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Günther Weber, 16. April 1945, Friedersdorf, Gebiet Seelow

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Dass sein Schulfreund Fred Beyer fast in seiner unmittelbaren Nähe Kommandeur einer Panzerabteilung der "Müncheberg" war wusste Günther Weber nicht. Mit den Namen des Divisionskommandeurs, General Mummert, konnte er aber schon etwas anfangen. Mummert eilte der Ruf eines harten Hundes voraus, dessen strategische Fähigkeiten aber offensichtlich mehr im linearen Draufhauen bestanden. Für das von der deutschen Führung vorgegebene unbedingte Halten der Stellungen auf den Seelower Höhen war Mummert aber genau der richtige Mann am richtigen Ort. Mummerts Person auf einen tumben Landsknecht zu reduzieren wäre nicht gerecht gewesen, denn er legte viel Wert auf die Berücksichtigung der Interessen der Soldaten, sofern man jetzt noch so darüber reden konnte. Er war kein Verheizer, aber auch keine Zartnatur, und der auszuführende Auftrag hatte immer Vorrang, auch wenn es viele Leben kosten würde. Insgesamt konnte man davon ausgehen, dass die "Müncheberg" sich mit aller Macht gegen den russischen Angriff stemmen würde.

Günther Weber hatte gegen 22 Uhr am Vortrag noch mit seinem Stab alle erforderlichen Pläne und Maßnahmen besprochen und war der Überzeugung gewesen, dass die Panzerjagd-Einheit gut auf das Kommende vorbereitet wäre. Die alte Weisheit, dass alle Planungen mit den ersten ernsthaften Gefechten zu Papierstaub zerbröckelten hatte er schon lange verinnerlicht und war demzufolge auch darauf eingestellt, nach dem Beginn des Angriffs der gegnerischen Panzer und der Infanterie operative Entscheidungen treffen zu müssen. Obwohl er noch nie eine Panzerjagdabteilung geführt hatte war ihm mehr als klar gewesen, dass die Kampfwagen eine wirkungsvolle Abwehrwaffe waren, aber eben mustertypisch auch erhebliche Nachteile hatten. Die turmlosen Panzer verfügten nur über einen begrenzten Höhen- und Seitenrichtwert für ihre Geschütze, die Fahrzeuge mussten also in die ungefähre Richtung der Gegner gedreht werden. Das war bei entsprechender Vorwarnzeit machbar, bei unverhofften Angriffen aber problematisch. Und genau mit solchen Situationen rechnete Weber. Die südlich von ihnen bei Forst bereits übergesetzten russischen Einheiten würden sich nicht lange mit der Sicherung ihrer Übergangsstellungen über die Neiße aufhalten, sondern zügig weiter nach Westen vordringen. Eventuell würden Teile der Kräfte auf Bautzen eindrehen, aber Weber vermutete, dass die Führung der 1. Ukrainischen Front unter Konjew eher daran gelegen wäre, in Richtung Berlin zu marschieren. Die drei Orte Berlin, Seelow und Forst bildeten eine geometrische Gestalt. Seelow lag von Berlin aus fast schnurgerade im Osten, Forst auf einer ebenfalls nahezu geraden Linie von Seelow nach Süden. Zog man Verbindungslinien von Berlin nach Seelow, von dort nach Forst, und von da an nach Berlin, erhielt man ein rechtwinkliges Dreieck. Für Konjews Truppen lag Cottbus direkt auf dem Weg zur deutschen Hauptstadt, und das war ohnehin sein Ziel. Zwar war seine Front für die Säuberung des Südraumes vorgesehen gewesen, aber Stalin war schon am Mittag des heutigen ersten Angriffstages wütend gewesen, dass sich Schukows Verbände an den Seelower Höhen festgerannt hatten. In seiner Erregung hatte Stalin auch Konjew die Erlaubnis erteilt, auf Berlin vorzugehen. Der deutsche Südraum würde der Roten Armee früher oder später ohnehin in die Hand fallen. Von Forst nach Seelow waren es keine 100 Kilometer Entfernung, aber es dürfte kaum in Konjews Absicht liegen, dem ungeliebten Rivalen Schützenhilfe zu leisten und ihn bei Seelow zu unterstützen. Außerdem konnte man trotz des schlechten Vorankommens von Schukows Truppen davon ausgehen, dass die Deutschen in kürzester Zeit dennoch überrannt werden würden.

