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Sechstes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

worin die Schreckensherrschaft der Republik Minorca ihren Bonaparte findet

Der schwarze Sergeant verschloß die Tür, indem er dem Soldaten zurief, seine Wache wieder aufzunehmen; dann wendete er sich mit einem Grinsen der jungen Dame zu. Diese stand noch immer zwei Schritte vom Eingang, mit weit geöffneten Augen, und ihre Blicke irrten in der wunderlichen Versammlung von einem zum anderen. Es war klar, daß sie von dem, was vorging, nicht das mindeste verstand, daß sie zwischen Staunen, Furcht und dem Wunsch, sich tapfer zu zeigen, hin und her schwankte. Mit noch einem Grinsen, das seinen schwarzen Bart entzweispaltete, sagte der Sergeant:

»Was verschafft uns das Vergnügen? Sollten Sie vielleicht auch mit der geheimnisvollen Yacht gekommen sein, Señorita?«

Sie warf einen raschen erschrockenen Blick auf ihn, dann wendete sie ihre Augen ab ohne zu antworten; in der nächsten Sekunde hatte sie den Großherzog erblickt, wie er da gebunden auf seinem Sessel saß.

Rasch eilte sie vorwärts, aber blieb dann sofort voll Entsetzen stehen. Sah sie recht? Gehörte dieses blutige, mißhandelte Gesicht dem Manne, den sie zu erkennen glaubte? Und wenn sie recht sah, warum saß er gebunden hier? Mitten unter diesen Menschen, die ihr solche Angst einflößten, daß sie am liebsten geweint hätte?

»Graf,« rief sie auf französisch, »sind Sie es? Was ist geschehen? Warum sind Sie gebunden? Warum hat man Sie geschlagen? Sagen Sie mir es doch!«

Don Ramon betrachtete sie ohne zu antworten; noch hatte er sich nicht von dem lähmenden Gefühl des Schmerzes und der Überraschung erholt, das sich seiner bemächtigt hatte. Sie hier! Sie war es! Und sie sollte zusehen, wenn er ...

»Madame Pelotard,« gelang es ihm endlich, mit halb erstickter Stimme zu antworten. »Ich bin es wirklich ... Sie haben recht ... aber warum, warum kommen Sie her? Wie sind Sie hergekommen? Dies ist der bitterste Augenblick meines Lebens.«

»Ich ging mit Kapitän Dupont ans Land,« sagte sie. »Wir waren beide unruhig; wir wußten nicht ... wir konnten uns nicht erklären, warum Sie solange fortblieben ... Ich wurde irgendwie von dem Kapitän getrennt, und da wußte ich keinen anderen Ort, wo ich Sie finden könnte als vielleicht hier ... ich konnte das Schloß sehen, obwohl es dunkel war ... Dann wurde ich von dem Soldaten arretiert und hierher gebracht ... Aber was haben Sie getan, Graf, sagen Sie? Was hat man Ihnen getan? Warum sind Sie gebunden?«

Der Großherzog warf ihr einen verzweifelten Blick zu, ungewiß, wie er sie auf das vorbereiten sollte, was bevorstand, als er plötzlich durch eine dritte Person von dieser Sorge befreit wurde – Herrn Bekker aus Holland.

Herr Bekker war in der französischen Sprache nicht sonderlich bewandert, aber er kannte sie doch genügend, um ein Drittel dessen zu verstehen, was der Großherzog und die Dame miteinander sprachen. Mit einem boshaften Lächeln verbeugte er sich nun vor ihr und sagte:

»Señorita, wir sind sehr entzückt über Ihren Besuch, aber ich muß Sie auf eines aufmerksam machen, hier wird die Konversation spanisch geführt, wenn sie überhaupt geführt werden soll! Sprechen Sie spanisch, Señorita?«

Mit einem Blick voll Verachtung für Herrn Bekker rief sie abermals dem Großherzog dieselbe Frage zu:

»Warum sind Sie gebunden? Sagen Sie mir, was da vorgeht! Graf, sagen Sie mir es, sagen Sie mir es doch!«

Herr Bekker, der diesmal alles verstanden hatte, brach in ein schallendes Gelächter aus:

»Ah so,« schrie er. »Hoheit sind inkognito gereist! Hoheit sind Graf! Señorita, lassen Sie mich Ihnen eines sagen, falls Sie es noch nicht wissen: dieser Herr, den Sie Graf titulieren, ist gar kein Graf!«

Sie betrachtete Herrn Bekker mit blitzenden Augen und sagte dann in gebrochenem Spanisch:

»Kein Graf? Ich will nicht mehr hören. Wer sind Sie?«

»Sie werden sowohl dies wie noch mehr hören,« rief Herr Bekker mit einem Hohnlachen. »Ich, Señorita, bin ein armer ehrlicher Geschäftsmann, und ich bin von diesem Herrn, den Sie Graf nennen, der aber kein Graf ist, gröblich beleidigt worden. Und in längstens fünf Minuten, Señorita, wird Ihr Freund, der falsche Graf, gehängt werden!«

