seinen Revolver und trat zwischen den Wacholderbüschen hervor.
Erst als der Deputy auf einen trockenen Zweig trat, zuckten die beiden Banditen herum. Jim Henson erkannte, dass sich eine tiefe Angst in ihre Gesichter fraß.
»Jetzt habe ich euch, ihr verdammten Raubmörder«, stieß der Deputy mit klirrender Stimme hervor. »Los, werft die Waffen weg, sonst bekommt ihr mehr Blei zu schmecken, als euch guttun wird!«
*
Im ersten Moment sah es aus, als wollten die beiden wie Cowboys gekleideten Burschen nicht aufgeben. Dann ließen sie jedoch ihre Gewehre fallen, die dumpf auf dem felsigen Boden aufschlugen.
»Hoch mit den Pfoten!«, befahl der Deptuy. »Ihr seid verhaftet. Bei der geringsten falschen Bewegung schieße ich!«
Die beiden Männer glaubten den Worten des Hilfssheriffs. Noch immer brannte eine heiße Angst in ihren Augen. Ohne zu zögern, glitten ihre Hände in Schulterhöhe.
»Was – was – soll das?«, stotterte einer der beiden Burschen. »Warum – bist du hinter uns her?«
Jim Henson lächelte eisig. »Verkauft mich nur nicht für blöd, Jungs«, sagte er hart. »Was ist mit dem Mann dort am Boden?«
»Er ist tot«, rief der andere Cowboy. »Du hast unseren Boss umgebracht.«
Erst in diesen Sekunden schien er den Sheriffstern auf der Hemdbrust von Henson zu entdecken. Seine Augen weiteten sich. Grenzenlose Wut entstellte sein Gesicht.
»Oh, du glaubst wohl, weil du einen Blechstern da angeheftet hast, kannst du friedliche Leute umbringen. So geht das nicht, du – du verdammte …«
Er schwieg, als sich das Gesicht des Deputys noch mehr verhärtete. Es hatte den Anschein, als würde der Cowboy an seinem schlimmen Zorn ersticken.
Dann fuhr er auch schon fort: »Weißt du überhaupt, wen du da abgeknallt hast? Der Tote ist Jeff Hastings. Big Old Hastings einziger Sohn. Und Big Old Hastings wird dir die Haut bei lebendigem Leib abziehen, das verspreche ich dir schon jetzt.«
Jim Henson musste diese Worte erst einmal verdauen. Und er wurde das Gefühl nicht los, bis über beide Ohren in einer verteufelten Klemme zu stecken.
Er hatte Jeff Hastings, den Sohn des Cattle-Kings, erschossen. Das konnte es doch überhaupt nicht geben. Irgendetwas stimmte da nicht, außer Hastings hatte seinen eigenen Vormann überfallen und sein eigenes Geld geraubt.
Jim Henson kratzte sich am Hinterkopf. Prüfend starrte er die beiden Burschen vor sich an, die noch immer mit erhobenen Händen vor ihm standen.
Er wich ihren hasserfüllten Blicken aus.
Seine Stimme bekam einen heiseren Tonfall, als er sagte: »Und ihr beiden gehört wohl auch zur Hastings-Ranch?«
Sie nickten.
»Und ihr habt natürlich auch nicht euren Vormann überfallen und ihm zehntausend Dollar geraubt?«
Nun staunten sie noch mehr, diese beiden Burschen, blickten Jim Henson an, als hätten sie einen Verrückten vor sich.
»Mann, bei dir piept es aber ganz gewaltig«, knurrte einer der Cowboys und fuhr sich über seinen sichelförmigen Texanerbart, der ihm weit bis übers Kinn hing.
»Wir kommen aus Stockton. Dorthin trieben wir eine Herde von über tausend Rindern. Jeff Hastings und wir beide ritten schon los. Die anderen Jungs schlafen ihren Rausch aus, weil sie zur sehr gefeiert haben. Und dann sahen wir dich auftauchen, nahmen an, dass du ein Bandit bist, der uns ans Leder will.