Mit solchen Überlegungen beschäftigte sich Günther Weber nicht, es war nicht seine Verantwortungsebene und hatte nichts mit seinem Auftrag zu tun. Die vorgeschobenen Beobachter hatten über absolutes Chaos auf dem Gelände vor der Höhenkette berichtet und Weber war selbst in den vorderen Graben gegangen, um sich einen eigenen Überblick zu verschaffen. Tatsächlich öffnete sich vor ihm ein Panorama, welches apokalyptische Bilder zeigte. Das gesamte Vorfeld der Seelower Höhen lag unter Artilleriebeschuss, sowohl deutschem, als auch russischem. Immer noch steckten die feindlichen Infanteriespitzen etwa 800 Meter vor der Geländeerhöhung fest, die Panzer waren noch weiter entfernt. Auf dem von den Einschlägen immer wieder umgewühlten Boden sah er durch seinen Feldstecher unzählige kleine erdbraun gekleidete Gestalten, die entweder auf dem Bauch vorwärtskrochen, ab und an aufsprangen und weiterliefen, oder bewegungslos herumlagen. Es gab Stellen im Gelände, wo sich regelrechte kleine Hügel aus den Gestalten gebildet hatten. Ganze Gruppen von russischen Infanteristen waren von den Granaten der Artillerie getötet oder verwundet worden. Weber selbst hatte auch oft unter Beschuss im Feld gelegen und er wusste, dass in den Männern ein Gefühl der grenzenlosen Ohnmacht und des absoluten Ausgeliefertseins aufkam. Wo ein Geschoss genau einschlug und explodierte konnte niemand mit Gewissheit sagen, denn die Deutschen schossen Sperrfeuer, welches zwangsläufig nicht so zielgenau war. Dazu war gekommen, dass die Sowjets ihre geplante eigene Feuerwalze nicht im Griff gehabt hatten, und besonders zu Beginn des Angriffs viele Granaten viel zu kurz gezielt gewesen, und in den eigenen Formationen hochgegangen waren. Mittlerweile war das Feuer fast bis an den Höhenzug herangewandert, aber dem bisherigen fehlerhaften Beschuss waren schon tausende Rotarmisten zum Opfer gefallen. Die rote Artillerie hatte sich ohnehin mehr darauf konzentriert, die aufgeklärten deutschen Schwerpunktstellungen zu beschießen, was aus taktischen Erwägungen weitaus sinnvoller war. Auch Webers Verteidigungsabschnitt war angegriffen worden. Allerdings waren die meisten Granaten über die Stellung hinweggegangen und irgendwo im Hintergelände explodiert. Über dem gesamten Gelände hing eine Dunstglocke aus zerstäubter Erde, hochwabernden Explosionsgasen und öligem Qualm ausbrennender Panzer und anderer Fahrzeuge. Das würde eine Beobachtung des Beschusserfolges erschweren, aber die Russen hatten vor Beginn der Offensive intensiv aus der Luft aufgeklärt und kannten die Positionen ihrer Ziele. Das Dauerfeuer beanspruchte die Geschütze enorm und verringerte deren Zielgenauigkeit.