Herr Bekker lachte herzlich über die Wirkung seiner Worte. Die junge Dame griff keuchend nach etwas, worauf sie sich stützen konnte, schwankte, aber erlangte dann die Fassung wieder. Sie murmelte mit tonloser Stimme:

»Gehängt ... was meinen Sie? Warum sollte der Graf gehängt werden?«

Sich die Hände mit einem zufriedenen Schmunzeln reibend, erwiderte Herr Bekker:

»Eben aus dem Grunde, den ich Ihnen sagte, Señorita – weil er gar kein Graf ist! Haha! Ja, gerade deshalb!«

»Was ist ... was ist er denn?«

»Er ist – nein er war Großherzog von Minorca, und sein Name, Señorita, wenn Sie ihn nicht kennen, ist Don Ramon XX.«

Herr Bekker rief dies mit einer Stimme, die im ganzen Raume widerhallte, aber wenn er sich dieselbe Wirkung seiner Worte erwartet hatte wie früher, so täuschte er sich. Die junge Dame, die bis dahin den Großherzog mit einem scheuen, beinahe erschrockenen Blick betrachtet und an allen Gliedern gezittert hatte, richtete sich plötzlich wie eine Königin auf. Ihre Augen strahlten in freudigster Überraschung, und während Herr Bekker und die anderen sie verständnislos anstarrten, rief sie mit einer Stimme, die sie gar nicht wiedererkannten, dem Großherzog zu:

»Spricht er die Wahrheit? Ist das wahr? Sie sind der Großherzog von Minorca?«

Don Ramon lächelte stumm und bitter bei dem Ausdruck ihres Gesichtes, und es dauerte vielleicht eine Viertelminute, ehe er antwortete:

»Da Herr Bekker mich schon entlarvt hat, hat es ja keinen Zweck zu leugnen. Ich bin unter falscher Flagge gesegelt, Madame. Ich bin der Großherzog von Minorca – und Sie kommen gerade zurecht, um mich von meinen getreuen Untertanen aufknüpfen zu sehen.«

Sie lachte beinahe, als sie erwiderte:

»Gewiß nicht! Ich komme gerade zurecht, um Sie vor ihnen zu retten. In fünf Minuten werden Sie frei sein!«

»Ach, Madame Pelotard, Sie sind ebenso sanguinisch wie immer. Sie kennen mein getreues Volk nicht, wenn Sie glauben, daß Sie mich so leicht retten können.«

Bevor sie noch antworten konnte, kam ihr Herr Bekker zuvor.

»Seine Hoheit, meine Beste, kennt uns besser als Sie. Dies eine Mal hat er recht. Und jetzt genug geredet! Alles klar, Kameraden? Sitzt der Nagel fest? Wir haben Eile, wenn wir mit allem fertig werden wollen. Alles bereit?«

Amadeo und seine Mithelfer, die mehrere Minuten lang nur die angebliche Madame Pelotard angegafft hatten, zuckten zusammen und wendeten sich rasch dem improvisierten Galgen zu. Sie prüften ihn, indem sie ein paarmal an der Schnur zogen.

»Alles klar!«

»Gut.«

Ohne die Zeit mit weiteren Fragen zu vergeuden, winkte Herr Bekker dem schwarzen Sergeanten. Während die angebliche Madame Pelotard sie ganz versteinert betrachtete, lösten sie die Bande, mit denen der Großherzog an den Sessel befestigt war, wobei sie sich aber hüteten, die zu berühren, die seine Arme und Beine fesselten. Der abgesetzte Geistliche war während der letzten zehn Minuten im rückwärtigen Teile der Halle umhergewandert, bald die Hände über den Kopf erhoben, wie um den Segen zu erteilen, bald sich unablässig bekreuzigend; jetzt schien er plötzlich gewahr zu werden, was sich rings um ihn zutrug, und kam langsam näher. Als er den Großherzog sah, huschte ein unheimliches Lächeln über sein hohläugiges Gesicht, und er begann wieder zu murmeln und zu singen. Die junge Dame prallte bei seinem Anblick zurück wie vor einer Giftschlange oder einem tollen Hund. Im nächsten Augenblick sah sie, wie der Großherzog zu dem improvisierten Galgen geschleppt wurde, wo Amadeo und die drei anderen warteten. Plötzlich verschwand die Erstarrung, die sie gefesselt hatte; sie stürzte ihnen nach und stellte sich mit flammenden Augen Herrn Bekker und dem schwarzen Sergeanten in den Weg.

»Ihr Schurken!« rief sie in ihrem gebrochenen Spanisch. »Wie könnt ihr es wagen? Sagt nicht, daß ihr es wagt, Hand an euren Regenten zu legen! Das ist nicht möglich!«

»Señorita,« brüllte der Sergeant, »es ist möglich. Seien Sie so gut und gehen Sie aus dem Wege. Mit Ihnen werden wir uns später beschäftigen – nach der Exekution.«

Sie starrte ihn an wie ein Gespenst.