Als du dann wie ein kriegerischer Indianer angeschlichen bist, setzten wir dir ein paar Warnschüsse vor die Nase. So ist es gewesen und nicht anders. Wir haben weder mit einem Überfall noch mit einem Mord etwas zu tun. Und du hast Big Old Hastings einzigen Sohn wie einen räudigen Hund abgeknallt.
Oh, Mann, oh, Mann, du wirst diese Stunde noch bedauern, du wirst dir wünschen, niemals geboren worden zu sein.«
Er schwieg.
Und Jim Henson wurde von Sekunde zu Sekunde unsicherer. Schweißperlen überzogen seine Stirn. Heiß stieg es in ihm auf. Und er überlegte fieberhaft, wo er einen Fehler gemacht haben konnte.
»Los, umdrehen, Jungs«, sagte er dann und hob den Lauf seines Smith & Wesson an. »Legt eure Hände dort gegen den Felsbrocken und bewegt euch nicht. Und glaubt nur nicht, dass ich auf eure dummen Sprüche und Lügen hereinfallen werde.«
»Du bist ein Narr, Deputy, ein verdammter Narr. Bald wirst du hängen, falls es Big Old Hastings überhaupt so gnädig macht.«
»Sei still«, zischte Jim Henson. »Los, an die Wand mit euch, damit ich die Satteltaschen aller drei Pferde untersuchen kann.«
Zähneknirschend gehorchten die beiden Cowboys. Der dritte Mann lag regungslos am Boden. In seiner Stirn befand sich ein kleines Loch.
Der Deputy trat zu den Pferden und durchsuchte sämtliche Satteltaschen, konnte jedoch von der Zehntausend-Dollar-Beute keinen Cent finden. Wieder spürte Jim Henson kalten Schweiß auf seiner Stirn.
Er gab jedoch nicht auf, glaubte daran, den richtigen Fährten vom Tatort aus gefolgt zu sein.
Und doch fühlte er die nagenden Zweifel, die sich in sein Gehirn hineinfraßen und ihn immer unsicherer machten. Der Deputy wischte diese bitteren Gedanken zur Seite.
Er trat zu seinen beiden Gefangenen, durchsuchte sie nach dem Geld, doch auch hier war der Erfolg gleich Null.
Auch in den Taschen des toten Ranchersohnes war außer ein paar Dollar nichts zu finden.
Wo war die Beute?
Hatten die drei Burschen die zehntausend Dollar unterwegs auf der Flucht versteckt?
Er fesselte die beiden Cowboys, die wütend knurrten und ihm alle Plagen der Hölle an den Hals wünschten. Dann legte er den Toten über den Sattel und band ihn fest.
Jim Henson trat dann einige Minuten später den Rücktritt nach Colton an.
Er ahnte noch nicht, dass er einer der bittersten Stunden eines jungen Lebens entgegenritt.
*
Längst war die Sonne hinter den Hügeln aufgegangen, als die kleine Stadt vor dem Deputy lag. Seine beiden Gefangenen hatten sich während des Rittes ruhig verhalten.
Nur ihre hasserfüllten Blicke verrieten nichts Gutes. Als sich der Reitertrupp den ersten Häusern näherte, sagte der Cowboy mit dem Texanerbart: »Nun wird es dir gleich verdammt dreckig ergehen, Deputy. Du hast einen riesigen Fehler gemacht. Du hättest meinen Gefährten und mich ebenfalls umlegen müssen. Nur dann wäre dir eine kleine Chance geblieben, deinem Schicksal zu entgehen.
Wenn du uns alle drei irgendwo in den Bergen verscharrt hättest, wäre niemand dahintergekommen, dass du Big Old Hastings Sohn ermordet hast. Mann, du gehst verdammt lausigen Zeiten entgegen. Ich möchte nicht für hunderttausend Dollar in deiner Haut stecken.«
Auch der andere Cowboy nickte zu diesen Worten. Fast körperlich fühlte Jim Henson den Hass dieser beiden Männer. Und die starken Zweifel in ihm wurden immer größer.
Der Reiterpulk erreichte die ersten Häuser von Colton. Dumpf hämmerten die Hufschläge über die Main Street. Staub wolkte empor, wurde vom leichten Wind träge verweht.