Weber hatte genug gesehen, seine schweren Waffen würden noch weiter auf den Einsatz warten müssen, da die wirksame Schussentfernung immer noch nicht gegeben war. Neben seiner Beobachtungsposition war ein Sturmgeschütz III bis zur Wanne in einer Feuerposition gut versteckt worden. Die Soldaten hatten beim Anlegen der Deckung mitgedacht, denn rechts und links neben dem Panzer war genug Platz, um das Fahrzeug seitlich bewegen zu können, damit das Geschütz grob angerichtet werden konnte. Das 3,60 Meter lange Rohr ragte aus der Deckung heraus. Außerdem hatten die Männer die Standfläche des Fahrzeuges nach vorn hin abgeschrägt, damit es schon eine geringe negative Neigung der Waffe gab. Er trat von der Grabenbrüstung zurück und schwang sich aus der Deckung. Einer seiner Kompaniechefs war mit ihm vorn gewesen und ging neben ihm. Als er gut 20 Meter von der Kante des Höhenzuges weggekommen war schaute er noch einmal zurück. Obwohl es gerade erst kurz nach 13 Uhr war, lag eine Art Dämmerlicht über der ganzen Gegend. Dort, ungefähr 50 Meter unterhalb seiner Position, und nur noch einige hundert Meter entfernt von ihm, wurden feindliche Soldaten in der Knochenmühle des gnadenlosen Sperrfeuers gerade zerfetzt, verstümmelt, verschüttet, ertaubten, oder wurden wahnsinnig. Es war nicht so, dass ihm das besonders nahe ging, es war Krieg. Und er war auch nicht der Auffassung, dass dieses entmenschlichte Töten durch Maschinen schlimm wäre, das war der Zweck eines militärischen Kampfes. Dass sich die Menschheit dazu des technischen Fortschritts bediente war vermutlich moralisch fraglich, aber auf dem Gefechtsfeld interessierte das niemanden und nach dem Ende einer Schlacht spielte das gleich gar keine Rolle mehr. Fortlaufend jaulten von der russischen Seite Granaten heran, aber die feindliche Artillerie schoss immer noch zu weit. Nur vereinzelt gingen Geschosse im ansteigenden Hang der Höhenkette hoch. Direkt in den Stellungen von Webers Einheit hatte es nur vereinzelte Einschläge gegeben. Natürlich musste die Artillerie in ganz anderen Entfernungs- und Größendimensionen denken, als beispielsweise die Panzerwaffe. Wer wusste schon, wo und wie weit entfernt die Geschütze standen. Aus ein paar Kilometern Distanz ein Ziel punktgenau zu treffen war sicher eine sehr komplizierte Angelegenheit, zudem ja auch viele andere Faktoren wie das Wetter und die Windgeschwindigkeit eine Rolle spielen konnten. Außerdem sollten die Granaten die vorrückenden Rotarmisten hinter einem Feuervorhang etwas schützen, was aber in der hiesigen Situation recht zweifelhaft war, da die Deutschen alle Kräfte aus dem Gefechtsvorfeld zurückgezogen hatten. Weber drehte sich wieder um und hörte im gleichen Augenblick das charakteristische Geräusch der Katjuschas, den russischen Raketenwerfern. Irgendetwas sagte ihm, dass die Geschosse ihren Bereich treffen würden. Mit dem tief eingeschliffenen Reflex eines erfahrenen Frontkämpfers wusste er, dass er auf der offenen Fläche im Falle eines Einschlages in der Nähe verloren wäre. Ansatzlos sprintete er in Richtung des vorderen Grabens zurück und rief dem Kompaniechef, ihm zu folgen. Die 20 Meter bis dahin schaffte er kurz vor dem Moment als die Geschosse etwa zehn Meter von der Stelle, wo er gerade gewesen war, auf dem Gelände auftrafen. Weber war bäuchlings in den Graben gestürzt und lag so gut anderthalb Meter unter dem Geländeniveau. Auch der Kompaniechef hatte es in den Graben geschafft. Durch die Nähe der eng beieinanderliegenden Detonationen spürte er das Beben des Bodens ganz deutlich, Dreck rieselte aus den Grabenwänden. In der nächsten Sekunde wurde er auf dem Boden liegend wieder ein Stück emporgehoben. Die nächste Salve hatte eingeschlagen. Dann brach das Inferno weiter rechts von ihm noch einmal los, vermutlich hatten ein oder zwei Batterien gleichzeitig gefeuert. Sein Verband bestand zum Teil aus Infanteristen, aber diese waren alle in den Gräben, die Panzerleute hockten in ihren Fahrzeugen. Wenn sie Glück gehabt hätten, wären die Schäden durch den Beschuss vielleicht nicht ganz so schlimm, aber das konnte er natürlich noch nicht einschätzen.