»Sie meinen, daß Sie es wagen – daß Sie es wagen?«

»Ja ja, das meinen wir ganz entschieden. Aus dem Weg!«

Seine brutale Heftigkeit hatte eine Wirkung, die weder er noch die anderen hatten voraussehen können. Die angebliche Madame Pelotard trat einen Schritt zurück, wie um sie besser mit dem Blick zu beherrschen, hob die Hände und rief keuchend:

»Wartet! Ich habe etwas zu sagen – ihr müßt zuhören! Ihr steht im Begriffe, ein verabscheuenswürdiges Verbrechen zu begehen – ihr wollt euren Regenten ermorden ... Es ist unglaublich ... was soll ich tun? ... Kann nichts anderes euch hindern, so nehmt Geld! Was verlangt ihr für sein Leben? Hunderttausend Pesetas – ist das genug? Zwanzigtausend für jeden?«

Sie hielt atemlos inne. Ihre Worte hatten eine Wirkung, wie sie wohl nichts anderes hätte haben können. Für diese wilden und armen Gesellen war Geld das magische Wort. Geld! Hunderttausend Pesetas – zwanzigtausend für jeden ... Wie durch einen Zauberschlag wurde es still in der Halle, totenstill bis auf das Gemurmel des wahnsinnigen Geistlichen. Alle starrten einander an: hunderttausend ... Don Ramon errötete und erbleichte abwechselnd, bald im Begriff, dagegen zu protestieren, daß sie sich vor diesen Kerlen demütigte, bald sein Gewissen mit dem Gedanken beschwichtigend, daß ihnen dies helfen konnte, Zeit zu gewinnen. Wo konnte der Professor sein? Hatte er den Pavillon nicht gefunden? Oder war er auf mehr Widerstand gestoßen, als sie ahnen konnten? Er mußte jetzt schon eine Stunde weg sein. Solange er in Freiheit war, war nicht alles verloren ... Und konnte sie Zeit gewinnen, indem sie ihnen Geld bot, so ... Er warf einen Blick um sich: alle Gesichter des wunderlichen Kreises zeigten denselben Ausdruck, den Kampf zwischen Geldgier und Angst. Wie es gekommen wäre, wenn sie sich selbst überlassen geblieben wären, ist ungewiß. Nun war jedoch einer unter ihnen, der nicht dieselben Gründe zur Unentschlossenheit hatte wie sie, nämlich Herr Bekker. Die Unterbrechung, die durch die Worte der jungen Dame entstanden war, hatte nicht viel Augenblicke gedauert, als Herr Bekker sich beeilte, ihre Wirkungen zu paralysieren.

»Idioten!« rief er. »Zwanzigtausend Pesetas! Großartig! Wie lange werdet ihr sie genießen? Habt ihr schon vergessen, was euer gnädiger Regent euch versprochen hat – daß ihr vor morgen abend hängen werdet? Daß er sich die Hilfe eines englischen Panzerkreuzers verschafft hat, der noch vor morgen hier ist? Idioten! Ihr hättet eine rechte Freude an eurem Geld!«

Die junge Dame starrte den Großherzog einen Augenblick wie betäubt an: was war dies? Hatte er das gesagt? Sprach der andere die Wahrheit? Der Großherzog nickte stumm: seine erfolgreiche Lüge von eben erst rächte sich in einer Weise, die alles übertraf, was die Sonntagsschulbücher zu erzählen wissen. Herrn Bekkers Worte hatten sofortige Wirkung; das Zaudern seiner fünf Mitverschworenen hörte ebenso plötzlich auf, als es gekommen war, zustimmende Schreie und Ausrufe grüßten ihn, und Schmähungen begannen auf den Großherzog zu hageln. Sergeant Posada entblößte die Arme und machte stumm die Schlinge fertig, während Amadeo und seine Helfershelfer mit grimmigem Grinsen probierten, ob der Strick leicht lief.

Die junge Dame warf einen blitzschnellen, verzweifelten Blick auf den Großherzog, der den Kopf senkte. Dann machte sie einen Schritt auf den Sergeanten zu und unternahm noch einen Versuch.

»Vierzigtausend Pesetas für jeden von euch!« rief sie. »Hört ihr? Vierzigtausend! Ein jeder von euch wird reich – und ich schwöre, daß der Großherzog euch verzeiht. Ich schwöre es, ich gelobe es.«

Der Sergeant stieß sie brutal beiseite.

»Ruhig!« brüllte er. »Genug damit. Haben Sie das Geld, so bekommen wir es ohnehin. Wir haben schon zuviel Zeit versäumt. Ob er uns verzeiht oder nicht, kommt auf eins heraus, jetzt wird er gehängt.«

Sie wurde leichenblaß, die Pupillen ihrer blauen Augen weiteten sich, bis sie das ganze Auge zu füllen schienen, und aus ihnen sprühte ein Funkenstrom, der für eine Sekunde sogar diesen Raubtiermenschen bändigte.