Passanten blieben stehen. Ihr Erstaunen und ihre Neugierde wandelte sich in blankes Entsetzen, als sie den toten Ranchersohn quer über dem Sattel liegen sahen.
Und es dauerte nicht lange, dann wusste die Bevölkerung der kleinen Stadt Bescheid.
Jim Henson zügelte seinen Rappwallach vor dem Sheriff-Office. Höhnisch grinsend starrten ihn seine beiden Gefangenen an.
»Gleich geht die Welt unter, Deputy«, sagte der Bärtige. »Und sollte sich Big Old Hastings in Colton aufhalten, dann wird er dir sofort die Ohren langziehen.«
Kaum waren seine Worte verstummt, als auch schon Will Everett, der Sheriff, auftauchte. Er nickte seinem Gehilfen kurz zu und trat vom Sidewalk herunter.
Und dann versteinerte sich sein Gesicht, wurde kalkig wie eine frisch gestrichene Wand. Lange Sekunden stand Will Everett wie eine Statue da, ehe er sich langsam dem Pferd mit dem Toten näherte.
Jim Henson fühlte sich nun überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut. Er wusste zwar, dass Big Old Hastings ein Mann mit großem Einfluss in diesem County war, hatte den Ranchboss jedoch noch niemals zu Gesicht bekommen. Und da sich Jim ja auch erst seit vierzehn Tagen hier in Colton aufhielt, war dies nicht verwunderlich.
Er blickte auf die Bürger der Stadt, die sich um den Reitertrupp sammelten. Immer mehr Männer und Frauen verließen ihre Häuser. Schweigend starrten sie auf Sheriff Everett, seinen Deputy, auf den Toten und auf die beiden gefangenen Cowboys.
Jim Henson schwang sich aus dem Sattel und trat neben den Sheriff, der sich ihm mit noch immer bleichem Gesicht zuwandte.
Mit heiserer, beinahe krächzender Stimme fragte Will Everett: »Was ist mit Jeff Hastings? Wurde er von den Banditen erschossen, als er sie verfolgte? Und was ist mit diesen beiden Männern, die gefesselt auf den Pferden sitzen? Wenn mich nicht alles täuscht, dann sind es doch Cowboys der Hastings-Ranch, nicht wahr?«
Der Deputy schluckte. Seine Kehle fühlte sich völlig ausgetrocknet an.
Er starrte an Everett vorbei, sah die vielen abweisenden Gesichter seiner Mitbürger. Noch näher schoben sich die Menschen heran, nur um kein Wort zu versäumen.
»Was ist, Jim?«
Ein ungeduldiger Ton schwang in diesen Worten mit. Und Jim Henson erkannte, dass sich das Gesicht des Sternträgers von Colton zu röten begann.
»Hören Sie zu, Sheriff. Ich möchte mit Ihnen über alles im Office reden. Ich habe diese beiden Männer verhaftet. Sie überfielen ihren eigenen Vormann und raubten ihn aus.«
Everetts Augen verengten sich. Jim hatte den Eindruck, dass ihm der Sheriff kein Wort glaubte.
»Und was ist mit Jeff Hastings?«
Der Deputy schüttelte den Kopf. »Wir sprechen im Office darüber, Sir«, sagte er. »Ich bringe die beiden Gefangenen in eine Zelle. Bitte, veranlassen Sie, dass der Tote zum Sargmacher gebracht wird.«
Er ließ Everett einfach stehen, dessen Gesicht nun einer überreifen Tomate glich. Und es sah aus, als würde Sheriff Everett jeden Moment platzen.
»Runter von den Pferden«, knurrte der Deputy seine beiden Gefangenen an. Sie gehorchten widerstandslos. Mit gezogenem Revolver trieb er die beiden Cowboys vor sich her, den Sidewalk hoch und dann ins Office hinein. Gleich darauf sperrte er sie in eine Zelle ein.