Vor dem Höhenzug ging das Sterben weiter. Die deutsche Artillerie schoss mit höchster Intensität in die Menschen- und Panzeransammlung des Gegners. Jeder vernünftige Befehlshaber würde das Ziel ausgeben, die Höhen schnellstens mit den momentan auf dem Gefechtsfeld vorhandenen Einheiten zu erreichen, um das vollkommen verstopfte Gelände wieder für weitere nachzuführende Kräfte passierbar zu machen. Schukow stand aber so unter Druck, der von Stalin und dem südlich von ihm ungestüm vorrückenden Konjew ausging, dass er trotz der chaotischen Verhältnisse auf dem Gefechtsfeld bereits jetzt seine Reserven mobilisierte, um diese nach vorn zu werfen. Damit provozierte er regelrecht eine Verschlimmerung der Lage, denn schon jetzt kamen seine Truppen nicht mehr richtig voran, da allen der Raum fehlte. Vor dem Höhenzug stockte der Angriff, da die eigene Artillerie zum Teil immer noch zu kurz und so in die eigenen Reihen schoss.

Günther Weber hatte sich aufgerappelt und schaute aus dem Graben. Zur Oder hin hatte sich auf dem Gefechtsfeld nichts geändert, noch immer mühte sich der Gegner meterweise vorwärts. Jetzt hörte er trotz des Getöses ringsum Schreie. Er kam aus dem Graben heraus und sah schon beim Hochklettern, dass die Salven der russischen Raketenwerfer genau in einen der hinteren Gräben getroffen hatten. Dieser Graben stellte mit eine Verbindung zu den noch weiter hinten angelegten Munitionsbunkern dar. Weber ging langsam auf die Stelle zu, so, als wollte er den Blick auf diesen Bereich möglichst lange herauszögern, nicht aus Angst vor dem vermutlich grausamen Anblick, sondern weil er die Wirkung auf seine Soldaten erahnen konnte. Viele der Grenadiere waren jungen Burschen, die erst unmittelbar vor dem jetzt bald kommenden Kampf ausgebildet worden waren. Für sie waren Bilder von Tod und Verstümmelung noch ungewohnt und es würde sie schockieren, wie schrecklich Menschen verletzt werden konnten. Die Salvengeschosse drangen nicht besonders tief in die Erde ein, sondern streuten ihre Splitter weit im Gelände und oberhalb der Grasnarbe. Ein schwerer Zugkraftwagen 12t war relativ nah hinter den Jagdpanzern aufgestellt worden, um diese gegebenenfalls aus ihren Stellungen herausziehen zu können. Von dem fast 3 Meter hohen Fahrzeug war faktisch nur noch das massive Fahrwerk mit dem Halbkettenantrieb übriggeblieben, alles was sich darüber an Aufbauten befunden hatte, war durch die enorme Splitterwirkung weggeblasen worden. Selbst die breiten stählernen Laufrollen waren an vielen Stellen perforiert und durchschlagen worden. Keine drei Meter neben der Maschine waren zwei flache Sprengtrichter zu sehen und ein Brei von menschlichen Körperteilen. Die linke Seite des Laufwerks des Fahrzeuges sah wie rot lackiert aus, die Wucht des Sprengstoffs hatte Stücke von Fleisch, Knochen und Blut der Soldaten an die Maschine geklatscht. Rechts neben dem Fahrzeug waren die Männer etwas im Feuerlee gewesen. Weber hatte diesen Begriff des Lee einmal von Martin Haberkorn aufgeschnappt, der nichts weiter besagte, als dass das die dem Wind abgewandte Seite eines Seefahrzeuges wäre. Diese Art stählerne Barrikade in Gestalt der Zugmaschine hatte die dort befindlichen Grenadiere etwas schützen können, aber trotzdem waren vier der Soldaten schwerst verletzt worden. Ein Sanitäter war bereits bei den Verwundeten und kniete auf dem Boden. Zwei der jungen Männer waren bewusstlos, und Weber hoffte, dass sie auch nicht mehr aufwachten. Einem hatte ein Splitter den rechten Arm unterhalb des Schultergelenks abgetrennt, dem anderen Sprengstücke den Bauchraum aufgerissen und die Bauchhöhle freigelegt. Neben dem Amputierten hatte sich eine große Blutlache gebildet, der Mann würde gleich tot sein. Weber sah bei dem Bauchverletzten eine blasse blutige Masse im Leib und herausquellende fahle Därme. Die anderen beiden waren äußerlich unversehrt, aber auch getroffen worden. Einem waren Splitter in den Genitalbereich gefahren, und der junge Mann schrie grauenerregend. Der andere lag seltsam verkrampft auf der Seite und hatte die Beine angezogen und unter seinen Leib gedrückt. Aus seinem Mund, seiner Nase und den Ohren pulste Blut. Der Soldat hatte den Mund weit aufgerissen und wollte vermutlich seinen Schmerz herausbrüllen, aber sein Körper zuckte schon konvulsivisch und Weber wusste, dass er in ein paar Sekunden tot sein würde.