»Wagen Sie das, Sie elender Schurke!« rief sie mit keuchender Stimme. »Wagen Sie das, und ich schwöre bei meiner armen Seele Seligkeit ...«

»Wagen?« unterbrach sie der Sergeant, dessen Zögern sich rasch in Wut verwandelt hatte. »Wagen – und ob wir es wagen! Sie werden es in einer Sekunde sehen!«

Außer sich, starr von ohnmächtiger Verzweiflung, heftete sie die Augen mit einem brennenden Blick auf den Großherzog und rief mit kaum vernehmlicher Stimme:

»Dann, so wahr ich Olga Nikolajewna, Großfürstin von Rußland bin, werde ich mir keine Ruhe auf Erden gönnen, bis ihr dieses Verbrechen mit eurem Leben gesühnt habt! Ich schwöre es bei meiner Hoffnung, den zu erretten, den ihr ermorden wollt ... bei meiner ... bei meiner Liebe zu ihm ...«

Ihre Stimme brach plötzlich, und wankend, von den Tränen geblendet, die nun aus ihren Augen zu strömen begannen, versuchte sie sich an dem schwarzen Sergeanten vorbeizudrängen, die Arme ausgestreckt, um sie um Don Ramon zu schlingen – Don Ramon, der da gebunden, verwundet, machtlos stand, während seine Gedanken wie im Delirium irrten: sie war Olga Nikolajewna, Großfürstin von Rußland – war sie denn nicht Madame Pelotard? War sie auch unter falscher Flagge gesegelt? War alles ein Alptraum? Oder war es möglich? War es möglich?!

Ach ja, er begann zu verstehen, jetzt, endlich, wo es zu spät war! Sie war es, die ihm vor zwei Jahren geschrieben – es war ihr Brief, den er ... Er wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken ... Und nun hatte sie ihr Leben gewagt – um ihn zu retten ... Überwältigt von all den Gedanken, die im Laufe von ein paar kurzen Sekunden auf seine Seele einstürmten, wäre er zu Boden gesunken, wenn nicht Amadeos Mithelfer ihn gehalten hätten. Keiner der Verschwörer schien verstanden zu haben, was sie gerufen hatte. Er fühlte wie die Schlinge um seinen Hals gelegt wurde, sah, wie der schwarze Sergeant dieses Weib, dessen Schönheit und Leidenschaft jede andere Natur hätte bezwingen müssen, Herrn Bekker zuschleuderte, der grinsend das Ganze mit angesehen hatte. Er wendete den Kopf ab, um nicht mehr zu sehen; für eine Sekunde fiel sein Blick auf die Tür, und er fuhr mitten in seiner Betäubung zusammen; den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er zu sehen, daß die Türklinke bewegt wurde, daß jemand sie zu öffnen versuchte ... Konnte es der Professor sein? Oder war es nur die Schildwache? In der nächsten Sekunde war die Klinke wieder unbeweglich, wenn sie sich vorher gerührt hatte, und einen letzten Schrei von ohnmächtigem Schmerz und Zorn unterdrückend, hörte er – denn hinsehen wollte er nicht – wie Amadeo signalisierte: alles klar! Und wie Herr Bekker mit einem glucksenden Lachen sagte:

»Na, mein kleines Täubchen, komm nur her zu mir, ich will dich schon stützen! Hier siehst du gut! Komm!«

Dann packten ihn Amadeo und seine beiden Helfer, um ihn näher an den Galgen heranzuziehen; der Strick spannte sich um seinen Hals, und er hob die Augen, um mit einem letzten Blick ihr Lebewohl zu sagen, die an diesem Abend um seinetwillen alles gewagt, die er so grausam verunrechtet – und die gesagt hatte, daß sie ihn liebte ... Er begegnete ihrem Blick, der gelähmt an ihm hing, sah, daß sie im Begriffe war, ohnmächtig zu werden, sah, daß Herr Bekker die Arme ausbreitete, um sie zu umschlingen ...

Dann strammte sich der Strick unheimlich; er sah gar nichts mehr und mit einem letzten Gedanken machte er sich bereit zu sterben: Herr Bekker sollte dieses herrliche junge Wesen mit seinen Händen besudeln dürfen ... Herr Bekker hatte seine Arme ausgestreckt, um sie zu umschlingen ... sie ...

Herr Bekker hatte es getan. Aber es war die letzte Bewegung, die Herr Bekker in seinem Leben machte!

Bevor noch seine Hand die Großfürstin berührt hatte, knallte am anderen Ende der Halle ein Schuß. Ihm folgte ein Aufheulen, ein Aufheulen des Todesschmerzes; die Arme, die die junge Fürstin umfangen wollten, tasteten durch die Luft, und schwer aufschlagend fiel der hervorragende Geschäftsmann auf den Marmorboden.