»Vergebliche Mühe«, grinste der bärtige Cowboy spöttisch. »In spätestens einer Stunde sind wir wieder auf freiem Fuß. Vielleicht sitzt du dann hier in dieser Zelle.«
Jim Henson gab keine Antwort und lief ins Office zurück, wo er bereits vom Sheriff erwartet wurde.
»Ich höre, Jim«, knarrte seine Stimme. »Und ich möchte die Wahrheit wissen, mein Junge. Ich habe das Gefühl, dass du in eine dumme Geschichte hineingestolpert bist. Und gnade dir Gott, wenn du Jeff Hastings erschossen hast.«
Sheriff Everett warf sich auf den alten Polsterstuhl hinter seinem Schreibtisch, legte die Beine auf die Schreibtischkante und blickte seinen Deputy herausfordernd an.
»Schieß los, mein Junge. Und denke daran, dass ich die reine Wahrheit hören möchte.«
Jim Henson nickte, nahm auf dem alten Sofa Platz und begann zu erzählen. Er ließ nichts aus, beschönigte nichts, berichtete so, wie sich alles ereignet hatte.
Er endete mit den Worten: »Es gibt keine Zweifel, Sheriff. Dieser Hastings überfiel mit zwei Leuten seinen eigenen Vormann, um sich zu bereichern. Okay, ich gebe zu, dass ich die zehntausend Dollar nicht gefunden habe. Das hat jedoch nicht viel zu sagen, Sheriff. Ich wette, dass die Banditen ihre Beute irgendwo unterwegs versteckt haben.«
Lange Minuten herrschte Schweigen.
Prüfend starrte der junge Deputy auf den erfahrenen Sheriff, versuchte, in dessen Gesicht zu lesen. Everetts Gesicht wirkte jedoch wie versteinert. Nur in seinen dunkelgrauen Augen funkelte es verdächtig.
Dann wandte er sich entschlossen Jim Henson zu.
»Okay, mein Junge, ich habe deine Geschichte vernommen. Und sie spricht für dich. Du tatest deine Pflicht, glaubtest diese Mörder vor dir zu haben. Niemand wird dir daraus einen Strick drehen können. Außerdem hast du dich nur verteidigt, denn deine Gegner schossen zuerst.«
Er schwieg. Mit zwingender Härte ruhte sein Blick auf dem Deputy.
»Okay, die beiden Cowboys werden natürlich abstreiten, dass sie mit dem Überfall etwas zu tun haben. Und Big Old Hastings wird alles daransetzen, um seinen Sohn von diesem schrecklichen Verdacht zu befreien. Solange du keine hundertprozentigen Beweise in den Händen hast, stehst du auf verlorenem Posten, Jim. Wenn du wenigstens die Beute bei den Burschen gefunden hättest. So sehe ich jedoch verdammt schwarz für dich. Du hast dir in Big Old Hastings einen unerbittlichen und gnadenlosen Feind geschaffen, als du seinen einzigen Sohn und Erben erschossen hast. Er wird es dir niemals verzeihen, mein Junge. Vielleicht wäre es das Beste, wenn du dich auf dein Pferd setzen und tausend Meilen weit reiten würdest.«
Jim Hensons Gesicht verfinsterte sich zusehends. Eine kleine Ader begann auf seiner rechten Stirnseite zu pulsieren. Voller Nervosität rieb er seine Hände ineinander.
Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich werde nicht wie ein Feigling davonschleichen, Sheriff, auch wenn das wohl für einige Beteiligte besser wäre. Ich tat nur meine Pflicht, Sir. Nicht mehr und nicht weniger. Außerdem bin ich mir nicht der geringsten Schuld bewusst, fahrlässig gehandelt zu haben.
Ich verfolgte die Fährte vom Ort, wo Mark Scott ermordet wurde, bis zu der Stelle, wo mich diese drei Burschen unter Feuer nahmen. Warum soll es denn so unmöglich sein, dass Jeff Hastings seinen eigenen Vormann ausplünderte? Bestimmt wollte er Scott überhaupt nicht töten. Als sich dieser jedoch wehrte, hatte er wohl keine andere Wahl.«
Will Everett runzelte die Stirn, erhob sich dann, kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück.