Als Günther Weber in den Krieg gegangen war hatte er das mit der Überzeugung verbunden gewesen, im Falle einer Verletzung schnell und gut versorgt zu werden. Damals war ihm noch nicht klar gewesen, dass es eben nicht nur um Schusswunden ging, deren Schmerzen ein Mann durchaus aushalten konnte, und die heilbar waren. Im Verlauf der Zeit und nach vielen Gefechten war diese Hoffnung aber der bitteren Erkenntnis gewichen, dass der menschliche Körper als kompliziertes Gebilde so verletzlich war, dass ein winziger Metallsplitter das Leben von gerade auf jetzt beenden konnte. Natürlich wusste er als Freiwilliger, dass er mit seiner Verpflichtung den Tod mit einkalkulieren musste, aber wie fast jeder Mensch verdrängte er diesen Gedanken. Er hatte auch miterleben müssen, wie gute Kameraden starben oder zum Krüppel geschossen wurden. Das schien ihm die schlimmste Alternative zu sein, denn es traf fast ausschließlich junge Männer. Bis jetzt hatte er immer noch viel Glück gehabt und war nur leicht verwundet worden. Er schaute den Sanitäter an.

„Es ist gleich vorbei“ sagte der Mann ausdruckslos „hier gibt es keine Hilfe mehr. Wir lassen sie hier sterben, ein Abtransport ist sinnlos. Ich wüsste auch nicht wer das wie bewerkstelligen sollte, und es würde auch zu lange dauern. Bis ihnen geholfen werden könnte sind sie ohnehin tot. Die beiden dort sind gleich verblutet, die hier auch, allerdings innerlich. Aber spielt ja keine Rolle, tot ist tot, egal wie es dazu gekommen ist. Ich kann hier nichts tun.“

Weber sah den Sanitäter schweigend an. Manchmal fragte er sich, wie die Leute vom Sanitätsdienst nervlich überhaupt über die Runden kamen. Ihre gesamte Tätigkeit bestand darin festzustellen, wie stark ein Mensch geschädigt worden war und dann zu entscheiden, ob noch Hilfe möglich und sinnvoll wäre. So gesehen handelten sie rational, einem Soldaten Hilfe zu leisten, der sowieso in kurzer Zeit sterben würde, wäre sicher ohne Nutzen. Aber sie waren eben keine Automaten ohne Gefühle, und sie trafen Entscheidungen über Leben und Tod. Wie sie bei all diesem Grauen durch die Nächte kamen war für Weber kaum vorstellbar. Natürlich hatte er auch genug Grausames gesehen, aber es bestimmte nicht seine gesamte Zeit als Soldat. Einige andere Grenadiere lugten entsetzt aus ihren Deckungen, direkt vor ihren Augen starben Kameraden und für sie stand fest, dass es sie auch jederzeit erwischen konnte.

Noch war der Kampf für die Einheit gar nicht richtig losgegangen, aber wenn es Mann gegen Mann heißen würde, dann würden sie die Apokalypse erst richtig erleben. Wer überleben sollte, müsste die Last der grausamen Bilder dann für immer mit sich herumtragen.


Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 24

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