Aber ehe noch das Echo des ersten Schusses und Herrn Bekkers Todesschrei verklungen war, knallten sechs neue Schüsse, so dicht hintereinander, daß sie sich wie ein einziger anhörten. Der Strick, der den Hals des Großherzogs erstickend eingeschnürt hatte, löste sich plötzlich, er schwankte und fiel zu Boden, aber er konnte atmen, er konnte atmen! Dann hörte er eine Stimme aus unendlicher Ferne Worte rufen, die für ihn ganz ohne Sinn waren:

»Mut, Hoheit! Auguste, Joaquin, noch eine Salve! Tod den Schurken – keiner bekommt Pardon –.«

Man röchelte und schrie neben ihm; es kamen drei oder vier Schüsse, und in der nächsten Sekunde spürte er, wie eine Hand einen kalten Gegenstand zwischen seine Handgelenke und den Strick, der sie band, preßte. Ein Schnitt, und sie waren frei. Noch einer, und der Strick um seine Füße war fort. Ein paar Sekunden mit zusammengebissenen Zähnen, dann konnte er wieder die Augen öffnen, vor denen Feuer und Raketen regneten. Er glaubte ein Gesicht zu erkennen, das sich über ihn neigte, und mit einer Zunge, die er kaum regen konnte, gelang es ihm zu murmeln:

»Kann ich ... kann ich vielleicht etwas Kognak haben?«

Das Gesicht über ihm verschwand, und er bemerkte etwas weiter fort zwei Beine, die niederknieten, und einen Rücken, der sich über etwas beugte. Plötzlich richtete er sich auf, und eine Gestalt, deren er sich vergeblich zu erinnern suchte, verschwand mit irgend etwas in den Armen.

Aus weiter Ferne, möglicherweise von dieser Gestalt, kamen Worte, die wie leere Trommelwirbel an sein Ohr schlugen:

»Einen Augenblick, Hoheit, der Kognak kommt schon – ich muß nach meiner armen Frau sehen.«

Frau – Frau, wiederholte das Gehirn des Großherzogs matt vielleicht zwanzigmal, ohne daß dieses Wort irgendeine Bedeutung bekam. Dann fühlte er eine Hand unter seinem Kopf, etwas Kaltes, Glattes an seinem Munde, und ein brennendes Fluidum, das sich den Weg über seine Lippen bahnte. Es brannte, es brannte; dann rollte plötzlich ein Vorhang in seinem Kopf in die Höhe, er sah, hörte, fühlte, verstand und erhob sich, auf einen Arm gestützt, der, wie er jetzt sah, Joaquin gehörte, während seine Beine noch schwankten und seine Knie wie Kastagnetten klapperten. Joaquins Hand streckte ihm wieder die Flasche mit einem brennenden Fluidum entgegen; er machte noch einen Schluck, der diesmal gar nicht so unangenehm brannte, und war endlich Herr seiner selbst.

»Sie!« murmelte er. »Wo ist sie und der Professor?«

Joaquin umfaßte seinen Herrn fest und begann ihn behutsam nach dem Zimmer zu führen, wo Luis Hernandez eben noch residiert hatte. Plötzlich erinnerte sich Don Ramon, welche Schicksale der treue Diener hatte durchmachen müssen; er blieb stehen und lächelte ihm mitleidig zu:

»Joaquin, mein armer Joaquin,« sagte er, »du hast es schlimm gehabt, nicht wahr?«

»Ach, wenn ich nur weiß, daß Hoheit gerettet sind!«

»Im weißen Pavillon, diese Schurken!« murmelte der Großherzog, »du mußt es schrecklich gehabt haben, du und Auguste. Da ist es doch noch besser, bei mir Koch zu sein, nicht wahr?«

»Ach, Hoheit ... ja, es war furchtbar; wären Hoheit und der Professor nicht bald gekommen, dann ...«

»Konnte der Professor euch so ohne weiteres befreien? Wart ihr bewacht?«

»Ja, aber er hat die Wache übermannt – es waren übrigens zwei, und uns im Handumdrehen befreit. Dann verschaffte er uns etwas zu essen und Kognak. Sonst hätten wir auch nicht viel ausrichten können ...«

Der Großherzog nickte stumm.

»Er hat sich besser bewährt als ich,« sagte er. »Ich ließ mich gleich überrumpeln. Habt ihr versucht, bei dem großen Eingang hereinzukommen, oder habe ich falsch gesehen?«

»Ja, wir waren es, Hoheit. Aber er war versperrt. Und so mußten wir hinten herumlaufen. Als wir hereinkamen, waren sie eben dabei, Hoheit hochzuziehen. Alle die Schurken miteinander, und Herr Bekker versuchte, die Dame zu umarmen. Der Professor streckte nur den Arm aus, so, da lag der Kerl schon tot da, schießt nur in den Haufen, auf die anderen, rief er uns zu. Keinen Pardon, hütet euch nur, euren Herrn zu treffen! Selbst gab er drei Schüsse ab, als er das sagte, er hat auch die meisten getötet. Wir hatten zuviel Angst, Auguste und ich, Eure Hoheit zu treffen. Unsere Hände waren auch nicht so sicher nach dem Aufenthalt im Pavillon ...«

Der Großherzog warf unwillkürlich einen Blick hinter sich. Da lagen die führenden Männer der Republik auf einem Haufen. Der schwarzbärtige Sergeant zu oberst mit gefletschten Zähnen. Ihre Körper hatten schon begonnen, die Starrheit des Todes anzunehmen. Im selben Augenblick kam Philipp Collin ruhig lächelnd aus dem inneren Zimmer.