»Nun brauche ich unbedingt einen scharfen Schluck«, lächelte er. »Dann geht es mir vielleicht ein wenig besser.«
»Einen Drink kann ich auch gebrauchen«, sagte Jim Henson. »Heiliger Rauch, ich verstehe das alles nicht. Ich verfolgte drei Mörder, stellte sie und tötete einen der Killer während des Kampfes.
Ich habe immer geglaubt, dass wir in einem freien Land leben, wo alle Menschen gleich sind. Und nur weil Jeff Hastings Vater reich und mächtig ist, soll ich mir in die Hose machen?«
Everett schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht, Jim, wirklich nicht. Es fehlen die Beweise, dass die drei Burschen auch mit den Mördern des Vormanns identisch sind. Vor Gericht wird man deine Aussagen zerpflücken. Nichts wird mehr davon übrig bleiben. Jeder geschickte Anwalt wird behaupten, dass du nachlässig und fehlerhaft gehandelt hat.
Man wird dir sagen, dass du die Fährten der wirklichen Killer verloren hast und zufällig dann den Fährten der drei Männer der Hastings-Ranch folgtest. Man kann es auch so darstellen, dass sich die Hastings-Leute nur verteidigten, weil sie sich angegriffen fühlten.«
Schweigen herrschte nach diesen Worten. Der Deputy ergriff das Glas und nippte daran. Und man sah deutlich seinem sommersprossigen Gesicht die Sorgen an, die ihn bewegten.
Kopfschüttelnd wandte er sich an den Sternträger.
»Ich habe mich nicht getäuscht, Sir. Wirklich nicht, denn ich verstehe einiges vom Spurenlesen, bin in dieser Beziehung kein lausiges Greenhorn, obwohl ich noch reichlich jung an Jahren bin.«
Will Everett leerte sein Glas und schenkte sich sofort nochmals nach.
»Okay, okay, mein Junge, ich glaube dir und werde auch auf deiner Seite stehen. Du darfst jedoch nicht Big Old Hastings unterschätzen. Er wird seine Rache wollen. Blutige Rache, das weiß ich schon jetzt. Und dann solltest du daran denken, dass der Großteil der Geschäftsleute hier in Colton von Hastings abhängig ist. Wenn der in dieser Stadt nicht mehr einkauft und seine Jungs nicht mehr in die Saloons lässt, dann sieht es düster für die Zukunft von Colton aus. Das sind alles Dinge so am Rande, Jim.«
Der Deputy verstand.
Ein Rädchen würde ins andere greifen. Allem Anschein nach saß Big Old Hastings am längeren Hebel, egal von welcher Seite man die Sache auch anpacken wollte.
Und Jim Hensons Gefühl, bis über beide Ohren in einer verteufelten Klemme zu stecken, wurde immer größer.
Was würden die nächsten Stunden bringen?
*
Sheriff Everett schloss die Tür hinter sich und wandte sich an Jim Henson, der sich von dem alten Sofa erhob und den Sternträger fragend anblickte.
»Big Old Hastings reitet gerade in die Stadt ein«, erklang die kehlige Stimme des Gesetzeshüters. »Er hat seine beiden Leibwächter dabei, mein Junge, Red Mograve und Terence Spencer.
Es sind Burschen, die mit ihren Eisen so gut umgehen können, wie eine gute alte Jungfer mit ihren Stricknadeln. Also halte dich zurück, Jim, und riskier keine große Lippe. Auch Big Old Hastings gegenüber nicht. Dies nur zur Warnung. Außerdem werde ich mit dem Ranchboss reden. Halte du dich möglichst raus.«
Jim Henson nickte. Und wieder sah man ihm an, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.
Seit über zwei Stunden grübelte der junge Mann darüber nach, ob ihm nicht doch bei seiner Verfolgungsjagd ein Fehler unterlief. Und dieses Nachdenken machte ihn immer nervöser.
Der Sheriff legte seinem Deputy eine Hand auf die Schulter. Sein Lächeln war freundlich und sollte beruhigend wirken.