»Wie geht es, Hoheit? Ich fürchte, es war in letzter Minute.«

»Nein, Professor,« sagte Don Ramon ernst und streckte die Hand aus, – »in letzter Sekunde. Noch eine Sekunde, und der Tyrann wäre tot gewesen, und das souveräne Volk Herr auf Minorca.«

»Gott sei Dank, daß ich noch zurecht kam,« sagte Herr Collin. »Für Sie und für meine arme Frau.«

Don Ramons Augen brannten plötzlich von zurückgehaltenen Tränen. Er erinnerte sich, wie er sie gesehen, bevor die Hilfe kam ... im Begriff, von Herrn Bekker umarmt zu werden, im Begriff, das Bewußtsein zu verlieren, bei dem Anblick seiner Hinrichtung ... Arme kleine Prinzessin! Armes Kind! Wie hatte sie das tun können, was sie getan? Ihr Leben, alles hatte sie um seinetwillen gewagt, an ihn weggeworfen – ihn, der ... Mit Anstrengung unterdrückte er die Tränen und nickte Philipp zu:

»Ja, Sie kamen zur rechten Zeit, Professor. Für mich und für sie

»Aber wie ist sie hergekommen? Sie befindet sich jetzt etwas besser (Philipp nickte mit dem Kopf nach dem Zimmer zu, wo sie lag), aber noch habe ich ihr keine Fragen stellen können. Wissen Sie etwas?«

»Sie ging ans Land, um uns zu suchen, sie wurde dann von Kapitän Dupont getrennt und kam gerade zurecht, um mich hängen zu sehen. Sie bot diesen hier – der Großherzog sah wieder mit einem Schaudern die entseelten Gestalten hinter ihnen an – diesen Freiheitsmännern 200 000 Pesetas für mein Leben ... Ihre Antwort war, sie Herrn Bekker in die Arme zu werfen ... Und in ihrer Angst und Verzweiflung verriet sie, wer sie ist ...«

Philipp warf einen raschen Blick auf den Großherzog, den dieser nicht verstand; wenn er ihn auch im Laufe der Nacht verstehen sollte.

»Ja,« begann der Großherzog wieder langsam, »wir sind alle unter falscher Flagge gesegelt; ich bin nicht der Graf von Punta Hermosa und sie ... sagte, sie sei nicht Madame Pelotard, sondern ...«

»Sondern Olga Nikolajewna, Großfürstin von Rußland,« ergänzte Philipp. »Diese Sache werden wir morgen besprechen. Ich glaube, es ist Zeit, daß wir uns zum ›Storch‹ hinunterbegeben. Der gute Kapitän Dupont wird ja ganz außer sich sein, wenn er uns nicht bald wiedersieht. Wenn er unsere Abenteuer wüßte, hätte er etwas mehr Respekt vor den Revolutionsmännern in Minorca. Gehen wir also, Hoheit ... bei aller Achtung für das großherzogliche Schloß, habe ich doch keine Lust, heute nacht hier zu schlafen.«

Der Großherzog sah sich um und erschauerte wieder:

»Beim heiligen Urban, Professor, ich auch nicht. Aber was ist mit ihr? ... kann sie ...«

»Wir tragen sie,« sagte Philipp. »Auguste ist eben dabei, eine Art Bahre zu verfertigen.«

Fünf Minuten später schlug das Schloßtor das letztemal für diese Nacht hinter ihnen zu. Philipp, Joaquin und Auguste trugen abwechselnd die Bahre, auf der die Großfürstin in einer leichten fieberhaften Betäubung lag. Don Ramon, dessen Fuß furchtbar wehtat, hinkte daneben einher, vergeblich bittend, mithelfen zu dürfen. Nach einem Marsche von fünfzehn Minuten, der ohne weitere Zwischenfälle vor sich ging, zuckte Philipp plötzlich bei einem Gedanken zusammen und ergriff den Großherzog am Arm.

»Hoheit, haben Hoheit gezählt, wie viele Tote im Saale waren?«

Der Großherzog schüttelte den Kopf und betrachtete ihn vorwurfsvoll.

»Mißverstehen Sie mich nicht, es ist mir nur etwas eingefallen; wenn ich mich nicht sehr irre, war der Präsident nicht darunter.«

Nun fuhr auch Don Ramon zusammen. Wahrhaftig, der Professor hatte recht! Luis Hernandez war bei den letzten Szenen in der Halle nicht mit dabei gewesen.

»Es ist, wie Sie sagen, Professor,« murmelte er. »Luis muß entwischt sein. Wenn wir ... würde ein Umweg von zwei Minuten etwas machen?«

»Durchaus nicht, Hoheit. Führen Sie nur!«

Der Großherzog dankte ihm mit einem Blick und bog rasch in eine kleine Quergasse ein, die auf einen Marktplatz mündete, auf dem einige Palmen leise in der Nachtluft rauschten. Vor einem zweistöckigen Hause mit einem Schilde vorne blieb er stehen. Mit einiger Anstrengung unterschied Philipp, daß es die Inschrift Hotel Universal trug. Der Großherzog pochte an die Tür, zuerst ohne Erfolg, dann, nach einigen Minuten, hörte man die Stimme eines alten Mannes drinnen, der fragte:

»Wer da?«

»Öffnen Sie!« sagte der Großherzog. »Da sind Reisende, die Zimmer wünschen.«

Ein Riegel knirschte, die Tür wurde geöffnet, und auf der Schwelle zeigte sich ein Greis mit langem, grauem Haar, der die Augen mit einer zitternden Hand beschattete, um die Ankömmlinge besser zu sehen.

»Guten Abend, Señor Hernandez!« sagte Don Ramon. »Erkennen Sie mich? Und ist der Präsident zu sprechen?«

Die Wirkung seiner Worte war eine augenblickliche; er hatte kaum zu Ende gesprochen, als der Alte, an allen Gliedern zitternd, auf die Knie fiel und mit erhobenen Händen flehte:

»Gnade, Hoheit, Gnade! Ich habe keinen Teil an diesem verbrecherischen Anschlag gehabt ... Ich schwöre es, Hoheit, ich schwöre es.«

Der Großherzog winkte ihm aufzustehen.

»Gut, Señor Porfirio, ich glaube Ihnen. Aber antworten Sie auf meine Frage. Ist Luis hier?«

»Nein, Hoheit, nein! Ich schwöre es! Er hat nicht mehr hier gewohnt, seit ... seit ...«

»Ich weiß,« unterbrach Don Ramon. »Ich komme eben aus seinem letzten Quartier ... Nun gut, alter Porfirio, ich möchte Ihnen nur einen guten Rat geben; wenn Luis herkommt, so schicken Sie ihn sofort außer Landes. Ihnen zuliebe wünsche ich ihn nicht gehängt zu sehen; geben Sie ihm Geld und schicken Sie ihn vor morgen abend außer Landes. Gute Nacht!«

Der Großherzog drehte sich zu Philipp um und sagte: »Wir können weitergehen« – doch plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Einen Augenblick, Professor,« sagte er. »Wenn ich mich nicht irre, sind wir auf der Yacht ganz besetzt?«

»Ja, Hoheit, völlig.«

»Dann müssen wir also Joaquin und Auguste anderswo Unterkunft schaffen ... Señor Porfirio!«

»Hoheit!« Der alte Hotelbesitzer, der sich erhoben hatte, eilte auf zitternden Beinen heran.

»Keine Angst, alter Porfirio. Ich will Ihnen nur Gelegenheit geben, etwas von dem, was Ihr Sohn verbrochen hat, gutzumachen. Sie sehen meine beiden prächtigen Diener, Joaquin und Auguste, hier. Luis und seine Freunde hatten sie in einem Pavillon eingemietet, auf den die Ratten seit dreißig Jahren das alleinige Recht hatten. Ich gebe sie Ihnen für heute nacht als Zwangseinquartierung. Sorgen Sie, daß sie im Verhältnis zu den Verbrechen Ihres Sohnes verpflegt werden!«

»Hoheit ... Hoheit!« Der alte Porfirio suchte schluchzend die Hand des Großherzogs zu fassen. Dieser klopfte ihm auf die Schulter.

»Gute Nacht, Porfirio! Halten Sie sich bereit, sie in einer halben Stunde aufzunehmen.«

Der Zug setzte sich wieder durch die stillen Gassen in Bewegung, und nach weiteren fünfzehn Minuten näherte man sich dem Hafen. Je näher sie an ihn herankamen, desto dichter waren die Gäßchen, die hinführten, von einem schweren, grauen Nebel erfüllt, der in den Nachtstunden aus dem Mittelmeer aufgestiegen war. Als man schließlich am Wassersaum angelangt war, war der Nebel so dicht, daß die Häuser zu beiden Seiten nur wie undeutliche Schatten zu sehen waren. Ringsherum auf die Westseite zu gehen, wo die Jolle des »Storchs« lag, daran war nicht zu denken; es hätte noch wenigstens fünfzehn Minuten Marsches bedeutet; und sowohl der Großherzog, der zwar nichts getragen hatte, wie seine Begleiter waren vor Müdigkeit ganz erschöpft. Seine Hoheit bat seine Freunde zu bleiben, wo sie waren, und er verließ sie für einen Augenblick, um zu rekognoszieren. Nach zwei Minuten war er wieder da und winkte ihnen, ihm zu folgen.