»Alles wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Jim. Du solltest natürlich auch Big Old Hastings verstehen. Er verlor innerhalb kürzester Zeit nicht nur seinen Vormann, sondern auch seinen einzigen Sohn und Erben. Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie es in dem alten Haudegen aussieht.«
Jim Henson nickte.
»Okay, Sheriff, lassen wir die Dinge an uns herankommen. Andern lässt sich nichts mehr an den Tatsachen.« Die beiden Männer vernahmen die Hufschläge von drei Pferden, die sich im Schritt näherten.
Dann verstummten sie. Stille herrschte.
Über Jim Hensons Rücken fiel ein kalter Schauer. Ihn fröstelte, als griff eine eisige Hand nach ihm. Sein schnellgehender Herzschlag hämmerte hoch bis zu den Ohren.
Will Everett nickte seinem Deputy nochmals kurz zu, öffnete die Tür und verließ das Sheriff-Office. Er blickte auf Big Old Hastings, der mit seinen beiden Begleitern neben den prächtigen Vierhundert-Dollar-Pferden stand.
Der Ranchboss erinnerte im ersten Moment unwillkürlich an eine alte, verwitterte und vom Sturm zerzauste Eiche. Er mochte um die sechzig Jahre alt sein. In seinem vom Wind und Wetter gegerbten Gesicht regte sich kein Muskel.
Als der Gesetzeshüter die hellblauen, fast jugendlich wirkenden Augen auf sich ruhen fühlte, verzog er sein Gesicht zu einem Lächeln und tippte gegen die Krempe seines breitrandigen Stetson.
Big Old Hastings erwiderte weder Lächeln noch Gruß. Der bittere Zug um seine Mundwinkel verdichtete sich. Er trat einen Schritt auf den Sheriff von Colton zu.
»Wir sehen uns später, Sheriff. Zuerst möchte ich zu meinem Sohn. Und achten Sie darauf, dass dieser Hundesohn von einem Deputy nicht verschwindet. Sie sind mir dafür verantwortlich!«
Nach diesen Worten machte der alte, mächtige Mann kehrt und stapfte zur Schreinerei und Sargmacherei hinüber, wohin man seinen toten Sohn gebracht hatte.
Die beiden Revolvermänner, die beide in schwarzes Leder gekleidet waren, folgten ihrem Boss auf dem Fuß. Everett sah ihnen nachdenklich nach. Sein Blick fiel auf die vielen Menschen, die sich zwischen den Häusern und auf den Sidewalks drängten, neugierig herüberstarrten und sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten.
Der Sternträger zuckte mit den Schultern. Irgendwie hilflos stand er da, ehe er ins Office zurückkehrte und die knarrende Tür fest hinter sich schloss.
Er blickte auf Jim Henson, der zurückgewichen war, als sich die Tür öffnete.
»Hat dieser Big Boss Ihnen etwas zu befehlen, Sir?«, fragte der junge Deputy.
Everetts leicht ovales Gesicht wurde rot. Sein Schnurrbart sträubte sich, während sich ein unwilliger Zug um seine Mundwinkel legte.
Dann schüttelte der Sheriff von Colton den Kopf.
»Okay, mein Junge, du hast es natürlich auch mitbekommen, dass er mich wie einen dummen Schuljungen anfuhr. Ich habe es mir nur gefallen lassen, um nicht noch mehr Öl auf die Flamme zu gießen.
Big Old Hastings hat mir nichts zu befehlen. Überhaupt nichts. Ich bin auch nicht ›sein Sheriff‹, wenn du das glaubst.«
Everett setzte sich auf den Schreibtisch und starrte auf seine staubigen Stiefel.
»Hör zu, Jim, wenn du wirklich verschwinden möchtest, dann hindere ich dich nicht daran. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn du abhauen würdest. Ich würde es schon auf mich nehmen. Na, was ist? Willst du reiten?«
Jim Henson schüttelte den Kopf. »No, Sheriff. Ich bin noch niemals von einer Sache davongelaufen. Und ich bin mir auch keiner Schuld bewusst, um den Schwanz wie ein junger Hund einzuziehen und zu verschwinden.«