Er führte sie vorsichtig zwischen zwei niedrigen Werkzeugschuppen derselben Art durch wie auf der Ostseite des Hafens, wo er und Philipp vor einigen Stunden gelandet waren. Nur erhob sich auf dem Dache des einen eine Flaggenstange, und der Großherzog beugte sich zu Philipp vor, um zu flüstern:

»Die Residenz Ihres Freundes Emiliones, wenn ich nicht irre! Hoffentlich hört er uns nicht!«

In der nächsten Sekunde hatten sie die beiden Häuschen glücklich passiert und waren unten am Ufer, wo das Wasser sich im Nebel hob und senkte, langsam wie die Pendelschläge einer altertümlichen Uhr. Ein kleines Ruderboot, vermutlich dasselbe, das den Präsidenten und seinen Freund zum »Storch« gebracht hatte, lag auf das Ufer gezogen. Auguste und Joaquin setzten keuchend die Tragbahre zu Boden, und der Großherzog flüsterte ihnen zu:

»Geht ins Universal zurück, nehmt euch die besten Zimmer und laßt euch geben, was ihr wollt, zum allerwenigsten Champagner, wenn der alte Porfirio welchen hat. Morgen komme ich ans Land und übernehme wieder das Regiment. Erkundige dich nach dem Preise der Kaninchen, Joaquin, für das Festdiner! Gute Nacht!«

Auguste und Joaquin verschwanden stumm im Nebel, und der Großherzog wendete sich an Philipp:

»Jetzt, Professor, erübrigt es nur, daß wir zum »Storch« hinüberkommen. Wollen Sie das Boot hinausschieben, so werde ich versuchen, unseren Schützling hineinzubringen.«

Er umfaßte die Großfürstin vorsichtig, um sie aus der Bahre zu heben, im selben Augenblick war es, als durchliefe ein elektrischer Strom ihren Körper. Und bevor er es noch verhindern konnte, hatte sie die Arme um seinen Hals geschlungen. Er fühlte sich von ihnen umschlossen, wild, wie im Fieber; dann drang ein Flüstern an sein Ohr:

»Ramon – Ramon – Sie dürfen ihn nicht töten! Sie dürfen ihn nicht töten! Ich liebe ihn ...«

Er erzitterte plötzlich so, daß er sie fast losgelassen hätte; doch dann gelang es ihm, seine Selbstbeherrschung wieder zu erlangen, und mit pochenden Schläfen hob er sie ganz aus der Bahre. Sein verletzter Knöchel brannte und flammte, als er die wenigen Schritte zum Boot hinunter machte; aber er hatte dabei das Gefühl, als schwebte er durch elyseische Gefilde, ohne sie auch nur mit dem Fuß zu berühren. Ohne daß er es wußte, wie es zugegangen war, saß er plötzlich auf einer Ruderbank, mit ihr in seinen Armen; er versuchte, ihren Griff um seinen Hals zu lösen, aber konnte es nicht, und hörte Philipp Collin sagen:

»Die Bahre, Hoheit! Einen Augenblick, ich springe ans Land und verstecke sie. Unser Freund Emiliones ...«

Damit hüpfte Philipp rasch ans Land zurück, und der Großherzog blieb allein, mit schwindelndem Hirn, wie eben erst, als er dem Tode entronnen war ... Er hörte nichts anderes als die heißen Atemzüge an seiner linken Wange und sah nichts anderes als einige dunkle Haarschlingen, die ungeordnet über geschlossene Lider fielen; aber wäre er Herrn Collin mit den Blicken gefolgt, so hätte er etwas gesehen, was ihn verwundert hätte.

Philipp, der die Bahre genommen hatte, stand für einen Augenblick unschlüssig, was er damit anfangen sollte. Gab es hier irgendein Versteck, oder sollte er sie ins Wasser werfen? Plötzlich bemerkte er, daß die Tür zu einem der beiden Werkzeugschuppen offen stand, und entschloß sich rasch, die Bahre dort drinnen zu verstecken. Da würde sie wohl niemand vor dem nächsten Morgen finden. Er eilte hin und zog sie hinter sich her – als er plötzlich an seiner Wange eine Hand fühlte und mit einem Schrei des Entsetzens zurückprallte.

Die Hand, die seine Wange in der Dunkelheit gestreift, war kalt wie der Tod.

Einen Augenblick stand Philipp wie gelähmt da, an allen Gliedern zitternd, dann zog er seine elektrische Taschenlaterne heraus und drückte auf den Knopf.

Im nächsten Augenblick flüchtete er aus dem Schuppen.

Denn was hatte er da gesehen, an einem Strick von dem Balken herabhängend, der quer durch den Raum ging?

Mit verzerrtem Munde, ausgestreckter Zunge und unheimlich geschwollener Nase, von dem Tritt, den er am Abend von Philipps Fuß bekommen – den ersten Präsidenten von Minorca!

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